WHBING LIST F£ß 1 5 1922,
I
JAHRESBERICHT
ÜBER DIE
FORTSCHRITTE DER KLASSISCHEN
ALTERTÜMSWISSENSCHAFT
BEGRÜNDET
VON
CONRAD BURSIAN.
HERAUSGEGEBEN VON
A. KÖRTE.
SUPPLEMENTBAND.
HUNDERTSECHSUNDACHTZIGSTER BAND.
LEIPZIG.
0. R. REISLAND.
1921.
et M\{e\
BERICHT
ÜBER DIE
LITERATUR ZUR ANTIKEN
MYTHOLOGIE UND
RELIGIONSGESCHICHTE
AUS DEN JAHREN 1906-1917
VON
0. GRUPPE
IN CHARLOTTENBURG.
LEIPZIG.
O. R. REISLAND.
1921.
Alle Rechte vorbehalten.
Alteiibarg
Pisrersch« Ilofbnchdrnckerei
•Stephan Ueibei & Co.
Inhalt.
Seite
Vorbemerkung 1
I. Schriften zur Greschiclite der antiken Religions-
wissenschaft undMythologie 2
11. Richtungen innerhalb der klassischen Mythologie
und Religionswissenschaft 3
a) Allgemeine Übersicht 3
b) Die Vergleichung von Vorstellungen primitiver Völker (An-
thropologische Richtung) 4
c) Naturalistische Mythendeutung 16
III. Religionsgeschichte 29
1) Die antike Religion im allgemeinen 29
2) Griechische Religion 30
a) Schriften über das Gesamtgebiet der griechischen Religion 30
b) Herleitung griechischer Mythen und Kulte axxs indo-
germanischer Urzeit 37
c) Herleitung griechischer Kulte und Mythen aus vorder-
asiatischen 41
d) Die Religion der vorhellenischen Bewohner Griechenlands 49
e) Die Übergangszeit , 55
f) Die griechische Mystik des 6. Jahrhunderts 62
g) Religion des Hellenismus 64
3) Römische Religion im allgemeinen und in der republikanischen
Zeit 67 j
4) Griechisch-römische Religionsgeschichte in der Kaiserzeit. . 80 '
a) Untersvichungen über die Kaiserzeit im allgemeinen ... 80
b) Untersuchungen über einzelne Perioden der Kaiserzeit. . 81
c) Die einzelnen Erscheinungen der Kaiserzeit 82
tt) Arbeiten über die Religionsmischung in der Kaiserzeit 83
ß) Arbeiten über das Eindringen orientalischer Kulte . . 84
Herrscherkulte 89. Heidentum und Judentum 95.
IV. Der Kultus 97
1) Zum Fortleben antiker Riten im heutigen Aberglauben . . 97
2) Götter und Dämonen. Ihre Stätte 100
Sanctus, sacer, religiosus 103. Tempel 106. Grotten 109.
Nabelsteine HO. Andere heilige Steine 112. Statuen 115.
3) Abzeichen IH
Gesamtdarstellungen der göttlichen Abzeichen 117
VI Inhalt.
Seite
Einzelne Attribute und Symbole 118
a) Lichterscheinungen und Gestirne 118
b) Mineralische Abzeichen 119
c) Die Pflanzenwelt im Mythos. Kult und Aberglauben. . 120
d) Insekten 129
e) Fische 131
f) Amphibien 133
g) Vögel 136
h) Säugetiere 144
i) Abzeichen von Menschenhand 156
k) Teile des tierischen und menschlichen Körpers und ani-
malische Produkte als Abzeichen 163
4) Verfluchung, Gottesurteil, Eid 165
5) Heil- und Abwehrzauber 173
Amulette 174. Reinigungsgebräuche 176. Kleidung und
Entblößung im Gottesdienst 177. Obszöne Riten 179.
Wollenes Gewand und Schaffell 183. Pharmakoi 185.
Steinigung 187. Durchkriechen durch ein Loch 187. Täto-
wieren 188. Buße 189.
6) Priester und Geweihte 190 190
Mysterienriten 192.
7) Tanz, CFmzug. Wettlauf 195
8) Dramatische Aufführungen 199
Ursprung der Tragödie 200. Ursprung der Komödie 206.
Verkleidung 207.
9) Opfer und Gebet 210
Speiseopfer, Verspeisung der Gottheit 211. Menschen-
opfer 212. Dankopfer 213. Gebete 214.
10) Weissagung 214
Lekanomantie214. Stemdeutung 215. Traumdeutung 219.
Prodigien 219. Eingeweideschau 221. Würfel- und Los-
orakel 222.
11) Anlaß und Zeit des Zaubers und des Kultus 224
a) Im Leben des einzelnen 224
«) Liebeszauber 224
ß) Hochzeitsgebräuche 224
y) Maßregeln zur Erzielung von Nachkommenschaft . . . 230
d) Geburt 231
Namengebung 232.
i) Bestattung und Totenkult 235
C) Vorstellungen vom Schicksal der Seele nach dem Tode 249
Eingang zur Unterwelt 256. Unterweltsrichter 256.
ünterweltsstrafen der Frevler 257. Elysion und
Inseln der Seligen 258. Die Seelen als Sterne 259.
Seelenwanderungslehre 260.
b) Zeit und Veranlassung der öffentlichen Gottesdienste . . 262
1) Einmalige Begehungen aus besonderer Veranlassung. . 262
«) Das Wetter 262
Inhalt. \;i^
Seite
ß) Zauberei und gottesdienstliche Handlungen aus An-
laß von Kriegen 264
Kriegstanz 265. Friedensopfer 266. Trophäen und
Triumphe 266.
2) Regelmäßige Feste 268
In Griechenland 268. Römischer Festkalender 269.
Kalender 270. Mondmonate. Jahresfeste und Sonnen-
jahr 270. Neujahr 278. Zahlensymbolik 280 ff.
V. Antike Schriftquellen zur Religionsgeschichte und
Mythologie 283
Orphika 283. Unteritalische Goldplättchen 289.
Kultlieder und Gebete 291
Zaubertexte 293
Schriften von Antiquaren und Theologen über den Kult . . 295
Mythographische Literatur 296
Der mythologische Roman 300
Philostratos 304. Manippos 305. Apuleius und das Psyche-
märchen 306. Alexanderroman 313.
Philosophen 314
Antike Mythendeutung 318. Poseidonios, Plutarch 320.
Labeo 321. Apollonios von Tyana 322. Hermetische Lite-
ratur 322 ff. Philo 324. Neuplatoniker 324. Julian 325.
VI. Lokalkulte und Mythen 325
Attika 325
Athen 326 ff. Eleusis 330.
Boiotien 343
Lokris 344
Lokrische Mädchen 345.
Delphoi 350
Thessalien 354
Peloponnes 355
Megara 355. Achaia 356. Elia 356 ff. Messenien 362.
Lakonien 364. Argolis 365. Arkadien 366.
Die Nordländer der Balkanhalbinsel 367
Makedonien und Thrakien 368.
Inseln des Ägäischen Meeres 370
Aigina Delos 370. Euboia 371. Ikos, Keos 372. Kos 375.
Kreta 375. Lemnos 379. Lesbos 379. Rhodos 379. Sala-
mis 381. Samos381. Samothrake381. Sikiros 381. Skyros381.
Tenos 382. Thasos 382. Thera 382.
Kleinasien 382
lonien 383. Pergamon 389. Troas, Mysien 390. Nord-
küste Kleinasiens 391. Lydien391. Phrygien 392. Galatia394.
Südküste Kleinasiens 394.
Der semitische Orient 395
Ägypten 398
Kyrene 399
Das nordwestliche Afrika 404
VIII Inhalt.
Soite
Der Nordwesten der Balkanhalbinsel 406
Italische Inseln 409
Unteritalien 412
Latium 418
Etrurien 421
Nordländer 421
VII. Mythologie 422
1) Verwandte Züge in verschiedenen Mythen 422
2) Sagenkreise 429
Welt- und Menschenschöpfiing 429. Weltalter 48U.
Sintflutsage 4ol. Argonautensage 483. Thebanischer
Sagenkreis 484. Troischer Kreis 436.
Namenverzeichnis 441
Jahresberieht über die Literatur zur antiken Religions-
gesctiiclite und Mytliologle aus den Jaliren 1906-1917.
Von
Otto Grappe in Charlottenburg.
Vorbemerkung ^).
Furchtbare Ereignisse haben neben so vielem Wichtigeren auch
die rechtzeitige Herstelhing dieses Jahresberichtes verhindert. Noch
jetzt wird er viele Lücken enthalten, aber diese auszufüllen, muß
dem nächsten Bericht vorbehalten bleiben , der bereits angefangen
ist und bald folgen soll. Eine noch längere Verzögerung hätte die
vorliegenden Besprechungen wertlos gemacht, ihnen außerdem einen
übermäßigen Umfang gegeben. Schon jetzt mußten gegenüber den
bisherigen Jahresberichten außerordentliche Beschränkungen ein-
treten. Nur solche Arbeiten sind besprochen , die entweder neue
hterarische, epigraphische oder kunstarchäoiogische Zeugnisse be-
handeln oder die bisher bekannten vollständiger, als es früher ge-
schehen war, sammeln oder neue beachtenswerte Probleme wenigstens
aufstellen. Aber auch von diesen Untersuchungen sind die über-
gangen, die an leicht auffindbaren Stellen der Handbücher, z. B.
bei Hastings, Encyclop. ßelig. and Eth., Daremberg-Saglio,
^) [Leider war es unter den gegenwärtigen Verhältnissen schlechter-
dings unmöglich, den ganzen von Herrn Professor Gruppe schon im
Frühjahr 1919 eingereichten Bericht zum Abdruck zu bringen, da sein
Umfang von der Druckerei auf .55 Bogen geschätzt wurde. Der Herr
Verfasser überließ es mir, die starken, unumgänglichen Kürzungen vor-
zunehmen, und so habe ich, da kleinere redaktionelle Eingriffe kein ge-
nügendes Ergebnis hatten, nach langem Überlegen größere Abschnitte
der Kapitel HI und V, vor allem aber in Kapitel VH den allein 80U Quart-
seiten des Manuskripts füllenden Abschnitt „Untersuchungen über einzelne
Gestalten des Mythos" fortgelassen. Daß mein Verfahren weder bei dem
Verfasser noch bei den Benutzern des Berichts unbedingte Billigung
finden wird, weiß ich wohl, aber nur eo war es dank dem weitgehendt n
Entgegenkommen der Verlagsbuchhandlung möglich, wenigstens die
Hauptstücke des Berichts für die Wissenschaft zu retten.
Der Herausgeber.]
Jahresbericht für Altertums-wissonschaft. Bd. 183 (Supplementband). 1
2 Vorbemerkung. Kagarow.
im M(ytLolof:;ischen) L(exikon), der R(eal) E(ncyklopädie), in
Wissowas Religion und Kultus der Römer, oder in andern von
jedem Mythologen und Religionshistoriker ständig benutzten Werken,
bereits ausgeschöpft sind. Es hätte keinen Zweck, bloß der Voll-
ständigkeit willen Werke und Aufsätze zu nennen, die seit Jahren
in den Händen aller sich dafür Interessierenden sind. Aus diesem
Grund sind auch jene Handbücher selbst und allbekannte Spezial-
untersuchungen höchstens kurz erwähnt worden. Die so zustande
gekommene Auswahl muß freilich befremden , wenn die Nicht-
erwähnung als das Urteil des Referenten über den Wert einer
Arbeit betrachtet wird ; aber nur so konnten wertvolle Mitteilungen
und Vermutungen vor der Gefahr geschützt werden, in Vergessen-
heit zu geraten. Diese Gefahr war auf dem schwer zu über-
schauenden Gebiet der Mythologie und Religionsgeschichte immer
sehr groß , aber nie so groß wie jetzt , wo viele Fäden zerrissen
sind und die Aufmerksamkeit so lange auf anderes gerichtet ge-
wesen ist. Auch der vorliegende Bericht, in dem doch alles Wert-
lose ausgeschieden ist, nennt zahlreiche Arbeiten, die anders aus-
gefallen wären, wenn die Verfasser ihre Vorgänger gekannt hätten. —
Die zusammenfassende Besprechung einer größeren Zahl von Arbeiten
hat die Form des Berichtes an einigen Stellen äußerlich der Dar-
stellung eines Handbuchs genähert, und einem solchen vorzuarbeiten,
ist in der Tat sein Zweck und seine Aufgabe. Aber er will auch
nicht vorübergehend ein Handbuch ersetzen, kann es ja auch schon
deshalb nicht, weil nur Fragen erörtert werden, die zufällig in der
Berichtsperiode behandelt sind.
I. Schriften zur Geschichte der antiken Religions-
wissenschaft und Mythologie.
Eugen Kagarow gibt in den russisch geschriebenen Mytho-
logischen Skizzen, Charkow 1913, Buchdruckerei „Friedensarbeit",
1 — 79 einen Al)riß des gegenwärtigen Zustandes der mythologischen
Forschung und S. 80 — 124 einen Abriß der Entwicklung der Mytho-
logie. Die er.ste Abhandlung bespricht in 5 Abschnitten die Theorie
der Übernahme europäischer Mythen aus dem Orient (S. 2 — 11),
die solaren und meteorologischen Theorien von A. Kuhn, M. Müller
und ihren Schülern (12—31), die dämonologische Richtung von
W. Schwartz und W. Mannhardt, Usener , Röscher ( — 42), die
historisch-philologische und (5(i fF.) die anthropologische Richtung.
In dem zweiten Aufsatz werden besprochen : Animismus (80 ff.)»
Kagarow. Hauptrichtungen innerhalb der Mythologie. 3
Fetischismus (86), Pflanzenkult (92), Tierkult (9ü), Magie (107),
Jenseits- und Zukunftsglauben (109), endlich die eigentliche Mytho-
logie sowohl nach ihrer materiellen (117) wie nach ihrer formalen
(119) Seite und den die Mythenbildung auslösenden Vorgängen.
Der Berichterstatter, des Russischen nicht kundig, ist auf Angaben,
die ihm der Verfasser selbst gesprächsweise und brieflich über sein
Buch gemacht hat, sowie auf einen Auszug angewiesen, den er der
Güte von Herrn Orlt verdankt. Soweit danach ein Urteil statthaft
ist, scheint Kagarow, eic gründlicher Kenner auch der deutschen
mythologischen Literatur, die wichtigsten Richtungen der neueren
Mythologie ohne zu scharfe Hervorhebung des eigenen Standpunktes
gezeichnet zu haben. — Wenigstens z. T. gehört in diesen Jahres-
bericht auch J. Toutain, La section des sciences religieuses de
r^cole pratique des hautes etudes de 1886 ä 1911, son histoire,
son Oeuvre, der eine für uns Deutsche in mancher Beziehung nach-
ahmenswerte Zusammenfassung der religionswissenschaftlichen
Forschung erkennen läßt. Einen gewissen Ersatz bietet jetzt die
Religionswissenschaftliche Vereinigung in Berlin.
n. Richtungen innerlialb der klassischen Mytho-
logie und Religionswissenschaft.
a) Allgemeine Übersicht.
Früher ließen sich die religionsgeschichtlichen und mytholo-
gischen Untersuchungen einteilen nach der Stellung, die sie gegen-
über dem am meisten in die Augen fallenden Problem, der Über-
einstimmung griechischer und römischer Vorstellungen mit solchen
anderer Völker, einnahmen. Je nachdem Kulte und Mythen von
nur indogermanischen oder auch von andern antiken Völkern oder
von heutigen Kulturvölkern oder von Wilden verglichen wurden,
und je nachdem die gefundenen Übereinstimmungen als Zeugnisse
für eine ehemalige Völkergemeinschaft betrachtet, als nachträglich
von Volk zu Volk übertragen angesehen oder endlich auf eine ge-
meinsame Veranlagung des Menschengeistes zurückgeführt wurden,
sonderten sich in der ungeheuren Literatur verschiedene Gruppen
aus. Nur zwei der früher nach jenen beiden Gesichtspunkten sich
sondernden Richtungen haben noch heute eine so große und so
geschlossene Anhängerschaft, und es ist überdies so schwer, ihre
Ergebnisse in einem andern Zusammenhang zu erwähnen, daß ihnen
vorweg einige Worte gewidmet werden müssen: die jetzt sehr be-
1*
4 Anthropologische Richtung.
lieht gewordene Vergleichung der religiösen Vorstellungen primitiver
Völker und die naturalistische M^'thendeutung.
b) Die Vergleichung von Vorstellungen primitiTer Völker
(Anthropologische Richtung).
Von den beiden Voraussetzungen aus, daß erstens die antiken
Religionsvorstellungen in eine Zeit zurückgehen, in denen Griechen-
land und Italien auf einer ähnhchen Kulturstufe standen wie die
heutigen Wilden, und daß zweitens alle Völker ungefähr die gleiche
Entwicklungsstufen durchlaufen haben , gelangte man zu der heute
in weiten Kreisen herrschenden Annahme, daß die beste Auskunft
über die Entstehung der ältesten Kulte Griechenlands und Italiens
bei den am meisten zurückgebliebenen Völkern der heutigen Welt
zw erhalten sei. Beide Voraussetzungen sind unbewiesen und
■wahrscheinlich falsch. Die Griechen haben bei ihrem Einbruch
in die Balkanhalbinsel , dort eine hochentwickelte Kultur vor-
gefunden, sodaß gerade ihre ältesten religiösen Vorstellungen, die-
jenigen, die sie den früheren Bewohnern entnahmen, ihre Wurzeln in
einer bereits reichen Kulturwelt haben; gleiche Entwicklung aber ist
nur da möglich, wo dieselben von den Vorfahren ererbten Keime
vorliegen, also nur bei dem einzelnen, nicht bei einem ganzen Volk,
das im Sinne der Abstammungslehre als solches keine Vorfahren
hat. Trotzdem ist die Hoffnung, bei den vermeintlich leicht fest-
zustellenden Vorstellungen heutiger Wilder ein Licht zu finden, das
in die dunkelen Anfänge der antiken Religion hineinleuchtet, so
groß, daß jene in steigendem Maße namentlich in England und
Frankreich in dieser Absicht untersucht werden. Obwohl bei der
geringen Zahl der dem Wilden möglichen Handlungen und der ihm
zu Gebote stehenden Vorstellungen die Zufälligkeit einer gefundenen
Übereinstimmung selten auszuschließen ist, macht sich bisher gegen
diese Methode nur vereinzelter Widerspruch geltend, z. B. bei
Gräbner, Methode d. Ethnol., Kulturgesch. Bibl. I. 1, Heidelb.
1911, der S. 62 ff. hervorhebt, daß die schon bei der Vergleichung
stammverwandter oder in Kulturaustausch stehender Völker schwer
vermcidliche Irrtumsmöglichkeit ins Ungemessene wächst, wenn
zwei allophyle und getrennt wohnende Völker in bezug auf ihre
religiösen Vorstellungen verglichen werden. Es ist, wie Gräbner
a. a. 0. 63 hervorhebt, „ein zunächst nicht gerechtfertigter Schluß,
daß gleichen Äußerungen auch der gleiche Sinn zugrunde liegt".
Selbst wo eine Vorstellung über weite voneinander gesonderte Ge-
biete verbreitet ist, läßt die "Übereinstimmung fast nur in dem
Anthropologische Kichtung. 5
seltenen Fall einen Schluß auf ihre Entstehung zu, daß über die Art
und Zeit der Verbreitung eine einigermaßen sichere Vermutung
möglich ist. Wenn Gräbner über dieses eng begrenzte Gebiet
hinaus Verwertung religiöser Übei-einstimmungen mit der Maßgabe
für statthaft erklärt , daß nicht einzelne Vorstellungen , sondern
größere Vorstellungsreihen oder Kulturkomplexe verglichen werden,
80 reichen wenigstens die von ihm selbst zur Erläuterung angeführten
Beispiele nicht aus, um die Möglichkeit solcher verwertbarer Ähn-
lichkeit als hoffnungsvoll erscheinen zu lassen. Wird vollends die
Vergleichung ohne solche Vorsicht ausgeführt, so wird fast nie ein
wissenschaftlicher Erfolg erreicht. Diese Art vergleichender Mytho-
logie , die z, B. von Goblet d'Alviella Act. IV Cougi\ intern,
d'hist. de rel. 57 ff. wenigstens neben der historischen empfohlen
wird, vermeidet einen Fehler nicht , den die vergleichende Sprach-
forschung bereits vor über 100 Jahren abgeworfen hatte, als sie
erkannte , daß nicht alle Sprachen wahllos miteinander verglichen
werden können, daß vielmehr größere und kleinere Sprachfamilien
unterschieden werden müssen, die miteinander näher oder entfernter
verwandt sind. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war die
Mythenvergleichung diesem Vorgang gefolgt, freilich in der Voraus-
setzung, daß Mythos und Kultus ebenso wie die Sprache in die
Zeiten zurückreichen müssen, in der die Völker derselben Völker-
familie sich nicht getrennt hatten, und daß demnach sprachverwandte
Völker auch ähnliche Mythen besitzen. Diese Annahme ist zwar
durch die Tatsachen widerlegt worden, aber methodisch war diese
Art von Mythenvergleichung besser als die jetzt übliche, denn diese
geht auf einen Standpunkt zurück, der dem Vorboppschen der
Sprachvergleichung entspricht. Übereinstimmungen, wie sie die
Anthropologie und Völkerpsychologie nachzuweisen suchen, können
in keinem Fall einen sicheren Aufschluß über einen antiken Ritus
oder Mythos geben; offenbare Ähnlichkeiten sind zwar zu buchen,
weil sie später vielleicht sich als auf einem geschichtlichen Zu-
sammenhang beruhend herausstellen, unter Umständen auch auf
eine sonst unbeachtet bleibende Erklärungsmöglichkeit aufmerksam
machen; aber die wirklichen Fortschritte in der antiken Eeligions-
geschichte sind bisher fast ausnahmslos von solchen Forschern ge-
wonnen , die sich wesentlich auf diejenigen Zeugnisse gestützt
haben, die das klassische Altertum selbst bietet. Mit Recht warnt
P. Wendland, De faheUis antiquissimis earumque ad Christianos
propagaiione, Gott. 1911 Universit.-Progr., am Schluß die Studenten,
vergleichende Eeligionsgeschichte zu treiben, statt die religiösen
6 Anthropologische Richtung.
"Urkunden einzelner Völker mit philologischer Genauigkeit zu er-
forschen, und bezeichnet dies als die unerläßliche Vorbedingung
für eine erfolgreiche Vergleichung. Trotzdem werden fortwährend
griechische und römische Religionsvorstellungen aus solchen heutiger
Wilden erklärt. Schon im Titel verkündet diese Auffassung der
von R. R. Marett herausgegebene Sammelband Anthropology and
the Classics, Six Lectures delivered before the University of Oxford
(Oxford 1908; ins Deut.sche übersetzt von Hoops u. d. Titel „die
Anthropologie und die Klassiker") mit fünf für das Altertum in Be-
tracht kommenden Aufsätzen: II Lang, Homer and Anthropolog}-- ;
III Murray, Anthropology in the Greek epic tradition outside Homer •,
IV Je von s, Graeco-Italian Magic-, V My res, Herodotus and Anthro-
pology; VI Fowler, Lustratio. — Das bedeutendste Werk der eng-
lischen anthropologischen Religionswissenschaft ist die dritte ganz
umgearbeitete Auflage von Frazers Golden Bough, fast ein neues
Buch, das schnell weite Verbreitung gefunden hat, nachdem die erste
Auflage unter dem Titel Rameau d'or von Stiebel, 2. Bd. nach dessen
Tode 1908 von To utain ins Französische übersetzt worden war.
Seinem Umfang nach, der, wie die aufeinanderfolgenden Buchhändler-
ankündigungen zeigen , noch wähi'end der Niederschrift beständig
gewachsen ist, gehört das Werk zu den größten, die jemals in
unserer Wissenschaft erschienen sind ; ursprünglich nur zwei Bände
umfassend , ist es jetzt auf elf angeschwollen , die in sieben Ab-
teilungen gegliedert sind: 1) The magic Art (2 Bde. 1911); 2) Taboo
and the perils of the Soul; 3) The dying God (1911); 4) Adonis,
Attis, Osiris (2 Bde. 1911; unter demselben Titel war eine eben-
falls als dritte bezeichnete Auflage bereits 1907 in einem Band
erschienen); 5) Spirits of the Com and the wild (2 Bde. 1912);
6) The Scapegoat (1913); 7) Balder the Beautiful 1913). Trotz
des großen Umfanges seines Werkes gelangt der Vf. nicht dazu,
die Voraussetzungen, auf denen er fußt, zu prüfen, und wo aus
diesen Voraussetzungen verschiedene Schlüsse gezogen werden
können, wird er öfters weniger durch sachliche Erwägungen be-
stimmt als durch Zufälligkeiten , z. B. durch den Zusammenhang,
in dem er auf eine Frage geführt wurde. Nicht in der Aufstellung
und Begründung neuer Voraussetzungen noch in der richtigeren
Durchführung der alten liegt der Wert des Buches. Alle Haupt-
gedanken sind ihm von außen zugeführt: der Gedanke, daß auf
einer gewissen Stufe Vegetationsdämonen verehrt wurden , von
Mannhardt, dessen Theorie von dem Feuerzauber als einem sympathe-
tischen Sonnenzauber er jetzt freilich durch Westermarcks Ver-
Frazer. 7
mutung ersetzt, daß er ursprünglich eine Sühnungs- und Reinigungs-
jnaßregel war (VII 1, S. VII), die Anschauung, daß das Sakra-
ment älter sei als das Opfer, von Robertson Smith, dem er freilich
in der Erklärung des Sakraments als Totem nicht folgt (I 1, S. XXII).
Die meisten der allgemeinen Voraussetzungen des Vf.s sind die in der
anthropologischen Literatur zeitweilig herrschenden oder wenigstens
vorherrschenden, so glaubt er z. B. mit S. Rein ach (z. B. Cultes
mythes rel. III 101) u. a. , daß die Zauberei, die er als falsche
Naturerklärung auffaßt (I 1, 224), also auch wie Ed. Meyer aus
einer Irreleitung des Kausalitätstriebes erklärt, älter sei als die
Religion (dagegen haben nach J e v 0 n s , An Introduction to the
Study of Comparative Religion, New York 19Ö8, hervorgegangen
aus Vorlesungen für Missionare am theologischen Seminar zu Hart-
ford [vgl. Jevons' Aufsatz in Maretts Anthropol. and the Class.
93 ff.] beide überhaupt nichts mit einander zu tun, da der Zauberer
ursprünglich weder zu den Göttern bete noch sie zwinge, sondern
lediglich eine ihm vermeintlich innewohnende persönliche Macht
ausübe, und Foucart erklärt öfters, z. B. Compt. rend. AIBL
1912, 134 Magie und Religion für gleichzeitig). In der Frage nach
dem Verhältnis von Ritus und Mythos stellt sich Frazer auf die
Seite derer, die diesen für jünger halten und glauben, daß er be-
stimmt sei, jenen zu erklären (genauer sagt Reuterskiöld, Die
Entstehung der Speisesakramente, übers, von Sperber, Heidel-
berg 1912, S. 67, daß der Ritus erst dann mit einem Mythos in
Verbindung trete, wenn er unverständlich geworden sei ; Richard
M. Meyer, Arch. f. Rlw. 1910, 275, Internat. Monatsschr. 1914,
451 ff. bestreitet, daß grundsätzlich der Ritus vor den Mythos zu
setzen sei). — Das Königtum ist nach Frazer aus der Zauberei
hervorgegangen. Den Gedanken, daß sich die religiöse Entwicklung
der verschiedenen Völker übereinstimmend vollzogen habe , spricht
der erfahrene Kenner so vieler Religionen zwar nicht aus, er hebt
sogar hervor, daß die Elemente der Religion zu mannigfaltig und
zu verwickelt seien, um auf einfache Formeln gebracht zu werden.
Aber wenn er — allerdings mit vorsichtiger Zurückhaltung — V 2,
S. 35 f. für Ägypten drei aufeinanderfolgende Systeme erschließt,
eines, in welchem die Scheu vor wilden Tieren und Pflanzen über-
wog, ein zweites , in denen zahme Tiere , und ein drittes , in dem
die in den Kulturpflanzen angenommenen Vegetationsgötter verehrt
wurden, so hat diese Vermutung, die aus den Tatsachen selbst
nicht erschlossen werden kann , nur dann einen Sinn , wenn ein
dauerndes Verhältnis zwischen den Religions- und den allgemeinen
8 Frazer.
Kulturstufen angenommen wird ; und da der Vf. die jenen drei ver-
meintlichen Religionsepochen entsprechenden Kulturperioden des
Jagd-, Hirten- und Bauerulebens sich ofifonbar als allgemeine Ent-
wicklungsstadien denkt, so muß er trotz der ihm nicht unbekannten
Schwierigkeiten der Durchführung doch das Bestehen allgemeiner
Entwicklungsgesetze auch für die religiösen Vorstellungen mindestens
als wahrscheinlich annehmen.
Wie hier, so zeigt sich Fr. auch sonst unsicher und schwankend
sowohl hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen wie auch hin-
sichtlich der Stellung der Probleme und der Methode , die er bei
ihrer Lösung einzuschlagen hat. Wenn er Vorstellungsketten aus
Ideen bildet, die sich vereinzelt über die ganze Ei-de verstreut
finden , und dabei nicht prüft , wie und ob sie an die Stellen ver-
sprengt werden konnten, bei denen sie erhalten sind, so erklärt sich
dies wohl z. T. wenigstens aus den Schwierigkeiten und Wider-
sprüchen , in die ihn die Untersuchung geführt hätte. Er selbst
äußert sich darüber VII 1, S. XI, daß es ihm weniger darauf an-
komme, bestimmte Gedanken zu erweisen, die sich doch vermutlich,
wie dies noch bei allen bisherigen Systemen der Fall gewesen sei,
nach einiger Zeit als falsch herausstellen würden, als darauf, Pflöcke
zu finden, an denen er seine reichhaltigen Sammlungen aufhängen
könne. Das Werk hat sich immer mehr zu einem ungeheuren
Speicher für religionsgeschichtliche Parallelen erweitert. So finden
sich z. B. Sammlungen über ßegenzauber (I 1, 247 0".), Baumkultus
(I 2, 1 if.), Feuerreibung (I 2, 207 ff.), ewige Feuer (ebd. 253 ff.),
Zauber mit Haaren (II, 258 ff.), Kinderopfer (III, 160 ff), über die
Tötung oder Austreibung der Jahreszeiten oder des Todes (IV, 205 ff.),
die Bedeutung der Plejaden für den Kalender (V 2, 307 ff.), Geister-
austreibung (VI, 109 ff.), über das Verbot, unter gewissen Um-
ständen in die Sonne zu sehen (VII 1, 18 ff.), über den Ritus des
Kriechens durch ein Loch (VII 1, 283; VII 2, 168 ff.), über die
Wünschelrute (VII 2, 67 ff.), über Lebenszeichen (VII 2, 95 ff.),
über die Seele im Haar (VII 2, 158, 165), über Regenzauber mit
Hilfe donnerähnlicher Geräusche (ebd. 227 ff.). Vollständig sind
diese Sanunlungen , von denen einzelne sich fast zu Monographien
erweitem, natürlich nicht, aber an Reichhalt'gkeit lassen sich nur
die von Mannhardt vergleichen , dem der Vf. auch in der Auf-
fassung, namentlich im fünften Teil nahesteht. Freilich schöpft
Fr. nicht, wie Mannhardt fast immer, aus den ursprünglichen Quellen
selbst, meist bedient er sich abgeleiteter und nicht immer un-
verfälschter Kanäle oder Sammelbecken, und manches Üble hat er
Frazer. Karsten. 9
selbst aus Mißverständnis hinzugeian. Gerade auf dem Felde der
klassischen Altertumswissenschaft, das schon längst nicht mehr
im Mittelpunkt von Frazers Arbeitsgebiet liegt , finden sich zahl-
reiche Fehler, darunter auch solche, die obwohl längst widerlegt,
aus den früheren Auflagen herübergeschleppt werden. Dazu gehört
vor allem die Auffassung des Ritus von Aricia, die den Ausgangs-
und Schlußpunkt des ganzen Werkes bildet und diesem auch den
Namen gegeben hat (vgl. Berl. phil. Wochenschr. 1912 S. 745 ff. ;
1914 1556). Überhaupt steht in der Auslegung und Verwertung
der antiken Zeugnisse der Übersetzer und Erklärer des Tansanias
hinter dem Germanisten Mannhardt zurück; daß Frazers Samm-
lungen nicht bloß , wie die seines Vorgängers gewöhnlich , Europa
umfassen , sondern die ganze Erde, ist nur ein bedingter Vorzug,
weil die Vergleichung um so unsicherer wird , je mehr Zwischen-
glieder zwischen den verglichenen Vorstellungen liegen müssen.
Die im Ritual und im Mythos niedergelegten Vorstellungen sind viel-
gestaltig, und ihre Wandlungsfähigkeit schafft immer neue Ähnlich-
keiten , daher gestattet die ungeheure Fülle der jetzt gesammelten
Vorstellungen, durch Zusammenschließen des Ähnlichen ganz ver-
schiedenartige Ideenketten zu bilden, die wegen ihrer Lückenlosig-
keit unzerreißbar scheinen , in Wahrheit aber schon deshalb nicht
fest zusammenhängen können, weil sie, obwohl einander ausschließend,,
doch mit gleichem Recht zusammengefügt werden können. Mit
Recht bezeichnet es Gräbner, Meth. d. Ethnol. S. 68 als zweifel-
haft, ob die von Frazer verglichenen Erscheinungen überhaupt 'aus
gleichen kulturellen Grundanschauungen heraus verstanden werden
dürfen'.
Von ähnlichen Voraussetzungen wie Frazer geht Rafael
Karsten in den Studies in primitive Greek Religion (Oversight af
Finske Vetenskaps Societetens Förhandlinger XLIX, 1906, Helsing-
fors 1907) aus, der nicht allein (S. 50) bestreitet, daß die Völker
ihre religiösen Vorstellungen wie Handelswaren austauschen und es
als eine fundamentale Wahrheit der Anthropologie bezeichnet, daß
die Gleichföx'migkeit der religiösen Ideen aus der Gleichförmigkeit
der Gesetze entspringe, die das menschliche Denken regeln, sondern
auch geradezu behauptet, daß nie andere Vorstellungen entstehen
konnten, als solche, die sich noch heute finden, und daß lediglich
die psychologische, d. h. die anthropologische, nicht die philologisch»
Betrachtungsweise zur Erkenntnis der griechischen Religions-
geschichte führen könne. Im einzelnen wandelt Karsten z. T.
eigenartige Wege. Er will S. 48 ff. ausführlich die im Handbuch
^0 Anthropologische Richtung.
der griechischen Mythologie nnd Religionsgeschichte gegebenen
Erklärungen für die heiligen Tiere, Pflanzen und Steine bekämpfen,
aber in Wahrheit bestreitet er Anschauungen , die gar nicht auf-
gestellt sind, z. B. die, daß Steine deshalb, weil das Himmelsfeuer
auf sie gefallen sein sollte, oder Tiere, weil sie als vom Himmels-
feuer erfüllt galten , für heilig und wundertätig gehalten wurden.
In "Wahrheit ist lediglich auf eine kleine Anzahl bezeugter, nicht
erschlossener Vorstellungen hingewiesen , aus denen sich ergibt,
daß zwischen den so verschiedenartigen Gedankenkreisen, die sich
an die Entflammung des Opferfeuers und an die vermeintlichen
Wunderwirkungen mancher Steine , Pflanzen und Tiere knüpften,
in einzelnen Punkten früh Ausgleichungen eingetreten sind. Diese
Schlußfolgerung wird keinesfalls durch die Behauptung erschüttert,
daß die Belebung und Vergötterung von Naturobjekten sich auch bei
Völkern finden, die keine Vorstellung von Feuerphänomenen haben.
Durch die Vergleichung der religiösen Vorstellungen wilder
Völker war die antike Religionsgeschichte zunächst dahin gedrängt
worden, den von Tylor zuerst gründlich behandelten Animismua
als Grundlage auch der griechischen und römischen Vorstellungen
anzusehen. Auch Herbert Spencer glaubte an einen uralten, fast
allen Völkern gemeinsamen Ahnen- und Seelenkult, den er frei-
lich etwas anders auffaßte als Tylor. In Deutschland hat ßohde
diesen Auffassungen , und zwar bisweilen mit ausdrücklicher Be-
rufung auf die Vorstellungen von Naturvölkern , Zugeständnisse
gemacht, nicht immer mit Recht, obwohl tatsächlich der Totenkult
und der Seelenglaube bei den Völkern des Altertums wichtig ge-
wesen sein müssen. Als einziger Ausgangspunkt und als wichtigstes
Element aller Religion ist der Animismus jetzt fast allseitig auf-
gegeben , sogar für die Religionen der Wilden (vgl. die Kritik bei
Durkheim, Formes elem. 67 — 100); er wurde in dieser Eigen-
schaft zunächst ersetzt durch den Animatismus oder Praeanimismus
Maretts, d. h. den Glauben an eine übernatürliche allgemeine Be-
seelung der Natur. Diesen Gedanken verbindet P.W. Schmidt,
der Herausgeber der hauptsächlich von katholischen Missionaren
mit redlichem, aber nicht immer erfolgreichem Streben nach wissen-
schaftlicher Freiheit geschriebenen Zeitschrift Anthropos, mit der
Ansicht von A. Lang, daß die Gottesidee, die einfachste ursprüng-
liche Vorstellung von der persönlichen Ursache, etwas ganz Eigen-
artiges, aber Gegebenes und deshalb der Erklärung nicht Bedürftiges
sei. Schmidt, der selbst (Anthrop. III, 125 ff.; 336 ff.» 559 ff.;
801 ff. ; 1081 ff. ; IV, 207 ff. ; 505 ff' ; 1075 ff. ; V, 231 ff.) eine sehr
Anthropologische Richtung. H
ausführliche Übersicht über die Theorien von der P^ntstehung der
Religion gegeben hatte, hält (der Ursprung der Gottesidee, I Münster
1912) einen praeanimistischen Monotheismus für ursprünglich. Die
Schwäche der praeanimistischen Hypothese liegt darin, daß die allen
Denk- und Anschauungsformen widersprechende Vorstellung des
Übernatürlichen doch, wenn überhaupt das Problem zu Ende ge-
dacht wird , als in der menschlichen Natur gegeben betrachtet
werden muß, das Problem also nicht gelöst, sondern nur ver-
schoben wird. In Wahrheit ist das Problem unter der Voraus-
setzung des Praeanimismus sogar unlöslich. Denn es begreift sich
zwar, daß die spielende Einbildungskraft Dinge in Beziehung setzt,
zwischen denen ein natürlicher Zusammenhang nicht bestehen kann,
daß mit der Zeit diese im geistigen Spiel gewonnenen Beziehungen
ernst genommen und festgehalten werden, auch nachdem die Un-
möglichkeit eines natürlichen Zusammenhanges zum Bewußtsein ge-
kommen ist, endlich, daß der große Vorteil, den der vermeintliche
Besitz einer übernatürlichen Macht dem einzelnen und der Gesell-
schaft bringt, die Vorstellung des Übernatürlichen überaus stark
werden läßt. Aber immer handelt es sich dann um einzelne Objekte,
die diese Macht verleihen, oder um einzelne Menschen, die sie be-
sitzen sollen. Sowie die Vorstellung verallgemeinert wird, sinkt
das Übernatürliche in die Sphäre des Natürlichen zurück, oder es
wird eine zweite höhere Natürlichkeit angenommen. Nach dieser
Vorstellung einer Welt, die zwar von den Gesetzen der natürlichen
Welt entbunden, aber in sich ebenso gesetzmäßig und folgerichtig
ist wie diese, streben die höheren Religionen hin; aber sie ist Ziel,
nicht Ausgangspunkt der religiösen Entwicklung. Auch die Be-
trachtung der antiken Religionen lehrt, daß das Übernatürliche
ursprünglich an das Einzelwesen gebunden ist. Deshalb wird die
praeanimistische Hypothese in neuster Zeit wenigstens für die
griechisch-römische Religion gewöhnlich aufgegeben. Die Richtung,
in welche die Erforscher dieser jetzt durch die Vergleichung der
Kulte und Mythen von Naturvölkern geleitet werden, läßt sich durch
die Einführung der Begriffe Tabu, Orenda, Mana und Totem kenn-
zeichnen. Die drei ersten von ihnen sind nahe verwandt und
schwer zu trennen ; sie bezeichnen das Übernatürliche oder Dämo-
nische, jedoch, wie es scheint, von verschiedenen Seiten aus. So-
weit eine Unterscheidung im Gebrauch nicht bloß der Anthropologen,
sondern der wilden Völker selbst möglich ist, bedeutet das der
Sprache eines Südseevolkes entnommene Tabu das Dämonische nach
seiner Wirkung auf den mit ihm in Berührung kommenden Menschen,
12 Anthropologische Richtung.
die gut oder übel sein kann-, das Wort schließt also die Begriffe
Heilig, Gefährlich und Unrein ein. Orenda, das der Irokesensprache
angehört , bezeichnet dagegen das Zauberhafte als Eigenschaft
eines Wesens, einer Sache oder einer Erscheinung, endlich Mana,
das wiederum melanesisch ist , scheint damit ungefähr gleich-
bedeutend, jedoch mit der kleinen Besonderheit, daß die über-
natürliche Eigenschaft die Steigerung der dem Träger eigentlich
zukommenden natürlichen ist. Alle diese drei Vorstellungen und
auch die von Jane Harrison Themis S. 68 ff. zur Erklärung
griechischer Kulte herangezogene des Wa-kon'-da, über die Alice
Fletcher nach dreißigjährigem Aufenthalt bei den Omaha-Iudianern
berichtet und bei der — soweit die wenig klaren Auseinander-
setzungen in der „Themis" ein Urteil gestatten — die übernatür-
liche Ki'aft durch einen oder in einem ekstatischen Zustand er-
worben zu werden scheint, hängen also eng mit der vom Über-
natürlichen ziisammen , sie müssen daher oder können wenigstens
überall da vorhanden sein, wo Zauberei oder Kultus geübt wird.
In der griechischen und römischen Religion sind sie festgestellt
worden, lange bevor versucht wurde, diese aus den Vorstellungen
wilder Völker zu erklären. Insofern ist der Ersatz des von den
Griechen selbst geprägten Begriffes des Dämonischen durch die
genannten indianischen oder melanesischen zwar überflüssig, aber
an sich nicht geradezu schädlich; das wird er erst, sobald an-
genommen wird , daß damit irgend etwas gewonnen sei. Jene
Worte bezeichnen doch nur eine begriffliche Stufe des Glaubens
an das Übernatürliche , nämlich die , wo die ethischen und die
Gottesvorstellungen fehlen oder wenigstens fehlen können; wa
diese durch Entartung wieder beseitigt sind oder weggedacht
werden können , bleiben daher auch in der griechischen und
römischen Religion Vorstellungen übrig, die den durch jene
amerikanischen und melanesischen Worte bezeichneten ähnlich sein
müssen. Scheidet man z. B. aus den Abstinenzgeboten oder aus
manchen Reinheitsvorschriften alle Sittlichkeit und jede Gottes-
vorstellung aus, so ist der Rest freilich Tabu, auf demselben Wege
lassen sich manche Mysterien auf Wa-kon'-da zurückführen. Aber
daß dieser begriffliche Prozeß sich mit dem geschichtlichen Werde-
gang decke oder gar eine notwendige , sich immer wiederholende
Entwicklung darstelle , ist eine unerwiesene , in einzelnen Fällen
erweislich unrichtige Voraussetzung. Mit Recht weist G. Prichard,
Rev. 6t. anc. XIV 1912 443 die Herleitung antiker Religions-
vorschriften aus dem Tabugedanken zurück. Manche Enthaltsam-
Anthropologische Richtung. 13
keits- und Reinheitsvorschriften, auch mancher ekstatisch mystische
Kult ist auf anderem Wege entstanden, als die zum Vergleiche
herangezogenen Vorstellungen der Wilden vermuten lassen ; und
schließlich sind diese seihst wahrscheinlich erst das Ergebnis einer
längeren und nicht immer gleichartigen Umbildung. — Noch ge-
fährlicher als die genannten Begriffe ist der von John Long 1791
aus dem Aberglauben der Indianer in die europäische Literatur
eingeführte des Totems, aiif den besonders Tylor hingewiesen und
den Robertson Smith für die Erklärung altsemitischer Opfer-
gebräuche herangezogen hatte. Diese Erscheinung gehört zu den
am meisten umstrittenen der gesamten Religionsgeschichte ; nicht
einmal darüber herrscht Übereinstimmung , was unter diesem Be-
griff zu verstehen sei. Der ursprünglich indianische Name wird
jetzt überall angewendet, wo eine Sippe mit einem Tier oder einer
Pflanze in einer, auf natürlichem Wege nicht zu erklärenden Be-
ziehung zu stehen scheint. Dieser Glaube geht unmittelbar aus
dem bei Kindern und jugendlichen Völkern besonders stark ent-
wickelten Spieltrieb , d. h. der für die Sprachbildung und das
Sprechenlemen so wichtigen Neigung hervor, disparate Dinge in
Verbindung zu setzen; indem das Spiel weiter fortgesetzt wird,
verdunkelt sich allmählich das Bewußtsein, daß die Zusammen-
stellung nicht ernst gemeint war , zu dem Gefühl , daß ein natür-
licher Zusammenhang zwischen den verglichenen Dingen nicht be-
stehen könne, und weil oder wenigstens insofern als dieses Gefühl
der Übernatürlichkeit des Zusammenhangs vorhanden ist, muß der
Totemglaube, obwohl er nur selten zu einer Verehrung des Totems
geführt hat (Loisy, Rev. hist. et litt. rel. n. s. II, 1911, 413), als
religiös bezeichnet werden. So wurzelt der „Totemismus", d. h. die
Annahme der Beziehung eines Naturv/esens oder einer Natur-
erscheinung zu einer Sippe oder einem einzelnen in letzter Linie
in der Tat in einer allgemein menschlichen Anlage, entstanden aber
ist er auf sehr verschiedene Weise, z. B. aus einfachem Fetischis-
mus, d. h. aus dem Glauben, daß einem Tier, einer Pflanze oder
dergleichen eine übernatürliche Macht innewohne, indem angenommen
wird, daß diese vermeintliche Macht sich besonders bei einer be-
stimmten Menschenklassfe äußere ; oder aus Wappenbildern , die
wiederum sehr verschiedenen Ursprungs, nämlich entweder Ab-
zeichen des Stammes selbst oder aber Attribute seines Gottes,
z. B. wegen dessen vorausgesetzter Wirksamkeit oder wegen des
ähnlich klingenden Namens sein können. Wer so entstandene
Beziehungen zwischen dem Menschen oder seinen Göttern und den
1 4; Anthropologische Richtung.
Tieren nur für scheinbai-eu Totemismus hält, muß zugeben, daß
die Grenze zwischen diesem und dem behaupteten wirklichen Tote-
mismus nicht zu ziehen ist, wenn man sich nicht entschließt, den
willkürlich erweiterten Begriff ebenso willkürlich wieder einzuengen
oder auf sein ursprüngliches Geltungsgebiet, den Indianerglauben
zu beschränken. Goldenweiser, Totemism, an analytic Study,
Journ, of Amer. Folkl. 1911, 179 ff. bezweifelt sogar bei dem
Totemismus der amerikanischen Wilden irgendeinen gemeinsamen
Kern, an dem das übrige sich ansetzen konnte. Noch viel größer
wird die Mannigfaltigkeit des Wesens und der Entstehungsmöglich-
keit, sobald auch bei andern Völkern die Spuren des „Totemismus"
untersucht wei-den. Der Totemglaube erscheint hier verbunden mit
allen möglichen Vorstellungen, Gebräuchen und Einrichtungen, z. B.
dem Glauben, daß der einzelne oder die Sippe von dem Totem abstamme,
dem Gebote das Totem zu schonen, dem Kult der Mutter Erde, der
sakramentalen Verspeisung des Totem, dem Matriarchat, der Endo-
oder Exogamie, die beide in Verbindung mit dem Totemismus auftreten
können usw. Daher geben die Anthropologen je nach dem Gebiet, auf
das sie ihre Aufmerksamkeit vorzüglich richten, dem Begriffe einen ver-
schiedenen Inhalt; und weder Prazers Buch Totemism and Exogamy,
das zuerst 1887 als kleine Abhandlung erschienen war, 1910 aber,
nachdem der Verfasser mehrmals seine Ansichten stark geändert hat, zu
einem vierbändigen Werk angeschwollen ist, noch die ausführliche
Besprechung der von Frazer behandelten Probleme durch Thomas,
Westermarck, A. Lang, A. v. Gennep, Hartland und
Gomme, die der Herausgeber des Folklore (XXI 1910, XXII 1911)
veranstaltete, noch die von W, Schmidt, Anthropos IX 1914,
287 ff. , 622 ff. eröffnete Diskussion, an der sich Swanton,
W. Wundt, Rivers, Reuterskiöld, Gräbner, Golden-
weiser, Schmidt und Thurnwald beteiligten, noch A. v. Genneps
Aufsatz : Publications nouvelles sur la theorie du totemisme, Eev.
hist. rel. LXV, 1912^, 340 ff. noch Ankerman n s Vortrag in der
Berliner Religionswissenschaftlichen Vereinigung 12. 6. 1917 (Neue
Jahrbb. 1917; vgl. Zs. f. Ethnolog. XLVII, J915, 114 ff) konnten
eine Klarheit herbeiführen, weil unter dem Namen verschiedene Er-
scheinungen zusammengefaßt werden, die nur in einzelnen Punkten
tibereinstimmen. So unbestimmt danach der Begriff ist, läßt sich
der Totemismus doch nicht als allgemein menschliche Erscheinung,
als eine notwendige Entwicklungsstufe bezeichnen; selbst W. Wundt,
Völkerpsych. II 2, S. 238, der ihn dafür hält, gibt zu, daß sich
von ihm in Afrika, Nordsibirien und in alter Zeit bei Babyloniern,
Anthropologische Richtung. 15
Arabern , Israeliten , Ägyptern , Griechen , Römern und Germanen
nur vereinzelte und dunkele Spuren finden , von denen am besten
abgesehen werde. Mit Hilfe dieses unklaren Begriffes das Wesen
der antiken Religion ergründen zu wollen, ist ein wenig hoffnungs-
volles Unternehmen, das aber noch vielfach gewagt wird. So ver-
sucht Günther Roeder (Arch. f. Religionsw. XV, 1912, 75) im
Anschluß an Pietschmann den ägyptischen Tierdienst, aus dem
noch jetzt in Afrika weitverbreiteten Totemismus herzuleiten, ob-
wohl, wie Wiedemann, ebd. XVII, 1914, 211 hervorhebt, dessen
Haiptkeunzeichen, der Glaube an die Abstammung von dem heiligen
Tier, in Ägypten nicht nachweisbar ist und zwei mit dem Tote-
mismus meist verbundene Besckränkungen , nämlich Speiseverbote
und geschlechtliche Tabus (das Gebot oder Verbot der Verwandten-
ehe) im alten Ägypten zwar bestanden , aber nicht mit dem Tier-
kult begründet wurden. Für vor- und urgriechischen Totemismus
treten außer Frazer u. a. ein S. Reinach, der totemistische Reste
z. B. in den Sagen von Hippolytos, Pentheus, Orpheus, Aktaion und
Phaethon findet (s. dagegen H. Hubert und M. Mauß , Rev. bist,
rel. LVIII, 1908^, 173 ff., der höchstens paraphernalia totemiques
de religions non totemiques zugesteht), und A. J. Reiuach, der
in der Rev. et. d' ethn. et de soc. I, 1908, 296 schon in der alt-
kretischen Kultur Spuren des Totemismus erkennen will (s. dagegen
Du s Saud, Civilisation prehellen 253 ff.) und (Rev. bist. rel. LX,
1909^, 345 f.) z. B. die -/.vrij der Athena '/rwn'a, das Löwenfell des
Herakles , die Aigis , die Sage von der Säugung des Zeus durch
eine Kuh oder eine Bärin in totemistischem Sinne deutet. Gelegent-
lich haben auch zahlreiche andere Forscher versteinerte totemistische
Vorstellungen in griechischen Mythen angenommen, z. B. Perdrizet^
Ann. de l'Est Uli, 1910, 39 f., der die Bassai oder Bassarai die
„Füchse'^, die als Propheten an das Dionysosheiligtum auf dem
Pangaion berufen wurden, für eine totemistische Sippe hält, Svoronos^
Journ. intern, d'arch. num. XVI, 1914, 144 ff., der aus gewissen
Schifföbezeichnungen wie (fdor^loi (146) altgriechischen Totemismus
erschließt; Costanzi, Rendicont. RAL Vxxii, 1913, 34, der dea
SiTaloi als Totem die Kuh, den Hirpinern den Wolf, den Picentern
den Specht zuweist; Pais, Stör. crit. di Roma I 338, der das dem
Ver sacrum vorausziehende Tier als Totem auffaßt; Jane Harrison,.
Themis 128 meint sogar, nur aus Totemismus könne die griechische
Religion verstanden werden, wobei sie freilich nicht an ein ent-
wickeltes totemistisches System , sondern an die , wie sie glaubt^
allen primitiven Völkern gemeinsame totemistische Anschauungs-
lt> Anthropologische Richtung. Naturalistische Mythendeutung.
■weise denkt. Von andern Forschern werden derartige Deutungen
zurückgewiesen, außer den bereits genannten z. B. auch von
Lagrange, Rev. bibl. n. s. VII, 1910, 129 ff.; Farnell an zahl-
reichen Stellen der Cults of Greek States, z. B. III 50 ff. (hin-
sichtlich Demeter Erinys) ; III 61 ff. (betreffs der Demeter Mt)Miva)\
IV 22 (hinsichtlich des Poseidon Hippios); von Toutain, Trans-
act. 3 Intern. Congr. Hist. Eel. 1908, II 121 ff. (vgl. Rev. hist.
rel. LVII, 1908», 333 ff. = tt de niythol. et d'hist. des relig.
antiqn., Paris 1909, 56 ff.) , der sich gegen ein älteres Werk von
Ch. Renel, Cultes militaires de Rome, Les enseignes, Par. 1903
wendet (s. gegen Toutain v. Gennep, Rev. hist. rel. LVIII,
1908*, 34 ff., 299 ff.; Hebert, Rev. bist. litt. rel. n. s. I, 1910,
66); A. della Seta, der in seinem Werke Religione e Arte figur.
?8 ff. die ursprüngliche Tiergestalt griechischer Götter bestreitet,
yXav/MTtig und ßoc'jftig als „eulenäugig", und „rundäugig'' nicht als
„in Eulen- oder Kuhgestalt" übersetzt; Deonna, Rev. d'ethnogr.
et de SOG. III, 1913, 22 ff., der darauf hinweist, daß die Mischgestalten
der ältesten griechischen (und auch der orientalischen) Kunst oft nichts
mitTotemismus zu tun haben, sondern lediglich aus der primitiven Un-
fähigkeit, die Menschengestalt rein darzustellen, erklärt werden müssen.
c) Naturalistische Mythendeutung.
Die einst namentlich in den Kreisen der vergleichenden Mythologie
herrschende Neigung, die Mythen aus Gleichnissen für natürliche, be-
sonders himmlische Erscheinungen entstanden zu denken, nimmt
ebenso wie die Zahl der Anhänger jener mythologischen Richtung
noch immer ab ; die Gründe , die gegen diese Erklärung sprechen,
faßt Durkheim, Les formes element. de la pensee et de la vie
relig. 1912, S. 100 — 138 zusammen, und R. Sciava protestiert
in mehreren Aufsätzen , die in Atene e Roma erschienen sind, be-
sonders in der Untersuchung über BeUerophontes (ebd. XVI. 1913,
226) gegen die naturalistische Mythendeutung: er siebt in den von
ihm behandelten Sagen das freie Spiel der Einbildungskraft. Sie
sind ihm Novellen. Dann ergibt sich als die eigentliche Auf-
gabe der Mythenforschung nicht die Mythendeutung, sondern die
Feststellung der Bedingungen , unter welchen , der Anlässe , aus
denen, der Seelenverfassung, in der die Phantasie jene Mythen
schuf und ihnen nach und nach die überlieferte Form gab. Er-
wägungen solcher Art sind zwar nicht widerlegt worden, sie haben
aber andrerseits die bequeme und als geistiges Spiel lockende Mythen-
deutung, die schon im Altertum geübt ward und deren Berechtigung
Naturalistische Mythendeutung. 17
durch die Veden neu erwiesen zu sein schien, nicht so überwunden,
daß nicht auch in der Berichtsperiode versucht worden wäre, zahl-
reiche griechische Mythen als allegorische Beschreibung natürlicher,
besonders himmlischer Vorgänge zu deuten. Ja, wie die M^'then-
vergleichung , so tritt auch die Neigung zur allegox'ischen Mythen-
auslegung in neuerer Zeit sogar wieder stärker hervor. E. Kuhn
leitet die Herausgabe der hinterlassenen mytliologischen Abhand-
lungen seines Vaters (Adalbert Kuhn, Mythologische Studien,
Gütersloh 1912) mit der Bemerkung ein, daß die schon 1886 ge-
plante, aber wegen der anscheinend über die vergleichende Mytho-
logie hereingebrochenen Katastrophe unterbliebene Veröffentlichung
zum 100. Geburtstag des Verfassers nachgeholt werde, „da sich
eine unbefangenere Beurteilung Bahn zu brechen beginne". Von
den in dem Baude vereinigten Abhandlungen kommt für die grie-
chische Mythologie der Schluß der zweiten Abhandlung über die
Zwerge als Lichtwesen (82 if.) und das „Fragment über die Be-
deutung der B-iuder in der indogermanischen Mythologie" (bes. 111
bis 121, 164 ff., 177 ff.) in Betracht. In jenem soll gezeigt werden,
daß das Schiff Argo den flimmernden Nachthimmel, die Argonauten
die als Sterne gedachten Seelen der Abgeschiedenen und lason
vielleicht den Mond bedeuteten ; das „Fragment" behandelt von
griechischen Mythen zunächst die Wegführung der Rinder des
Geryones durch Herakles, des Apollon durch Hermes, die mit dem
Rinderraub der Pani verglichen werden. Hinsichtlich des Geryonea-
mythos wird (113) die Vermutung geäußert, daß Erytheia vielleicht
ursprünglich im Osten lag; im Mythos von Apollon ist es nach
K. offenbar, daß Hermes die Rinder, d. h. den Lichtglanz, in der
Nacht, Apollon am Tage hütete (117); auch die Schafherden des
., Sonnenriesen" Polyphemos, bei deren Ein- und Austrieb ein Feuer
entzündet wird, beziehen sich auf die lichten Wolken des Abend-
und Morgenhimmels; der goldene Widder des Atreus und des
Phrixos sind das Seitenstück zum Sonnenstier oder zur Sonnen-
kuh (119). Die Haut des getöteten Stieres, in die sich Argos
(= ^^Qyiqg) hüllt, ist der Himmel der funkelnden Sternennacht (165),
\4QyE(o)i(f6rT)]g heißt Hennes als Vernichter der Sternennacht (166).
In der Amaltheiasage bedeutet das Hörn den Sonnenstrahl; die
Verbindung des erwärmenden Sonnenstrahles mit dem Regen der,
Wolken (179), den als Kühen oder Stieren am Himmel wandelnden
Wassern (180), führte zur Vorstellung von Wunschtieren, die un-
aufhörlich neue Gaben schaffen und zugleich den Sonnenstrahl als
alles überwältigende Waffe gegen die Dämonen führten.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementband). 2
13 Naturalistische ^[j'thendeiitung.
"NVie in diesen Abbandlmifien tritt auch in den meisten neueren
Untersuchungen , die durch Vergleichung den vormuteten natur-
sjnnbolischen Sinn griechischer Mythen feststellen wollen, die einst
für derartige Arbeiten so bedeutungsvolle Etymologie zurück. Unter
den nicht zahh-eichen Ausnahmen sind am eigenartigsten drei
Königsberger G3'mnasialprogramme von A. Döhring, Etymologische
Beiträge zur griechischen und deutschen ]\l3'thologie , 1907 (I);
Etymologische Skizzen, 1912 (II) ; Griechische Heroen und Abend-
geister, 1913 (III). Die Sterne spielen in dieser Mythendeutung
eine M'ichtige Rolle : Niobe z. B. soll den stets sich erneuernden
Trotz der Sterngottheit bezeichnen (I 23), die mit i,Arxi/ gebildeten
Namen sind nach D. als Bezeichnungen von Lichtgottheiten der
Nacht, z. T. von Abendsterngottheiten (I 15) zu fassen. Hera
(= Sera) „Die Späte" ist dem lichten Tageshimmel entgegengesetzt.
Daneben kommen nach D. in der Mythologie Sonne und Mond in
Betracht, die seiner Ansicht nach von den Griechen wie von den
Germanen sowohl als männlich wie als weiblich gedacht werden
konnten. In den „Skizzen" (II) betrachtet er einige mythische
Spinnerinnen, z. B. Klotho, Atropos, Frau Holle, die weißgraue
Berchtha und die ihr verwandten Phorkiden, die „Winderin"
Helene u. a. als die Mondfrau, die an den wie lange Fäden sich
hinziehenden, wie Faserbüschel erscheinenden Cirrocumuluswolken
arbeitet. Es folgen zahlreiche einzelne Etymologien, die sich großen-
teils auf mythische Namen beziehen ').
Gelegentliche Natiirs3'mbolik findet sich in zahlreichen Unter-
suchungen und zwar auch bei solchen Forschern , die sonst auf
anderem Standpunkt stehen wie Frazer (o. S. Off.), der z. B. die
Mythen von Britomartis und Europa mit Mitteln der Deutung, wie
sie M. Müller hätte anwenden können, auf den Mond bezieht
(Dying God = Golden Boiigh III 73). — Luigi Colangelo
wandelt in dem Aufsatz über das Orakel von Dodona {luv. dt
filol. 1906. 491 ff.) ebenfalls in den Bahnen der älteren Mythen-
vergleichung : Zeus entspricht nach ihm dem Varuna, Dione der
Prthivi mütar.
Einen allgemeinen Sonnenkult folgert für die Urzeit der Mensch-
heit J. Dechelette, Le culte du Soleil aux temps historiques,
Paris 1909 namentlich aus bildlichen Darstellungen; s. dagegen
A. v. Gennep, Rev. d'ethnogr. et de soc. I, 1910, 186 f. —
') In in werden mehrere Heroen und Heroinen als alte Mondgott-
heiten vermutet, z. B. Phaethon (11 ff.), Hilaeira, Phoibe, Ixion (28 ff.),
Aflklepios (-52), Orpheus (53).
Gesellschaft für vergleichende Mythenforschung. l<j
Menrad, Der Urmythos der Odyssee und seine dichterische Er-
neuerung, Des Sonnengottes Erdenfahrt, Mtlnchen-Lindau 1910, will
Odysseus (von Iva. , lux abgeleitet) als Sonnengott , Penelope als
■lie alles webende Erde, Kirke als Mond und Kalypso als die den
Sonnengott umhüllende Nacht erweisen.
Eine ausführliche Besprechung erfordern die Untersuchungen
'ler Forscher, die sich 1907 zur „Gesellschaft für vergleichende
Mythenforschung" in Berlin zusammengetan haben und in Leipzig
ein in zwanglosen Heften erscheinendes Organ, „Die mythologische
Bibliothek", herausgeben. Bisher liegen dem Berichterstatter vor:
I E. Siecke, Drachenkämpfe, Untersuchungen zur indogermanischen
Sagenkunde. 1907. 2) Ernst Böklen, Adam und Qain im Sinn
1er vergleichenden Mythenkunde. 3) Leßmann, Aufgaben und
Ziele der vergleichenden Mythenforschung. 1908. — II 1) Siecke,
Hermes der Mondgott, Studien zur Aufhellung der Gestalt dieses
Gottes. 1908; Nachträge. 1909. 2) G. Hüsing, Die Iranische
Überlieferung und das arische System. 1909. — III 1) Wolfg.
Schultz, Eätsel aus dem hellenischen Kulturkreis : I Die Rätsel-
überlieferung. 1009. 2) Böklen, Schneewittchenstudien I: 75 Vari-
anten im engeren Sinn. 1910. — IV 1) Ehrenreich, Die all-
gemeine Mythologie und ihre ethnologischen Grundlagen. 2) G. H ü -
sing, Krsaaspa im SchJangenleibe und andere Nachträge zur Ira-
nischen Überlieferung. 1911. — V 1) W. Schultz, Rätsel aus dem
hellenischen Kulturkreis : II Erläuterungen zur Rätselüberlieferung.
1912. 2) Böklen, Die Unglückszahl Dreizehn und ihre mythische
Bedeutung. 1913. 3) G. Hüsing, Beiträge zur Rostahmsage.
1913. — VI 1) Pohorilles, Das Popol Wuh, die mythische Ge-
schichte des Kice Volkes von Guatemala nach dem Originaltext
übersetzt und bearbeitet. 1913. 2) W. Schultz, Einleitung in
das Popol Wuh. 1913. 3) E. Siecke, Der Vegetationsgott. 19U. —
VII 1) E. Siecke, Püshan , Studien zur Idee des Hirtengottes
im Anschluß an die Studien über Hermes den Mondgott. 1914.
2) Böklen, Schneewittchenstudien II. 1915. — Schon im Pro-
gramm -ward eine ziemlich eng umschriebene Grenze für Ziel und
Methode der in der Gesellschaft zu treibenden Forschung aufo-estellt.
Es wird der Grundsatz vertreten, „daß die Urheber mythischer Er-
' Zählungen bestimmten Vorstellungen Ausdruck verliehen haben, die
in augenfälliger Weise in allen Mythologien wiederkehren. Diese
Vorstellungen aufzufinden ist die Aufgabe der vergleichenden Mythen-
forschung". Da nur solche Vorstellungen aufgefunden werden
können , die von Haus aus verborgen gewesen oder nachträglich
2*
20 Gesellschaft für vergleichende Mythenforschung.
verloren gegangen sind, wird damit vorausgesetzt, daß die Mythen
etwas anderes bedeuten, als sie zu sagen scheinen. In der Tat
werden in den Abhandlungen der Gesellschaft, soweit sie nicht
bloß .Stoffsammlungen bieten, die Mythen als Allegorien, und zwar
wie in der Schule M. Müllers als Allegorien auf Naturerscheinungen
gefaßt. „Die Personifikation der Naturerscheinungen und Vorgänge"
ist nach Ehrenreich (IV 1. 43) „als Hauptmoment des mythischen
Denkens erkannt". ..als gemeinsame Urform des Mythos im weitesten
Sinn" ist ..das sog. natursymbolische Märchen gegeben." Aus-
führlicher spricht sich in diesem Sinn Leßmann in dem Aufsatz
I 3 31 u. ö. aus, der auch den Namen Mythos auf solche Mythen
beschränkt, die das Schicksal der Himmelskörper behandeln (ebd. 33).
Dieser Aufsatz ist als ein erweitertes Programm der Gesellschaft
gedacht, das sie freilich nicht binden, sondern zunächst nur dem
Zwecke dienen soll, daß alle gegenwärtigen und künftigen Mitglieder
und übei'haupt alle, die sich für mythologische Fragen interessieren,
mit den darin ausgesprochenen Grundsätzen abrechnen. Erreicht
soll dies Ziel durch Vergleichung wei-den (ebd. S. 11); doch be-
steht diese Vergleichung in den bisher erschienenen Aufsätzen meist
einfach darin, daß eine große Anzahl verschiedener Mythen auf
dieselbe Naturerscheinung bezogen wird. Wer nicht von vorn-
herein von der Richtigkeit der allegorischen Auslegung überzeugt
ist, kann zweifeln, ob solche Fälle sich gegenseitig stützen können,
ob ihre große Zahl für und nicht vielmehr gegen eine Methode
spricht, die sich so leicht auf alle Mythen mit gleichem Recht an-
wenden läßt. Von den Heroen behauptet Siecke I 1, S. 62 grund-
sätzlich zwar nur. daß sie, soweit ihr Kult sich über ein weites
Gebiet erstreckte , von ihrer ehemaligen Höhe herabgesunkene
Götter seien, aber in der Anwendung wird diese Schranke nicht
innegehalten. In der Tat sind die Anforderungen , die an den
Nachweis der Beziehung auf eine Naturerscheinung gestellt werden,
so gering, daß nicht nui' alle Mythen aller Völker, sondern selbst
viele Begebenheiten des wirklichen Lebens ebenso gut in dem-
selben Sinn gedeutet werden könnten. Die Motivierung wird ganz
bei Seite gelassen, da sie „überall erst nachträglich hineingetragen
ist" (Siecke I 1, S. 57); damit die Mythen sich den Deutungen
fügen, werden sie sehr frei umgemodelt, was z. B. damit gerecht-
fertigt wird, daß durch die ümkehrung des Geschlechtsverhältnisses
von Sonne und Mond „der Sinn vieler Mythen arg ins Schwanken
geraten" sei (Siecke I 1, 66). Damit wird die Geschichte des
Mythos nach dessen vorausgesetztem Wesen konstruiert: das ist
Gesellschaft für vergleichende Mythenforschung. 21
etwas anderes , als wenn der Philologe , den Spuren der Über-
Überlieferung folgend, die älteste erreichbare Form eines Mythos
festzustellen versucht. Was die vergleichbaren Mythen anbetrifft,
so sucht Leßuiann diese, wie die vergleichenden Mythologen der
älteren Schule, nur bei den indogermanischen Völkern: „bisher,"
meint er (S. 2), „fehlt der Nachweis, daß es in der alten Welt
andere als arische M^^then gegeben hat'' : ein Satz , der freilich
seltsam in dem Organ einer Gesellschaft , zu deren Begründern
H. Winckler gehörte, und in einem Bande anmutet, in dem un-
mittelbar vorher Böklen Adam, „den ßoten" als Mondgott und
seine Ferse (Genes. III 15) als Bild der Mondsichel erweisen will.
In der Tat lassen sich, wie bemerkt, die Mythen von Völkern, die
anderen Völkerfamilien augehören, mit gleichem Recht vergleichen,
und so werden denn auch in anderen Aufsätzen der Vereinszeit-
schrift auch diese und sogar die Mythen der Primitiven heran-
gezogen, z. B. von W. Schultz VI 2. 114, der zwar die furcht-
bare Verderbnis ihrer Übei'lieferung anerkennt , aber doch meint,
daß „die Formen, auf welche diese Zufallserzeugnisse hinweisen",
alt und hin und wieder sogar altertümlicher sein können „als das
entsprechende altweltlicli erhaltene Gut". In diesem Punkt gehen
also die Ansichten der Vereinsmitglieder noch auseinander, und
Ehrenreich (IV 1, 27) spricht von „der anscheinenden Hoff-
nungslosigkeit einer befriedigenden Erklärung derartiger Divergenzen" .
Eine andere Meinungsverschiedenheit betrifft, wie es scheint, die
Frage, wie weit das heutige Natur empfinden für die Mythendeutung
verwertbar sei. S i e c k e ist, wenn ich ihn recht verstehe, geneigt,
diese Frage zu bejahen, während Hüsingll2 S. 4 mit Recht
hervorhebt, daß das Empfinden und ganz besonders unser Empfinden
gegenüber der Natur erst ein Kulturerzeugnis ist. Im allgemeinen
aber herrscht unter den für die Zeitschi'ift arbeitenden Vereins-
mitgliedern eine Übereinstimmung der Ansichten, wie sie sonst in
derartigen Gesellschaften selten begegnet und auch nicht zu wünschen
ist, weil durch die schnell gefundene Zustimmung die Forscher
leicht verführt werden, die Sicherheit ihrer Beweisführung zu über-
schätzen, vorschnell auf den Ergebnissen weiter zu bauen und dem
Zweifler Mangel nicht allein an Einsicht, sondern auch an gutem
Willen zuzuschreiben , wie dies in der Zeitschrift oft geschieht.
Einig sind sich die Autoren der Zeitschrift zunächst darin, daß sie
die Einwirkung der frei schaffenden Phantasie auf die Mj-then-
gestaltuug gegenüber der auslösenden Ursache , d. h. der Natur-
erscheinung herabsetzen. „Wir sehen das Mondschiff auf dem
■22 Gesellschaft für vergleichende Mythenforschung.
Himmelsozeau , wir sehen das Mondweib aus der Rippe ihres
schlafenden Vorgängei's , des verdunkelten Mondes entstehen"
(Ehrenreich IV 1, 120). Diese seltsame Verwechsehmg von
Phantasie und Wahi'uehmung ist wohl durch den Einwand ver-
anlaßt, den diese Forscher sich selbst machten, daß jene nach
allen Richtungen hin ausgreift und daher, wenn ihr Einfluß nicht
sehr beschränkt wäre , nicht die behauptete Einförmigkeit des
Mj-thos aufkommen ließe. Zweitens geht durch alle Aufsätze der
Zeitschrift die Auffassung, daß wenigstens der Kern der Mythen,
worunter alles Tatsächliche, selbst nebensächliche Einzelheiten ver-
standen werden, uralt und vorliterarisch sei. Es ist z. B. nach
Siecke II, 49 „undenkbar und unmöglich, daß ein über weite
Landstriche hin verbreiteter, dabei aber mit erstaunlichen Ab-
weichungen erzählter Mythos seinen Ursprung von bestimmten
literarischen Zentren aus genommen hat" ; ein Satz , der durch
Dähnhardts „Natursagen", namentlich deren zwei erste Bände
gründlich widerlegt wird. Der wichtigste Einiguugspunkt der an
der Zeitschrift arbeitenden Gelehrten ist jedoch die Ansicht, daß
die meisten Mythen sich auf den Kalender beziehen (Leßmann
I 3, S. 33) und nicht aus dem Naturempfinden erwachsen sind,
sondern aus der Astronomie (Hü sing II 2, S. 2 f.). Eine aus-
reichende Erklärung dafür, daß Kalenderbeobachtungen in mythische
Form gekleidet wurden, wird nicht gegeben, und insofern ist die
neuere Mj'thenvergleichung sogar weniger begründet als die alte
vor 60 Jahren, die einer solchen nicht bedurfte, weil die Freude
an der Naturschönheit und das Bedürfnis der Naturerkläi'ung die
Phantasie anregen mußten, und die nur darin litt, daß die poetische
Freude an der Natur sich erst bei höherer Bildung einzustellen
))flegt und daß der regelmäßige Übergang der durch poetisches
Gleichnis geschaffenen Gestalten zu Göttern, zu Opferempfängern
nicht erklärt werden konnte. Und doch muß sich für die Kalender-
beobachtungen ein Grund zu jDoetischer Fassung ausfindig machen
lassen, da es tatsächlich Kalendermythen gibt, nur nicht in dem
Umfang, wie die Mythenvergleicher dieser Richtung annehmen.
Freilich ist mit der Erkenntnis dieses Grundes zugleich die Ein-
sicht verbunden, daß diese Erklärung nicht verallgemeinert werden
darf: nach dem Kalender richteten sich nämlich Zauberei und
Feste, dabei wurde gesungen, und in diesen Liedern konnte auch
auf die kalendarische Bestimmung hingewiesen werden. Immerhin
bleibt dies ein nebensächlicher Punkt. Die Mitarbeiter an der ge-
nannten Zeitschrift machen ihn zum wichtigsten, sie gehen sogar
Gesellschaft für vergleichende Mythenforschung. 23
noch weiter in der Beschränkung des Inhaltes der Mythen, indem
sie behaupten, daß sie sich fast ausschließlich auf den Mondlauf
beziehen. Mondmythen sind nach Ehren reich IV 1, 114 die
universellsten und gleichartigsten aller Naturmythen. Es gibt zwar
auch Jahi'eszeit- und Vegetationswechselmythen , aber diese ent-
lehnen ihre Formen dem Mondwechselmythos (ebd. 184). Nach
Hü sing, der früher an Gewittermj^then geglaubt hatte (II 2, S. IX),
aber durch Leßmann auf den Mond hingewiesen wurde (ebd. S. V),
sind zwar „Mythen oder richtiger einzelne ihrer Gestalten auf die
Sonne bezogen worden , die Erzählungen aber wurden dabei den
Sonnenschicksalen nicht angepaßt: sie blieben Mondmythen und
sind auch als solche zur Welt gekommen" (ebd. S. VII). Bedeutet
ijhog auch später „Sonne", so ist doch Helios seinen Mythen
nach Mondgott, und vermutlich bezeichnete auch tjXiog ursprüng-
lich in erster Reihe den Mond. Der Mondgott Apollon ccgyLgöto^og
wurde zum Sonnengott erst, als man unter babylonischem Einfluß
zum Sonnenjahr überging (Leßmann 13, S. 36 f.). Auch mit dem
Namen mehrerer Sternbilder, z. B. der Plejaden, Kallistos (II 1, 27)
und Orions (ebd. 60) wurde nach Siecke entweder von Anfang
an der Mond gemeint oder es gingen doch nachträglich auf die
nach ihnen genannten mythischen Gestalten Züge des Mondgottes
über. Das Überwiegen der Mondmythen wird damit erklärt, daß
die ungeteilten Indogermanen, die, wie bereits erwähnt, den Kern
der meisten Mythen geschaffen haben sollen , nur Mondmonate
hatten (Leßmann 13, 33 f.; Hü sing II 2, S. 7 f.), kein Sonnen-
jahr. Wenn in Mäi'chen und Sagen die Drei- und Neunzahl durch
die Sieben- und Zwölfzahl ersetzt sei, so wird dies daraus erklärt,
daß diese sich auf das Sonnenjahr, jene auf den Mondmonat be-
ziehen (Hü sing II 2, 7 f.), da man die 29^2 Tage des synodischen
Monats zunächst auf 30 abgerundet, dann die 3 dunkelen Tage als
Epagomenen besonders gezählt an den Anfang gestellt und den
Rest in drei neuntägige Wochen geteilt habe. Die Zahl der neun
Musen gestattet keine andere Deutung als auf die Zahl der Mond-
wochennächte (Leßmann I 3. 37; vgl. 45). Auf die drei mond-
losen Nächte werden die drei Tage, die Zeus bei Alkmene bleibt
(Siecke I 1, 65), die drei Tage, während deren Hera die Geburt
des Herakles verhindert (Siecke II 1, 15), und die drei Schwestern
gedeutet , denen der schlangengestaltige Erichthonios übergeben
wird (ebd. 32); auf das Wiedererscheinen des Mondes am vierten
oder dritten Tag soUen u. a. die Mythen zielen , die Hei'mes am
vierten (ebd. 66; II 1, 13), Athena am dritten Tag (I 1, S. 21)
24 Naturalistische Mythendeutung: Fries.
geboren werden und ApoUon den Drachen, Herakles die Schlaugen
am vierten Tage töten lassen (I, 1. 43). Diese Proben mögen
genügen; last die ganze griechische Götter- und Heroenwelt wird
auf den Mond bezogen.
Mit den in der Mythologischen Bibliothek zu Wort kommenden
Forschern berührt sich vielfach Karl Fries, der Vf. der Studien
zur Odyssee (I Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft
XV, 2—4. Leipzig 1910; II ebd. XVI, 4. 1911) und der „Grie-
chischen Götter und Heroen vom astralmythologischen Standpunkte
aus betrachtet" (Berlin 1911), der aber andrerseits auch der Astral-
mythologie der „Pambabylonisten" nahesteht. Vor den Mitarbeitern
an der Mythologischen Bibliothek hat Fries voraus, daß er ein-
dringlich nach der Entstehung des Ritus fragt; er läßt ihn aus
einer Nachahmung des Naturvorganges sich entwickeln. „Das Tun
der Götter selbst" wird „von Priestern erstens erzählt, zweitens
nachahmend dargestellt. In der Maske des Gottes tritt sein Diener
auf". Behaupten die meisten Anthropologen die Priorität des Kultus
(,vgl. 0. S. 7), so hält dagegen Fries im allgemeinen daran fest,
daß dieser jünger sei als der M3-thos, den er darstellen soll; doch
wird damit nicht ausgeschlossen , daß unverständlich gewordene
Riten einen neuen Mythos hervorrufen konnten (z. B. Stud. I 236);
so soll vielleicht aus den mimetischen Darstellungen des Gottes
durch den Priester die Vorstellung von der m3-thischen Inkar-
nation des Gottes entstanden sein (ebd. 294). Die dargestellten
Naturvorgänge findet auch Fries z. T. im Mondlauf, doch hält er
Sieckes Mythendeutung für einseitig und nennt sogar (Stud. I 315)
den Jahreslauf der Sonne „den Mythos, den einzigen großen, den
es gibt, die gewaltige Naturlegende", die alle Weltliteratur predige.
Indessen führt er diese Ansicht nicht durch, sucht vielmehr zu
vermitteln und meint (Stud. I, 98) : „Es lassen sich etwa drei
Gruppen von Naturvorgängen herausheben, deren der Nachahmungs-
trieb sich am stärksten bemächtigte , das ist der Wandel der Ge-
stirne am nächtlichen Horizont" (Himmel?), „das ist ferner das
Aufleuchten der Sonne, bzw. des Mondes" (?) „am morgendlichen
Himmel und endlich der Kampf der erwachenden Frühlingsnatur
mit dem alten Winter". Warum die himmlischen Vorgänge und
warum gerade diese immer wieder nachgeahmt wurden, erklärt Fries
90 wenig als Winkler und Jeremias, auf die er sich beruft.
Noch stärker als Fries betont Jane Harris on in der Themis
(Cambridge 1913) S. 407, daß die Naturgötter eigentlich Jahres-
dftmonen waren. Die Untersuchungen der Verfasserin werden haupt-
Naturalistische My thendeutung : J. Harrison, Ed. Meyer. 25
sächlicli durch neuere Richtungen bestimmt, die von der Natur-
symbohk weit abführen (o. S. 7,2), allein auf einem Umweg ge-
langt sie doch dazu, auch def Mythendeutung erhebliche Zugeständ-
nisse machen zu können. Sie faßt (447) die Götter zwar nicht als
Naturmächte, aber doch als the expression of man's focus of atten-
tion on nature , womit sie , wie es scheint , sagen will , daß die
Gottesvorstellung den Eindruck wiedergebe, den die Naturerscheinung
auf das menschliche Gemüt ausübe. Mit der Hervorhebung dieser
eigentlich selbstverständlichen , aber allerdings von den Anthropo-
logen oft vergessenen Subjektivität des Mythos wird nun die Rück-
kehr zur Mythendeutung geöffnet, und diese beschränkt sich nicht
auf die vermeintlichen Jahreszeitmythen , sondern zieht auch die
Sonne (z. B. Phaethon, 454), den Mond (Phoibe, ebd.) und seine
Phasen (Moiren, Hören, Charites , 389), den Himmel (z. B. Titan
454; Okeanos, 457) und andere Naturgegenstände mit oft seltsamen
Begründungen in ihren Bereich.
Den Jahreszeitgöttern räumt auch Ed. Meyer ein weites
Gebiet im antiken Kult ein, er glaubt z. B. (Reich und Kultur der
Chetiter, Berlin [1914], S. 90) an ein großes Frühlingsfest, das
überall in Kleinasien und Nordsyrien beim Erwachen der Vegetation
begangen und bei dem die Vermählung der Erdgöttin mit dem
Himmelsgott gefeiert wurde , wie er es auf einem Rlf. dar-
gestellt zu sehen glaubt. — Einen griechischen und italischen
Prühlingsgott, der während des Winters in der Erde schlafen sollte
und der, weil die Heere im Frühling ins Feld zogen, auch als
Kriegs- und Todesgott gegolten habe und unter dem Abzeichen der
Lanze oder des Doppelbeils verehrt worden sei, sucht A. Roß-
bach, Castrogiovanni, das alte Henna in Sizilien, nebst einer Unter-
suchung über griechische und italische Todes- und Frühlingsgötter
(Leipzig-Bei-lin 1912) aus den Sagen und den Namen von Adranos,
Aias , Aleuas , Amphiaraos , Anytos , Kadmos , Kaineus , Ki'onos,
Lykurgos , Neleus , Odysseus, Oinomaos und Phrixos zu erv/eisen.
Wiederholt kehrt in den erwähnten Sagen der Zug wieder , daß
der Held oder die mit ihm gepaarte Heroine (Hemithea, Bianna)
in die Erde oder (Helle) in das Meer versinkt oder (Odysseus) in
die Unterwelt hinabsteigt oder (Kronos) in ihr (?) schläft oder
(Ares, Lykurgos) gefangen gehalten wird. Aus dem Sarkophag von
Hagia Triada (Paribeni, Monum. ant. RAL. 1908, 1 ff.) wird ge-
folgert, daß dieser Kult in die minoische Zeit hinaufreichte.
Zahlreiche Vermutungen, die sich nur auf einzelne mythische
Gestalten beziehen, müssen in diesem Bericht unerwähnt bleiben
2(5 Naturalistische Mythendeutung: Beloch.
<.<?. 0. 1 Anm. 1). Ohne Frage ist die naturalistische Mythendeutung
wieder im Fortschritt begriffen, und deshalb empfiehlt es sich, auf das
„Religion und Mythos" überschriebene sechste Kapitel der zweiten
Auflage von Belochs gi-iechischer Geschichte (I^ 1, S. 144 ff.), der
auf ihrem Boden steht, etwas genauer einzugehen, als dies im Bd. CII,
S. 142 dieses Jahresberichtes für das entsprechende dritte Kapitel der
ersten Auflage erfordei-lich erschien, das 1 893 mit seinen Behauptungen
ziemlich vereinsamt stand. Daß Apollon ursprünglich ein Sonnengott
gewesen sein müsse, scheinen nach Beloch seine Beinamen yivy.iog,
(Dolßog, XQioäiOQ, agyigoio^og zu beweisen (156); als Lichtgott
tötet Apollon nach B. Pj^thon, den Dämon der Finsternis, hilft er
den Menschen in der Not der Krankheit, befreit er die Herden
von den Gefahren des nächtlichen Dunkels als v6(.iLog und Kagvelog, \
schützt er endlich die Seefahrer im Sturm; und da das Erscheinen
der Sonne am Morgen mit Liedern begrüßt wurde , auch der Ge-
sang in der Heükunst primitiver Völker eine wichtige Rolle spielt,
so ist Apollon zum Schutzgott der Musik gewox-den. Sonne und
Mond sind die himmlischen Zwillinge ; sowohl die Dioskuren , die ^|
deshalb auf weißen Rossen reiten oder auch selbst als weiße ' *
Rosse gelten und von denen Tag um Tag abwechselnd der eine
oben, der andere im Schattenreich lebt, als auch Amphion
und Zethos , Agamemnon iind Menelaos , Herakles und lolaos,
Theseus und Peirithoos, Achilleus und Patroklos sollen solche
Paare sein (161 f.). Mondgott ist nach B. auch Hermes, der des-
halb den strahlenden Argos tötet, die Rinder des Apollon Helios
raubt, die Augen der Menschen schließt und öffnet, endlich auch
als Gott der Nacht Schützer der Diebe ist (160). Häufiger galt
nach B. in Griechenland der Mond als weiblich. Die leuchtenden
Arme sollen Hera als Lichtgöttin kennzeichnen (159 f.); der Zug
des Aufhängens , der sich bei Artemis ^u^Trayxo/uivrj (und vielen
Heroinen) findet, wird auf das Schwinden des Mondes bezogen (148).
Als Göttin des nächtlichen Dunkels tötet Artemis, welchen sie will
(159 f.). Der Mythos von Athenas Geburt läßt nach B. (154) keinen
Zweifel über ihre Natur als Blitzgöttin zu. Als solche führt sie
die Lanze und deshalb wird sie Kriegsgöttin, als solche auch Städte-
eroberin und -erhalterin (igtaiTiToXtg, JloXidg) und weiterhin
Schirmerin der friedlichen Arbeit. Zeus ist zum unterirdischen
Gott geworden, „da er im Blitzstrahl in die Erde hinabfährt. Dort
haust er, 'der unsichtbare Gott' (y^idr^g, ^^idiovei'g), in der finsteren
Tiefe als Herrscher der Toten". Man denkt ihn sich in Höhlen
wohnend (Zeus TQorpcjviog. ^^/nqidgaog S. 164 f.). Wie die Götter,
Naturalistische Mythendeutung: Belocli. 27
-30 werden auch die Heroen als verkörperte Naturerscheinungen
gefaßt; denn aus dem Ahnenkult ist nach B. (169) der Heroendienst,
der schon für das Epos vorausgesetzt werden muß , obwohl er im
Zeitalter der Heroen selbst nicht erwähnt werden konnte , nicht
entstanden (168), vielmehr wurden die Götter, „deren Kult nur
eine beschränkte Verbreitung hatte, auch im Glauben ihrer eigenen
Verehrer ihres göttlichen Charakters entkleidet" (107). Indem so-
viele Lokalgötter zu Heroen herabsanken, entwickelte sich aus dem
Götterhymnos der Heldengesang (181). Obwohl nach einer grund-
sätzlichen Bemerkung des Vf.s (IG 8) das Schicksal der Vermensch-
lichung besonders die chthonischen Götter betraf, weil diese ihrer
Natur nach an den Stätten haften , wo sie verehrt werden , also
nur in seltenen Fällen eine weitere Verbreitung erlangen konnten,
werden doch auch die meisten Heroen für Lichtwesen erklärt. Als
„Sonnenheld" wandert Odysseus wie Helios selbst, wie Herakles,
wie Theseus in das Schattenreich (185), wo er wie Helios (Stesich.
fr. 8) seine Mutter findet; im Schlaf wird er vom Phaiakenland
nach Ithaka gebracht, wo er am Apollonfest die Freier erlegt.
Ereuthalion, der Diener des „Sonnenhelden" Lykoorgos , trägt die
Waffen seines Herrn im Kampf, ebenso Patroklos die Waffen des
Achilleus. Dar Kampf der Danaer gegen die Kadmeionen ist nur
eine andere Form ihres Kampfes gegen die Lykier, die Lichtgötter
(197). lason raubt dem Drachen der Finsternis das von diesem
bewachte goldene Vließ und fährt auf seinem Lichtschiff heim (148).
Daß die Nacht entweicht, wenn ihr Sohn, die Sonne, aufgeht, wird
nach B. (147) in Orestes' Muttermord dargestellt. Der ApoUon-
priester Chryses ist eigentlich der Sonnengott Apollon selbst (188).
Die Blendung und die Analogie der Telegonossage lassen keinen
Zweifel, daß es sich auch bei Oidipus um einen Sounenmythos
handelt (196). Selbst von den Gesetzgebern sollen Lykurgos, „der
Lichtbringer", Zaleukos, „der Hellstrahlende" und Charondas, „der
Helläugige", Sonnengötter gewesen sein (350). Die Heroinen werden
meist als Mondgöttinnen gefaßt, so z. B. Helena (158, 185); Pasiphae,
Kallisto (158) und wegen des Mythos vom Felsensprung die vor-
griechische Diktynna (112). — Es war bei der Auswahl dieser
Stichproben nicht wohl möglich , die Pflicht des Berichterstatters,
möglichst nur die neuen und eigenartigen Behauptungen hervor-
zuheben , mit der andern zu vereinigen , auch die Begründung an-
zugeben; denn diese besteht in diesem Fall beinahe ausscliließlich
darin , daß die verschiedenen Behauptungen sich gegenseitig
stützen sollen. Es wird von niemand bezweifelt, daß einzelne
JÖ
Naturalistisolie Mythendeutung: Beloch.
griechische Götter Naturerscheinungen entsprachen und daß einzelne
Götter Heroen geworden sind. Durch solche Einzelerscheinungen
i^laubt der Vf. sich berechtigt, das ihnen zugrunde liegende Prinzip
zu verallgemeinern. Statt zu untersuchen , welche Umstände die
Heroisierung der Götter begünstigten, setzt er sich über den von
ihm selbst aufgestellten, übrigens nicht zutreffenden Grundsatz, daß
die späteren Heroen meist Gottheiten der Unterwelt gewesen seien,
kühn hinweg. So wie B. es denkt,' sind nur selten Heroen und
Heroinen unmittelbar aus Gottheiten entstanden, z. B. vielleicht
Asklepios, der wenigstens bei Homer ein Mensch ist; die großen
Gestalten des griechischen Heldenmythos sind, soweit ihr Ursprung
sich mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisen läßt, von Haus aus
Menschen gewesen, und wenn es Götter gibt, die ihren Namen als
Beinamen führen, sind sie keineswegs aus diesen entstanden. Ent-
weder sind sie frei erfunden und haben einen ihi'er Heimat an-
gemessenen Gottesnamen empfangen , weil es bei den Fürsten-
häusern üblich wai, bei der Naraengebung an den Geschlechtskultus
anzuknüpfen und deshalb die Berücksichtigung der religiösen ört-
Uchen ÜberUeferung die Erfindung zu beglaubigen schien, oder sie
stammen aus älteren, religiösen Überlieferungen, die aus sehr ver-
schiedeneu Ursachen, z. B. um ein unverständlich gewordenes Epi-
theton eines Gottes zu erklären , ebenfalls an den Kult anknüpfen
konnte. Daß aus den vom Gotte berichteten Zügen leicht einzelne
auf den ihm gleichnamigen oder sonst mit ihm verknüpften Heros
übergehen konnten, ist richtig; aber das berechtigt nicht, diesen
dem Gotte gleichzusetzen. Noch willkürlicher ist die Schlußfolgerung,
daß, weil einige Gottheiten zeitweilig als Sonne, Mond, Blitz usw.
gedacht ^vurden , allen oder den meisten Gottheiten eine Natur-
erscheinung zugrunde liegen müsse. B. fragt nicht, aus welchen
Ursachen und unter welchen Umständen ein natürlicher Vorgang
oder ein unbelebter Körper vermenschlicht und vergöttlicht werden
könne, und steht in dieser Beziehung sogar hinter Natursymbolikem
aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück, von denen zwar
viele irrten, wenn sie meinten, daß die ästhetische Freude an der
•Schönheit der Natur das leicht erregbare Gefühlsleben des primi-
tiven Menschen aufs äußerste spannen, seine Einbildungskraft beflügeln
und ihn schließlich dahin bringen könne, den durch diese geschaffenen
Wesen einen manchmal kostspieligen Kultus zu widmen, die aber doch
wenigstens z. T. das darin liegende Problem bereits erkannten.
29
III. Religionsgeschichte.
1) Die antike Religion im allgemeinen.
8. Rein ach, Transact. 3 Internat. Congr. Hist. Relig., Oxford
1908, II 117 ff. beschreibt den gegenwärtigen Standpunktder griechi-
schen und römischen Rehgionsgeschichte vind Mythologie mit dem
Streben nach Unparteilichkeit, aber doch mit stiller Bevorzugung der
„anthropologischen" Methode. — Auf demselben Kongreß behandelt
T. R. Glover, ohne zu wesentlich neuen Ergebnissen zukommen,
den Dämonenglauben im späteren Altertum. — Toutain sammelt
in den Etudes de mythologie et d'histoire des religions, Paris 1909
13 in den Jahren 1892 — 1908 erschienene Aufsätze über all-
gemeine und methodische Fragen (85) La religion en Grece et ä
Rome, ses characteres generaux und (110) Les rites dans la religion
grecque et la reHgion romaine, sowie über einzelne Gottheiten der
Griechen und Römer, z. B. über Prometheus (182), lanus (197)'
Melikertes (185) und Liber pater (218), die zuerst in Daremberg
und Saglio, Dictionnaire des Antiquites grecques et romaines ver-
öffentlicht waren. — Die auf das klassische Altertum bezüglichen
Artikel der Encyclopaedia Britannica (11. Aufl.) sind von der Cam-
bridge TJniversity Press 1911 besonders herausgegeben. Über
gTiechische und römische Religion haben meist Farn eil und
Bailey gehandelt. — R. Wünsch, Arch. f. Religionswiss. XIV,
1911 , 517 ff. berichtet über selbständige Publikationen auf dem
Gebiete der griechischen und römischen Religionsgeschichte 1906
bis 1910. — A. Dieterich, Kleine Schriften, Leipz. u. Berl. 1911
enthalten an religionsgeschichtlichen Arbeiten die Zeitschriftenartikel
(mit Ausschluß der Rezensionen), den Dresdener Vortrag über den
Gott Sarapis, die kurze in der Strena Helbigiana veröffentlichte Notiz
über Matris cena und die Habilitationsschrift über die orphischen
Hymnen, Hinzugefügt sind zwei ungedruckte Stücke : ein Aufsatz
über die verhüllten Hände und die Vorlesung über den Untergang
der antiken Religion. — Für A. Gerckes und E. Nordens Ein-
leitung in die Altertumswissenschaft hat S. Wide einen Abriß der
griechischen und römischen Mythologie und Religionsgeschichte ge-
schrieben. Der gegenwärtige Zustand unserer Wissenschaft wird
kurz, klar und im ganzen auch richtig wiedergegeben. Wichtige
eigene Untersuchungen wird man in einer derartigen Skizze weder
suchen noch finden ; aber Ansichten , die bei ihrer Abfassung zu-
30 Farneil.
i^Uig populär wareu, von dem dauernden Ergebnis der Wissenschaft
zu unterscheiden, hätte doch Avohl auch zu den Aufgaben eines der-
artigen Abrisses gehört.
2) Griechische Religion.
a) Schriften über das Gesamtgebiet der griechischen
Religion.
1907 tY. Nach längerer Pause sind drei weitere Bände von
L. R. Farne 11s Cults of Greek States erschienen. Der dritte
(Oxford 1907) behandelt Ge, Demeter und Köre (29 ff.), Hades
Pluton (280 ff.), die Göttermutter und Rheia-Kybele (289 ff.), der
vierte den Poseidon und (89 ff.) ApoUon, der fünfte den Hermes^
ferner (85 ff.) Dionysos, (345 ff.) Hestia, (374) Hephaistos, (396 ff.)
Ares und (415 ff.) die vergötterten Naturkräfte, wie Blitz und
Wind, den Gestirndienst, Quellen und Flüsse, die Nj^mphen, Hören,
Chariten, Pan, die Musen, die Erinyen und die ihnen verwandten
Gottheiten, endlich die Personifikationen. Die nur in Kultvereinen
verehrten Gottheiten und die Privatdienste sind grundsätzlich aus-
geschlossen: der Heroeukult sollte in einem besonderen Werk
behandelt werden , für den der Stoff bereits 1906 gesammelt war,
von dessen Erscheinen ich aber nicht sichere Kunde erhalten
konnte. Die Anordnung innerhalb der einzelnen Kapitel ist ge-
wöhnlich so . daß zuerst die Kulte , dann das Ritual besprochen
werden; darauf folgt die Behandlung der Kultdenkmäler, endlich
werden die Idealtypen ausführlicher besprochen als in einem Werke
über die griechischen Staatskulte zu erwarten wäre. Der Über-
sichtlichkeit ist diese Art der Stoffverteilung nicht günstig ; zwischen
Kultus und Ritual läßt sich ebenso wenig scharf sondern wie
zwischen Kult- und Idealbildern einer Gottheit. Durch das Fehlen
eines alphabetischen Verzeichnisses, das wenigstens in den mir
vorliegenden fünf Bänden nicht enthalten ist, wird bei Farnell das
Auffinden einer Notiz sehr erschwert. Darum ist das Buch für
wissenschaftliches Weiterarbeiten nicht leicht zu benutzen, so les-
bar und verständlich es dadurch geworden ist, daß der Vf. sein
Augenmerk auf verhältnismäßig wenige Fragen beschränkt. Damit
hängt zusammen , daß die Probleme in Farnells Darstellung dem
Leser und wahrscheinlich auch ihm selbst oft einfacher erscheinen,
als sie in WLi'klichkeit sind, und da er über die Zeugnisse, soweit
sie ihm vorliegen, meist besonnen und umsichtig urteilt, so erweckt
er nicht selten den Anschein, endgültig eine umstrittene Frage be-
antwortet zu haben, deren ganze Schwierigkeit er nicht durchschaut
Farneil. 31
hat. Ein großer Teil des Buches ist der Widerlegung von Ver-
mutungen gewidmet , die namentlich englische und französische
Forscher auf Grund anthropologischer Parallelen aufgestellt haben.
Er hat meistens recht; aber wenn er ausdrücklich den hohen
Wert dieser Methode (III, S. IV) anerkennt und erklärt, nur
ihre Auswüchse bekämpfen zu wollen , so beweist er damit doch
nur, daß er auch hier nicht bis auf den Grund des Fehlers vor-
gedrungen ist, vielmehr hauptsächlich dem gesunden Menschen-
verstand folgt, der in der Wissenschaft zwar auch viel wert ist, aber
fast nur Falsches ausmex'zt, keine großen Fortschritte herbeiführt.
Mit Entschiedenheit wendet Farnell sich von Useners Theorie
der Sondergötter ab, und trotz der Einwendungen, die L.Ziehen
GGN, 1911, 115 in der ausführlichen Besprechung des 3. und
4. Bandes erhebt, hat er nicht selten das Richtige gesehen ; aber
wenn Farnell in dem Aufsatz The. place of the Sondergötter in
Greek Polytheism (Anthropol. Ess. presented to Tylor 1907, 81 ff.)
glaubt, daß nur sehr wenige Götter in Griechenland ohne einen
eigenen Namen verehrt wurden (93), und zwar meist junge, z. T.
wie Amphidromos (95) und Myiagros (99) literarisch erfundene, so
zeigt er auch hier, daß er das eigentliche Problem nicht erfaßt hat.
In Wahrheit hat es seit den ältesten Zeiten in Griechenland so-
wohl solche Götter oder Dämonen gegeben, deren Namen, oft viel-
leicht die Übersetzung eines vorgriechischen, ihr Wesen und Wirken
klar bezeichnete , also Sondergötter im Sinne Useners , als auch
solche , deren meist vorgriechische Benennung dem Griechen früh
unverständlich wurde ; und da die Wesen dieser zweiten Klasse
sowohl untereinander als auch den „Sondergöttern" gleichgesetzt,
außerdem oft auch durch Beinamen genauer bestimmt wurden , so
entstanden zahlreiche Doppelbezeichnungen , die unter Umständen
nachträglich wieder gespalten wurden. Es laufen durch die ganze
Geschichte der griechischen Religion zwei Bewegungen neben-
einander her: eine die zur Gleichsetzung, eine andere, die zur
Trennung führt; und jeder der beiden Prozesse konnte sich unter
sehr verschiedenen Umständen vollziehen. Durch eine Anordnung
des Staates oder der priesterlichen Behörde, durch spontanes Volks-
empfinden oder durch allmähliche Gewöhnung der Sprache, durch
die Doktrin von Theologen und Altertumsforschern konnte sowohl
die Gleichheit verschiedener Gottheiten zur Anerkennung gebracht
als auch eine vorher einheitlich verehrte Gottheit in mehrere ge-
spalten werden. Alle diese Fälle sind durch sichere Beispiele zu
belegen, weit häufiger aber ist eine Entscheidung darüber, welches
32 Griechische Religionsgeschichte: Famell, J. Adam.
Verhältnis vorliegt, nicht zu gewinnen ; auch in einem TeU der von
Ziehen augeführten Beispiele ist es nicht so klai-, wie dieser glaubt.
Das Wissen, ob die Einheit oder die Sonderung zweier Gottheiten
ursprünglich ist, hat unmittelbar für die Wissenschaft nicht einmal
Wert, denn so fruchtbar die Einsicht in die Möglichkeit dieser
Fälle für die Erkenntnis der Wandelbarkeit religiöser Vorstellungen
ist, so wenig wichtig ist an und für sich die Feststellung des Ver-
hältnisses im einzelnen Fall; nur in Verbindung mit andern Tat-
sachen kann sie das Verständnis für das Entstehen einer Gottheit
fördern.
1908. James Adam hat in einer Reihe von Vorträgen, die
von seiner Witwe unter dem Titel The Religious Teachers of Greece
being Gififord lectures on natural religion delivered at Aberdeen,
Edinburg, herausgegeben sind, das Verhältnis der griechischen
Denker iind Dichter zur Religion zu zeichnen versucht. Es werden
behandelt Homer (in der 3. Vorlesung), die Dichter von Hesiod
bis zu Bakchjdides (4), die Orphiker (5), Pindar (6), Aischylos (7),
Sophokles (8), die Denker von Thaies zu Xenophanes (9), Hera-
kleitos (10 und 11), Philosophen von Parmenides bis Anaxagoras
(12), das Zeitalter der Sophisten (13), Eui'ipides (14 f.), Sokrates
(16 f.), Piatons Kosmologie (18), Spuren von Askese und Mystik
bei Piaton (19), Piatons Erziehungslehre (20), Piatons Ideenlehre
(21). Als Ziel der Entwicldung der griechischen Philosophie be-
trachtet Adam (zuerst 114) die Durchkämpfung der Überzeugung
von der Göttlichkeit der Seele und der sich daraus ergebenden
Forderung, daß der Mensch nach der Göttlichkeit streben müsse.
Nachdem diese Lehre durch die Orphiker zuerst in mythologischer
Form ausgesprochen war, wurde sie von dieser nach Adam durch
Piaton gereinigt, sie wurde „intellektualisiert". Die Bedeutung der
Eleaten und des Empedokles für die Religionsgeschichte wird be-
stritten , dagegen Anaxagoras als Begründer des Theismus in der
Westwelt hervorgehoben. Bei Euripides kann Adam bestimmte
positive religiöse Prinzipien nicht als herrschend erkennen; da-
gegen soll die Sokratische Gebetsformel in ihrer vollendeten Gläubig-
keit und Selbstunterdrückung ganz religiös, und zwar mehr christ-
lich als griechisch sein. Piatons Timaios bereitete nach Adam den
Weg für Philon und die Lehre von der di£Ferentiated unity der
Gottheit die christliche Dreieinigkeitsvorstellung vor. Die platonische
„immanente Transszendenz" der Idee soll die tiefsten Gedanken in
Paulus' Briefen und Evangelium sowie den Briefen des Johannes
ausgelöst haben. — Für K. Schmidts Schrift Das Geheimnis der
Griechische Religionsgeschichte: Reisch, Fairbaiiks. 33
griechischen Mythologie und der Stein von Lemnos (Gleiwitz 1908)
kann auf Pedersens Besprechung, Berl. Phil. Wochenschr. 1910,
243, verwiesen werden.
1009. Reisch, Entstehung und Wandel griechischer Götter-
gestalten, Wien. — In Franz Polands Geschichte des griechischen
Vereinswesens, einer Preisschrift der Pürstl. Jablonowskischen
Gesellsch. (XXXVIII, 1909), ist S. 173 ff. von don religiösen
Vereinen und der Götter Verehrung gehandelt.
Das Jahr 1910 brachte A Handbook of Greek Religion von
A. Fairbanks (Greek Series for Colleges and Schools ed. under
the Supervision of Herbert Weir Smyth , New York, Cincinnati,
Chicago), das aber in Wahrheit keineswegs ist oder sein will, was
es im Titel zu sein verspricht. Auf eine lange Einleitung, in der
hauptsächlich erörtert wird, ob man überhaujit von einer griechischen
Religion sprechen könne und wie sich die Götter im Kultus und
Mythos unterscheiden , folgt (39 ff.) eine Darstellung der Formen
des religiösen Glaubens und der Riten; in vier Kapiteln werden
Offenbarung und Inspiration, die Götterverehrung (G5 ff.), die
griechischen Götter (138 ff.), die Seelen und das Leben nach
dem Tode (168 ff.) behandelt. Der zweite Teil, der eine Skizze
von der griechischen Religionsgeschichte geben soll , ist in fünf
Kapitel gegliedert, von denen das erste (189 ff.) die Anfänge, das
zweite (215 ff.) das griechische Mittelalter, das dritte (230 ff.) die
griechische Religion im 7. und 6. Jh., das vierte (249 ff.) die Blüte-
zeit des 5. und 4. Jhs., das fünfte (273 ff.) endlich die Ausgänge
darstellen soll. Der dritte Teil (294 ff.) trägt die Überschrift
Religion and other phases of life in Greece ; es wird hier ge-
handelt über das Verhältnis der Religion zur bildenden Kunst und
zur Literatur, zur Gesellschaftsordnung (306 ff.), zur Philosophie
(322) und über die eigentümliche Natur der griechischen Religion
(334). Den Beschluß machen drei Anhänge, von denen der erste
eine Geschichte des Artemisdienstes , der zweite eine Übersicht
über die wichtigsten athenischen Feste , der dritte eine Auswahl
aus der Bibliographie geben will. Natürlich kann in diesem Rahmen
eine einigermaßen gleichmäßige Übersicht über die griechische
Religion auch nur von einem einzelnen Gesichtspunkt aus nicht
geboten werden. Die Ausführung entspricht der seltsamen Anlage
des Buches, s. Berl. Phil. Wochenschr. XXXII, 1912, 912. —
Farn eil, Class. Quart. IV, 187 hebt hervor, daß im Griechischen
ein Gott nach seinen Verehrern heißen kann: so erklärt er Zeus
Iktcoq, ^(pi7ci;wQ, '^ly.eirjg, ^IdazoQog, recogyog, "^Of-iDynog, Hera
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplemeutband). 3
34 Griechische Religionsgeschichte: Farnell, Habert.
rialg, Te?Ma, Xi^Qce. Er nennt diese, wie er sagt, nicht häufige
Erscheinung ein Greek magico - religious law. Die Erscheinung
reicht, wie mir scheint, weiter als der Vf. meint ; vgl. z. B. Apollon
Lykeios, Zeus Lykaios , die ursprünglich wahrscheinlich von den
„Wölfen", d. h. von den wegen Totschlags Verbannten angerufen
wurden ; andere Beispiele für die Anähnlichung der Gottheit an
ihre Verehrer bieten Mythen wie die von der Entsühnung einer
Gottheit, an die sich die der Sühne Bedürftigen wandten, und die
Attribute. Es ist ja auch kein Wunder, daß der leidende Mensch
Trost und Hilfe bei einem Wesen sucht, das gleichen Schmerz er-
litten haben soll , und deshalb sich sowohl an Gottheiten wendet,
von denen der M5'thos das bereits erzählt, als auch solche Mythen
auf diejenigen Wesen überträgt, deren Hilfe er im entsprechenden
Fall erhofft. — Das kirchlich genehmigte Buch von Habert, La
religion de la Grece antique, Paris o. J., will eine populäre Dar-
stellung geben ohne den Anspruch, immer eigene Forschungen vor-
zulegen. Nach einer Einleitung, in der zuerst Dafourcq, der Ver-
fasser der in mehreren Auflagen erschienenen Histoire comparee
des religions paiennes et de la religion juive, die Entwicklung der
griechischen Religion bis auf Alexander allgemein skizziert, dann
Habert selbst die Eigenart des Griechenvolkes kennzeichnet, wird
zunächst die griechische Naturreligion in drei Kapiteln behandelt,
von denen das erste die ßeste eines noch roheren Zustandes, das
zweite die Beziehungen zu den orientalischen Religionen erörtert;
es folgt eine Darstellung der ältesten Lokalkulte , zuerst der
kretischen und mykenischen, dann der kleinasiatischen, endlich der
ältesten griechischen. Großen Wert legt Habert auf ähnliche Er-
scheinungen bei heutigen „Wilden", mit deren Hilfe er z. B. das
Wesen der griechischen Mj^sterien aufhellen zu können glaubt (510);
darüber werden nicht selten die antiken Zeugnisse übersehen oder
gering geachtet. Wie in dem von ihm verfaßten Abschnitt über
die griechische Religion in der kirchlichen Veröffentlichung Oü en
est l'histoire des religions, Bd. I Les religions non chretiennes, dem
Loisy, Rev. hist. litt, relig. 1912, S. 87 erhebliche Fehler nach-
weist, enthält auch dies Sonderwerk, das von Poussin, Mus.
Beige, bull. litt. XIV, 1910, 343 gerühmt wird, sonderbare Irr-
tümer ; Habert verwechselt z. B. nicht nur Eleusinien und Mysterien
(523), sondern meint auch, Herodot spreche von den Mysterien als
einem fünfjährlichen Fest. Der Hierophant, der ebd. richtig
Eumolpide genannt wird, soll (524) Keryke gewesen sein; 525 wird
eine phantastische Beschreibung des Festes gegeben.
Griechische Religionsgeschichte: Lanzani, Famell. 35
1911. Lanzani, La religione Greca e gli stwdi degli antichi
e dei moderni, Atene e Roma XIV, 1911, 224 ff. enthält die Ein-
leitung zu Universitätsvorlesungen über griechische Religion, die
in Pavia gehalten sind. Li seltsamer Auswahl bietet der Vf. eine
Übersicht über die von ihm für besonders wichtig gehaltenen
Theoi'ieu, ohne eigene Ansichten zu äußern.
1912. Murray, Four Stages of Greek Religion. Oxford. —
L. R. Famell, The Higher Aspect of Greek Relig. , Lectm\
deliv. at Oxford and in London in April and May 1911, London
1912 behandelt folgende Punkte : 1) Allgemeine Züge der griechischen
Religion und ihren Ursprung; 2) Das religiöse Band und die Sitt-
lichkeit der Familie 5 3) Stammreligion und Stadtreligion ; 4) Einfluß
des Systems der Stadtrehgion auf das religiöse Gefühl, auf Sitte
und Gesetz ; 5) Ausdehnung der griechischen Religion über die
Gi'enzen der Polis ; 6) Persönliche Religion in Griechenland. Trotz
der weit kürzeren Fassung treten einzelne für die Gesamtauffassung
Fai'nells wichtige Gedanken hier schärfer hervor als in dessen Haupt-
werk (0. S. 30). Es wird betont, daß die hellenische Religion, ab-
gesehen von den Mysterien , niemals individualistisch war (42),
womit gemeint ist oder, wenn ich den Vf. nicht richtig verstanden
habe, wenigstens gemeint sein sollte, daß sie nicht sowohl Bedürf-
Tiisse des einzelnen befriedigte als vielmehr solche der sozialen
Organismen, der Familie, des yevog, des Stammes, des Stadtstaates.
Die Familie wurde (57) hauptsächlich durch das gemeinsame Mahl
an dem Familiengrab zusammengehalten •, der dort verehrte göttliche
Vorfahr verschmolz im Gefühl seiner Nachkommen mit dem Gott,
so erklärt Famell Gestalten wie Zeus lAyai.ii(xvo)v und Poseidon
'Egex^eig. Daß die Religion des Stadtstaates aus der Zusammen-
fassung von Religionen der kleineren Verbände entstanden ist, wird
daraus gefolgert, daß die Bürger der Polis sich auch später noch
als Familie fühlten, und z. B. den Kult des Z. ^Eg/ielog über-
nahmen (65). Famell bestreitet , daß selbst der am wenigsten
Gebildete den Apollon von Athen, Sparta oder Branchidai für einen
von dem delphischen verschiedenen Gott gehalten habe. Soll damit,
wie es scheint , geleugnet werden , daß die gleichnamigen Götter
der verschiedenen Kultstätten auch unterschieden werden konnten,
so ist dies mit zahlreichen Zeugnissen aus dem Altertum schwer
zu vereinigen und schon deshalb unwahrscheinlich, weil ja doch an
jeder bedeutenden Kultstätte die Gottheit selbst, und zwar oft
dauernd anwesend gedacht wurde ; aber vielleicht meint Farnell
nur, daß die Gleichheit des Namens und die durch die Dichtung
.3 *
36 Griechische Religionsgeschichte: Farneil, Nilsson.
und die bildende Kunst geschaffene Einheitlichkeit der Persönlich-
keit es ermöglichte, die gleichen Götter verschiedener Kultstätten
auch für gleich zu halten. Diese schon früher oft aufgestellte
Erklärung kann sich auf den gleichen Gedankenwiderspruch in der
Auffassung der katholischen Heiligen berufen.
1913. Auf dem Leidener Kongreß warnt Farnell (Act. du
IV congr. intern, d'hist. d. relig. S. 140) davor, jeden Heros, der
später einen Kult hatte, für einen vermenschlichten Gott zu halten ;
oft hat sich nach Farnell der Kult erst aus dem Epos entwickelt. —
Auf demselben Kongreß empfahl und begi-üudete Nilsson (Actes
131 ff.) den Plan eines Lexikons der griechischen und römischen
Religion, mit Ausschluß der Mythologie, das bei Teubner erscheinen
soll. Die verschiedenen Anschauungen und Hj-pothesen der Religions-
wissenschaft sollen darin berücksichtigt werden, ebenso religiöse
Bewegungen und Denkrichtungen, auch die allgemeine Welt-
anschauung der Zeiten, die philosophischen Lehren, soweit sie zur
Religion Stellung nehmen , auch einzelne Persönlichkeiten , wie
Xenophanes , Aischylos und Piaton , das Örtliche , Zeitliche und
Persönliche des Kultus , seine Beziehungen zum Staat , Kulthand-
lungen, Gegenstände des Aberglaubens und die Volksmedizin. Gewiß
könnte auch ein solches Werk förderlich sein, obwohl man zweifeln
muß, ob die lexikalische Form dafüi' geeignet ist; sie zeneißt das
Zusammengehörige und ist unübersichtlich, weil sie nicht an den
Namen feste Lemmata hat, wie das mythologische Lexikon; auch
hat dieses allmählich immer mehr auch den Kultus herangezogen,
der in der Tat oft vom Mj-thos untrennbar ist , so daß an vielen
Stellen Wiederholungen des dort bereits Gesagten unvermeidlich
sein würden. Es fragt sich, ob das erstrebenswerte Ziel, soweit
es überhaupt lexikalisch erreicht, werden kann, d. h. die Darstellung
der Religionsaltertümer mit Ausschluß der Religionsgeschichte, nicht
besser durch die ohnehin notwendige und längst geplante Neu-
bearbeitung der veralteten Teile des Mythologischen Lexikons er-
reicht wird.
Anhangsweise ist hier noch einiger etymologischer Arbeiten
über mythische Xamen zu gedenken {vgl. o. S. 18). Die wertvollsten
dieser Untersuchungen sind F. Solmsens Beiträge zur griech. Wort-
forschung, Straßburg 1909. — H. Ehrlich, Zur indogermanischen
Sprachgesch., Beil. zum Jahresber. des Altstädtischen Gymnasiums,
Königsberg in Preußen 1910, deutet u. a. Apollon als den „Glän-
zenden'", iQiovnog als den „sehr Schnellen", '^Qyeiq6vzT]g als den
„an Schnelligkeit Reichen", loylaiQCi als die .,den Jagdruf Gellende".-
Hypothese von der indogermanischen Urreligion. 37
Osk. Hey, Die Wurzeln der griech. Religion in besonderem Zu-
sammenhang mit dem Traumglauben, Ein histor. Versuch, Progr.,
Neuburg a.D. 1910, stellt (9) Apollon zu pellere, glaubt (28. 2),
daß Athena ursprünglich die Göttin des reinen Äthers war, daß ihre
Lanze ursprünglich den Blitz bedeutete, daß die Göttin aber später
auf den Mond bezogen wurde. Bellero-phontes , dessen Namen zu
vellera und (faivw gestellt wird, soll die leuchtenden Lämmer-
wölkchen bezeichnen (51), Helle (vgl. hXdvr]) das Wetterleuchten (4),
Hymen wird zu ind. Soman gestellt (10) , Perscphone (10. 2) zu
.cagotiog oder zu n^qd^co.
Derartige mythologisch- etymologische Untersuchungen zeigen,
daß ein großer Teil der griechischen Götter und Hei'oennamen
eine einleuchtende Erklärung aus dem Griechischen nicht zuläßt.
Solche undeutbare Namen müssen entweder aus untergegangenen
Perioden des Griechischen beziehungsweise derjenigen Sprache
stammen , aus der dieses hervorgegangen ist , oder aus fremder
Sprache hex-übergenommen sein. Je nachdem die eine oder die
andere Art der Namendeutung ausschließlich angewendet oder
wenigstens bevorzugt wird , entstehen verschiedene Weisen , die
Religion und den Mythos zu betrachten.
b) Die Herleitung griechischer Mythen und Kulte
aus indogermanischer Urzeit
auf Grund der Gleichsetzung von mythischen Namen ist auch in
dieser Berichtsperiode wieder wenigei* versucht worden als in der
vorhergehenden ; doch streben von den Mitarbeitern an der Mytho-
logischen Bibliothek (.9. 0. S. 19) mehrere nach diesem Ziel, z. B.
Hü sing {s.u.S.iO) und Wolfg. Schultz, der aus der Ver-
gleichung germanischer und griechischer Rätsel urindogermanische
Mythen zu gewinnen sucht (s. dagegen Tittel, Berl. Phil. Wochenschr.
XXXIV, 1914, 1230 ff.); und Bloomfield, The Religion of the
Veda, The ancient Religion of Indra from Rgveda to Upanisad,
New York -London 1908, trägt viele der alten von ihm selbst
in früheren Schriften oder auch von andern aufgestellten Gleich-
setzungen indischer und gi'iechischer Götter wieder vor. —
L. V. Schröder, Mysterium und Mimus im Rigveda, Leipz. 1908,
erschließt für die ungeteilten Indogermanen mimetische Aufführung
von Mythen. Er faßt die Äkhyänalieder des Rigveda, in denen
nach Oldenberg -die zur Herstellung eines Zusammenhanges not-
wendigen Stücke in Prosa hinzugefügt und daher nicht in die
38 Hypothese von der indogermanischen Urreligion.
Sammlung aufgenommen wurden, als Reste einer primitiven Dramatik.
So soll z. B. (155 A.) der Drachenkampf ein kultliches Mysterion
der „arischen'", d. h. indogermanischen Urzeit gewesen sein, von
dem sich eine Spur z. B. (212) in dem delphischen Septerion und,
wie aus der dramatischen Gestaltung der betreffenden Eddalieder
gefolgert wird (219), in den nordischen M3-then von Lokis Flucht,
Verfolgung und Gefangennahme durch die Götter erhalten habe.
Auf diesem Umweg will Schröder die urindogermanische Mythologie
wieder zu Ehren bringen. Daß auch Kuhn , dessen „tiefgründige
Arbeiten" er weit höher stellt als die „geistreichen Spielereien"
M.Müllers, im einzelnen irrte, wird dabei zugegeben; aber Gleichungen
wie die von Mars und den Marutas, die Schröder 148 nach Kuhn
und V. Bradke aufnimmt, oder die von Hermeias und Sarama, an
der er trotz des verschiedenen Geschlechtes festhält (178), sind
schwerlich besser als die von ihm verworfenen, und seine eigenen
Vermutungen passen sich zwar heute beliebten Ansichten an, werden
sich aber wahrscheinlich auch nur z. T. behaupten können. Er
erkennt z. B. (124) das Seelenheer, das unter Führung eines männ-
lichen Wind- , Seelen- oder Fruchtbarkeitsgottes schreckend , aber
zugleich segnend durch die Lüfte fährt, in dem Jagdzug des Zagreus
und der Hekate-Artemis, in den Amazonensagen, in den Mainaden,
Satyrn , Silenen , Nj-mphen , Gandharven , Apsarasen endlich in
dem Kinderheer des germanisch - lettischen Glaubens iind ver-
einigt damit Vorstellungen, die nur dadurch in die Urzeit hinauf-
gerückt werden, daß erstens die naheliegende Möglichkeit einer
späteren Übertragung außer acht gelassen und zweitens nicht Hin-
gehöriges (wie die Gandharven und Apsarasen) in die Reihe gestellt
wird. Der Hinweis auf dramatische Darstellungen des Mythos
enthält einen richtigen und fruchtbaren Gedanken, aber schwerlich
gehen solche Aufführungen, die sich, wie namentlich Fries (o, S. 24')
zu zeigen versucht, auch bei nichtindogermanischen Völkern finden,
in die proethnische Urzeit zurück, und in der Regel ist das Ver-
hältnis von Mythos und Mimus wohl umgekehrt , als es Schröder
und ihm folgend auch Fries annehmen , d. h. der Mythos ist erst
eine Projektion des Ritus. Es ist doch z. B. ungleich wahrschein-
licher, daß die göttlichen Kureten und Korybanten mythische Gegen-
bilder zu irdischen Tänzern sind, als daß diese den Göttertanz
nachahmten, wie Schröder (131 ff.) glaubt. — Am weitesten geht
in der Annahme indogermanischer Götter Brunnhof er. Arische
Urzeit, Forsch, a. d. Gebiet des ältesten Vorder- und Zentralasiens
nebst Osteuropa (Bern 1910J, der u. a. Baukis (208 ff.) zu Moki,
Hypothese von der indogermanischen Urreligion. 39
Hermes (176, 190ff.J zu ai'(a)mati, Kentauros (1,79) zu Gandharva
(= kam-dharva „Wasserbewahrer"), Narkissos (210) zu Nara9ansa,
Orion (179 f.) zu Varuna, Polyphemos (185) zu Pururavas stellt. —
Arbois de Jubainville, Täin B6 C u aInge , Enlevement du
taureau divin, Paris 1907, will Übereinstimmungen zwischen irischer
und griechischer Sage, A. Ho ffmann - Kutschke , Reede trav.
rel. ä la philol. et ä l'arch, XXXI, 1909, 66 ff. altarische Mond-
religion erweisen. — H. Eeichelt, Indog. Forsch. 1913 23 ff.
folgert aus dem griechischen Namen Akmon und aus den indischen
Mythen von der Befreiung der Kühe aus der Berghöhle , daß die
Indogermanen den Himmel sich als steinern dachten und dann, als
diese Vorstellung aufgegeben wurde, eine Spur davon in dem Mythos
lebendig erhielten , daß Indra den Berg gespalten habe , auf daß
Licht und Regen zur Erde niedersteigen könne. In Wahrheit ist
selbst für die Stellen des Rigveda, in denen die Befreiung der
Kühe aus der Höhle erwähnt wird , keineswegs ganz sicher , daß
diese, was an sich doch fern liegt, in den Wolken oder am Himmel
gesucht wxTrde ; die griechischen Mythen, die mit dem Siege Indras
über Vrtra verglichen zu werden pflegen , beziehen sich auf die
Gewinnung irdischer Quellen {Jahresher. CII S. 142).
Andere Sprachforscher äußern sich jedoch wenigstens hinsicht-
lich der Namensgleichsetzungen vorsichtiger. Mehringe r, Indog.
Forsch. XXI, 1907, 313 erklärt die Seltenheit urindogermanischer
religiöser Namen daraus, daß sie Tabu waren, Sehr ad er bei
Hastings , Encycl. II 33 schreibt den ungeteilten Indogermanen
nur einen ausgebildeten Animismus und Fetischismus , dazu auch
einzelne himmlische Götter , Sonne , Mond , Morgenröte , auch das
Feuer zu, die jedoch namenlos, d. h. nur mit dem Namen der durch
sie vertretenen Erscheinungen und Kräfte verehrt wurden. —
Meillet, Einführung in die vergleichende Grammat. d. indogerm.
Spr. , übers, von Printz 1909, 246 f. findet sogar, daß im ganzen
der Wortschatz der einzelnen indogermanischen Sprachen auf
keinem Gebiet so weit auseinander geht, wie bei den auf die Religion
bezüglichen Begriffen; er gibt sogar mit Hü sing, Myth. Bibl. II 2,
1909, S. 93 zu, daß altbulg. bogu aus dem altpersischen baga ent-
lehnt sein könne, erkennt aber doch den ungeteilten Indogermanen
gewisse Vorstellungen von der Gottheit zu.
Von einzelnen Gestalten der Religion und des Mythos bei
Griechen und Römern versucht G. H e m p e 1 , Transact. Amer. Phil.
Assoc. XLIV, 1913, 192 f. Apollons Gleichsetzung mit Agni Saparyenya
zu rechtfertigen, indem er aus ägyptischen und assyrischen Trans-
4() Hypothese von der indogermanischen Urreligion.
skriptioneu auch für den griechischen Namen anlautendes S er-
schließt, dessen regelmäßiger (boiotisch-attischer) Ersatz, der Spiritus
asper, verloren gegangen sei, weil 0oißooau6l)Mv als ein Wort
empfunden wurde. — Tritovä^ Athen a entspricht nach Hü sing,
Die iran. Überliefer. (Myth. Bibl. II 2, 1909) 128 (vgl. Hoff-
uiann -Ku tschke , Reo. de trav. rel. ä la phil. et ä l'arch. 6g.
et ass. XXV, 1908, 141) der sakischen Tritona Ad'wijSna, dem
Patronymikon zu Trito A^wija. — Elysioii stellt Schrader
in Hastings Encycl. of Rel. and Eth. II 30 zu lit. Vielona und
altnord. Valhcll, folgert aber daraus nur eine arische Wurzel: *vel,
*vol, *vel, ..Totenseele" und hält die Annahme eines indogermanischen
Totenreichs für unerweislieh. — Er inys ist nach Farn eil, Cults
of Gr. St. III soff, von Saramni zu trennen. — A. Beriedale
Keith, Class. Rev. XXI, 1907, 172 gibt diese sprachliche Gleich-
setzung zwar ebenfalls preis, glaubt aber, daß genug sachliche
Übereinstimmungen bleiben. — Den Kabiros, der, wie aus den
in die Erde versenkten Opfern geschlossen wird, ein chthonischer
Gott war, setzt Wackernagel in der Zs. f. vgl. Sprachforsch.
1907, 317 dem indischen Ki\bera, dem Vertreter der Geister der
Tiefe, gleich, weil phoinikische Kabiren unbezeugt und im ältesten
Griechenland nicht mehrere Kabiren verehrt worden seien. S. da-
degen Sittig, De Graecor. nominib. theophoris, Halle, Diss. 1911,
S. 143. 2. — Die Gleichung Kentauros Gandharvä verteidigt aus-
führlich Hü sing, Die iran. Überlief, und das ar. System (Myth.
Bibl. II 2), 1909, S. 217 ff. — Die lernaiische Hydra und
Kerheros entsprechen nach Hüsing a. a. 0. 154 der dreiköpfigen
Schlange ^^^'^ara, die (169) ursprünglich eine Mischgestalt aus
einem hundeartigen Tier und einer Schlange gewesen sein soll. —
Endlich sei angeführt, daß L e ß m a u n , Die K3T0Ssage in Europa,
Progr. , Charlottenb. 1906, den Zug der Aussetzung eines Kindes
infolge einer dem Vater von ihm drohenden Gefahr durch die Ver-
gleichung keltischer, germanischer, litauischer und slavischer Sagen
als einen zusammenhängenden indogermanischen Mythos , wie er
bisher nicht bekannt gewesen sei, erweisen will.
Mehr als in der Mythologie der klassischen Völker, die dank
der größeren Zahl von Zeugnissen und auch infolge einer feiner
ausgebildeten Methode im Durchschnitt weiter in die Geschichte der
einzelnen Mythen hinaufzudringen vermag und die dadurch auch
mehr gegen übereilte Vergleichung sekundärer Sagenformen ge-
schützt ist , blüht die komparative Mythenforschung unter der
Sagenüberlieferung anderer indogermanischer Völker: doch liegt es
Hypothese über das Verhältnis der griech. Religion zu asiatischen. 41
nicht im Plan dieses Jahresberichtes , auf diese Untersuchungen
weiter, als bisher geschehen ist, einzugehen.
Als E. Kuhn in der Vorrede zum zweiten Bande der Mythologischen
Studien seines Vaters A. Kuhn (s. 0. S. 17) die Hoifnung auf eine
Erneuerung der vergleichenden Mythologie im Sinne seines Vaters
aussprach, war ihm wahrscheinlich schon bekannt, wenn auch in
seiner Bedeutiing für die Frage noch nicht klar, ein Verti'ag, den
der König der Mitani im Anfang des XIV. Jhs. mit dem Chetiterkönig
abschloß und in welchem als Götter der Mitani Mitra, Varuna,
Indra und die Nasatya , d. h. die A9vin erschienen. Damals also
herrschten Inder oder Eranier, vielleicht noch ungetrennt, im oberen
Teil Mesopotamiens, sie konnten von den benachbarten Assyrern
Götter empfangen, und da von Kleinasien nach der Balkanhalb-
insel schon im zweiten Jahrtausend ein reger geistiger Austausch
nachweisbar ist (s. u. S. 45ff.), so gewinnt die früher nur als
Vermutung mögliche Meinung eine feste Grundlage, daß die allein
der Prüfung standhaltenden Übein Stimmungen zwischen griechisch-
römischen und indischen Götternamen Zeus , Juppiter und Dyäus
.,der leuchtende (Himmel)'', Dioskuroi und Divas napätä „die Söhne
des leuchtenden (Himmels)", deus und devas „der leuchtende (Gott)"
nicht aus gemeinsamer Religion der Indogermanen, sondern daraus
zu erklären seien , daß die Inder diese Gottesnamen direkt , die
Griechen und die von ihnen abhängigen Römer mittelbar aus dem
assyrischen Pantheon entlehnten , in dem der Himmel als Vater
der himmlischen Zwillinge und die leuchtenden Sterne als Götter
gelten. Nachdem bereits früher assyrische und andere semitische
Dioskuren nachgewiesen wsxen {0. Bd. CXXXVII 5?), ist jetzt der
Kreis geschlossen und für diese letzten als indogermanisch geltenden
Götter nicht bloß die Möglichkeit, sondern eine hohe Wahrscheinlich-
keit gewonnen, daß sie einem nicht indogermanischen Volke ent-
lehnt sind.
c) Die Herleitung griechischer Kulte und Mythen
aus vorderasiatischen.
Während die indogermanische Urreligion von einer zwar jetrt
wieder etwas wachsenden , aber immer noch kleinen Zahl von
Forschern angenommen wird, erfreut sich die lange fast aufgegebene
Ansicht, daß die älteste griechische Kultur mit der westasiatischen,
auch der semitischen, näher zusammenhärge, zahlreicherer Anhänger.
Allerdings behauptet Farn eil, Greece and Babylon, a Comparative
Sketch of Mesopotamian, Anatolian and Hellenic Religion, Edinb.,
42 Herleitung griechischer Kulte aus vorderasiatischen.
1911, S. 46 ff., daß die vorgriechische, d. h. krotisch-mykenische
Kultur Griechenlands, die kleinasiatische und die assyrische zwar
morphologisch verwandt seien , sich aber in anderer Beziehung,
z. B. durch das Fehlen selbsterniedrigender Bußen bei den Griechen
unterschieden (190 ff.). Allein ein derartiger Unterschied würde,
falls er bestände, höchstens für die Beurteilung des Volkschai'akters
wichtig sein, für die Frage nach dem Zusammenhange zweier
Religionen ist er jedenfalls bedeutungslos. Übrigens finden sich
auch im späteren Griechenland, wenngleich nicht in so entwürdigender
Weise, Reste demütigender Bußübungen, und es läßt sich annehmen,
daß sie im vorgeschichtlichen Griechenland weit öfter geübt wurden
und drückender waren. Daß die Übertragung einer Vorstellung
von Volk zu Volk nur dann angenommen werden dürfe , wenn
auch zahlreiche andere Übereinstimmungen zwischen beiden Völkern
sich finden , an denen kein anderes Volk teilnimmt , ist eine zu
weitgehende Behauptung Farnells (37 ff.), weil ein großer Teil der
religiösen Ideen und Gebräuche allen alten Kulturvölkern gemein-
sam ist; übrigens finden sich innerhalb des ganzen Kulturgebietes
Teile, in denen die Griechen den kleinasiatischen Völkern, andere,
in denen sie den Semiten, wieder andere, in denen sie den Ägyptern
näher stehen, so daß die von Farneil verworfene Ansicht sogar
vor seinen eigenen übertriebenen Forderungen besteht. Seine
"Warnung hat daher auch nicht viel Eindruck gemacht, zumal die
Erschließung der vorgeschichtlichen Kulturen Südeuropas einen,
freilich von dem früher eingeschlagenen abführenden Weg zeigt, auf
dem man zu einer Erklärung für die Übereinstimmung griechischer und
semitischer Mythen und Kulte gelangen kann. -^ Was im XVII. Jh.
so beliebt war, die Zusammenstellung griechischer Mj-then und
biblischer Berichte, wird jetzt nur noch von einigen Eigenbrödlern
versucht. Fourriere leitet auf dem Oxforder Kongreß (Transact.
of the 3. Intern. Congr. Eist. Rel. II, 183) den Sonnendieust von
Kreta, Lakonien unJ Arkadien von ausgewanderten Daniten her,
die ihren Sonnenba'al mit dem goldenen Kalb verschmolzen und die
auch, wie Fourriere in Leiden (Act. IV Congr. hist. rel. 126 f.) be-
weisen wollte , einen Quell der Akropolis nach einem heimischen
'Ain Ba'al, d. h. „Quelle des Ba'al", des durch Zeus später in die
Grotte zurückgedrängten Apollon , nannten; Haury verfaßt eine
Schrift „Über die Herkunft der Kabiren und über Flinwanderung
aas Palästina und Böotien'", München 1908 und eine andere „Das
Eleusische Fest ursprünglich identisch mit dem Laubhüttenfest der
Juden", München, 1914; in der letzteren Arbeit deutet er u. a.
Annahme phoinikischer Bestandteile in der griechischen Religion. 43
(S. 14) lobakchos als Jahwe Bokek, „Jahwe ist der sich sehr
Ausdehnende" oder „der üppig Si)rießeude". Haury folgert übrigens
aus Apollon Tltioog, den er dem Ptah, und aus Orion, den er dem
Horos gleichsetzt, daß auch Ägypter sich in Boiotien nieder-
ließen. An ägyptischen Einfluß auf Argolis und Eleusis glaubt wie
in früheren Schriften P. Foucart, Les mysteres d'Eleusis, Par.
1914, S. 1 ff . Aber auch diese Vermutungen haben wenig An-
klang gefanden. Dagegen hat Berards Ansicht, daß sich namhafte
Reste der Phoiniker in der vom griechischen Epos geschilderten
Zeit auf den Mittelmeerinseln erhalten hatten, noch immer nicht
ganz wenige Vertreter. Ph. Campanet, Pheniciens et Grecs
d'apres l'Odyssee, Etüde geographique et sociale, par une methode
nouvelle, Paris 1906 (s. dagegen Terzaghi, Atena e Roma, 1907,
98 ff.; vgl. auch A. J. Reinach, Rev. et. gr. XIX, 1906, 323 ff.;
Brugnola ebd., 1908, 84 ff.), hält z.B. die Phaiaken, „die Schwarzen",
für Semiten, die sich auf Scheria (phoin. die „Schwarze") oder Ischia,
d. h. Iscla, I-schra „schwarze Insel" bei Kyme (phoin. „die Hohe")
niedergelassen hatten. Beifall hat er u. a. bei Hennings, Neue
.Jbb. XXV, 1910, 296 ff. gefunden. — M. Kraus, Class.Rev., 1908, 17
hält Aphaia (ins"') für die phoinikische Entsprechung von /.aXliaTr.
Mit ausführlicher Begründung hat Aß mann (Zur Vorgeschichte
von Kreta, Philol. , 1908, 161 ff.) Phoiniker oder, wie er jetzt
vorsichtiger sagt (164), Semiten als Träger der mykenisch-kretischen
Kultur erweisen wollen. Er stützt sich erstens auf die Einrichtungen
namentlich des Kultus, die er teils aus altkretischen Darstellungen
(191), teils aber aus ihrem Bestehen im geschichtlichen Gi'iechen-
land erschließt , zweitens auf zahlreiche m3^thische Namen der
Griechen, z. B. Kastalios (kassat eli „Bogenschütze meines Gottes"),
Akakallis (Chakak el, „Gott hat festgestellt"), Python („Schlange"),
Atjonnios („der Verborgene"), Rheia („die Geliebte"), die er aus
dem Phoinikischen erklärt. — Eis 1er, Philo!. LXVIII, 1909,
118 ff. ; 161 will enge Beziehungen zwischen der kleinasiatischen
Mischkultur und der westsemitischen, auch der arabischen Kultur
nachweisen. — Phoinikischen Einfluß auf die Demophonlegende bei
Hom. vi.iv. V erkennt Sourdille, Rev. et. anc. XIV, 1912,
275 an. Gegen die Unterschätzung des Einflusses semitischer
Kultur auf Griechenland, wie sie in Reaktion gegen die lange Über-
spannung dieser Erklärung altgriechischer Kunstformen schon bei
Furtwängler, dann besonders bei Evans und auch bei M. J. Lagrange,
La Crete ancienne, Paris 1908, herrscht, wendet sich Fr. Poulsen,
Der Orient und die frühgriechische Kunst, Leipz. 1912. Von
44 Annahme phoinikischer Bestandteile in der griechischen Religion.
relif^iüsou Übereinstiniinungen betont er die Göttin , welche die
Brüste hält, die Tauben-, Schlangen-, Löwen- und Blumeugöttin,
und schließt, daß schon die minoische Kunst durch Phoiniker be-
einflußt war, die aber selbst durch Chotiter Anregung erfahren hatten.
S. dagegen A. Rein ach, Rev. et. anc. XV, 1913, 206. — Daß
trotz des Einspruches berufener Forscher die Vermutung immer
wieder geäußert wii-d, an dem vorauszusetzenden Einströmen fremder
Bestandteile in die griechische Religion habe Phönizien einen er-
heblichen Anteil, ist bis zu einem gewissen Grad natürlich. Homer
kennt die Phoiniker im Agäischen Meer als Kaufleute, die griechische
Sage läßt Phoiniker früh in Griechenland und selbst im Westbecken
des Mittelmeers Städte gründen, endlich gibt es einige griechische
Namen, deren phoinikischer Ursprung sehr wahrscheinlich ist. In
Wahrheit führt keiner dieser Gründe sicher über das 7. Jh.,
d. h. über eine Zeit hinaus , in der die wichtigsten griechischen
Sagen bereits gebildet waren. Zwar läßt der Name Kadmos, der
in Ostboiotieu und Kleinasieu erscheint und daher vermutlich wie
die meisten diesen Landschaften gemeinsamen Namen uralt ist, der
auch nicht, wie zuletzt Ziel in ski, Arch. f. Religionsw. IX, 1906,
57 vorschlägt, zu ■A.oai.iog (nach Brugmann, Indogerm. Forsch.
1911, '3bS&- =*y.6QTioi^og) zu stellen ist, vielleicht eine phoini-
kische Etymologie zu; doch wird diese in neuerer Zeit bestritten,
und selbst wenn sie richtig ist, könnte eine nachträgliche An-
gleichung erfolgt sein oder es könnte ein der vorgi-iechischen Be-
völkerung Griechenlands und Kleinasiens angehöriger Name aus
einer anderen semitischen Sprache entlehnt sein. Nun hat freilich,
auch abgesehen vom Namen, die Überlieferung, die Kadmos zum
Phoiniker macht, eine gewisse Bedeutung, aber die Stammtafel,
die ihn Sohn des Agenor nannte, braucht nicht älter zu sein, als
die argivisch-rhodische Kolonisation am Rande des östlichen Mittel-
meerbeckens : hatten deren Begründer ihi-en Perseus von Belos
abstammen lassen, so folgte daraus, daß auch Agenor, der Ahn der
den Argivern feindlichen Thebaner, welche die Sage von Thebens
Eroberung zu Verwandten der Perseiden machte, Phoiniker wurde.
Auch diese Sage führt also nicht über das 7- Jh. hinaus. In die-
selbe Zeit fällt die zeitweihge Ausgleichung des t\Tischen Stadt-
gottes mit dem Agonalgott am Isthmion (R. E., 3. Suppl. 98-3, 66)
und mit dem Herakles und Kronos von Olympia (ebd. 1107, 50 ff.);
nicht älter braucht auch der gi-iechische Adoniskult zu sein. Unter
diesen Umständen ist die Zurückhaltung, welche die meisten neueren
Forscher gegenüber der Annahme sehr alter phoinikischer Bestand-
Hypothesen über „ Vorgriechisches" in der griechischen Religion. 45
teile in der griechischen Religion äußern, so lange gerechtfertigt,
als nicht wenigstens einige sicher nachgewiesen sind.
d) Die Religion der vorhellenischen Bewohner
Griechenlands
muß als Ausgangspunkt griechischer religiöser Vorstellungen um
so mehr betrachtet werden, je mehr sich die Wahrscheinlichkeit
mindert, daß die Griechen aus der proethnischen Zeit eine Religion
mitbrachten oder eine solche von Phoinikern empfingen. Es kommt
hinzu, daß die Kluft, die früher zwischen der „ägäischen" und der
griechischen Kultur Griechenlands angenommen wurde , sich all-
mählich ausfüllt. Es liegt kein Grund vor, die aus dem Griechischen
nicht deutbaren mythischen Namen anders zu beurteilen als die
z. T. mit ihnen übereinstimmenden, eng verbundenen oder von
ihnen abhängigen Ortsnamen , die , wenn sie nicht griechisch sind,
allgemein — natürlich unter Zugeständnis einzelner Ausnahmen —
der ägäischen Kultur zugeschrieben werden. Wahrscheinlich wurde
vorgriechische Sprache im geschichtlichen Griechenland weit länger
gesprochen , als noch vor kurzem angenommen wurde. Es ist
bedenklich, den Diskos von Phaistos , der wahrscheinlich, und
mit Pettazzoni. Rendiconti RAL Vxvii, 4908, 652 die In-
schi'ift von Lemnos , die sicher ungriechisch ist, als Weihungen
von Fremden zu beti'achten (s. dagegen K. Fr. W. Schmidt,
ßerl. Phil. Wochenschr. XXXI, 1911, 1265). Homers Eteokretes
(Od. r 176) werden jetzt fast allgemein als „Vorgriechen" ge-
deutet. Daß die in Mykenai und auf Kreta zutage getretene
Kultur nicht griechisch ist, wird jetzt nur noch von wenigen wie
T. W. Allen, Class. Rev. XXV, 1911, 233 ff. bezweifelt:
0. Schrader, Festschr. der Schles. Ges. f. Volksk. (Mitteilungen
XIII/XIV, 1911), 465, der dies aus m. E. nicht überzeugenden,
dem homerischen Sprachgebrauch entlehnten Gründen tut, gibt
wenigstens zu (476), daß die griechische Bevölkerung der myke-
uischen Zeit unter die Herrschaft von kleinasiatischen Fürsten-
geschlechtern gekommen war. Man hat sogar Darstellungen von
Griechen , die aber von der eigenthchen minoischen Bevölkerung
deutlich, z. B. durch Schnurrbarte unterschieden sind, finden wollen
(Dussaud, Les civihs. prehellen. dans le bassin de la mer Egee,
Par. 1910, 289). Im Kult scheinen Reste der älteren Sprache sehr
lange in Gebrauch gewesen zu sein, wie v. Wilamowitz, IL und
Homer 450 ff. aus den Gesängen der Deliades (Hom. \(xv. 1 158),
der Geschichte von dem Karer Mys am Ptoon (Herod. VIII 135)
4(5 Annahme von Resten vorgriechischer Kulte in den griechischen.
usw. folgert , die in der Tat ähulich wie die milesische liturgische
Formel bei Klem. arg. X 8, 48, 4, die ^Ecptoia ygäf-iiiaza und die
:ra?Mic( öidleyiiog in den samotbrakischen Mysterien (Diod. V 47)
aufgefaßt werden zu müssen scheint. In alten M3'sterien scheinen
überhaupt Reste der unterjochten Bevölkerung erhalten zu sein ;
so erklärt es sich, daß manche Mysterien, z. B. die eleusinischen^
die sonst sich streng absonderten, nach der politischen Zugehörig
keit der Aufzunehmenden nicht fragten, sondern auch Sklaven weihen
ließen , wenn sonst die Bedingungen erfüllt waren. Der Name
i^laoog selbst hat bisher (Boisacq, Dict. etym. ^54 5) eine be-
friedigende Ableitung nicht gefunden und ist wahrscheinlich vor-
griechisch. An manchen Festen feierten die Sklaven und wurden
bisweilen von den HeiTen bedient (vgl. Malten, Herrn. LIII, 1918,
151 ff.); W. R. Halliday, Ann. Br. Seh. Ath. XVI, 1909/10,
216 ff. faßt sie als rites de passages und meint, daß der Beginn
einer neuen Zeit angenommen worden sei , der durch eine Um-
kehrung der natürlichen Verhältnisse gefeiert werden müsse. Auch
andere, humanere Gründe könnten die Sitte, die ja auch an ein-
zelnen Stellen des Orients (Athen. XIV 44, 639'») bezeugt ist, be-
gründet oder wenigstens befestigt haben ; aber da es gerade Kronos,
der aus andern Gründen als vorgriechisch zu erschließende Gott
von Olympia, ist, dem solche Feste gelten, scheint die Sitte aus
der Tendenz entstanden, den verknechteten Urbewohnern wenigstens
die Feier ihrer alten Feste zu gestatten. Wie bei den Mysterien
zeigt sich hier, daß die Hellenen nachträglich an den feierlichen
Begehungen ihrer Sklaven teilgenommen haben , daß also die von
ihnen vorgefundene höhere Kultur nicht bloß bei der Einwanderung
z. T. übernommen wurde, sondern auch später noch auf sie ein-
w^irkte. Die Griechen haben diese unter ihnen z. T. noch fort-
lebende Urbevölkerung Pelasger genannt, die Bezeichnung dann
freilich auf andere Völker übertragen , daran weitere Vermutungen
geknüpft, die trotz E. Fischer, Zs. f. Ethnologie XL VI 49 ff.
(bes. 57) z. T. irrig sind, und so den Namen in Mißkredit gebracht.
Er ist eigentlich auch jetzt noch der geeignetste-, wer ihn auf die
Träger der mykenischen oder kretischen oder, wie man sie jetzt
zusammenfassend nennt, der ägäischen Kultur anwendet, muß sich
aber bewußt sein, daß er damit eine — wenn auch wahrscheinliche —
Voraussetzung macht.
Die Erkenntnis , daß die Urbevölkerung einen starken Einfluß
auf die Kulte der einwandernden Hellenen ausübte, macht zwar
viele künstliche Ableitungen griechischer Götter- und Heroennamen
J
Annahme von Resten vorgriech. Religion in der griechischen. 47
von griechischen Wörtern überfüssig und schafft freie Bahn für
deren Verständnis, bringt dies aber nicht selbst, da die prähelle-
nische Religion bisher sehr wenig bekannt ist. Die Versuche einer
zusammenfassenden Darstellung und die meisten Vermutungen über
einzelne Punkte, z. B. die von Evans auf dem Oxforder Kongreß
geäußerten (Trausact. 3. Intern. Congr. Hist. Relig. II 195 if.), gehen
von den erhaltenen Denkmälern , z. B. dem Sarkophag von Hagia
Triada (Paribeni, Mon. ant. RAL 1908, 1 ff . ; vgl. Pestalozza,
Rendic. Reale Inst. Lomb. IIxlit, 1909, 744) und dem eben dort
gefundeneu Vasenbruchstück aus , auf dem Dechelette, Com])t.
rend. AIBL 1912, 91 ff. einen Opferzug erkennen wollte, der aber
nach P. Girard, ebd. 97 f. , überhaupt keine religiöse Handlung
darstellt; wie diese sind jedoch solche bildliche Darstellungen meist
mehrdeutig, sie erhellen das Dunkel der griechischen Vorstellungen
nicht, sondern müssen von diesen beleuchtet werden. Wären genügend
viele Wörter aus der Sprache der vorgriechischen Bevölkerung bekannt
und die aus ihr entnommenen Namen des griechischen Mythos
deutbar, so wären die Aussichten, aus der Religion der Urbewohner
Aufschlüsse über die griechische zu erhalten, günstiger. Aber davon
sind wir noch weit entfernt, da die vorgriechische Sprache nicht
bekannt ist. Zwar kennen wir eine ziemlich große Zahl altgriechi-
scher Wörter, die nicht indogermanisch und nicht semitisch, also
wenigstens z. T. wahrscheinlich aus der Sprache älterer Bewohner
entlehnt sind. Es sind auch mehrere Glossare dieser Wörter auf-
gestellt, Densusian, dessen Dacia preistorica, Bukarest 1913, 1070ff.
ich jedoch nur aus Fischer, Anthrop. IX, 1914, 776 kenne, scheint
die minoischen Kreter (779) für Indogermanen zu halten; wenigstens
verzeichnet Fischer, wahrscheinlich im Anschluß an Densusian,
nebeneinander kretische, thrakische, pannonische, etruskische, phry-
gische, libysche und skythische Wörter. In Wahrheit herrscht über
das Volkstum der vorgriechischen Bevölkerung weder Sicherheit
noch Übereinstimmung der Meinungen; vgl. die ausführlichen Dar-
legungen von V. Luschan, Zs. f. Ethnologie XLV, 1918, 307 ff.
Der aus der Form mancher Ornamente gefolgerte Zusammenhang
der mittel europäischen (R. v. Lichtenberg, Mitt. der
Vorderasiat. Ges. X 2, 1906, XVI 2, 1911, der die Ägäer für Indo-
germanen hält; S. Reinach, Cultes mythes , relig. III 439, der
annimmt, daß im 16. Jahi'h. v. Chr. infolge einer Volks- und Kultur-
wanderung Elemente aus dem nordwestlichen Europa mit solchen,
die aus Assyrien und Babylon stammten, zusammengestoßen seien)
oder wenigstens der altserbischen Kultur mit der „ägäischen", zum
4g Vermutungen über vorgriechische Kulte.
mindesten der alttbessalischen wird von T. E. P e e t , A. J. B. Wace,
M. S. Thompson, Class. Rev. XXII, 1908, 233 ff. bestritten;
doch folgert auch K. Peuka, „Die vorgi-iechische Bevölkerung
Griechenlands" (Beitr. zur Rassenk. IX) 1911 aus geographischen
Namen und aus archäologischen Funden, daß die „Ägäer" ThraJicr
waren , die sich bis nach Philistaia , Lykien , Kreta und Süd-
italien ausdehnten. Die Angaben der Griechen über thrakische Ele-
mente in boiotischen Kulten, in Delphoi und in Eleusis glaubt
Calderon in einem Vortrag auf dem Leidener Kongreß (Actes IV
Congr. intern, bist. rel. 127 ff.) durch den Nachweis ähnhcher Ge-
bräuche von Slaven stützen zu können, denen, wie er meint, die
Thraker nächst verwandt waren. Die Mehrzahl der neueren Forscher
entscheidet sich für den nichtindogermanischen Ursprung der ältesten
Bevölkerung Griechenlands. Als ursemitisch will sie z. B.
K. Schmidt, Zs. f. Missionsk. XXVI, 1911, 9 ff., 97 ff., 129 ff.,
als afrikanisch J. Gase, Class. Rev. XXII, 1908, 78 f. er-
weisen. Lagrange, La Crete ancienne , Paris 1908 hebt die
Übereinstimmung der altkretischen Kultur mit der el amitischen
hervor, die sich z. B. in der Verwendung der gleichen Sinnbilder, des
Kj-euzes, der Doppelaxt, des Öwastikazeichens, der drei an der Kult-
stätte verbundenen Baumstümpfe, in der religiösen Bedeutung des
Stieres, sowie (98) in dem Typus der nackten, nicht wie bei den Semiten
die Brüste pressenden , sondern die Arme rechtwinklig unterhalb
der Brüste biegenden Göttin zeige. S. dagegen A. J. Rein ach,
Rev, et. d'ethn. et de soc. I, 1908, 298 f. Diese Vermutungen
beruhen auf der Voraussetzung, daß sich die ethnische Zugehörig-
keit mit der Kulturgemeinschaft decken müsse : aber diese An-
nahme ist unbeweisbar und in diesem Fall schon deshalb wertlos,
weil sie mit gleichem Recht entgegengesetzte Folgerungen gestattet.
Besser steht es mit der Vermutung, daß die Träger der minoischen
Kultur der ältesten Bevölkerung AT/ c/«« 5« ew.<J verwandt gewesen
seien, die man jetzt meist einer besonderen Völkerfamilie, der „kauka-
sischen", wie V. Luschan sie nennt, zuweist; für sie spricht
nicht nur die besonders nahe Verwandtschaft der Kunst, wenigstens
des südlichen Kleinasiens, und der Religion (vgl. E. Meyer, Reich
und Kultur d. Chet. 3), sondern auch, was auf sprachliche Zusammen-
gehörigkeit schließen läßt, die zuletzt von Fick, Vorgriechische
Ortsnamen, Gott. 1905 hervorgehobene, weitgehende Übereinstimmung
in der Bildung der Ortsnamen. So kommen denn die meisten
heutigen Forscher darin überein, daß die vorhellenischen Bewohner
der ßalkanhalbinsel und Kleinasiens , wenn auch vielleicht früh
Vermutungen über vorgriechische Kulte. 49
dififerenziert (Aly, Philol. LXXI, 1911, 474A.), so doch urver-
wandt waren. Aber die Bevölkerung dieses war walirscheinlich schon
im zweiten Jahrtausend nicht einheitlich, und welcher der Nationen,
die vor oder nebeneinander in der Levante herrschten , das A'olk
angehörte oder verwandt war, das die „ägäische" Kultur geschaffen
hat, ist wieder strittig. Da die Blüte der chetitischen Kultur etwas
später fällt, als- die der kinetischen, folgert Leo n ha r dt, Chetiter
und Amazonen, Berl. 1911 , daß diese einem älteren kleiuasiatischen
Volk angehöre , obwohl er aus den in Wahrheit geschichtlich und
ethnographisch wertlosen Übei'lieferungen über Amazonen in Griechen-
land schließt, daß auch die Chetiter, die Träger der Amazonen-
sage , wie er meint , über das Agäische Meer vorgedrungen seien.
Aber gerade mit den Chetitern berühren sich die Träger der mi-
noischen Kultur; auch bei jenen hat das gewöhnlich als Doppelaxt
auftretende Beil, das Leonhardt selbst geradezu als Nationalwaffe
der Chetiter erkläi-t, religiöse Bedeutung (Ed. Meyer, Reich und
Kultur der Chetiter, Berl. 1914, S, 92). Zwar findet es sich auch
bei den Mitani und in Babylon (Ed. Meyer a. a. 0. G7, Abb. 56
und 57) , und es ist daher von ihm ebensowenig wie von dem auf
dem Tier stehenden Gott (Ed. Meyer a. a. 0. 159) auszumachen,
ob es ursprünglich den Chetitern oder den Babylonieru augehört-,
aber schwerlich dürfen Völker , die ein so bezeichnendes Gerät
gemeinsam als religiöses Symbol besitzen, in einen derartigen Gegen-
satz gebracht werden, wie es Leonhardt tut. — Als weitere
Übereinstimmungen der altkretischen und der chetitischen Kultur
werden bezeichnet (Prinz, Ath. Mitt. XXXV, 1910, 149 ff.;
Fr. Poulsen, Der Orient und die frühgriechische Kunst, Leipz.-
Berl. 1912, 74), die Göttin, die ihre Brüste faßt, und die Göttinnen
mit Taube, Schlange, Löwen. Deshalb ist es begreiflich, daß
J. Harrison, die darüber ein besonderes Buch ankündigt, Fick
und jetzt besonders Ed. Meyer (a. a. 0. an vielen Stellen; vgl.
Gesch. d. Altert. I^ 2 S. 623 ff. u. ö.) die vorhellenische Bevölkerung
Griechenlands für chetitisch oder wenigstens für den Chetitern ver-
wandt halten. Es fragt sich, ob nicht die Chetiter, wofür gewisse
in den Ortsnamen sich zeigende Spracherscheinungen und auch
einige allen Kleinasiaten und auch den Chetitern gemeinsame Götter-
namen wie Tarku oder Troko (Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. 1^ 2, 95;
Reich und Kult, der Chetiter 96 ; 134) zu sprechen scheinen, der
älteste mit den Mitteln der Geschichte erreichbare Volksstamm
Kleinasiens und der Balkanhaibinsel waren. — Zweifelhaft ist, ob
an der minoischen Kultur auch Phryger teilnahmen. Allerdings hat
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bil. 18(i (Supplementband). 4
50 Vermutlangen über vorgriechische Kultß.
lue phry^ische Göttermutter an griechischen Erdgöttinneu eine
Entsprechung, aber ebenso wie die Griechen können die Phiyger
sie von älteren Bewohnern übernommen haben. Eine sicher thra
kisch - phrvgische Form der Erdgöttiu ist , wie der Name zeigt,
Semele , auch ihr Sohn Dionysos gehört wahrscheinlich demselben
Volk an ; allein vielleicht haben die Griechen beide Gottheiten nicht;
aus der ägäischen Kultur übernommen, sondern später im geistigen
Austausch von Land zu Land kennengelernt. Bedeutsam ist, daß
die ältesten Hellenen und wahrscheinlich schon ihre Vorgänger den
neben der Erdgöttiu als deren Gatte stehenden Himmelsgott nur
als Vater kannten , der er nach Ausweis der Namen Attis und
Papas wahrscheinlich anfangs auch in Kleinasien gewesen war, nicht
als jugendlichen Geliebten der Göttin; aber so wenig wie eine
andere religionsgeschichtlich zu erschließende Tatsache kann bisher
diese mit einem Ergebnis der kleinasiatischen Ethnographie oder
Linguistik erkenntnisfördernd verbunden werden. Der Name Bere-
kynth, der in dem des kretischen Berges Berekynthos (Diod. V 64)
wiederkehrt, und der vielfach (z. B. von Ed. Meyer, Gesch. d.
Altert. I^ii S. 648 A.) auf Grund von Hesych. Bgexw zu dem der
Phryger oder Br3'ger gestellt wird, hat vielleicht mit diesem sprach-
lich nichts zu tun, kann wenigstens auf diese oder einen ihrer
Stämme übertragen sein, weil sie in einer nach der Göttin Berekyntia
genannten Landschaft wohnten. Die Endung spricht für nichtphry-
gischen Ursprung des Namens, Ed. Meyer selbst bestreitet Sitz-
ber. BAW 1908, 18, daß das erst im Anfang des 12. Jhs., wie er
meint, eingewanderte Volk der Phryger bei der Entstehung der
ältesten Kultur Kretas beteiligt gewesen sei. — Wohl weil die
Gründe ihm etwa gleich stark ei'schienen, die für ein indogerma-
nisches, aus Norden zugewandertes, und die, welche für ein nicht
indogermanisches, kleinasiatisches Volk als älteste Bevölkerung der
Balkanhalbinsel sprechen, kam A. Fick, Hattiden und Danubier
in Griechenland, Weitere Forschungen zu den vorgriechischen Orts-
namen, Göttingen 1909, auf den Gedanken, daß vor den Griechen
zwei verschiedene Völkerschichten zu unterscheiden seien , die
Hattiden, Verwandte der nicht indogermanischen Chetiter, das
Volk, das die Griechen Pelasger oder (46) P'elagoner nannte und
die Fick nach B 0 c k , Orient. L.Z. XV, 1912, 263 besser „Kaukasier"
{o. S. 48) genannt hätte, und die Danubier, eine zur yatem-Gruppe
der Indogermanen gehörige Völkerfamilie , die im Nordwesten der
Balkanhalbinsel sich als Illyrier, im Nordosten als Thraker gehalten
hat. S. 39 ff. wird versucht , an den Mythen , Sagen und Kulten
4
Vermutungen über vorgriechisclie Kulte. 51
der vorgriechischen Bevölkerung diese Sonderung durchzuführen,
die , indem sie zwischen die Chetiter und die Hellenen die Ein-
wanderung eines nördlichen Stammes setzt, die stärksten Beweise
für das Fortleben einer den Kleinasiaten verwandten Urbevölkerung
im geschichtlichen Griechenland beseitigt.
Wegen ihrer unmittelbaren Bedeutung für die griechische Sagen-
kunde müssen in diesem Zusammenhang einige Untersuchungen er-
wähnt werden, die, z. T. allerdings nur nebenbei, das Verhältnis der
iigäischen Kultur zu den Philistern und zu den Etruskern behandeln.
Die zahlreichen, aus dem späteren Altertum stammenden Angaben
über die kretische Herkunft des Marnaskultus von Gaza und andere
Überlieferungen über kretische Zuwanderungen in Philistaia
würden ebenso wie andere derartige Wanderungssagen verworfen
werden müssen, wenn sie nicht durch ägyptische und hebräische
Zeugnisse, durch einzelne Übereinstimmungen der archäologischen
Funde, endlich durch die Kulte selbst und durch die sich an sie
knüpfende Überlieferung bestätigt zu werden schienen. Freilich
sind von den letzteren gerade die am meisten in die Augen fallenden
und hauptsächlich geltend gemachten nachträglich mit Benutzung
zufälliger Namensanklänge geschaffen worden, Gaza heißt Minoa
nicht nach Minos, sondern führt einen einheimischen Namen Manoah,
aus welchem die jüdische Legende, als sie den wahrscheinlich in
Gaza verehrten Gott oder Heros Simson zu einem Hebräerhelden
machte , den Namen von dessen Vater (unter Gleichsetzung mit
den Eponymen der Manahiter? S. Ed. Meyer, Isr. u. seine
Nachbarstämme 340 , 528) schöpfte. Solche Erweiterungen der
Überlieferung sind ganz natürlich und drücken deren Glaubwürdig-
keit nicht herab, wenn sie anderweitig so bestätigt wird wie hier;
vgl. Lagrange, Eh. Mus. LV, 1910, 20uff.; Ed. Meyer,
Sitzungsb. BAW, 1909, 1024. — Hill, Journ. Hell. Stud. XXXI,
1911, 63 f. (T. IV 32, 34) weist auf Münzen von Ake Ptolemais
hin , auf denen zwischen Stieren oder Bukranien ein Gott mit
Doppelaxt (?) und Harpe in den Händen erscheine, und in den Proc.
Brit. Acad., 1911/12, 426 erinnert er daran, daß Marnas sich zu
ki'etisch marna, Mädchen, verhalten könne wie -AOiQog zu -/.cga.
Sind diese und andere, z. T. schon früher geltend gemachten Ent-
sprechungen nicht trügerisch , so muß wohl die kietische Ur-
bevölkerung, die Kefti, wie sie auf den ägyptischen Denkmälern zu
heißen scheint, und die ihnen wohl trotz Wiedemann, Wochenschr.
f. klass. Phü., 1910, 118 gleichzusetzenden Kaftor der Hebräer, durch
die dorische Wanderung nach Philistaia gedrängt sein, wie Furt-
52 Vermutungen über vorgriechieche Kulte.
wüngler, Ant. Gemmen III 23 ff., 66 n. ö. ; Stäheliu, Berl.
PhU. Wochenschr. XXIX, 1909, 597-, Betbe, Rh. M. LV, 1910,
200 ff. annehmen. Diese Vermutung wird von Wain wrigt , Auu.
of Arcbaeol. and Anthropol., Univ. of Liverpool VI, 1914, 24 mit
der von dem Ideinasiatischen Ursjjrung der „ägäiscben" Kultur
durch die weitere Annahme verbunden, daß die Kreter (Kreti) zu
dem Seebund der Peleti (ägj-pt. Pulosatu , Philister) gehörten , die
ihren Hauptsitz in Kaftor, d. h. wahrscheinlich in Kleinasien hatten
und von hier aus sich nach der palästinischen Küste verbreiteten.
Älmlich lu'teilt P. Stähelin in einem 1917 zu Basel in der
Historischen und antiquarischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag
(Die Philister, Basel 1918), in dem er annimmt, daß die nicht
semitischen, wahrscheinlich kleinasiatischen Philister die altminoische
Kultur in Kreta, wo ihr ältestes Denkmal der Diskos von Phaistos
sein soll, zerstörten und in Philistaia, wo sie semitische Kultur
annahmen, einen Fünfstädtebund gründeten. Durch die Annahme
dieser Doppelwanderuug würde sich auch erklären, daß dem kretischen
Minos und dem sich in Griechenland und auf den Inseln mehrfach
findenden Minoa in Pisidien nach Fick, Vorgriech, Ortsnamen 27
Minassos entspricht und daß Gaza Minoa heißt. Alles dies paßt
schön zueinander, und die ganze Kombination würde als wahr-
scheinlich gelten können, wenn sich ein Weg aufzeigen ließe, auf
dem sich Erinnerungen an eine so fernliegende Vergangenheit bis
in die Kaiserzeit fortpflanzen konnte. — Wie mit den Philistern
bringt die gi'iechische Sage auch Sizilien und Vnteritalien mit
Minos oder anderen altkretischen Helden in Beziehung (vgl. Pais,
Stör. crit. di Roma I o06 ff., der an eine Übertragung in minoischer
Zeit nicht glaubt); und da die minoische Kultur der kleinasiatischen
nahe steht, könnten als Beweis für „ägäische" Ansiedlungen in
Italien auch die Sagen gelten, welche die Etrusker, die Turs-ci
den lydischen Tyrsenern gleichsetzten und kleinasiatische Helden
nach Italiens Westküste gelangen ließen. Einen geschichtlichen
Kern finden in den von Herodot erzählten Minossagen u. a. 0 r s i ,
Ausonia I, 1907, 12; Bethe, Rh. M. LV, 1910, 200 ff. (s. dagegen
Pareti, Stud. sie. ed ital., Contrib. alla sc. dell' ant. I, 1914, 267);
Byvanck, De Magnae Graec. bist, antiquissima, Diss. Leiden,
1912; über die große Anzahl von Arbeiten, die in den Etruskern
eine der vorgriechischen Bevölkerung der Balkanhalbinsel, auch den
Chetitem verwandte Nation sehen, berichtet A. Kannengießer,
Kilo VIII, 1908, 252, der selbst diese Ansicht teilt. Vgl. dessen
Schrift: Ist das Etruskische eine hetitische Sprache? Progr. Gelsen-
Vermutungen über vorgriechische Kulte. 53
kircheu, 1908, deren Ergebnis A. J. Rein ach, Rev. d'ethnogr.
et de soc. III, 1912, 78 f. billigt, während Bugge, Die etruskiache
Sprache, 1909, und seine noch immer nicht unbedeutende Gefolg-
schaft die Etrusker für Armenier, andere Forscher wie H. Cushing
Tolman, Proc. Am. Phil. Ass. XL, 1909, S. LXXXVIII f., der
itlaoi. ^eoi Inb TvQQi^nZv (Hesych.) zu alaa stellt, und F. Müller,
Mnemos. XLVJ, 1918, 152, der aisar mit 'tSQug verbindet, wenigstens
für Indogermanen halten. Dagegen stehen Modestov, Introduction
■A l'hist. romaine, traduite du russe par Delines, Paris 1907, 341 ff.
und Ducati, Atene e Roma, 1907, 243 den Überlieferungen über
die lydische Heimat der Etrusker gläubig gegenüber; und diese
Angaben werden, wie noch immer vielfach, z. B. von Poulsen,
Der Orient und die frühgriechische Kunst 116, angenommen wird,
bestätigt durch eine lemnische Inschrift in unbekannter Sprache,
die im Lautsystem und z. T. auch in der Wortbildung eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit dem Etruskischen hat; doch hält Fredrich,
Ath. Mitt. XXXI, 1906, 84 die lemnischen Tyrsenoi für thrakische
Sintier oder Saier, die zu Seeräubern geworden und deshalb „Turm-
männer" genannt seien, und in IG XII 8, S. 2 gibt er zwar ihren
kleinasiatischen Ursprung zu , hält sie aber für Phryger , die vor
den Kimmeriern flohen. Auch die archäologischen Funde soUen,
wie vielfach angenommen wird , für einen Zusammenhang der
kretisch-kleinasiatischen und der italischen Kultur sprechen. Wenn
V. Macchioro, Ausonia, 1912, 1 ff. aus den von ihm ver-
öffentlichten Denkmälern, namentlich des Museums von Pavia, mit
Recht folgert, daß in der altumbrischen Kultur das Bild der
ägyptischen alles befruchtenden Göttin bekannt war und von dort
in die etruskische Kunst gelangte, müssen wohl vorgriechische Be-
wohner Griechenlands die Vermittler gewesen sein. Altkretische
oder altmykenische Einflüsse in Unteritalien und Sizilien werden
von vielen Forschern angenommen, z. B. von A. Reinach, Neapolis,
1914, 244; Bethe a. a. 0.; Cook in einem Vortrag auf dem
Oxforder Kongreß (Transact. Intern. Congr. Eist. Rel. I 188) und
besonders von M. Mayer an mehreren Stellen seines gi'oßen
Werkes über Unteritalien. — Von den Denkmälern der religiösen
Kunst sind nach Anziani, Mel. Cagnat 26 ff. die ältesten etrus-
kischen Gräber den mykenischen ähnlich, und Brandenburg,
Rev. et. ethnol. et social. II, 1909, 321 ff. bezeichnet es als vor-
läufiges Ergebnis seiner Untersuchungen über mittelitahsche und klein-
asiatische Höhlenheiligtümer, daß der Typus im Osten entstanden und
von dort nach Italien übernommen sei. Er schreibt diese Art Heilig-
54 Vermutungen über vorgriechische Kulte.
tümer mit Felsarcbitektur (vgl. Zs. f. Ethnol. XLIV, 1912, 23 ff.) einer
Bevölkerung zu, die er mit v. Luschan, Zs. f. Authi-op. XLY,
1913, 399 als „armenoid'" bezeichnet. Weiter wird für die klein-
asiatische Heimat der Etrusker die Übereinstimmung ihrer Harus-
spizin mit der assyrischen (vgl. darüber Jastrows Vortrag auf
der 109. Versamml. der Amer. Or. Soc, DLZ XXVIII, 1907,
1566) angeführt, s. Kanne ngießer, Klio VIII, 1908, 258.
Doch ist diese wahrscheinlich weit später erst im 6. — 4. Jh.
nach dem Westen übergegangen , ebenso wie die Astrologie
und andere religiös-wissenschaftliche Einrichtungen; s. Ed. Meyer,
Papyrusf. aus Elephantine 127 f. — Aus dem bisher Bemerkten er-
gibt sich , wie unsicher noch die Entscheidung über die für die
Religionsgeschichte so wichtige, aber auch umgekehrt nur mit ihrer
Beihilfe zu beantwortende Frage nach der Herkunft und der ethno-
graphischen Stellung der „ägäischen" Bevölkerung ist. Außerdem
darf aber keineswegs vorausgesetzt werden, daß die Hellenen bei
ihrer Einwanderung überall das gleiche Volk vorfanden; dagegen
spricht die Verschiedenheit der Schriftsysteme, wie Ed. Meyer,
Sitzungsber. BAW 1909, 1028 hervorhebt, der allerdings die Möglich-
keit eines Importes für den phaistischen Diskos (gegen Pernier,
ßendiconti RAL Vxvii, 1908, S. 642 ff., aber mit della Seta,
ebd. V xviii, 1909, 297) zugibt. Auf Kreta unterscheidet Od. t
176 f. Pelasger und Eteokreter, die wahrscheinlich beide nicht
griechisch sind; das kann freilich auf politischer Sonderung, braucht
nicht auf nationaler Verschiedenheit zu beruhen. Aber wenn es
auch verschiedene Völker gewesen sein sollten, welche die Griechen
vorfanden, so müssen sie doch eine verwandte Kultur besessen haben,
und diese muß in weiterem Sinne auch mit der vorderasiatischen
und der ägyptischen verwandt gewesen sein, und zwar, was sich
aus dem Verhältnis der „Ägäer" zu den Chetitern und dieser zu
den Assyrern erwarten läßt, sich aber auch im einzelnen bestätigt,
mit jenen näher als mit diesen. Natürlich gab es wie in jedem großen
Kulturverband, so auch in diesem zahlreiche größere und kleinere
Kreise, die sich nicht immer deckten, sondern oft überschnitten;
aber soweit ist die Wissenschaft noch nicht, daß sie diese kleineren
Einheiten scharf unterscheiden oder auch nur das Maß ihrer
Differenzierung annähernd feststellen könnte. Selbst bo allgemeine
Sätze sind anfechtbar wie der von A. della Seta, Relig. e arte
figurata 98 ff. (vgl. Rendiconti RAL V xvii, 1908, 429 ff., 441)
aufgestellte, daß die mykenische Religion im Gegensatz gegen die
theriomorphe, materialistische und fetischistische der Ägypter und
Vermutungen über vorgriechische Kulte. 55
auch gegen die anthropomorphe spätere griechische ähnlich wie
die assyrische die unsichtbar gedachte Gottheit nur durch Symbole
verehrte.
e) Die Übergangszeit.
Wann und wie die später in Griechenland herrschenden indo-
germanischen Stämme in ihre geschichtlichen Wohnsitze gelant'ten,
ist strittig; aber, soweit die meist zurückhaltenden Äußerungen
ein Urteil gestatten, neigt die Mehrzahl der Forscher jetzt immer
mehr der Ansicht zu, daß sie etwa zu derselben Zeit wie die Phryger
in Kleinasien sich in Griechenland festsetzten, d. h. in den letzten
Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends. Ist dies richtig, so fäUt
ihre Einwanderung mit dem Untergang der vorgriechischeu Kultur
oder mit deren Überführung in eine zunächst niedere griechische
zusammen. Die Überlieferung meldet von Wanderungen mehrerer
griechischer Stämme, und die neuere Forschung bemüht sich, diese
Nachrichten durch das, was sich aus der Verbreitung der Dialekte,
der Ortsnamen und der Kulte erschließen läßt, zu bestätigen, zu
ergänzen und im einzelnen zu berichtigen; auch werden andere
Mythen von Wanderungen einzelner Heroen herangezogen, die als
Vertreter von Stämmen gelten sollen. Wohl am freiesten steht
der antiken Überlieferung Ridgewaj^ gegenüber, der in den
Anthropol. Essays presented to Tylor 1907 , 295 ff. , die teilweis
mißverstandenen Ideen seines Buches Early Age of Greece 287
ausführend , die Dorier nach den physischen Eigenschaften , der
Haartracht , dem Dialekt , den Sozialgebräucheu und der Toten-
bestattung für lUyrier und den Makedonern nahe verwandt hält. —
Gewöhnlich werden die Stämme und Sprachen Griechenlands in
zwei große Klassen eingeteilt: zuerst soll es von dem Stamm der
Achaier bewohnt gewesen sein , der sich in Nord- und Südachaier
sonderte (so Fick; s. u.) oder aus dem später loner und Aioler
hervorgingen und zu dem auch die Pelasger, d. h. Pelagskoi „Be-
wohner des Flachlandes" gehörten (Kretschmer, Glotta II 16 f.).
Dann soll von Norden her der Stamm der Dorier durch ganz
Griechenland gezogen sein und sich schließlich in der Peloponnes
festgesetzt haben. Indem zwei große Völkerzüge angenommen
wurden, die beide fast sämtliche Teile Griechenlands berührt haben
sollten und deren Mischung sich in der Sprache beliebig ausdrücken
konnte , war es natüi'lich nicht schwer , die mythische Stammes-
geschichte oder was dafür galt, durch den Befund der Dialekte
scheinbar zu beglaubigen. Außer vielen gelegentlich geäußerten
Vermutungen ist in dem Aufsatz „Dorer und Achaier" von R.Meister
5Ö Vermutungen über vorgriechische Kulte.
(Abb. SGW 1906, 1) der zusammenfassende Versuch gemacht, die über-
lieferten Stauimsagen auf dem Wege der Dialektforschung, dem einzigen,
der seiner Ansicht nach zum Ziele führen kann, zu prüfen. Allerdings
werden auch andere als sprachliche Tatsachen beigebracht, um die
von der mj'thischen Übei'lieferung geforderte Stammesverschieden-
heit der Könige und des Adels von Sparta und der herrschenden
und beherrschten Bevölkerungen in Lakonien und Argolis, mit
denen er sich haujitsächlich befaßt, zu beweisen, z. B. (S. 19) die
dauernden Reibungen zwischen dem Adel und den Königen in
Sparta ; allein der Nachdruck der Beweisführung liegt auf der
sprachlichen Seite. In Lakonien z. B, soll a bei den Spartiaten
zwischen zwei Vokalen durch h (z. B. ^llXevhvvia) wiedergegeben,
bei den Perioiken dagegen ebenso wie in Tarent und Herakleia
erhalten geblieben sein-, so lange das Heiligtum am Tainaron spar-
tanisch war, hieß der Gott nach Meister TIoliOLdäv-, nach der Los-
reißung der Perioiken trat die achaiische Namensform llooeiödv ein
(S. 8 Anm. 1). Ebenso soll das 0- der Perioiken in jüngeren spar-
tanischen Inschriften (X, das Z jener bei den Spartanern im Anlaut
J, im Inlaut dö ^ das S der Perioiken in Tarent und Sparta ß
lauten, dem eo und ea jener spartanisches lo und la entsprechen.
Diese und ähnliche Versuche werden mit Recht von Thumb, Neue
Jahrbb. XV 385 und Solmsen, Rh. M. LXII 335 zurückgewiesen.
Sie beruhen auf willkürlicher Zuweisung der überlieferten Sprach-
formen an die eine oder die andere Gruppe und wären gar nicht
aufgestellt worden, wenn nicht der Verfasser geglaubt hätte, in den
mythischen oder in geschichtlichem Gewände auftretenden Berichten
liege echte Geschichtsüberlieferung vor. — Eine doppelte griechische
Bevolkerungsschicht in der Peloponnes nimmt auch Malten,
Kj'rene, Berlin 1911, S. 112 ff. an. Er vermutet, daß Libyen zuerst
von der älteren besiedelt wurde, „zu der Zeit, als die von Norden
her erfolgenden Völkerschiebungen, zuletzt die Einfälle der Dorier,
die ältere Bevölkerung aus ihren alten Sitzen übers Meer drängten".
Eine Bestätigung findet auch er im Dialekt. Zu dieser ersten Be-
siedelung soll der von Akesandros (schol. Pind. Pyth. IV, 57) über-
lieferte Stammbaum gehören, nach dem Emypylos' Bruder Triton
Poseidons Sohn und Eurypylos' Gattin Sterope Helios' Tochter
war. Gewiß knüpft diese Stammtafel an die Legenden des Tainaron
an, und die Fassung der Sage bei Pindar ist eine jüngere Version,
durch welche die ältere zugleich erklärt und widerlegt werden soll ;
aber daraus ergibt sich nur , daß ein Dichter — wahrscheinlich
nicht lange vor Pindar, der ihm folgt — den Ahnherrn der Battiaden
Vermutungen ttber Wanderungen griechischer Stämme. 57
Euphamos dem alten Euphemos der Argouautensage gleichgesetzt
hat. — Xach Fick, der (KZ 1914, G7 fF.) über „Griechische
Stammverbände" schreibt, spiegelt sich (121) in der Ilias der
Gegensatz der durch Achilleus vertretenen Nordachaier zu den mit
ihnen in der Aiolis Kleinasiens zusammenstoßenden Sddachaiern,
deren Held Agamemnon ist. Die Aiakiden sind (107 f.) von Aiginion
an den Quellen des Peneios nach der Insel gewandert, die sie
Aigina nannten, und haben den Zeus Hellanios mitgebracht; den
Asopos, den sie bei dieser Wanderung überschritten, machten sie
zum Vater der Aigina. — Die diesen Vermutungen zugrunde liegende
Vorstellung, daß die griechischen Sagenhelden Vertreter ihres
Stammes seien, bekämpft Chadwick {The Heroic age. Cambridge
Archaeol. and Eihnoh Scrics. Cambridge 1912. S. 272 ff.) haupt-
sächlich deshalb , weil Stammsagen nur im Stamm sich erhalten
können, während die in der troischen Sage am meisten verherr-
lichten Helden gerade nicht den beiden Stämmen der louer und
Aioler angehören, bei denen die Sage hauptsächlich gepflegt ist (289).
Chadwick trennt nämlich die Süd- und Nordachaier, die er mit
den Doriern zu den westgriechischen Stämmen rechnet , von den
thessalischen Aiolern, die auch die nördlichen Inseln der Agäis
und den Nordwesten Klein asiens besiedelten. Er folgert teils (280)
aus phthiotischen Inschriften, teils aber (285) aus der Verbindung
zweier herodoteischer Angaben , von denen die eine (I 56) die
Hellenen von den Pelasgern sondert, die andere (VII 95) die Aioler
zu den Pelasgern stellt , daß die Bewohner von Phthia , wo auch
Hellen gewohnt haben soll , ebenso wie die Südachaier zu den
Hellenen zu rechnen seien. Die Grenze zwischen den „ost-
griechischen" Aiolern und den „westgriechischen" Hellenen soll
in Thessalien der Othrj'S gebildet haben. Demnach ist Achilleus
kein Aioler, und da Cauers Vermutung zurückgewiesen wird, daß
Agamemnon eigentlich über das thessalische oder pelasgische Argos
geboten habe (274 ff.), so werden auch der König von Mykene und
sein Bruder den Hellenen , also den Westgriechen zugesprochen.
Überhaupt werden alle führenden Helden, Nestor, Idomeneus, beide
Aias , Diomedes und auch Odysseus als „hellenisch" bezeichnet;
Eurypylos wird zwar als Aioler anerkannt, aber er spielt im Epos
keine bedeutende Rolle. Diese Verherrlichung stammfremder
Fürsten durch die Aioler und loner beweist nach Chadwick, daß
die Helden nicht Vei-treter ihrer Stämme sein können. Tritt der
englische Forscher damit den Versuchen entgegen, die Überlieferung
über die Wanderungen griechischer Stämme durch die Heldensage
5g Vermutungen über Stammwanderungen.
zu erweitern, so hält er diese doch im Kern für geschichtlich.
Er verwirft die Ansicht, daß die homerischen Helden Hypostasen
von Göttern oder Verkörperungen von Naturerscheinungen seien
(2G3 ff.) , und gibt auch der freien Erfindung nur einen eng be-
gx-enzten Spielraum. Er gesteht sie zwar z. B. für die Irrfahrten
des Odysseus, für die der Dichter ältere Yolksüberlieferuugen be-
nutzt haben soll, und auch für die Namen von Penelopes Freiern
(301) zu. meint aber, daß im ganzen namentlich in der Ilias the
emploijmcni of ficiion is to hc sccn raiher in the prcscntaiion than
in ihr coucepiion of the siory. Fast noch weiter gehen in dieser
Beziehung Chadwicks Landsleute John L. Myres und K. T. Frost,
Klio XIV. 1914, 447 iF., die den troischen Krieg in einen prag-
matischen Zusammenhang mit dem Sieg Ramses III. über die See-
völker bringen, und Casson, Class, Rev. XXVII, 1913, 153 ff.,
der in den an manchen Orten haftenden Sagen von eingewanderten
Troern Reste einer Erinnerung au die Flucht der Küstenbewohner
Kleinasiens vor den eindringenden Chetitern findet. Als Beweis
wird auch von Chadwick die germanische Heldensage angeführt.
Zwar erkennt er (221 ff.) einen Unterschied zwischen dem deutschen
und dem griechischen Epos insofern an, als er sich jenes jahr-
hundertelang durch Volksdichter, dieses aber durch höfische Dichter
fortgepflanzt denkt, bevor beide ihre letzte kunstmäßige Gestalt er-
hielten ; er sieht aber nicht die ebenso große Verschiedenheit, die
darin begründet ist, daß die griechischen Dichter von Anfang an
nicht die Fürsten, für die sie sangen, selbst, sondern deren mj'thische
Ahnen zu feiern pflegten, deren erdichtete Ruhmestaten die wirk-
lichen ihrer Nachkommen zugleich widerspiegelten und legitimierten.
Er vergißt ferner, daß die Macht des altgriechischen Adels zugleich
rehgiös war, daß jedes große Fürstenhaus und jeder Ritterbund
Heiligtümer besaß , deren Legenden mit der Geschichte der Ge-
schlechter verbunden waren und bei der Ausbildung der Helden-
sage mit benutzt werden konnten. Endlich wird von ihm die freie
Erfindung unterschätzt, die schon im einzelnen Falle, wenn sie nur
an etwas Gegebenes anknüpfen oder gar dieses wahrscheinlich er-
klären konnte , nach den Gesetzen des griechischen Heldenliedes
ziemlich frei schaltete, deren Einfluß aber sehr groß gewesen sein
muß. da Jahrhunderte hindurch Erfindung auf Erfindung gehäuft
■wurde.
Wie die griechische Heldensage sind aber auch die Angaben
über die Stammwanderungen ohne geschichtUcheu Wert. Die
Dichter, die sie etwa vom 7. Jh. an überiiefem, waren natürlich
Vermutungen über Stammwanderungen. 59
nicht imstande , wissenschaftlich begründete Vermutungen auf-
zustellen ; was sie aber an Überlieferung vorfanden , beschränkte
sich einerseits auf Stammbäume, die im besten Fall an die Legenden
eines von dem Fürstengeschlecht verwalteten Heiligtums anknüpften,
oft aber gar nicht ursprünglich von dem Geschlecht, auf das sie
später bezogen werden, erzählt, sondern einfach usurpiert oder
wenigstens durch Vermengung mit einem schon bestehenden ge-
fälscht waren , andererseits auf Mythen , die erfunden waren , be-
stehende politische Einrichtungen, z. B. Geschlechterverbindungen,
Landerwerbungen und dergl. zu legitimieren. Von Dichtungsfonnen,
in denen die Wanderungen der Stämme erzählt gewesen sein könnten,
oder von Kulteiurichtungen, die auch ohne feste Überlieferung die
Erinnerung an die ursprüngliche Heimat der eingewanderten Stämme
wie bei den späteren Kolonien hätten aufrechterhalten können, ist
nichts bekannt. Andere Quellen hatten aber auch die Altertums-
forscher nicht: außer den Dichtern zogen sie, noch mehr als diese
selbst, Übereinstimmungen religiöser und politischer Einrichtungen,
sowie der Ortsnamen in Betracht ; aber diese lehrten nichts über
den Ausgangspunkt und die Richtung der Übertragung.
Ebenso unzuverlässig wie die antiken Überlieferungen und die
ihnen zugrunde liegenden Schlüsse aus Institutionen und Namen
sind aber die Folgerungen , welche die neuere Forschung aus den
Dialekten zieht. Tatsächlich wissen wir über die Art, wie die
Eindringlinge vom Land Besitz ergriifen, nicht einmal, ob sie in
geschlossenen Zügen ganzer Stämme oder in kleineren Abteilungen
eingewandert sind, ob sie das Land erobert oder in ihm als Gast-
freunde, etwa als Söldner Aufnahme gefunden haben. Vermutlich
wird beides nebeneinander hergegangen sein wie in der Völker-
wanderung zu Anfang des Mittelalters. Es ist auch gar nicht
sicher, daß die Gottesdienste sich entsprechend dieser Bevölkerungs-
verschiebung verbreiteten. AVie bei den Ortsnamen müssen sich
auch bei den Kulten manche Übereinstimmungen daraus erklären,
daß eine Entlehnung aus der vorgriechischen Kultur vorliegt, deren
einzelne Teilgebiete natürlich einen Schluß auf die griechischen
Wanderungen nicht gestatten. Allgemeine Gründe sprechen dafür,
daß die von Norden hereinströmenden Griechen die früheren Be-
wohner allmählich vor sich her drängten, daß sich diese im äußersten
Süden , auf Kreta stauten und daß hier die erste halbgriechische
Kultur entstand , die dann sich allmählich , entgegengesetzt der
Richtung, in der die Völker gewandert waren, nach Norden ver-
breitete. Dies würde sogar eine Stütze an der Überlieferung haben.
(30 \ennutungeu über Stammwanderungen.
die mehrere namhafte Kultstätten, z. B. Olympia und Delplioi, von
Kreta aus gegründet sein läßt. Dafür spricht auch der Umstand, daß
in Boiotien, wo die kretischen Gestalten Rhadamanthys und Europa
heimisch sind, von letzterer am Berge Teumessos erzählt wui'de,
der seinen wahrscheinlich vorgriechischen Namen (Telmessos) in
einer speziell kretischen Dialektform führt. — Aber man darf dies
Erkläi'ungsprinzip nicht überspannen. Bei ihrem vielleicht sich
allmählich vollziehenden Vordringen können die Griechen von den
Urbewohnern Kulte übernommen haben, die sie dann bei weiterem
Vorrücken nach Süden verpflanzten. So läßt A. Reinach, Rev.
liist. rel. LX, 1909^, 188 die zahlreichen vorgriechischen Orts-
namen und Mythen , die Kreta mit Thessalien gemeinsam sind
(Asterion, Deukalion, Glaukos, Itonia usw.), durch Thessaler über
Boiotien nach Kreta gelangen ; was zwar schwerUch für alle, aber
vielleicht für einzelne richtig ist. Ob der thessalische Olj-mpos
nach dem kretischen heißt oder umgekehrt, ist eine offene Frage,
die nicht danach zu beantworten ist, daß jener sehr berühmt und
dieser fast vergessen ist.
Die Übernahme vorgi-iechischer Dienste durch die stammfremden,
bildungsfähigeren, aber noch auf tieferer Bildungsstufe stehenden Ein-
dringlinge, die mit der älteren Bevölkerung zum Volk der Griechen
zusammenwuchsen , brachte wahrscheinlich , wie dies unter ähn-
lichen Umständen zu geschehen pflegt, eine Umformung der damit
verbundenen Vorstellungen mit sich; aber besondere Gründe für
diese Annahme liegen nicht vor. Aus Resten im griechischen
Kultus und Mythos wird gefolgert, daß die Stellung der Frau in
minoischer Zeit günstiger war als bei den späteren Griechen und
daß sich dies auch in der Bevorzugung weiblicher Gottheiten und
in der höheren Würde der Priesterinnen aussprach; s. z. B. Paribeni ,
Mon. ant. R. A. L., 1908, 80 f. ; v. Prott in den von Schrader
u. d. T. „Mtycr^Q, Bruchstücke zur griechischen Religionsgeschichte",
Arch. f. Religionswiss. IX, 1906, 89 ff. herausgegebenen Gedanken-
.spHttern (vgl. Pasquali, Atene e Roma 1906, 78 ff.); J. Har-
riso n, Themis 490 (s. dagegen Rose, Folkl. XXII, 1911, 277 ff.).
Aber daß dieser soziale Unterschied , wenn er richtig erschlossen
ist, mit dem ethnographischen zusammenfällt, ist nicht so selbst-
verständlich, wie vielfach angenommen zu werden scheint. Be-
zeichnend für die ältesten zu erschließenden griechischen Kulte
sind Darstellungen oder Erneuerungen von Begebenheiten aus dem
Leben der Gottheit, von ihrer Geburt, Vermählung, ihrem Tod und
ihrer Wiedererweckung. Aber diese und ähnliche Darstellungen
Vermutungen über vorgriechische Kulte. 61
haben wahi'scheinlich bereits die älteren Bewohner gekannt, da sie
sich ebenso in KJeinasien finden. Angerufen wurden hauptsächlich
der Vater Himmel, der mit der Axt Biitzfunken schlagen oder seine
dreizackige Blitzlanze schleudern sollte, und die Mutter Erde. Der
Kult oder die Zauberei wurden besonders in einsamer Natur,
namentlich auf Bergen und in Höhlen vollzogen; es handelte
sich hauptsächlich um die Gewinnung von Regen, wobei man
sich häufig des Regensteins bediente. Auch dies darf aus dem-
selben Grund schon der von den Griechen vorgefundenen Religion
zuerkannt werden. — Nach S. Wide, Arch. f. Religionswiss. X,
1907, 258, hatte das vorgriechische Volk Lokalkulte, deren Inhalt
zum großen Teil chthonisch war. In der Tat riefen sie , wie
es scheint, oft Geister der Tiefe an-, aber das ist nicht charak-
teristisch, vielmehr haben wahrscheinlich die Träger der minoischen
Kultur ursprünglich ihren Regenzauber und ihre sonstigen Be-
gehungen unter dem vermeintlichen Schutz himmlischer und ober-
irdischer Gottheiten ausgeführt, auch die Toten nicht nur zum Zauber
beschworen , sondern sich auch nach dem Tode in ein besseres
Jenseits zu versetzen gesucht; und der unheimliche Charakter,
den der ägäische Dienst, wie es scheint, erst gegen Ende der
ägäischen Kultur angenommen hatte, ist durch das Eindringen de)-
Griechen nicht gleich beseitigt worden, sondei'n ganz allmählich. Zwar
darf das „chthonische" Element des ältesten griechischen Kultus
nicht übertrieben werden, wie es Hewitt, Harv. Stud. XIX, 1908.
61 ff. und R. Karsten, Studies in primitive Greek Religion, Öf-
versight af Finska Vetensk. Societetens Förhandl. XLIX, 1907
(s. dagegen Glotz, Rev. et. grecques XXI, 1908, 389) tun. Man darf
sich nicht durch eine etymologisch allerdings zulässige allgemeinere
Bedeutung des Begriffs ;, chthonisch" irreführen lassen. Insofern die
vom Himmel befruchtete Erde Ursprung aUer Vegetation ist, sind
freilich alle agrarischen Kulte chthonisch ; aber nicht dies ist das
Bezeichnende der ältesten griechischen Religion, sondern daß viele
andere, namentlich übele Wirkungen Dämonen zugeschrieben wurden,
die in der Tiefe der Erde hausen sollten und die meist als Seelen
von Toten oder wenigstens mit dem Totenreich in Verbindung
stehend gedacht wurden. Allein jedenfalls fällt auch in diesem Punkt
mit dem Übergang der Religion zu einem andern Volk eine Ände-
rung der Vorstellung nicht zusammen.
Die richtige Einsicht in diese Verhältnisse ist noch nicht
seit langer Zeit gewonnen. Es wäre interessant zu wissen, ob
ein noch zu unserer Generation gehöriger Forscher, A. Milch-
62 Vermutvingen über die Mystik des 6. Jahrb.: Wendland.
hoefer diese Fragen bereits aufgeworfen und wie er sich zu
ihnen gestellt hat. Der Tod übeiraschte ihn über einem Werke
^Neue Studien zur ältesten Kunst und Religion Griechenlands",
zu dem er bereits den Stoff gesammelt hatte. Die Handschrift ist,
wie Pf ister, Arch. f. Religionswiss. XVII, 1914 berichtet, der
Kieler Universitätsbibliothek übergeben worden.
f) Die griechische Mystik des 6. Jahrhunderts
gehört bekanntlich zu den am meisten umstrittenen Gebieten der
ganzen Altertumsforschung. Bezeugt ist sie fast nur durch Schrift-
steller der hellenistischen Zeit, und da sie überdies sich nahe mit
orientalischen Vorstellungen berührt, die wenigstens in den Griechen-
land am frühesten zugänglichen Barbarenländern des Ostens eben-
falls meist erst aus den letzten Jahrhunderten v. Chr. beglaubigt
sind, so ist die besonders von Ed. Zeller vertretene Ansicht weit
verbreitet, daß die wesentlichen Züge dieser M\'stik erst im Hellenis-
mus entstanden seien. So hat sie auch P. Wendland im 6. Ab-
schnitt der Hellenistisch-römischen Kultur in ihren Beziehungen zu
Judentum und Christentum, Tübingen ^1907, ^1912, aufgefaßt. In
einer Vorbemerkung der ersten Auflage wendet er sich in Aus-
drücken , die eine ruhige Abwägung der sich entgegenstehenden
Wahrscheinlichkeitsgründe weder bezeugen noch erleichtern, gegen
die Auffassung, daß die wichtigsten Gedanken dieser Mystik in
Griechenland wie im Orient auf das 6. Jh. zurückgehen. Er ver-
gißt, worauf doch schon oft hingewiesen ist, daß einzelne nicht
ablösbare Gedanken dieser zwar nicht einheitlichen, aber doch von
demselben Grundgedanken beherrschten Mystik einwandfrei für das
6. Jh. in Griechenland bezeugt sind, daß sie gleichzeitig in Indien
und bald nachher in Hinterasien eine gewaltige Bewegung aus-
gelöst haben , und daß ein wesentlicher Bestandteil dieser Lehre
für Ägj-pten im 5. Jh. durch griechische Schriftsteller bezeugt ist,
die doch nicht deshalb für unglaubwürdig gelten können, weil ihre
Angaben in den älteren ägyptischen Texten nicht bestätigt werden.
Außerdem scheint es, daß die hellenistische Mystik, die heidnische
und die christliche Gnosis, die zwar nicht dieselben Lehren, aber
doch aus ihnen weitergebildete vortragen, mehr aus barbarischem als
aus hellenischem Kulturkreis entnahmen. Man muß dabei nicht ein-
seitig die ägyptische Herkunft dieser Mystik betonen, wie es früher
namentlich ßeitzenstein, aber auch Lieblein in seinen Auf-
sätzen Ober nlorig ^Offta (zuletzt Christ. Vidensk.-Selsk. Forhandl.
1909j tun. In Wahrheit hatten sich im Orient vor dem Hellenismus die
Vermutungen über die Mystik des 6. Jahrb.: Wcndland. 63
verschiedenen nationalen Religionen zwar nicht zu einem großen
Synkretismus vereinigt, aber doch so weit abgeschliffen, daß unter
dem einigenden Bande der Mystik einzelne Bestandteile einer von
andern aufgenommen werden konnten. Im Grunde gibt das auch
Wendland selbst zu ; er hätte darin noch weiter gehen können,
wie namentlich Reitzenstein in seiner Besprechung GüN 11)08,
783 hervorhebt, der z. B. auf die orientalischen Elemente in dem
von Wendland nicht erwähnten Timaioskommentar des Poseidonios
aufmerksam macht. Werden alle diese Gründe in Betracht gezogen,
so liegt doch die überwiegende Wahrscheinlichkeit bei der An-
nahme , daß die gleichzeitigen und gleichartigen indischen und
griechischen Lehren von der Seelenwanderung und deren Beendi-
gung durch die Wiederaufnahme der Seele in das All-Eine in ge-
schichtlichem Zusammenhang stehen. Wendland selbst erkennt die
Ähnlichkeit dieser Vorstellungen an; er spricht z. B. (' 130, ^' ^228)
von auffallend parallelen und konvergierenden Entwicklungslinien,
die man auf dem Gebiet der Religion und der Spekulation bei den
antiken Völkern beobachten könne; aber anstatt ihn an die Möglich-
keit denken zu lassen, daß die jetzt zwischen den so ähnlichen An-
schauungen klaffende Lücke nur in der Überlieferung bestehe,
machen ihn diese Ähnlichkeiten nur skeptisch gegen die Annahme
einer geschichtlichen Abhängigkeit, wo Wege und Medien der Ver-
mittlung nicht nachweisbar sind. Dieser Einwand wäre dann be-
rechtigt, wenn innerhalb der assj'rischen oder ägyptischen Literatur
das Auftreten dieser Mystik zu erwarten wäre. Allein die er-
haltenen Texte geben überhaupt kein Bild von der gesamten Literatur,
sondern nur von einzelnen Zweigen, wie sie der Zufall ausgewählt
hat; gerade für das 6. und 5. Jh. sind sie bisher besonders lücken-
haft. Immerhin läßt sich das Vorhandensein dieser Mystik in den
Ländern Vorderasiens und Ägyptens , das als Mittelglied zwischen
den nahe verwandten und gleichzeitigen mystischen Systemen
Griechenlands, Indiens und Hinterasiens gefordert wird, mit Wahr-
scheinlichkeit auch daraus erschließen , daß die Gnosis zum Aus-
druck ihrer Gedanken oft Formen — Mythen und mythische
Namen — verwendet, die altorientalischen Religionen entstammen;
denn es handelt sich bei diesen Elementen nicht etwa um selb-
ständige Fortbildungen der alten nationalen Religionen, sondern um
den Ausdruck ganz neuer Anschauungen, die den bisherigen wider-
sprachen, aber nur mit Hilfe der gegebenen Sprachbilder dem Ver-
ständnis näher gebracht werden konnten. Die Feststellung dieses
Verhältnisses ist wichtig; nur so werden die noch jetzt verbreiteten
()4 \'erinutiingen Ober die Mystik des 6. Jahrb.: Wendland.
Irrtiliner vermieden, daß entweder die hellenistische Mystik un-
mittelbar an Religionen des alten Orients angeknüpft wird, von
denen sie doch durch eine tiefe Kluft geschieden ist, oder aber
der Bruch in die hellenistische Zeit verlegt wird, in der die bar-
barischen Religionen, obwohl äußerlich z. T. noch glänzend, doch
schwerlich so viel inneres Leben besaßen , um den neuen Ideen
ihre Fonn aufzuzwingen. Aber die Überlieferung ermöglicht es
auch, etwas über die bloße Erkenntnis eines geschichtlichen Zu-
sammenhanges zwischen der griechischen und der orientalischen
Mystik hinauszukommen. Die Nachwirkungen dieser mystischen
Religion in den Lehren der verschiedenen gnostischen Sekten, dem
Mandäismus und Manichäismus, dann aber auch bei Buddha, Pytha-
goras und bei den Orphikern, sind so bestimmt, daß sie ein nicht
nur sicheres, sondern — bis zu einem gewissen Grade wenigstens —
sogar deutliches Bild von den Ideen jener verschollenen Denker
Vorderasiens zu zeichnen gestatten. Ein Zweifel bleibt hauptsäch-
lich noch, wann und in welcher Reihenfolge die den älteren Systemen
fehlenden gnostischen Vorstellungen hinzugekommen sind, und wie-
viel von ihnen schon der ursprünglichen Gestalt dieser mystischen
Philosophie zugeschrieben werden darf. Um ein einheitliches System
handelt es sich schon im (>. und 5. Jh. nicht, sondern um zahlreiche
Lehrmeinungen von Männern.' die jeder auf seine Weise den Ge-
danken der Erlösung aus dem Kreis der Wiedergeburten durch
Unterdrückung der Sinnlichkeit ausgestaltet hatten ; andererseits
beherrschte aber sowohl bei ihnen wie auch bei ihren Nachfolgern
die Befreiung von dem Kerker der Sinnlichkeit so das ganze System,
daß sie wohl untereinander, aber nicht eigentlich von dem Aus-
gangspunkt abweichen, also auch keinen Anhalt bieten, die späteren
von den ursprünglichen .Stücken zu sondern. Wenn es schon kaum
möglich ist , die buddhistischen , pythagoreischen und orphischen
Vorstellungen in ihrer allmählichen Ausbildung zu verfolgen, so ist
die Hoffnung eitel, mit den jetzt vorhandenen Mitteln die Vor-
geschichte der A^orstellungen zu erkennen , deren letzte Formulie-
rungen in den gnostischen Systemen erhalten sind.
g) Die Religion des Hellenismus.
1906. R. Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen,
Leipz,, befaßt sich weniger mit hellenistischer Rehgion, als nach
dem Titel erwartet werden könnte. Der erste Teil sucht über
die Literaturgattung der Aretalogie Licht zu verbreiten; er dehnt
den Begriff so, daß schließlich z. B. die ^^h^i^i^g laiOQia, Hör.
Religion des Hellenismus. 66
Sat. I 8 und Juven. S. XV unter ihn fallen. Der zweite Teil behandelt
die Thomasakten , insbesondere die in sie eingelegten lyrischen
Stücke , den Seelenhymnos und das Hochzeitslied , in denen er
Nachwirkungen der heidnischen Aretalogie sieht. Umfassende Kennt-
nisse sowohl dieser wie der christlichen Wundergeschichten er-
möglicheu es dem Verfasser , für seine m. E. nicht richtige
GesamtaufFassung Gründe beizubringen, deren Widerlegung, wie
sie z. B. Granger, Class. Rev. XXIII, 1909, 84 ff. versucht,
Scharfsinn und weiten Umblick erfordert, die insofern also an-
regend wii'ken.
1907. P. Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur in
ihren Beziehungen zum Judentum und Christentum stellt sich, indem
er ein wissenschaftliches Werk nach der persönlichen religiösen
Überzeugung des Verfassers bemerkt, auf einen unwissenschaftlichen
Standpunkt, enthält aber einzelne beachtenswerte Gedanken (^S. 62).
1900. J. K a e r s t , Geschichte des hellenistischen Zeitalters,
Leizig, handelt (II 1, 202 if.) ausführlich auch über die hellenistische
Religion. Er bestreitet u. a. Kornemanns Auffassung, daß der Hellenis-
mus nicht im Mutterland, sondern in Kleinasien geboren sei, meint
vielmehr, daß er dort nur einen besonders günstigen Nährboden
antraf (389, 2). Die Gründe für das höhere Alter der zuerst im
Hellenismus bezeugten Vorstellungen verwirft Kaerst. Bei ver-
schiedenen babylonisch-assj'rischen Göttern, wie Marduk und Istar,
erkennt er (260 ff.) zwar das Bestreben an, sich zu universalen
Gottheiten auszubilden, aber erst der Hellenismus soll in dem
philosophischen Pantheismus (264), im Euhemerismus (263) und
auch in den allgemeinen politischen und Kulturverhältnissen die Be-
dingungen vorgefunden haben, die das Zusammenwachsen dieser Vor-
stellungen begünstigten. Auch die Achaimeniden haben nach Kaerst
nicht eine synkretistische Religiouspolitik befolgt, obwohl sie fremde
Religionen nicht bloß geschont, sondern sogar begünstigt haben :
sie blieben stets Verehrer Ahura Mazdas, der trotz der universalen
Züge seines Wesens ein national iranischer Gott war. Erst
Alexander hat bewußt eine religiöse Verschmelzung herbeizi;führen
gesucht, und trotz der politischen Teilung blieb die kulturelle
Einheit seines Reiches groß genug, um eine synkretistische Politik
zu begünstigen , wie sie besonders von den Ptolemaiem getrieben
wurde. Diese Sätze treffen bis zu einem gewissen Grad für die
öffentlichen Gottesdienste zu , obwohl schon das Beispiel der
mit Kj'bele und Artemis in Sardes ausgeglichenen Anähita zeigt,
daß der persische Staat die Ausgleichung seiner Gottheiten
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementband). -5
66 Religion des Hellenismus.
mit fremden entweder nicht verhindern wollte oder nicht verhindern
konnte. Ganz unwahrscheinlich aber sind Kaersts Ansichten in
Beziehung auf die Privatkulte und die religiösen Vereine. Schon
der Handelsverkehr zwischen den verschiedenen Teilen des un-
geheuren Reiches , noch mehr die langsamen , aber andauernden
Völkerverschiebungen und -mischungen durch Zu- und Abwanderung,
mußten auch religiöse Ausgleichungen herbeiführen, und zwar nicht
nur die Gleichsetzung von Göttern, an die Kaerst, wie es scheint,
zunächst denkt , die aber für den Hellenismus gar nicht be-
sonders bezeichnend ist, sich vielmehr schon im 5. Jh., z. B. bei
Herodot findet, sondern auch das, was in Wahrheit das Wesen
der hellenistischen Religion ausmacht, den Zusammenschluß von
Vorstellungen, die urverwandt, aber doch verschieden entwickelt
waren.
1910. Hatte Kaerst überwiegend die öffentlichen Kulte ins
Auge gefaßt, so erörtert R. Reitzenstein, Die hellenistischen
Mysterienreligionen, ihre Grundgedanken und Wirkungen, Vortrag,
gehalten in dem wissenschaftl. Predigerverein für Eis. -Lothringen,
Leipzig, zwar gelegentlich in Anmerkungen auch viele andere Dinge,
hauptsächlich aber doch das, was der Titel verspricht. Er unter-
sucht besonders den Isiskult mit Hilfe des gewöhnlich dem Apuleius
zugeschriebenen „Goldenen Esels", neigt aber zur Verallgemeinerung
der gewonnenen Ergebnisse in der Annahme, daß die hellenistischen
Weihen im wesentlichen gleichartige Lehren vortrugen und ähn-
liche Sitten vorschrieben. Ohne selbst eingeweiht zu sein, sollen
die frühesten Christen , insbesondere Paulus , die in ihnen fort-
gepflanzten Vorstellungen aus der Literatur übernommen haben.
Vgl. Berl. Phil. Wochenschr. XXXI, 1911, 930 ff.
1912. W. Weber, Ägyptisch-griechische Götter im Hellenis-
mus, Antrittsrede.
1915. Auf die griechisch-ägyptischen Mischkulte beziehen sich
mehrere in den Ox3Th. Pap. XI, 1915 veröffentlichte Texte; darunter
befindet sich eine Anrufung an Isis mit ihren unzähligen Beinamen, ein
Preis des göttlichen Arztes Imuthes (no. 1381) und eine Aretalogie
des Sarapis (no. 1382). — In die Mysterienwelt führt Gillis P.Wetter,
Phos ((Z>ß— ), eine Untersuchung über hellenistische Frömmigkeit,
zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Manichäismus, Skrifter
utgifna af K. Humanistika Vetensk. — Samfundet i Uppsala XVII 1,
I^eipz. Im ersten Teil werden die Vorstellungen besprochen,
in denen das Licht mehr physisch, im zweiten die, in denen es
mehr religiös gedacht ist, doch läßt sich diese Sonderung nicht
Hellenistische und römische lieligion. 67
glatt durchführen, und der Vf. selbst betont (98 ff.), daß dem Be-
griff auch auf den höheren Stufen etwas Uugeibtiges und Magisches
anhafte, so daß göttliche Menschen als leuchtend beschrieben und
den Erlösten oder Geweihten Strahlenkränze beigelegt werden. Im
dritten Teil (28 ff.) soll gezeigt werden, daß die Vergleichung der
Erlösung mit der Erleuchtung in altgriechischen Mysterien zwar
einen Anknüpfungs-, aber nicht den Ausgangspunkt gehabt habe,
auch nicht aus der griechischen Philosophie stamme , die zwar
iCVQ, aber nicht q>wg als Gleichnis für Seele und Leben verwende,
endlich auch nicht spontan entstanden sei, vielmehr im Hellenismus
wie in Mandäismus und Manichäismus schließlich auf babylonische
Vorstellungen zurückgehe, und daß auch die orientalische Astrologie
mitgewirkt zu haben scheine. Am Schluß wird eine zusammen-
fassende Übersicht über hellenistische Frömmigkeit gegeben, — Gegen
einen Teil dieser Aufstellungen erhebt Nilßon GGA, 1916, 42 ff'.
Einwendungen.
1916. Die Wechselwirkung von Philosophie und Religion im
Hellenismus schildert R. Reitzen stein, Hist. monach. u. hist.
Laus. (Forsch, zur Relig. u. Literat, des A u. NT II 7, 1916),
S. 235 ff.
3) Römische Religion iui allgemeiuen und in der
republikanischen Zeit.
1906. J.B.Carter, The Religion ofNuma and other Essays
on the Religion of Ancient Rome, London, unterscheidet in der Ent-
wicklung der römischen Religion fünf Abschnitte, von denen der erste
die Religion Numas, die ältesten römischen Kulte, die di Indigetes, ent-
hält, der zweite die in der zweiten Hälfte der Königszeit namentlich
unter Servius aufgenommenen latinischen Götter, die Novensides. Der
dritte Abschnitt soll die Wirkung der sibyllinischen Bücher während
der ersten 800 Jahre der Republik zeigen. Auf Anregungen dieser
Orakel hin werden bald nach dem Sturze des Königtums mehrere
Götter aus den unteritalischen Städten und selbst aus Epidauros ge-
holt; nach längerer Zwischenzeit folgte 205,4 die Einholung der
großen Göttermutter, deren Dienst nach Carter mehr zur Zerstörung
der römischen Religion beitrug als alle übrigen fremden Gottheiten
zusammengenommen (?). Der vierte Abschnitt enthält den Verfall
der römischen Religion während der letzten beiden Jahrhunderte
der Republik, von denen jedes nach Carter einen besonderen
Charakter trägt. Im 2. Jh. v. Chr. bekämpfte der Staat noch die
5*
gy Römische Religionsgeschichte.
auf deu Sturz der Staatsreligiou gerichteten Bestrebungen der ein-
dringenden orgiastischen Dienste des Dion^'sos (118) und der
Gottheiten des Morgenlandes , sowie den philosophischen Skepti-
zismus (106 f.), im 1. ,Ih. gab der in die Hände von Parteiführern
geratene Staat diesen Kampf (127) auf Der letzte Abschnitt der
römischen Religionsgeschichte , der von Carter behandelt wird
(14t>ff.)' enthält die P]rneuerung der Religion durch Augustus,
dessen Bedeutung als Mensch und Staatsmann er weit höher ein-
schätzt als z. B. Mommsen. — Von Einzelheiten sei hervorgehoben,
daß Carter (42) den etruskischen Einfluß auf Rom sehr gering
bewertet. Die Templumlehre sogar soll allgemein itahsch gewesen
sein. Er erklärt die Geringfügigkeit der Einwirkung von Seiten der
etruskischen Kultur daraus, daß diese nur durch äußere Einflüsse
begünstigt, nicht innerlich entwickelt und gefestigt war, und daß
das aufstrebende Rom instinktiv das etruskische Gift von sich wies.
Daß die sibyllinischen Bücher nach Rom erst in der republi-
kanischen Zeit gelangten, wird daraus erschlossen, daß ihre Auf-
seher, die duumviri sacris faciundis im Titel an den republikanischen
Kommissionen eine Parallele haben (66) ; sie sollen aus dem Dienst
des ApoUon von Cumae stammen , der selbst schon vorher als
Heilgott nach Rom übernommen war. Griechische Götter sollen
erst im zweiten punischen Krieg innerhalb des Pomeriums auf-
genommen sein (95). Den Formalismus der römischen Religion
hat Carter, wie Mars hall, Class. Rev. XX, 1906, 332 m. R.
hervorhebt, übei'schätzt, zu sehr betont er m. E. die politische Be.
deutung der priesterlichen Beamten , die suUanischen Reformen
(128) und die nach Carter hauptsächlich durch sie verursachte
Politisierung des Priestertums, sowie die damit zusammenhängende
zunehmende Unkenntnis der priesterlichen Überlieferung, der u. a.
auch die Unordnung des Kalenders zugeschrieben wird (132). Die
mißbräuchliche politische Verwendung der Religion soll ihr den
Gnadenstoß gegeben haben.
1907. H. Wolf, Die Religion der alten Römer, Gymnasial-
Bibliothek 42, Gütersloh, schließt sich im ganzen m. R. an "Wissowas
Darstellung an.
1909. A. v. Dom aszewski , Abhandlungen zur römischen
Rehgion. mit 2G Abbildungen im Text und einer Tafel, Leipzig,
enthält, nach der Zeit des Erscheinens geordnet, und fast un-
verändert, 24 Abhandlungen, von denen gerade die Hälfte in die
Berichtsperiode fällt. Sie werden, da sie nicht von einem gemein-
samen Gesichtspunkt aus vfrfaßt oder zusammengestellt sind, einzeln
Römische ßeligionsgeschichte. 69
besprochen werden, soweit als es im verengten Rahmen dieses Be-
richtes noch möglich ist.
1911. W. Warde Fowler bezeichnet sich in The Religious
Experience of the Roman People from the earliest times to the
age of Augustus (Gifford Lectures 1909/10, Edinb.), London, als
Anhänger Wissowas, von dem er z. B. die Auslegung der dii Indigites
und Novensides übernimmt, gibt aber mehr Religionsvergleichung,
darunter auch zahlreiche Parallelen aus den Religionen der primi-
tiven Völker, und betont im Gegensatz zu dem deutschen Forscher,
der seine einseitige Hervorhebung des Pontifikalrechtes damit recht-
fertigt, daß er die Religion vom römischen Gesichtspunkte aus
betrachte, die religiöse Bedeutung des römischen Gottesdienstes,
worunter er mit Ira W, Howerth the effective desire to be in right
relation to the Power manifesting itself in the universe versteht.
Wie alle Religion soll auch die römische ihren Ursprung in einem
besonderen, im Herzen des Volkes nie ausstei'benden (329) Instinkt,
der Furcht vor dem Unbekannten , und dem Abhängigkeitsgefühl
gehabt und die Pax deorum, d. h. die Vermeidung alles den Göttern
Mißfälligen bezweckt haben. Natürlich steht es jedem frei, die
überlieferten Ausdrücke so zu verwenden , wie er es für passend
hält, vorausgesetzt, daß er den ihnen beigelegten Sinn klarmacht;
aber die willkürliche Zusammenfassung und Sonderung von Vor-
stellungen führt unbewußt zu der Auffassung, daß das in der Be-
zeichnung Vereinigte und Getrennte auch in Wirklichkeit zusammen-
hänge oder nicht zusammenhänge. Daß Fowlers Begi-iffsbe Stimmung
nicht zweckmäßig ist, ergibt sich aus den Folgerungen, zu denen
sie ihn führt. Er muß den Ursprung der Religion aus der Magie
bestreiten (253), aber andererseits doch zugeben, daß sich in der
Religion der Römer und auch anderer Italiker zahlreiche Reste von
Zauberei, z. B. (208) im Lied der Arvalbrüder und in dem iguvinischen
Gebet an luppiter Grabovius (186 ff.), bei der Devotion des Decius und
(210) der Sühne durch das februum finden. Das scheint mir ein Wider-
spruch. Gewiß stehen diese und viele ähnliche Begehungen in offen-
barem Gegensatz zu andern Bestandteilen der römischen Religion,
aber deshalb dürfen sie nicht aus ihr, von der sie einen großen,
vielleicht den größeren Bestandteil bilden, ausgeschieden und noch
weniger darf diese auch ihrem Ursprung nach von der Magie ganz
getrennt werden. Indem Fowler einen möglichst erhabenen Begriff
von der Religion durchzuführen, andererseits aber auch die römische
Kultur zu idealisieren sucht, widerspricht er aber auch seinen
anthropologischen Neigungen. Er ist m. R. bestrebt, die römischen
70 Römische Religionsgeschichte.
Kulte in die allgemeine Religionsgeschichte einzuordnen ; aber ehe
Vergleiche mit den Riten entfernter primitiver Völker gezogen
werden , empfiehlt es sich , wie mir scheint , das Verhältnis dei-
römischen Religion zu denen der Völker ins Auge zu lassen, die
in ihrer Gesamtkultur den Römern am nächsten stehen. Da erheben
sich Fragen, auf die Fowlcr die Antwort schuldig bleibt, z. B. die,
wie die Römer zu ihrem verwickelten System der Indigites kamen,
wenn sie doch in der Bezeichnung der Götter als der Himmlischen
oder der Glänzenden, die auf eine Verehrung der Sterne schließen
läßt, und in der Verehrung des Himmels als Vater und der Erde
als Mutter mit den Griechen übereinstimmten. Die Frage wird
noch schwieriger, wenn, wofür m. E. vieles spricht, beide Be-
zeichnungen von den Römern nicht aus der indogermanischen Heimat
mitgebracht, sondern ihnen von außen zugeführt sind (o. S. 41). Der
Einfluß fremder, besonders griechischer Kultur ist dann viel früher
anzusetzen, als es Fowler tut. Dann hält er (109) nicht m. R.
die Religion des latinischen Landmanns für ein organisches Ge-
wächs, das in jedem Punkte den ihm bei seiner Arbeit begegnenden
Gefahren entsprach und das erst im Stadtstaat seinen Sinn teil-
weise verlor. Vielmehr ist die römische Religion seit ältester Zeit
gewissermaßen ein Sammelbecken, in das nicht wenige Ströme,
verschieden ihrem Ursprung und ihrer Art nach, zusammengeflossen
sind. Natürlich herrschen von Anfang an gewisse Grundgedanken
vor, aber auch wo sie sich mangels ausreichender Überlieferung
durchführen lassen, ist dies prinzipiell nicht richtig. Im Gegensatz
zu Frazer und Cook, aber in Übereinstimmung mit Wissowa, Aust,
Carter u. aa. hebt Fowler hervor, daß die ältesten römischen
Götter ohne bestimmte Gestalt und hinsichtlich ihres Geschlechtes
nur 80 weit bestimmt waren, als die Namensform einen Anhalt bot :
so soll sich die Formel sive deus sive dea erklären. Ehen zwischen
Gottheiten werden bestritten. Nerio Martis soll eine Eigenschaff
(\'irtus) des Mars bezeichnen und so zu fassen sein wie Virites
Quirini. (Vgl. v. Domaszewski, Abb. z, römischen Relig.
105 und u. {S. 76)). Ohne die Einwirkung griechischer Vor-
.steUungen hätte sich aus der altrömischen Religion ein poly-
theistisches System persönlicher Götter nach Fowler nicht ent-
wickeln können; luppiter und Terra mater sind, wie er meint (157),
nur figürlich, und zwar mit Beziehung auf ihre Verehrer zu verstehen.
Es gab (145) im ältesten Stadtstaat adjektivisch benannte Numina
(Satumus, Vertumnus usw.), die über die Vorgänge in der Natur
und im Menschenleben walteten, und substantivisch benannte (z. B.
ßömische Religionsgeachichte. 71
Tellus , Robigus , Terminus), die in den Dingen selbst gedacht
wurden. Aus ihrer Zahl waren ein paar (lanus, luppiter, Mars,
Quirinus , Vesta und vielleicht einige andere) herausgehoben , die
besondere Priester oder wenigstens Feste und heilige Stätten hatten
und im Begriff waren, persönliche Götter zu werden; Statuen und
Tempel aber gab es noch nicht, erst der etruskische Capitolinus-
tempel führte die Sitte ein.
Während Fowler (200) das magische Element der römischen
Religion möglichst gering anschlägt und auch das Opfer nicht mit
Mommsen als eine Art Kaufmannsgeschäft ansieht, vielmehr glaubt,
daß immer eine gewisse Dankbarkeit vorhanden war , wenn der
Gott das Gelübde erfüllte (202), das mehr eine einseitige Bindung
der Gemeinde enthalten habe, will Deubner, Zur Entwicklungs-
geschichte der altrömischen Religion (Vortrag im deutschen Arch.
Instit. zu Rom, Neue Jahrbb. XXVII, 1911, 321) nachweisen, daß
zahlreiche Gottheiten aus Zauberriten erwachsen sind. Zunächst
gebrauchte man Magie, Reinigungen und apotropäische Maßregeln,
mit denen man sich selbst half, ohne auf die Hilfe der Götter zu
rechnen: erst später rief man diese an. So wurde Mars nach
Deubner in die Armilustria eingeführt, an denen ursprünglich die
Waifen des ganzen Volkes gereinigt wurden, und erst später trat
mit dem Anwachsen der Gemeinde eine 83'mbolische Reinigung
durch die Salier ein ; das Pferderennen der Equirria und am
15. Oktober soUte die Rosse durch schnelle Bewegung reinigen:
auch hier ist Mars , dem später der equus October geschlachtet
wurde, nach Deubner erst nachträglich hinzugefügt. Die Saturnaha
und die Divalia sollen alte Neujahrsfeste gewesen sein, die Kerzen,
mit denen man sich an den ersteren beschenkte, den Zweck gehabt
haben, dem Wiederaufstieg der Sonne zu Hilfe zu kommen. Bei
den Suovetaurilia genügte, wie der Vortragende meint, ursprünglich
die Umführung zur Reinigung-, erst später wurden die Tiere dem
Mars geschlachtet. Überhaupt stammen (S. 331) die Feste, die
nach Riten heißen, also z. B. auch die Lupercalia und Ambarvalia
meist aus einer Zeit , wo es die später an ihnen verehrten Gott-
heiten noch nicht gab. Strenia ist aus dem Gebrauch der Strenae
erwachsen, Pilumnus, Intercidona und Deverra stammen aus Riten,
die man bei der Geburt eines Kindes vornahm (332 f.), Anna
Perenna aus der Segensformel ut annare perannareque commode
liceret. Als das Opfer hinzutrat, fand eine Art Verbindung dieses
mit dem Zauber in der Weise statt, daß die Opfertiere an der
Ausübung des Zaubers teilnahmen. — Auch wer mit dem Vf. und
72 Römische Religionsgeschiohte.
dem BerichterstÄtter überzeugt ist , daß wie bei andern ^'^ölkern
so auch bei den Römern viele Götter aus Riten hervorgegangen-
und diese im Prinzip älter sind als jene, wird doch zweifeln dürfen,
ob Deubners Beweisgründe genügen , die von ihm angenommene
Entwicklung auch in allen einzelnen von ihm angeführten Fällen
wahrscheinlich zu machen. Die Entstehung der römischen Religion
ist nichts Originales, zahlreiche Bausteine aus früheren Bildungen
sind bei ihrem Aufbau mitverwendet worden , und nur mit den
Mitteln der Geschichtsforschung, d. h. durch sorgfältige Kritik und
Kombination der dürftigen Zeugnisse , nicht durch begriflfliche
Konstruktionen können wir hoffen, ein Bild von ihrer Entstehung
zu gewinnen.
1912 erschien die zweite Auflage von G. Wissowas Rehgion
und Kultus der Römer (vgl. o. Bd. 137, Suppl. 1908, S. 103 ff.).
In seiner Grundanlage ist das bewährte Buch unverändert geblieben ;
das werden auch diejenigen billigen , die mit dem Berichterstatter
die von Wissowa aufgestellten Kennzeichen für die ältesten Kulte,
die Priesterliste und die älteste Festtafel, für trügerisch und des-
halb seine scheinbar so fest gefügten und vielfach anerkannten
Konstruktionen der römischen Geschichte für unsicher halten und
die der Meinung sind , daß nicht alle der Forschung gestellte
Probleme gelöst werden können, solange die römische Religion
nur mit den Augen des Römers angeschaut wird. Die Rücksicht
auf diese Erwägungen hätte größere Umformungen nötig gemacht,
bei denen die Hauptvorzüge des Buches wahrscheinlich Einbuße
erlitten hätten. Im einzelnen aber ist es durchaus verjüngt worden,
die zahlreichen seit der ersten Auflage erschienenen , großenteils
durch Wissowa selbst angeregten Untersuchungen sind sorgfältig
geprüft und in einer fast immer zu billigenden Auswahl vorgelegt
worden , wobei Wissowa nicht selten eigene frtihere Vermutungen
zurücknimmt. S. 41 gibt er Usener zuliebe den giüechischen Ur-
sprung der capitolinischen Trias preis, wie mir scheint, nicht m. R.
Zeus, Hera und Athena sind keineswegs bloß im phokischen Rat-
haus vereinigt gewesen ; inschriftlich ist diese Kultgenossenschaft
jetzt an vielen Stellen bezeugt, und nicht überall läßt sich Nach-
ahmung des römischen Kultus annehmen. Im athenischen Rathaus
stand nicht nur Zeus BovXatog neben Athena Bovlaia (Antiph.
6, 45), sondern es wurde dort auch Hera ßovXaia verehrt (Wilhelm,
Beitr. zur griech. Inschriftenk. 44). Wahrscheinlich geht diese Zu-
sammenstellung darauf zurück, daß Pheidon in dem Ratszimmer
seiner Burg Larisa diesen drei Gottheiten, deren Kult er überall
Römische Religionsgeschichte. 73
begünstigte, geopfert hat. Vermutlich hat schon er die Trias, ver-
breitet, z. B. nach Ki-isa, wo in einer der ältesten erhaltenen
griechischen Inschriften (IGA 1, Sitzungsber. BAW, 1887, 704)
neben Athena und Hera m. E. nur J{iJ^i) ergänzt werden kann.
Von Krisa aus wird schließlich der jüngere phokische Bund die
Trias empfangen haben.
1914. Laing, Proceed. Amer. Philol. Soc. 45, 1914, S. XXI
untei'sucht den bürgerlichen Stand der Dedikanten auf den römischen
Weihinschriften an luppiter, Silvanus, Hercules und den Genius.
Die meisten Freigelassenen finden sich bei Silvanus und Hercules
(auch Herakles erscheint bisweilen als Gott der Freigelassenen,
Pauly-Wissowa-KroU E.E. Suppl. III, S. 955, 19 ff.), unverhältnis-
mäßig viel Sklaven bei Silvanus.
1915. Wissowas Aufsatz Die i'ömischen Staatspriestertümer
altlatinischer Gemeindekulte, Herm. L, 1 flf., behandelt im wesent-
Hchen — sich meist gegen A, Rosenberg wendend — das Ver-
hältnis Roms zu den latinischen Gemeinden. Im Gegensatz zu
seinen früheren Aufstellungen, in denen er Mommsen gefolgt war,
stellt sich Wissowa (24 ff.) in der Frage der Laurentes jetzt auf
die Seite Dessaus. Auch Rosenbergs Erwiderung (ebd. 416 ff.)
eröi'tert hauptsächlich staatsrechtliche Fragen. Die Laurentes
Lavinates sind ihm eine fiktive Gemeinde , die tatsächlich aus
römischen Rittern besteht, aber eine eigene respublica bildet und
eigene Priester hat.
Neben diesen die römische Rehgion in ihrer Gesamtheit oder
wenigstens in ihren wichtigsten Epochen darstellenden Untersuchungen
ist einiger Arbeiten zu gedenken, die einzelne Probleme heraus-
greifen. Die wichtigste Frage, welche die römische Religion dem
Forscher stellt, betrifft den bereits bei der Besprechung von Fowlers
Buch berührten Punkt, in dem sich die römische Götterwelt am stärksten
von allen übrigen scheidet : die Überzahl unpersönlicher Götter, die
teils nach menschlichem Tun und Leiden oder nach Naturvorgängen,
teils aber nach dem Ort oder der Zeit ihrer Betätigung benannt sind,
und die zu ihnen im Gegensatz stehende, aber doch mit ihnen auch
verbundene Zahl ausgewählter persönlicher Götter. Es fragt sich, wie
weit dieser Gegensatz , zu dem der weitere , sich mit ihm nicht
deckende der dei certi und incerti kommt, in der ReHgion selbst
ursprünglich oder in sie erst nachträglich durch Sakralrechtslehrer
und Altertumsforscher hineingetragen ist. Diese Frage ist um so
dringlicher, als die Listen der unpersönhchen Götter, der Indigita-
menta, eine Vollständigkeit und Gleichartigkeit der Systematik
74 Römische Religionsgeschichte.
zeigen, die bei der Entstehung schon der ältesten römischen Götter-
weit durch das Zusammenströmen von Kulten aus verschiedenen,
darunter auch aus etruskischeu Städten, und zwar von Kulten, die
z. T. auf weiteutlegene Entstehungsstätten zurückgehen, nicht zu
erwarten ist. Dies spricht gegen Usener, der diese die römische
Relicion von allen andern unterscheidende Menge von „Augenblicks-"
und Sondergüttern" daraus zu erklären versuchte, daß er in ihnen
eine für das ursprüngliche religiöse Denken normale , bei den
Griechen melir oder weniger überwundene, aber auch noch, wie er
irri<T meinte, bei den Litauern ziemlich bestimmt nachweisbare Stufe
sah. Im Anschluß an ihn suchte A. v. Domasze wski', der be-
reits in der Festschrift für 0. Hirschfeld (Ges. Abh. 104 ff.) die
Eicenschaftsgötter der altrömischen Religion behandelt hatte (o.
Bd. 137, 19u8, Suppl. 295), im Arch. f. Religionsw. X, 1907, 1 ff.
(Ges. Abh. 155 ff.) über die dei certi und incerti ins klare zu
kommen. Während Wissowa, Ges. Abh. 308, in Varros dei certi
solche Götter sah, von deren Wesen der Altertumsforscher Sicher-
heit hatte, folgert v. Domaszewski aus Liv. 27, 25, 9, daß dei certi
ein fester Begriff des römischen Sakralrechtes waren, der alle die-
jenigen sicher zu erfassenden Götter umschloß, von denen eine be-
stimmte Wirkung auszugehen schien (Ges. Abh. 1G7). Hierin wird
er recht haben, nicht aber, wenn er vier Klassen römischer Gott-
heiten unterscheidet, die, wenn ich ihn recht verstehe, nacheinander
entstanden sein , aber nebeneinander bestanden haben sollen : die
Augenblicksgötter der Indigitamenta , die festumgrenzten Einzel-
numina von dauernder Wirkung, „das ausgebreitete Numen, das
mancherlei Wirkungen äußert, aber keine Persönlichkeit gewinnt,
endlich den persönlichen deus mit seinen Eigenschaften. Zwar
lassen sich die römischen Götter — Übergänge zugegeben —
in diese Klassen einteilen, aber daß diese begriffliche Entwicklung
zugleich die geschichtliche gewesen sei , darf nicht vorausgesetzt
werden. In neuerer Zeit pflegt man dies Problem der römischen Religion
in anderer Weise zu lösen. Schon Wissowa hatte Useners Theorie
von den Sondergöttern, was die römische Religion anbetrifft, großen-
teils den Boden durch seine Kritik der Varronischen Indigitamental-
liste entzogen; Farn eil, Anthrop. Ess. present. to Tylor 1907,
S. 81 ff. weist sie zurück, und Warde Fowler, Class. Rev. XXIII,
1909, 2G2 bekämpft auch die auf ihr beruhenden Folgerungen
V. Domaszewski 8. Zwar versucht noch Stolz, Arch. f. lat.
Lexikogr. X. 151 Varros Deutungen der Indigitamentalgötter mit
den Mitteln der neueren Sprachforschung zu begründen. Aber schon
Römische Religionsgeschichte. 75
W. Schulze, Zur Gesch. lat. Eigenn. 165 ff. hatte zahlreiche Be-
ziehungen zwischen Gentil- und Gottesnanien aufgedeckt, und
W. Otto, Rhein. Mus. LXIV, 1909, 449 tf. weist auf zahlreiche
Indigitamentalnamen Varros hin , die , wie er meint , ursprünglich
fingierte Heroen bekannter Familien bezeichnet haben müssen wie
(453) Caeculus (Caecilii), (455) Edusa, Potina, Statilinus, (456)
Rusina (Rusius , Rusinius) Volutina (Velutius), (457) Volumnus,
Manturnus (Mantronius usw.), (458) Venilia, (459) Carna, (465)
Tarpeia, Laverna. Die Übereinstimmung der Namen von Göttern
und Geschlechtern beweist nun zwar nicht ohne weiteres, daß jene
nach diesen genannt waren oder mit ihnen auch nur in unmittel-
barer Beziehung standen, sie kann sich vielmehr auf verschiedene
Weise, z. B. auch daraus erklären, daß die geus nach einem Ort
und dieser nach dem Gott hieß ; aber da die Geschlechter nicht
nach den Göttern heißen können , wie sie Varros Liste aufgestellt
hatte, versagt sein Erklärungsprinzip in so vielen Fällen , daß es
nicht als auf ältester Überlieferung beruhend angesehen werden
kann. Nach Fowler, Relig. Exp. Rom. People 159 waren
die Indigitamenta priesterliche Anweisungen zur richtigen An-
rufung der Götter, Van-o soll die Liste aus einzelnen Gebets-
formularen gesammelt und falsche Etymologien hinzugefügt,
Tertulhan obenein die Varronische Lehre verfälscht haben; doch
war nach Fowler die zugrunde liegende Vorstellung, daß das
Göttliche sich nicht bloß in belebten und unbelebten Gescen-
ständen , sondern auch in Handlungen und Abstraktionen zeige,
schon in der Volksreligion gegeben. — In einem späteren Auf-
satz, Wiener Stud. XXXIV, 1912, 318 ff. versucht Otto in
mehreren römischen Gottheiten Ahnenseelen wirklicher Menschen
und Geschlechter nachzuweisen. — Wenigstens etwas von den
Indigitamentalgöttem sucht Rose, Italian „Sondergötter", Journ.
Rom. Stud. III, 1913, 233 ff., zu retten. Er gibt Farnell {0. S. ?4y
und Wissowa (Ges. Abh. 304 ff.) zwar zu , daß die langen
Listen Varros durch künstliche Konstruktionen gewonnen sind,
glaabt aber, daß es daneben echte volkstümliche Sondergötter,
Reste eines älteren Religionsstratums gab. Es werden namentlich
diejenigen Gottheiten besprochen, die einer menschlichen Tätigkeit
vorstehen. — Das Urteil über die Indigitamenta geht demnach noch
weit auseinander, aber als allgemeines Ergebnis läßt sich schon
jetzt bezeichnen , daß der Wert der Varronischen Verzeichnisse,
auch wenn sie in der Pontifikallehre eine Stütze haben, herab-
gemindert und damit die Kluft, welche die römische Religion von
76 Römische Religionsgeschichte und Sage.
andern antiken zu trennen schien , teilweis ausgefüllt ist. Viele
der nur begrifflich bestimmten römischen Götter haben ihre Persön-
lichkeit vielleicht erst nachträglich verloren infolge der Umdeutung
ihres unverständlich gewordenen Namens , der Lösung von ihrer
ursprünglichen Kultstätte und der Übernahme in die römische
Rehgion, die der Ausprägung göttlicher Persönlichkeiten nicht günstig
war , weil die Dichter erst spät anfingen , auch um die römischen
Götter Mythen zu weben. So notwendig es war, daß zunächst die
Theorien der römischen Saki'alrechtslehrer und der Antiquare fest-
gestellt wurden, so ist ein volles Verständnis der römischen Religion
erst möglich, wenn jene Theorien überwunden sind.
Wir kommen damit auf die römischen Sagen, mit denen
sich die Forschung wie gewöhnlich so auch in den letzten 12 Jahren
weniger als mit den Kulten der Römer befaßt hat. Jene werden
meist als späte , der ursprünglichen Auffassung widersprechende
Erfindungen betrachtet. Eine Ausnahme bildet E. Siecke, der
an mehreren Stellen seines Buches Götterattribute und sog. Symb.
(z. B. S, 78) sich gegen die Auffassung wendet, daß die von den
römischen Göttern erzählten Mythen nicht echt italisch sein können.
Diese Stellungnahme erklärt sich aus der Leichtigkeit, mit der die
von ihm und seinen Anhängern angewendete Methode die Erklärung-
aller Mythen aus dem von ihm als „uralt arisch" betrachteten
Mond- „und dem damit bis zu einem gewissen Grad untrennbar
verbundenen Sonnenkultus" (118) gestattet. Dagegen sprechen
Carter, Fowler und Wissowa, wie bereits erwähnt wurde (o. S. 70)y
den Römern sogar Götterehen ab, wogegen F r a z e r , Adonis, Attis,
Osiris (Golden Bough IVn^, 230 ff.) mit ausführlicher Begründung
und in einzelnen Fällen mit Glück ankämpft. Die Sache scheint
mir so zu liegen , daß die römischen Götter nach der sakralrecht-
lichen Theorie ehelos sein sollten und im allgemeinen auch waren^
daß dies aber erst nachträglich und nie restlos durchgeführt ist.
Die bekannte Stelle, wonach Varro den alten Römern ausdrücklich
Götterehen zuschrieb (Aug. c. d. IV, 32), glaubt Reid, Journ.
Rom. Stud. II, 1912, 45 m. E. nicht m. R. durch die Annahme be-
seitigen zu können, daß Varro schrieb maiores mei und damit seine
literarischen Vorgänger meinte. — Wie der Göttermythos, so pflegt
auch das, was die Römer von den Helden ihrer fernen Vergangenheit
zu erzählen wußten , als unechte Sage der griechischen entgegen-
gestellt und deshalb gering geschätzt zu werden , wobei unbewußt
die früher allgemein verbreitete Anschauung mitwirkt, daß die
griechische Heldensage eine von den Dichtem nur aufgegriffene
Römische Sage. 77
Schöpfung der Volksphantasie, nicht von den Dichtern selbst, von
denen jeder auf Erfindungen seiner Vorgänger weiter baute , ge-
schaffen sei. Dem gegenüber schien die römische Sage, weil sie
vorzugsweise von Geschichtschreibern überliefert wird, auch ein
Werk dieser zu sein; noch in neuester Zeit hat Ettore Pais, der
früher einen starken poetischen und auch religiösen Gehalt in der
römischen Sage gesucht und sogar z. T. auf Niebuhrs Annahme
einer volkstümlichen Sage zurückgegriffen hatte, diese jetzt in seiner
Storia critica di Roma 1913 großenteils auf Erfindungen helle-
nistischer Schriftsteller und römischer Annalisten zurückgeführt.
Gewiß haben auch diese einen Anteil an ihr-, aber andererseits
scheint mir auch der besonders von W. S o 1 1 a u , Die Anfänge der
römischen Geschichtsclu-eibuug , Leipz. 1909 (und etwas anders
Klio X, 1910, 129 ff.), vertretene Standpunkt beachtenswert, der
aus der Übereinstimmung der Motive in der angeblichen Geschichte
Roms und in den griechischen Sagen folgert, daß jene von römischen
Dichtern der fabulae praetextae, (S. 17 ff. des größeren Werkes)
und Ennius (ebd. 60 ff.) sowie von den Verfassern der Laudationes
(ebd. 132 ff.) nach griechischen Vorbildern, und zwar meistens nach
Dichtern, gelegentlich aber auch nach Historikern (z. B. Herod. I,
116 f.) erfunden wui-den. Daß Soltiiu wieder auf diese Quelle der
römischen Sage nachdrücklich hingewiesen hat , ist in jedem Fall
dankenswert. Überspannen darf man freilich auch dies Erklärungs-
prinzip nicht: bei der Bildung der römischen Sage sind sehr ver-
schiedenartige Kräfte tätig gewesen. Daß die Erfindungen der Dichter
später als Geschichte betrachtet wurden, erklärt Soltau durch die
Annahme einer Vermittlung durch griechische Mythographen und
Historiker, die sie den Annalisten überlieferten. Diese soUen noch
über ein nicht unbedeutendes Material zur Erkundung der früheren
Geschichtsperioden verfügt und ihre Berichte eben das Gerüste
gebildet haben , an das die Dichter ihre Erfindungen knüpften
und das deshalb mit ihnen leicht ausgefüllt werden konnte. Der
zweite Teil dieses Erklärungsversuches leuchtet ein, aber die
Annahme griechischer Mythogi*aphen, die, wenn ich Soltau richtig
verstehe, im 3. Jh. v. Chr. aus römischen Tragödien und Epen
geschöpft haben sollen , ist bedenklich. Soltau hat sie wohl nur
gemacht, weü er irgendein „Gerüst" für notwendig hielt, an
das die römischen Dichter sich halten konnten , andererseits
den Beginn der römischen Geschichtschreibung nicht so hoch
hinaufrücken mochte. In der Tat mögen den ältesten römischen
Dichtern auch für die römische Geschichte griechische Berichte
78 Römische Sage und Religionsgeschichte.
vorgelegen haben; aber dazu, daß ihre Erfindungen in die An-
nalistik eindrangen, bedurfte es der griechischen Vermittlung nicht;
aelbst Cic. Brut. XV, 57 hat sich nicht gescheut, den Eunius
als einen idoneus auctor zu bezeichnen, was immerhin bezeichnend
ist , auch wenn es sich in diesem Fall nicht um eine dichterische
Erfindung handeln kann. Dazu kommt der stille Einfluß , den des
Dichters Schöpfung unbewußt noch heute auf unsere Beurteilung
der Geschichte ausübt, der aber in einer Zeit unentwickelter Kritik
viel stärker sein mußte. Diese nur scheinbare Schwierigkeit, die bei
der Annahme eines Eindringens poetischer Erfindungen in die
Annalistik bleibt, und die Art, wie Soltau sein Erklärungsprinzip
durchzuführen A-ersucht . hat bewirkt, daß dieses z. T. auf einen
Widerspruch gestoßen ist, der m. E. ebenfalls über das berechtigte
Maß hinaus geht. Nach M ü n z e r . Cacus der Rinderdieb, Basel
1911, S. -1, hat Soltau eine so alte, reiche und so nachhaltig
wirkende dramatische Produktion bei den Römern nicht nach-
weisen können, die künstlich eine sofort vom ganzen Volk als die
Geschichte seiner eigenen Vergangenheit anerkannte Überlieferung
geschaffen habe; nach Gubernatis, Riv. di fil. XL, 1912, 444ff.
haben Naevius und Ennius diese Sagen zwar vorgetragen, aber nicht
erfunden. Teils schreibt man die poetisch anmutenden Teile der
römischen Vorgeschichte wieder der echten Volkssage zu, wie wir
es von Pais gesehen haben (vgl. auch Münz er bei Pauly-Wissowa
RE VII, 334f ), teils aber den Annalisten.
Weiter kommt für die Anfänge der röni i sehen liel ig i o n
die wichtige Frage in Betracht, welche Vorstellungen die einzelnen
Volksteile , aus denen man sich den populus Romanus zusammen-
gewachsen denkt, mitbrachten und welche aus den Nachbarländern
nach Rom übertragen wurden. Gegenüber der gewöhnlichen An-
nahme , daß die römische Religion hauptsächlich von Etrurien aus
beeinflußt sei, weist fG. Körte, Rom. Mitt. XX, 1905, 369 f.
darauf hin, daß umgekehrt auch die Etrusker schon in sehr früher
Zeit einige Gottheiten wie Menrva, üsil (= Sol, sabin. ausel), Uni,
Maris von den Italikern entlehnt zu haben scheinen. Ridgeway
(Proceed. Brit. Acad. 1907/8, 22 ff.) meint, daß die Ligurer oder
Aboriginer, die Träger der Terramarekultur , Indogermanen waren,
welche in Rom, von den Sabinern unterdrückt, die Plebs bildeten,
aber den Siegern ihre Sprache, das Lateinische, aufzwangen, auch
zum römischen Pantheon einige Gottheiten beisteuerten, jedoch
nicht lanus , Mars und Quirinus , deren Priester in konfarreierter
sabinischer, patriarchahscher Ehe lebten (28 f). Gegen diese An-
Römische Religionsgeschichte. 79
nähme macht R. W. Hu s band, Amer. Phil. Soc. XL, 1909, 63
geltend , daß die römische Religion in den zwei Heihgtümern von
Mars, luppiter, luno, Minerva und Fides, in den zwei Brüderschaften
der Salii und Luperci, in den zwei Formen der Eheschließung usw.
Spuren einer Stammischung zeige. Er läßt das römische Volk aus
vier Bestandteilen zusammengeschmolzen sein : den Sabinern, denen
die meisten Gottheiten angehören , den Ligurern , den Etruskern,
welche die Haruspicin brachten , und den Römern , deren Sprache
durchgedrungen sei. — Über den Einfluß der Etrusker auf die
römische Religion, besonders die Eingeweideschau, sprach Carter
in einem Vortrag am Palilientag des Deutschen Arch. Instituts in
Rom; vgl. Rom. Mitt. XXV, 1910, 74 ff.
Mit der Religion des späteren r epuhli Je ani s c h e n
Rom beschäftigen sich, abgesehen von den an anderen Stellen
der Jahresberichte besprochenen Arbeiten über einzelne Schrift-
steller nur die sechs in Oxford 1914 gehaltenen Vorlesungen,
die der Vortragende, W. Warde Fowler unter dem Titel
Roman Ideas of Deity in the last Century before the Christian
Era, London 1914 herausgegeben hat. Die erste Vorlesung
behandelt den Hauskult, d. h. den Dienst der Vesta, der Penaten,
des Genius und auch der Toten, die aber in republikanischer
Zeit keine wirklichen Opfer empfangen haben sollen. Alle diese
Kulte , in denen der Vf. , wenn auch unvollkommen , den Be-
griff der Contitinuit}' of Life (27) ausgedrückt findet, und in denen
er ein Gegengift gegen die hereinbrechende , alle Religiosität zer-
störende griechische Religion sieht, sollen im letzten Jahrhundert
noch in voller Kraft bestanden haben. Die zweitq Vorlesung
handelt über luppiter und die auf Monotheismus zielende Richtung
seines Kultus, die dritte (55 ff.) zunächst über die schon durch
Kleanthes gelehrte, aber, wie der Vf. (58) mit Cumont meint, erst
durch Poseidonios recht verbreitete Verehrung der Sonne, danr (61)
über den Kult der Fortuna. In der vierten Vorlesung (81 ff.) wird
der Kult des vergötterten Menschen besprochen , der , den alten
Römern fremd, aus Griechenland und dem Orient hergeleitet wird
und mit dem sich auch die fünfte V,orlesung , The deification of
Caesar (107 ff.) befaßt. In der letzten Vorlesung eröffnet sich ein
Ausblick auf die Reform des Augustus, in der aber Fowler einen
weiteren Verfall sieht. Abgesehen von den Göttern des Land-
manns, Tellus, Silvanus, den Manen und Genien, denen z. B.
Virgil mit offenbarer Liebe gegenübersteht, haben die Götter nach
Fowler kein wirkliches Leben mehr, die römischen Dichter be-
80 Religionsgeschichte in der Kaiserzeit.
nutzen die Gottheiten entweder wie der nur scheinbar fromme
Horaz im Dienste der politischen Ziele ihrer Gönner, der Macht-
haber, oder wie der frivole Ovid (155) als Stoff für dichterische
Geschicklichkeit.
4) Griechisch-röinischc ReligioiiHgeschichte iu der Kaiserzeit.
a) Untersuchungen über die Kaiserzeit im allgemeinen.
Toutain, Les cultes paiens dans l'empire romain. I. Les
provinces latines (Biblioth. de Tecole des Hautes etudes, Sciences
relig.). Der mir bisher allein vorliegende erste Band dieses um-
fang- und inhaltreichen Werkes (Les cultes officiels , les cultes
romains et greco-romains, Paris 1907) behandelt nach einer Ein-
leitung , in der die Aufgaben begrenzt , Quellen und Methode dar-
gelegt werden, im ersten Buch zunächst (S. 19 ff.) den Ursprung
der Staatskulte (37 ff.) , d. h. den Dienst der Gottheiten , die in
enger Beziehung zum Staat und zum Kaiser stehen, der Dea Roma,
die in den lateinischen Provinzen fast nur mit dem Kaiser zu-
sammen, und zwar am meisten in Tarraconensis, Narbonnensis und
den Tres Galliae verehrt wird (43 ff.), der Herrscher (181 ff.), der
kapitolinischen Gottheiten, die namentlich auf Inschriften Daciens,
Pannoniens und des Rheinlands erwähnt werden, (195 ff.) den Kult
des luppiter Optimus Maximus und (219 ff.) die Geschichtn der
Staatskulte. Im zweiten Buch (239 ff.) werden die griechischen
und die griechisch-römischen I^ulte besprochen, und zwar zunächst
die nicht offiziellen Kulte Roms , dann (245) lanus , Vesta , Bona
dea, Lares, Mars, Silvanus, ferner (283 ff.) die Götter und die Kulte
des griechisch-römischen Pantheons, (4 12 ff.) die vergötterten Ab-
straktionen (Fortuna und Victoria), endlich (439 ff.) der Genienkult.
Toutain bemüht sich, zu entscheiden, ob die in den Provinzen ver-
ehrten Gottheiten römisch-griechischen oder barbarischen Ursprungs
sind; da zeigen sich denn in den Provinzen Verschiedenheiten.
Venus ist in Dalmatien griechischen , in Afrika karthagischen Ur-
sprungs (188), Volcanus in Gallien meist an eine einheimische
Gottheit augelehnt (391). Den nur in Afrika blühenden Kult der
chthonischen Gottheiten , die in römischer Zeit als Cereres und
Pluto, vorher als „Mutter", Tanit P^no Ba'al und Ba'al Hamman
auftreten, leitet Toutain (.j38 ff.) aus Sizilien her, von wo Demeter,
Köre, Pluton im Anfang des 4. Jhs. v. Chr. geholt sein sollen.
Nicht selten wurden die von den Römern eingeführten Kulte mit
den einheimischen nicht ausgeglichen , sondern traten neben sie ;
Religionsgeschichte: Kaiserzeit. - 81
aber auch in diesem Fall scheint es nicht zu einer Rivalität zwischen
ihnen gekommen zu sein (468). Dankenswert ist, daß meist auch
der Stand der Dedikanten untersucht und daraus ein Schluß auf
die Kreise gezogen wird, in denen ein Kult besonders blühte.
Überhaupt führt die Art der Abgrenzung und Gliederung des Stoffes
nicht selten zu neuen, manchmal überraschenden Gesichtspunkten.
b) Untersuchungen über einzelne Perioden der
Kaiserzeit.
2) Außer diesen Untersuchungen, welche die ßeligionsgeschichte
der Kaiserzeit im ganzen betreffen , sind hier einige Arbeiten und
Teile Aon Arbeiten zu erwähnen , die einzelne Abschnitte dieser
Zeit oder einzelne für sie bezeichnende Erscheinungen ins Auge
fassen. Viele religionsgeschichtliche Fragen behandelt W. Weber,
Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Haar l an ^ Leipzig
1907 besonders mit Berücksichtigung der Münzen. — "Wilcken,
Ai'ch. f. Papyrusf., V 1913, 428 vermutet zweifelnd, daß die jetzt
im Wortlaut bekannte Constitutio Antonina Car ac alias ■, durch
die fast alle Untertanen außer den peregrini dediticü das römische
Bürgerrecht erhielten, durch religiöse Gründe veranlaßt war. Es
war eine große Göttei'mischung geplant: wie die orientalischen
Götter nach Rom, so sollte der römische luppiter in den Orient
verpflanzt werden. — Nach J. Stuart Ha}', The amazing Em-
peror Hei iog ah alus , London 1911 wurde der unreife Knabe
nicht wegen seiner Grausamkeit gestürzt , sondern weil Rom für
den syrischen Monotheismus nicht reif war. Indem Elagabal die
Ausgleichung des syrischen Kultes mit den alten Kulten erstrebte
— und er erstrebte nach Hay (S. 275) mehr als eine bloße Ver-
schmelzung — , soll er zugleich daran gedacht haben, seine Macht
als pontifex maximus zu erweitern. Vorübergehend hatte Elagabals
Regierung nach Hay den unausgesprochenen Plan, das Christentum
zur Staatsreligion zu machen, was Peter, Berl. Phil. Wochenschr.
XXXII, 1912, 659 bestreitet. — Den Sonnengott Apollon auf den
um 307 geschlagenen Münzen Const antins erklärt Jul. Mau-
rice, Comptes rend, AIBL 1909, 166 ff. daraus, daß dieser Kaiser
von Claudius Gothicus, dem eifrigen Begünstiger des Sonnenkultus,
abstammen wollte; dagegen werden die heidnischen Attribute auf
der Rückseite späterer Münzen Constantins (wie von Boissier die
heidnischen Wendungen mancher Verordnungen) dem Einfluß der
kaiserlichen Kanzlei zugeschrieben. Vgl. Maurice, Rev. arch.
XVII, 1911 ^ 377 ff. ~ Daß Constantin den ApoUo unter dem
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplenientbaud). 6
82 Religionsgesohichte: Kaiserzeit.
Namen Sol. invictus comes verehrte und in Nachahmung von Daphne
Antiocheia nahe seiner Geburtsstadt Nisch ihm ein Heiligtum in
dem auf Münzen genannten Constantiniana Dafue gründete , will
Mowat, Bull, de la söc. nat. des autiqu. Fr. Vllln , 1912, 310ff.
erweisen. — Ed. Schwartz, Kaiser Constantin und die christ-
liche Kirche, Leipzig 1913, schildert in fünf am Frankfurter Hoch-
stift gehaltenen Vorträgen den Kaiser als einen genialen Despoten,
der zielbewußt von Anfang an die Kiixhe in den Dienst seiner
Herrschaft zu stellen versuchte. —Wie Kugener auf den Leidener
Kongreß (Actes du IV Congr. intern, d'hist. des rel. 132 ff.) aus-
einandersetzt, benutzte Constantin den Blitz, der 320 das Colos-
seum traf, mit Hilfe der Augurn , die er zu einem Votum ver-
anlaßte , als günstiges Vorzeichen in dem schon drohenden Kampf
mit Licinius. — Nach Weinreich, Triskaidekadische Studien
RVV XVI, 1916, 3 ff. wollte Constantin konsekriert werden, und
der Senat hat ihn auch divus genannt. Der Kaiser selbst wünschte
aber die Vorstellung ins Christliche umzubiegen und die 12 Götter,
in deren Zahl der Kaiser aufgenommen werden sollte, durch die
Apostel zu ersetzen. Er erbaute an Stelle eines Heiligtums der
12 Götter in Konstantinopel die Apostelkirche und daneben sein
Mausoleum inmitten der 12 Apostel, wahrscheinlich als Rundbau,
wie sich frühere Kaiser solche Kuppelbauten mit Heiligtümern
der 12 Götter als Begräbnisstätte erwählt hatten. — Julians
Rehgionspolitik stellt Joh. Geffcken, Kaiser Julian (das Erbe
der Alten VIII), Leipzig 1914, 33 ff. dar. — Das geistige Leben
Roms, wie es uns in den heidnischen Kreisen gegen Ende des
4. Jhs. namentlich in den Schriften des Macrobius entgegentritt,
wird von Sihler, Proc. Am. Phil. Ass. XL, 1909, S. LXXXVff.
geschildert.
Mehr Untersuchungen als den einzelnen Kaisern , sind den
wichtigsten religionsgeschichtlichen Phänomenen der Kaiserzeit zu-
gewendet gewesen, *Glover, The Conflict of Religions in
the Early Roman Empire, London 1909, ist ein aus Vorlesungen
entstandenes Werk, das im LC, 1909, S. 1607 f. rühmend be-
sprochen wird.
c) Die einzelnen Erscheinungen der Kaiserzeit.
Drei Erscheinungen sind es besonders, welche den Charakter
der Religion in der Kaiserzeit bestimmen : die zunehmende Religions-
mischung, d, h. das beschleunigte Eindringen orientalischer Kulte
in die griechische und namentlich in die römische Welt und die
Religionsgeschichte: Kaiserzeit. 83
Ausbreitung griechischer und römischer Gottesdienste in den Pro-
vinzen des Westens-, dann der Kampf gegen das Christentum,
endlich die Durchdringung der Kulte und selbst der Zauberei mit
neoplatonischen Ideen.
«) Arbeiten übex* die Beli^iousiuischiiiig der Kuiserzeit.
Über a) die Ausgleichung römischer und barbari-
scher G ottheitenha,Tide\t Ft. Richter , De deorum barbarorum
interpretatione ßomana, quaestiones selectae, Diss. Halle 1906. Der
Stoff ist geordnet nach den römischen Göttern; die einzelnen
Barbarengötter werden bei jedem römischen nach der Buchstaben-
folge aufgezählt. Es ergibt sich , daß von römischen Göttern in
den Westprovinzen besonders Mars, Mercur, Apollo, Minerva,
Diana, in Afrika Saturnus, Pluto, Aesculapius, Neptunus, Ceres ver-
wendet werden (51). Bisweilen wird sowohl der Name des römi-
schen wie der des mit ihm ausgeglichenen barbarischen Gottes
o-enannt, manchmal aber nur der eine; in einigen Fällen ist der
barbarische Name übersetzt worden. — Unter dem Titel Inter-
pretatio Romana erschien über denselben Gegenstand ein Aufsatz
von G. Wissowa, Ai'ch. f. Religionswiss. XIX, 1917/18, 1 ff .
Das Stilgesetz , das die Verwendung von ßdQßagoL cpwvai verbot,
zwang die ausgebildete Kunstprosa, die barbarischen Götternamen
durch griechische oder römische zu ersetzen ; dabei wurde oft will-
kürlich verfahren und weniger das innere Wesen der fremden
Götter zum Ausdruck gebracht als die Eindrücke und Bestrebungen,
von denen die römischen Schriftsteller selbst oder ihre Gewährs-
männer im fremden Lande beherrscht wurden (25); z. B. wird die
Hauptgottheit der Gallier als Mercur bezeichnet, weil zuerst Kauf-
leute nach Gallien kamen. Im allgemeinen ergibt die Interpretatio
Romana nach Wissowa mehr für die Erkenntnis des römischen
Wesens als für die in den Provinzen ursprünglich heimischen
Religionen. Manchmal hat sie Züge altrömischen Glaubens erhalten,
die in der Literatur und im Staatskult zurückgetreten waren und
in der Unterschicht volkstümlicher Religion s Übung ihr Dasein
fortgeführt hatten. Daß die durch denselben römischen Gottes-
namen bezeichneten Barbarengötter auch innerlich verwandt ge-
wesen seien, ist nach Wissowa (44 ff.) nicht notwendig, umgekehrt
soll aber die gleiche römische Benennung nachträglich bisweilen
zu einer Ausgleichung geführt haben.
6*
§4 Religions^«»o)iiohte : KaLsexmeit.
,.<> Arboitou über das Riiitlriittron orioiitulisrl>«>r Kulto
iu die hier lüclit zu trvuueude griechisch-römische Weh. Clitl'ord
H. Moore, The Disthbutiou of Oriental Cults iu the Gauls luid
Germauies, Tniusact. Amer. Phü. Assoc. XLXXVIII 1907, 109 ff.
untersucht die geo^n^^phische Verbreitung der Kulte, die soiiale
Stellung ihrer Verehrer, die Herkimtt und Verbr«itungsni?iglichkeit
der einzelnen Dienste, endlich ihren Streit untereinander und mit
dem Christentum, das gerade die Hauptstütten der orientalisciieu
Kulte als Verkehn«uiittelpunkte zu Bischotssitien wfthlte und mit
dessen Ausbreitung daher etwa seit der Mitte des 3. Jb». die
orientalischen Dienste allmählich in Gallien und Germanien ver>
schwinden. — Fr. Cumont, Les religions orientales dauä le
paganisme romain (Annuales du musee Guimet> Paris 1907; danach
wird im folgenden a.itiert; die 2. Aufl. erschien 1909; danach die
lug von H. G ehr ich. Die orieutalischen Beligiouen im
Heidentum, 1910. 2. AnH., 1914) stellt Vorlesungen
zusammen, die 1905 am College de France in Paris ttlr die Stiftoug
Michonis und einige Monate später in Oxford für den Hibbert Truet
gebalten sind. Der Ausdruck römisches Heidentum klingt lunächst
befremdlich, erklart sich aber daraus, daß die mit dem Christentum
ou. über die Cumont sich in der Ein-
. _ v doch mit einigen treffenden Bemerkungen
äußert, ausgeschlossen werden sollten. Nachdem der Yf. den Syn-
kretismus der Kaisenteit als eine Fortsetiung des alexandrinischen,
ohne den er nicht verstanden werden könne, bezeichnet und ihm
( 1 ff.) die Stellung innerhalb der Gesamtgeschichte angewiesen hat,
wendet er sich (13 ff.) den Quellen und der diurch sie bedijigten
Methode der Untersuchung zu , prflft (22 ff.) die Gründe ftlr die
Ausbreitung der orientaliscbeu Kulte und bespricht dann uaoJi-
einander (57 ff.) die kleinasiatischen, (90 ff.) die ägyptischen, (125 ff.)
die 8_\Tischen und (lt>-?) eranischen Kulte, (19t> ff.) die Astrologie
und Magie. Den Beschluß bildet eine Darstellung der durch diese
Einflösse aus dem Orient bewirkten Umgestaltung des r^ümisclien
Heidentums. Daß hierbei jene sowohl an Bedeutung wie an Wert
leicht wichtiger erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren (Geff-
cken. D. L.-Z. 1915, 1221), scheint mir eher in dem Heraus-
schneiden eines einzelnen Problems aus einem größeren geschieht-
liehen Zusammenhai.g als darin begründet zu sein , daß Cumont
die einheimische Religion der Griechen und Römer unterschttjit.
Über den religiösen Einfluß der Astrologie auf die römische Wo'.:
Synkretkinus der Kaiserzeit. 85
sprach Comont auch auf dem Oxforder religionsgeschichtlichen
Kongreß 1909; einen Auszug geben die Transact. of the 3 Intern.
Congr. Higt. Eel. III 197. — In der ßelijnon von Emesa, die
Aurelian nach dem Sieg über Zenobia zur EeichsreUgion erhobt sieht
V. Domaszewski, Arch. f. Religionswiss. XI. 1008, 223 ff. (Abb.
zur röm. Relig. 197 ff.) den Ursprung des Sonnenkultus im aus-
gehenden Altertum, was Jalabert in der sonst anerkennenden
Besprechung Mel. de la fac. Orient. St. Jos. de Bejr. IV, 1910,
.S. XXIV ff. ebenso bezweifelt wie die Berechtigung, den Staat
von Emesa mit dem jüdischen zu vergleichen. — Cumont, Le
mysticisme astral, dans Tantiquite, Bull., Ac. roy. de Belgique, Classe
des lettr. et des sc. mor. et polit. 1909, 256 ff. berührt unttr
anderen Punkten auch die praktischen Anforderungen an die Lebens-
führung, welche die Astrologen an ihre SchtÜer stellten, und die
in einem Anhang f279 ff.j weiter ausgeführte Lehre mancher Stern-
deuter, daß die menschliche Seele feuriger Natur und den Ge-
stirnen verwandt sei. — J. Maurice, Eev. arch. IVxvii 377 ff.
glaubt , daß der aus Ill\Tien stammende Claudius II. ebenso wie
seine Nachfolger den ill}Tischen Sonnengott verehrte und daß Con-
stantius Chlorus diesen Kult in Gallien mit dem dort herrschenden
des Belenus-Apollo vermischte und zugleich im Sinn des herrschenden
philosophischen Sonnenkults umdeutete. Aber schon Claudius II.
soll auch den orientalischen Sonnengott auf seine Münzen gesetzt
haben. Noch Constantin hat sich seiner Abstammung von der
Sonne gerühmt und Münzen mit der Legende Sol invictus schlagen
lassen: er hat auch in Konstantinopel den Heiioskoloß errichtet,
der seine eigenen Züge getragen haben soll. — Cumont, La
theologie solaire du paganisme romain Olem. pres. par div, sav. ä
lAIBL Xn^. 1909), findet im Gegensatz zu v. Domaszewski ('s. o.)
den Ursprung des späteren antiken Sonnenkultus in philosophisch-
astronomischen Spekulationen , die sich mit altorientalischen reli-
giösen Vorstellungen verbanden. Während in Ägypten der Mond
neben oder über der Sonne stand, ist er in Babylonien schon vor
Alexander hinter dieser zurückgetreten. Aber ausgebildet wurde
der .Sonnenkult nach Cumont erst unter den Seleukiden. Er ist
zunächst ein wissenschafthches System, beruhend auf der Annahme,
daß die Sonne, der vierte Planet, in der Mitte des Weltgebäudes
stehe und den Lauf der übrigen sechs Planeten lenke. In der
mittelsten Sphäre sich bewegend, wurde die Sonne Weltvemunft,
von ihr sollten alle menschliclien Seelen emaniert sein. Diese
Lehre war mit dem stoischen Pantheismus vereinbar. In Gfriechen-
g(j Religiousmischuug in der Kaiserzeit.
laad bat sie nach Cumout wahrscheinlich Poseidonios heimisch ge-
macht, von welchem Cicero im Somnium Scipionis und Varro ab-
hängen sollen. Als dann der philosophisch-platonische Dualismus
wieder aufkam und Gott als außerweltlich betrachtet wurde,
stellte ein anderer Syrer, lambhchos, der physischen Sonne die
überweltliche entgegen. Die Lehre hat aber auch auf den Gottes-
dienst Einfluß ausgeübt. Fast alle semitischen Baale waren in
hellenistischer Zeit Sonnengötter geworden, und das erleichterte
die ungeheure Verbreitung, welche diese Vorstellungen in der
Wissenschaft wie in den Kulten der Kaiserzeit fanden. Vielleicht
hat auch Cumont sich die jetzt freilich noch nicht zu beant-
wortende Frage vorgelegt, ob die von ihm mit Recht erschlossene
chaldäische Lehre in letzter Linie mit der von Chu en Aten ver-
suchten, aber in Ägj'pten unterdrückten Einführung des Sonnen-
dienstes zusammenhängen kann , der ebenfalls zum Monotheismus
di'ängte.
Über die Sitte, barbarischen Göttern, z. B. dem hundeköpfigen
Anubis, der sogar als Imperator gekennzeichnet wird, dem Horos,
Bes. Chnubis, luppiter Dolichenus, Malak Bei von Palmyra, luppiter
Heliopolitanus , dem Aziz von Edessa , römische Bewaffnung zu
geben, handelt im Anschluß an eine Bronzestatuette des Anubis im
Museo Nazionale Romano (Taf. 6 und 7) und an eine Votivtafel,
die den Zeus von Heliopolis zwischen zwei weiblichen Gottheiten
darstellt. Paribeni, Bull, de la soc. arch. d'Alex. III 2, 1910,
S. 177 ff. Er erklärt diese Tracht daraus, daß diese Götter in die
Religion des i*ömischen Heeres eingedrungen waren. — Fr. Cumont,
Astrolog}' and Religion among the Greeks and Romans, American
Lectures on the History of Religions. New-York und London 1912,
sammelt die bereits nach früheren Untersuchungen hier dargestellten
Ansichten Cumonts über die religiöse Bedeutung der Astrologie. —
Die Wege, auf denen sich der Kult der orientalischen Götter vor-
zugsweise im Westen verbreitete, glaubt D. Nelson Robinson,
Transact. Amer. Philol. Ass. XLIV 1913, 151 ff. durch eine Sta-
tistik der Stände feststellen zu können, denen die Dedikanten der
Weihinschriften angehören. Es werden von Gottheiten in Betracht
gezogen : Mithra, die Göttermutter, die ägyptischen, die syrischen
und andere Götter: von den Reichsteilen : Rom, das übrige Italien,
Britannien, Spanien, Afrika, Gallien, Germanien und die Donau-
provinzen. Alle Stände sind vertreten, aber die höheren verhältnis-
mäßig reichlicher als die niederen ; auffallend selten erscheinen die
Kaufleute, die. wie Robinson daraus folgert, nur wenig zur Ver-
Religionsmischung in der Kaiserzeit. 87
breitung dieser Kulte beigetragen haben können. Ob die Statistik
solche Schlüsse gestattet , ist aber doch zweifelhaft. Die wohl-
habende Bevölkerung, namentlich die festangesessene, nicht auf
der Durchreise begriffene , wird überhaupt leichter geneigt sein,
Votivsteine zu setzen als Proletarier und Reisende. — Clifford
Herschel Moore, Harvard Theolog. Stud. VIII 1915, lG6ff.
leitet in einer den Westen des Reiches untersuchenden Ab-
handlung den wachsenden Einfluß der orientalischen Religionen
davon her, daß das Bedürfnis nach individueller Religion, das in
der Kaiserzeit hervortrat , weder von der altrömischen Religion
mit ihrer Forderung der Unterordnung des einzelnen unter den
Staat noch von der jetzt ganz auf das Praktische gerichteten
Philosophie so befriedigt wurde wie von den orientalischen
Diensten, deren Anhänger sich Brüder nannten, sich zum
Gehorsam gegenüber dem Haiipt der Gemeinde verpflichteten
und dadurch nicht allein stark zur Wiederherstellung der Sitt-
lichkeit beitrugen, sondern auch ernste Rivalen des Christentums
waren.
Das Eindringen der einzelnen orientalischen Götter in die helle-
nistische und römische Welt kann nach dem jetzt eingeengten
Rahmen (s. Vorhem. 1. AT) in diesem Bericht nicht mehr er-
örtert werden: nur auf die ägyptischen Götter, die in mehreren
Untersuchungen zugleich behandelt sind, die Herrscherkulte, die
wenigstens als Gesaraterscheinung aus dem Morgenland stammen,
und auf das Judentum kann hier eingegangen werden. 0. Seeck,
Herm. XLIII 1907, 642, schließt aus Tertull. ad nat. I 10 in
Verbindung mit Cic. Att, II 17, 2, wo mit Ziehen zu lesen sei
ut prae hac Isis stare videatur, daß der Senat 59 die Altäre
der ägyptischen Götter zerstören ließ, das Volk sie aber wieder-
herstellte, und der neue Konsul Gabinius sie am 1. Jan. 58
zum zweiten Male umzustürzen befahl. Sie müssen aber bald
wieder erneuert sein, da 53 eine dritte Zerstörung nötig wird.
Infolge von Prodigien wurden sie bald nachher wieder erneuert,
aber im Jahre 50 durch den Konsul L. Aemilius Paullus wieder
zerstört. — Über die Religionspolitik der Ptolemaier und der rö-
mischen Kaiser handelt ausführlich Otto, Priester und Tempel
im hellen. Ägypten. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Helle-
nismus, I, 1905, II, 1908. Im ganzen schränkt Otto die Bedeutung
des Griechentums für den ägyptischen Hellenismus ein. Selbst
unter den nur griechisch benannten Göttern sind , wie er meint,
oft altägyptische zu verstehen, z. B. unter dem memphitischen
83 Religionsmischung in Ägypten.
Hephaistos auf dem Stein von Rosette Ptab. Schon Alexander
und Soter waren gegenüber der einheimischen Religion absolut
tolerant gewesen , und dai'in sind ihnen alle Ptolemaier und auch
die römischen Kaiser gefolgt. Die ägyptischen Priester der Tempel
einer Stadt oder sogar einiger nebeneinander gelegener Orte
scheinen ziemlich häufig zu einem großen Priesterkolleg vereinigt
gewesen zu sein (I 20), bisweilen, wie es scheint, auch die Priester
räumlich weit getrennter Heiligtümer, da z. B. die alexandrinischen
Ptahpriester ihr Gehalt von dem memphitischen Ptahtempel be-
ziehen (I 22). Die Priester, deren Zahl außerordentlich groß ist
(I 37), bilden eine vom Staat anerkannte Korporation und werden
von ihm durch Verleihung von Sondervorrechten unterstützt. Otto
spricht deshalb (II 28 fF.) sogai' von einer ägyptischen Kirche,
während er die Berechtigung dieser Bezeichnung bei den nicht-
äg}-ptischen Gemeinden (II 284) bestreitet. Man kann daher, ob-
wohl ein Teil dieser Vergünstigungen auch den griechischen Kulten
zugute kam. wenn auch nicht unter den Kaisern (II 307), so doch
in der Ptolemaierzeit von einer gewissen Bevorzugung der ein-
heimischen Rehgion sprechen. Der Monarch war das Oberhaupt
der Kirche und hatte das Recht sowohl circa sacra als auch in
Sacra. Das ägj'ptische Priestertum mag sich innerlich dagegen auf-
gelehnt haben, aber gefruchtet hat es ihm nichts. Der Staat hat
auf der ganzen Linie gesiegt. — Von mehreren Veröffentlichungen
W. Webers über das Verhältnis der alten Religion des Nillandes
zu der griechischen ist, da sie meistens Einzelfragen behandeln, an
dieser Stelle nur die beim Antritt der ordentlichen Professur der
alten Geschichte in Groningen am 22. März 1912 gehaltene Rede
'Ägyptisch-griechische Götter im Hellenismus' zu erwähnen. Hier
werden die Elemente , die Entwicklung und die Nachwirkung der
im Hellenismus und nach ihm im römischen Reich wachsenden
äg}-ptiBchen Rehgion untersucht. Alexander fand in Rhakotis den
Kult des Sonnenosiris vor und ließ deshalb für die ägyptischen
Einwohner des dort gegründeten Alexandreia ein Heiligtum der Isis
und ihres Kreises errichten. Später wurden daraus die Stadtgötter
uyai^og dal/utuv und dyad^fj tvyjj von Alexandreia. Die ersten
Ptolemaier haben mit Ausnahme des elenden Philopator, der sich
zum äg}-ptischen Gottkönig machte und selbst die Residenz nach
Memphis verlegen wollte, bewußt und erfolgreich die altägyptische
Religion zu etwas ganz Neuem umgestaltet (25). Der Gottes-
begriff ist soweit gefaßt , daß alle individuellen Gestalten in ihm
aufgehen können : 'Philosophie und Theologie, Kunst und Literatur
Ägyptische Götter im Abendland. — Herrscherkulte. g9
können in dieser Religion Anregungen finden , wie sie selbst von
allen Kulturzentren etwas an sich zieht.' In Rom war der Dienst
der äg3'ptischen Götter noch in augusteischer Zeit nicht so ver-
breitet, wie nach den Schilderungen der erotischen Dichter an-
genommen wird. Aber seitdem Alexandreia Italien das Getreide
lieferte und unter den kaiserlichen Freigelassenen die Ägypter
wichtig wurden, nimmt, besonders unter Nero, Vespasian und Do-
mitian der ägyptische Kult in Rom an Bedeutung zu (29 ff.).
Unter Iidian ist Serapis ein Gott des Alls (33). — Nicht nur
für die literarischen Bestrebungen, sondern auch für die Religions-
pohtik der Ptolemaier in der zweiten Hälfte des 3. Jhs. kommt
in Betracht der Aufsatz von A. Olivetti, Neos Dionysos
(d. i. Philopator) in den Atti dell' acc. di Tor. L 1914/15,
989 ff. — Über die V'eibreitung der ägypt. Götter in den
lateinisch sprechenden Provinzen des römischen Reiches sprach
Toutain auf dem Archäologenkongreß in Kairo (Rev. hist. rel.
LIX 1909 ^ 233).
Im weiteren Sinne gehören zu den aus dem Orient eingeführten
Diensten auch die Herrschericuli e insofern, als die ihnen zu-
grunde liegende Vorstellung von der übermenschlichen Bedeutung
des Monarchen aus orientalischen Vorstellungen zuerst in den auf
barbarischem Boden entstandenen hellenistischen Reichen und von
dort aus in Rom Eingang fand. Allerdings läßt Hadzsits, Proc.
Amer. Phil. Assoc. XL 1909, S. XXXIX den stadtrömischen Kaiser-
kult aus zwei anderen Elementen , dem Ahnenkult und der Apo-
theose der Staatsidee, d. h. der Idee des wiederhergestellten
Stadtstaates sich zusammensetzen, und Kaerst, Gesch. des
hellenistischen Zeitalters II 1, 374 ff. bestreitet, daß der orien-
talische Begriff des Gottkönigtums oder die Messiasidee die
Hauptelemente der hellenistischen Herrscherkulte sind ; da er
auch den giiechischen Heroenkult als Ausgangspunkt ablehnt,
sieht er in ihnen Neubildungen, entstanden, 'weil die allgemeine
Entwicklung politischer Anschauungen und Verhältnisse , nament-
lich aber die Entwicklung der geistigen Kultur immer ent-
schiedener auf eine Apotheose des herrschenden Individuums
hindrängte' (389). Nur eine Anknüpfung der Herrscherkulte an
das ägyptische Gottkönigtum gibt Kaerst 377 zu. In der Tat
haben alle von ihm hei-vorgehobenen Momente auf die Ent-
stehung der Apotheose eingewirkt ; aber daß die im Orient aus-
gebildete monarchische Idee nicht bloß nachträglich mit dem Fürsten-
kult verknüpft wurde, ist schon deshalb anzunehmen , weil dieser
90 Herrscherkulte.
als dauernde Eiurichtuug besonders tief und beinahe ausschließlich
im Orient, und zwai' namentlich in Ägypten wurzelt, wo die Vor-
stellung des Gottkönigtums am sclu'offsten ausgebildet war. — L i e t z -
mann. Der Weltenheiland, Bonn 1909, S. 47, wendet gegen Kaerst
auch den Umstand ein, daß der mit der Vergötterung verbundene
Heilandsbegriff sicher keine hellenistische Neuschöpfung war. S. 50
hält Lietzmann für möglich , daß die hellenistische Gottköuigsidee
auf die uns z. B, noch ganz unbekannten Vorstellungen klein-
asiatischer oder syrischer Völker zurückgehe. — Mehrere neuere Ar-
beiten handeln über die Vergötterung der Herrscher im helle-
nistischen und römischen Äg^-pten. Dürrbach, Bull, corr. hell.
XXXI 1907, 208 ff. weist darauf hin, daß aus der Inschrift von
Nikurgia bei Dittenberger , Syll. I^, no 202 die Einführung des
Soterkultus im Jahre 308 nicht gefolgert werden dürfe-, doch hält
Otto, der (Priester und Tempel II 270 ff.) über die Apotheose
handelt, dies Datum wegen der halikaruassischen Inschrift bei Ditten-
berger OGIS I 16 für ungefähr richtig. Dieser Kult ist durch
Soters Sohn Philadelphos eingeführt, der dann viel später (vgl. ebd.
I 146 ff.) auch seine eigene Verehrung anordnete. Im Gegensatz
zu v. Prott, der ein Seleukidisches Vorbild annahm, sieht Otto 273
in dieser Schöpfung des zweiten Ptolemaios den zeitlich ersten
Beleg für einen von den Regierenden selbst ins Leben gerufenen
Herrscherkult. Trotzdem glaubt er, daß das System des Ptolemaier-
kults nicht national-ägyptisch , sondern eine Einrichtung des grie-
chischen Staates sei, da auch die Frauen offiziellen Kult empfangen
und die Herrscher besondere Kultnamen bekommen, was beides un-
ägyptisch sei. — Gerhard Plaumann, Ptolemais in Oberägypt.
(Leipz. histor. Abh. XVIII; 1910, will (S. 39 ff., bes. 51 ff.) nach-
weisen, daß neben dem bekannten eponymen Kult des Ptolemaios
^(fjTTjQ (und der weiteren Ptolemaier) in Ptolemais ein Kult des
O^tög ^lotr^Q als Stadtgott durch die ganze ptolemaüsche Zeit be-
stand und in die römische Zeit übernommen wurde. Dagegen blieb
nach Otto , Hermes XLV 1910, 48 zwar der Kult Alexanders unter
Augustus bestehen, aber der Ptolemaierkult wurde als Staats-
gottesdienst aVjgeschafft , und an die Stelle des Ptolemaios Soter
trat Augustus mit dem gleichen Beinamen. — Daß die Bezeichnung
als ^onTjQ bereits eine gewisse Vergötterung in sich schließt, er-
gibt sich, wenn dieser Ausdruck nicht bloß in den hellenistischen
Mysterien, sondern überhaupt während dieser Periode gleichbedeutend
mit l^tog ist, wie Dölger, ^lyßvg I, Rom. Quartalsclir. f. christl.
Altert. XVII 1910, S. 406 ff., besonders S. 422 zeigen will. Über
Herrscherkulte. 91
^lüzrJQ im Sinne von 'Erlöser' s. H. Lietzmanu, Der Welten-
heiland, Bonn 1909, S. 56 ff. , über den Kaiser als i^eov viog s,
ebd. 388. — Während nach Otto, Priest, und Tempel I, 138 ff.
der Alexanderkult erst durch Ptolemaios II. eingeführt war, der
die Leiche aus Memphis nach Alexandreia schaffen ließ , ergaben
Hibeh- und Elej)hantinepapyri, daß er bereits unter Soter bestand.
O. Rubens ohn, der in Arch. für Papyrusforsch. V 1913, 150 ff.
dies hervorhebt, meint, daß er sich an das Grab in Memphis an-
geschlossen habe , das nicht als provisorisch gedacht gewesen zu
sein brauche. Weiter wird gezeigt, daß Berenike, die dritte Ge-
mahlin des ersten Ptolemaios , vergöttert als Kultgenossin des
lebenden Herrschers erscheint, und daß ein Dekret gleich im An-
fang der Regierung Ptolemaios' III. monatliche Opfer für das lebende
Herrscherpaar anordnete. — Ebd. 202 nimmt W^ilcken seine
Zweifel an der Begründung des ägyptischen Alexanderkultus durch
8oter zurück. — Über den Kult der Ptolemaier in Kypros handelt
Toutain, Act. du 4. Congr. intern, d'hist. des rel. S. 135, der
dem Kult einen zugleich regionalen und munizipalen Charakter zu-
schreibt. Der inschriftlich öfters genannte Oberpriester hatte viel-
leicht die Überwachung des ganzen Ptolemaierkultus. Wilckens
Schüler Fr. Blumenthal, der im Archiv f. Papyrusf. V 1913,
317 ff. die ganze Überlieferung über den ägyptischen Herrscherkult
von Antonius an zusammenstellt, leugnet (329) überhaupt, daß der
Kaiserkult den staatlichen Dienst der Ptolemaier fortsetzte , und
behauptet , daß er kommunaler Art gewesen sei. Zwar ließ An-
tonius sich als Dionysos verehren , er wollte also als Nachfolger
der Diadochen gelten, doch wurde ihm ein offizieller griechischer
Kult nicht errichtet , und er genoß auch keine Pharaonenehren.
Der jüngere Caesar ist sofort von der ägyptischen Kirche als Pharao
verehrt worden , aber einen dem Ptolemaierkult entsprechenden
staatlichen Kult der lebenden Kaiser hat es nach Blumenthal nicht
gegeben ; auf Staatsurkunden ist der Kaiser bei Lebzeiten nicht
d'Eog, auch in den Eiden nicht, die allerdings auch in der Kaiser-
zeit beim lebenden Herrscher geschworen wurden (vgl. aber Zeus'
^EXevd-egiog in einer Schwurformel , ebd. 329 ff.). Seine Statuen
heißen nicht dyalf-iaTa, sondern di'ÖQiavveg. An den ^i.iiQai ^eßaarai
wurde (336 ff.) nicht dem Kaiser geopfert , sondern für ihn und
seine Familie ; wenn wii-klich die Christen gezwungen wurden, dem
Herrscher selbst Opfer darzubringen, so müssen Übergriffe der Be-
amten vorliegen (328). Damit steht nicht ganz in Einklang die
Feststellung, daß diese Feiern ursprünglich auch nach dem Tode
92 Herrecherkulte.
der Kaiser innegehalten wurden, und daß nur ihre sich rasch ver-
größorude Zahl bald da/Ai nötigte , die anfangs monatlichen Feste
zu jährlichen zu machen. Ebenso wie den staatlichen Kult des
lebenden Kaisers in Äg\'pten bezweifelt Blumenthal den Provinzial-
kult, und zwar schon deshalb, weil die Voraussetzung, eine offizielle
Städtevertretung, fehlte. Der in den verschiedenen Sebasteien
— auch Alexandreias — ausgeübte Kult ist demnach als reiner
Stadtkult aufzufassen (326) ; als die Städte kein Geld mehr für
Luxusbauten hatten, hörte die Errichtung neuer Tempel auf; die
letztbezeugten sind die der Faustinen. — In dem Archiv f. Papyrusf.
VI 1914, 77 ff. nimmt G. Plaumann Untersuchungen über den
doppelten Alexanderkult in Ägypten wieder auf.
Über die Kaiserverehrung in den übrigen Provinzen sind so
eingehende Sonderuntersuchungen in den letzten Jahren nicht er-
schienen. Allgemein handelt über sie in den Westprovinzen Toutain .
Les cultes paiens dans l'empire romain I 1, 19 ff. Es wird u. a.
ausgefühi-t, daß die Seviri und Augustales sich in ihren besseren
Bestandteilen vorzug.sweise aus reich gewordenen kleinen Kaufleuten
und Freigelassenen zusammensetzten , die aus dem griechischen
Orient stammten, während die Priester des Provinzial- und Munizipal-
kaiserkultus sich besonders aus den besseren einheimischen Familien
rekrutierten, die mit dem Bürgerrecht beschenkt waren. — Über
die Feier des Fürstengeburtstags handelt W. Schmidt, Geburtst.
im Altertum (RV u. V VII j, 1908) S. 53 ff. — Pascal, Credenze
d'Oltretomba II 241 ff. will vom religionsgeschichtlichen Stand-
punkt aus die Kaiservergötterung, insbesondere die des Cäsar und
Augustus, ihre Entstehung und Bedeutung betrachten, was, wie er
glaubt, bisher nicht geschehen ist. — Riewaldt, De imperatorum
Romanorum cum certis dis et comparatione et aequatione (Diss. Hai.
phil. XX 3, 1912, 265 ff.) behandelt zunächst die Dichterstellen,
dann (271 ff.) die Fälle, in denen ein Kaiser sich selbst einem
bestimmten Gott verglich oder vergleichen ließ , dann (286 f.) die
griechischen Texte, in denen ein Gott einem Kaiser gleichgesetzt,
nicht bloß verglichen wird (gewöhnlich so , daß der Name des
Gottes oder seine Epiklesis hinter dem Gottesnamen erscheint, oft
mit dem Zusatz veog), endlich diejenigen Kaiser, die avvvaoi eines
Gottes wurden und dessen Epiklesis empfingen. Die Sammlung
ist reichhaltig, aber die Anordnung nicht bequem ; sie läßt sich auch
nicht glatt durchführen, doch hat der Vf. durch Indices locorum
und imperatorum die Übersicht erleichtert. Leider fehlt ein Index
deorum. Daß gelegentlich auf alexandrinische und sogar noch ältere
Herrscherkulte. 93
Fälle der Apotheose zurückgegriifen "wird, ist an sich zu loben, aber
ein Grund ist nicht überall zu erkennen. — Über Tholosbauten zu
Ehren von Herrschern, die sich als Dreizehnte neben die 12 Götter
stellen wollten (zuerst Philipp von Maked., Diod. XVI 92, 5; dann
Alexander und besonders Hadrian) s. Weinreich, Sitzber. Heidelb.
AW IV, 1913, VII, S. 39 f. — Lily Ross Taylor, Transact.
Am. Phil. Ass. XLV, 1914, 231 bespricht besonders die Re-
organisation der Kollegien der Augustales, Seviri Augustales, Öeviri,
durch welche Traian ihre religiöse Bedeutung verringert, ihre
politische dagegen verstärkt haben soll. Die Augustales wurden
dadurch nach Taylor ein Stand neben dem Munizipalsenat und der
Plebs, also ähnlich den römischen Rittern.
Eigentümliche Vorstellungsverbinduugen traten da ein, wo die
Apotheose mit der alten Anschauung verbunden wurde , daß die
vergötterte Seele als Stern am Himmel wohne. Cumont, Rev.
liist. rel. LXII, 1910 2, 119 ff. weist nach, daß die bei der
Konsekration römischer Kaiser, aber auch bei Privatleuten des
Okzidents bezeugte Vorstellung von der Hinauftragung der Seele
durch einen Adler an hellenistischen Grabmälern Syriens eine Ent-
sprechung und dort wahrscheinlich auch die Heimat habe. Der
Adler, der sich überwiegend bei Männern findet, scheint hier
Symbol der Sonne zu sein; die Bedeutung des dafür bei Frauen
auftretenden Korbes untersucht Cumont nicht; bei der nahen
Beziehung zwischen Mysterienkorb und Mond kommt in Frage,
ob vielleicht dieser gemeint sei. Ebd. 155 handelt Cumont über
die Bedeutung der Quadi-iga bei der Apotheose ; vgl. dazu
Deubner, Rom. Mitt. XXVII, 1912, S. 8. — In einem von
Kornemann, Klio VII, 1907, 278 ff. herausgegebenen Papyrus-
stück steht a(j(.iazi kev'/.07tioXi^ Üqtl TQctiav[ii)\ acvarazelXag rj-AO)
üoi 0) ärjfx[e] ov/. ayvcoazog, Ooißog dsög ava^xa '/.aivop^u^ÖQiavov
ayy&Xl[iüv]. Der Herausgeber vergleicht die Himmelfahrt auf der
Augustusara des Vatikans (Abb. ebd. zu S. 280).
Bisweilen wird eine Bezeichnung oder Andeutung der Göttlich-
keit Teil des Herrschernamens. Über ^cozr^Q s. 0. {S. 90). Auch
'EnLfpavii'ig ist Gottesbezeichnung gewesen. — Aus einer Übersicht
der Inschriften, auf denen dies Götterbeiwort erscheint, gewinnt
Steinleitner, Die Beicht, Münchner Diss., 1913, S. 19 das
Ergebnis, daß es ebenso wie eTvigxxveia, iiiKpavaGzaTOg zur Sakral-
sprache des Ostens gehört, und zwar das unerwartete hüfreiche Er-
scheinen der Gottheit bezeichnet. Wahrscheinlich von Kappadokien
aus soU die Bezeichnung; auf die Könige übertragen sein. — Divos,
94 Herrscherkulte.
die Bezeichnung der konsekrierten Kaiser entspricht Dach Schwering,
Indog. Forsch. XXXIV, 1914/15, 1 ff. begriffhch dem 0 Bug, das
nur ausnahmsweise als Beiwort eines nichtrömischen Herrschers
erscheint. Im Gegensatz zu dius „göttlich", d. h. „von Gott ab-
stammend", ist divus anfangs Substantiv; später, aber hauptsäch-
lich erst in chi'istlicher Zeit, hat sich von der Kaiserkonsekration
aus die Umdeutung vollzogen. Sind demnach divos und deus der
gi-ammatischen Funktion nach gleichwertig, so bestand doch im
Gebrauch ein Unterschied insofern , als deus , nicht aber divos
Gattungsbegriff geworden ist.
"Was die einzelnen Konsekrationen anbetrifft, so gibt Hubert
Heinen, Klio XI, 1911, 129 ff. eine Übersicht über die von
48 V. Chr. bis 14 n. Chr. beschlossenen. Es werden der ältere
Cäsar, ferner (137 ff.) M. Antonius und Sex. Pompeius, endlich
(139 ff.) Augustus behandelt. — Über Cäsarf; Vergötterung sprechen
V. D 0 m a s z e w s k i , Phil. LXVII , 1 908 , 1 ff. (Abh. zur röm.
Rel. 193), der in den luperci luliani eine Nachbildung der ^^xTalLaazai
des Dionysos und in dem flamen des luppiter lulius eine Nach-
bildung des iegeig ßaoiXtcog von Pergamon sieht, Stanley Dünn,
Proceed. Amer. Phil. Ass. XL, 1909, S. XXVII und Fowler,
Roman Ideas of Deity, 1914, S. 107 ff. — Für das Fortschreiten
der Vorstellung von der Göttlichkeit des kaiserlichen Hauses sind
zwei von v. Domaszewski, Arch. f. Eeligionswiss. XII, 1909,
334 ff. besprochene kyprische Kalender interessant. Der eine, aus
den Jahren 21—12 v. Chr., nennt die Monate außer einem, der
nach (Zeus) Jianeiio'/aog heißt, nach Mitgliedern des kaiserlichen
Hauses; der zweite, aus dem Jahre 2 v. Chr., ersetzt diese durch
die Amtstitel des Kaisers. — Die herkömmliche, sich auf Suet. div.
Aug. 52 stützende Annahme, daß Augustus sich nur in Verbindung
mit der dea Roma verehren ließ, ist nach W. Otto, Herrn. XLV,
1910, 44S irrig: auch außerhalb Ägyptens hat er sich — nicht
bloß seinen Genius — auch ohne jene Göttin als Gott feiern lassen,
und diese Verehrung entsprach seinen persönlichen Ansichten. —
Daß Augustus nicht bloß im Anfang seiner Regierung vorüber-
gehend , sondern auch später als Mercur vergöttert wurde , sucht
Hubert Heinen, Klio XI, 1911, 150, 3 gegen Wissowa zu er-
weisen.— Zu den Vermutungen Pascals, Le credenze d'Oltre-
tomba, Catania, 1912, II 248 ff. vgl. Berl. Phil. Wochenschr. XXXIII,
1913, 1070f. — Das Augusteum in Rom wollte nach Richmond,
Essays and Stud. pres. to Ridgeway, 1913, S 205 ff. Tiberius im
Jahre 37 zum 100. Geburtstag des Augustus fertigstellen, aber
Herrscherkulte. — Heidentum und Judentum. 95
Caligula stieß den Plan des verhaßten Vorgängers um und verlegte
den Augustuskult vor den Tempel des Apollo Palatiuus. — Über die
Apotheose des Antoninus und der Faustina auf der Antoninussäule
spricht L. Deubner, Rom. Mitt. XXVII, 1912, 1 ff., der wie
Cumont diese Darstellungsform der Kaiservergötterung aus dem
Seleukidenreich herleitet. — Im Anschluß an die Herrscherknlte
sei einiger Untersuchungen über die Apotheose des Antinoos
gedacht. W. Weber, zwei Untersuchungen z. Gesch. d. ägypt.-
griech. Religion, Progr. Heidelb., 1911, 19 ff. (vgl. Unters, zur Gesch.
des Kaisers Hadr. 248 ff.) will nachweisen, daß der Jüngling deshalb
als Hermes vergöttert wurde , weil Hadrian, als sein Liebling in
Besä ertrank, in dem gegenüberliegenden Hennopolis mit den
Hermespriestern Geheimwissenschaften trieb. Deshalb wird Antinoos
mit dem Kerykeion dargestellt. Nach Hadrians , seines größten
Gläubigen, Sinn soll Antinoos ein Urgott der Panhellenen gewesen
sein, doch wurde er (ebd. 20 ff.) auch dem Bes, dem Gott von Besä,
gleichgesetzt. — G. Blum, Mel. d'arch. et d'hist. XXXIII, 1913,
65 ff., der einen Kopf des Antinoos aus dem Thermenmuseum ver-
öffentlicht, betont, daß es sich bei dem Antinooskult — in Ägypten
wenigstens — um einen wirklichen, innerlich empfundenen Gottes-
dienst handelte, der öfters einen lugubren Charakter hatte. Die
auf seine Verehrung bezüglichen Münzen sammelt Blum im Journ.
intern, d'arch. numism. XVI, 1914, 33 ff. Es ergibt sich aus
ihnen, daß der Kult bis in das 4. Jh. fortlebt, und daß man den
Antinoos um Fruchtbarkeit des Landes und um die Ruhe im
Jenseits bat. — Wilcken, Arch. Jb. XXXII, 1917, 202 erinnert
daran, daß die im Nil Ertrunkenen, die iaieig^ kleine Opferaltäre
im memphitischen Serapeion hatten, also wohl als vergöttert be-
trachtet wurden.
Von der großen, teilweise durch Papyrusfunde angeregten
Literatur, die sich mit der Stellung des Judentums zu der
Religion der Griechen und Römer und mit den Einwirkungen be-
schäftigt , die beide aufeinander ausübten , können hier nur die
wenigen für die antike Religionsgeschichte wichtigen Arbeiten hervor-
gehoben werden. Obwohl die rechtliche Stellung der Juden im
römischen Reich gewiß nicht ungünstig , in mancher Beziehung
sogar privilegiert und jedenfalls besser war, als die der Christen
(Toutain, Les cultes paiens I 1, 233; vgl. B. Motzo, Atti
acc. Tor. IIL, 1912/13, S. 577, der über die rechtliche Stellung
der Juden unter den Lagiden und in der Kaiserzeit handelt), war
ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage im allgemeinen nicht
96
Der heidnische Staat und das Judentum.
erfreulich, und namentlich wo es ihnen doch gelungen war, empor-
zusteigen , wurden sie gehaßt. Vgl. * S t ä h e 1 i u , Der Anti-
semitismus des Altertums, Basel, 1905; Bludau, Zu den Juden-
verfolgungen im alten Alexandria, Münster i. W., 1906 ; ü. Wilcken,
Zum alexandrinischen Antisemitismus, Abh. SGW ph.-hist. Gl. XXVII,
1909, „0 XXIII, S. 780 ff., der von einer Eingabe ausgeht, welche
die heidnischen Einwohner von Apollinopolis parva an den Kaiser
wegen der Überlassung einer andern Legion zum Schutz gegen die
avoaloi^;^ lovöaiovg gerichtet hatten. Dieser Gegensatz verhindert
aber nicht , daß an andern Stellen Ausgleichungen zwischen dem
Judentum und dem Heidentum stattfanden oder wenigstens ver-
sucht wurden. In dem Aufsatz Le mystere de Sabazios et le
judaisme, Compt. rend. AIBL , 1906, 63 ff. setzt Fr. Cumont,
seine Untersuchungen über die jüdisch-heidnische Mischreligion
fort, die sich infolge der systematischen Judeuverpflanzungen nach
Kleinasien dort im 2. u. 3. Jh. gebildet hatte und die zur Gleich-
setzung von Zebaoth und Sabazios führte. Vincentius, dessen Grab
in den Katakomben gefunden ist, soll ein Priester dieser jüdischen
Ketzer gewesen sein, dem die Christen ein Grab gewährten, weil
sie an ihm manches Verwandte erkannten. Der Angelus Bonus
auf dem Wandbüd des Grabes ist nach Cumont jüdisch. Diese
Annahme einer Verschmelzung des Sabazioskultus mit jüdischen
Elementen verteidigt Cumont, Musee Beige XIV, 1910, 55 ff. gegen
Jamar, der ebd. XIII, 1909, 227 den jüdischen Einfluß auf den
Sabazioskult geleugnet und die monotheistische Umformung des
alten thrakisch-phrygischen Dienstes auf syrische Einflüsse zurück-
geführt hatte. — Auf die synkretistischen Judengemeiuden Klein-
asiens bezieht Eisele, Neue Jahrb. XXIII, 1907, 631 Joh.
uno/.. II 9 und III 9. — Über die Ausgleichung von Dionysos -
Sabazios und Jahwe-Sabaoth s. auch Perdrizet, Rev. et. anc. XII,
1910, 241 ff., der aus dem Bruchstück des Satyros über die Demen-
ordnung von Alexandreia folgert, daß Ptolemaios IV. Philopator,
selbst ein überzeugter Dionysosverehrer, einen neuen, auch die Juden
umfassenden Reichskult stiften wollte.
Eine Übersicht über die Arbeiten, welche das Verhältnis der
antiken Religion zum Christentum behandeln, muß aus Raummangel
fortfallen.
97
IV. Der Kultus.
Entsprechend dem Ziele, das diesem Teile des Jahresberichtes
gesteckt ist, wird nur das für die Religionsgeschichte Wichtige
verzeichnet; Fragen, wie die nach der Verwaltung der Tempel-
güter, nach der Organisation und nach der rechtlichen Stellung des
Priestertums, sind im allgemeinen andern Teilen dieser Jahresberichte
überlassen. Dagegen schien es bei dem meist engen Zusammenhang
des Aberglaubens und des Kultus angemessen, hier alle Untersuchungen
über jenen zusammenzustellen, auch wenn ein mit dem Aberglauben
verbundener Zauber oder Kultusakt darin nicht erwähnt wird.
1) Zum Fortleben autiker Riten im heutigen Aberglauben.
John Cuthbert Lawson, Modern Greek Folklore and
ancient Greek Religion, A. Study in Survivals, London 1910, macht
den ersten umfassenden Versuch , die Ergebnisse der weit zer-
streuten Arbeiten über das Fortleben der alten Rehgion und Sage
im heutigen Griechenland zu sammeln; vieles hat er selbst dem
Volksmunde abgelauscht, anderes entnimmt er nicht nur, wie natür-
lich , Politis und B. Schmidt , sondern auch minder zuverlässigen
Quellen wie Fr. Lenormant. Von der Dauerhaftigkeit des Volks-
glaubens hat er eine sehr hohe Vorstellung; der erste beste neu-
griechische Bauer würde manche Stellen der Tragiker, wenn er sie
lesen könnte , seiner Ansicht nach (460) besser verstehen als der
gelehrteste Philologe. Daß die von ihm als altgriechisch vermuteten
Vorstellungen sich z. T. bei vielen anderen heutigen Völkern finden,
weiß Lawson wohl und ist bisweilen über diese Übereinstimmungen
erstaunt (z. B. 318); in andern Fällen erkennt er eine Verschieden-
heit des alt- und neugriechischen Volksglaubens an , die er durch
das Eindringen slavischer Vorstellungen erklärt. Reinlich durch-
führen läßt sich diese Scheidung aber nicht; und das Ergebnis ist
bisher nur das unbestimmte, übrigens von vornherein zu vermutende,
daß der heutige Volksglaube Griechenlands dem altgiüechischen
zwar näher steht als der Italiens, Mitteleuropas, Vorderasiens oder
noch entfernterer Gebiete, sich aber keineswegs mit ihm deckt. So
nahe es liegt, den modernen neugriechischen Volksglauben, der auf
einer tieferen Stufe steht als der in der klassischen Literatur über-
lieferte , für dessen Ausgangspunkt zu halten , so ist es dennoch
nicht gestattet, dies Verhältnis, das freilich im einzelnen Fall be-
standen haben kann , allgemein vorauszusetzen , die begriflflich
Jiihre3bericht für Altertumswissenschafi. Bd. 186 (Siipplenientband). 7
93 Hellenisches im Neugriechischen.
primitive Vorstellung auch für die geschichtlich ältere zu halten
oder gar antike Überlieferungen danach zu berichtigen. Lawson
handelt hauptsächlich von den Vorstellungen über den Zustand der
Seelen nach dem Tode, und es wird daher auf sein "Werk auch bei
der Besprechung dieser Rücksicht zu nehmen sein. — Weniger,
Arch. f Religionswiss. X, 1907, 252, bespricht das Fortleben von
Vorstellungen des delphischen Dionvsoskultus im Parnaßgebiet. —
Besonders Svoronos zieht gern neugriechische Gebräuche zur Er-
kläi-ung alter Riten und Mythen heran; vgl. z. B. seine Vermutungen
aber den Kledonas, der mit den altgriechischen yXtjdoveg verglichen wird
(Journ. intern, d'arch. num. XII, 19"Ö9/10, 308 ff.), über die Kalli-
kantzaroi, die durch einen Speerstoß in die Erde vertrieben werden,
wie nach Svoronos die bösen Geister durch Athenas Speerstoß auf
der Burg (ebd. XIV, 1912, 244 ff.). Seine Auffassung über das
Fortleben altgriechischer Mythen im neugriechischen Volksglauben
sucht B. Schmidt. Neue Jahrbb. XIV, 1911, 643 gegen die Be-
denken zu verteidigen, die K. Dieter ich ebd. 1906, 81 in der
Besprechung von Politis' nagaSoaeig erhoben hatte. — Die zur Be-
urteilung solcher Fragen erforderlichen Überlieferungen werden be-
greiflicherweise am besten von I^inheimischen, Forschern und auch
Laien gesammelt werden. Es ist daher zu begrüßen, daß seit 1908
auch in Griechenland unter Führung von N. Po litis eine Gesell-
schaft für Volkskunde, die )MoyQa(fixr] traioEia besteht, die eine
Vierteljahrsschrift, die ylaoyqacfia I, 1909) herausgibt. — Die seit
1910 erscheinende Zeitschrift Apulia widmet wenigstens einen
Teil ihres Inhalts dem Archivio demografico. Aber auch der Volks-
glaube anderer Länder ist heranzuziehen, denn wenngleich noch
keineswegs in jedem einzelnen Fall aufgeklärt ist, durch welche
Zwischenglieder der Aberglaube und die Gebräuche des heutigen
Europa oder gar die noch ferner liegender Gebiete mit den antiken
zusammenhängen, so kann doch die Tatsache dieses geschichtlichen
Zusammenhangs und auch die sich aufdrängende Beobachtung nicht
bestritten werden , daß im allgemeinen eine P^rscheinung auf dem
Gebiet des Volksglaubens sich auf einem um so größeren Gebiet
findet, je älter sie ist. So bestimmt die Voraussetzung, daß der-
artige Übereinstimmungen aus einer Veranlagung des Menschen-
geschlechtes zu erklären seien, und der Schluß abgelehnt werden mußte,
daß moderne Parallelen ohne weiteres antike Riten erklären und die
Angaben darüber als gleichwertige Zeugnisse unter Umständen richtig
stellen können (.s. S. 4 ff.) , so verdienen sie doch Beachtung
schon als Problem , dessen Lösung erkenntnisfördemd sein kann.
Volksglaube und Volksbräuche. 99
Die antike Religionswissenschaft darf daher an den zahh-eichen
Zeitschriften für Volkskunde und an den Verhandlungen und Ver-
öffentlichungen der vielen anthropologis(;hen xand ethnographischen
Vereine nicht vorübergehen. Tatsächlich gehören solchen Gesell-
schaften auch viele Gelehrte an, die auch auf dem Gebiet der an-
tiken Religionsgescliichte tätig sind. Vorsitzender des auf An-
regung des Direktors vom Trocaderomuseum Verneau -gegründeten
Institut franpais d'anthropologie war während der ersten drei Jahre
S. Reinach, und Dussaud, Durckheim, Meillet, Mauß, Hubert zählten
zu ihren Mitgliedern. Auch Werke, wie die Festschrift der schle-
sischen Gesellschaft für Volkskunde, Breslau 1911, die Zeitschriften
für Volkskunde wie die Anthropophyteia, Jahrbb. für folkloristische
Erhebungen zur Entwicklungsgeschichte der geschlechtlichen Moral,
herausgegeben von Dr. Fr. S. Krauß, die Bayerischen Hefte für
Volkskunde, Vierteljahrsschrift vom ba3'erischen Verein für Volks-
kunde (I. 1914; darin z. B. Rob. Eisler, Fischer- und SchilBfer-
gebräuche aus alter und neuer Zeit, I 209 ff., II 73ff.), die zuerst von
A. Strack unter Mitwirkung von Usener und Dieterich geleiteten
Hessischen Blätter für Volkskunde, jetzt herausgegeben im Auftrage der
hessischen Vereinigung für Volkskunde von K. Helm u. H. Hep-
ding (darin z.B. VII, 1908, 40 eine Mitteilung von Hepding über
moderne griechische Neujahrsgebräuche in Pergamon) und viele
andere bringen auch solche Untersuchungen, die für die Erforschung
des Altertums Bedeutung gewinnen können. — Keltische Mythen, die
er aus mittelalterlichen Quellen schöpft, führt A. B. Cook, Folk-
loi'e XVIII, 1907, 24 ff. an, um Einrichtungen zu erweisen, die
dem Kult von Aricia verwandt gewesen sein und diesen erklären
sollen. — Folklore aus dem heutigen Palästina sammeltMos. H. Spoer,
Folklore XVIII, 1907, 54 ff. Es sind hier vorläufig nur einige
Arbeiten namhaft gemacht, auf die im folgenden nicht besonders
eingegangen werden kann ; gerade über die für die Erforschung der
antiken Religion wertvollsten Untersuchungen, die sich in der immer
wachsenden Zahl der Zeitschriften für Volkskunde finden, ist teil-
weis schon gehandelt worden , teils wird von ihnen in anderem
Zusammenhang zu sprechen sein. Hier sei nur noch im allgemeinen
hervorgehoben, daß der Wert dieser Vergleichung von Begehungen
zunächst meist nur in der Sammlung des Materials besteht, das
zwar vielleicht später Schlüsse gestatten wird , vorläufig aber fast
nie richtigen und sicheren Aufschluß über die Bedeutung einer
Begehung gibt, weil diese oft weitergeübt wird, nachdem ihr Sinn
sich verändert hat.
IQQ Dämoneuglaube.
2) Götter uwd Dämoiieu. Ihre Stätte.
Im Auschluß an Apul. de mag. 43 handelt Ad. Abt, Apol.
des Apul. von Madaura ßV u. V IV 2. 252 tf. über die Dämouen-
lehre des Neuplatonismus . die zur theoretischen Begründung der
Zauberei benutzt wurde. — Die antike Magie behandelt Jevons
in einem Aufsatz , der zuerst in dem aus Vorlesungen in Oxford
hervorgegangeneu Sammelwerk, Anthropolog}- and the Classics 1908
und später deutsch 1910 in der Übersetzung dieses Buches von
Joh. Hoops, S. 115 iF. erschienen ist. — Charles Michel.
Les bons et les mauvais esprits dans les croyances populaires de
Tancienne Grece (Rev. hist. litt. rel. n. s. I, 1910, 193) bespi'icht
zunächst die Volksvorstellungen, von denen einige wie die von
den Musen in eine höhere Sphäre gehoben wurden, dann die Lehren
der Philosophie. — Zwölf antike Geister- und Gespenstergeschichten
(„Braut von Korinth'" ; andere Totenerscheinungen; Geschichten
von dankbaren Tieren; Spukgeschichten; Geschichten von Weis-
sagungen durch Geister ; Jenseitsvisionen ; Geschichten von Schein-
toten; von gefährlicher Totenwacht; von Werwölfen ; „die wandernde
Glocke"; Liebes verkehr mit übermenschlichen Wesen: Verlöbnis
im Doppeltraum; die Geschichte von dem Philosophen, der den
Spuk verlacht) sammelt und übersetzt P. Wendland, Festschr.
der schles. Gesellsch. f. Volksk., 1911, S. 33 ff. — Die meist barbari-
schen Namen von Dämonen, die in der Lekanomantie einer Neapler
griechischen Hs. angerufen werden, sucht Fr. Boll, Arch. f. Re-
ligionswisseusch. XII, 1909. 149 ff. zu deuten; der Name des neu-
griechischen y.aliy.avTaaQog] ist nach Boll aus y.avd^aQog entstanden. —
Über die Strix handeln Oppenheim, Wien. Stud. XXX, 1908,
158 ff., der 160 A. 1 Otos mit Tümpel bei Pauly-Wissowa R.E
V 2848 für einen eulenartigen Nachtdämon hält , und 0 1 i p h a n t .
Transact. Amer. Philol. Assoc. XLIV, 1913, 127 ff., XLV, 1914,
49 ff., der u. a. die Vermutung zurückweist, daß die Strix als Eule
(.<?. u. S. 140 das.) vorgestellt wurde und nur eine Ähnlichkeit gewisser
Volksvorstellungen zugesteht. Auf Reste der Vorstellungen von
den Striges in heutigen neugriechischen Überlieferungen weist
Wit. Klinger, Phü. LXVI, 1907, 344 hin.
_Zur Geisterbaimung im Altertum" ist die Überschrift einps
Aufsatzes von Wünsch, Festschr. der Schles. Gesellsch. f. Volksk.
1911, S. 9 ff., der au.sführlich das Fortsenden (aycontiJTtecv, ctno-
di07rof.i7r£iadai, was mit Et. Magn. 125, 35 von Z. ^^TrorgorraJog
hergeleitet und als „sich von Zeus einen bösen Geist fortsenden
Dämonenglaube und Volkßbräuche. 101
lassen" gedeutet wird) böser Dämonen, z. B. die Bannung in das
Meer (25), in die wilden Berge (27), zu den wilden Ziegen (28)
und in den Hades (30) erörtert. Im Anschluß an und in Er-
weiterung von Schmidts Aufsatz, Philol. Jahrb. CXLIII 561 ff.,
werden zahlreiche antike und auch neuere Gebräuche besprochen. —
Als eine athenische Sitte will 0. Kern, Arch. f. Religionswiss.
XV, 1912, 642 die Aiistreihung des Bidimos aus Aristoph. 7tX.
H70 ff. erweisen. Vielleicht läßt sich auch das ?j^iov tteöiov ver-
gleichen , das bei den Paroimiographen (z. B. Zenob. 4, 93 ; vgl.
dazu Leutsch - Schneidewins Anmerkung) öfters erwähnt wird. —
Das Lärnimachen mit Er z geraten wird gewöhnlich als ein
Mittel betrachtet, Dämonen zu vertreiben; nach Parmentier,
Rech, sur le traite d'Is. et d'Osir. de Plut. S. 31, diente es aber
ursprünglich gerade dem umgekehrten Zweck, sie zu rufen. Die
Begründung ist scharfsinnig, aber nur für einen Teil der Riten
überzeugend. Über die Verscheuchuug der Dämonen durch Horn-
blasen , s. Scheftelo witz , Arch. f. Religionswiss. XV, 1912,
485 ff. Über den Glauben, daß Menschen von Dämonen be-
.'i essen seien, handelt J. Tamborino, De antiquorum daemonismo
RVu. V VIT, 1908/9, III. (Kap. II u. III sind als Dissertation
von Münster 1909 u. d. T., De antiquorum daemonismo erschienen).
Das erste Kapitel der von Kroll angeregten Untersuchung stellt
zunächst die griechischen, dann (mit sonderbarer, zu manchen Un-
zuträglichkeiten führender Unterscheidung) die christlichen Zeugnisse
zusammen ; im zweiten Kapitel werden die Ansichten der Alten
über die besessenen Menschen , über die Dämonen , die von ihnen
Besitz ergreifen , über die Mittel ihrer Austreibung , über die Art
und Weise , in der die Dämonen sich verraten und über die Be-
schwörer besprochen. In derselben Reihenfolge handelt das dritte
Kapitel von den christlichen Vorstellungen. Viele Lesungen der
zitierten Pap}Tusstellen verbessert Preisendanz, Liter. Zentralbl.
1900, 1608 f.
Vielfach wurden die Dämonen , namentlich die für schädlich
gehaltenen oder im Fluchzauber angerufenen , als Geister Ver-
storbener betrachtet. Man faßt diese Gespenster, zu denen auch
einige der früher genannten Arten gerechnet werden können , bis-
weilen vinter dem bulgarischen Namen Vampir zusammen , aber
J. Klapper, der in den Mitt. der Schles. Gesellsch. f. Volksk.
XI, 1909, 58 ausführlich diesen Vorstellungskreis behandelt hat,
empfiehlt m. R. zur Vermeidung von Mißverständnissen diese Be-
zeichnung auf den Sinn zu beschränken, den sie in ihrer Heimat
102 Dämonenglaube und Yolksbräuche.
ausdrückt. — Zum Zauber wurden namentlich solche Geister be-
schworen , die vor der Zeit oder die gewaltsam ums Leben ge-
kommen waren und deshalb , wie man glaubte , nicht in die all-
gemeine Ruhestätte der Toten eingehen konnten. Wie die meisten
weitverbreiteten Vorstellungen scheint auch diese uralt zu sein ;
aber zu einer das ganze religiöse Leben beherrschenden Macht ist
sie auf der Balkanhalbiusel wahrscheinlich erst in den letzten Jahr-
hunderten der vorgi'iechi.schen und in den Anftiugen der griechischen
Zeit vorübergehend gelangt. Eben damals trat an die Stelle der
Beerdigung oder der Bestattung in einem Felsengrab vielfach die
noch in der Ilias herrschende Sitte, die Leichen zu verbrennen (s. «.
Bcstaitimg). und es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihre Verbreitung
durch den Glauben begünstigt wurde, nach Zerstörung des Körpers
könne die Seele nicht mehr zur Oberwelt zurückkehren. — Für
die Vorstellung , daß die Seelen der acoQOi , namentlich der früh
verstorbenen Kinder umgingen, bringt Eitrem, Hermes und die
Toten, Christ. Vidensk. Selsk. Forh. 1909, V 54 f. Parallelen bei. —
S. Eeinach, Arch. f. Religionswissensch. IX, 1906, 312 ff. =
Cultes, mj'thes relig. III 272 ff. wollte unter Vergleichung der
Petrusapokalypse nachweisen, daß die von Verg. Aen. VI 426 ge-
nannten ab ubere rapti Kinder sind, die durch Abortus getötet
wurden, und daß diese Vorstellung aus einem orphischen Gedicht
stammt. Abtreibung versteht S. Wide ebd. XII, 1909, 224 ff.
auch unter den (fO^ogeia und der (pO^oga die nach bei Lindos und
bei Sunion gefundenen Inschriften (Dittenberger SIG^ 567 u. 633)
eine 40 tägige Reinigung erfordern; diese Bestimmungen sollen nicht
aus orphischem, sondern aus jüdischem oder christlichem Einfluß
stammen. Doch hebt Ilberg ebd. 1 ff . hervor, daß cpi^ogä in der
medizinischen Literatm- nicht bloß Abtreibung, sondern auch Fehl-
geburt bezeichnen, die durch sie herbeigeführte Unreinheit also
ebenso beurteilt werden könne , wie jede andere durch eine Ent-
bindung verursachte. — Unter den ßiaiot^ävaTOi verstand man schon
im Altertum häufig besonders die Hingerichteten., die keine
rechtmäßige Bestattung erhielten; eine Parallele zu dem Glauben,
daß diese als Dämonen auf der Erde fortleben und dem Zauberer
dienstbar gemacht werden können, findet man bei Hartland, The
Cult of Executed Criminals at Palermo, Folklore XXI, 1910, 168 f.
Hartland erinnert an die Chiesa delle Anime de' Corpi Decollati süd-
lich nahe Palermo; er glaubt, daß sich auch die Verehrung mancher
Heiligen aus ihrem gewaltsamen Tode erkläre. — Da die Bluturteile
häufig an Kreuzwegen vollstreckt wurden, galten diese vielfach als
Aberglaube. Religio. 103
zum Zauber besonders geeignet, wofür Thompson. Semit. Magic
201 semitische und andere Beispiele beibringt- Wünsch bei
Hasting, Encycl. of. ßel. and Eth. III 330 ff. sieht den Grund für
den Glauben, daß die Dämonen besonders die Kreuzwege aufsuchen,
einmal darin, daß sie überhaupt an Wegen dem Wandrer auflauern
sollten, und dann darin, daß die Wege häufig zugleich Grenzlinien
waren, über welche die Gemeinden die Dämonen zu bannen pflegten.
Die Stätten^ an denen die Gegenstände, in denen die übernatür-
lichen Wesen sich aufhalten oder mit denen sie in Berührung ge-
kommen sein sollten , galten , auch wenn sie von den Menschen
ihnen erst geweiht waren, als mehi* oder weniger von ihrem Geist
erfüllt und daher als geeignet, selbst übernatürliche Wirkungen
hervorzubringen ; umgekehrt sollten auch Orte und Dinge, an denen
auf natürlichem Wege nicht erklärbare Vorgänge sich zugetragen
hatten, von einem übernatürlichen Geist bewohnt sein. Eine alle
anderen Vorstellungen ausschließende und zugleich diesen ganzen
Begriffskomplex zusammenfassende Bezeichnung besitzt weder das
Griechische noch das Lateinische, aber es gibt in beiden Sprachen
mehrere, die sich ungefähr mit ihm decken. Über ihre Abgrenzung
gegeneinander ist in der Berichtsperiode gestritten worden. Kroll,
der mehrere dgr im folgenden zu nennenden Untersuchungen ver-
anlaßt hat, glaubt (Festschr. der Schles. Gesellsch. f. Volksk. =
Mitteil. XIII/XIV, 1911, S. 479 ff'.), daß ayiog eigentlich das mit
Tabu Behaftete sei. In der Tat liegt beiden Worten derselbe
Gedanke zugrunde , der fast von selbst entsteht , nicht nur wo
etwas Übernatürliches angenommen wird, also eine religiöse Vor-
stellung vorhanden ist, sondern selbst schon, wo der Mensch vor
etwas Unerklärbarem steht; gleichwohl ist die Übertragung des
Ausdrucks Tabu in die antike Gedankenwelt bedenklich, weil er
zu dem Glauben verführt, daß die von den Südseeinsulanern mit
ihm verbundenen Vorstellungen auch in dem griechischen Wort
vereinigt seien. — Von den lateinischen Wörtern dieses Sinnes
hat religio, wie War de Fowler in einem Vortrage auf dem
Oxforder Kongreß (Transact. 3. Intern. Cougr. Hist. Rel. II, 1908,
II S. 169 ff.) auseinandersetzt, folgende Bedeutungsentwicklung
durchgemacht: es bezeichnete zunächst die Scheu vor dem Un-
erklärlichen, dann den Kult zum Zweck der Versöhnung der un-
bekannten Mächte , darauf den ganzen Ki-eis der Verehrung des
Göttlichen und den Glauben an das Übernatürliche. Aus diesem
verallgemeinerten Begriff soll sich dann im 2. Jh. n. Chr., als ver-
schiedene Religionen um den Vorrang kämpften, der sich z. B. bei
IQ4 ^Pi' Begriff Keligio.
Minuciiis Felix findende Begriff der vera religio ausgesondert haben.
Schließlich spezialisiert sich der Name religiosi auf die Mönche,
die sich von der Welt zurückgezogen haben , weil es in ihr keine
religio gibt. Den Unterschied von religiosus und sacer sieht
Fowler darin, daß jenes nur auf dem Gefühl des Unheimlichen
beruht, das dem unentwickelten Menschen alles Unbegi'eifliche ein-
flößt. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt W. Otto. Arch. f. Re-
ligionsw. XII. 1909. 538 flf.. der religio von legere im Sinn von
nktyiij ..beachten'', „scheuen" ableitet, also religio als die Vorsicht
gegenüber geheimnisvollen Mächten faßt; sie soll sich nur auf Hand-
lungen beziehen, also weder Glaube noch Wissen noch Gefühl sein.
Super.stitio ist (54:8 ff.) ursprünglich , wie ebenfalls aus der Ab-
leitung gefolgert wird , Ekstase und hat die schlechte Bedeutung
nur erlangt, weil der ernste Römer jedem Enthusiasmus mit Wider-
willen gegenüber stand. Dagegen ist nach Kobbert, De ver-
borum „religio" atque „religiosus" usu apud Romanos, Diss. Königsb.
1910. S. 55 ff. (vgl. Pauly- Kroll Witte R.E IIi 565 ff.) Religio von
religare abzuleiten und bezog sich ursprünglich nicht auf ein Ge-
fülil oder einen Seelenzustand, sondern auf eine Dingen, Handlungen,
Orten oder Zeiten anhaftende , vom Menschen unabhängige , aber
ihn hindernde Eigenschaft. Wie Otto gelangt auch Kobbert schließ-
lich für religiosus auf die Bedeutung tabu , und überhaupt sind
beide Ansichten mehr formal als sachlich getrennt: zu jeder Gefühls-
erregung gehört ein die Empfindung auslosendes Objekt, und für
die Rehgionsgeschichte kommt nicht viel darauf an , ob der Nach-
druck auf dieses oder, wie Fowler und Otto wollten, auf das emp-
findende Subjekt gelegt wird. Gegen Wissowa wird bestritten, daß
Gaius die loca religiosa als private , die loca sacra dagegen als
öffentliche Weihungen bezeichne . und der Unterschied vielmehr
darin gefunden . daß Grab und Blitzgrab von selbst (per se. Fest.
289«. 40), das Templum dagegen erst durch einen Weihungsakt
sacrum wird. Der Vf., der über ein großes Material verfügte, aucli
die Zettel des Thesaurus benutzen durfte, hat vielerlei Zustimmung
gefunden, z. B. bei Terzaghi. Atene e Roma XVI, 1913, 108. —
Auch Wünsch. Arch. f. Religionsw. XIV, 1911, 529, äußert
Bedenken gegen die Eiklärung Ottos , der inzwischen ebd. 400 ff.
seine Ableitung des Wortes religio von relegere und die darauf
beruhende schon von Fowler {s. o.) vertretene Ansicht verteidigt
hatte . daß religio ursprünglich ein Gefühl bezeichnete. Im selben
Jahi- hat auch Fowler selbst seine Ansichten im wesentlichen
unverändert in Relig. Exper. of the Rom. People 36 ff. vorgetragen. —
Die Begriffe Sanctus und sacer. 105
Sanctus, von sancire abgeleitet, bezeichnet nach W. Link,
De vocis „Sanctus" usu pagano, Königsberg. Diss. 1910, ursprüng-
lich vom Ort gebraucht, die irgendwie (z. B. durch Vogelllug, Fest,
ep. 1, 16) abgegrenzte Stätte, die meist durch eine Umzäunung
oder einen Steinwall als dämonisch gekennzeichnet ist, weil ihre
Verletzung den Zorn der Gottheit erregen würde. An solchen
Stellen wohnhaft gedachte Dämonen können aber auch Vorteil
bringen, werden deshalb verehrt, und so erhält sanctus die Be-
deutung „verehrungswürdig", „vollkommen", die bald auch von
gestorbenen und lebenden Menschen gebraucht wird , um die
Frömmigkeit und Reinheit zu bezeichnen. — Vgl über Sanctus als
Bezeichnung von Sachen , Menschen und Göttern und über a'ytoc,
das in der Literatur nur von Kultstätten und von Sachen, inschrift-
lich bisw^eilen auch von Göttern gebraucht wird, Hippel. Dele-
haye, Anal. Boll. XXVIII, 1909, 145 ff. — Sacer bedeutet nach
Fowler, Journ. Rom. Stud. I, 1911, 57 ff. Tabu-, je nach dem
Zusammenhang erhielt es die Bedeutungen „heilig" oder „verflucht".
Die Begründer des ius divinum sollen das Wort aufgegriffen haben,
um die verschiedenen Arten der Beziehungen zu einem numen zu
bezeichnen, doch verschwand daneben die alte Bedeutung „ver-
flucht" nicht. Vgl. Fowler, Rel. Exp. Rom. People 171 ff.-, 192,
3.- — Die juristische Dissertation v. He rtlin gs „Konsekration
und res sacrae im römischen Sakralrecht", München 1911 will
nachweisen, daß diejenigen Gegenstände res sacrae heißen, welche
durch einseitige, an bestimmte Worte und Formen gebundene Er-
klärung den Göttern zugewiesen sind , sofern diese Widmung zum
Heil des Staates und öffentlich vorgenommen wird. Seit dann
durch ])ositive Gesetzgebung die Widmung seitens Privater ver-
boten war, kam als weiteres Erfordernis die Stiftung durch den
Staat hinzu. Den Unterschied zwischen res religiosa und res
Sacra scharf zu fassen, ist auch v. Hertling nicht gelungen; es
scheint fast, als hätten schon die römischen Sakralrechtslehrer die
Begriffe verschieden definiert.
Von jeher dachte man sich einzelne Orte als dämonisch, als
bewohnt von einem oder mehreren Dämonen. Solche Stätten lagen
begreiflicherweise ursprünglich meist außerhalb der menschlichen
Siedelungen, auf freiem Felde oder in finsterem Walde, auf lichter
Bergeshöhe oder in unheimlichen Grotten. Hier versammelte sich
die Gemeinde nicht nur zur Zauberei und zur Verehrung der Gott-
heit, sondern auch zu ernsten Beratungen oder zu fröhlicher Feier,
wenn diese durch die Anwesenheit des Dämons oder der Gottheit
10^^ Die Kultstätte.
eine besondere Weihe erhalten sollte. Eiuo Spur der religiösen
Versammlungen an abgelegener Stätte hat sich in den weit ver-
breiteten Laubhüttenfesten erhalten, über die Fowler, Class. Bev.
XXII, 1908, a? f. und Relig. Exper. Rom. People 473 handelt,
Nicht richtig sind ni. E, seine Vermutungen, daß die Festgenossen
aus irgendeinem Grunde, z. B. wegen Unreinheit, ihre gewöhnlichen
Häuser nicht betreten durften, oder daß eine Erinnerung an den
ältesten Häuserbau vorliege. An den einsamen Kultstätten der
ältesten Zeit waien solche Hütten, namentlich wenn die Feste
mehrere Tage dauerten oder in der Nacht begangen wurden, kaum
zu entbehren, und es ist begreiflich, daß die Sitte, an die sich
manche gemütliche und heitere Erinnerung knüpfen mochte, viel-
fach beibehalten wurde, als die Gottheit aus der Einsamkeit in die
Stätte der Menschen gezogen war.
Die älteste Kultstätte wird nach der ursprünglich auch in
Griechenland mindestens überwiegenden Anschauung nicht durch
Menschenhand geschaffen, sondern ist durch die Natur gegeben und
durch vermeintliche Wunder oder wenigstens durch auffallende
Eigentümlichkeiten beglaubigt. Auch in der vorgriechischen Kultur,
die sich doch sonst vielfach mit der tempelreicher orientalischer
Länder berührt und die doch prunkvolle Profanbauten geschaffen
hat, scheint der Tempel neben der natürlichen Opferstätte höchstens
nebensäclüiche Bedeutung gehabt zu haben, wie dies auch noch
von der bei Homer geschilderten Kultur anzunehmen ist. L e e u w e n ,
Mnemos. XXXIV, 1906, 181 ff. bestreitet sogar, daß vijög bei Homer
überhaupt ein Tempel sei ; er faßt das Wort vielmehr als Be-
zeichnung der Stelle, die für den Gott während des Opfers zurecht-
gemacht und mit Laubzweigen bedeckt wird. Darauf bezieht
Leeuwen u4 39 el' 7t Ott zot yaQievx tul vt^hv tgeifja, was auf
einen nur einmal zu enüchtenden Tempel nicht passe. Das troische
Athenabild stand vielleicht unter einem Baum (in der Tat paßt die
Darbringung der 12 Stiere im vtjög Z 93 nicht für einen Tempel).
Der '/.aivog oidog (I 404) soll eher auf einen neQlßoXog als auf
einen Tempel weisen; ij 81 verdächtig sein. Ist es Leeuwen auch
nicht gelungen, alle Stellen beider Epen in seinem Sinn zu deuten,
so zeigen seine Ausführungen doch, daß die sich nur z. T. aus
dem Inhalt ergebende Seltenheit der Erwähnung von Tempeln
noch größer ist als bisher angenommen wurde ; nnd wenn die
einzige sichere Nennung eines Gotteshauses, die des athenischen
Erechtheions, auch schwerlich erst nachträglich in den Text ein-
gefügt ist, so beweist sie doch nicht, daß schon in der von den
Tempel. 107
Dichtungen geschildei-ten Kultur die Götter in Tempeln wohnhaft
gedacht wurden, sondern erklärt sich auch dadurch, daß der Dichter,
was jedem gelegentlich zustoßen wird, der die Handlung in einer
untergegangenen Kultur spielen läßt, hier die von ihm sonst bei-
behaltenen Umstände vergessen hat.- Vielleicht wäre eine bestimmtere
Entscheidung möglich, wenn die ursprüngliche Bedeutung von vaog
feststände. Allein dies ist nicht der Fall; während nach M e r i n g e r ,
Indog. Forsch. XXI, 1907, 29(.) vaog und templum eigentlich den
göttlich verehrten Balken bezeichnen, denken zweifelnd Kretschmer,
Glotta V, 1914, 259 und Boisacq, Dictionn. etym. 656 an die
Entstehung von raog aus vao,.Fug, die, selbst wenn sie sicher wäre,
die Frage nach dem Alter des Tempels nicht entscheiden würde.
Aber vielleicht ist das Wort ursprünglich, worauf schon 0. Hoff-
mann hingewiesen hat, überhaupt nicht griechisch. — Wie >'>;Cg
bezeichnete auch Templum ursprünglich nicht das Gebäude, sondern
die Stätte, wie A. L. Frothingham, Circular Templum and
Mundus Amer. Journ. Archaeol. XVIII, 1914, 302 ff. vermutet.
In der Tat kann nach Varro 1. 1. VII (3 ff. nicht bezweifelt werden,
daß diese Bedeutung von dem angesehensten Grammatiker der
caesarischen Zeit für die ursprüngliche gehalten wurde. Eine
weitere Stütze gewinnt diese Ansicht, wenn Frothingham mit Becht
gegen Fowler, Relig. Exper. of the Rom. people 302, Wissowa,
ßelig. d. Rom. 527 aus dem templum der Grammatiker, dem Biden-
tal und dem Mundus , die seiner Ansicht nach ebenfalls templa
waren, m. R. folgert, daß das templum ursprünglich rund, nicht
viereckig war, und daß die aedes Vestae nur wegen der Besonder-
heit des Kultus, nicht wegen ihrer Form nicht als templum galt. —
Anders hatte den Unterschied von templum und aedes sacra
W. Altmann, Die ital. Rundbauten, Eine archäolog. Studie,
Berlin 1906, 88 ff. gefaßt, ebenfalls unter Ablehnung von Helbigs
Sonderung in rechteckige Templa und runde aedes. Nach ihm
sind jene immer auguriert, konsekriert und orientiert, brauchen
aber nicht zu Kultzwecken zu dienen , während die aedes , die
ebenfalls sowohl Bezirke wie Gotteshäuser bezeichnen konnten,
nicht auguriert waren. — Wahrscheinlich ist mir, daß die vier-
eckige . Tempelform sich aus der Orientation ergab oder durch sie
wenigstens begünstigt wurde. Über diese handelt H. Nissen,
Orientation, Stud. zur Geschichte der Religion ] — 3, 1906 — 1910.
Gestützt auf zahlreiche Messungen von Tempelachsen und besonders
auf die Arbeiten von Penrose sucht Nissen seine bekannte Theorie
zu erweisen und im einzelnen zu berichtigen, daß die Längs- oder
\ Q^ Tempelorientierung.
Querachse eines Tempels oft mit der Richtung zusammenfalle, in
der am Gründungstage die Sonne oder ein für den Kult wichtiger
Stern aufging. Rein durchführen läßt sich das Gesetz nicht, und
um mehr Ordnung in den zunächst ziemlich verworrenen Fund-
l)estand zu bringen, stellt der Vf. verschiedene andere Gesetze
auf, die den Hauptgi-undsatz durchkreuzen. Er unterscheidet eine
griechisch-athenische Ost- und eine kleinasiatische Westorientation
(243 ff.); jene habe den Opfernden nach dem Aufgang des Lichtes,
die kleinasiatische nach dem Tempelbild schauen lassen, was eine
tiefgehende Wandlung des religiösen Gefühles bedeute. Die Nord-
und Sfldorientation stammt nach Nissen wahrscheinlich aus Ägypten.
Diese Unterscheidung ist zwar wahrscheinlich nicht ganz unrichtig,
aber es bleiben erheblich mehr Unregelmäßigkeiten zurück, als er
zugestehen möchte. Es ist dies auch erklärlich , wenn die ge-
schlossenen Tempel erst verhältnismäßig spät und allmählich, je
nachdem sich das Bedürfnis geltend machte, an die Stelle der
offenen Kultstätten getreten sind. Aber schon die Altäre dieser
sind wohl z. T. schon so gerichtet gewesen, daß der Priester die
Sonne, den Mond oder den Stern erblicken konnte, dessen Auf-
gang oder Sichtbarwerden den Beginn des Festes bezeichnete. Da
die Neumondsichel und der Abendstern, die beiden für den vor-
griechischen und den ältesten griechischen Kalender wichtigsten
Gestirne, im Westen erscheinen, stand ursprünglich der Opfernde
wohl meist auf der Ostseite des Altars ; wenn im griechischen
Mutterland die Tempel, die wenigstens zum Teil die alte Orientation
des Altars beibehielten , trotzdem ungleich häufiger den Eingang
im Osten haben, so erklärt sich dies aus dem freilich nie ganz
durchgeführten späteren Gesetz , daß man den Unterirdischen
nach Westen, den Göttern aber nach Osten blickend opferte. Daß
der alte, siderisch bestimmte Festtag später oft mit Recht oder
Unrecht als Stiftungstag des Tempels galt, kann kaum wunder
nehmen. Wie dem aber auch sei, die immerhin zuzugebende weite
Verbreitung gleicher oder ähnlicher Grundsätze für die Orientation
der Tempel beweist nichts für das Alter des Tempeldienstes, da
die Richtung des Tempels durch die des Altars oft bestimmt
wurde. Selbst später, als der Tempel das Götterbild, also wie man
meinte, die Gottheit selbst barg, hat sich der Glaube nicht ganz
verloren, daß das eigentliche Heiligtum der vor dem Tempel be-
findliche Altar sei. Die Zahl der Legenden und der aus solchen
abgeleiteten Mythen, die von der Stiftung von Altären reden,
ist kaum geringer als die der Sagen von Tempelgründungen
Kultstätten. Grotten. 109
und Bilderweihungen. Aus dem Alter und der Heiligkeit der
Altäre, nicht aus dem Verbot der sucpoga, wie Nilsso n, Arcli.
f. Religionswiss. XVI, 1913, 315 aus Hesych. iOTi\( Oivfitv schließt,
wird sich auch die für manche, besonders für altberühmte Altäre
geltende Vorschrift erklären , die Asche der verbrannten Opfer
liegen zu lassen.
Wie vr^ög und templum, so war nach Kuruniotis, iw. uQy.
1912, 154 eine Ortsbestimmung auch eine andere griechische Be-
nennung des Tempels, (.ityaQOv, gewesen, und zwar soll es vorzugs-
weise den Altar für die Unterirdischen, daneben aber auch den
für die Himmlischen bezeichnet haben und nachträglich wie das
sinnverwandte eozia bei Homer Bezeichnung des Hauses geworden
sein. Bei Späteren ist besonders /AtyaQov die Schlucht, in welche
Gaben an die chthouischen Gottheiten geworfen, oder auch der
Tempekaum, in dem Geheimopfer dargebracht werden. Der Ver-
such, die vei'schiedenen, sonst schwer vereinbaren Bedeutungen von
fieyagor auf eine Grundbedeutung zurückzuführen, ist beachtens-
wert; das eleusinische fxiyagov war schwerlich das TeleOTtjgiov,
dessen Gleichsetzung mit dem homerischen Herrenhaus damit eine
Hauptstütze verliert, sondern bezeichnete wie bei Hom. vf.iv. 5. 379
die Kluft, die zur Unterwelt führt. Solche Höhlen sind auf der
Balkanhalbinsel, auch in Thrakien und dem Getenland (Kazarow,
Klio XIII, 1913, 358), wie auf den Inseln und in Kleinasien die
ältesten nachweisbaren Kultstätten gewesen; Toutain warf auf
dem Leidener religionsgeschichtlichen Kongreß (Actes du 4. Congr.
intern, d'hist. d. rel. 133 f.) sogar die Frage nach einem Zusammen-
hang der griechischen Kultgrotten mit den quaternären Höhlen auf,
deren Wände mit Tierbildern verziert sind. Aber der ist wegen
des vermutlich sehr großen Zeitabstandes unwahrscheinlich; und
ob die im altgi'iechischen Gottesdienst benutzten Höhlen auch schon
ursprünglich wie an der angeführten Stelle des Hymnos und wie
so viele Höhlen im geschichtlichen Griechenland immer als Hades-
eingänge galten, ist nicht sicher. Im Ausgang der vorgriechischen,
im Anfang der griechischen Zeit hat es eine Periode gegeben, in
der die Kulte der Chthonischen überwogen und ihre Formen in
anderen Kulten nachgeahmt wurden ; und diese finstere Epoche
hat, obwohl sie überwunden wurde, den griechischen Kulten doch
so weit ihren Stempel aufgedrückt, daß sich unschwer Reste
chthonischer Vorstellungen in fast aUen älteren griechischen Kulten
nachweisen lassen und ganze Klassen von Gottesdiensten, z. B. solche,
in denen die Kultstätte nicht betreten werden darf, von denen es
jj^Q Kultstätten. Heilige Nabelsteine.
Hewitt, Transact. Amer. Piniol. Assoc. XL, 1909, 83 ff. behauptet,
als wenigstens früher den Unterirdischen geweiht, vermutet werden
können. Aber dieser Schluß ist trügerisch, wenn damit zugleich
die Frage nach dem ursprünglichen Sinn des Kultus entschieden
sein soll; denn oft liegt hinter der chthonischen Auffassung einer
Gottheit eine andere noch ältere: daraufweisen sowohl die Mythen,
die in Höhlen Himmelsgottheiton geboren werden, sich verheiraten
und eine Grabstätte finden lassen, als auch die Kulte hin, die auch
noch im geschichtlichen Griechenland in Höhlen z. B. Kegenzauber
üben oder Bittgänge, die bei langer Dürre oder in der heißen Jahr-
zeit abgehalten werden, endigen lassen. — Nach Leroux, Les ori-
gines de Tedifice hypostjde, Paris 1913, S. 24: bedeutete iityagov
ursprünglich die Höhle, dann, weil die Menschen ursprünglich in
Grotten gewohnt hatten, das Haus, schließlich den Tempel. — Über die
uralten Kultgrotten vgl. Brandenburg, Felsarchitektur im Mittelmeer-
gebiet, Mitt. d. Vorderasiat. Gesellsch. XIX, 2, Leipz. 1915, S. 34 ff.
Lag die heilige Stätte nicht in einer Höhle, so war sie in
Griechenland wie in Westasieu oft durch einen jener Steine be-
stimmt, die sich in jenen Ländern — in der Balkanhalbinsel meist
von weißer Farbe — oft finden, sich zu Landmarken eignen und
zur Feststellung der Kultstätten um so mehr dienen konnten,
als die Bewohner oder der Adel benachbarter Ansiedliingen sich
oft zu Festen oder auch zu Vorträgen oder zur Beratung gemein-
samer Angelegenheiten, die ebenfalls mit gottesdienstlichen Hand-
lungen verbunden waren, vereinigen und als Versammlungspunkt
einen in der Mitte gelegenen Ort wählen mußte. Mit einer bis
nach Indien hin sehr verbreiteten Bezeichnung hieß eine solche
Versammlungsstätte Nabel. Me ring er, Wörter und Sachen
V, 1913. 43 ff. leitet diese Bezeichnung davon her, daß an solchen
Orten die zauberischen Kräfte der nährenden Nabelschnur verehrt
wurden. Wenn der Nabel in der bildenden Kunst als Erhöhung,
nicht als Vertiefung erscheint, so soll das von einem anderen
Symbol übertragen sein. Der Unwahrscheinlichkeit dieser letzten
Vermutung wiU A. Abt, Hess. Blatt, für Volksk. XIII, 1914, 132,
der sich im übrigen meist an Meringer anschließt und aus dessen
Deutung auch die häufige Verbindung des Asklepioa mit dem
Omphalos erklärt, durch die Annahme entgehen, daß der eigentliche
delphische Omphalos der Erdspalt und der gewölbte Stein nur die
Markierung der schlecht sichtbaren Stätte war. Mir scheint aber
der Omphalos erst in der Zeit auf den Körperteil bezogen zu sein,
als fast jedes größere Heiligtum im Besitz eines Einganges zur
Nabelsteine. m
Unterwelt sein wollte, den man wohl einem menschlichen Nabel
vergleichen konnte. Ursprünglich bezeichnete m. E. der Ausdruck
von einer Kultstiltte gesagt, diese ebenso wie der entsprechende
Ausdruck nabhi im Veda vielmehr als den Mittelpunkt, nämlich
des Gebietes, dem sie als gemeinsamer Fest- oder Gerichtsplatz
diente. Die sehr zahlreichen Heiligtümer und Städte, die in Griechen-
land diesen Namen führten, hat mit großer Vollständigkeit Röscher,
Omphalos Abh. der SGW phil.-hist. Kl. XXIX, 1913, IX auf-
gezählt und die Vermutung begründet, daß die zahlreichen ojnffa/.oi
in Apollokulten kleinasiatischer Städte, wie Branchidai (36 if.)
Kyzikos (49 ff.), Kamiros, Gryneion, Patara von Delphoi unabhängig
seien, dessen oufpalog vielmehr der Ideinasiatisch-kretischen Kultur
nachgebildet sei. Wo eine Kultstätte ökumenische Bedeutung er-
laugt hatte oder wenigstens beanspruchte, heißt die Opferstätte
Nabel der Erde; daraus ist aber nicht mit Jane Harrison,
Transact. Intern. Congr. Eist. Rel., Oxf. II 1908, 162, nach der die
Himmelsvögel dem Nabel Licht und Leben zuführen, und die sich
(vgl. Themis 396 ff.) den Omphalos über der Erdschlucht mit dem
Grabe Pythons denkt, und mit Maaß, Österr. Jahresh. XI, 1908,
10, der in dem 6/.iffaX6g den Nabel oder Schooß Gaias (entsprechend
dem Phallos) sieht und den 6f.i(palbg ^lyalog bei Hesych. in
einen oucf. Faiog verwandelt, zu folgern, daß man die Bezeichnung
Delphois als Nabel der Erde auf die Göttin beziehen müsse. Das
\^ard durch die analoge Bezeichnung indischer Opferstätten im
Rigveda widerlegt und ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil sich
leichter der Übergang von dem Begriffe des Mittelpunktes eines
bestimmten Gebietes zu dem des Erdzentrums vollziehen als ein
Nabel der Erdgöttin zu einem Nabel von Kypros oder Italien ab-
schwächen konnte. — Auch der Hausaltar, die koTia, wird als
6i.i(fa}Mg bezeichnet, d. h. als Mittelpunkt des Hauses, dessen Be-
wohner sich an ihm zu gemeinsamem Gottesdienst versammeln.
An der Hestia konnte die Hausschlange wohnhaft gedacht werden ;
es liegt daher nahe . die Schlange , die sich oft um den Omphalos
windet und die vielleicht den Anlaß zu der späteren, von J. Harrison
(s. 0.) zu einem falschen Schluß verwendeten Angabe bot , daß
unter dem delphischen Nabelstein die Schlange Pytho begraben
sei, die Haus- oder Tempelschlange zu verstehen, die in mehreren
Heiligtümern bezeugt ist. Schon Wieseler Ann. deU' inst. I 857,
160 ff. hatte vermutet, daß der oiicpaXog in Delphoi einst als eigent-
liche Opferstätte , als Altar gedient habe. — Was die aus Kunst-
darstellungen wohl bekannte Form des Omphalos anbetrifft, über
2]^ 2 Heilige Steine.
die Bulard, Mouumeuts Piot XIV, 1908, 57 iu dem Aufsatz
Represeut, de TOmph. handelt, so ist von der Nachbildung eines
menschlichen Nabels bei der Erklärung m. E. nicht auszugehn; es
ist eine bei Grenzsteinen und Landmarken gewöhnliche Gestalt, die
hier im Gottesdienst verwendet und festgehalten wird. Varro vergleicht
den delphischen Nabelstein mit einem Thesaurus 1. 1. 7, 17, wobei
Karo bei Daremberg-Saglio IV 1, 198« an eine bienenkorbähnliche
Sparbüchse. Corssen, Neue Jbb. XXXI, 1913, 233 dagegen an
das Gewölbe eines der Kuppelgräber denkt , die als Schatzhäuser
betrachtet wurden.
Mit den alten Malsteinen der Gerichtsstätte scheinen die Steine
zusammenzuhängen , die im späteren Gerichtsverfahren , namentlich
im konservativen Strafprozeß üblich waren, z. B. der Stein der
Anaideia und Hybris in Athen, den Svoronos, Journ. intern,
arch. numism. XVI, 1914, 220 ff. auf Darstellungen des Orestes
und Kephalos vor dem Areopag erkennen will. — Über die Sitte,
Verträge an einem Bundesstein oder Steinhaufen zu schließen,
handelt Farn eil, Anthrop. Ess. present to Tylor 1909, S. 131 ff. —
An solchen heiligen Steinen wurde in Griechenland wie im semi-
tischen Orient (Lagrange, Etüde relig, semit. 187 ff.; über Petra
Eisler, Philol. LXVIII, 1909, 125) mancherlei Zauber und Kult
getrieben. Auch sie sollten oft den Eingang zur Unterwelt be-
zeichnen , so daß sogar an deren mythischem "Tor ein Felsen ge-
dacht wurde, an dem die Toten vorbeiziehen müssen. Wie in den
heiligen Grotten suchte man auch an den Steinen Orakel zu er-
langen und zwar besonders Traumorakel, die man sich durch auf-
steigende Geister der Unterwelt gegeben denken konnte und des-
halb gern an vermeintliche Unterweltseingänge verlegte. Vorzugs-
weise befragte man die Träume um Heilung von Ki-ankheit , aber
in der ältesten Zeit scheinen auch Richter und Ratsherren bei
ihren Beschlüssen den Rat dieser Geister nicht verschmäht zu
haben. Andere Arten religiöser oder abergläubischer Verwendung
der heiligen Steine ergeben sich, wenn A. J. Rein ach, Rov. hist.
rel. LX, 1909^, 184 m. R. die Sagen von dem Stein des Kadmos
und von dem, welchen Herakles gegen Kyknos geschleudert haben
sollte, an solche heiligen Steine anknüpfen. Faud an einem der-
artigen Stein ein Blutgericht statt, so wurde der Verurteilte bis-
weilen symbolisch vom Felsen gestoßen und damit dem Tode ge-
weiht oder auch, wenn die Felswand hoch genug war, unmittelbar
getötet. Auch Menschenopfer wurden bisweilen auf diese Weise
den Göttern dargebracht. Befand sich am Fuße des Felsens ein
Heilige Steine. 113
Gewässer, so erliielt dies oft den Namen Lethe, wie der Toteu-
strom hieß. — Wie die unheimlichen Stätten des Hochgerichtes
von jeher vom Aberglauben aufgesucht sind , so war es auch hier.
Unglücklich Liebende sprangen vom Felsen, um ihre Leidenschaft
zu vergessen. Durch Sitzen auf dem Stein glaubten kinderlose
Männer und Weiber fruchtbar zu werden. Vgl. über diesen Vor-
stellungski-eis, Gruppe. Arch. f. Religionsw. XV, 1912, 364 ff. —
Noch jetzt reiben sich im Morgenland Frauen an bestimmten Felsen,
um fruchtbar zu werden; ein Aberglauben, den Goldziher, Arch-
f. Religionswiss. XIV, 1911, :]08 in die vorislamische Zeit hinauf-
rückt. — Aus Niket. Choniates Ausdruck von der Kaaba, daß sie
ein inTv/rwua rijg ^-/rpQodlri^g habe, schließt R. Eisler, Philol.
LXVIII. 1900, 124 ff., Arch. f. Religionswiss. XV, 1912, 305 ff.
unter Vergleichung des Steines der Kybele , in dessen Form er
eine vulva zu erkennen glaubt . des delphischen 6f.t(paXüg und der
OCf'QCcyig des Aberkios . daß an ihr irgendwie eine Consummatio
matrimonii vollzogen wurde. In den Masseben der Hebräer, auf
die hier eingegangen werden muß, weil sie oft mit den heiligen
Steinen Griechenlands verglichen worden sind, hatte Movers Phallen
gesehen: wie schon früher v. Baudissin weist dies Greßmann,
Zeitschr. f. alttestam. Wiss. XXIX, 1909, 113 ff. zurück; höchstens
in sehr später Zeit, meint er, sei aus dem ursprünglichen „Sitz
der Gottheit ein Bild ihrer Fruchtbarkeit spendenden Macht oder
der Macht eines in der Nähe Begrabenen (Genes. XXXV 20) ge-
worden". Eerdmans, Journ. Bibl. Archaeol. XXX^, 1911, 109ff.
betont den sepulkralen Charakter mancher Masseben , die oft ver-
doppelt auftreten und dann bisweilen Abzeichen, die eine des männ-
lichen, die andere des weiblichen Geschlechtes tragen. Nach S ellin ,
Orient. LZ XV, 1912, 119 ff. haben sich in der Masseba verschiedene
Vorstellungen (Wohnsitz der Gottheit, Malstein, Grabstein) gekreuzt.
Die Massebenpaare am Eingang der Heiligtümer sollen den zwei Gipfeln
des Erdberges entsprechen, zwischen denen die Sonne hin und her-
läuft. Wie Eerdmanns erkennt auch Seilin in manchen Masseben eine
Beziehung auf Phallus und Vulva. Dies weist B u d d e , Orient.
LZ XV, 1912, 248 ff. zurück, ebenso wie ebd. 469 einen Versuch
S ellin s (ebd. 371 ff-), seine Ansicht zu stützen. Wie in den
heiligen Höhlen wurde auch an den Malsteinen der offenen Kult-
stätten Regenzauber getrieben, der überhaupt, entsprechend den
klimatischen Bedingungen Westasiens und Südeuropas , im antiken
Kult und Aberglauben eine große Rolle gespielt hat und z. T. in
jenen Gegenden noch jetzt spielt. Beispiele für Regensteine bei
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. P>(1. 186 (Snpplementhand). 8
114 Heilige Steine.
den Türken sammelt R. Eis 1er, Piniol. LXVIII, 1909, 195 u.
222 ; ebd. 131 f. wird der Name Hobal von Nbn (mingere ^= regnen)
abgeleitet und zu Zeus y.daiog, den Goldziher, Myth. d. Hebr. 89
in demselben Sinn erklärt hatte (vgl. den Berg Quzah, Wellhausen,
Reste arab. Heident.^ 81 f.), gestellt •, der Stein des Hobal soll ein
Regenstein gewesen sein. Zu solchem Regenzauber dienten aber
gewöhnlich nicht die unverrückbar im Boden festsitzenden Felsen,
sondern bewegliche Steine , die mau , was eben die erwünschten
Niederschläge herbeizaubern sollte , ins Bad führen konnte. Sie
galten oft als vom Himmel gefallen und sollten wahrscheinlich von
•üesem Ursprung her Macht über die himmlischen Gewässer be-
sitzen, mit denen zusammen sie im Gewitter, wie man glaubte,
zur Erde hernieder gekommen waren. Aber nicht immer wurde
solchen Steinfetischen eine günstige Wirkung auf das Wetter zu-
gesprochen; Plin. n. h. II 115 erwähnt einan Stein in KjTenaika,
den zu berühren verboten war, weil dann Samum eintrat. Nach-
dem schon Studniczka damit die theraiische Inschrift fjr^ i^iv-
yaie (IG XII 3, 451, vgl. ebd. 230) verglichen hat, macht L. Rader-
macher, Wiener Stud. XXXIX 170 f. auf einige Steine in
Languedoc aufmerksam, deren Berülu'ung Donner, Hagel und Regen
herbeiführen soUte.
Die Steine haben aber bisweilen nicht bloß die Opferstätte
bezeichnet, sondern geradezu, wie dies schon in einigen der bisher
genannten Untersuchungen stillschweigend oder ausdrücklich voraus-
gesetzt WTirde , als eigentliches Heiligtum , als Sitz des Dämons
oder Gottes, also als Fetisch gegolten. Untersuchungen über den
Fetischdienst als Ausgangspunkt der Religion überhaupt sind o. er-
wähnt worden ; Reste des Fetischismus im altgriechischen Volks-
glauben behandelt Ch. Michel, Rev. hist. rel. LX, 1909 2, Ulff.
— S. Reinach läßt, Cultes, myth. relig. III 364 ff., seinen Auf-
satz Les monuments de pierre brüte dans le langage et les croyances
populaires, von dem namentlich das zweite Kapitel (Croyances popu-
laires relatives aux monuments megalithiques 396 ff.j Parallelen zu
antiken Vorstellungen bietet, aus Rev. arch. 1893', 195 ff., 329 ff.
mit vielen Zusätzen wieder abdrucken. — Conybeares Vortrag
in Oxford (Transactions 3 Intern. Congr. hist. rel. II, 1908, 177 ff.)
The Baitul in Damascius handelt, ohne zu wesentlich neuen Er-
gebnissen zu kommen, über Baityle überhaupt. Mit den Baitylen
vergleichen sich die von Nöldeke, Zeitschr. f. Assyriol. XXIII,
1910. 184 ff. behandelten und mit Koran Sure 106, 3 verglichenen
zwei nabatäischen Inschriften und eine Inschrift aus Petra, welche
Heilige Steine. Statuen. 115
den „Herrn des Hauses" Nri"'n N-i7: nennen. Nach R. Eisler,
Philo!., LXVIII, 1909, 161 bedeutet Baitylos , Bet-El nicht nur
„Haus der Gottheit", sondern auch „Gott Haus". — Denselben
Baitylos bewohnen nach Lidzbarski, Epheni. f. semit. Epigraph.
in, 1909, 247 Seimios und sein(e) ovfißeivXog d. i. wahrschein-
lich Anat. — A. J. Reinach, Rev. hist. rel. LX, 1909 2, 346 f.
bestreitet, daß Baitylos semitischem bs-rs entsprechen könne,
weil die Vorstellung (aber auch der Name?) in eine Zeit zurück-
reiche , wo semitischer Einfluß in Griechenland nicht anzunehmen
sei. Er leitet ßakvXog von ßairr^ „Ziegenfell" ab, und ver-
mutet, daß die alyig ein vom Himmel gefallener Blitz, also ein
Stein war.
Nicht überall, aber in Griechenland zuweilen, sind die un-
behauenen Steine der Urzeit zu Statuen umgeformt worden. Wie
jene gelten daher diese als Sitz der Gottheit und als wundertätig,
Weinreich, Ant. Heilungswunder (RV u. V VIII, 1909) 155 ff.
— Öfters wurden die Götterbilder gefesselt, damit die in ihnen
vorausgesetzte göttliche Macht nicht das Land zu dessen Schaden
verlassen oder aus ihm geraubt werden könne. Davon ist nicht
immer zu scheiden die u. (^S. 116} erwähnte Sitte der An-
knüpfung an eine Statue. — Aus Riten ersterer Art sind nach
Fr. Marx, Sitzber. SGW", 1906, 122 die Mythen von der Fesselung
des Prometheus und der Hesione entstanden. — Nun war es frei-
lich nicht so leicht, glaubhaft zu machen, daß das göttliche Numen
in einer von Menschenhand geschaffenen Statue wohne , aber bis-
weilen sollten auch diese wie angeblich die alten unbehauenen
Steine vom Himmel gefallen sein, wenn sie für solche heimlich
untergeschoben werden konnten; auch gab es besondere Zauber-
maßi-egeln, durch die man die Gottheit in das Bild hineinzwingen
oder locken zu können glaubte. Eine karthagische Weihinschrift
an Ba'^al und Tanit (Merlin und Berg er, Compt. rend, AIBL,
1908, 362), erwähnt am Schluß das Opfer zum „Eintritt" der
Gottheiten , was Merlin, Le sanctuaire de Baal et Tanit
(Notes et Documents IV, 1910, 36) darauf bezieht , daß die
Götter bei der Konsekration infolge der Zeremonie in die Bild-
säule hineinsteigen sollen. Zu demselben Zweck wurde nach
Gauckler, Compt. rend. AIBL, 1908, 529 dem sjanschen Gott
ein Opfer auf dem laniculum dargebracht. Zweifelnd erklärt
Gauckler ebd., 1910, 393 auch die, wie es scheint, namentlich in
S3rrischen Kulten herrschendo Sitte , das Hinterhaupt des Gottes-
bildes abzusägen und, vermutlich nach Vollzug gewisser Riten,
jl(5 Statuen, Altäre, Throne als Sitz der Gottheit.
wieder aufzusetzen oder aus besonderem Stein herzustellen, aus
dem Bestreben, die Gottheit in die Statue zu zaubern. — Mit den
ßegensteinen und anderen Steinfetischen berühren sich die Götter-
bilder z. T. auch dai'in, daß sie gebadet werden, wofür C. Fries,
Stud. z. Odyssee I, S. 79 ff. zahh-eiche Beispiele sammelt. Aus
einer solchen Begehung soll sich auch der Zug vom Bade des
Odysseus l224 ei-klären. — Weil die göttliche Macht in der Kult-
statue eingeschlossen und aus ihi" heraus sich betätigend gedacht
wurde, entstand die Sitte, daß sich im Falle der höchsten Not die
Menschen durch ein Seü mit ihi' verbanden. Über diese schon
auf assyrischen Kunstwerken bezeugte Sitte vgl. Campbell
Bonner, Transact. Amer. Phil. Assoc. XLIV, 1913, 233 ff. Der-
selbe Gebi'auch findet sich übrigens beim Altar, der bisweilen sich
aus derartigen vermeintlich von der Gottheit beseelten Steinen
entwickelt hat. — Über den griechischen Altar handelt ausführlich
E. A. Gardner in Hastings Encyclop. of Relig. and Ethics I, 342 ff.
Nicht immer glaubte man, daß die Gottheit beim Opfer oder
Zauber zugegen sei. ßonzevalle, Mel. de la faculte orient III.
1909^, 765 f. bekämpft sogar die Annahme, daß der Fetischdienst,
d. h. die Verehrung von Gegenständen, in denen die Gottheit wohne,
älter sein müsse als der Glaube an Gottheiten, die sich un-
sichtbar außerhalb eines bestimmten Objektes befinden. Er denkt
zunächst an semitische Religionen, und für diese hat Reicheis Ver-
mutung von den Götterthronen, auf denen man sich das göttliche
Wesen unsichtbar anwesend gedacht habe {Bä. CII, 157 dieser,
Berichte)., \aele neue Anhänger gewonnen. Über Götterthrone für
Astarte aus der Umgegend von Tyros spricht Dussaud, Rev.
bist. rel. LXI, 1910 ^ 99 und 398. — Von dem kyprischen Orts-
namen Thronoi ausgehend , behandelt die Frage C h a p o t , Bull,
des antiqu. de France VIII i, 1911, 262 fi". Vgl. auch R. v. Lichten-
berg, Orient. LZ, 1908, 294 ff. — Für die schon von Reichel und
Meinliold in diesem Sinn erklärte Bundeslade als Thron Gottes
sind in der Berichtsperiode besonders D i b e 1 i u s , Die Lade Jahwes,
Forsch, zur Relig. und Literat, des A und NT, Göttingen, 1900
und Meinhold, DLZ XXX, 1909, 2764 eingetreten; als Nach-
trag zu Dibelius' Buch macht Münz er, Arch. f. Rel'gionswiss. IX,
1906, 517 auf Tac. hist. V 9 aufmerksam. — Im Gegensatz zu
den genannten Forschern erklärt Brandenburg, Felsarchit. im
Mittelmeergeb. (Mitteil. d. vorderas. Ges. XIX 2, S. 47 f.; vgl. Rev.
et. ethnogr. et sociolog. II, 1909, 321 ff.) Reicheis Vermutung von
den Götterthroneii für nicht haltbar. Die Stufen haben sich seiner
Statuen. Abzeichen. 117
Ansicht nach aus der sitzenden Statue entwickelt, und zwai- zunächst
4 — 5 Stufen, die später zum Throne vereinfacht wurden.
Obwohl bisher auch innerhalb der vorgriechischen Zeit keine
Periode nachweisbar ist, in der die Gottesbilder ganz fehlten, ist
doch für Griechenland ihre allgemeine Verwendung im Kult, wie
seit lauge angenommen und durch die Forschung auch in der
Berichtsperiode immer mehr bestätigt wird , verhältnismäßig jung
gewesen : die Neuerung entspricht der Verlegung der natürlichen
Kultstätten aus der Wildnis des Waldes oder Gebirges in die
Städte und ihrer Umwandlung in Tempel. Die ältesten Kult-
statuen wurden öfters wie Puppen angezogen, s. Fr. Poulsen,
Der Orient u. die frühgriech. Kunst lo8: vgl. Arch. Jahrb. XXI,
1906, 191 ff.
3) Abzeichen.
Wie das Kultbild durch Abzeichen kenntlich gemacht wurde,
so konnte es auch dui'ch solche vertreten werden, wobei aber fest-
zuhalten ist, daß das Symbol älter sein kann als das Bild und
nicht notwendig infolge künstlerischer Unfähigkeit gewissermaßen
als Abkürzung aus diesem hervorgegangen, sondern bisweilen sein
Ausgangspunkt ist. — Mit den Götterattributen werden hier zugleich
die übrigen religiösen und mythischen Vorstellungen, die sich an
sie knüpfen und die häufig mit der Verwendung als Abzeichen
zusammenhängen , wenigstens in vielen neueren Untersuchungen
mit ihnen zusammen behandelt werden, in Betracht gezogen-, denn
obwohl damit über den Begriff der Attribute hinausgegangen wird
und selbst von diesen die wenigen , deren Ursprung sicher fest-
zustellen ist, zeigen, daß sie aus verschiedenartigen Gründen, z. B.
als ehemalige Fetische, als Mittel, mit denen die Gottheit die ihr
zugeschi'iebene Macht ausübt, als Opfertiere und Weihgaben, als
Gerät oder Schmuck der Festteilnehmer usw. den Göttern bei-
gelegt sein können, so würde die Trennung nach dem Ursprung
doch in den meisten Fällen nur auf zweifelhaften Vermutungen
beruhen , oft das Zusammengehörige auseinanderreißen , Wieder-
holungen erfordern und jedenfalls nicht so übersichtlich sein wie
die hier befolgte Zusammenfassung.
Gesamtdapstellung-en der g-öttliehen Abzeichen
sind in der Berichtperiode nicht erschienen; größere Gebiete be-
handeln Meringer, Indogerm. Forsch. XXI, 1907, 296 (über
Pflock- und Säulenverehrung bei den Indogermanen); Karsten, Studies
in primit. Greek Religion, Helsingfors, 1907 (über Steine S. 8 ff..
118 Symbole.
Pflanzen 15 ff., Tiere 19 ff.); Ch. Michel, Rev. hist. rel. LX, 141 ff.
(ebenfalls iu der Reihenfolge Steine, Pflanzen, Tiere). Zahlreiche
Abzeichen , in denen er nicht Symbole , aber Anschauungsformen
des Mondes oder der Sonne erblickt, stellt E. Siecke, Götter-
attribute und sogen. Symbole, Jena 1909, zusammen. Über
Kagarows russisch geschriebenes Werk, Fetischismus, Pflanzen-
kult und Tierverehrung kann ich nach gütiger Mitteilung des Ver-
fassers wenigstens die Gliederung des Inhaltes angeben. I. Der
Fctischisnms: 1. Wesen und Ursprung des Fetischismus 3 ff . :
2. Hauptgruppen der altgriechischen Fetische 17ff. ; 3. Haupt-
formen des antiken Fetischismus 70 ff. II. BatimkuU: 4. Ursprung
des Pflanzenkults 92 ff. ; 5. Hauptarten der Pflanzen von rehgiöser
Bedeutung 99 ff. ; 6. Hauptformen des Pflanzenkults 181 ff. III. Tier-
verehrung: 7. Theorien über den Ursprung des Tierkults nach der
gegenwärtigen Stellung der Frage in der Wissenschaft 193 ff.;
8. Hauptarten der Tiere von religiöser Bedeutung 216 ff. ; 9. Haupt-
arten des Tierkults in Griechenland H09 ff. Vgl. die Besprechung
von Kappus, Berl. Philol. Wochenschr. XXXVI, 1916, 42.
Besondere Bedeutung haben die S\'mbole natürlich für die vor-
geschichtliche Zeit, von deren religiösen Vorstellungen sie fast
allein Zeugnis ablegen. Viele Abzeichen der kretischen und mino-
ischen, aber auch der altmitteleuropäischen Kultur, z. B. den von
einem Pferd gezogenen Diskus , das Hakenkreuz . den Diskus mit
Kreuz oder Stern, den Hirsch, Delphin und Schwan bespricht
Dechelette. Rev. arch. IV xni< 1909^, 305 ff., um nachzuweisen,
daß in vorgeschichtlicher Zeit in Europa im allgemeinen Sonnenkult
herrschte.
Einzelne Attribute und Symbole.
Von den
a) Lichterschein uugen und Gestirnen
wii-d über Sonne, N cum ondsichel und Stern bei der Besprechung
der Ennaeteris gehandelt werden. Vgl. auch u. {S. 138 „Adler^).
Der Blitz wurde teils durch Werkzeuge (Axt, Dreizack,
Waffen) oder auch durch Steine (u. S. 120) angedeutet, die der
ßlitzgott schleudern, oder mit denen er den Wetterstrahl heraus-
schlagen sollte, teils wurde er aber auch mehr oder weniger natur-
getreu nachgeahmt. Eine solche Darstellung des mit beiden Händen
einen Bhtz werfenden Gottes erblickt Fred. Poulsen, Der
Orient und die frühgriech, Kunst, S. 81 zweifelnd auf einem der
kretischen Schilde , und da dieser Typus in der echtgriechischen
Kunst überaus selten ist. vermutet er seine Einführung aus dem
Symbole und Attribute. 119
Morgenland. Die griechischen Künstler haben dafür gewöhnlich
stilisierte Formen gewählt, die auch schon im Orient hilufig waren.
Über sie handelt Paul Jacobsthal, Der Blitz in der orientalischen
und griechischen Kunst, Berlin 1906, dessen Arbeit durch die
ßlinkenbergs (.9. «.) z. T. überholt ist. Eigenartig i.st der Ab-
schnitt über den Blitz als Blüte (vgl. dazu Malten, Arch.
Jahrb. XXIX, 1914, 191, 2), doch bemerkt Terzaghi, Atene e
Roma, 1907, 36 f., daß bei Aisch. Prom. 7 avi^og nicht „Blüte"
bedeiitet, sondern in übertragenem Sinn gebraucht ist. — Blinken-
berg, The Thunderweapon in Religion and Folklore, A Study in
comparative Archaeolog}' , Cambr. 1911 führt die künstlerische
Nachbildung des Blitzes (und des Feuers überhaupt) durch eine
dreispitzige Zickzacklinie auf die babylonische Kultur zurück,
innerhalb deren sie in der Hand des Bhtzgottes Adad erscheint.
Wie das Abzeichen der Axt {n, S. 156} verbreitete sich auch
diese Nachahmung des Blitzes /u den Chetitern und dann zu den
Griechen, wo sie in Poseidons Dreizack, und ebenso zu den Indern,
wo sie in Sivas Trisnla erhalten ist. Die Verdoppelung dieses
Dreispitzes führte zum griechischen Blitzsymbol , dessen Vorbild
ebenfalls in Assyrien nachw'eisbar ist.
b) Mineralische Abzeichen.
Über verschiedene Mineralien, die gegen Besessenheit schützen
sollten, s. Tamborino, De antiquorum daemonismo, RV u. V
VII III, 1G08/9, 83. — Einen heiligen Stein im thessalischen Ithome
erschließt A. Rein ach, Rev. hist. rel. LX, 1909'-^, 182 aus dem
des Heiligtums zwischen Alalkomenai und Koroneia. — Conj'^beare.
The Baitul in Damascus . Transact. 3. Intern. Congr. Hist. Rel..
1908, II 177 ff. handelt überhaupt von Baitylen und anderen Stein-
fetischen, ohne zu wesentlich neuen Ergebnissen zu gelangen. —
Seilin, Orient. Lit. XV. 1912, 119 ff. hebt hervor, daß die
Masseboth — was ebenso von den heiligen Steinen in Griechen-
land gilt — sehr verschiedenen Ursprung haben, z. B. als Wohn-
sitz der Gottheit oder als Phallen aufgefaßt gewesen sein können. — '
Die als Sitz einer überirdischen Macht betrachteten Steine galten
oft als vom Himmel gefallen ; darunter sind ursprünglich nicht
Meteoriten im heutigen Sinn des Wortes, sondern „ßlitzsteine" zu
verstehen, Steine, von denen angenommen wurde, daß sie im Blitze
zur Erde niedergefahren seien und einen Teil der geheimnisvollen
Himmels- und Blitzkraft in sich bewahrten. Neben der Vorstellung,
nach der die Blitze wie der Funke bei einem irdischen Stein-
120 Symbole und Attribute.
feuerueug durch einen Stein (oder eine Steinwaffe) herausgeschlagen
werden, scheint nämlich seit alter Zeit die andere bestanden zu
haben, daß sie selbst als glühende Steine oder Steinwaffeu nieder-
taliren. Spuren dieser Vorstellung finden sich z. B. in Rom. Seh.
Pers. II 26 heißt es: in usu fuit, ut augures vel aruspices adducti
<ie Etruria certis temporibus fulmina trausfigurata in lapides infra
terram absconderent. Aus derartigen Blitzgräbern erklärt Petersen,
Klio VIII, 1908, 447 die Geschichte von dem Wetzstein und dem
Scherniesser , die auf dem Forum bei dem Feigenbaum in einem
Puteal vergraben sein sollten (Cic. De div. I 32, Dion. ccq)^. III 71).
— Über die Steinwaffe, welche der den luppiter darstellende Pater
patratus als SAnnbol des Blitzes trug, vgl. Piuza, Rendiconti
RAL V XVI, 1907, 514 ff. Das alte luppiterbild, das nach dem
Verf. aus der Steinzeit stammen mußte, da dem Gott gewiß nicht
schlechtere Waffen gegeben wurden, als die Menschen sie trugen,
soll längst durch ein moderneres ersetzt gewesen sein, aber die
Attribute wurden im Inventar aufbewahrt, und der Pater patratus
entnahm sie dort , wenn er das Bündnis schloß. Daß der Stein
selbst im Blitze niedergefahren sei (Sotacus bei Plin. 37, 135),
hält Pinza m. E. nicht mit Recht für eine erst später aufgekommene
und erst in hellenistischer Zeit nach Rom übertragene Vorstellung. —
Zu anderem Ergebnis als Pinza gelangt Rose, Journ. Rom. Stud. III,
1913, 237: er bestreitet, daß der Stein beim foedus ursprünglich
ein „Donnerstein" war, hält ihn vielmehr für einen beliebigen
Kiesel, der nur durch seine Verbindung mit dem feierlichen Eid
geheiligt worden sei. {Vgl. u. S. 172; s. auch o. S. 112.) — Nach
einem von Weber, Hess. Blatt, f. Volksk. XI, 1912, 221 mit-
geteilten Aberglauben der Vogelsberger Bauern schützt der Donner-
stein gegen Blitzschaden, was eine neue Parallele zu einer antiken
Vorstellung (Handb. d. griech. Myth. u. Religionsgesch. 777, 1) ist. —
Vorschriften über die Verwendung von Metallen im Kult stellt
Wächter, Reinheitsvorschr. (RVuV IX j) S. 115 ff. zusammen.
Gold. Goldene und goldfarbige Glieder verbürgen nach helle-
mstischer, wohl von ägyptischem Glauben beeinflußter Vorstellung
die Abstammung vom Sonnengott; s. darüber L. Troj e , Sitzungsber.
Heidelb. AW 1916, XVII, 79, 1.
cj Die Pflanzenwelt im Mythos, Kult und Aberglauben.
Allgemeines. Über die Zusammenstellungen von Karsten,
Michel und Kagaro w s. o.{S.117 f.), über unreine Pflanzen handelt
Wächter a. a, 0. 192 ff. — Kropatschek, De amuletorum apud
Symbole und Attribute. 121
«intiquos usu, Münster 1907 beschäftigt sich im Hauptabschnitt
(S. 45 ff.) mit der magischen Bedeutung der Pflanzen. — Einzelne
Zusätze bietet C. J(ullian), Rev. et. anc. XIII, 1911, 198. —
Aigremont, Volkserotik und Pflanzenwelt, eine Darstellung alter
wie moderner erotischer und sexueller Gebräuche, Vergleiche, Be-
nennungen usw., I, Halle o. J., geht zwar nicht genauer auf das
Altertum ein, bietet aber doch manches, was auch für den Mytho-
logen in Betracht kommt, z. B. über das Schlagen mit der Lebens-
rute (19 ff.; 38), über Äpfel (59 ff.), Birnen (69 ff.), Rosen (110 ff.),
Fenchel (127 f.) und Lattich (145 f.).
Seine Studien über die italischen Wälder „I boschi sacri dell'
antica Roma", Bull. Commiss. arch. comm. di Roma XXXIII, 1905,
189 ff., in denen er die Lage von 27 heiligen Hainen in und bei
Rom bestimmt hatte, setzt G. Stara Tedde, ebd. XXXV, 1907,
129 in dem Aufsatz Ricerche sulla evoluzione del cidto degli alberi
dal principio del secolo IV in poi fort. Es wird darin die Stellung
der Kirche gegenüber dem antiken Baumkultus besprochen, doch
liegt dem Verfasser die volkswirtschaftliche Seite der Frage, wie
es scheint, näher als die religionsgeschichtliche. — jBejottes,
Le livre sacre d'Hermes Trismegiste, Bord. 1911 wiU nachweisen,
daß die „Dekankräuter" des Hermes noch jetzt in Frankreich als
Zauberkräuter gelten und als solche schon vor der römischen Er-
oberung durch unmittelbare Übertragung aus dem Orient bekannt
waren. Die Römer sollen erst die gallischen Namen ins Lateinische
oder Griechische übersetzt haben.
Von den mythischen Bäumen, die sich in die Botanik nicht
einordnen lassen, hat der goldene Zweig, mit dem Aeneas sich
den Orkus erschließt (Verg. Aen. VI, 136), auch in neuerer Zeit
die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vergil scheint aus einer
Quelle zu schöpfen, die den Abstieg des Herakles beschrieb (R. E.,
Suppl. I 3, Sp. 1077, 20 ff.); mit dem Zweig des Rex Nemorensis
hat jedenfalls der goldene Zweig nichts zu tun, obw^ohl F r a z e r
in der neuesten Auflage des Golden Bough an seiner schon im
Titel ausgedrückten, auf Mißverständnis (Berl. Phil. Wschr. XXXII,
1912, 745) von Serv. Aen. VI 136 beruhenden Deutung festhält.
Paton, Class. Rev. XXV, 1911, 205 findet den goldenen Zweig
schon bei Piud. d^QtjV. fr. 130 erwähnt, wo er schreibt y.al lißdri^)
oxiEQoj y.ai xQvao-KdQ7toiai[v] ßeßQiS^ev, aber zugibt, daß XQi^'o6/.aQ7iog
auch auf einen Efeuzweig mit goldenen Beeren gehen könne, —
Roberts Vermutungen über den goldenen Zweig werden in
dem Abschnitt über das Schicksal der Seele nach dem Tode be-
122 Attribute aus dem Pflauzenreicli.
sprechen werden. — Über den Zweig als Symbol des Erlösers iu
seiner Eigenschaft als Vegetations- und Lebensgott handelt zweifelnd
Drews, Christusmyth. I 24.
Vorstellungen vom Lebensbaum haben nach W. Schultz ,
Philol. LXVIII, 1909, 497 die Etrusker aus ihrer lydischen Heimat
mitgebracht und auf Herakles und Pythagoras übertragen. Vgl. u.
{S. 1:26 Pappel).
A Ir au n. Semitische Parallelen zu dem Glauben an die Zauber-
kraft dieser Pflanze und an das 'Erdmännlein' bringt H. Kohl er,
Arch. f. Religionswiss. XIII 1910, 70 ff. bei.
Über Apfel und Quitte im Zauber (Catal. cod. astrol. VI,
S. 88 f.). L. Bianchi, Hess. Blätter f. Volksk. XIII 1914, 107,
der zahlreiche ähnliche Bräuche vergleicht. — Über das Zuwerfen
eines Apfels oder Balls als Liebeserklärung s. Haus er, Rom.
Mitt. XXV 1910, 285. —Aus dem Orakel bei Phlegon FHG III,
S. 604 1 folgert Cornford in Jane Harrisons Themis 236, daß
die Sieger in den olympischen Spielen ursprünglich mit einem Apfel-
zweig bekränzt wurden.
Die Pflanze Asterion ^ die an dem Flusse gleichen Namens
unweit Mykene wuchs und der Hera heilig war , stellt Saint-
3-ves, Vierges meres, 95 tf., der sie seltsamerweise für das Mai-
glöckchen hält, zu den Pflanzen, welche die Entbindung erleichtern
sollten.
Sirnba um. Über seine Bedeutung im Zauber gegen Im-
potenz s. Arch. f. Religionswissensch. XV 1912, 875 f. Es wird an
die Ochne- und Iphiklossage , den Birnbaum auf dem Kolonos
Hippios, Soph. OK. 1596 und das argivische Herabild, Paus. II
17, 5 erinnert.
Über die Verwendung des Bocksdorns (Lycium Europaeum,
Qccfivog) im Zauber s. 0. Crusius, Neue Jahrb. XXV 1910, 87.
Eiche. Cooks Vermutung, daß eine in Nemi gefundene, am
Nacken mit Laub versehene Doppelherme den als Verkörperung
des Eichengottes betrachteten Rex Nemorensis darstelle, ist, wie
Frazer, Class. Rev. XXII 1908, 147 ff., der Begründer der letz-
teren Vermutung, selbst hervorhebt, deshalb zweifelhaft, weil die
Sachverständigen das Laub nicht sicher als Eichenlaub erkennen.
Granger, ebd. 217 tritt für Cooks Deutung ein. — Über die
Eiche als Blitzbaum s. Frazer. Balder the Beautiful (Golden
Bough^ VII) II 300 ff. und Warde Fowler, Arch. f. Religionsw.
XVI 1913, 317 ff. , der mit der Häufigkeit des Einschlags von
Blitzen in die seit alter Zeit für heilig gehaltenen Eichen die Vor-
Attribute aus dem Pflanzenreicli. 123
Stellung erklärt, daß diese dem Himmelsgott heilig seien. — Aus
der Eiche den Blitz herzuleiten, lag nach S. Wide, Sert. phil.
C. F. Johannsson obl. 1910, 68 für die Urzeit sehr nahe, als die
himmlischen Götter noch nicht da waren und die meteorologischen
Erscheinungen noch nicht vom Himmel hergeleitet wurden, man
vielmehr in der Erde und den chthonischen Mächten den Ursprung
alles Seienden suchte. — Über die Eiche des Zeus vgl. Jane
Harrisons Vortrag über die Eiche des Zeus, Transact. III.
Intern. Congr. Hist. Rel. II 157: über heilige Eichen und Tere-
binthen im Alten Testament s. Frazer, Anthropol. Ess. ])resent. to
Tylor 1907, 110 ff.
Die Feige war, wie seit lauger Zeit aus ihrer obszönen Be-
deutung (.<?. w.) und auch aus der hebräischen Paradiessage ge-
folgert ist und Paton, Rev. arch. 1907', öl ff. sowie ihm folgend
Rein ach. Cultes mythes, rel. III, 92 ff. (besonders 117 f.; vgl.
361) aus der Zeremonie mit den Pharmakoi erschließt, im Zeugungs-
zauber wichtig; ob diese Vorstellung an eine Sitte der Befruchtung
oder Veredelung des wilden Feigenbaumes anschließt, wie Paton
meint, ist meines Erachtens zweifelhaft. Aus eiuem Befruchtungs-
zauber leitet Rein ach a. a. 0. auch den Namen Sykophantes her
{u. S. 190). Wie in Eleusis der Hierophant eine Ähre, soll in Hiera Syka
der Sykophant eine heilige Feige, deren Kultur nach der Sage Demeter
dem Phytalos gezeigt hatte, vorgewiesen haben. Es wird eine nahe
Verwandtschaft der Kulte und Riten beider attischen Kultstätten
angenommen, die sich auch in der Sage offenbaren soll, daß Demeter
wie in Eleusis mit Keleos , so in Hiera Syka mit Phytalos sich
ehelich verbunden habe. Weil der dortige Sykophant wie der
eleusinische Hierophant Unwürdige von der Mj'^sterienfeier aus-
schloß, konnte seine Amtsbezeichnung nach Reinach die Bedeutung
* Verleumder' erhalten. — Auch Riff er, Indogerm. Forsch. XXX
1912, 388 ff. geht bei der Erklärung dieses Wortes von der obszönen
Bedeutung der higa, fica, der abwehrenden und geringschätzigen
Fingerverschlingung (Ov. Fast. V 433), aus ; er meint aber , daß
diese Geste besonders bei Proletariern und der ungebildeten Be-
völkerung üblich gewesen und deshalb 'Feigenzeiger' Bezeichnung
eines ungebildeten Menschen geworden sei. — Als Feuer- und
Blitzbaum will Eitrem, Festski-, til Alf Torp 1913, 85 ff. die
Feige erweisen. — Über die beiden heiligen Feigenbäume in Rom, die
Navia auf dem Comitium und die Ruminalis am Lupercal, sowie über
die sich an sie knüpfenden Legenden handelt E. Petersen, Klio
VIII 1908. 446 f. Die Ruminalis bestand noch 296 v. Chr. , als
124 Attribute aus dem Pflanzenreich.
die Of^ulnii eine Nachbildung der kapitolinischen Wölfin neben ihr
aufstellten ; als sie verdorrt war , sagte man , sie sei nach dem
Com'tium versetzt worden. Dies Ergebnis wird zum Teil durch
eine neue Erklärung der schwierigen Stelle bei Plin. n. h. XV 77
gewonnen. Dagegen will G. de Sanctis, Riv. di fil. XXXVIII
1910. 71 ff. nachweisen, daß es nur eine ficus Ruminalis, und zwar
beim Tempel der Rumina auf dem Comitium gab, und daß die pala-
tinische und deren Verpflanzung erst erdichtet wurden , als man
die Ruminalis mit Romulus in Verbindung brachte. Diese Er-
dichtung ist nach de Sanctis älter als 296, da in diesem Jahre die
Ogulnier die Statue der Wölfin mit den Zwillingen errichteten, die
weder der weit älteren im Konservatorenpalast noch der von Die-
nysios gesehenen gleichgesetzt werden dürfe.
Auf die Bedeutung der Granate in einem florentinischen
Zauber gegen Unfruchtbarkeit der Frauen weist Saintyves.
Vierges meres 94 hin.
Über die Hyazinthe und Narzisse im Mythos und Kult
Demeters handelt aus Veranlassung des Reliefs von Torre Nova
Rizzo. Athen. Mitt. XXV 1910, 19.
Daß Kcu schlämm {Xiyog, üyvog) , das später als anta-
phroditisch galt , nach der ursprünglichen Vorstellung gerade die
Fruchtbarkeit befördern sollte, folgert Fehrle, Kult. Keusch-
heit 139 ff. unter anderem aus dem milesischen und sonstigen
Thesmophoriengebräuchen , aus der samischen Toneialegende, die
nach Fehrle einen ugog ydfjog begründen soll (173), und der
Verwendung des ).vyog im Kult der Artemis Orthia, einer alten
Fruchtbarkeitsgöttiu. Durch die lalsche Etymologie von ayvog,
das als ayvug oder ayorog gedeutet wurde , soll die umgekehrte
Auffassung begünstigt worden sein. Schon Welcker, Grieche
Götterl. I 362 hatte vermutet, daß es sich bei der Verwendung
des Keuschlamms um einen alten Fruchtbarkeitszauber handelt;
aber da ein solcher nicht selten mit zeitweiliger geschlechtlicher
Enthaltung verbunden ist, bedarf es der Annahme einer Umdeutung
der Vorstellung vom Keuschlamm kaum.
Die apotropäische Kraft von Lauch und Zwiebel erörtert
Malten, Herrn. LIII 1913, 170 f.
Über die Lilie als dem Dionysos heüige Pflanze, die unter
Ptolemaios Philopator tätowiert wurde, s. Vollgraff, Rev. 6t.
auc. XII 1910, 431, der bei Plut, de discem. adul. et am. 12
i^chreiVjt: . . . mxc zviu7cdvcijr aga^eig yal xqivojv iyxaqa^eig. —
Über die Lilie im Befruchtungszauber handelt Saintyves, Vierge»
Heilige und zauberkräftige Pflanzen. 125
ineres 73. Räuchern mit Lilien schützt nach einem in der von
Brunnhofer, Arische Urzeit 215 zitierten Stelle Qazwinis er-
wähnten persischen Aberglauben gegen Wassermangel.
Lorheer. Ogle, Laurel in ancient Religion and Folklore,
Amer. Journ. Phil. XXXI 1910, 287 bietet eine fleißige Sammlung
der Zeugnisse namentlich derer, die den Bäum als Grabbaum und
Sitz der Geister (298) und als von apotropäischer Kraft erfüllt
(302 ff.) erweisen sollen. — Über Lorbeer im Zauber s. Abt,
Apolog. d. Apuleius 77 ff. -= R Vu V IV 151 ff. — Die lustrale Ver-
wendung von Lorbeer und Myrte haben die Römer nach Reid,
Journ. Rom. Stud. II 1912, 45 ff. von den Griechen angenommen.
Daß der Lorbeer, mit dem das siegreiche Heer sich beim Triumph
schmückte, die Reinigung von Blutschuld (Fest. ep. 117, 13 ff.)
bezweckt habe, wird bestritten, da diese Auffassung frühestens mit
der Einführung des Graecus ritus aufgekommen sein könnte. —
Lorbeerzweige (Liban. e'/.cfQ. 5. 7 = Bd. VIII 474 F., IV 1054 R.),
verbenas felicis arboris, Sj-ram. rel. 15 I, S. 291 ed. Seeck schickten
die Römer nach Deubner, Glotta III 34 am 1. März, dem Neu-
jahrstag , den Freunden ^ sie hießen Strenae und wurden später
durch Geldgeschenke abgelöst. Mit der Verlegung des Neujahrs-
tages ging die Sitte auf den 1. Januar über.
Das Zofosblatt des Hermes, das Furtwängler für eine Feder
gehalten hatte, soll, wie R. Förster, Rom. Mitt. XXIX 1914,
168 ff. jetzt (anders Arch. Jahrb. XIX 1904, 140 ff.) glaubt, auf
den Segen des Nils hinweisen, dessen Steigen Hermes zugeschrieben
wurde (Luc. Phars. X 209); es kam also zunächst dem UXovto-
doTTqg zu, wurde dann aber auch dem ^Evaywviog und dem Dis-
kobolos (vgl. die Erzstatuette in Stuttgart) gegeben. — Über die
Lotosblume im Fruchtbarkeitszauber s. Saintyves, Vierges meres
101 ff.
Mandragora. *C. Brewster Randolph, The M. of the
Ancients in Folklore and Medicine, Proceed, of the Amer. Acad.
of Arts and Scienc. 1905, Iff.; Saintyves, Vierges meres 78.
Über das Kerykeion als Mist el zweig s. Berl. Phil. Wschr.
XXXIV 1914, 1557.
Über Moly handelt Henry, Class. Rev. XX 1906, 434 ff.
Er hält es für eine im Zauber verwendete Pflanze , deren Name
wahrscheinlich phönizisch oder ägyptisch sei. Eher gehört der
Name der älteren Bevölkerung Griechenlands an.
Die Myrrhe im Zauber bespricht Abt, Apol. d. Apuleius.
133-=RVuV. IV 207.
126 Heilige und zauberkräftige Pflanzen.
Über die Myrte, als Zeichen der Liebesvereinigung, der
Totenklage und der Keuschheit s. F e h r 1 e , Kult. Keuschh. (RV u V,
VI) 239 ff. Vgl. über die M. auch o {S. 125 „Lorbeer").
Narzisse. B r u n n h o f e r , Ar. Urzeit 2 1 5 : 'Die blendend
weiße Blüte des JSctQ^iaoog ließ die N. wohl schon im arischen
Altertum als Repräsentantin des Blitzes, dann aber auch als regen-
spendende Zauberpflanze erscheinen'.
Olim: Über die Bedeutung des Öls und der Salbung als
eines Mittels, um in das Paradies zu gelangen, s. L. Troje,
Sitzungsber., Heidelb., AW 1916, XVII, 83 ff. — In Olympia soll
die Olive nach Cornford in Jane Harrisons Themis 236 ff. zu-
erst Abzeichen der Erde, dann der Mondgöttin gewesen und endlich
nach Einführung des Mondsonnenjahrs zugleich des Sonnengottes
und der Mondgöttin geworden sein. — Über das Öl vgl. Clot.
Mayeur, Das Öl im Kultus der Griechen, Heidelb. Diss., Würzb.
1917. Von den drei Kapiteln dieser durch F. Boll angeregten
Arbeit kommen für die Religionsgeschichte besonders das zweite
(Salbung beim Opfer) und dritte (Öl als Opfergabe) in Betracht.
Die Palme als Siegeszeichen stammt nach Frank Tarbell,
Amer. Jouru. Ai'ch. XII 1908, 69 wahrscheinlich aus der Einrichtung
der delischen Spiele (seit 426). Vor dem Ende des V. Jhs. ist
sie nicht nachweisbar. — Svoronos behauptet, Journ. internat.
d'arch. num. XVI 1914, 87; 110 ff.; 118 ff., daß die Plagge rpoiviy.lg
nach den trockenen roten Palmblättern heiße. — Palmbäume sind
auf Stelen des Saturn bei Herschir es srira dargestellt. Saturn
soll hier als Gott der Fruchtbarkeit gelten, Hautecoeur, Mel.
d'arch. et d'hist. XXIX 1909, 375. Bisher waren fast nur Palm-
sweige als Attribut des Gottes bekannt. Aus einem afrikanischen
Kult leitet Hautecoeur, Mel. d'arch. et d'hist. XXIX 1909, 376
das auf christlichen Mosaiken, Lampen und Sarkophagen erscheinende
Symbol der Palme her. S. u. {S. 129).
Pappel. Die UUrj will Wolfg. Schultz, Philol. LXVIII
1909, 492 ff. aus der Sage, daß Mnesarchos den Pythagoras unter
einer Pappel schlafend fand (Porph. v. Pyth. 10), als Lebensbaum
erweisen, doch soll die Weißpappel, die sonst ein Totenbaum ist
wie die w^eiße Zypresse auf dem Goldtäfelchen von Petelia, v. 2
(Comparetti, Laminette Orfiche, S. 32), an die Stelle der Schwarz-
pappel getreten sein.
Über die Bedeutung der Pinie im Attiskult s. Frazer.
Adon. Att. Osir. I (= Golden Bough IV ^ 1), S. 277 ff., über ihre
Verwendung im Dienste des Dionysos A. Rein ach, Rev. hist.
Attribute aus dem Pflanzenreich. 127
rel. LXVI, 1912^, 30 f. Reinach behandelt 1 ff. L'origine du thyrse.
Das Wort ist nach Reinach thrakisch-phrygisch und entspricht,
wie auch von andern vermutet ist (s. zuletzt Boisacii, Diction.
etym. 359), dem lateinischen fu(r)stis. Der ältere Name der Thyrsoi
war (S. 27) iyvoi^Xa., sie waren Zweige, die heftig geschwungen
wurden. Im 6. Jh. wurde nach Reinach (31 f.) der Pinienzweig
im Kreise unteritalischer Orphiker durch die Ferulstaude ersetzt,
die um die Mitte des 5. Jhs. mit dem aus Delphoi stammenden
Pinienzweig in der "Weise verschmolz , daß der Pinienzapfen auf
den Narthexstock gesetzt wurde. — Vgl. u. (ß. 128 „ Weide").
Über die Quitte vgl. o. {132 „Äpfel").
Mose. Die Rosalia werden von Carolidis, Bemerk, z. d.
alten kleinasiat. Spr. und Mythol. 178 ff. zu dem armenischen
Vartavarfest gestellt, das ein Rest des alten kleinasiatischen, erst
nachträglich mit der Rosalia ausgeglichenen Frühlings- und Toten-
festes gewesen sein soll.
Daß die Ter eb int he dem ApoUon heilig war, ist längst aus
seinem Bmnamen TeQfxivd^evg (Lykophr. 1207) geschlossen worden.
Eine Bestätigung würde es sein, wenn Menardos '^^/yj^a XXII,
1910, 419 f. (vgl. Journ. HeU. Stud. XXVIII, 1908, 133) die Über-
lieferung bei Ptolem. Heph. 198, 11 in Westermanns Mythogr. Gr.
mit Recht so verändert tv ^^Qoei (= äXaei ; überl. "Aq-yeL) noXei
Ttjg KvjTQOv iv TCü tov [Tq]€[u]iU-iov (überl. ^EQiif^iov) '^Ttölhovog
lEQ(ji. Aus Steph. B3^z. Tgej-ii^oig 632, 16 ergibt sich, daß in
Tremithus, auf Kypros Aphrodite verehrt wurde, wie es von dem
kyprischen Apollonheiligtum, in dem Aphrodite den Adonis gefunden
haben sollte, vorauszusetzen ist. Tgti-iid-og ist nach Steph. Byz.
die kyprische Bezeichnung der Terebinthe. In andern Fassungen
der Adonissage findet die Liebesgöttin den Leichnam in Lattich,
woraus geschlossen werden darf, daß dieser bei der Darstellung
der Legende verwendet wurde 5 auch für den dem Terebinthen-
baum (Pistacia Terebinthus) nächst verwandten Mastix {oxi^ogy
Pistacia Lentiscus) ist nach Kallimachos vfAV. III 207 eine Be-
nutzung bei den Festen zu erschließen, bei denen der Tod einer
Gottheit beklagt wird. Die einwandernden Griechen haben die
Terebinthe wahrscheinlich erst im Mittelmeergebiet kennen gelernt
und den vorgefundenen Namen übernommen; auch der Kult-
gebrauch wird aus der Blütezeit der ägäischen Kultur stammen,
die sich auch in diesem Punkt mit der vorderasiatischen berührte ;
wenigstens läßt sich aus Gen. 35, 4 erschließen, daß auch in
Kanaan Götter unter einer Terebinthe verehrt wurden. Apollon
128 Heilige und zauberkräftige Pflanzen.
ist der Gott erst von den Griechen ifeuannt worden ; in Müet hieß
er Zeus Tegui'v&tog (Abh. BAW, bist. ph. Cl. 1908, Anh. I 27).
Die Weide will als Baum des Adonis nachweisen A. J. Rein ach,
Rev. hist. rel. LX, 1905)2 3^0 Er beruft sich auf Hesych. 'izaiog-
iidiovig und ddä . . . naqit TvQioig dt ?/ elxtct (an "pN hatte bereits
Borchart gedacht). Es wäre dann wohl auch in der byblischen
Osirissage die igeix-tj (Plut. le. 15). d. h. walu-scheinlich die Tamariske
(Handb. d. griech. Mythol. u. Religionsgesch. 1413, 1) statt der
Weide eingetreten oder umgekehrt, was bei der gleichartigen eigen-
tümlich graugrünen Färbung der schmalen Bliittchen beider Pflanzen
nicht als unmöglich erscheint. Doch vergleicht Spiegelberg
(Arch. f. Religionswiss. XIX, 1917/18, 194) Firm. Matern. XXVII 1
(in Isiacis sacris de ^wwcff arbore caeditur truncus) und schließt
daraus, daß die fQei/.r^ ein Nadelholz, und zwar wahrscheinlich, wie
schon Sethe, Zeitschr. f. ägypt. Spr. u. Altertk. XLV, 1908, 12 ff.
angenommen hatte, eine Zeder gewesen sei.
Wein. Kircher, Die sakrale Bedeutung des Weins im
Altertum (RVuV IX 2). 1910. Aus dem Inhalt des Buches,
auf das an anderen Stellen dieses Berichtes zurückzukommen ist.
sei hier auf § III 3 (S. 82 ff.) über die parallele Verwendung von
Wein und Blut , z.B. beim Blutbund . hingewiesen . von dem die
Sitte des Zutrinkens abgeleitet wird. — Über Venus als Göttin
des Weinbaus handelt H. L. Wilson, Amer. Journ. Phil. XXVIII.
1907, 450 aus Anlaß eines zu Cortona gefundenen Seihers mit der
Aufschrift sacro Matre Mursina; vgl. aber Wissowa, Rel. d. Röm.^
242. Für einen Weinstock hält Cumont. Comptes rend. AIBL
1907, 448 das Gewächs auf einem Relief, das ein Opfer an den
^€cg BrjXog darstellt . dem , wie er daraus schließt , der Wein wie
dem Dionysos und Dusares heilig war oder wenigstens Weinopfer
dargebracht wurden.
Wermut in der Volksmedizin behandeln 0. v. Hovorka
und A. Kronfeld, Vergleichende Volksmed. II 449 f. und Frazer,
Balder the Beautiful (Golden Bough VII), II S. 58 ff., den W. als
Ausfluß des Skorpions Fr. BoU, Aus der Offenbarung Joh. 41 f.
bei Besprechung von Apokal. 8, 10 f.
Die Zwiebel wurde nach A. Jacoby, Rec. trav. relat. ä
la philol. et ä Tarch. eg. et assj-r. XXXIV, 1912, 0 ff. in der oft
erwähnten Religio Pelusiaca deshalb verehrt oder abergläubisch ge-
fürchtet, weil die ihr zugeschriebenen Blähungen als das Werk von Dä-
monen galten. — Über die Bedeutung der Zwiebel im apotropäischen
Zauber s. 0. («S. 7?/ ,_ Lnnrh^y. — Daß die Zwiebel wegen ihrer aphrodi-
Heilige Pflanzen und Insekten. 129
sischen Wirkung der Liebesgöttin heilig war, folgert Menardot;,
'A^rn'ü XXII, 1910, 419 aus Alexis bei Athen. II G4, S. 63*^.
Der Name der Aphroditekultstätte ro).yoi soll kvjjrische Dialekt-
form für BoXßoi sein. Stellt diese Vermutung sich als richtig her-
aus, so ist ein neues Beispiel für das auffällig häufige Zusammen-
treffen des Schweines und der Zwiebel (Handb. 247, 5) gewonnen.
Die Erwähnung der weißen Zypresse auf der Tafel von
PeteUa bringt W i e t e n , De tribus laminis aureis 70 ff. mit dem
Z3^pressenhain der Titanen bei Knossos (Diod. V 66) und damit
in Verbindung, daß nach lambl. v. Pythag. 155 die Pythagoreier
die Bestattung in Zypressensarkophagen verboten. Er meint, daß
die Pythagoreier die Heiligkeit der Zypresse aus kretischen Mysterien
entnahmen , womit auch die späteren Überlieferungen über P^-tha-
goras' Aufenthalt in Kreta zusammenhängen könnten. — C o m -
paretti. Laminette Orf. 34 hält die Xev/.y KVTTCcQtaaog der Tafel
von Petelia für die Silberpappel (die aber nicht wie die Zypresse
pyramidal ist).
Eine gründliche Untersuchung ist nach gütiger , mündlicher
Mitteilung von E. Kagarow Klingers Buch, „Tiere in antikem
und modernem Aberglauben", Kiew 1911 (russ.). Der Vf. bespricht
1. Tiere der „Luft" (Vögel; Hirsch und Pferd, Fledermaus.
Schmetterling usw.); 3. Tiere der „Erde" (Eidechse. Schlange.
Wiesel, Ratte, Frosch usw.); 3. Tiere der „Nacht" (Wolf, Hund,
Katze, Bär, Löwe); 4- Tiere des „Feuers" (Hahn und Henne).
Insekten.
Über Dämonen in Gestalt von Käfern s. Fr. Boll. Arch.
f. Religionswiss. XII, 1909, 151.
Der Schmetterling ist, wie Was er in dem Aufs. „Über
die äußere Erscheinung der Seele in den Vorstellungen der Völker,
zumal der alten Griechen", Arch. f. Religionswiss. XVI. 1913.
382 ff. zeigen will, nicht erst spät als ein S}Tnbol der Wieder-
geburt und Unsterblichkeit gefaßt. Die Bezeichnung des Schmetter-
lings als H)vx^ ist nach W. nicht Ursache, sondern Folge der Vor-
steDung vom Seelenschmetterling . die , wie er glaubt , vom Nacht-
falter ausgegangen ist. — Ihm steht Immisch, Glotta VI, 1915.
193 ff. in der Auffassung nahe; er erinnert daran, daß bei Verg.
Aen. VI 284 die Träume gleich Nachtfaltern unter allen Blättern der
Ulme hängen. Da auf Kunstwerken, z. B. einem Berliner sf. Vf. (in
Furtwänglers Katalog I S. 222 no. 1634) ein Phallos dargestellt
wird, der sich auf einen Schmetterling ergießt und die rhodische
•Tahresbericht für AltertumFwisBenschaft. l'd. 186 (Supplementhand). 9
130 Insekten im Kult und Mj'^thos.
Bezeichnung des Nachtfalters (pdX{X)atra an Phallos erinnert, so
erschließt er als Ausgangspunkt der ganzen Vorstellungskette die
Vcrgleichung der Seele mit einem weihlichen Nachtfalter, der sich
geheimnisvoll von Raupe zu Puppe und Schmetterling entwickelt;
und zwar soll der lebende Körper der Raupe, der tote dem Puppen-
gehäuse und die sich befreiende Seele dem Schmetterling verglichen
sein. Eine Verbindung dieser Vorstellung mit der vom Phallos
und der cfdXaiva findet er bei Hsch. axyjiiiof.ta?) o rivsg {.liv üivxt/V,
iivig öe q'dXaivav , womit er die Doppelbedeutung von papilio
.,Schmetterling" und „Zelt" vergleicht. Es ist nicht möglich, im
Auszug weiter die verwickelte und doch nur locker zusammen-
hängende semasiologische Fortbildung, die Immisch annimmt, wieder-
zugeben ; die von ihm verbundenen Gleichnisse scheinen in der Tat
aus verwandter Grundauffassung erwachsen , aber wahrscheinlich
fehlen uns wichtige Zwischenglieder, ohne welche eine klare Ein-
sicht in den Ideenkreis und seine Entwicklung nicht möglich ist.
Vielleicht liegt die Lehre eines Mj-sterions zugrunde , bei dem die
Erlösung der Seele aus dem Totenreich mit ihrer Befruchtung durch
einen göttlichen Phallos verglichen oder durch eine derartig
ö}Tnbolisch angedeutete Befruchtung irgendwie ausgedrückt war. —
Über den Phallos als Sitz der Seele vgl. auch Bethe, Rh. Mus.
LXII, 1907, 465, A. 62; Was er, Arch. f. Religionswiss. XVI.
1913, 382.
Verwandte Vorstellungen sind für die JBiene vermutet worden.
Nach G. Blum, Mus. Beige XVII, 1913, 316 ff. bedeutet Hekates
Beiname MeXuiödr^g „bienenähnlich" und bezieht sich darauf, daß
die Totenseelen nach einer schon früher von Weicker erschlossenen
Anschauung in Bienengestalt auftreten. Auch diese Vorstellung
scheint in Mysterien fortgepflanzt zu sein; Blum erinnert an Melissa,
der Demeter auf dem Isthmos ihre Geheimnisse verkündet (Interpol.
Öerv. Aen. I 430) und die seiner Ansicht nach ein Abbild für die Seele
des Mysten ist. — Mj-stische Züge will R. F. Crook, Class.
Rev. XXIV, IMO, 49 f. in der Beschreibung der Bienen bei Verg.
Georg. IV 219 ff. erkennen; v. 228 liest er augustam statt angustam,
V. 230 ore fave statt ora fove; haustu sparsus aquarum v. 229
soll sich etwa auf eine religiöse Waschung beziehen , sideris in
numerum v. 227 an pythagoreische Lehren erinnern. — Als Symbol
für die Wiedergeburt der Seele deutet die Biene Marg. Verrall,
Class. Rev. XXIV, 1910, 44 f. Über die Biene als Seele auch
nach germanischem Glauben s. Was er, Arch. f. Religionswiss.
XVI, 1913, 353 f. — Die Sage von der Erzeugung der Bienen aus
Insekten im Kult und Mythos. Fische. 131
dem Stierkadaver erklärt Lefebvre, Sphinx XI, 1908, 18 f. aus
ägj'ptischen Vorstellungen, nach denen die Biene die durch Stier-
opfer beförderte Fruchtbarkeit bezeichne. Doch sollen Bienen bei
den Ägyptern auch als Weiser der Toten in die Unterwelt gegolten
haben. Mit Benutzung ägyptischer Vorstellungen soll die Aristaios-
sage in Kyrene entstanden sein. — Als Symbol der Todesgottheit
will Neustadt, De love Cretico 49 die Biene der ephesischen
Artemis , der Zeusgrotte , der Thrien durch den Hinweis auf die
Bedeutung der Biene im Demeter- und Persephonekult er\\^ei8en.
Daß diese griechischen an die Stelle einer vorgriechischen Mutter-
göttin getreten sind (ebd. o6j, ist nicht unwahrscheinlich; aber
schwerlich weist schon die Endung von (xil—iooa auf vorgriechischen
Ursprung, und neben der Beziehung auf die erlöste Seele ist der
Biene und dem Honig in der ägäischen Kultur eine Bedeutung
auch für den Zauber beizulegen, durch den man den Vater Himmel
veranlassen zu können meinte , die Mutter Erde zu befruchten. —
In den rätselhaften Bienenmasken von Ephesos mit seltsamen Auf-
schriften glaubt He ad, Numism. Chron. 1908, 281 ff. einen Zauber
zur Wiedereinfangung {ndX—VQig'^ vgl. vqov) eines schwärmenden
Bienenvolkes zu erkennen. Eher dürften sie mit dem ephesischen
Artemisdienst in Beziehung stehen. Über die Bienen auf archaischen
Fibeln von Ephesos s. Hogarth, Excavation at Ephes. T. III. ff. —
Die Blendung des Daphuis, Anchises (Serv. Aen. I 617), Rhoikos
(Seh. Ap. Eh. II 477, seh. Theokr. III 13) durch eine Biene be-
spricht Vürtheim, Versl. en Meded. Vn, 1916, 407. — Die Be-
deutung der Biene für Delphoi hebt Weniger, Soki\ V, 1917,
308 f. hervor. Durch Honig (oder Met) werden die Thriai be-
geistert; die Worte v.aza -/.gatog TtenalMyfxivai alcpna XevAcc bei
Hom vfiv. III 554 die nach Crusius, Sitz.-Ber. BaAW 1910,
102 mit der Alphitomantie zusammenhängen, werden auf die mit
Blütenstaub bedeckten Köpfe der Bienen bezogen. — Als Honig-
spenderinnen heißen die Thrien nach Weniger, Nährerinnen
ApoUons. — Zu dem aus Wachs gefertigten delphischeu Tempel ver-
gleicht er den im Mittelalter verbreiteten Glauben, daß Bienen
über eine frevelhaft entwendete Hostie kunstvoll eine kleine Kapelle
erbauten. — Über die He uschreclce im antiken und modernen Aber-
glauben s. Fehrle, Hess. Blatt, f. Volksk. XI, 1912, 207 ff.
Fische.
Eine Übersicht über die verbotenen Fische gibt Wächter,
Keinheitsvorschr. RV u. V IX 1, 1910, 101 f. Über Fischkult vgl.
9*
132 Fische im Kult und Mythos.
8. Rein ach, Cultes, myth. relig. III 4;1 ff. — Schon in der Religion
der ägäischen Kultur scheint der Fisch symbolische Bedeutung ge-
habt zu haben; vgl. mit ihm verbundene Vorstellungen, die R. Eislei-
im zweiten Teil seines auf dem 3. Intern. Congr. Hist. Relig. in Ox-
ford gehaltenen Vortrags untersucht. — In Itanos auf Kreta ist nach
A, Reinach, Rev. hist. rel. LX, 1909, 189 auf den einheimischen
Fischkultus durch eindringende Achaier, die aus Thessalien kamen,
der Dienst des Schildes aufgeiifro])ft worden. Auch hier berühren
sich vorgriechische Vorstellungen mit morgenländischen.
S ch ef t el 0 witz , das Fischsymbol im Judentum u. Christent.,
Arch. f. Religionswiss. XIV, 1911, 1 ff . , 321 ff., führt die Ver-
bindung des Fisches mit der Messiasidee auf astrologische Vor-
steDungen zurück : als letztes Sternbild des Weltenjahrs gehen die
Fische der Weltemeuerung vorauf (47). (Hätte es dann nicht näher
gelegen, den Weltheiland dem Widder gleichzusetzen?). Die Unter-
suchung, die ein reiches, freilich nicht immer genügend gesichtetes
und geordnetes Material herbeischafft, kommt nicht bloß für
das enge in der Überschrift bezeichnete Gebiet der Religions-
geschichte in Betracht, denn der Verfasser spricht gelegentlich
auch über Vorstellungen und Kultgebräuche anderer Völker, z. B.
über die Fische der Atargatis (337) und über die Fischfigur auf
mancherlei griechischen Amuleten (353 f.). — Über die der Kybele
heiligen Fische s. Calder, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 246, der
auf noch bestehende Reste dieses Kults hinweist. Über Fische als
Darstellung von Ahnengeistern s. Seh eftelo witz a. a. 0. 357 ff. ;
vgl. über den „Seelenfisch" Waser, Arch. f. Religionswiss. XVI,
1913, 356 ff., über Fisch als Speise der Seligen Scheftelo witz
a. a. 0. 321 ff"., über ihn als Sj'mbol der Fruchtbarkeit ebd. 376 ff.,
als glückbringendes Zeichen und als Schutz gegen Dämonen ebd.
343 ff-, über die Verwendung der Fische im Zauber Abt. Apolog.
d. Apuleius 61 ff. (= RV u. V IV, 135 ff.). — Wahrscheinlich in
Süditalien ist im 4. Jh. ein Typus fischschwänziger Giganten ent-
standen, den eine praenestinische Cista, Chase, Amer. Journ.
Arch. XV, 1911, 465 ff. pl. XII zeigt. — Seine Ansieht daß der
ApoUon Delphinios ursprünglich nichts mit den Delphinen zu tun
hatte und erst durch Volksetymologie aus JehpiÖLog umgedeutet
sei, stellt von neuem Aly, Berl. phil. Wschr. XXXIV, 1914, 1550
auf. Er vergleicht Et. Gud. 138 3, oi yaq 7COvijQoi dehfoL: Del-
phidios war seiner Ansicht nach der ^Böse", der deshalb außer-
halb der Stadt verehrt wurde. — Die Geschichte von den Del-
phinen , die eigentlich den Poseidon verehrende Menschen waren.
/
Fische und Amphibien im Kult und Mythos. 133
aber von diesem, als er die Wasser erlost hatte, die Vei-wandlung
in ein Meerwesen erflehten, gibt Jos. Nie. Sola, Symbol, litter. in
hon. Julii de Pitra 325 ff. nach einem byzantinischen Traktat des
Holobolus in einer Neapler Hs. heraus.
Amphibien.
Über die zweigeschwänzte Eidechftc im Liebeszauber s. Abt,
Apolog. d. Apul. (RV u. V IV) 184 ff.
Über die Bedeutung der Früfiche im Regenzauber, in dem
sie bisweilen als Vertreter des Vegetatipnsdämons betrachtet, bis-
weilen aber getötet werden , s. L. v. Schröder, Mysterium und
Mimus 398 ff., der daran erinnert, daß RV VII 103 noch jetzt zum
Regenzauber vorgetragen wird, und es für möglich hält, dali beim
Tanz Menschen als Frösche auftraten.
An einen Krehsgott denkt Boll. Arch. f. Religionswissensch.
XII, 1909, 149 bei Kao/.ivaq /.al i] yivrj (yovtj?) avTOu^Ovoay.elig,
der in einer Anweisung zur Lekanomautie genannt wird. Die Ver-
gleichung von Hesych. y(,aQ/,io - ldf.iia ist zweifelhaft; vgl. ebd. /.aQyia-
/.ivy.og, womit wohl ein Fisch gemeint ist.
Apbrodites Verbindung mit der Schildkröte ist nach Fricken-
haus, Ai-ch. Jahrb. XXVIII, 1913, 363 wahrscheinlich von Elis
ausgegangen und enthielt ursprünglich eine Anspielung auf den Kult
am Chelonatas Vorgebirge. Außerhalb Attikas kommt das Attribut
nur selten und nur nach Pheidias vor.
E. Küster, Die Schlange in der griechischen Kunst und
Religion. Mit 32 Textabb. und 2 Tafeln (RV u. V, XIII 2) 1913,
behandelt zunächst die Kunstdenkmäler in der vorgriechischen und,
wenigstens bis zum 5./6. Jh., auch in der griechischen Zeit,
die aber nach dem Verfasser, abgesehen von der Schlangensäule
von Plataiai (54), keine neuen Formen mehr geschaffen hat , dann
die Bedeutung der Schlange in der Religion, die (58), wie er glaubt,
in ihrer ursprünglichen Form überall auf gemeinsame Grund-
vorstellungen der Völker zurückgeht , so daß jeder Schlangenkult
in seinen Anfängen als bodenständig gelten kann. Man darf aber
in der griechischen Mythologie und Religion nur von einem Grund-
charakter der Schlange, dem chthonischen, reden (157), im einzelnen
herrschen in den Vorstellungen vom Wesen des Tieres scharfe Gegen-
sätze; es gilt als heilkräftig (61), bewacht Quellen und Schätze,
sorgt für tierische und menschKche Fruchtbarkeit (149 ff.), erregt
aber zugleich (60) Schrecken. Eine vollständige Sammlung will
Küster nicht geben; es sollen nur typische Beispiele vorgelegt
134 Schlange im Kult und Mythos.
werden, und zwar nur für den eigentlichen griechischen Glauben
mit Ausschluß des aus dem Ausland eingeführten. — Über zahl-
reiche griechische und römische Gottheiten, die im Kult oder Mythos
irgendwie mit Schlangen verbunden werden, spricht A. J. Rein ach,
Rev. arch. IVxvii, K'll* 221 bei der Veröffentlichung eines Reliefs
aus Xaucy (pl. IV) , das einen Gott und eine Göttin , beide mit
einer Schlange in der Hand, darstellt. — S. Wide, Arch. f. Re-
ligionsw. XII, 1909, 221 ff. sieht in Schlangen auf Dipylonvasen,
auf dem Altar von Knossos usw. Tote, welche zu dem ihnen dar-
gebrachten Opfer emporkriechen oder es verzehren. — Über die
Totenschlange auf lakonischen Reliefs s. Otto Seifert, Festschr.
zur Jahresfeier der Univers. Breslau 1911, S. 111 ff. — Als Drache
erscheint der gemordete Agamemnon nach Radermacher, Zs.
f. österr. Gymn. 1916, 19 im Stesichoreischen Traum der Klytai-
mestra. — Parallelen zur Darstellung der Seele als Schlange
verzeichnet Was er, Archiv füi- Religionswissensch. XVI, 1913,
354 ff. — Zur ^ Hausschi angc" vgl. Nilsson, Ath. Mitt,
XXXIII, 1908, 279 ff. — Für ein Sjnnbol der Erde hält Deche-
lette, Mem. soc. antiqu. de France Villi, 1911, 1 ff. die gehörnte
Schlange auf den Denkmälern des Mithras , Sabazios u. Attis , die
in römischer Zeit auch auf ein Menhir im Departement Saone et
Loire graviert ist. — Die Frau mit Schlangen in den Händen,
welche Porzellanfigürchen aus dem Palast von Knossos (mittel-
minoischer Zeit) darstellen (vgl. H, Prinz, Ath. Mitt. XXXV,
1910, 157), hält Beloch, Griech. Gesch. I^ 1, Hl „wohl für
eine ErdgOttin, die ursprünglich in Schlangengestalt gedacht worden
ist". — Einen Dämon des Wassers sieht fGeza Rohein, Drachen
und Drachenkämpfer im Drachen, Berlin 1912; der Gegner des
Drachen soll ursprünglich als Vogel dargestellt sein, z. B. Apollon
als Rabe , Zeus als Adler. — Die jöic //kraft der Schlange leitet
v. Baudissin. Adonis und Esmun 338 davon her, daß sie den
Quell darstellt. — Über Schlangen in Beziehung zu Quellen und
zum himmlischen Wasser s. A. Rein ach, Bull. Mus. Mulhouse
XXXVII, 1913, 126 ff.: aber auch der Blitz gilt als Schlange,
ebd. 95, deshalb erscheint er z. B. am Gorgoneion A. J. Reinach,
Rev. hist. rel. LX, 1909^, 342. — Die totemistische und die kosmo-
gonische Deutung der Schlangenkampfmythen und des Schlangen-
kultus sucht J. G. F r a z e r . The dying God (Golden Bough III)
S. 105 ff. durch die Annahme zu vereinigen, daß die Schlange das
heilige Tier des Königshauses war , zugleich aber mythisch eine
kosmologische Erscheinung, Nässe oder Trockenheit Oll)- vertrat. —
Schlange im Kult und Mythos. 135
Die Bedeutung der Schlange ala Heilgottheit erklärt Gildersleeve,
Am. Journ. phil. XXIX, 1908, 97, 1 daraus, daß sie die pest-
verbreitenden Mäuse tötet und deshalb, wie bei uns die Katze, im
Haus gehalten wurde. — Über die Schlange als sexuelles Symbol
s. Kicklin, Wunscherfüllung und Symb. im Märchen S. 40 flf. —
Über die Schlange im Befruchtungszauber s. o. Weinreich, Hess.
Bl. f. Volksk. X, 1911, 213, als iwopheiisches Tier Hunger,
Babylon. Tieromina, Mitt. d. vorderasiat. Gesellsch. XIV 3, 1909,
110 ff. — Schon im GilgameSepos findet J.Morgenstern, Zeit-
schr. f. Assyriol. XXIX, 1914/5, 284 ff. den aus der klassischen
Literatur bekannten Glauben ausgesprochen , daß die Schlange mit
dem Fell die Jugend erneuere. Schi ange im Kult ein-
zelner Götter: Apollo}). Über die Schlange der Pythia handelt
im Anschluß an die Schutzflehende im Palazzo Barberini unter Ver-
gleichung von Diog. Laert. V 91, Haus er, Österr. Jahresh. XVI.
1913, 69 ff. — Mit den Schlangen der Artemis von Lykosura ver-
gleicht S. Reinach, Cultes, mythes, rel. III 213 ff. eine gallische
Diana von einem Zwölfgötteraltar von Savigny, die einer alten Statue
vom Forum Romanum nachgebildet wurde. Diese ahmte nach Reinach
die arkadische Darstellung nach , die ihrerseits den Typus der
Schlangengöttin von Kuossos wiedergegeben haben soll. — AsMepios.
R. Herzog, Arch. f. Religionswiss. X, 1907, 205 weist scharf-
sinnig nach, daß der alte 7ceXavüg für die heilige Schlange im 4. Jh..
als an die Stelle des Schlangengottes der anthropomorphe trat,
durch Geld ersetzt wurde , das als Honorar für die Behandlung
galt und von den Priestern zur Ausrichtung der Feste verwendet
wurde. Bisweilen wird die Münze mit dem Bilde der Schlange
geprägt, bisweilen auf den Deckel des Thesauros eine Schlange ge-
legt (z. B. im Asklepieion von Ptolemais). — Über die Schlange
im Dionysoskult s. Ricklin, Wunscherfüllung und Symb. im
Märchen 43. — Als Schlangen sind nach Picard, Rev. arch.
LXIX, 1914^, 230 auf der Basis von Magula die DiosJcurcn dar-
gestellt. — Über die Schlange im Dienst der Inno Sospita von
Lanuvium s. Miß Douglas, Journ. Rom. Stud. III, 1913, 70 f..
welche die Schlange für einen Fruchtbarkeitsdämon hält. — Die
Schlange der Kyhele, im phrygischen Hierapolis erkennt Weber.
Phüol. LXIX, 1910, 212 ff. in der "Exidra der Acta Philippi. —
Die Schlangengestalt des Zeus KTijGiog, MeiXr/iog, OiXiog sowie des
Agathodaimon erklärt N i 1 s s o n , Ath. Mitt. XXXIII, 1908, 279 ff. aus
der Vorstellung der Schlange als Schatzhüterin. — Vgl. femer zur
religiösen Bedeutung der Schlange u. {S. 138 ^ Adler '^ u. 146 f. „Hund").
136 Vögel im Kult und Mythos.
Vögel.
Über Vogelkult in vorgriechischer Zeit spricht J. Harris on
in dem Vortrag Bird and Pillar Worship in Connexion with Ouranian
Divinities, den sie in Oxford (s. Transact. III. Intern. Cougr. Hist.
Rel. II 154 ff.) gehalten hat. Die Vortragende wollte darlegen,
daß die Säule des Sarkophage« von Hagia Triada, auf der ein Vogel
sitzt, den heihgeu Zweig der Erdgöttin, die in Griechenland später
als Gaia . Rheia , Demeter , Diktynna , Hera , Artemis , Aphrodite,
Athena differenziert wurde, darstellt oder vertritt, und daß der
Vogel (die Taube, wie J. Harrison für möglich hält; s. jedoch u.
{S. 142 „Specht")) darauf den Himmel, das ganze Symbol, also die
Vereinigung von Erde und Himmel darstelle. Später, als man vom
Matriarchat zur patriarchalischen Ehe fortschi'itt , als der Vater
der Herr wurde , machte man umgekehrt den Eichenzweig zum
Sjonbol des Himmelsgottes Zeus und die Taube zum Symbol der
Aphrodite, die ja auch eine OvQUvia ist. — Verwandte Anschauungen
trägt A. B. C o o k in einem auf demselben Kongreß gehaltenen
Vortrage (Transact. II 189) vor. Auch ihm vertritt die Säule den
Zweig, das Abzeichen der Erde. Im Blitz steigt der Himmelsgott zur
Erde nieder, im Baum die Erde zum Himmel empor, daher kann nach
Cook die Vereinigung von Himmel und Erde durch die Axt im Baum
oder in der an seine Stelle tretenden Steinsäule dargestellt werden.
Er vergleicht die Taube auf dem Baum von Dodona, wo auch die
von Helios zurückgelassene Axt (Philostr. elv.. II 33) an die Äxte
auf der Säule des Bildes des kretischen Sarkophages erinnern soll.
Auch die kleine Doppelaxt von Dodona und das von v. Hahn
(Griech. u. alban. Märchen II Nr. 75) mitgeteilte epirotische
Märchen von dem Holzfäller werden verglichen. — Dagegen bezieht
Evans auf einem ebenfalls auf dem Oxforder religionsgeschicht-
lichen Kongreß gehaltenen Vortrag (Transact. II 195) , die Vögel
auf den Doppeläxten des Sarkophages von Hagia Triada auf den
Geist der Gottheit, der durch die Opferhandlung in den Fetisch
hineingezaubert werde. — S. Wide will in seinem Aufsatz „Baum,
Vogel, Axt", Sert. philol. C. F. Johannsson obl. 1910, 62 ff. nach-
weisen , daß der Vogel die Seele des Baumes oder der ihn ver-
tretenden Säule darstellte. Er vergleicht den Raben von Alal-
komenai (Paus. IX, 3^ 3) und die auf einem Ölbaum sitzende Eule
der athenischen Münzen. — Auf dem mehrfach genannten Oxforder
Kongreß hat Frazer (Transact. I 255 ff.) über die Sitte gesprochen,
die an den HeiUgttimem nistenden Vögel zu schonen (vgl. z. B.
Herod. I 159J. — Über den ^Scelenvogel'' handelt Waser,
Vogel und Ei im Kult und Mythos, 137
Aich. f. Religionswiss. XVI. 1913, 337 ff. Er weist auf viele
Reste des Glaubens an das Fortleben der Seele als Vogel hin ;
selbst in der Darstellung des heiligen Geistes als Taube soll die
Vorstellung vom Vogel als Seelentier fortleben. — Belege für die
Vorstellung von dem Seelenvogel glaubt Kühn au, Mitt. d. Schles.
Ges. f. Volksk. , Heft XVI, 1906, S. 9G f. aus dem schlesischen
Volksglauben beibringen zu können. — Über Vögel als Verkörperung
des Korngeistes handelt F r a z e r , The Spirits of the Com I (Golden
Bough Vi), S. 295.
Eine besondere Bedeutung in der Symbolik des Altertums hat
das Ei. Auf dem Harpyiendeukmal entsprachen nach Ob. Tonks,
Amer. Jpurn. Arch. XI, 1907, 326 ff. die Dämonen mit dem
eiförmigen Leib dem ägyptischen „Seelenvogel" Ba (336), dessen
Bedeutung jedoch insofern mißverstanden oder wenigstens verändert
worden sei , als der Vogel mit dem Toten davon fliege. Auch
Er. Heden, Homerische Götterstudien 121 leitet den griechischen
Seelenvogel von dem menschenköpfigen Vogel der ägyptischen Kunst
her. — Oft werden Eier und Nachbilder von Eiern den Toten mit-
gegeben, auf vielen KunstdarsteLlungen, z. B. den „Totenmahlen",
trägt der Verstorbene ein Ei oder es wird ihm vorgesetzt. Nilsso u,
Arch. f. Religionswiss. XI, 1908, 530 ff. , der das umfangreiche
archäologische Material gesammelt hat, lehnt Bachofens phantastische
Erklärung ab , glaubt aber auch nicht mit Poulsen , daß die Eier
im Totenkult aphrodisische Bedeutung haben, sondern erklärt die
Sitte daraus , daß dem Ei , wie sich aus vielen agrarischen Ge-
bräuchen ergebe, eine besondere Lebenskraft zugeschrieben wurde. —
Das orphische Weltei, das J. Harrison, Intern. Congr. Hist.
Relig. II 163 mit der Vorstellung vom Himmels vogel und der orphi-
schen Lehre vergleicht, daß der Gläubige, Sohn von Himmel und Erde
sei, wären ebenso wie die an die Maibäume gehängten Eier m. E.
besser ferngehalten worden. — Vorsichtiger äußert sich über den
, Seelenvogel" L. Malten, Arch. Jahrb. XXIX, 1914, 246. Er
erkennt zwar an , daß diese Erklärung einen Fortschritt gegenüber
der früheren Auffassung bedeute, die in den geheimnisvollen Vögeln
Dämonen sah, mißbilligt es aber, daß nun infolge der Untersuchungen
von Crusius, Rohde und Weicker einseitig die Seele in den Vorder-
grund gestellt werde, und meint, daß von Anfang an sowohl Töter
wie Toter als Vogel dargestellt seien, die (248), weil begrifflich
zusammengehörend in der gleichen Erscheinungsform gedacht und
(249) in älterer Zeit auch in denselben Kultformen verehrt wurden. —
Zum Ei als chthonisches Abzeichen vgl. das unten {S. 141 ^Huhn^)
138 Adler im Volksglauben, Kult und Mythos.
Bemerkte ; als Ausdruck für Sonne und Mond glaubt das Ei
E. Siecke, Götterattrib. 198 ff. nachweisen zu können.
Einzelne Vogelarten.
Zwei Äillcr des Zeus waren am delphischen Omphalos auf-
i>-estellt, und dieses Abzeichen wurde in den von Svoronos,
Joum. intern, arch. numism. XIII, 1911. 301 ff. aufgeführten andern
Tempeln des Pythischen Apollon nachgebildet, J. Harri son ver
gleicht in dem o. {S. 136) erwähnten Vortrag (Transact. 3. Intern.
Congr. Hist. Rel. 1908, II 162) eine phoinikische Stele, eine Mz. von
Mallos (Svoronos, Bull. corr. hell. XVIII, 1894, 107), eine Unter-
weltszeichnung des ägyptischen Buches von Am-Tuat, endlich eine
Mz. von Kyzikos , die alle einen omphalosähnlichen Gegenstand
mit zwei daran sitzenden Vögeln zeigen. Auf dem rf. Vb. Ann.
dell' inst. XXXVII, 1865, Tav. d'agg. H. ist nur ein Vogel dar-
gestellt. — Zum Adler des Zeus vgl. noch Rein ach, Rev. arch.
IVx, 1907^, 68 ff. — Dem Zeus Lykaios ist der Adler, wie
J. Harrison in dem mehrfach ersvähnten Vortrag (Transact.
3. Intern. Congr. Hist. ßel. 1908, II 159) ausführt, als dem Sonnen-
gott geweiht ; sie vergleicht den Volksglauben , daß der Adler der
Sonne entgegen fliegt, und eine phoinikische Darstellung, in der sie
den Sonnenadler erkennt. — Einen in Beirut befindlichen Siegel-
stein , der das Bild des Zeus von Doliche mit den Abzeichen der
Mondsichel und des Sterns aber statt der neben ihnen zu erwarten-
den Sonnenscheibe mit dem des Adlers zeigt, gibt Lidzbarski,
Eph. für semit. Epigr. III 3, 1911, S. 188 heraus. — Schon kurz
vorher hatte über die besonders sjTische Vorstellung von dem
Adler als dem Vogel der Sonne, Cumont, ßev. hist. rel. LXII,
1910^ 147 gehandelt. Diese Bemerkungen gehören zu dem Auf-
satz L'aigle funeraire des Syriens et l'apotheose des empereurs
(ebd. 119 ff.). Cumont sieht in Schlange und Adler bei der Ver-
brennung Hephaistions (Diod. XVII 115) und bei Alexanders Tod
(Ps.-Kallisth. III 33 ; lul.-Val. III 56 ; A u s f e 1 d , Griech. Alexander-
rom. 120) dunkele Erinnerungen an die assyrische Sage von Etana,
den ein Adler zum Himmel trug, weil er seine Jungen gegen eine
Schlange geschützt hatte. — Auf einen Brief Gardiners, der die
Frage aufgeworfen hatte , ob nicht die Apotheose der Seleukiden
an eine durch Alexanders Begräbnis bekannt gewordene altägyp-
tische Sitte anknüpfe, erwidert Cumont ebd. LXIII, 1911V 208 ff.,
daß in Ägj'pten nicht der Adler, sondern der Falke genannt werde,
er gibt aber die Möglichkeit zu. daß schon im 14. Jh. v. Chr. in
Adler und Eule im Volksglauben, Kult und Mythos. 139
Syrien sich ägyptische Vorstellungen mit altsemitischen mischten. —
Schon in seinem ersten Aufsatz war Cumont auch auf den Adler
als Geleiter der Toten zu sprechen gekommen, der, wie er meinte,
vielleicht an die Stelle des selbst als Adler zu den Sternen fliegenden
Toten getreten ist (ebd. LXII, 1910^, 146). Im Anschluß daran
führt RonzevaUe, L'aigle funeraire en Syrie in den Mel. fac.
Orient. Beyr. V, 1911, * 1 ff. ; 105 ff. aus, daß der Adler als i/'t'xo-
7iO(J7i6g in spät hellenistischer Zeit vom Schwarzen Meer bis nach
Arabien verbreitet war ; er stammt nach RonzevaUe vielleicht aus
der chetitischen Kultur, wo er freilich bisher nicht nachgewiesen
ist. Seine Hauptverbreitung föllt in die hellenistische Zeit, wo er
als Gräberschmuck dient. — Deubner, Rom. Mitt. XXVII, 1912,
1 ff. spricht , ebenfalls im Anschluß an Cumont , über den Adler
bei der Kaiserapotheose. Er erinnert zugleich an die auf dem
Doppeladler stehenden chetitischen Göttinnen, an die Darstellungen
des von einem Adler getragenen Zeus oder Se^apis und an die
Köpfe des Serapis und der Isis über den ausgebreiteten Schwingen
eines Adlers. — Vgl. über den Adler als Totenvogel Lidzbarski,
Ephem. für semit. Epigraphik III 3, 1911, 188 f. — Ein Adler findet
sich auf Stelen , die im Saturntempel der unbekannten tunesischen
Stadt bei Henschir-es-srira gefunden sind. L. Hautecoeur, Mel.
d'arch. et d'hist. XXIX, 1909, 373, erblickt darin einen Ausgleich
zwischen dem allmächtigen afrikanischen Ba'al Saturnus und Zeus.
Tatsächlich ist eine Weüiung I. 0. M. Saturno Augusto bei Henschir-
Gunifida gefunden , die , wie Hautecoeur glaubt , einem einzelnen
Gott gesetzt ist. — Ein dem O^Eog irluoTog in Thyatira ca. 150 v. Chr.
geweihter Adler, den Cumont, Bull. Acad. Beige 1912. Nr. 5 ver-
öffentlicht , ist nicht unwichtig für die Frage nach der Bedeutung
und Herkunft dieses in neuerer Zeit viel bebandelten Gottes. —
Nach A. Rein ach, Bull. Mus. Mulhouse XXXVII, 1913, 89
wurden Adler als Apotropaia an Giebel der Tempel genagelt , die
davon asTOi hießen. — J. Harrison, Rev. arch. IVx, 1907^, 429 ff.
glaubt S. Reinachs Vermutung, daß Prometheus ursprünglich
selbst der Adler war, durch das Vb. bei Gerhard, Auserl. Vb. T.
LXXXVI stützen zu können , wo über der Säule ein Adler
schwebt. Auch aus andern Denkmälern erschließt die Verfasserin
die zoomorphe Gestalt einer Gottheit vor der anikonischen Ver-
ehrung.
Über Athenas Etile handelt E. M. Douglas, Joum, HeU.
Stud. XXXII, 1912, 174 ff. im Anschluß an ein sf. Vb. in Upsala,
wo eine auf einem Altar sitzende Eule die Anwesenheit der Göttin
140 Vögel im Volksglauben, Kult und Mythos.
andeutet. Gegen Rouse, der bestritten hatte, daß vor dem 4. Jh.
die tierischen Attribute der Götter diese selbst vertreten, macht er
auf einige ähnliche Kunstdarstellungen aufmerksam, u. a. auf ein Vb.
im Vatikan mit der Darstellung von Athenas Geburt; er erwähnt auch
die Berliner Gemme, die eine Eule mit dem behelmten Kopf der
Athena darstellt. Ausgegangen ist das Attribut nach Douglas von
Athena ^Egym'r^, wie aus den Darstellungen der Webegewichte ge-
folgert wird. — Vgl. Pottier. Bull. corr. heU. XXXII, 1908, 528 C
und u. (-S". ]41 „Käulchen").
Daß die Sti'ix ursprünglich nicht als Eule gedacht war, sondern
als Fledermaus — die gemäß der Volksvorstellung hier unter
die Vögel zu rechnen ist — , will Sam. Grant Oli phant , Trans-
act. Am. Phil. Assoc. XLIV, 1913, 127 ff. in einer sehi' ausführ-
lichen Arbeit erweisen, in der er die ganze Überlieferung sammelt
und auch verwandte Erscheinungen wie Gello und Lamia heran-
zieht. Als Ausgangspunkt dieser Vorstellungen dienen ihm Traum-
erscheinungen und Animismus. — Die Fledennaus hat in der Tat
im antiken wie im neueren Zauber Bedeutung; vgl. Fehrle, Hess.
Blatt, f. Volksk. XI, 1912, 212 f.
Die Gans ist nach S voronos-Barth, Athen. Nationalmus.
I 296 ff. wegen der ihr zugeschriebenen Heilwirkungen dem Asklepios
heilig gewesen; außerdem soll sie aber (ebd. 321 ff.) symbolisch
die Fiebersümpfe und die Malaria bedeuten und deshalb als von
laniskos und anderen Heilheroen gewürgt dargestellt werden. Die
selben Ansichten vertritt Svoronos, tff. ag/. 1909 133 ff., U4 ff., 176,
wo in gleichem Sinn auch die von Herakles bezwungenen StjTn-
phalischen Vögel gedeutet werden.
Der Typus des Greifen , der wohl an dieser Stelle ein-
gefügt w^erden darf, stammt nach Dussaud, Rev. ecole d'anthrop.
1908, 194 f.; Rev. hist. rel. LVIII, 1908 2, 370 aus der ägäischen
Kunst und ist erst über Cypern nach Assyrien gelangt. — Über
den als Sonnenvogel den Toten zu den Sternen tragenden Greifen
3. Cumont, Rev. hist. rel. LXII. 1910- 154. — Über die bekannte
namentlich im hellenistischen Ägypten beliebte Darstellung des die
Klaue auf ein Rad legenden Greifen, der ein Abzeichen der Nemesis
ist und nicht selten an deren Stelle steht, s. Perdrizet, Bull,
corr. hell. XXXVI, 1912, 248 ff., besonders 260 ff. und Mars hall ,
Hell. Stud. XXXIII, 1913, 84, T. VII (Gußform aus Tuff im
Br. Mus.).
Mit einem Habicht in der Hand stellt die Hekata eine
Statuette aus Antiocheia dar, die Ramsay, Pap. Brit. Seh. of
Vögel im Volksglauben, Kult und Mythos. 141
Ath. XVIII, 1911/12, S. 59 der Kybele gleichsetzt. Er vergleicht
eine Göttin, die in einer der tiefsten Schichten von Ephesos ge-
funden ist.
Die Haubenlerche (■KOQidaXXog) war der A[)hrodite und der
Athena geweiht, Clermont Ganneau, Cora})t. rend. AIBL
1906, 592 ff. Vgl. n. {S. 142 „Hanhcnlerchc'').
Huhn. Einen Hahn auf dem Schöße des Zeus ./ eA^orvoc
zeigen Mzz. von Phaistos (Head hist. num. -47:3 Fig. 253); einen
Hahnengott in der ägäischen Kultur- will A. Reinach, Rev. et.
grecqu. XXVI, 1913, 3ü4 erweisen. — Aly, Philol. LXXI, 1912.
473 sieht in dem Hahn der Münze von Phaistos das Abzeichen
eines Feuergoties: den .FeXxavög sollen die Etiusker aus dem
östlichen Mittelmeerbecken mitgebracht und den Römern als Vol-
canus überliefert haben. — Als „chthonischca"' Tier wird der
Hahn nach Quagliati, Auson. III, 1908, 152 ff. den Toten
dargebracht oder von Toten getragen , auch auf Sepulkraldar-
stellungen abgebildet ; vgl. das o. (ß. 137') über das Ei im Toten-
kult Bemerkte. Er erscheint auch auf den 7t iva/ceg von Lokroi Epi-
zephyrioi, nach Oldfather, Philol. LXIX, 1910, 120 vielleicht als
apotropäisches Abzeichen. — Über Hähne im Zauber vgl. de Jong.
Das ant. Mysterienwesen 140 ff. — Für „das stellvertretende Huhn-
opfer mit besonderer Berücksichtigung des jüdischen Volksglaubens"
bietet Scheftelowitz, RVuV. XlVm, 1914 ein reiches, aber
nicht immer nach richtigen Zusammenhängen geordnetes anthro-
pologisches Material; für die antike Religiousgeschichte kommen
besonders in Betracht 51 ff. (das Huhn als Dämonen verscheuchendes
Tier) und 41 ff. (Blutbesprengung als apotropäisches Mittel). —
Über den Hahn als Erscheinungsform des Komdämons handelt im
Anschluß an Mannhardt Frazer, The Spirits of the Corn I
(Golden Bough Vi) 276 ff- — Oft dienen Hahn und Henne als
Vorzeichen; Belege dafür sammelt Hunger, Babylon. Tieromina.
Mitt. d. Vorderasiat. Ges. XIV, 1909, 42 ff.
Ein Kauz che n hält Athena dem Besucher des Tempels auf
einem etwa 465 entstandenen athenischen Votivrelief der Samm-
lung Lanckoronski als glückverheißendes Vorzeichen entgegen,
s. Schrader, Österr. Jahresh. XVI, 1913, 1 ff.
Die Krähe als Sturm verkündenden Vogel führt J. J. G. Vürt-
heim, Een merkwaardig Vers bij CatuUus, Voordracht gehouden
in de Sectie-vergadering van de provinciaal Utrechtsch Genootschaj)
van Künsten en wetenschapen 1, 6, 1909, bei Catull 25, 4 f. ein,
indem er vorschlägt Thalle turbida rapacior procella\ cum Diva
■[42 Vögel im Volksglauben, Kult und Mythos.
niulier alites ostendit oscitautes. Er denkt an den iSturmzauber
der Divae Coniiscae, Fest ep. 64, 7, CIL, I*, 814, die aber
VVissowa, Rel. der Römer 189, 1 anders auffaßt.
Das Märchen von der Lerche , die ihren Vater in ihrem Kopf
begrub, weil die Erde noch nicht existierte (Aristoph. oqv. 471),
bespricht Clermont Ganneau, Compt. rend. AIBL 1906, 592 ff.
aus Anlaß einer syrischen Übersetzung aus Zosimos. Er vergleicht
die „indische" Geschichte bei Ail. n. a. XVI, 5 und die Sage vom
Vogel Phoinix (Herod. II, 7'3), der auch mit einem Schopf dar-
gestellt wird, und erinnert an den Zusammenhang der Worte gubbar
„Haubenlerche" und gabr, geber usw. „Grab". Eine der Hauben-
lerche ähnliche Vogelart soll nach dem syrischen Zosimos der
Aphrodite heilig sein.
Über den Haben als Überbringer des Blitzes s. A. J. Reinach,
Rev. hist. rel. LX, 1909^, 240. Die Vorstellung ist besonders
keltisch , wird aber von Reinach aus dem Sarkophag von Hagia
Triada auch für die ägäische Kultur erschlossen , da der Vogel,
der sich auf die Bipennis setzt, ein Rabe sei.
Über die Bedeutung der Schwalbe in Assyrien, Griechenland
und Rom s. Hunger, Babyl. Tieromina, Mitt. d. Vorderasiat. Ge-
seUsch. XIV, 3, 1909, 40 ff.
Über den Specht als Gottheit sprach J. Harrison auf dem
3. Intern. Congr. Hist. Rel. Oxford 1908, s. Transact. II, 154 ff.
Sie erinnert an Aristoph. ^'Oqv. 480 , nach dem der Specht vor
Zeus geherrscht haben soll, an den Sarkophag von Hagia Triada.
wo nach Evans ein Specht auf der Doppelaxt sitzt, und an den
in Kreta begrabenen Picus oder Zeus (Joh. Antioch. FHG FV,
542, 6 und andere Byzantiner), endhch an das Spechtorakel des
Mars in Tiora Matiena (Dion. ctQX. I, 14), auf das sie mit Furt-
wängler Ant. Gemm. S. 119 Nr. 10 die Gemme ebd. pl. 24 bezieht.
Von diesen Spuren des Spechtkultes verdient der Zeus nrf/.og (Picus)
der Byzantiner immerhin Aufmerksamkeit, weil es nicht abzusehen
ist, wodurch die Gleichsetzung des kretischen Zeus mit dem italischen
Picus veranlaßt wurde, und es nicht ganz ausgeschlossen ist, daß
hier eine der alten Übereinstimmungen zwischen der kretischen
und itahschen Kultur vorliegt, die mit den sagenhaften Wande-
rungen der Etrusker in Verbindung gebracht werden. Auch an
den Keleos einer in der Geburtshöhle des Zeus spielenden Sage
könnte gedacht werden , weil er in einen Vogel verwandelt wird
(Anton. Lib. 19) und die Beschreibung des xeAeot; auf den Grün-
specht paßt. Es bleibt also die Möglichkeit , daß in dem Regen-
Vögel im Volksglauben, Kult und Mythos. 143
Zauber des vorgriecliischen Himmelsgottes, aus dem der griechische
Zeus erwachsen ist, der Specht als Regen verkündender und des-
halb heiliger Vogel irgendwie verwendet wurde ; doch gilt picus meist
für ein indogermanisches Wort. — In mehreren Sprachen heißt der
Specht, weil er am Baum hackt, „mit einem Beile ausgestattet" (z. B.
TTfiAfixav) oder er gilt als Zimmermann (so im Schweizerdeutsch; Car-
pentiere, Charpentier). S. Wide, Sert. philol. C. F. Johannsson
obl. 1905, S. 67 hält das für uralt und sucht darin unter Ver-
gleichung der Polytechnossage bei Anton. Lib. 11 die Erinnerung
an eine Vorstellung, nach welcher der Specht, weil der Holzfäller
mit der Axt Feuer schlägt, auch als Blitzvogel galt.
Die Taube weist nach Aß mann. Philol. LXVI, 1909,
313 f.. LXVII, 1908, 174 stets auf den Kult der Astarte oder
Istar, ihr Name TTEgiaiegd ("irdr n-r) soll „Vogel der Istar" be-
deuten und mit dieser Göttin von Syrien her nach Griechen-
land gebracht sein. — Über die kretische Göttin mit der Taube
s. H. Prinz, Ath. Mitt. XXXV, 1910, 156. — Eine Taube ist
nach Hill, Proceed. Brit. Acad. 1911/12, 417 vielleicht das Ab-
zeichen der Kultgenossin des Ze-as'H?A07to?JT7^g, die dieses behält,
auch wenn sie der Artemis gleichgestellt wird. — Manley, Archae-
ologia or Miscell. Tracts relating to Antiquity LXIII, 1912, 105
bezieht die Taube auf dem Glasmosaik einer römischen Villa bei
Neapel auf die Gründungssage dieser Stadt. — Aus der Geschichte
bei Diogen. praef. Paroem. Gr. I, 180 folgert Frazer, Adon. OsLr.
(Golden Bough ^IV) I, 147 kyprische Taubenopfer für Adonis, die
vielleicht ein altes Menschenopfer abgelöst haben. — Die Tauben
in der Sage des Ammonorakels in der Oase stammen nach Zielinski,
Arch. für ßeligionswiss. IX, 1906, 42 über Kyrene aus Arkadien,
an dessen alten Taubenkult die Pleias Maia erinnern soll. —
S.Wide, Sert. philol. (s. o. „ Specht") 67 f. hält die Taube wie den Specht
für einen Blitzvogel, weil das Taubenorakel von Dodona dem Specht-
orakel von Tiora Matiene verwandt genannt wird. Daß auch die
Taube als Zimmermann gegolten habe, wii'd wegen der Bezeich-
nung xöfAaQOQ (Hesych. s. v.) vermutet, den ein nach dem Täuberich
wie die Pleiaden nach den Tauben genannter Priester geführt haben
soU. Aber so leicht erklärlich die Benennung Zimmermann für den
Specht ist, so schwer versteht man sie von der Taube ; diese und
das nach ihr genannte oder wenigstens mit ihr in Verbindung ge-
brachte Gestirn der Pleiaden gelten zwar als regenbringend, werden
aber m. W. mit dem Blitz nicht in Verbindung gebracht. — Über
die Verwendung der Taube (als eines reinen Vogels) im Zauber
144 Säugetiere im Volksglauben, Kult und Mythos.
(Catal. cod. aatrol. VI, 61) s. L. Bianchi, Hess. Blatt, f. Volksk.
XIII, 1914, 113. — Heilige Tauben an der Kultstätte des Zeus Sabazios
und der Meter Hei})ta (Hipta) in Epbesos werden in einer Beicht-
inschrift von Kula in Lydien erwähnt, s. Ann. Brit. Seh. of Athens
XXI. 1914/6, 169. — Über die Taube in der Hand der gallischen
Muttergöttin s. Rev. et. anc. IX, 1907, 365, als Abzeichen eines
gallischen Gottes ebd. 186 (Changarnier).
Über den Wendehals s. u.
Von demNamen des Zannhönigs TQix-yiog (Hesych.) leitet Fick,
Zs. f. vergl. Sprachforsch. XLVI, 1914, 78 den der thessalischen
Stadt Trikka her.
Säugetiere.
0. Keller wollte seine Monographiensammlung „Tiere des
klassischen Altertums" (Innsbruck 1887) zu einer Darstellung des
ganzen Tierreichs erweitern-, da aber dieser Plan aus äußeren
Gründen scheiterte, behandelt er in seinem neuen Buch „Die antike
Tierwelt" (2 Bde.), um das Wichtigste zu retten, mit Unterdrückting
fast sämtlicher Zitate und Vermehrung der Bilder in kurzer
populärer Darstellung das ganze Tierreich , und zwar im ersten
Band (1909) die Säugetiere. Obwohl durch die Wiener Akademie
pekuniär, durch Gelehrte wie Imhoof-Blumer, Lorentz u. a. wissen-
schaftlich unterstützt, bietet der Vf. wenigstens für den Sagen- und
Religionsforscher nicht so viel, als dieser und wohl auch Keller
selbst erwartete. Stand der Vf. schon 1887 nicht auf der Höhe
der mythologischen Wissenschaft, so sind hinsichtlich dieser die
Ansichten, auf denen er fußt, jetzt ganz veraltet. Seine Etymo-
logien, die er mehrfach auch aus Aßmann und Levy schöpft, kommen
wissenschaftlich kaum in Betracht (z. B. die von ihm schon früher
vorgetragene Ableitung des Namens Herakles von bs*i „herumziehn").
Die erklärten Denkmäler sind z. T. mißverstanden, die tatsächlichen
Angaben auch über Schriftquellen nicht immer zuverlässig, und eine
Kontrolle ist, da die Stellen meist gar nicht oder nur ungenau
(z. B. ..^PP-") bezeichnet sind, kaum möglich. Wo die ent-
sprechenden Artikel bei Pauly -Wissbwa - Kroll vorliegen , sind
Kellers Bemerkungen für den Mythologen meist wertlos : wo dies
nicht der Fall ist, wird er bei vorsichtiger Benutzung hier und da
etwas Brauchbares finden. — Über Tiere, die als geeignet galten,
böse Geister zu vertreiben , handelt Tamborino, Dp ajitiquor.
daemonismo (RV u. V, VI!) 88 f.
Über Bären als Totengeistcr s. Mar. P a n c r i z i u s , Anthrop.
Vm, 1913. 871 ff. - Nach Petersen. Arch. .Talub. XXIII,
Säugetiere im Volksglauben, Kult und Mythoö. 145
1908, 26 bezeichneten die uq/ltol ursprünglich die cunni und erst
nachträirlich die Mädchen. Sollte nicht die immerhin seltsame Be-
Zeichnung wie die vieler ähuliöher nach Tieren genannter Priester
und Priesterinnen auf ein vorgriechisches Mysterien zurückgehen,
in welchem die Zauberer oder Verehrer der Gottheit sich in Tiere
verkleideten oder Abzeichen von Tieren annahmen? Die Bärinnen
könnten Mädchen gewesen sein, die bei der Erneuerung der Geburt
des Regendäraons in der Höhle in Bärenfelle gehüllt oder Bärinnen
nachahmend, das verlassene Gotteskind pflegten.
Nach Korn. 30 ist der Esel dem Dionysos geweiht: Rader-
macher, Wien. Stud. XXXVI. 11)14, 320 vergleicht damit die
Sage von Nauplia, nach der ein Esel durch Benagen den Weinstock
ertragreicher gemacht habe (Paus. II, 38, 3), und eine ähnliche
moderne Sage aas Unterwallis sowie die Bezeichnung des Esels
als i^iäowr. Astrabakos in der Orthialegende von Sparta ist ebenso
wie Alopekos , sein Bruder (Paus. II, 16, 9), Anführer je einer
Partei in dem Catervenkampf, der nach Vürtheim, Versl. en
Meded. IVxii 1913, 49 f. dort stattfand. Die beiden Scharen waren
demnach als „Esel" (vgl. aGiqäßi] „Eselsattel") und „Füchse", die
dem Dionysos heiligen Tiere, gekennzeichnet. Vgl. ebd. Vii, 1916,
392. — Von Astrabakos darf nach Nilßon, Griech. Feste 199, das
im Dienst der Artemis Karyatis gesungene Astrabikon nicht getrennt
werden, aber die Art des Zusammenhangs ist unklar. — Über griechi-
sche und vorgriechische Kulte, deren Teilnehmer sich oder das Gottes-
bild mit einer Eselshaut umhüllten , handelt im Anschluß an die
Midassage Crooke. Folklore XXII, 1911, 199 ff.
Der Fuchs gilt in Deutschland und Frankreich als Verkörpe-
rung des Korndämons. Frazer, The Spirit of the Corn I (Golden
Bough V, I), 297, 5 vergleicht zweifelnd die Fuchshetze an den
Cerealien (Ov. Fast IV, 111 f. und die Simsonsage (lud. XV, 4).
Über den Fuchs als Abzeichen des Meltaus s. Eitrem, Festkr.
tu Alf Torp S. 76,1. — Über den Fuchs im Dionysoskult s. o.
{.EseV).
Über den Hasen im Aberglauben handelt Abt, Apolog. d.
Apul. 63 = RV u. V. IV, 137 f. — Den laufenden 'Hasen auf
Didrachmen und Tetradrachmen von Messana aus dem Anfang des
o. Jahrh. erklärt Ciaceri, Culti e miti nella storia dell' ant. Sic.
98 f. im Gegensatz zu Head , der an Pankultus gedacht hat , aus
den Orionsagen vom Pelorosvorgebirge. — Den Komdämon soll
der Hase nach Frazer, The Spirits of the Corn II . (Golden
Bough Vii) 279 vertreten.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplementband). 10
146 Säugetiere im Volksglauben, Kult und Mythos.
Im Anschluß au S. Reinach, Cultes, mythes, relig. I 93, dei*
für die Kelten den Hund als Totem erschlossen hatte, versucht
Ciaceri, der Culti e raiti nella stör. dell. ant. Sic. 122 fF. den
Hund in den Gottesdiensten und Sagen Siziliens ausführlich behandelt,
als letzten Grund der Vorstellung die Sitte der Eingeborenen (nicht
der phoinikischen Kolonisten) zu erweisen, welche sich des Hundes
als Totemtier bedienten. Er findet seinerseits den Beifall von
S. Rein ach, Rev. arch. IVxvii, 1911 2, S. 183. — Als heiliges
Tier der aUhrciischen Göttin erscheint der Hund nach Evans
(Transact. 3. Intern. Congr. Relig. II 196), auf einem Goldring
von Moklos, wo der Stern des Schiffes, auf dem die Göttin fährt,
in der Gestalt eines Hundekopfes gebildet ist. — Über die im
Asiitcpiosliult zum Ablecken der Geschwüre verwendeten Hunde
s. Arabantinos. '^^/(JxA?y7^<og /.al L^a^Xi^Tiiela, Leipz. 1907, 125.
— Durch eine Hündin ließ den Neleus nach Rasch, Sophocles
quid debeat Herodoto, RV u. V X 1, 1913, S. 62 f. Sophokles er-
nähren (vgl. Seh. K 334), der sich der Herodoteischen (I 132) Kyros-
sage angeschlossen haben soU. Herodot oder der orientalische
Berichterstatter, auf den seine Erzählung schließlich zurückgeht,
hatte freilich statt der Hündin eine Frau Kyno eingesetzt (I 110).
— Verschiedene Arten der Verwendung des Hundes als Vor-
zeichen stellt Hunger, Babj'lon. Tieromina, Mitt. d. vorderasiat.
Ges. XIV 3. 1909, S. 90 zusammen. — Als Hunde waren nach
Ehrlich, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. XLI, 1907, 298 ursprünglich
die Laren gedacht, die später mit Hundefellen bekleidet dargestellt
wurden (Plut. qu. Rom. 51; vgl. Naev. bei Fest. 230 ^ 27); der
Hund war. wie Ehrlich mit Rohde Ps. II ^ 83, 3 glaubt, ein Bild
der umherschweifenden Seele. — Ausführlich handelt über den
Hund als Erscheinungsform der Toten und zugleich der Töter, der
Todesdämonen (Keren , Erinyen , Teichinen), Malten, Arch.
Jahrb. XXIX, 1914, 225, 236 ff., 2-12 f. Die Vorstellung lebt im
neugriechischen Volksglauben fort. — Der Unterweltshund Kerberos
und die Avvrj des Hades erklärt A. Rein ach, Rev. et. gr. XXVI.
1913, 359 daraus, daß auf den antiken Schlachtfeldern die Ge-
fallenen von Hunden gefressen wurden. — R. Herzog, Arch. f.
Religionswiss. X, l!-07, 224 ff. weist auf die auffallende Tatsache
hin , daß im Mythos Hund und Schlange oft vertauscht werden,
so daß z. B. Eurip, 'Hg. /j. 420 die lernaiische Hydra einen Hund
nennen, Schlangen Hunde zeugen (wie Typhon den Kerberos) und
die Erinyes bald Schlangen , bald Hunde heißen können. Diese
VertauschuDg, aus der er z. B. auch die fAeXnavcxa für Kerberos
Hund und Löwe im Volksglauben, Kult und Mythos. I47
erklärt, führt er zweifelnd daraiif zurück, daß die Dämonen in
Mischgestalt vorgestellt wurden. — B 0 e h m , Symbolae ad Hercul.
hist. fabular, ex vascul. pict. petit., Königsb. Diss. 1909, S. 79f.
bemerkt m. R., daß Schlangen, ebenso wie andere Wesen, als yvveg,
d. h. als „Wächter", nur dann bezeichnet werden, wenn ein Genet.
dabei steht, woraus u. a. gefolgert wird, daß X 623 Kerberos als
wirklicher Hund gemeint sei. So gewiß xi-wv später oft einfach
den Wächter bedeutet, so lassen sich hieraus und wohl auch aus
der Annahme schlangenhaariger oder schlangenschwänziger Hunde
nicht alle die Fälle erklären , in denen dieselben Dämonen bald
Hunde, bald Schlangen genannt werden. — Der Hund in der
Erigonesage ist nach Nilßon, Eran., Acta Suec. XV, 1915, 188
erst nachträglich auf den Sirius bezogen worden, während er (ebd.
199) im Ritus bloß kathartische oder apotropäische Bedeutung
hatte. V'ielleicht wurden an den Aiora Hunde geopfert. — Die
Xanthika, an denen zur Lustration des makedonischen Heeres ein
Hund zerteilt wurde (Liv. XL 6, 1), sind, wie A. Reinach,
Rev. et. gr. XXVI, 1913, 359 aus dem Namen von Alexanders
Hund Peritas (Plut. iiZ. 61) folgert, vielleicht den Peritia
gleich. Reinach sieht in dem Ritus une inten tion plus apotro-
paique que lustrale derivant de la magie imitative. Ebd. 365, 1
wird die von Plut. qu. Rom. 111 erwähnte boiotische Begehung
und das wohl auf andern Vorstellungen beruhende Hahnenopfer von
Methana (Paus. II 34, 2) verglichen. — Über Hundeopfer bei
■/.ai>aQf.ioL vgl. Deubner, Arch. f. Religionswiss. XIII, 1910,
503 ff., der das Hundeopfer der Lupei'ci füi* eine nachträglich an
griechische Vorbilder angeschlossene Zutat zu dem Ritual hält;
u. dagegen W. F. Otto, Phil. LXXII, 1913, 186, der umgekehrt
in dem Bockopfer eine zu dem alten Hundeopfer des Faunusfestes
hinzugefügte Neuerung erblickt; über römische Opfer roter Hunde
Eitrem, Festskr. til Alf Torp , 1913 S. 75 f., der sie als „Feuer
gegen Feuer" erklärt.
Über den Löwen als Sinnbild der Sonne und der Hitze
s. Delatte, Bull. corr. hell. XXXVII, 1913, 257 f. — Daß der
lydische Herakles und Simson, der Sonnengott von Bet Seme§ im
Stamm Dan ursprünglich in Löwengestalt gedacht waren, vermutet
S. Reinach in einer Vorlesung am Musee Guimet (Samson, Chalon
sur Saone, 1912, S. 11 ff.). — Über den Löwen als Attribut der
Atargatis auf syrischen Münzen s. Hill, Proceed. Brit. Ac, 1911/12,
418; als Attribut der chetitischen Göttinnen Garstang, The Land
of the Hittites 356 ; vgl. ebd. 380 (über Darstellungen des Löwen
10*
148 Säugetiere im Volksglauben, Kult und Mythos.
iu der clietitischen Kunst). — Von Kleinasieu aus gelaugte nach
H. Prinz. Ath. Mitt. XXXV, 1910. 158 ff. der Löwe als Ab-
zeichen nach Griechenland, wo z. B. das mykenische Löwentor eine
„Abbreviatur" eines Tempels der großen Göttin sein soll. —
A. Reinach, Rev. et. gr. XXVI, 1913, 353 ff. versucht eine
männliche (Atys Sauden; Herakles) und eine mit dieser gepaarte weib-
liche (Kybele und ihre Hypostasen Thetis. Atalante, Kyrene, Omphale)
weibliche Lüwengottheit zu erweisen ; der Löwe soll chthonisches
Tier sein (ebd. 359 f.) ; vgl. über den Löwen als Grabeswächter
Pagen stech er. TJnterital. Grabdenkm. 57 f. , über ihn als
Grabschmuck in der kleinasiatischen und der vorgriechischen Kunst
Brandenburg, Felsarchitektur im Mittelmeergebiet (Mitt. der
Vorderasiat. Ges. XIX 2, 1915 S. 55 ff. — Als Attribut des
punischen Ba'al und der Tanit zeigen den Löwen Terrakotten
aus dem Heiligtum bei Siagu, Merlin, Le sanctuaire de Baal et
de Tanit (Notes et documents IV, 1910) S. 46 f. Löwenköpfig
im Typus der Sokhit erscheint auch die im Heiligtum gefundene
Göttin Genius Terrae Africae.
Über die Maus als Abzeichen des Pestvertreibers laniskos
s. Gildersleeve, Amer. Journ. Phil. XXIX, 1908, 97 L, der
auch an das Ad^'ton des Apollotempels von Seleukeia in Assyrien
(Amm. Marc. XXIII, 6, 24) erinnert, und Svoronos, Journ.
intern, d'arch. num. XIII, 1911, 115. Als Vorzeichen diente nach
Hunger. Babylon. Tieromina, Mitt. d. vorderas. Ges. XIV, 3,
1909, 106 ff. die Maus wie bei den Griechen so auch im Zwei-
stromland.
Auf dem Panther oder Tiger seiüings sitzend stellen den
Dionysos zuerst attische Vbb. des 5. Jahrh., dann unteritalische
Vbb. dar, auf denen der Gott auch rittlings sitzt-, vgl. Leonhard,
Neapolis II, 1914, 76 f., der das Attribut zwar nicht mit Kern bei
Pauly-Wissowa V, 1041, 50 aus dem Kybelekult, aber doch aus
Kleinasien herleitet und mit dem chetitischen Motiv der auf dem
Tiere stehenden Gottheit verknüpft. Das Original des Pantherreiters
stellte (ebd. 81) vielleicht der attische Dionysos 'Elevi^egeig dar.
Über die Bedeutung des Rindes in Mythos und Religion
sprach Edm. Hahn in der Berliner Rehgionswissensch. Ver-
einigung am 26. -10. 1915- Nicht aus wirtschaftlichen, sondern
aus religiösen Gründen ist nach dem Vortragenden das Rind Haus-
tier geworden. Man wollte eine weibliche Mondgottheit, die zu-
gleich als Prinzip der Zeugung und des Ackerbaus galt und die
wegen ihrer Homer als Kuh vorgestellt wurde , versöhnen und,
Das Kind im Volksglauben, Kult und Mythos, 149
wenn sie bei der Mondtinsternis bedroht war, stärken. Diese Vor-
stellung soll in Bahylonien entstanden, über Südarabien nach Nubien
und von dort uilabwärts nach Ägypten verbreitet sein. Erst später
kam nach Hahn die Milch auch zur Verwendung für Priester und
, Könige, und erst auf diesem weiten Umweg gelangte sie endlich
in das Wirtschaftsleben des gesamten Volkes. Ebenso soll übrigens
auch der Gebrauch des Wagens aus dem Kult stammen; man be-
diente sich seiner, wenn man die Gottheit auf irdischem Boden
Umzüge vornehmen ließ, die dem Gange der Dinge oben als Vor-
bild dienen sollten, und ließ ihn durch die heiligen Tiere der gi-oßen
Gottheit, also durch Rinder ziehen. — Gegen ähnliche Ansichten,
die Hahn in seinem Buch, „Die Haustiere und ihre Beziehungen
zur Wirtschaft des Menschen", Leipz. 1896, 78, vorgetragen hatte,
s. Wyß, die Milch im Kultus d. Griechen und Römer, RV u. V.
XV 2, 1914, S, 2. — Über die Verehrung der Kuh in Ägypten
vgl. Zimmermann, Die ägyptische Religion, Paderborn 1912,
S. 91 ff. — Nach A. J. Reinach, Rev. et. d'ethnol. et de soc.
I, 1908, 297 wurde im kretischen Labyrinth ein heiliger Stier ge-
halten, der wie Apis den Gott darstellte und mit dem sich die
Königin, als Kuh verkleidet, vermählte. — Mit dem kretischen
Sonnenstier Adiunios vergleicht Majuri, Rendiconti RAL, VxiXi
1910, 120 den thessalischen Monat ^vöovvaiog und den make-
douischen -4vdvcäog. — Die Mythen von dem Riuderraub des
Hermes, Melampus usw. untersucht Kuiper, Mnemos XXXVIII,
1910, 137 ff', mit dem Ergebnis oder vielleicht von der Vor-
aussetzung aus, daß die Rinder in diesen Sagen die des Unter-
weltsgottes sind, und daß die Sagen durch Minyer nach der
Peloponnes gebracht wurden. Über den Stier als Symbol des
„Vegeiationsgotteä^^ Dionysos handelt Prazer, Spirits of the
Com (Golden Bough ^Y) I, 16 f.; II, 3 ff. , vgl. I, 288 ff. —
Für den Stier als Wassergott s. Radermacher, Sitzungsber.
WAW CLXXXII, 1916, 95 ff. — Nach Lidzbarski, Ephem. für
semit. Epigr. III 3, 1911, 153, der eine palmyrenische Tessera
mit den Gottesnamen '-"^Var und ^n^br, d. i. Aglibolos und (der
Sonnengott) Malakbelos, und dem unter beiden stehenden Worte
N"iin, d. h. „Stier" veröffentlicht, ist in Vorderasien der Stier „in
erster Linie das Tier des Himmels- und Gewittergottes". Wir
finden ihn zusammen mit dem ass}a'ischen Adad-Ramman, dem
syrischen Hadad und seinen Abkömmlingen in Hierapolis, Doliche,
Ba'al ßek und anderwärts. Als später die syrischen Himmelsgötter
in den Sonnenkult hineingezogen wurden, blieben die Beigaben die
150 Hind um! Koli im Volksglauben, Kult und Mythos.
alten, und so kam denn der Stier in Beziehung zu den Sonnen-
göttern. Wir kennen ihn so besonders auf Darstellungen des
luppiter Heliopolitauus , und auch sonst sehen wir oft Stier und
Sonne nebeneinander. Gerade palniyreuisehe Tesserae liefern hier-
für verschiedene Beispiele. — H. Johnson. Class. Rev. XXV,
1911, 171 f. glaubt, daß Aison , Psammetichos und Themistokles
nicht au Stier-, sondern an Menstrualblut (vgl. Hesych. taugug . . .
xai TU yvvaixelov) starben. — Indogermanische Rinderraubmythen
behandelt A. Kuhn, Mythol. Stud. IT (1912), 91 ff. — Vgl. über
die Symbolik des Stiers auch C. Fries, Die griech. Götter u.
Heroen, Berlin 1911, 171 ff. und über die Bedeutung des Rindes
als Vorzeichen, Hunger. Babylon. Tieromina, Mitt. d. Vorderas.
Ges. XIV 3, 1909, 62 ff.
Für die Vergleichung von Quellen mit Rossen bringt A.
Rein ach. Bull. Mus. Mulhouse XXXVII, 1913, i;]0 griechische
und gallische Beispiele bei; als Wassergott heißt nach Farn eil,
Cults of Gr. Stat. IV 22 Vos^idion 'inTiiog. — Auch die Wolken galten
als Rosse. — Als eine Maßregel zur Beförderung des Sonnenlaufes faßt
R. Eisler, Arch. f. Religionswiss, XI, 1907/8, 150 die Wettrennen
auf. — Über das Sonnen- und Vcgetationsroß s. L. v. Schröder,
Myst. u. Mimus 429 ff. — Als Erscheinungsform des j^orwdämons will
Frazer, The Spirits of the Corn (Golden Bough V)i 292 das Roß
erweisen. Die Beweisgründe sind der Art nach dieselben, die Mann-
hardt einst zu der gleichen Annahme bestimmten; nur die Zahl der ver-
glichenen modernen Volksgebräuche und Gleichnisse ist vermehrt. —
Über die Sj-mbolik des Rosses namentlich im TolenJcult verbreitet sich
ausführlich L. Malten, Arch. Jahrb. XXIX, 1914, 179 ff. Gegen
Stengels Meinung (Opferbr. d. Griech. 1908, S. 154 ff.), daß
Hades deshalb Rosse habe, weil die Toten sie in der wilden Jagd
besitzen, wird 250 das Unheimliche mancher Eigenschaften des
Pferdes betont. „Das Scheuen und Zittern, Bäumen und Schnaufen
des Tieres , der nächtliche Schweiß , das Wiehern , mit dem man
das Lachen Wahnsinniger verglich, der feine Instinkt, mit dem es
Gefahren, selbst Geister wittern zu können schien, so daß man ihm
die Gabe der Weissagung zuschrieb, gaben dem Volksglauben An-
laß, im Pfei-d überirdische Gewalten verkörpert zu sehen." Noch
im modernen Aberglauben erscheint das Pferd als etwas ünheim-
hches (210 ff.); ja, es scheint sich sogar vereinzelt der Aberglaube
zu finden, daß die Seele als Roß erscheine (Kühn au, Mitt. der
Schles. Ges. f. Volksk., Heft XVI, 191G, 98). Als Rosse galten
daher dem Griechen nach Malten sowohl die unheimlichen Götter
Das Roß im Volksglauben, Kult und Mythos. 151
der Unterwelt wie auch , wofür 233 ff. nordische Parallelen an-
geführt werden, die Seelen ; bisweilen heißt es, daß der Todesgott
diese vor seinen Wagen gespannt habe (215 ff.), aber die Rosse
des Unterweltsgottes können auch Dämonen sein, die den Menschen
treffen sollten und an die man glaubte , bevor sie in Hades einen
Lenker erhielten (208 f.). Denn allmählich löst der reitende oder
fahrende Totengott den rossegestaltigen ab (212), oder es kommt
die anthropomorphe Gestalt neben der tlieriomorphen auf; manch-
mal bleibt nur eine Erinnerung an diese als starkes Symbol be-
stehen. Ein solches sieht Malten in dem Roß der „Pfjtdekopf-
amphoren", die schon Löschke, Arch. Jahrb. II, 1887, 27(j, und
Hackl, ebd. XXII, 1907, 88 ff. auf den Toten gedeutet hatten,
und in den Totenmahlreliefs . von denen mehrere in Abbildungen
vorgeführt werden , deren Künstler sich freilich , wie er meint
(218 ff.), des Sinnes der Darstellung nicht mehr bewußt gewesen
zu sein brauchen. Als einen Gott der Untei-welt faßt Malten
namentlich auch den Poseidon '^'l/rniog, doch meint er nicht, daß
der Gott in Menschengestalt einfach aus dem roßgestaltigen hervor-
gegangen sei , sondern vor Poseidon erzählte man seiner Ansicht
nach von dem dämonischen Todesroß, das meist als schwarz galt,
und man übertrug diese Gestalt auf Poseidon, „weil die mensch-
liche Gestalt als die eigene und bekannte keine adäquate Vorstellung
für die als fremd empfundene Macht abgab (209)". Einen Beweis
dafür, daß wirklich einmal das Pferd nicht neben dem Toten und
dem Todesdämon stand , sondern als Toter und als Todesdämon
(217) galt, sieht er auch in den Pferde opfern , die diesen dar-
gebracht werden , und von denen ein Rest in der Sitte sich weit
verbreitet und lange fortgelebt hat, bei der Verbrennung oder Be-
erdigung das Sehlachtroß des Verstorbenen zu opfern ; Malten er-
klärt diese Sitte aus dem Gebrauch, den überirdischen Mächten
solche Tiere zu opfern, in deren Gestalt man sie sich dachte (264).
Doch soll die Pferdegestalt keineswegs auf die Unterirdischen be-
schränkt gewesen sein; auch die Windgötter (199) und manche
Lichtgötter, namentlich der Sonnengott, trugen sie. — Ein Teil der
Beweisgründe Maltens wäre hinfällig, wenn viele „Totenmahlreliefs"
mit dem Pferdekopf, wie Svoronos-Barth, Athen. National-
mus. I 534 erweisen will, vielmehr Theoxenien, Bewirtungen des
Asklepios, darstellen, dessen Abzeichen das Pferd gewesen sei, oder
wenn Eitrem, Christiania Vidensk. — Selsk. Forhandl. 1909, no. 9
mit Recht bei der Besprechung eines Totenmahlreliefs in Kristiania,
das zwei Pferde zeigt , die Vermutung ausspräche , daß das Roß
152 Roß, Sciaf, Schwein im Volksglauben, Kult und Mythos.
auf Reiteragone hinweise , die zu Ehren des Verstorbeneu ab-
gehalten seien. — Über Vorzeichen , die nach orientalischem und
griechischem Glauben durch Rosse gegeben werden , sammelt
Hunger, Babyl. Tieromina, Mitt. d. vorderasiat. Ges. XIV 3,
1909, 50 ff. Zeugnisse. — Öfters erscheint am Ende des 7. Jhs.
das Roß (oder zwei Roßköpfe) als Attribut der geflügelten Göttin,
<lie in Sparta Artemis Orthia hieß. — Über Demeter als Roß vgl.
Crooke, Folkl. XXII, 1911, 200, s. auch Farnell, Cults of
Gr. Stat III, 50 ff.
Über Schaf omina. vgl. Hunger a. a. 0. 6(i ff., über Schaf-
opfer für Unterirdische Petersen, Burgtempel der Athena 80 f.,
über makedonisch - phiygische Widdergötter (Karanos , Gordios)
A. Reinach, Rev. et. gr. XXVI, 1913, 374, der ebd. 371 f.
über ihre Ausgleichung mit Zeus Ammon spricht. — Über den
vordorischen Widdergott vgl. Eitrem, Vidensk. Selsk. Forhandl.
1910, no. 4.
Über das Schivein als eine Verkörperung des Korndämons
handelt Frazer, Spirits of the Com I (Golden Bough V i) 298 ff.
Ebd. II 16 ff. wird die Vermutung, daß Demeter und Persephone
einst in der Erscheinungsform der Sau auftraten, mit der Versenkung
der Schweine an den Thesmophorien, der Sage von dem Schweine-
hirten Eubuleus und mit der Sitte der Athenerinnen begründet, an
den Thesmophorien Schweinefleisch zu essen (Seh. Aristoph. ßäzQ.
338), worin er eine Verzehrung der Gottheit findet. Dieselbe Fol-
gerung zieht Neustadt, De love Cretico 53 f. aus der theraiischen
Inschrift lg J<xiAaTQ[o\g (jtat?) /[o](>[ag], indem er annimmt, daß
die Priesterin nach der Göttin hieß. Mir scheint in dieser Amts-
bezeichnung die Erinnerung an einen Regenzauber vorzuliegen, bei
dem das Schwein im alten Griechenland große Bedeutung hatte
(vgl. auch Pley, De lanae in antiquorum ritibus usu |RVu.V XI 2],
S. 23 f.). Bei der Erneuerung der Geburt des Regendämons werden
Frauen in Schweinefelle gehüllt oder mit anderen Abzeichen von
Säuen versehen, den jungen Gott genährt haben. Da der Dämon
des Regens, der zugleich als Geist der Fruchbarkeit galt, als Sohn
des Himmels und der Erde betrachtet wurde, die in Demeter ver-
göttert war, so erklärt sich, daß das Schwein gerade in den Mythen
und Kulten dieser Gottheiten fortlebt. — Bei einem anderen Volk als
den Griechen, deren Sprache mit dem Anklang von veiv an vg die
Verwendung des Schweins im Regenzauber nahelegte , ist diese
bisher nicht sicher erwiesen. — Der auch bei Griechen (Wächter,
Reinheitevorschr. RV u. V IX 1. 82 ff.) sich findende Glauben, daß
Schwein und Wiesel im Volksglauben, Kult und Mythos. 153
das Schwein unrein sei, gehört nicht hierher, zweifeln läßt sich
aber hinsichtlich des Ebers in der Adonissage, über den ausführlich
V. Baudissin, Aclonis und Esmun S. 142 ft'. handelt, ohne zu
sicherer Entscheidung zu gelangen. Bezeugt ist or bekanntlich erst
bei Nikandros und Biou, und wie v. Baudissin hervorhebt, scheinen
ihn Panyasis (bei Apollod. III 185) und die zur Begründung der
Adonisgärten erzählte Legende nicht gekannt zu haben : doch be-
sagt dies nicht viel, da durch das Beiwort avayQog, das Dionysios
TGF. S. 793, 1 im Adonis gebraucht, der Tod durch den Eber bei-
nahe ausdrücklich bezeugt ist. Mit Recht weist v. Baudissin auch
darauf hin, daß das Schwein wahrscheinlich dem Gott Ninib heilig
war, in dessen Monat das Tammuzfest fiel und dessen Stern
Beteigeuze im Juni-Juli das Tammuzfest bestimmte (150 f.), und
daß nach einem altägyptischen Totenbuchkapitel Set, der Gegner
des dem Adonis gleichgesetzten Osiris , dem Horos als schwarzes
Schwein erschienen sei. Eine rationalistische Umbildung dieser
Legende ist die Sage, daß Typhon bei der Saujagd den Sarg des
Osiris gefunden habe (Plut. Is. 8). Demnach haftet wahrscheinlich
der Eber in der orientalischen Adonis- und der mit ihr ausgeglichenen
Osirissage seit alter Zeit fest, und es ist nicht ausgeschlossen, daß
in der Zeit der größten Hitze, wenn man den Tod des Gottes be-
klagte, Schweine zur Abwehr der Dürre geschlachtet wurden, und
daß als Erklärung für diesen ßegenzauber die Legende von der
Tötung des Adonis durch den Eber, die Benennung des durch
seinen Frühaufgang den Tag des Tammuzfestes bestimmenden
Sternes nach dem Gott Ninib und die Zuweisung des Schweines
an diesen aufkamen. Alsdann wäre der Anklang von rg an reiv ein
Zufall, den begreiflicherweise die Sage benutzte.
Die Vorstellung, daß das Wiesel durch das Ohr empfängt
und durch den Mund gebiert, die schon Aristoteles n. tiocov yeve-
asojg III 6 , S. 756, ^ 33 gekannt und richtig erklärt zu haben
scheint, bezieht Eisler, Weltenmantel und Himmelszelt I, 190, 2,
auf die gewöhnlich. als stoisch betrachtete Mysterienvorstellung vom
aneofxaxrAog Xöyog. Er vergleicht die christliche Vorstellung von
der Jungfrau Maria, die den Herrn bei der Verkündigung durch
das Ohr empfangen habe, und eine orphische Lehre, die er aus dem
von Chrysipp bei Orig. Kilo. IV 48, S. 540 und Klem. o^il. V 18
erwähnten Bild erschließt. Warum diese Vorstellung auf das Wiesel
übertragen wurde, bleibt dunkel.
Über den Wolf ^Xb Korndämon s. Frazer, Spirits of the
Com (Golden Bough V)i 271ff. ; als Tier des Hades will ihn
J54 Wolf im Volksglauben, Kult und Mythos.
Ducati, Rendi conti RAL Vxix. 1910, 1(31 ff", nicht bloß bei
Griechen (/.tJ'f'»^ , Kerberos, Zeus y/rxaiog), sondern auch bei
Italikern (8oi*anus), Etruskern (Vb. mit dem Opfer des Odysseus)
und Galliern erweisen; andere Beispiele für diese Vorstellungen
sammelt Marie Pancrizius, Anthropos VIIT, 1913, 87;> ff. —
Anziani, Mel. d'arch. et d'hist. (Ec. fran9. de Rome XXX, 1910),
257 bespricht den "Wolf oder wolfsküpfigen oder mit Wolfskopf
am Haupt bedeckten, manchmal mit den Vorderfüßen eines Pferdes,
aber mit Löwenklauen versehenen Menschen, der auf fünf etrus-
kischeu Reliefs durch einen Priester exorzisiert und von Kriegern
angegriffen wird. Die Beziehung dieser frühestens dem 3. Jb.
entstammenden Reliefs auf die Entzauberung von Odysseus' Ge-
fährten, auf Lykaon, auf Euthymos, auf das Ungeheuer Volta, das
Volsinii verwüstete, wird abgelehnt; der Wolf soll ein Symbol des
Totenreichs sein. — Die Wölfe der Sage von Lykoreia sind nach
Gunning, De Ceorum antiqu. fab. 85 Lykier, die den Kult der
Korj'kischen N\Tnphen von Kleinasien nach dem Parnaß ver-
pflanzten. — Die Lykaia sind nach S. Reinach, Cultes, myth.,
relig. III 211 das Fest eines Clans, bei dem die Gläubigen sich
mit Wolfsfellen bekleideten und für Wölfe hielten. — Die Wölfin
in der Romulussage stammt, wie Soltau. Arch. f. Religionswiss.
XII, 1909, 117 ff. aus dem alten kampanischen Didrachmon mit der
Wölfin, die sich nach den saugenden Kindern umsieht, und der
Aufschrift ROMANO folgert, aus einer hellenistischen Sage Cam-
paniens, dessen Städte sich in der Zeit der Samniterkriege mit
Rom verbündet hatten und von Rom gegründet sein wollten. Die
Miletossage soll Vorbild gewesen sein. Erst von Campanien aus,
wo die genannte Münze die Sage schon für das 4. Jli. bezeugt,
kam diese, wie Soltau meint, nach Rom selbst, wo die Aedilen Q.
und Cn. Ogulnius 296/5 der alten als Apotropaion am Lupercal
stehenden Wölfin die Stadtgründer als Säughnge unterschoben
(Liv. X 23, 12). Daß die Wölfin in der Gruppe des Lupercal
älter sei als die Knaben, hatte schon vorher A. Dieterich erkannt. —
Über die Bedeutung des Wolfes im Kultus s. W. F. Otto, Philol.
LXXII, 1913,178ff. — Der Tyem'oZ/saberglauben, für den J.Klapper,
Mitt. der Schles. Ges. f. Volksk. XII, 1910, 183 neue Beispiele
aus Schlesien und Rumänien und Frazer, Balder the Beautiful
(Golden Bough VII) i 808 andere Parallelen anführen, nach denen
die dem Verwandelten zugefügten Verwundungen sich bei dem
Menschen nach seiner Rückverwandelung zeigen, ist nach Stewart,
Zeitschr. des Vereins für Volksk. XIX, 1909, 30 daraus entstanden,
Wolf und Ziege im Volksglauben, Kult und Mythos. 155
daß man sich der Kälte wegen oder um auf der Jagd zu täuschen,
in eine Wolfshaut hüllte. Wertvoller als diese Vermutung ist der
ausführliche Nachweis (50 A. 58) der germanischen Bezeichnung
des Geächteten als Wolf, die auch für das Altgriechische sich
erschließen läßt und mehrere griechische Wolfsmythen erklärt. —
Über Darstellungen der einen Menschen verschlingenden Wölfin in der
gallisch-römischen Kunst s. G, Welter, Rev. arch. IVxvii, 1911',
55 fF. S. Reinach hatte in ihnen ein Bild der Todesgottheit ver-
mutet.
Über Ziege und Bock als Erscheinungsformen des Kom-
dämons s. Frazer, Spirits of the Com (Golden Bough V)i 281 flf.,
über das Verbot der Zü'ffenopfer Wächter, Reinheitsvorschr.
(RVu. V, IX 1, 1910), S. 87 ff. — Weil man Ziegen und Böcken
eine die Fruchtbarkeit der Frauen mehrende Wirkung zuschrieb,
verwendeten die Römer nach Schmidt, Geburtstag im Altert.
(RV u. V, VII, I), 122 f. ihr Fell im lunokult und bei den Luper-
ealien. Durch die Ziege wurde Zeus nach Neustadt, De love
Cretico 40 f. wahrscheinlich schon nach altkretischer Sage ernährt,
infolge einer Vermischung dieses Mj'thos mit einem arkadischen
wurde er Milchbruder des Aigipan (25). Olenisch heißt die Ziege
wahrscheinlich nach der Stadt in Achaia, wo Aigai und Aigion die
Bedeutung des Ziegenkultus erweisen (29). Die Ziege war ein
Symbol der Fruchtbarkeit (42) , besonders in Kreta , wo es so
viele Ziegen gibt und wo auch zahlreiche Darstellungen von
Ziegen gefunden werden. Der kretische Zeus und Amaltheia
waren nach Neustadt Fruchtbarkeitsdämonen (43). — Die Vor-
stellung der aiyig oder Irta gehört nach A. J. Rein ach, Rev.
hist. rel. LXI, 1910 S 222 der Zeit an, in der die Götter noch
Tiergestalt hatten und noch in ihi'en Wäldern , auf der Erde
wohnten. Die Indogermanen, die zu himmlischen Göttern beteten,
führten den ehernen Rundschild ein, der mit seinen konzentrischen
Kreisen oder seinen vom Mittelpunkt ausgehenden Strahlen an die
Sonne erinnerte und als ihr Symbol galt. Dagegen liegt der Aigis
(202) die libysche xa(t)r^/a, caetra zugrunde, die auch später noch
im libyschen „^^/iew«"-(Neith-)kultus verwendet wurde. — ApoUon
mit einem Ziegenkopf in der rechten Hand zeigt eine Münze von
Tylissos auf Kreta, über die Mars hall, Journ. Hell. Stud. XXIX,
1909, 156 f. unter Vergleichung einer Bronzestatuette mit boiotischer
Inschrift handelt; Aly, Berl. Phil. Wochenschr. XXXIV, 1914.
1551 f. vergleicht Veiovis und hält die Ziege hier für das Sinnbild
des Todes. — Über den Ziegenbock im Dionysoskult s. Frazer,
15t) Ziege und Axt im Volksglauben, Kult und Mythos.
The Spirits of the Corn (Golden Bough Y^)u 1 ff. und Farn eil,
Hermath. XVII, 1913, 21 ff. — Nissen, Orientat. 147 weist
darauf hin, daß der athenische Dionysostempel fv ^^i'firatg, wie
ihn Dürpfeld nennt, genau in der Richtung des Frtihunterganges
der Capella im Dezember liege. — Über die Ziege im Dienste der
Inno und das amiculum Tunonis der Lujierci, das aus Ziegenfellen
gemacht wurde, s. W. F. Otto, Philol. LXXII, li)13, 182, der
annimmt, daß das Bocksopfer erst nachträglich zu dem alten Hunde -
o{)fer des Luperealienfestes hinzugetreten sei.
Abzeichen von Menschenhand.
Axt, Doppelaxt. Cook, The Cretan Axe-Cult outside Crete,
Transact. 3. Internat. Congr. Hist. Relig. 1908, II 184 ff", erinnert
an das beilähuliche äg\^ptische Zeichen, das den Begriff „Gott"
ausdrückt, und an den Priester der Doppelaxt, der zweimal in der
fünften, einmal in der 26- Dynastie erwähnt wurde, ferner an Hadad
Ramman und Marduk , die ein Beil als Symbol haben , an die
axinomantia der magi (Plin. n. h. XXXVI 142), an das Beil von
Tenedos , an das sub ascia dedicare vieler Grabinschriften von
GaUia Lugdunensis, in denen schon 0. Hirschfeld ascia als Symbol
einer Schutzgottheit gefaßt hatte, endlich an die Runeninschriften
mit Thors Hammer. Die Axt soll den Donnergott bezeichnen. —
Vieles Ahnliche sammelt und stellt in größeren Zusammenhang
Blinkenberg, The Thunderstone in Religion and Folklore,
A Stud}- in Comparative Archaeol. (Cambridge Archaeol. and
Ethnol. Ser.) Cambr. 1911 (.<?. o. HS), der als die Ursache des
Glaubens an das Blitzbeil bloß die zerstörende Wirkung des Blitzea
betrachtet. Ursprünglich sollte es eine Stein-, später eine Bronze-
axt sein, und zwar in Assyrien und bei den Chetitern eine einfache
Metallaxt , in Kleinasien und auf den benachbarten Inseln eine
Doppelaxt. Dies Sj-mbol gelangte nach Blinkenberg auf unbekannten
Wegen nach Nordeuropa, wo an die Stelle der Doppelaxt z. T.
wieder der Hammer oder die einfache Axt trat. — Blinkenbergs
Sammlungen ergänzt A. Rein ach, Rev. hist. rel. LXVI, 1912^,
272, der die Heiligkeit der Doppelaxt in Kreta aus einer Anbetung
der Waffen erklärt. Vgl. auch Lagrange, La Crete ancienne
79 ff., der wie Blinkenberg die Ursache für die Verwendung des
Beils als Zeichen für den Blitz in dessen zerstörender Wirkung
sieht. Aber der Hinweis auf die Verehrung von Waffen als Fe-
tischen bei Blinkenberg 39 f. erklärt nicht , warum man sich den
Blitz gerade als Beil vorstellte, und daß man es, wie Lagrange
Axt, Besen, Dreizack im Volksglauben, Kult und Mythos. I57
meint, deshalb tat, weil er wie eine Axt einen Baum .spalten kann,
ist deshalb nicht anzunehmen, weil statt ihrer auch der Hammer
eintritt. Vielleicht benutzte man im zweiten Jahrtausend Steinbeil
und Steinhammer als Feuerzeug und gab ein solches auch dem
himmlischen Feuerzünder in die Hand. — In den bisher genannten
Arbeiten wird der Zusammenhang zwischen Blitz und Beil als
sicher augesehen. Ö. Wide, Sertum philolog. C. F. Johannson
oblat. 1910, S. 66 hebt aber hervor, daß das Altertum von dieser
Bedeutung nichts weiß. Schließlich kommt freilich auch er zu
einer ähnlichen Auslegung: mit der Axt, meint er, schlägt man an
dem Baum Feuer, daher galten die Vögel, denen man eine Axt
zuschrieb, wie der Specht (ne'/.ey.dv) und die ihm, was fälschlich
aus Diou. Halik. I 114 herausgelesen wird, für verwandt gehaltene
Taube als Blitzvügel (vgl. 0. iS. Ido). — E. Siecke, Götterattribute
167 ff. erklärt Axt, Beil und Hammer als Bilder für den noch nicht
vollen Mond. — Der schwedische Altertumsforscher 0. v. Mon-
telius betrachtet in seinem Aufsatz The Sun-Gods Axe and Thors
Hammer, FoUdore XXI, 1910, 60 If. die Axt, das Beil, den Hammer
zwar ebenfalls, als Sinnbild des Blitzes, glaubt aber, daß der Blitz-
gott zugleich als Sonnengott gefaßt wurde , da die Pferde des
Sonnengottes (nach Eumelos) bei Hyg. f, 183 Bronte und Sterope
heißen. — Die thessahschen Mzz. aus Lai-isa mit dem Doppelbeil,
die gewöhnlich als charakteiüstisch für Alexander von Pherai
gelten, bezieht Dieudonne, Melanges num., Paris, S. 202 auf
Dionysos IIels/.vg von Pagasai, da die Doppelaxt lange vor Alexander
ein thessalisches Landwappen gewesen sei. — Über die Doppelaxt
in der Bronzezeit und in der geschichtlichen Periode spricht
Br. Schremmer, Labarum und Steinaxt, Tübingen 1911, S. 25 ff.
Über den Besen im antiken und neueren Aberglauben vgl.
E. Fehrle, Hess. Blatt, f. Volksk. XI, 1912, 215 ff.
In dem Dreizacli sehen Blinkenberg, C. Fries, Die
griechischen Götter und Heroen 1911, iGSff. und Jane Harrison,
Class. Rev. XXVI, 1912, 197 ein Blitzabzeichen. M. E. läßt sich
in der Tat die Entstehung dieses Symbols aus der schon in der
assyrischen und chetitischen Kunst geschaffenen Form des Blitzes
nachweisen. Zwar hält Tillyard, Essays and Studies presented
to ßidgewa}- 1913 186 wegen eines sf. Vasenbildes doch die ältere
Auffassung für wahrscheinlich richtig, daß er ein Fischereigerät
war; aus einem Vb. aus der Mitte des 6. Jhs. läßt sich aber kaum
ein Zeugnis für die ursprüngliche Bedeutung des Meergottes ent-
nehmen. — Nach Siecke, Götterattribute 196 ist der Dreizack
158 Attribute und Symbole von Menschenhand.
eine für den später als Meergott gedeuteten Poseidon zurecht ge-
machte Form des Zepters, das der am Himmel gebietende Mond-
gott fiüirt.
Die Fackel ist nach He b er de y, Forsch, in Ephesos II iv
zu uo. 20. 3. 17, S. 112 bezeichnend für den chthonischen
Charakter der Gottheit; s. dagegen Ch. Picard, Rev. de phi].
XXXVII, 1913, 89.
Über die Bedeutung des Kranzes in Mysterien, z. B. den
eleusinischen, den Isis- (Apul. M. XI 24) und den Mithras-(Tertull.
cor. 15 a. E.; praescr. haer. 40)mysterien s. Wetter, Phos, Skr.
Kungl. Hum. Vetensk. Samf. üppsala XVII lG8iF. In den alt-
griechischen Mysterien handelt es sich um einen Blumen-, in den
hellenistischen um einen Lichtkranz, der, ursprünglich real genommen,
der Strahlenkranz des Sonnen- oder Mondgottes war und sich in
dieser Bedeutung am reinsten im Mandäismus erhalten hat. Aus
orientalischen Kulten soll er in die hellenistischen Mysterien ge-
kommen sein.
Kynih a1 on und Tympanon drangen nach Leonhard, Nea-
polis II, 1914, 7(3 f. aus Kleinasien in die Dionysosmysterien ein.
Lanze s. u. {„Waffe"' IGl).
Mantel und andere Kleider. M. Gotjiein, Arch. f. Reli-
gionswiss. IX, 1906, 337 verfolgt die Vorstellung von dem Gewand
der Physis, auf dem die Abbilder der Dinge eingestickt oder ge-
webt sind, von Pherekydes und den Orphikern bis zu Hans Sachs ;
sie beginnt und schließt mit einem Ausblick auf Goethes „lebendiges
Kleid" der Gottheit. Auf die wichtige Frage, ob bei Pherekydes
das Gewand die Dinge selbst oder deren Ideen enthielt, wird nicht
eingegangen. Ausführlich behandelt denselben Gegenstand Hob er t
Eisler, Weltenmantel und Himmelszelt, ßeligionsgeschichtliche
Untersuchungen zur Urgeschichte des antiken Weltbildes, 2 Bde.,
München 1910, der (I 55) seiner Vorgängerin den Vorwurf macht,
daß sie wegen Nichtbeachtung der monumentalen Überlieferung und
der Schriftiiuellen des Morgenlandes ein mystisches Bild von tiefstem
Anschauungsgehalt, ja die Urform mystischer Welterfassung, das
Gleichnis selbst, blindlings mit hergebrachten Lückenbüßern schil-
derungssüchtiger Gedankenarmut mit abgeschliflfenen, von Hand zu
Hand gehenden literarischen Metapherfloskeln verwechsele. Aus-
gehend vom Himmelsmantel Kaiser Heinrichs IL im Domschatz zu
Bamberg (I 5), den er von der Staatstracht der römischen Kaiser
herleitet, versucht Eisler (51 flP.) den Nachweis, daß die Auffassung
des Himmels als Göttermantel kein frei erfundenes Mythenbild,
Attribute und Symbole von Menschenhand. 159
sondern aus Kultsymbolen abgeleitet sei , Babylonier , Eranier,
Phoiniker und Äg}-pter, Griechen und selbst Germanen kennen die
Gottheit im Sternenkleid, das die christliche Kunst auch dem
Heiland und der Madonna gibt und das sich bei zahlreichen er-
haltenen Denkmälern wie in literarischen Erwähnnngeu findet. In
den folgenden Kapiteln, die den größeren Teil des Buches aus-
machen, ist der Faden der Gedankenführung schwer nachzuweisen
und die Ergebnisse sind z. T. ungreifbar; hier kann nur angeführt
werden, daß der Verfasser ausführlich auf die Kosmogonien des
Pherekydes (11 321) und anderer griechischer Denker sowie auf
die orphische Theogonie (392 ff.) eingeht.
Valentin Kurt Müllers auf Anregung von Löschcke ent-
standenes Werk Der Polos ^ die gi-iechische Götterkrone, Berl.
1915, muß hier nur deshalb genannt werden, weil der Verfasser
nachweist, daß der Polos keine symbolische Bedeutung hat (19),
sondern ein alter, auch in der chetitischen Kunst auftretender,
vorzugsweise weiblicher, aber auch von Göttern (25) und der Sphinx
getragener Kopfjiutz war, der von den Griechen übernommen, ihnen
aber außerdem am Ende der geometrischen Zeit auch durch die
starke orientalische Welle (24) zugeführt wurde. Er wird damals
nicht mehr verstanden und deshalb umgedeutet ; es entwickeln sich
daraus z. B. die Mauerkrone und der yidla&og-^ in der klein-
asiatisch-sj'rischen Kultur ist die Federkrone beliebt, aus der sich
die Zackenkrone, wie auch Müller (20) anzunehmen scheint, ent-
wickelt haben wird.
Über das Rad des Himmelsgottes als Symbol des Donners
s. Goblet d'Alviella, Croyances, rites, institut. I 100, der von
der Statue des Blitzschleuderers von Chätelet (Haute Marne) aus-
geht.— Siecke, Götterattrib. 241 ff. sieht in Rad und Wagen ein
Abbild des Mondes.
Über Hinge, die dem Besitzer Zauberkräfte, insbesondere
die Gabe verleihen sollten , sich bei allen Menschen beliebt zu
machen, s. L. Eaderm acher, Wien. Stud. XXVI, 1914, 324.
Die Säule, nicht der Epheu, mit dem sie an Festtagen um-
rankt wurde, war nach Robert, GGA 1913, 370 ursprünglich
Fetisch des Dionysos nEQiy.i6viog.
Über die Bedeutung der Sandale bei der Hochzeit als An-
deutung des neuen Lebensweges , den die Vermählten antreten,
s. H. Blümner, Festgabe für Gerold Mej^er von Kronau S. 6 f. —
Eine Sandale auf einem Votivrelief an Asklepios hat nach -j-Byzan-
tinos, Brit. Seh. of Ath. XI 1904/5, S. 140 ff. vielleicht nur den
j(5() Künstliche Attribute und Symbole.
Grund, daß der Dedikant durch eine Sandale gegen einen Schlangen-
biß geschützt war. — Nach Eitrem. Christ. Vidensk. Selsk. Forh.
1909, V 44 ist die Sandale ein Abzeichen sowohl des Phallos wie des
cunnus und hatte daher aphrodisische, sepulkrale und apotropäische
Bedeutung.
Die Schere wurde iler argi vischen Hera nach Eitrem.
Philol. LXXII, 1913, 444 nicht als einer Eileith^-ia gegeben,
sondern weil die Bräute, deren göttliches Gegenbild sie war, sich
die Haare schoren.
Sehild s.u. („Waffen" S. 162).
Über das Symbol des Schleiers handelt M. v. Oppen-
heim, Der Teil Halaf und die verschleierte Göttin, Leipz. 1908,
36 ff. aus Anlaß einer von ihm in Mesopotamien gefundenen Göttin
(Aschur).
Mannigfachen Aberglauben in bezug auf den Si) iegel sammelt
E. Fehrle, Alemannia III iv, 1912, 18.
Über die Spindel als Abzeichen orientalischer Göttinnen
(Atargatis, Istar, Kybele) s. Fred. Poulsen, Der Orient und die
frühgriechische Kunst 101 , der dies Sjonbol nicht m. R. der
griechischen Artemis abspricht. — Die Spindel, um die in Delos
die den Hyperboreierinnen geweihten Haare gewickelt wurden
(Herod. 4, 34), hatte Nilßon als Ersatz für einen Zweig be-
trachtet. Macurdy, Transact. Amer. Phil. Assoc. XLIII, 1912,
76, der m. R. in dem Kult Elemente der thrakischen Arte-
mis sieht und das spinnende Riesenweib vergleicht, das nach
Kallinikos v. Hypat. 180 in Bithynien am Kalathosfest der Artemis
begegnet und das doch wohl die Göttin selbst vorstellt, hält die
Spindel für ein Attribut weiblicher Feld- und Waldgeister.
Stfih. „Über das Kerykeion" ist der Titel einer Dissertation
von Boetzke, Münster 1913. — Über die ägyptische Vorstellung,
nach welcher der Stab als Sitz und Verkörperung des Gottes Thot
galt, s. Spiegelberg, Rec. de trav. rel. ä la phil. et ä Tarch.
XXVIII, 1906, 164. — Über das Zepter als Feti.sch des the-
banischen Dionysos s. Robert GGA, 1913, 369; vgl. Dionysos
Kadfislog (rigayai/.. 1911, 151 A.) oder, wie bei Paus. IX 12. 4
besser überliefert ist. hdduoi: mit Hesych. y.ddfAOQ' doQV, locpog,
doTtig. Kgr^TEg.
Tympanon s. Kymbalon.
Über die Waffen als Fetische und Hoplolatrie handelte A.
R e i n a c h in einem Vortrag auf dem Archäologenkongreß in Kairo
1909 (vgl. Rev. hist. rel. LIX, 1909, 232 f und ausführlicher Rev.
Waffen im Volksglauben, Kult und Mythos. 1(>1
d'ethnogi'. et de sociol. IV, 1913, 225 f.). Der Verfasser will
zeigen, daß die Rüstung als dämonisch, als von einem geheimnis-
vollen , gefährlichen Wesen erfüllt galt , und daß deshalb bei den
Römern die erbeuteten Waffen zwar aufbewahrt, aber nur im
äußersten Notfall wieder benutzt wurden. Daraus erklären sich nach
A. Reinach einerseits die Waffenweihe, vgl. u. {Kriegsopfer), anderer-
seits die Anbetung der eigenen Waffe und die Verehrung der
Doppelaxt in Ea-eta, Karien und Kommagene, ferner die Sagen von
dem unfehlbaren Pfeil des Zamolxis und des ApoUon, dem krummen
Säbel des skythischen Ares, der Lanze des Quirinus, die früher an-
gebetet wurden als ihre nachträglich dazu erfundenen Träger. —
Bei den Römern sind, wie A. J. Reinach, Rev. hist. rel. LV, 1907 *,
;544 meint , Picumnus der Vertreter der Schneide , Pilumnus (vgl.
pilum) der Vertreter der zum Zerstoßen dienenden Waffe ; in
diese beiden Gattungen sollen in Rom alle Waffen und Küchen-
geräte zerfallen und deshalb mit ihnen bei Entbindungen die bösen
Geister abgewehrt sein. — Über vergötterte Waffen handelt
Paffrath, Zur Götterlehre in den altbabjdonischen Königsinschr.
(Stud. z. Gesch. u. Kultur d. Altert. VI, 5/6) 1913, 61. — In
Griechenland entspricht die Anbetung der Waffe des Kaineus.
Parthenopaios und Idmon , die bei ihrer Lanze schwören , Aisch.
kma 529; Ap. Rhod. I, 466; vgl. Seh. 468, die Rose, Journ.
Rom. Stud. III, 1913, 287 mit den römischen Sondergöttern ver-
gleicht, während v. Wilamowitz, Aisch. 99, 2 bezweifelt, daß
aus dem Eid bei der Lanze deren Verehrung gefolgert werden
dürfe. — Aus der Heiligkeit der Lanze erklärt A. J. Rein ach,
Rev. bist. rel. LV, 1907^, 317 ff. die Zeremonie an den Pila Hora-
tia oder dem Sororium tigillum. Zwei oben verbundene Lanzen
(Balken) sollen Abzeichen der Inno Sororia und des lanus Curiatius
gewesen sein. Den 3 lanusdurchgängen (dem Sororium tigillum
und den pila Horatia), welche primitive Türpfosten darstellen, ent-
sprechen nach Reinach die doppelten Drillinge der Sage von den
Curiatii. Später wurde das „Lanzentor" zum „Kriegstor". Vgl. u.
{S. 187 a. E.). — Linke, Götterattrib. 232 ff. bezieht Lanze und
Pfeil auf die Mondstrahleu. — Aus dem römischen Bi'auch , eine
Lanze bei der Kriegserklärung auf den feindlichen Boden zu werfen,
und sie bei der Devotion zu berühren, folgert S c h w e n n , Menschen-
opfer bei Griech. u. Rom., RV u. V XV 3, 1915, 144, daß die
Lanze als Verkörperung oder Sitz des Gottes galt. — Über die
• Sitte, eine Lanze auf dem Grabe des Getöteten zu errichten, s.
Svoronos, Journ. internat. d'arch. numism. XVI, 1914, 241.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snppleiiientband). 11
162 Waffen im Aberglauben, Kult und Mytlios.
der eine solche Lanze auf dem Krater Medici erkennt und ebd.
102 mit der Aufpflanzung der Lanze, die noch jetzt in Attika zum
Schutz gegen die Kallikantzaren üblich sei, die aivkig, das Banner
auf der .iQt'ftvij der Schiffe, und dtis heilige redende Holz von der
dodonaiischen Eiche auf der Argo vergleicht. — Die in und bei
der idaiischen Zeusgrotte und am Zeustempel von Paläkastro ge-
fundenen Schilde, über die Fr. Poulsen, Der Orient und die
frühgriech. Kunst 77 handelt, sind, wie schon die Herstellung aus
dünnem Bronzeblech vermuten ließ, großenteils nicht für den Kriegs-
gebrauch geeignet gewesen und den Votivschilden im elischen
Buleuterion (Paus. VI, 23, 7) zu vergleichen. Sie sind entweder
wie die an der Idahöhle zugleich gefundenen phoinikischen Bronze-
schalen und zwei Fayencefiguren vei'muten lassen, von Phoinikern
eingeführt oder wenigstens nach phoinikischen Vorlagen gearbeitet,
die ihrerseits assyrisches Gepräge hatten (S. 82). — Thiersch,
Arch. Anz. XXVIII, 1918, 47 vermutet, daß sie z. T. gar nicht
Schilde darstellen, sondern Tympana und Kymbala mit Rücksicht
auf die Kuretentäuze. — Als Blitzabzeichen ist der Schild nach
A. J. Reinach, Rev. bist. rel. LX, 1909 2, 336 ein Mittel im Ab-
wehrzauber geworden. Die Kureten trugen (ebd. LXI, 1910 ^ 197 ff.)
ursprünglich den Weidenschild ; dieser wurde erst mit Metall be-
schlagen, dann ganz aus diesem gefertigt ; daher soUen gegen Ende
des zweiten Jahrtausends die Kureten Schmiede geworden, jedoch
der nach dem Weidenschild genannte Itanos Kuret geblieben sein. —
Gegenüber der noch immer bestehenden Neigung, den Waffeutanz
der Saber mit dem der Kureten zu vergleichen, halten Wissowa.
Rel. d. Rom. ^ 144 und Fowlor, Relig. Exper. Rom. People 97 daran
fest, daß arma movere und condere nichts bedeutete, als den Be-
ginn und das Ende der Kriegszeit. — Nach C. Fries, Griech. Gött>
u. Heroen 233 ist das ancile, wenn es kreisrund war, ein Abbild der
Sonne, dagegen, wenn es zwei Einbuchtungen hatte, also gewisser-
maßen aus zwei durch einen Querbalken verbundenen Kreisen be-
stand, ein Abbild von Sonne und Mond gewesen. Nach E. Siecke,
Götterattrib. 253 ff. wurde der Vollmond als kreisrunder Schild vor-
gestellt , die übrigen Phasen galten als ausgeschnittene oder halb-
mondförmige Schilde. Das ancile, das die Urform des Gottes Mars
gewesen sein soll, ist nach Siecke (ebd. 80) aus den aneinander ge-
fügten Mondsicheln entstanden. — Das Schwert im Mythos, z. B.
dem von der Geburt Chrysaors, faßt derselbe ebd. 266 ff. als Krumm-
säbel, der ein Ausdruck für die Mondsichel sein soll, auf. — Über
unverletzliche Waffen vgl. u. (175).
Abzeichen im Kult und Mythos. 163
Über die Wage Aphi-odites auf der Mainzer luppitersäule s.
Rein ach, Rev. arch. TVxxi, 1913 ', S. 29 f. Vgl. o. {S.159 „Rad").
Über den Wagen s. fPrausnitz, Der Wagen in der Re-
ligion , seine Würdigung in der Kunst. Studien zur deutschen
Kunstgesch., CLXXXVII, Straßburg 1916.
Über Zepter vgl. o. (160 .,Stah").
Teile des tierischen und menschlichen Körpers und
animalische Produkte als Abzeichen.
Über das Blut vgl. Kircher, Die sakrale Bedeutung des
Weines im Altertum (RV u. V IX 2) 1910, 77 fif., der S. 80 f.
über den Blutbund handelt; über Blutbestreichung bei Semiten s.
Kohler, Arch. f. Religionswiss. XIII, 1910, 81 f., über das Blut
als Seelenträger und seine Verwendung im Zauber Seh wenn,
Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern, RV u. V XV
3, 1915, 89 ff.
Über Eingeiveide vgl. u. {Orakel).
In dem. Fell des geschlachteten Opfertieres, das ursprünglich
der Gott selbst gewesen sein soll, bleibt, wie Frazer, Spirits of
the Com II (Golden Bough V^ II) 172 f. aus einem kalifornischen
und dem von Herod. II 42 berichteten ägyptischen Brauch folgert,
nach primitiver Vorstellung etwas von dem Numen zurück, das
einst das Tier erfüllte ; daraus entwickelte sich nach Frazer unter
Umständen tierförmiger Bilderdienst. Crooke, Folkl. XXII, 1911,
198 erklärt daraus die Sitte, sich (oder das Götterbild) in eine
Tierhaut zu hüllen, die, wie er mit A. B. Cook glaubt, der Midas-
sage zugrunde liegt und aus der er auch die Sage von Jakobs List
erklärt. — Das FeU will A. K u h n in den nach seinem Tod heraus-
gegebenen Mythologischen Studien II, 1912, 164 in den Sagen vom
Rinderraub des Hermes und von Prometheus als mythisches Bild
für den Nachthimmel erweisen.
Hand. Über die „Votivhände" hatte *Blinkenberg, Ar-
chäol. Stud. 1904, 66 ff. gehandelt und die Vermutung begründet,
daß diese meist, in Kleinasien immer dem Sabazioskult angehörigen
Weihgaben die Stellung des Segnens, die sogen. Benedictio latina
haben. — Cumont, Compt. rend. AIBL, 1906, 69 meint, daß
die Sitte durch Juden in den Sabazioskult kam. — Nach Per dri-
zet, Arch. f. Religionswiss. XIV, 1911, 118 ff., der Spuren von
Tätowierung auf diesen auch im Dienst des Zeus von Doliche
und von Heliopolis gebräuchlichen Händen bemerkt hat, sind
unter ihnen zwei Klassen zu untei'scheiden : 1. im Sabazioskult ist
11*
1^(54 Körperteile im Aberglauben, Kult und Mythos.
die sej:;uende Hand des Gottes oder des Priesters, 2. sonst aber,
(d. b., wenn ich den Vei'fasser recht verstehe, im Dienst des Zeus
Johx^t^'ö^ "^^"i tili 071 oXiii]^) die betende Hand des Gläubigen dar-
gestellt. — 0. Wein reich, Qeov -/eiQ (RV u. V, VIII 1) 1908
spricht zuerst über Handaufheben , Handausstrecken und Hand-
überhalten, dann (14) über Handauflegen und Berühren. Beide
Kapitel behandeln Heil-, Geburts- u. a. Gottheiten. Das 3. Kapitel
(38 If.) bespricht einige auf die Berührung bezügliche Götternamen :
Über die Bedeutung der rechten Hand im Heüzauber wird S. 43
gehandelt. — Über die Heilkraft der Hand hatte schon Weniger.
Klio VII, 1907, 173 f. bei Gelegenheit der heilkräftigen Daktylen
gehandelt.
Über das Hörner ni otiv in den Religionen handelt S c h e f -
telowitz, Arch. f. Religionswiss. XV, 1912, 451 ff. in folgender
Anordnung: 1. die ursprüngliche Darstellung der Götter in Tier-
gestalt; 2. die Hörner am Haupte der Götter, Überreste ihrer
einstigen Tiergestalt , umgedeutet als Symbole übermenschlicher
Kraft; 3. Dämonen mit Hörnern; 4. die Beziehung der Götterhörner
zum Monde; 5. Hörner auf dem Haupte der Könige und Priester
als Symbole göttlicher Macht; 6. Homer am Altar als S^-mbol der
Heiligkeit; 7. Hornamulette zur Abwehr von dämonischen Einflüssen
und zur Überwindung feindlicher Angriffe ; 8. die magischen Wii*-
kungen des Hoi'us als Behälter und Blasinstrument. Der Verfasser
hat einen reichen Stoff gesammelt , dai'unter aber auch manches,
was überhaupt nicht zu seinem Thema oder wenigstens nicht au
die Stelle gehört, an der es erscheint. — Über Hörner als Apo-
tropaia vgl. H. Thiersch, Österr. Jahresb. XVI, 1913. 82, 6. —
Nach Siecke. Götterattribute 91, 228 ff. können die Hörner der
Götter „nicht anders als auf Mondursprung" bezogen werden; die Fluß -
götter (ebd. 230) sind gehörnt, weil alle Flüsse vom Monde stammen.
In der Mi Ich hatte U s e n e r eine Substanz gesehen, die nach
uralter, aber bis in das Christentum nachwirkender Vorstellung als
Nahrung der Seligen und der Götter gegolten habe. Diese An-
schauung schränkt K. W y ß in der auf Veranlassung von Schultheß
entstandenen Untersuchung „Die Milch im Kultus der Griechen und
Römer", RV u. V, XV 2, 1914, ein, der nachweisen will, daß das
Milchopfer ursprünglich eine Gabe wie alle anderen war, bestimmt,
dem Gott einen Teil der menschlichen Nahrung zukommen zu lassen
und ihm dadiuxh zugleich einen Dank für die bisher gewährte Gabe
abzustatten und ihn zu deren weiterer Gewährung zu bestimmen.
In indogermanischer Zeit wurde die Milch oft mit Honig vermischt
Körperteile im Aberglauben und Kult. — Verfluchung. 165
genossen; das ist der auch später als jueXiKgazoi' im Kult ver-
wendete Trank, bei dem aber die Milch, die im südlichen Klima
schwer in flüssigem Zustande genießbar zu erhalten ist, oft durch
Wasser ersetzt und der dann, obwohl aus einem alten Rauschtrank
hervorgegangen, als eines der vr^q^<x}ua den Unterirdischen gereicht
und den berauschenden Getränken entgegengesetzt wurde. Häufiger
trat an die Stelle der Milch sowohl beim Opfer wie als mensch-
liches Getränk der Wein. Die besondere religiöse Bedeutung der
Milch ist jung; „erst infolge einer späteren Begriffserweiterung,
dem häufigen Gleichsetzen von Wein, Honig, Milch, Melikraton mit
Nektar, das früh nicht ausschließlich Göttertrank, sondern ein be-
liebiges, sehr gutes Getränk bezeichnen konnte, galt dem alexan-
drinischen und römischen Dichter Milch umgekehrt wieder als
Göttertrank, und so gehörte das Bild vom Milchüberfluß zur Aus-
malung des goldenen Zeitalters , der Insel der Seligen" (S. 64).
Auch einzelne falsch verstandene Göttermythen (wie der von der
Ernährung des Zeus) mögen nach Wyß dazu beigetragen haben, daß
man in der Milch eine besondere religiöse Kraft zu ahnen begann. —
Aber nicht hieraus unmittelbar geht die Verwendung im christhchen
Kult hervor. Wyß gibt (53 ff.) zwar zu, daß Milch in heidnischen
Mysterien als Zeichen der Wiedergeburt dem Gläubigen gereicht
wurde, er bestreitet aber, daß damit zugleich eine Hindeutung auf
das den Mysten offenstehende Paradies gegeben werden sollte. Die
Mysterien haben, wie er glaubt, das Verbindungsglied zwischen der
Verwendung der Milch im christHchen und heidnischen Kult gebildet.
Über den Nabel vgl. o. {S. 111) und u. {183).
Über Ohren, die an der Wand von Heiligtümern, namentlich
des Asklepios angebracht wurden, spricht 0. Weinreich, Ath.
Mitt. XXXVII, 1912, 53. Gegen Wolters , der Marin, v. Prodi
32, axoal mit Boissonade im Sinn von „Stimmen" gedeutet hatte,
sucht derselbe, Hermes LI, 1916, 624 zu erweisen, daß der Zu-
sammenhang vielmehr für die Übersetzung „Ohren" spreche.
4) Verfluchung, Gottesui'teil, Eid.
Hatch, Harvard Studies XIX, 1908, 157 ff. untersucht die
feinen Bedeutungsunterschiede von aAtzj^'^tog, aZtT^og, agalog, srayrig,
ivd^v^uog, rcala/uvalog , TtgcargoTtaiog. '^galog und ivayy^g be-
zeichnen beide den Vex'fluchten, doch liegt bei jenem der Nachdruck
auf dem Fluche selbst, bei diesem auf der vorausgegangenen Be-
fleckung; a?aTi^Qiog. aXivQog und nQoaiQOTtaiog, das aber auch von
der rächenden Seele des Ermordeten gebraucht wird, bedeuten
lt)(i Fluchzauber.
„sündig" ; jtalafxvalog bezeichnet Totschläger und Mörder, «v^i'^uus"
den in seinem Gewissen Bedrückten. Außer nQOOTQÖfiaiog werden
aXiiii[Qio<i und naXaiivalog, und zwar ohne Mesentlichen Unterschied
auch von rächenden Göttern gesagt.
Jevons, Transact. 3. Intern. Congr. Hist. Rel. 19ü8ii, 131 Ö\
untersucht das Verhältnis der Verfluchungen zur Religion. Im
Gegensatz zu Wünsch und Audollent betont er den nicht religiösen
Charakter der meisten Defixioneu. Zuerst, schon im 4- Jh., werden
die y.dxoxoi Hennes und Ge angerufen, etwas später, aber eben-
falls noch in diesem Jh. orj^hische Götter. Auf den bruttischen
Tafeln, die mit dem 2. Jh. beginnen, nachdem lange die Sitte auf
Attika beschränkt geblieben war, soll Inno Lacinia den Verfluchten
bestrafen. Von dem Exorkisten -— die aus dem Orient stammende
Formel i^oQxi'^co ■ . ., begegnet zuerst im 2. Jh. n. Chr. — unterscheidet
sich der Verflucher in Griechenland wie im Orient dadurch, daß
er sein Werk verheimlicht. — Über €7r/;>lt(T/»; vgl. Havers, Zs.
f. vergl. Sprachf. XLIII, 1910, 230. — Im Anschluß an Tib. I 5
handelt über den Fluchzauber Ernst Oppenheim, Wien. Stud.
XXX, 1908. 14Gff. — Die Beschwörung Erichthos bei Luc. Phars.
VI, 419 erläutert H. J. Rose, Proceed. Amer. phil. Assoc. XLIV.
1913. S. Lf. — Sechs griechische Zaubervorschriften aus dem
Catalog. Codic. astrolog. erklärt unter Beibringung von Parallelen
Lorenzo Bianchi, Hess. Bl. für Volksk. XIIL 1914, 103 ff. —
Aufgehobene Hände auf Grabdenkmälern sind nach A. J. Reinach
und Picard, Bull. corr. heU. XXXVI, 1912, 277 f. Zeichen der
Verfuchung für etwaige Grabschänder. Es werden Beispiele aus
Sestos und Rheneia für diese vielleicht orientalische Sitte an-
geführt. — Bisweilen wird der Fluch gegen Frevler gerichtet, deren
man nicht habhaft werden kann, z. B. gegen einen Dieb wie in dem
Pap. Anastasi XLVI 70 fi., mit dem Pr e isendanz , Hess. Blätter
f. Volksk. XII, 1913, 138 S. einen Zauber bei Vassiliew, Anecd.
Graeco-bj^zantina und einen im Cod. Germ. Palat. 229 der Heidel-
berger Universitätsbibliothek zusammenstellt. — Die Rachegebete von
Rheneia sind nach Bergmann, Phüol. LXX, 1911, 503 ff. nicht,
wie Deißmann meinte , von der Gemeinde am Versöhnungstag ge-
sprochen, sondern werden den beiden gemordeten jüdischen Mädchen £
in den Mund gelegt. Die Worte näoa ifjvyj^ f.v zfj orjfieQOv ^f^i6Q(f J
TUTiEivovTai /üeO^ l/.etsiag sollen sich auf den bevorstehenden Sieg
des Judentums beziehen. — Über den Fluch als eine körperlich
niederfallende , auch über dem Fluchenden schwebende Macht s.
Westermarck. Orig. and Development of Moral Ideas I 57 ff. —
Fluchzauber. 167
Eine Verfluchung aus den Hawara Papyri teilt M i 1 n e , Arch. f.
Papyrusforsch. V, 1913, 393, Nr. 12 mit. Beschworen wird ein
übermenschlicher, aber dem Amibis untergeordneter Gei.st Euangelos,
in dem man nach R. Wünsch, ebd. 397 entweder einen Heros
oder den euphemistischen Ausdruck für einen ayyB}.0(; x^^^'^og,
oder den Namen eines bestimmten Toten zu erkennen hat.
Die John-Hopkins-TJniversität von Baltimore besitzt eine Samm-
lung von Defixiones, die auf Veranlassung von Harry Langford Wilson in
einem Supplementheft zum Amer. Jouru. Philol. XXXIII, 1912 (68 be-
sonders gezählte Seiten) von f S her wo od Fox mit ausführlichen
Indices herausgegeben werden. Vgl. u. {171). — Ebd. XXXIV, 1913,
74 ff. veröffentlicht Fox two Tabellae defixionum in the Royal
Ontario Museum. — Die ins Wasser geworfenen Defixiones hatte
Wünsch aus dem Glauben erklärt, daß die Geister der durch Schiff'-
bruch Umgekommenen im Wasser hausen. Sherw. Fox ebd. XXXIII.
1912, 301 ff. meint, daß man mit dem Namen des Verfluchten diesen
selbst ersäufen wollte. Ein ähnlicher Gedanke liegt nach S c h w e n n .
Die Menschenopfer bei den Gr. u. Rom., RV u. V XV 3, 1915,
154 dem Argeeropfer zugrunde. Da der vermeintliche Eingang zur
Unterwelt an vielen Orten in Seen und Quellen gesucht wurde,
scheint mir erwägenswert, ob nicht die Fluchtafeln oder Puppen
bisweilen deshalb in Wasser versenkt wurden , damit sie um so
sicherer in die Hände' der Unterirdischen gelangten.
Weit verbreitet war die Vorstellung, daß der Name nicht nur das
Wesen einer Person ausdrücke, sondern diese auch vertrete, so daß
man mit jenem aut diese wirken oder diese zur Erzielung der durch
jenen wirklich oder vermeintlich ausgedrückten Wirkung benutzen
könne. Wenn Johannes im Namen des zu erwartenden Messias tauft,
so wollte er damit den Täuflingen von vornherein die zauberische Wir-
kung zuwenden, die nach der Anschauung der Geheimsekten von
dem Namen des Erlösers ausging (Drews, Christusmythe I 25), —
Ausführlich handelt über den Vorstelluugskreis Kroll, Namen-
aberglaube bei Griechen und Römern , Mitt. der Schles. Ges. f.
Volksk. Bd. XVI, 1914, 179ff. •, viele Beispiele dafür sammelt auch
Abt, Apologie des Apul. 44 u. 150 ff. =- RV u. Viv, 118 u. 224 ff.
Es war deshalb, wofür C. Michel, Philologie et linguistique, Mel.
off. ä. L. Havet par ses amis, Paris 1909, Beispiele aus dem
klassischen Altertum beibringt, unter Umständen aus Furcht vor
Schadenzauber verboten, den wahren Namen einer Person (oder
eines Ortes) zu nennen-, vielfach wird „der Tod betrogen", indem
man den Namen des Kranken änderte (wie man an andena Orten
16g .Schadenzauber.
statt seiner auch eine Puppe begrub); s. Andree, Zeitschi*. d.
Vereins f. Volksk. XIX, 1009, 203 f. —Kroll a. a. 0. 195 führt
einen byzantinischen Text aus dem 14. Jh. au, nach dem der Name
des Toten geändert wird, damit er dem in der Luft schwirrenden
bösen Geistern entgehen könne. — Wer den Namen der Dämonen
kennt . verfügt über deren Macht. Vermutlich hängt es damit zu-
sammen, daß Dinge oder Menschen, an deren Wohl und Unversehrt-
heit besonder.s viel liegt, einen zweiten bekommen, der entweder
als heilig gilt und dann natürlich geheimgehalten wird, oder aber
statt des bisherigen , auch weiter als eigentlicher Name geltenden
Bezeichnung gebraucht werden muß. Namentlich im Schadenzauber
ist die Kenntnis des Namens von großer Bedeutung.
Aber nicht bloß durch den Namen, auch durch Gegenstände
und zwar selbst durch solche, die in keiner erkennbai-en Beziehung
zu dem standen, der verflucht werden sollte, aber in einen geheimnis-
vollen Zusammenhang zu ihm gebracht wurden , glaubte man das
Leben oder Wohl eines Menschen bedrohen zu können. Zahlreiche
Beispiele für die Exteraal Soul Life toke stellt Frazer, Balder
the Beautiful (Golden Bough VII) II 95 if. zusammen. Zu den
Lebenszeichen , die außerhalb des Menschen angenommen wurden,
gehört z. B. die große Klasse der Schicksalsbäume (Frazer a. a. 0.
159). Aber auch einzelne Teile des Körpers selbst wurden als
Sitz der Seele betrachtet. Waser, der bereits in ßoschers Myth.
Lex. III. 3209 eine kurze Übersicht über diesen Vorstelluugskreis
gegeben hatte, spricht im Arch. f. Religiouswiss. XVI, 1913, 381
über die Pupille als Seelenträger. Den Besitz eines solchen Körper-
teils , der als verhängnisvoll für das Leben seines rechtmäßigen
Trägers galt, wurde natürlich auch beim Fluchzauber erstrebt und
als wichtig für dessen Wirksamkeit betrachtet. Der Glaube hängt
mit der Vorstellung zusammen, daß man durch den Teil einen Ein-
fluß auf das Ganze gewinnen könne , mit dem man ihn sich in
mystischem Zusammenhang dachte ; welcher Teil zu diesem Zauber
verwendet wurde, kam dabei weniger in Betracht, wenn man sich
nur leicht in seinen Besitz setzen konnte. — Ein solcher Gegen-
stand ist z. B. das Haar, über dessen Bedeutung im Zauber
L. Sommer, Das Haar in Religion und Aberglauben der Griechen,
Münch., Diss. 1912 und Sehr edelseker , De superstitionibus
iuae ad crines pertinent, Dissert. Heidelberg 1913 handeln. Die
durch Kroll angeregte Arbeit Sommers behandelt in ihrem Haupt-
teil (18 ff.) die Haarweihe : von dem sonstigen Inhalt ist hervor-
zuheben die Beschwörung bei Haar und Bart (13 ff.), die Be-
Schadenzauber. iHf»
deutung eines einzelnen Haares für das Leben seines Trägers
(16 ff.), das Abschneiden des Haares durch Thanatos (61), Haar-
schur in der Trauer (64). S. 23 wird bestritten, daß an dem Fest
der Kureotis , dessen Name von -/.ovqeiov und y.tiQEiv abgeleitet
wird, das Haar von Kindern geweiht wurdet „das Haaropfer bei
der Geschlechtsreife ist der weitaus älteste und eigentliche Zweck
des Festes gewesen , die Eintragung in die Listen ist jüngeren
Datums". — Schredelseker hat, ohne von Sommers gleichartiger
Arbeit zu wissen . auf A. Dieterichs Veranlassung seine Unter-
suchung begonnen und sie nach dessen Tode unter Anleitung von
Boll und Schoell zu Ende geführt, wobei seine Ergebnisse meist
mit denen seines Vorgängers übereinstimmen. In dem Abschnitt
über das Haar als Sitz der Kraft (22) wird aus diesem Glauben
. die Langhaarigkeit von Göttern und Fürsten und (29) die Berührung
des Bai'tes bei der Bitte (z. B. ^ 501 f.; 0 371 ; Ä 454 ff.; Eur.
^Ey.. 344) erklärt; S. 48 ff. ist von der Haarweihe, S. 63 ff. von
der Auflösung der Haare beim Opfer, S. 65 ff. von der Bedeutung
der Haare im Zauber die Rede. — Haarweihe der argivischen Bräute
folgert Eitrem, Philol. LXXII, 1913, 444 ff. aus argivischen
Münzen , welche Hera mit geschorenen Haaren darstellen und aus
dem Abzeichen der Schere , das ein Bild der Göttin trug. — Nach
Eitrem , Hermes und die Toten , Christ. Vidensk. Selsk. Porh.
1909, 23, 1 waren Haaropfer besonders im Totenkult üblich. —
Wer sein Haar einer Gottheit oder einem heroischen Wesen weiht,
wofür auch Sech an, Rev. et gr. XXIV, 1911, 120 Beispiele
sammelt , gibt symbolisch sich selbst hin. — Mit dem Haar , über
dessen Bedeutung als Sitz der Seele auch Waser, Arch. f. Re-
ligionswiss. XVI, 1913,381, Güntert, Sitzuugsber. Heidelb. AW
VI, 1915, 11 ff. und S. Reinach, Samson 1912, S. 23 ff. handeln,
wird gewissermaßen der Lebensfaden abgeschnitten; es ist daher
zweifelhaft, ob das Abschneiden von Didos Haar durch Proserpina
bei Verg. Aen, IV, 698, wie S. Rein ach, Rev. arch. IVxvii,
1911', 192 aus dem Beiwort flavus folgert, auf ein besonderes
Schicksalshaar geht, denn wenn sich auch der Glaube an ein solches
aus dem an die Bedeutung des Haares überhaupt leicht entwickeln
konnte , so bestand doch die ursprüngliche Vorstellung daneben
fort. — Daß man sich durch das Haaropfer in die Macht der
Dämons stellte, nimmt auch Seh wenn, Die Menschenopfer bei
den Griechen und Römern (RV u. V XV 3, 19^5) S. 86 an; die
Erwartung soll aber gewesen sein, daß der dem Menschen wohl-
wollende Überirdische die dadurch erlangte Macht nur zum Besten
170 Schadenzauber.
seines Schützlings ausnutisen werde. — Über die i^eele im Haar
handelt ferner Frazer, Balder thc Beautiful (= Golden Bough
VII) II an mehreren Stelleu, z. B. 158; 1G5; ebd. 103 werden
Parallelen zur Nisos- und Pterelaossage gesammelt.
Viele „authropologische" Beispiele zum Schadenzauber mit
Hilfe von Haaren , Nägeln (iu griechischen Texten selten erwähnt.
Abt, Apol. d. Apul. 107 == RV u. V, IV 181) oder einem Bilde
des Verfluchten , das ebenfalls diesen vertreten kann , sammelt
Berkusky, Arch. f. Anthropol. n. F. XI, 1912, S. 88 ff. — Im
Catal. cod. astrol. III 42 wird ein Zauber mit dem Bilde dessen be-
schrieben, dessen Huhm man sich aneignen möchte ; Parallelen führt
L. Bianchi, Hess. Blatt, f. Volksk. XIII, 1914, 111 an. — Über das
Verbrennen des Bildes im Schadenzauber vgl. Penquitt, De Didonis
Vergilianae exitu, Königsberg Diss. 1910, S. 35 ff. — Die Sitte der
Rachepuppen behandeln Ad. Abt, Apol. des Apul. 79 ff.=-E,Vu. V.,
IV 153 ff. im Anschluß an Apul. ap. 30 und sehr gründlich Fr. Skutsch,
Festschr. der schles. Ges. f. Volksk. 1911, S. 529 ff. im Anschluß an
eine Stelle in Goethes Götz von Berlichingen. Verg. Ecl. VIH 80 wird
von Sk. als die sinnlose Vermischung zweier sich ausschließender
Vorstellungen gedeutet: der Dichter soll in seiner Quelle — etwa
einem Theokritkommentar — gefunden haben ev. v.tjqov rj «z TtrjXov.
Zahb'eiche Beispiele von ßachepuppen aus dem Mittelalter und der
Neuzeit werden angeführt. — Parallelen aus Nordeuropa, Mexiko
und Australien bringt Pagenstecher, Arch. f. Religionswissensch.
XV, 1912, 313 bei. — Als Rachepuppen faßt Mariani, Ausou.
IV, 1909, 39 ff. zwei nackte Bleistatuetten aus einem etruslcischen
Grab; S. 42 werden ähnliche Bilder angeführt; Cumont, Compt.
rend. AIBL 1913, 412 ff. veröffentlicht eine in einem Bleikästchen
(einem Abbild des Sarges?) zu Athen gefundene, ebenfalls zum
Behexen dienende Bleifigur; er vergleicht die Geschichte von dem
behexten Theophilos in den Mart}^. S. Cyri et Joh. (Migne P. G.
LXXXVII 3, 3542). — Ein Verfluchungszauber mit Hilfe des Bildes
ist auch in dem Argeeropfer gesehen worden {vgl. S. 167).
Eines der am häufigsten Schaden stiftenden Mittel ist der „böse
Blick^ über den der Ophthalmologe S. Seligmann, Der böse
Blick und Verwandtes, Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens
aller Zeiten und Völker, 2 Bde., Berl. 1910 ein auch für die
Religionsforschung wichtiges Werk verfaßt hat. Außer der Samm-
lung des ungeheuren vStoff's, zu dem Wünsch, Berl. Phil. Wochen-
schr, XXXI, 1911, 77 f. noch Nachträge gibt, ist besonders er-
wähnenswert die medizinische Untersuchung über die Eigenschaften
Fluchzauber. Gottesurteil. Eid. 171
des Auges, die den Glauben an die Wirkung des bösen Blicks bei
so vielen Völkern entstehen ließen. — Eine Formel, um diesen
Fluchzauber von einem Hause fernzuhalten , bietet ein Mosaik aus
El Hauria in Afrika; vgl. Merlin, Compte rend. AIBL 1907, 802.
Das Fortleben dieses Aberglaubens bespricht B. Schmidt, Der
böse Blick und ähnlicher Zauber im neugriechischen Volksglauben,
Neue Jbb. XXXI, 1913, 574 ff. Nachträge gibt S. Seligmann.
Hess. Blatt, f. Volksk. XIII, 1914, 124 ff. Der böse Blick wurde
als Wolfsblick bezeichnet (Plin. n. h. VIII 80), womit Blinken-
berg, Herm. L, 1915 282 den Teichinen Lykos und den wahr-
scheinlich von einem Mitglied der Phyle der Teichinen geführten
Namen Lykopadas in der lindischen Tempelchronik vergleicht. —
Viel beachtet «wurden in der Berichtszeit die Inschriften
mit Verfluchungen {■/.ataÖEOf.ioi , Defixiones). R. Wünsch
gab in Lietzmanns „Kl. Texten für Vorlesungen und Übungen".
Antike Fluchtafeln, Bonn 1907 mit Erklärungen heraus ; eine zweite
Auflage erschien 1912. Derselbe veröffentlicht (Arch. f. Religions-
wiss. XII, 1909, 36 ff.) drei wahrscheinlich aus den Gräbern der
via Latiua stammende Fluchtafeln aus Blei und (Bonner Jbb. CXIX,
1910, 1 ff.) Laminae litteratae des Trierer Amphitheaters. Sher-
w 0 o d Fox' Arbeit über die Tabellae Defixionum der John Hop-
kins-Universität kenne ich nur aus dem Auszug Rev. arch. IVxx,
1912 2, 451 ff. Vgl. o. {167). — Über die Verfluchung, die der
römische Feldherr an einem beliebigen, so gewissermaßen zum
Sühnopfer für das Heer gestempelten Soldaten vollziehen konnte
und nicht selten an sich selbst vollzog, und über die rechtlichen
Folgen einer solchen Devotion handelt Seh wenn, Menschenopfer
bei Griechen und Römern, RV u. V, XV 3, 1915, 158 ff.
Über Gott esurteilc in Sardinien (s. Solin. 4, 6) vgl.
Pettazzoni, Rendiconti RAL Vxix, 1910, 103 ff., 236 ff'.; über
Gottesurteile als Keuschheitsprobe Ad. Adamantios. vlaoyqaffia
III, 1911/2, 51 ff.; 390ff. — Ein Gottesurteü durch Gift erschließt
S. Reinach, Rev. arch. IV s. XL, 1908 ^ 236 ff. = Cult., myth.,
rel. III 254 ff. aus Liv. VIII 18, 8 f. für Rom.
Die alte Auffassung, daß der Eid ursprünglich eine Selbst-
verfluchung war, sucht Richard M. Meyer, Arch. f. Religionsw.
XV, 1912, 435 ff. gegen Hirzel, Oldenberg, Schrader u. a. zu ver-
teidigen. Den Gegenstand, den man beim Eid berührt (das Haupt
der Kinder, die Waffen usv.'.), setzte man, wie Meyer — ebenfalls
der älteren Deutung folgend — bemerkt, beim Eid gewissermaßen
-zum Pfand : erst später soll das Angefaßte (oder die in ihm ver-
j 7 2 ^^•^•
mutete göttliche Macht) als Zeuge gedacht sein. — Auch P. Stengel
denkt sich in dem Artikel „Opfergebräuche" (Heim. XLIX, 1914.
78 ff.) den Eid als Selbstverfluchung (91). Die rOjUta, die Ge-
schlechtsteile des Opfertieres, wurden beim Eidopfer auf die Erde
geworfen oder blieben (Aristot. '^^lyj-. noX. 55) auf einem Stein
liegen ; gewöhnlich trat der Schwörende darauf und faßte die
tr/rP.aj'xra (die als Sitz der Lebenskraft der Opfertiere galten), in-
dem er sich zu dem gleichen Schicksal wie diese verfluchte. Die
Eingeweide wurden darauf verbrannt. Statt ihrer konnten auch
das Haar oder die zöiiia angefaßt werden. Der Leib der Tiere
wurde ursprünglich vernichtet, später bisweilen liegen gelassen und
dann von anderen Unbeteiligten gegessen. — Über die Sitte, beim
Eid ein heiliges Tier zu schlachten und zwischen den zerteilten
Stücken hindurchzugehen (Dikt. I 15; II 49; V 10; Genes. XV 10,
.lerem. XXXIV 18), vgl. A. Reinach, Rev. hist. rel. LXVIII,
1913, 138 ff. Ähnliche Gebräuche herrschten bei der Lustration
des makedonischen Heeres (s. Kriegsopfer) und auch im Heilzauber.
Vgl. im allgemeinen Eitrem, Beiträge zur griechischen Religions-
geschichte (Vidensk. Skrift. Kristiania 1917, II 2, S. 9 ff.), der
diese bisweilen zu Menschenopfern {s. das.) gesteigerten Gebräuche
für kathartisch hält. — Über die Bedeutung der Weinspende beim
Eidopfer s. K i r c h e r , Die sakrale Bedeutung d. Weines im Altert.
(RV u. V, IX 2) 22 ff., der sie nicht wie v. Fritze als für die olympi-
schen Götter bestimmt, sondern lediglich als eine Veranschaulichung
des Fluches auffaßt; über die religiöse Bedeutung des Fetialeneides
handeln Reid, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 47 ff., und T. Frank,
Class. Philol. VII, 1912, 335 ff. Reid hatte bestritten, daß der
Silex des Fetialen ein Fetisch des luppiter Feretrius war; Polyb.
m 25 soll die alte Formel iurare lovem lapidem mißdeutend durch
(ofivieiv) Jia )di^ov wiedergegeben haben, da er die Konstruktion
mit dem doppelten Akkusativ nicht verstand. Die von der Arx
genommene . verbena führten nach Reid 47 f- die Fetialen mit,
weil sie den römischen Boden sjonbolisch vertraten , auf dem
allein rechtsgültige Verträge abgeschlossen werden konnten.
— Über die griechische Sitte , bei einem mit Salz bestreuten
Tisch zu schwören (Archil. fr. <)6 [82] bei Orig. Ktla. II 21,
S. 151, 27 K.), bringt Wilcken, Arch. f. Papyrusf. V, 1913, 415
eine Parallele aus einem Cairener Papyrus bei. — In der Ver-
:*enkung der Metallstücke, die S. Reinach als Mariage avec la mer
gedeutet hat, erkennt P. Perdrizet, Rev. et. anc. XIV, 1912,
•357 ff. ein Eids3Tnbol. Die Versenkung des nedtojv ^evyog (Herod.
Schaden- und Heilzauber. 178
VII 35) durch Xerxes muß nach Perdrizet bei der Erklärung außer
Spiel bleiben, da sie nur auf einem Mißverständnis von Aisch. Per.
74'4 beruhe; der Dichter habe nur die Überbrückung des Helles-
ponts gemeint. Die Zeremonie der Phokaier (Herod. I 165) und
des Aristeides (Aristot. ]^40^r,v. jCoX. 2o ; Plut. ^ylQiau. 25), die einen
fivÖQcg versenken, hat nach Perdrizet mit Ketten und Ringen nichts
zu tun ; die Handlung drückt nur aus, was in Worten lauten würde :
„so lange dieser Klumpen nicht aus dem Meere wieder auftaucht".
Auch der Ring des Polykrates und der von Theseus heraufgeholte
des Minos sollen nicht die durch eine Heirat mit den) Meer er-
langte Seeherrschaft bezeichnen.
5) Heil- und Abwehrzauber.
0. Weinreich, Antike Heilungswunder, Untersuchungen zum
Wunderglauben der Griechen und Römer (RV u. V, VIII Ij, Gießen
1910 behandelt im ersten Kapitel, das unter dem Titel QEOY
XEIP als Heidelberger Dissei'tation 1908 erschien, das Handauflegen.
Obwohl es dem Vf. weniger darauf ankommt, eine möglichst voll-
ständige Sammlung anzulegen, als darauf, an einzelnen Typen den
Foi'men nachzugehen, in denen sich der Wunderglaube äußert, er-
gibt sich aus seinen Zusammenstellungen doch , daß diejenige Art
des Glaubens an übernatürliche Kräfte, die man als die primitivste
betrachten möchte, der Glaube an die persönliche Kraft
eines Wundertäters^ im Altertum verhältnismäßig selten be-
ijeugt ist: sie haftet fast nur an Philosophen und Herrschern.
Der Beiname mancher hellenistischer Fürsten ^cotiJq wird (S. 75)
darauf bezogen. K. II handelt über Traumheiligungen, III über
heilende Statuen. Im öffentlichen Kult ist der Glaube an über-
natürliche Kräfte einzelner Menschen fast verschwunden : der grie-
chische und der italische Priester ist im allgemeinen kein Wunder-
täter. Wo die Heilungen, die bei den Tempeln vorkommen sollten,
überhaupt noch als Wunder gefaßt wurden, paßte man sie der um-
gewandelten religiösen Auffassung dadurch an, daß sie Gottheiten
wie Asklepios, ApoUon, Zeus usw. zugeschrieben wurden (auch die
Namen Hyperdexios, Hyperdexia werden von Wein reich 41 auf
die Heilkraft bezogen), die an die Stelle des Zauberers getreten
waren. Murray in Maretts Anthropology and the Class. 77 glaubt
sogar, daß ^eog, das er zu violvi^eaiog, ^aaaaai^ai, feriae, festus
stellt, ursprünglich den für einen Gott gehaltenen „Medizinmann"
bezeichnete, und daß der Glaube an höhere, jenseits des Zauberers
und der sichtbaren Welt stehende Göttermächte den eigentlichen
174 Heil- und Abwehrzauber.
Fortschritt von der vorhellenischen zur hellenischen Religion dai--
stelle. Diese Gottheiten sind dann oft zu heroischen Wesen wie
Amphiaraos, Trophonios (Wein reich 99), Helena (ebd. 51) ge-
worden. Nicht selten treten für die übernatürlichen Wesen deren
Statuen oder Abzeichen ein. Die dämonische Macht, die auch in
Griechenland einzelnen Gegenständen teils infolge ihrer Herkunft
(wie den Aerolithen). teils wegen anderer auffallender Eigenschaften
zugeschrieben wurde, sollte sich natürlich auch in der Macht äußern,
Krankheiten oder auch anderes Unglück zu heilen oder zu ver-
hüten. So entsteht der Glaube an Amulette; das Wort lautete
nach Stow asser, Wien. Stud. XXXII, 1910 S 160 eigentlich
„hamuletum" und bezeichnete einen „mit einem Haken versehenen
Gegenstand"; dagegen ist nach Wünsch, Glottall, 1910, 219 ff.
amuletum soviel als amulum, a/.ivkov, die aus nicht in der Mühle
gemahlenem, sondern zerstampftem Getreide bereitete Speise, der
man allerhand zauberhafte Wirkungen zuschrieb und die daher in
vielfachen Zusammensetzungen als Heilmittel verwendet wurde
(Phn. n. h. XX 148; XXII 137; XXIII 117, 126, 144; XXVI 49;
XXIX 41, 47; XXX 78, 126). — An Wünsch schheßt sich
S k u t s c h ebd. 398 ff. an. — Nach Kropatschek, De amuletorura
apud antiquos usu , Diss. Greifsw. 1907, der in dem ersten der
beiden veröffentlichten Kapitel ausführlich über die (fvXaA.TriQia
spricht, glaubte man ursprünglich durch den auf dem Amulett ein-
gegrabenen Zauberspruch oder durch den göttlichen Namen den
bösen Dämon bezwingen zu können ; später erst wurde nach Kro-
patschek Spruch oder Name fortgelassen, und beliebige Dinge, denen
magische Kraft zugeschrieben wurde , konnten als 7teQidj.i(4aTa
dienen. — Einzelne Zusätze gibt C. J(ullian), Rev. et. anc. XIII,
1911, 198. — Ein silbernes Amulett veröffenthcht ß. Wünsch.
Arch. f. Religionswissensch. XII, 1909, 24 ff. Die längere apo-
tropäische griechische Inschrift bietet wenig Griechisches , mehr
Ägyptisches (Osornophris , Knephi , Set) und Jüdisches (Abrias,
Alarphot, Moses). — Saintyves, Talismans et reliques tombes
du ciel, Rev. des et. ethnogr. et sociol. II, 1909, 175 ff., Rev.
ethn. et soc. I, 1910, 50ff. ; 103 ff. sammelt namentlich christliche
Überlieferungen für den in der Überschrift bezeichneten Aber-
glauben , den er aus der Vorstellung vom Blitzstein herleitet. —
.,Die Amulette der alten Ägypter" ist ein Aufsatz von A. W i e d e -
mann, Der alte Orient XII 1, Leipzig 1910, betitelt. — Deonna,
Talismans magiques trouves dans l'ile de Thasos , Rev. et. gr.
XX- 1907. 364 ff. erklärt das Buchstaben- und Zahlenspiel auf
Heil- und Abwehrzauber. I75
mehreren „magischen" Metalldisken, die im Ausgang des Mittel-
alters angefertigt sind, als eine Nachwirkung der antiken Magie. —
Den Amuletten stehen begrifflich nahe die unverletzlichen Waflfeu,
die Palladien. Vergleichen lassen sich auch besondere Umstände,
durch die Einzelne oder Städte unbezwingbar gemacht werden
können. Daß der Glaube an solchen dämonischen Schutz schon
Homer bekannt war und nur deshalb nicht von ihm hervor-
gehoben wird , weil er dem Zauberwesen überhaupt abgeneigt
ist, wül Paton, Class. Rev. XXVI, 1912, 1 ff. erweisen. Schon
die erste Rüstung des Achilleus soll unverletzlich gewesen sein,
da Patroklos erst getötet wird , als Apollon sie ihm abgestreift
hat und Hektor nur an der Stelle, wo sie eine Lücke hatte,
verwundbar icst. Auch wäre nach Paton Patroklos Sieger ge-
wesen, wenn er nicht gegen Achilleus' Befehl in das Gebiet
des Stadtgottes Apollon eingedi'ungen wäre. — Als Palladion
diente nach Svoronos, Journ. intern, d'antiqu. num. XVI, 1914,
98 ff. Schiffen die azilig auf der nqvfxvrj. Dort wurden auch die
Schutzgötter des Schiffes dargestellt (Val. PI. VIII 203; vgl. den
attischen Heros -/.aia. 7tQtf.tvav, Clem. tvqoxq. II 40, 2, S. 35 Po.),
doch geschah dies mehr auf großen Luxusschiffen ; auf Kriegs- und
Handelsfahrzeugen, für die eine so schwere Belastung störend war,
ersetzte man sie durch die Flaggenstange. Svoronos vergleicht
(102) das ^vXov \eq6v der dodonaiischen Eiche auf der Argo. —
Über Palladien als Blitzableiter s. u. ( Wettersauber). — Daß bisweilen
die Fetische , von denen Heilung erhofft wurde , die Form von
Fingern haben, erklärt sich vielleicht z. T. aus dem alten Glauben
an die Heilkraft der Finger, wofür Weniger, Klio VII, 1907,
173 f. und Weinreich, Antike Heilungswunder 33 f., 4.5, 2 viele
Belege sammeln. — Mehrere Arten des „guten Zaubers" lebten
nur im niederen Aberglauben fort : Krankheiten wurden auf Sühne-
puppen übergeleitet, wofür Scheftelowitz, Arch. f. Relig. XVII,
1914, 192 Beispiele beibringt, Dämonen an bestimmte Orte ge-
bannt, worüber Wünsch, Festschr. d. Schles. Gesellsch. f. Volksk.,
1910, S. 9 ff., und Fr. Pradel, Griech. u. süditalien. Gebete, Be-
schwörungen und Rezepte des Mittelalters, 103 ff". (RV u. V III,
0. 355 ff.) handeln. Bisweilen wurde der Heilzauber nachträglich
seines übernatürlichen Charakters entkleidet und als notwendige
Folge eines natürlichen Vorgangs betrachtet. Dieser Weg, der um
so gangbarer war , als von Anfang an im Heilzauber solche Maß-
regeln bevorzugt waren , die vermeintlich oder auch wirklich die
erhoffte günstige Wirkung zu erzielen geeignet waren , führte zur
17o Heilzaubcr. lleiuiguugen.
Volkstncdiz in , deren Eutwickluug zwar nicht mehr zur Religiona-
geschicbte gehört, aber doch für diese wichtig ist, weil sich in ihr
viele und zwar oft gerade sehr alte religiöse Vorstellungen erhalten
haben. Eine Übersicht über diesen Teil der Heilkunde geben
0. V. Hovorka und A. Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin,
eine Darstellung volksmedizinischer Sitten und Gebräuche , An-
schauungen und Heilfaktoren des Aberglaubens und der Zauber-
medi/in unter Mitwirkung von Fachgelehrten herausgegeben. 2 Bde.
Stuttgart 1908/9. Der erste , alphabetisch geordnete Band sollte
die Lehre von den Ursachen , dem Wesen und der Heilung der
Krankheiten geben \ der zweite, spezielle Teil ist in folgender Weise
geordnet: 1. Innere Medizin, 2. Chirurgie, 3. Geburtshilfe. 4. Kinder-
heilkunde. 5. Hautkrankheiten, 6. Augenkrankheiten, 7. Ohren-
krankheiten, 8. Zahnheükunde, 9. Zaubermedizin. Die griechisch-
i-ömische Volksmedizin , die mit religiösen Vorstellungen vielfach
zusammenhängt und teilweise aus solchen hervorgegangen ist, wird
ausgiebig herangezogen , aber in der ungeheuren Masse der hier
zusammengetragenen Vorstellungen , von denen fast jede einzelne
trotz des großen ümfangs des Werkes nur oberflächlich behandelt
werden konnte, treten diese Beziehungen doch mehr zurück, als
der Religionshistoriker zunächst erwartet. Wäre das Buch sorg-
fältiger gearbeitet oder enthielte es wenigstens genaue Quellen-
angaben, die eine Nachprüfung ermöglichten, so würde es trotzdem
auch für die Geschichte der Mythen und Kulte einem dringenden
Bedürfnis abhelfen. — Über die volksmedizinische Literatur der
Jahre 1909 — 1912 berichtet M. Höfler, Arch. f. Religionswiss.
XVI, 1913, 598 ff. — Viele mit der populären Heilkunde zusammen-
hängende Gebräuche werden gelegentlich, aber mit der bei Fr az er
fast selbstverständlichen Ausführlichkeit in dessen Golden Bough
behandelt, so der Gebrauch des Wermu,ts VII ii, 58 ff.
Ein anderes Gebiet, auf dem sich ßeste des alten Heilzauber.s
erhalten haben, sind die JReinhei tsv orschri ff rn , die sich be-
sonders auf Kleidung, Nahrung und den Geschlechtsvei-kehr be-
ziehen, und die Tteinigungsgehräuche. Von den volks-
tümlichen Gesundheitsregeln unterscheiden sie sich dadurch , daf.)
sie auch später als religiöse Gebote empfunden wurden und gleich
diesen die Neigung haben, sittliche Bedeutung anzunehmen. Aber
durch Götter wird die Reinigung so wenig herbeigeführt wie durch
gottbegnadete Menschen ; vielmehr hat der einzelne die Pflicht und
auch die Kraft, sich durch Befolgung der bestehenden Vorschriften
gegen Verunreinigung zu schützen. Ganz sicher sind diese Unter-
Reinheitsvorschriften: Kleidung, Entblößung. 177
Scheidungen nun freilich besonders in der älteren Periode nicht ;
noch in der Zeit , deren Kultur sich im Mythos spiegelt , werden
Sühnungen von schwererer Verschuldung nicht bloß an Heilig-
tümern , sondern auch mit Hilfe besonderer Sühnegottheiten
vollzogen , die selbst später bisweilen angerufen werden ; und
andererseits haben in ältester Zeit Gebräuche, die später zu ein-
fachen hygienischen Maßnahmen abgeblaßt sind, noch religiöse Be-
deutung. Es müssen daher im folgenden Arbeiten zur Sprache
kommen, die auch früher schon hätten genannt werden können. Es
wird zwar nicht in jedem einzelnen Fall, aber doch im allgemeinen der
geschichtlichen Entwicklung entsprechen, wenn zunächst die äußer-
lichen, auf die Tracht bezüglichen Vorschriften ins Auge gefaßt
werden.
Heckenbach, De nuditate sacra sacrisque vinculis (RV
u. V, IX 3) 1911 behandelt im ersten Kapitel die Enthlößung
(auch die Barfüßigkeit) im Kultus , das zweite geht auf den Aber-
glauben , das dritte auf Reste der antiken Sitte im Christentum
ein. Ebenso ist der zweite Teil gegliedert, der die heiligen Binden
und Knoten und vor allem deren Lösung, auch die Auflösung der
Haare betrifft. Der Wert der Arbeit besteht in der Sammlung des
Stoffes, die Verweisungen sind jedoch nicht immer zuverlässig. —
Vgl. über denselben Gegenstand Oppenheim, Wiener Stud. XXX,
1908, 163 f., der besonders die Zauberei ins Auge faßt, und die durch
Studniczka angeregte Untersuchung von W. R. Müller, Nackt-
heit und Entblößung in der altorientalischen und älteren griechischen
Kunst, Leipzig 1906, S. 79 ff. Im rituellen Gebrauch ist Nacktheit
für Ägypten nicht nachweisbar, wohl aber Nacktheit und Ent-
blößung wenigstens des Mannes für Babylonien (32): in Syrien be-
gegnet Entblößung des Oberkörpers in der Trauer und im Toten-
kult, bei den Israeliten als Demütigung vor Gott auch im Kult (46) :
in der altgriechischen Kultur , von der die sogen, geometrische
Kunst Kunde gibt, entblößen sich Männer und Frauen teilweis im
Totenkult (78, 82 f.) , im attischen Kult der Blütezeit fehlt das
nackte Weib. — Daß die Luperci den Umlauf ursprünglich ganz
nackt veranstalteten, glaubt L. Deubner, Arch. f. Religionsgesch.
Xni, 1910, 491, dem sich W. F. Otto, Philol. LXXII, 1913.
181 anschließt. — Über die eigentümliche Vorstellung, wonach das
Erblicken der Geschlechtsteile eines nahen Verwandten verboten
ist, spricht Dussaud, Rev. bist. rel. LIX, 1909^, 222 f. im An-
schluß an Genes. 9, 22 f. — Vielfach ist über die weitverbreitete
noch jetzt im Islam herrschende Sitte gehandelt worden, beim Be-
Jalirosbericht für Altertumswissenschaft. Rd. 186 (Snpplementband). 12
178 Nacktheit und Bekleidung bei Fluch und Opfer.
treten heiliger Stätten und beim Gottesdienst beide Füße odei-
wenigstens den einen zu entblößen. Bildliche Darstellungen von
Opferern, die nur an einem Fuß Sandalen oder Schuh haben, ver-
zeichnet Katharine Esdaile, Journ. Hell. Stud. XXIX, 1909, 2.
Noch immer gehen die Meinungen über den zugrunde liegenden
Gedanken weit auseinander. Nach Penqiiitt, De Didonis Ver-
gilianae exitu, Königsb. Diss. 1910, S. 53 hoffte man, daß die
magischen Kräfte der Erde leichter in den Barfüßigen eindrängen ;
ähnlich erklärt Weinreich, Hess. Blatt, f. Volksk. X, 1911,
129 f., 212, der u. a. auch an den jiaig acp^ laiiag auf von
K. Esdaile erwähnten Kultdarstellungen erinnert, die Sitte aus
dem Bestreben, einen möglichst innigen Kontakt des Menschen mit
einem irgendwie kraftbegabten Medium herzustellen. Dagegen glauben
Wächter, Reinheitsvorschr. (RV u. V, IX, 1910, 23 ff. und
Heckenbach, De nuditate sacra (ebd. 1X3, 1911) S. 23 ff. daß
man beim Opfer keinen Knoten haben durfte , weil den Bändern,
die den Schuh befestigten , eine die Wirkung des Ritus beein-
trächtigende Elraft zugeschrieben wurde. Daß auch beim Orakel
der eine Fuß entblößt ward, folgert Haus er, Österr. Jahresh.
XVI, 1913, 57 ff. aus dem Asklepios auf dem Omphalos (Relief aus
dem athenischen Asklepieion, ca. 420 v. Chr.) und aus der von
ihm für eine Pythia gehaltenen „Schutzfiehenden" des Palazzo
Barberini. — W. A m e 1 u n g , Diss. della pontific. accad. di arch.
IIix, 1907, 113 ff. leitet die Entblößung des einen Fußes teils aus
dem Bestreben der so dargestellten Menschen her, als Wahnsinnige
Aufsehen zu erregen, teils aber aus dem Kult der Unterirdischen.
Deshalb ist nach Amelung auf den meisten Darstellungen dieser
Art der linke Fuß, der wie die linke Hand als den Unterirdischen
geweiht galt, ohne Sandale. — Zur Entblößung der Füße steht in
merkw^ürdigem Gegensatz die von D i e t e r i c h , Kl. Sehr. 440 ff.
besprochene Bedeckung der Hände, mit denen man sich dem
Heiligen naht. Schon die altpersische Etikette verlangt, daß man
vor den König nur trat, nachdem man die Arme in die langen
Scheinärmel (/.OQUi) der y.dvövg gesteckt hatte (Xenoph. El^. II
1, 8; vgl. KvQ. Ttaid. VIII 3, 10); in hellenistischer Zeit begegnet
Verhüllung der Hände auch im Gottesdienst, wird von einem der
späteren Kaiser, wahrscheinlich Diocletian in die römische Hofsitte
eingeführt und findet sich oft auf mittelalterHchen Denkmälern,
wo z. B. Heilige die Abzeichen ihres Märtyrertums oder andere
heilige Gegenstände in verhüllter Hand tragen. Im Gegensatz zu
Diels, der für die Verhüllung des Körpers oder des Gesichtes beim
Rituelle Nacktheit und Bekleidung. Obszöne Riten. 179
Opfer einen katliartischen Zweck annahm, glaubt D eubn er , Arch.
f. Religionsw. VIII, 1908< Beih. S. 70 ff. , daß es sich, wie man
früher vorausgesetzt hatte , darum handelte , jede Störung fern-
zuhalten.
Zur festlichen Tracht gehört im späteren griechischen Kult
auch der Blumenschmuck , den nicht nur meist die feiernden
Menschen, sondern auch der Festplatz, der Altar und oft die Opfer-
geräte tragen. Obwohl diese Sitte nicht aus alten Reinheitsvor-
schriften erwachsen ist, wii'd sie später doch ähnlich wie diese
behandelt: Unreinheit und Entweihung schließt in der Regel den
Festkranz aus. J. Klein, der in einem Gymnasialprogi-amm zu
Günzburg, Der Kranz bei den alten Griechen, eine religionsgeschicht-
liche Studie auf Grund der Denkmäler, 1912 diese Sitte eingehend
besprochen hat, betont m. R. den religiösen Charakter des Kranzes,
den er z. B. (26 ff.) auch beim Symposion annimmt. Vgl. auch
J. Koechling. De coronarum apud antiquos vi atque usu, RV u.
V, XV 2.
Mit der Entkleidung sind namentlich im Zauber öfters andere
Un anständigheiten verbunden, die daher von Heckenbach,
De nuditate sacra (o. 177) ebenfalls behandelt sind. Daß mit den
Abbildern der Geschlechtsteile die Fruchtbarkeit der Erde gesteigert
werden sollte , trifft zwar in einzelnen Fällen zu , doch geht der
Vf. z. T. zu weit, z. B. wenn er (S. 59) mit Kaibel die Daktyloi
Idaioi hierher zieht. — Hartland, Anthropological Essays pre-
sented to E. B. Tylor in honour of his 75*'^ Birthday 1907, 189 ff.
stellt zahlreiche Zeugnisse für .die sakrale Prostitution zusammen,
die er für einen Pubertätsritus hält. S. 201 wird ein bekannter
römischer Hochzeitsbrauch als symbolische Defloration gedeutet und
mit der im indischen Sivakult geübten wirklichen Defloration ver-
glichen. — Der älteste griechische und wahrscheinlich auch schon
der vorgi^echische Kult enthielt Riten, die dem von L. v. Schröder,
Mysterium und Mimus, Leipz. 1908, S. 161 beschriebenen Zauber
am Sonnenwendfest (Mahävi-ata) entsprechen. Ein zur Keuschheit
verpflichteter Priester (Brahmacärin) vereinigte sich an diesem Tage
mit einer Dirne, wie das Kathakam sagt, zur Erlangung der Geburt
(oder der Zeugungskraft) des Jahres, v. Schröder erinnert an das
Lied Rigveda I 179, das, wie er glaubt, für die Darstellung der
ehelichen Vereinigung des Agastya und seiner Gattin Lopämudra
bestimmt ist. Bestätigt sich diese Auffassung, so ist auch in
Indien dieser obszöne Ritus für die älteste Zeit bezeugt, und
zwar dient er hier dem agrarischen Fruchtbarkeitszauber, wie oft
12*
IgQ Obszönes im Kulte. Keuschheit.
in Griechenland. Als indogermanisch kann dennoch der Zauber, da ihn
die Griechen von den älteren Bewohnern entlehnt zu haben scheinen,
nicht gelten. — Eine ähnliche unanständige Pantomime . die der
■/.aTatßt?o^ mit seiner Gattin auf einem Strohhaufen vor dem Haus
aufführt, ist nach der Besclu'eibung von Dawkins, Journ. Hell.
Stud. XXVI. 1906. 198 noch jetzt an manchen Stellen üblich.
Auch in diesen häßlichen Gebräuchen sind Nachwirkungen uralter
Begehungen zu vermuten, die einst die Fruchtbarkeit der Erde steigern
sollten. — Andere Unanständigkeiten sollten eine abwehrende
Kraft haben , z. B. die Geste , die jetzt namentlich in Italien viel-
fach als „die Feige zeigen" bezeichnet wird, und die auch im
heutigen Griechenland unter dem Namen q>äa>iEXo (B. Schmidt, Neue
Jahrbb. 1913, 584 ff.) in Gebrauch ist; aus ihr erklärt A. B. Cook,
Class. Rev. XXI, 1907, 133 den Ausdruck avy.o(pairt;g. Vgl. o.
(123). — Die abwehrende Kraft des Phallos liegt nach Wundt,
Mj'th. und Rel. I 186 f. darin, daß er als Sitz der seelischen Kraft galt.
— Im Gegensatz zu und doch z. T. in Verbindung mit den un-
anständigen Begehungen wird für andere, bisweilen gleichartige und
demselben Zweck dienende, die Keuschheit der Teilnehmer ver-
langt. Oft muß der vermeintlichen geschlechtlichen Vereinigung
mit dem dämonischen Wesen dauernde oder wenigstens zeitweilige
Enthaltung von irdischem Liebesumgang vorhergehen. — Die aus
diesem Grund oder auch aus anderen geforderte religiöse Absti-
nenz behandelt gründlich Eugen Fehrle, Die kultische Keusch-
heit im Altertum (RV u. V, VI), Gießen 1910. Kultvorschriften,
nach denen Knaben oder Mädchen .(Tra^^tVot bezeichnet auch junge
Frauen, wie F. selbst 163 ff. hervorbebt) einen Dienst zu versehen
hatten, wären besser weggeblieben, und sicher gehören Opfer, welche
jungfräuliche Bräute darbringen , nicht in eine Untersuchung über
Keuschheitsvorschrifteu. Daß die S. 7 angeführten Zeugnisse für
die Begründung der Keuschheit der Pythia nur auf boshaften Aus-
legungen christlicher Schriftsteller beruhen, hebt m. R. N i 1 s s o n ,
Arch. f. Religionsw. XII, 1909, 578 hervor. — Eisele, Neue Jahr-
buch. XXIII, 1909, 625 billigt Frazers Vermutung, daß die Ent-
mamnung der Kj'^belepriester im Frühling ihre geschlechtliche Kraft
in die Natur zur Erzeugung neuer Vegetation pflanzen sollte. Dem
Berichterstatter erscheint es im Gegensatz dazu zweifelhaft, ob die
Selbstverstümmelung der Galloi in die Zeit hinaufreiche , wo die
Göttermutter noch die große Mutter Erde war und ihr Fest noch
als aus einem Ackerbauzauber erwachsen verstanden wurde, ob sie
nicht vielmehr erst im 6. Jh. eingeführt ist , als eine fanatische
Reinheitsvorschriften. 1 g ]
dem Sinnengenuß und der Weltfreude abgeneigte Bichtung sich in
dem größten Teil der Kulturwelt geltend machte.
Als etwas Unreines war jedoch der Geschlechtsverkehr wahrschein-
lich weit früher empfunden worden und deshalb hatten diejenigen,
die sich in den Zustand besonderer lieinheit erheben wollten, ihn
gemieden. — Das Wort, mit dem später vorzugsweise die religiöse
Keuschheit bezeichnet wird, ayveia ^ bedeutet wie Fehrle, Die
kult. Keuschheit im Altertum S. 42 ff. auseinandersetzt, ursprünglich
überhaupt die durch Sühnung und religiöse Reinigung herbeigeführte
Reinheit; auch castus hat (ebd. 206 ff.) ursprünglich eine allge-
meine Bedeutung gehabt. Beide Wörter bezeichnen aber gewöhnlich
einen Grad der Reinheit und die zu dessen Erreichung notwendigen
Maßregeln, insofern sie über das Maß hinausgehen, in dem alle Men-
schen ohne Unterschied und dauernd zu sein streben müssen. Inner-
halb dieser Bedeutung fordert Deubner, Arch. f. Religionsw. 1913,
127 ff. die scharfe Unterscheidung der kaihartischen , d. h. auf
Beseitigung vorhandener Unreinheit und der apotroj)äischen , d. h.
auf Femhaltung künftiger Unreinheit gerichteten Riten ; beide Auf-
fassungen werden aber bisweilen mit derselben Maßregel verbunden
und gehen dann ineinander über. So erklärt sich nach Deubner
a. a. 0. 134 (vgl. den Vortrag auf dem 4. religionsgesch. Kongress,
Acts S. 135) , daß die wesentlich apotropäische Begehung des
lustrum mit einem Wort bezeichnet wird , das ursprünglich ein
Reinigungsmittel, also eine yiccd^agaigi die Beseitigung eines bereits
Unreinen bedeutete , denn lustrum condere heißt eigentlich das
Spülicht , das unrein gewordene Reinigungswasser begraben. Ur-
sprünglich waren beide Maßregeln verbunden ; es hatte sich aber
nur die eine erhalten und zwar gerade die , welche zum Namen
nicht paßte , so daß man sogar die Umwandlung der Felder und
die apotropäischen Suovetaurilia als Lustratio bezeichnen konnte.
Auch Warde Fowler leitet in dem Sammelband Anthropology
and the Class. S. 169 ff. (in der Übersetzung von Hoops, Heidel-
berg 1908, S. 201 ff.) lustrum mit Varro L. L. VI 11 von luere
ab; später erhielt das Wort die Bedeutung „langsam wandern"
(z. B. Verg. Aen. I 608). Daß die lustratio je eine wirklich ethische,
religiöse Bedeutung angenommen habe wie bei den Griechen bis
zu einem gewissen Grade /.dd^aQOig, wird bestritten •, erst die fremden
Religionen haben eigentlich kathartische Begehungen nach Rom
gebracht. — Vgl. über Lustrum auch Fowler, Religious Exper.
Rom. People 209 ff. ; das von Tib. II 1 beschriebene Fest wurde
nach Fowler, Class. Rev. XXII, 1911, 36 im Frühling gefeiert,
182 Keinheitsvorschriften.
ähnlich der Lustratio agri bei Verg. Georg. I 339 flf.; Ov. Fast. I
657 hat das auf die im Januar gefeierten Feriae semeutivae =
Lustratio pagi übertragen. — Über eine besondere Ai't des Lustrum,
das Lustrum missum, das dann vorgenommen wurde, wenn in dem
heiligen Bezirk der Arvalbrüder Bäume beseitigt werden mußten,
geben die neuen Ai-valakten Auskunft ; vgl. Wisso wa, Herm. LH,
1917, 325 f.
Über Vorgänge , die nach griechischer Anschauung Unreinheit
herbeiführen, handelt Th. Wächter in einer von R. Herzog an-
geregten Uutersucbung die teilweise als Tübinger Dissertation,
Naumburg a. S. 1910, vollständig in RV u. V, IX 1, 1910 u. d. T.
„Reinheitsvorschriften im griechischen Kult" erschienen ist. Nach-
dem in der Einleitung zwischen ayrelat^ d. h. den vor oder während
einer Kultbetätigung zu vermeidenden Handlungen und den vom
Vf. nicht mitbehandelten /M^agtuoi, den im Fall eingetretener Ver-
unreinigung erforderlichen Sühnungen unterschieden ist, werden in
§ 1 die für das Betreten gewisser Heiligtümer und für die Dar-
bringung einzelner Opfer gültigen Reinheitsvorschriften , die meist
über das Maß der auch im täglichen Leben zu befolgenden Gebote
hinausgehen, besprochen; § 2 behandelt insbesondere die Reinheit
der Tracht. Es folgen längere Untersuchungen über die Herbei-
führung der Unreinheit durch Geburt (§ 3j, Menstruation (§ 4),
Elrankheiten (§ 5), Tod (§ G) und Mord (§ 7). Femer werden
die Tiere (§ 8), Pflanzen (§ 9) und Metalle (§ 10) aufgeführt,
denen Unreinheit zugesclu-ieben wurde. Den Beschluß bilden die
Zeugnisse für den Ausschluß der Fremden (§ 11). Sklaven (§ 12)
und Frauen (§ 13) von gewissen Opfern. Soweit es innerhalb
dieses Rahmens möglich war, sind, wenn auch natürlich nicht alle
einzelnen Zeugnisse , so doch die wesentlichen Arten der ay-
reiai ziemlich vollständig gesammelt; eine absichtliche Lücke ist
durch die Auslassung der durch geschlechtliche Vereinigung ent-
standenen Unreinheit veranlaßt, für die auf Fehries Arbeit {s. o. S. 181)
verwiesen werden konnte. In der Bewertung der Zeugnisse und
in den aus ihnen gezogenen Folgerungen beweist der Vf. im all-
gemeinen einfaches und nüchternes Urteil; in einzelnen Fällen
wird man anders entscheiden müssen. Weiße Kleidung gehörte nicht
so zum Opfer, wie von Wächter S. 15 und auch sonst vielfach
angenommen wird, die Forderung erstreckt sich auf einen immerhin
ziemlich engen, wenn auch nicht fest zu umschreibenden Kreis und
scheint von gewissen Mysterien ausgegangen zu sein. Einige andere
Ausstellungen macht Stengel. Berl. Phil. Wochenschr. XXXI.
Reinheit. Wollene Gewiinder. 183
1911, S. 1059. — Die Toga practexta will Fowler, Relig.
Exp. Rom. People. 61, 74 und ü. als ein Abzeichen und Erfordernis
der höheren Reinheit erweisen, daher sollen sie Beamte und Kinder
tragen, die als in einem Zustand besonderer Heiligkeit befindlich gedacht
worden seien. Die Beamten hatten nach Fowler sie auch deshalb
als Amtstracht, weil sie im Krieg und Frieden opferten (175). —
Für manche Begehungen war ivollene Geuandung oder
ein Schaffell vorgeschrieben ; hierüber handelt die fleißige , nur in
den Zitaten nicht sorgfältig revidierte Arbeit von Jac. Pley, De
lanae in antiquorum ritibus usu (RV u. V, XI 2) 1911. Das erste
Kapitel erörtert das Jiog y.o'diov, das zweite, wichtigste (25 flf.)
die Riten, aus denen nach Pley zu folgern ist, daß der sakrale
Gebrauch der WoUe aus einer Zeit stammt, in der man die Lein-
wand noch nicht kannte. Von den übrigen Abschnitten bespricht
der dritte (80 ff.) die apotropäische Kraft der Wolle , der vierte
ihre Verwendung im Liebeszauber und in der Volksmedizin. Der
Wert auch dieser Untersuchung liegt natürlich in der Sammlung
der Stellen, und sie entzieht sich deshalb der Wiedergabe ; hervor-
zuheben sind etwa S. 22 f., die Bemerkungen über das Schlagen
des mit Fellen bekleideten „Mamurius" (Lyd. mens. 4. 49 W.), das
als Regenzauber gedeutet wird, 55 über die Schmückung von
Bäumen mit Tainien, 58 ff. über eIqegkjüV}] {= i/.exi^Qia 60), 83 f.
über die Verwendung bei Hochzeit und Begräbnis, 87, 2 und 100 ff-,
über rote Farbe (vgl. dazu K i r c h e r , Die sakrale Bedeutung des
Weins im Altert. RV u. V, IX 2, S. 85). Pley, der auch das
Fortleben der Gebräuche im Christentum ins Auge faßt, hat m. R.
davon abgesehn, zwischen Ziegen- und Schafwolle zu scheiden, wo-
durch nur Zusammengehöriges getrennt wäre ; auch Fell , Binde
und Fäden werden, wie es scheint, im ganzen ungefähr zu gleichem
Zweck verwendet. — Daß rauhhärene Gewänder und Felle wie in
Palästina auch in der „ägäischeu" Kultur Trauerabzeichen waren,
vermutet Paribeni, Mon. ant. RAL, 1908, 23 f. Über die ver-
schiedene Verwendung des Fells im Kult handelt D e u b n e r in
Hastings Encycl. of Relig. unter Fleece. — Wichtig war das Fell
im Mysterien und bei der Eheschließung. Eitrem, Herm. u. die
Toten, Christ. Vidensk. Selsk. Forh. 1909, V 53, der dies hervor-
hebt, leitet die Geschichte von Apemosynes Verführung durch
Hermes (Apollod. III 14) aus einem Hochzeitsritual her. — Das
Netzwerk am Omphalos besteht nach G. Hock, Griech, Weihnachts-
gebräuche, Würzb. 1905, S. 36 aus Tainien, die den Nabelstein als
Grabmal kennzeichnen sollen. „Das eigentliche ayqrivov^' ist übrigens
Ig4 Reinheit und Reinigung.
nach Hock ..lauge nicht so häufig, als mau annimmt'", dargestellt. —
Wenigstens z. T. berührt sich mit den zuletzt genannten Arbeiten
im Stoff die Untersuchung von Scheftelowitz, „Das Schlingen -
und Xetzmotiv in Glauben und Brauch der Völker" (RV u. V, XII, 2,
1912). Der Verf. stellt, ohne sich bei den Einzelheiten lange auf-
zuhalten, die Zuverlässigkeit der Überlieferung zu prüfen und nach
der Möglichkeit eines geschichtlichen Zusammenhangs zu fragen,
zahlreiche Analogien aus aller Welt zusammen, z. B. für die Vor-
stellung, daß die Dämonen mit Netzen jagen , für das Einbinden
von Krankheiten (34), über die abwehrende Kraft der Fäden (38),
über den Lebensfaden. Mit Vorsicht benutzt , können die reich-
haltigen Sammlungen von "Wert werden. — Daß auch Semiten und
Inder den Faden und den Knoten für bedeutsam im Heilzauber
hielten, zeigt R. Campbell Thompson, Semit. Magic (Luzard
Orient. Relig. Ser. III) 1908, S. 162 ff.; 168 ff. — Über die Ver-
w^endung von Fäden im Zauber s. Abt, Apol. des Apul. 74 ==
RV u. V, IV 148. — Ebd. 189 = 263 ist von lintea indutamenta
und lintei socci als zur Wirksamkeit des Zaubers erforderlich die
Rede; vgl. auch 215 f. = 289 f.
Von den xa^a^,«ot, den Sühne- und lieinigungsmaß-
regehi, werden die einfachsten, die Waschungen mit Wasser durch
Goldziher, Arch. f. Religionswisseusch. XIII, 1910, 27 ff. be-
sprochen. — Scheftelowitz ebd. XVII, 1914. 353 führt ein-
leuchtend . aber nicht neu die Taufe , die Sündentilgung durch
Wasser ^ darauf zurück, daß ursprünglich die Sündp als körper-
liche Unreinheit empfunden wurde. — Über die besonders wirk-
same Kraft des Speichels handelt Vollgraff, Mnemos. XLII,
1914, 410 ausführlich. — Vgl. auch 0. v. Hovorka und A. Kron-
feld. Vergleichende Volksmedizin II 399. — Über Ausspeien beim
Anbhck Epileptischer vgl. Ad. Abt, Apol. des Apul. RV u. V, IV 2,
S. 260 f. — Der Glaube an die Kraft des Speichels lebt im heutigen
Griechenland fort, s. B. Schmidt, Neue Jahrb. XXXI, 1913,
591 ff. — Waffen und andere Gegenstände aus Metall, die gegen
Rost geschützt werden sollen, ferner das Getreide werden, wie
Eitrem, Festskr. til Alf Torp 1913, S. 69 ff. auseinandersetzt,
durch Feuer gereinigt. Er deutet in diesem Sinn auch die auf
die Portunalia bezügliche Angabe Varros (Seh. Veron. Verg. Aen.
V 241) claves in focum ad[ditas crejmare institutum , bei der
Wissowa, Relig. u. Kult der Rom. ^112, 3 an hölzerne Schlüssel
gedacht hatte. Auch das Saatgetreide und die Äcker werden nach
Eitrem durch Feuer gesichert. Ebd. 75 ff. ist von der Ent-
Reinheit und Reinigung. 185
stxhnung des Viehs und der ganzen Stadt die Rede. Aus den Ge-
bräuchen des Parihent'estes wird geschlossen , daß eine Feuer-
läuterung bei der Gründung einer neuen Gemeinde üblich war. —
An die Feuerläuterung des Demophon erinnert eine in Hauran
am Fuß des Hermou gefundene Inschrift , in welcher der
Priester eines dem Elagabal ähnlichen Gottes d.rod-eojd^tig iv
[(^ ?JßrjTi heißt; wenigstens deutet Dussaud, Rev. hist. rel.
LVIII, 19092, 309 den sonderbai-en Titel so, daß der Priester zu
seiner Würde gelangt sei par une epreuve subie dans un chaudron. —
Daß der griechische Kult an der Facl'cl festgehalten habe, nach-
dem man im Morgenland längst auch im religiösen Gebrauch zur
Lampe übergegangen war, und daß diese und die Kerze erst in
hellenistischer, vielleicht sogar erst in römischer Zeit im griechisch-
römischen Kult weitere Verwendung fand, will M. Nilßon GGA,
1916, 49 ff. durch eine reichhaltige Stellensammlung erweisen. —
Die modernen Fasten-, Oster-, Johannis- und andere Feuer, die
ausführhch Frazer, Golden Bough VII ^1 106 ff. behandelt, be-
rühren sich z. T. mit antiken Gebräuchen.
Bei einigen anderen Begehungen ist auch in den letzten Jahren
darüber gestritten worden , ob sie als Reinigungen galten. Als
Sühnopfer faßt die PharmaJco i Havers, Indogerm. Forsch.
XXV, 1P09, 388 f., nach dessen Ansicht qaQf.iay.-J^og der „Ge-
schlagene", der „Krüppel" ionisch zu (pagf.ta'/.y.ög und (paQ/nä'/.og,
attisch zu ya^jtmxog wurde , wodurch das Wort mit cpag/uayiog^
„Zauberer" zusammenschmolz. Als Zauberer hätten die cpaQf4a/.ol
nach Havers nicht als Sühuopfer dienen können. Doch ist in ge-
wissem Sinne die Beseitigung des Bösen immer eine Reinigung. —
Vgl. über die Bedeutungen von qxxQfxaxov Abt, Apol. des Apul.
112 = RV u. V, IV 186. — Nach Schwenn, Menschenopfer bei
den Griech. n. Rom. RV u. V, XV 3, 1915, 36 ff. gehörten die
(faQfi.aY.oi zu den Sühuopfern; man wählte Menschen statt der
Tiere , weil man glaubte , daß eine magische Qualität sich am
leichtesten in ein Wesen von gleicher Art übertragen könne. — Als
Boten an die Götter faßt die (pagfiaKoi Lawson, Modern Greek
Folklore and anc. Gr. Religion, Cambridge 1910, 355 ff. — Einen
Fruchtbarkeitszauber erblickt Paton, Rev. arch. IV ix, 1907,
51 ff. in dem Ritus-, er meint, daß die beiden g)aQ(jaxoi — von
denen der eine mit weißen Feigen eine Frau darstellte , die Be-
fruchtung der weiblichen Feigenblüte durch die männliche be-
günstigen sollte. Derselbe Ritus liegt nach Paton auch der Sage
von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies zugrunde. —
186 Reinigungen, Sühnungen.
Wie über die Bedeutung der Schläge auf die Geschlechtsteile der
q-aQuax.oi ist auch über die der Geißelung der spartanischen
Epheben und die der Schläge der römischen Frauen an den Luper-
ealien die Meinung noch nicht geklärt. Beide Gebräuche, auf die
bei der Besprechung des Zeugungszaubers zurückzukommen ist,
rechnet A. van Gennep, Rites de passage 249 mit S. Reinach,
Cultes, mythes, rel. I 173 zu den Kommunionsriten; aber gewöhn-
lich werden sie mit Mannhardt, Wald- u. Feldk. I 251 f.;
Myth. Forsch. 11 3 f. als vermeintliche Mittel betrachtet, die Dä-
monen des Unsegens herauszutreiben; vgl. z. B. Thomsen, Arch.
f. Religionswiss. IX, 1906, 407, dessen Ergebnisse Schnabel,
Kordax, München 1910, 49 und Pfuhl, Arch. f. Religionswiss.
XIV, 1911, 643 erweitern wollen; vgl. auch Deubner, ebd. XIII.
1910, 496 ff. Über Vürtheim, der die spartanische Sitte ganz
anders deutet, ist u. {Kriegsopfer) berichtet, — Nach Fr. S c hwenn .
Die Menschenopfer bei d. Griechen u. Römern RV u. V, XV 3,
1915. 100 sollte das auf den Artemisaltar fließende Blut eine
Kommunion der Spartaner mit der mächtigen, später der Artemis
angeglichenen Orthia herbeiführen. Daß hier je ein Menschenopfer
vorlag, bezweifelt Schwenn, der auch auf die aus Eurip. IT,
1460 zu erschließende Sitte hinweist, einen Mann im Dienste der
Artemis TavQOTiokog am Halse zu verwunden. — Terzaghi.
ebd. XI. 1908- 145 faßt unter Beibringung von ähnlichen Ge-
bräuchen aus neuerer Zeit in gleichem Sinn die Geißelung des
Hellespontos durch Xerxes auf. — Der Riemen, mit dem die Luperci
die Frauen schlugen, wurde nach Deubner. Arch. f. Religions-
wiss. XIII, 1910, 493 ursprünglich nur geschwungen, um die Wölfe
zu vertreiben; nach W. F. Otto, der Philol. LXXII, 1913, 169
die Geschichte von Valeria Luperca bei (Plut.) parall. min. 35 ver-
gleicht, sollte das Böse überhaupt verscheucht werden (181), also
auch die Unfruchtbarkeit der Frauen. Beide Forscher halten es
für eine nachträgliche Erweiterung der mit den Luperealienriten
verbundenen Vorstellungen, daß man eine Heilung der Unfruchtbar-
keit erwartete, da sonst die Frauen nicht bei dem Umlauf, sondern
vorher geschlagen wären. — Allein schon früher hatte der Ägypto-
loge Lefebvre in einem posthumen Aufsatz Rev. hist. rel. LIX,
1909 ^, 73 auf den Kult von Mendes hingewiesen, wo der göttliche
Bock verehrt wurde (diä zo yevvrivr/.ov /joqiov, Diod. I 88. vgl.
vSuid. Midrjv), von dem man sagte, daß er Frauen befruchte (Pind.
fr. 201 bei Str. XVII 1, 19, S. 802; Ail. n. a. VII 19; vgl.
Herod. II 46). — Einen Zusammenhang des Schlages mit der
Reinigungen, Sühnungen. Steinigung. 187
'Lebensrute und des Weihnachts- und Maibaumes vermutet Nilßou.
Arch. f. ßeligionswiss. XIX 111; ebd. 114 ff. wird auch die Rute
des heiligen Nikolas als Lebensrute bezeichnet und als altes Mittel
beim Fruchtbarkeitszauber gedeutet.
Aus einer ursprünglichen Sühne und Reinigung ist nach
Hirzel, Abb. SGW XXVII, 1909, 225 ff. die Strafe der
Steinigung erwachsen. Eine Strafe war sie wenigstens bei
manchen Völkern, z. B. den Juden, Persern und vieUeicht bei den
Makedonern, wogegen Arthur Stanley Pease, Transact. Amer.
Phil. Assoc. XXXVIII, 1907, 5 ff. sie bei Griechen und Römern nur
als Lynchjustiz anerkennt. Ursprünglich gegen unbeliebte Gemeinde -
mitglieder geübt, die zur Flucht veranlaßt werden sollten, entwickelte
sich der Brauch nach Hirzel einerseits zu einer sakral sanktionierten
Tötung, andrerseits zu einer Maßregel, die Übel abwehren sollte ; hier-
gegen wendet Wünsch, Arch. f. Reb'gionswiss. XIV, 1911, 560 ein,
daß die Ausstoßungssteinigung vonAnfang an neben der Todes-
steinigung gestanden oder sich aus ihr entwickelt haben könnte. Früh
wurde der Brauch nach Hirzel ein wesentlicher Bestandteil regel-
mäßig wiederkehrender Feste (vgl. die Ai&oßoXia in Troizen, vieUeicht
auch die hO^irr^ ßaXXr^tvg, deren Zusammenhang mit den Schein-
kämpfen für Demophon [Hom. vi.iv, V 265] Farn eil, Hermath.
XVII, 1913, 9 f. verteidigt, Hirzel S. 25G aber ablehnt). Eben-
falls als rituelle Steinigung erklärt Hirzel die Riten, die er aus
den Legenden des Artemiskultus von Kondylea (Paus. VIII, 23, 6^
und der Aphrodite ^^4vdQoq''6vog (Plut. Iqojt. 21) folgert. In Argos
und Sizilien hat sich die Steinigung ziemlich lange erhalten; in
Athen ist sie als eigentliches Mittel der Strafvollstreckung nach
den Perserkriegen außer Gebrauch gekommen, in aristokratischen
Gemeinden wie Sparta und Rom läßt sie „als politisch oder religiös
anerkannte oder vom Rechtsgefühl energisch geforderte Strafe" sich
nicht nachweisen. Obv\^ohl demnach in Griechenland als Strafmittel
meist ziemlich früh veraltet , ist die Steinigung gelegentlich auch
dort ebenso wie bei Juden und andern Orientalen als Akt der
Volksjustiz vollzogen worden, und die Sprache hat in einem er-
starrten formelhaften Ausdruck die Erinnerung an sie immer fest-
gehalten.
Auf ursprüngliche Reinigungen wird gewöhnlich das noch jetzt
in der Volksmedizin öfters angewendete Durchkriechen eines
Kranken durch ein Loch oder einen Spalt bezogen, für das
Frazer, Golden Bough VIIii 168 ff. (vgl. VII i 283) zahlreiche Bei-
spiele beibringt. Aus der Sage von dem überlebenden Horatius {vgl. o.
1 g«? Ueinigungen und Sühnungen.
jS". 16.1) erschließt er einen Stthnritus, bei dem der zu Reinigende
unter dem heiligen Balken des Sororium tigillum gewissermaßen in
ein neues Leben einging und die Befleckung hinter sich ließ (194).
Ebenso sollte das durch den Triumphbogen ziehende Heer nach
fVazer (195) ursprünglich entsühnt werden. Zu demselben Er-
gebnis gelangen Kahle in einem Zusatz zu v. Domaszewskis
Aufsatz über die Triumphalstraße (v. Domaszewski, Abh. zur
römischen Religion 233) und Otto, Rhein. Mus. LXIV, 1909, 466.
Auch Warde Fowler, Class. Rev. XXVII, 1913, 48 ff. hält jetzt
das Durchgehen unter dem Sororium tigillum und unter dem Joch
sowie das Drängen durch die enge Pforte beim Beginn und Ende
des Krieges für einen Reinigungsakt ; früher hatte er (Class. Rev.
XXIII, 1909, 262) V. Genneps (Rites de passage 28) Deutung für
einfacher gehalten , nach der das Tor die Grenze zwischen dem
Heiligen und dem Profanen bezeichnet. — J. W. Hewitt, Puri-
fication after Justüiable Homicide , Transact. Phil. Assoc. XLI,
1910, 99 ff. will nachweisen, daß nach (fövog a/.ocaiog, abgesehen
von besonders leichten Fällen (z. B. wenn jemand einen Freund
versehentlich in der Absicht getötet hatte , ihm im Kampfe bei-
zustehen), religiöse Reinigung erforderlich war, daß dagegen der
ffovog diy.aiog, insbesondere die Tötung in der Schlacht, in der
Notwehr, die Erschlagung eines Einbrechers oder Tyrannen eine
zolche nur ausnahmsweise, z. B. wenn der Getötete ein Verwandter
war, nach sich zog.
Reinigungsmaßregeln sind viele der Riten ursprünglich ge-
wesen, die A. van Gennep unter dem Titel Les rites de passage,
etude systematique des rites de la porte, du seuil, de Thospitalite,
de l'adoption, de la grossesse et de l'accouchement, de la naissance
de l'enfance , de la puberte , de l'initiation , de l'ordlnation , du
couronnement, des fiancailles et du muriage , des funerailles, des
Saisons, Paris 1909 behandelt hat. Die Ausführlichkeit des Titels
macht eine Inhaltsangabe für die Arbeit, die einen richtigen Grund-
gedanken überspannt, entbehrlich. Über die von Gennep mit-
behandelten Begehungen an der Haustür spricht auch M. B. Ogle,
The house door in Greek and Roman Religion and Folklore, Amer.
.Toum. of PhUol. XXXII 251 ff.
Über die Sitte des y.avoTr^QiaLeiv (Einbrennens) und otLCelv
(Tätowierens) handelt eingehend im Anschluß an die epidaurische
Heilinschrift des Pandaros(JG IV 951, 48 ff-, Dittenberger SIG"
802, 48 ff.j Perdrizet, Arch. f. Religionswissensch. XIV,- 1911,
54 ff. (vgl. Bull. soc. arch. Alexandrie n. s. III, 1910, 72 f.). Wie
Heiligung und Buße. 189
durch Schröpfen, das aber in Griechenland nicht vorkommt, war
es bei den Barbaren nach P. weit verbreitete Sitte, auf der Haut
durch Einbrennen oder Einritzen ein Abzeichen der Gottheit an-
zubringen, der man sich geweiht hatte oder der mau geweiht war.
Im Kult einzelner ursprünglich ausländischer Gottheiten hat sich
der Gebrauch in Griechenland erhalten; so wurden z. B. im Dio-
nysoskult Männern das Efeublatt, Frauen ein Böckchen eingeritzt,
und auch im Dienst der syrischen Gottheiten werden solche Marken
erwähnt. Aber im allgemeinen wai'der Gebrauch in Griechenland
auf Sklaven beschränkt; er hatte auch seine religiöse Bedeutung-
verloren. Im 3. Jh. n. Chr. wurde er, wahrscheinlich von den
syrischen Legionen aus, im römischen Heer als militärisches Zeichen
eingeführt und hat sich dann eine Zeitlaug auch bei den Christen
gehalten. — Vgl. dazu Vollgraff ebd. 4;U.
Je mehr die Religion sich mit moralischen Vorstellungen er-
füllte, um so mehr vergeistigten sich natürlich auch die Reinheits-
vorschriften. Die Maßregeln , die der Versöhnung der Dämonen
dienen sollten, konnten auch als Tiuße aufgefaßt werden, und
schließlich gelangte man zu Anschauungen, die den christlichen
ziemlich nahe stehen und auf diese, wenigstens auf deren niedrigere
Ausdrucksformen mitbestimmend gewirkt haben : mau legte den
Hauptnachdruck auf die innerliche Reinigung, auf das Bewußtsein
und Eingeständnis einer begangenen Sünde. Als eigentliche Ein-
richtung des Gottesdienstes findet sich, wie Steinleitner, Die
Beicht im Zusammenhang mit der sakralen Rechtspflege in der
Antike, Münchener Diss. 1913, zeigt, das Schuldbekenntnis über-
wiegend auf solchen Gebieten, die erst in späterer Zeit hellenisiert
worden sind und die Sitte nicht aus Griechenland, sondern von
Osten her empfangen zu haben scheinen ; die Verstöße , die be-
kannt werden, können zwar auch sittliche sein, betreffen aber doch
gewöhnlich gottesdienstliche Vorschriften (92). Die göttliche Strafe,
deren Aufhören durch die Beichte erkauft wei'den soll, besteht fast
durchgängig in Krankheiten (96). Das Schuldbekenntnis wird vor
dem Priester abgelegt und oft, was zur Stärkung der Kirchen-
zucht beitrug, in einer Inschrift aufgezeichnet. Die Sammlung
dieser meist lydischen und phrygischen, z, T. auch knidischen In-
schriften bildet den Hauptinhalt der Arbeit (7 — 70); dann werden
die spärlichen literarischen Zeugnisse angeführt, die für Samothrake
(Plut. uTiocpi^. AaY.. ^Avx. 1, Ava. 10), den Kult der Kybele (Apul.
Met. VIII 28) und Isis (luven. VI 535) die Einrichtung der
Beichte wahrscheinlich machen und dartun, daß die Sitte auch im
Privataberglauben bestand.
190 Priester und Geweihte.
<>) Priester uud Geweihte.
8. Rein ach, Cultes, mythes, reliij;. III 92 ff. erschließt einen.
Phytalidenpriester Sy kop h aiitcs, der dem Hierophanten der Euinol-
piden entsprach und wie dieser die Aufgabe hatte, solche Elemente,
die den Kultvorschriften nicht entsprachen, auszuschließen, sie ge-
wissermaßen zu denunzieren. Paton, Rev. arch. 1907^ 51 ff.
billigt diese Ableitung; dagegen deutet P. Girard, Rev. et. gr.
1907, 143 ff. avy.o(pdvTrjg als den „im Feigengarten Gesehenen", also
als „Feigendieb". Die Bezeichnung soll Schimpfwort geworden sein
und, weil die so Beschimpften sich rächten, den Sinn „Verleumder"
erhalten haben. Vgl. o. {133). — Viel umstritten war die Bedeutung
der Begriffe zaTO/ot, y.aTexof.tEvoi, '/.atoyti, über welche bereits
früher verschiedene Vermutungen ausgesprochen waren und die
festzustellen die vMzexoiJevoi und toü i^eov der neuen Inschrift
von Priene 195, 29 lockte. Nach Rusch, De Serapide et Iside
in Graecia cultis, Berl. Diss. 1906, 72 sind die xaroxot nicht Be-
sessene, sondern Menschen, die den Gott eifrig verehren, sich in-
folge eines vermeintlichen Befehles dauernd beim Heiligtum auf-
halten und, ohne geradezu professionsmäßige Inkubanten zu sein,
gelegentlich Ti-aumgesichte haben; nach Jalabert, Mel. fac.
Orient. II, 1907, 309 ist durch die genannte Inschrift die Frage
entschieden: die /.äroyoi sind die „von Serapis Besessenen"; aus
dem ägj'ptischen Kult soll die Sitte , diese beim Tempel wohnen
zu lassen , in den Dienst des Zeus von Baitokaike eingedrungen
sein. — Nach Lefebvre, Comptes rend. AIBL 1908, 778 ff. haben
sich die /.aToyoL dauernd , aber freiwillig an den Tempelasylen
niedergelassen. Ähnlich urteilt Reitzenstein, Die hellenistischen
Mysterienreligionen, Leipz., Berl. 1910, S. 73 ff., der aus einer ein-
gehenden Untersuchung der auf das Serapeion von Memphis be-
züglichen Texte unter Vergleichung von Manetho mtOTeX. I 237.
Apul. met. XI 19 ff. und Finn. Mat. err. prof. rel. II 4 f. zu dem
Ergebnis kommt, daß die /MToyoi infolge eines vermeintlichen
Gottesbefehls und in der Hoffnung auf die Zulassung zu den
Weihen sich im Tempelgebiet in Klausur begaben , wo sie zwar
durch Visionen begnadigt wurden , aber in mehr oder minder
strenger Askese oft jähre-, ja selbst lebenslang als diof^LOL lebten
Cvgl. dazu Berl. Phil. Wochenschr. XXXI, 1911, 934). — Daß die
/.atoyri des Seraf)eion8 von Memphis keine Straf-, Schuld- oder
Militärhaft war, glaubt auch Wilcken, Grundz. u. Chrestom. d.
Papyrusk. I 1. 102. 2. 131: Arch. f. Pap}TUsforsch. VI, 1914, 184 ff..
Priester und Geweihte. 191
da die unter ihr Stehenden freie Bewegung im Heiligtum hatten;
eine Tempelhaft gab es in Ägypten zwar auch, aber diese ist von
der xöTO//; verschieden, die das besondere Verhältnis des vom
Gott im Traum Ergriffenen zu Serapis bezeichnet. Alinlich wie
Wilcken urteilen die meisten Agyptologen, z. B. Spiegelberg,
DLZ 1914, 1115 ff., der aber, woran auch schon Kroll und,
namentlich für Priene, Wilcken, Arch. f. Papyrusf. a. a. 0. 212
gedacht hatten, als Ursache der „Gotteshaft" Epilepsie und andere
Krankheiten vermutet, ferner W. Otto, Priester und Tempel I 1 20 ff.
(vgl. I 12 ö'., II 268, 4), der unter ihr den innern Drang versteht,
sich ganz dem Sarapisdienst lu weihen und in dem Heih'gtum zu
wohnen, ohne deshalb als Büßer zu gelten oder das Recht auf be-
liebiges Verlassen desselben zu verlieren. Dagegen ist nach S ethe ,
Sarapis und die sogen, -/mioxoi des Serapis, zwei Probleme der
griech.-ägypt. Religionsgesch., Abh. GGW XIV, 1913, V 20 ff. die
Karoxtj eine wirkliche Haft und zwar „aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht religiöser, vermutlich nicht einmal kultischer Natur" (99),
sondern Schuld- oder Strafhaft. Auch an den von Kroll, CataL
cod. astrol. V 2. 147 gesammelten Stellen soll das Wort die Tempel-
haft bezeichnen , die freilich bisweilen auch wegen gefährlicher
Krankheiten verhängt worden sei. Die Übereinstimmung mit dem
syy.aToyj'^aag zoj y.vQio) ^aQauiöi der smyrnaischen Inschrift CIG
II 3163 und den xaiexo/nevoi vno tov ^sov im Kult der ägyptischen
Götter von Priene muß Sethe natürlich für zufäUig (100) halten,
er sieht in den letzteren wie in den -/.dioxoL xov Olgaviov Jtog
von Baitokaike, die Dittenberger in der Anm. 26 zu OGIS I 262
als „Grundbesitzer" gedeutet hatte, „Angestellte". — Von der
russischen Schrift von W. Ad amow. Über die xarox?^' im Serapis -
tempel, Zeitschr. d. russ. Unterrichtsminist. CCCLIII 261 ff. ver-
mag ich einen Auszug nicht zu geben. —
Über den Apex und Tutulus der Flamines handelt Kathar,
Esdaile, Journ. Rom. Stud. I, 1911, 212; sie glaubt, daß die
Römer diese Kopftracht den Etruskern entlehnten und daß der
„Diomedes"kopf des British Museum (der sogen. Kopf Payne Knight),
ein Meisterwerk der späteren etruskischen Kunst, einen Tutulatus dar-
stelle. — Den ^oxuen p 0 nt i f e X bringt N azari, Riv. fil. cl. XXXVI,
1908, 575 mit ^tof-inTJ „Prozession" in Zusammenhang; dagegen
hält A. Hooten, Rev. d'ethnogr. et de soc. IV 1913 246 an der
Deutung „Brückenmacher" fest und erklärt den Namen aus der
Bedeutung der Brücke für die Bewohner der Terramare, von denen
die alten Römer abstammen sollen. — Über catn Uli und camillae
192 Katochoi. Mysten.
handelt G. Giauiielli, Atti accad. Tor. IIL, 1912/^, 1086 ft'. Der
Zusammenhang mit y.aöfüXog, KaafjV.og wird abf^elehnt, dagegen
zweifelnd der mit yaf.i}p^iog vermutet, so daß puer camillus be-
deutete puer „nuptialis" und die älteste Bezeichnung der vor-
nehmsten Jünglinge war. Als für die Priestertümer die Forderung
patrizischer Geburt abgeschafft wurde , beschränkte sich die Be-
zeichnung auf die Söhne und Gehilfen der flamines, curiones und
fratres arvales, während die im nicht altrömischen Kult verwendeten
Jünglinge nur pueri ingenui, patrimi et matrimi sein mußten.
Eine höhere Heiligkeit erstrebten auch die Mitglieder der vielen
Myster i engemeinden und mancher anderer sich abschließen-
der religiöser Genossenschaften, wie ja das Sektenwesen in der
Regel aus dem Gefülil der Nichtbefriedigung mit dem allgemeinen
Gottesdienst und aus dem Wunsch hervorgeht, sich mit der Gott-
heit in ein besonders nahes Verhältnis zu setzen. Nicht das ein-
zige, aber eines der wichtigsten Güter, das die Geheimkulte ihren
Mitgliedern in Aussicht stellten, war das bessere Los im Jenseits.
Die lange Zeit als gesichert geltende Anschauung, daß das Mysterien-
wesen jünger sei als die Blüte des Epos , muß jetzt aufgegeben
werden. Zwar sind Weihen nachweislich auch später gegründet
worden, aber die Einrichtung als Ganzes reicht wahrscheinlich in
die vorgriechische Zeit zurück. Diese Anschauung liegt jetzt so
nahe, daß sie gleichzeitig und unabhängig von mehreren Forschern
gewonnen und verschiedenartig begründet ist. R. Eisler führt in
einem Vortrag auf dem 3. Intern. Congr. Hist. Relig. in Oxford
aus, daß die Mysterien deshalb geheim gehalten wurden , weil die
einbrechenden Griechen von diesen Begehungen nichts wissen
wollten. J. C. Lawson, Modern Gr. Folklore and ancient Gr.
Rel. 567 f., der mit Ridgeway annimmt, daß die einbrechenden
Achaier die pelasgische Sprache annahmen, nicht umgekehrt, erklärt
die Forderung der griechischen Sprache und die Geheimhaltung der
Weihen daraus, daß die Pelasger sich hier gegen die Achaier ab-
schließen wollten, die sich zu Herren ihres Landes gemacht hatten.
So soll es sich auch erklären, daß in Kreta, wo die Achaier nicht
eindrangen, der Kult öffentlich blieb. Allein Ridgeways Vermutung
über die Sprache der „Pelasger" ist unwahrscheinlich, und wenn
wirklich die Forderung des Griechentums bis in die frühgriechische
Zeit hinaufreicht und den Sinn hatte, den Gebrauch der griechischen
Sprache für die Mysterien vorzuschreiben, so könnte sie eher eine
Polizeiverordnung sein , bestimmt , die Überwachung des Geheim-
knltes zu erleichtem, der leicht von der unterworfenen Bevölkerung
Mysterienriten. 193
zur Organisierung des Widerstandes gegen die Staatsgewalt benutzt
werden konnte. Die Annahme , daß in den ältesten Gekeimkulten
die vorgriechische Bevölkerung ihren alten Kult fortsetzte und sich
aiit aus diesem Grunde so schroff abschloß , daß z. B. in Eleusis
die Veröffentlichung der Mysterien mit dem Tode bedroht war und
daß die Sklaven deshalb zugelassen waren . weil sie einst den
Hauptbestandteil der Mysteriengemeinde bildeten, in welche die
Herrenbevölkerung erst später sich aufnehmen ließ — diese An-
nahme ist wahrscheinlicher als andere Erklärungen des Mysterien-
wesens, die von Gebräuchen heutiger Wilden ausgehen. Schurtz,
Alterski. und Männerbünde 347 ff. , hat auf geheime , vielfach im
Gegensatz sejren die Familienbilduni' stehende Verbindungen von
Männern hingewiesen, die oft auch den Totenkult übernehmen und
besondere Einweihegebräuche ausgebildet haben ; v. G e n n e p ,
E.ites de passages 127 sieht in diesen Initiationsbräuche, die den Ein-
zuweihenden aus der profanen Welt in die heilige übertreten lassen
und ihn mit dieser in unmittelbare und endgültige Verbindung
setzen. Die Gesamtheit dieser Begehungen faßt er unter dem
Namen M3^sterien zusammen, und manches erinnert allerdings an
die griechischen Geheimkulte. Allein dies ergibt sich aus dem allen
diesen Veranstaltungen gemeinsamen Zweck, die Teilnehmer in ein
besonders enges Verhältnis zu einer höheren Welt zu setzen, der
dem Machtwillen und der Eitelkeit schmeichelt und daher auch
ohne inneren oder äußeren Zusammenhang zu ähnlichen Bildungen
führen konnte. Auffällig sind freilich zwei Einzelheiten, die be-
sonders dazu beigetragen haben, die Vergleichung antiker Mysterien-
gebräuche mit modernen Initiationsriten beliebt zu machen. In
mehreren orientalischen und auch griechischen Geheimkulten wm-de
den Teilnehmern vorgespiegelt, daß sie bei der Aufnahme stürben,
aber wieder erweckt würden und, worauf Ramsay, Ann. Biüt.
Seh. Ath. XVIII, 1911/12, 45 ff. den Mj^sterienausdruck ii-ißaievSLv
{s. u. 195} bezieht, ein neues Leben begönnen : eben dies ist aber,
wie Fr az er, Balder the Beautiful (Golden Bough VII) II 225 ff', aus-
einandersetzt, eine in den Einweihungsgebräuchen bei vielen Wilden
herrschende Vorstellung. Wie weit diese auch in Australien, Poly-
nesien und Amerika weit verbreitete Sitte mit der antiken Mysterien-
weihe in begrifflichem oder geschichtlichem Zusammenhang steht,
ist schwer zu entscheiden ; war die Vorstellung der Lebenserneuerung
durch einen Zauberakt einmal gegeben , so konnte sie sich leicht
an den Eintritt in ein neues Verhältnis, namentlich in einen nach
außen abgeschlossenen Bund knüpfen. Es ist aber zweifelhaft, ob
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplcmentband). 13
194 Mysterienriten,
sie in der antiken Welt auf diesem Wege auch entstanden ist.
Sie scheint hier die Vorbedingung für das erstrebte bessere Los
im Jenseits gewesen zu sein : hier sollte der Initiant sich durch
einen fiktiven Tod die Befreiuug von den Folgen des natürlichen
Todes erkaufen. Die alten und die neuen Einweihungsgebräuche
scheinen demnach zwar von derselben uralten Sitte abhängig, schein-
bar den Tod zu erleiden und dann zum Leben zurückzukehren,
aber daß dieser Gebrauch ursprünglich ein Pubertätsritus war, ist
unwahrscheinlich, darf jedenfalls aus den modernen Riten nicht für
die antiken erschlossen werden. .Ähnlich verhält es sich mit der
zweiten Übereinstimmung. Schurtz a. a. 0. macht darauf auf-
merksam , daß sich bei solchen Geheimfesten die Teilnehmer oder
einzelne von ihnen häufig als Tiere verkleiden. In den vom Staate
übernommenen griechischen Mysterien findet sich diese Art der
Vermummung nicht mehr, aber einzelne Spuren weisen darauf hin,
daß sie einst auch hier bestand, und nicht selten, auch in Eleusis,
besonders jedoch in den Mysterien Kleinasiens (Ramsay, Pap.
Brit. Seh. Ath. XVIII, 1911'12, ,53) traten bei den Aufführungen,
die den göttlichen Vorgang darstellten , Menschen , namentlich
Priester als Gottheiten auf. Allein solche Verkleidungen waren im
alten Morgenland und sehr wahrscheinlich ebenso in der ägäischen
Kultur auch innerhalb von Kulten üblich, die sich durch nichts als
Geheimdienste verraten ; desgleichen finden sie sich bei den Natur-
völkern kaum öfter in den „Männerbünden" als sonst. Jedenfalls
tragen die anthropologischen Parallelen zum Verständnis der grie-
chischen Mysterien nichts bei; auch K. H. E. de Jong, Das
antike Mysterienwesen in religionsgeschichtlicher, ethnologischer
und psychologischer Beleuchtung, Leiden 1909, ist von dieser Seite
her der Lösung der von ihm behandelten Probleme nicht näher ge-
kommen; s. Berl. Phil. Wochenschr. XXX, 1910, 883 ff.
Über die Lehren der 0 rphik er ist in andern Teilen
dieser Jahresberichte gehandelt-, hier müssen einige Nachträge
zu ihrer Organisation gegeben werden. Nach Perdrizet, Ann.
de l'Est Uli, 1910, 102 ist die orphische Sekte innerhalb
des ursprünglich agrarischen , thrakischen Dionysoskultes ent-
standen und hat diesen umgestaltet. — Loisy, ßev. bist. litt.
rel. n. s. IV, 1913, 149 ff. hält die Orphiker zwar nicht für eine
organisierte Sekte (154), glaubt vielmehr, daß anfangs Wander-
priester und eine besondere Literatur die Lehre verbreiteten, hält
aber an deren wesentlicher Einheitlichkeit fest; folgert z. B. aus
den Bruchstücken von Eurip. Kgr^ztg, daß sie trotz des aUgemeinen
Mj'sterienriten. — Tanz. Umzug. Wettlauf. 195
Verbotes der Tötung eines Tieres die religiöse Omophag-ie übten.
Ob dies aus dem Dichter für Kreta zu erschließen und dann für
die Orphik zu verallgemeinern sei, scheint mir zweifelhaft. — Die
Mysterien von Antiocheia in Pisidien versucht Ramsay, Ann.
Brit. Seh. Ath. XVIII, 1911/12, 37 ff. mit Benutzung der Baureste
and unter Vergleichung der klarischen und selbst der eleusinischeu
Mysterien aufzuklären. Er spricht u. a. über die in klarischen In-
schriften (Österr. Jahresh. VIII, 1905, 170, 15) überlieferte Formel
uvrj&evzeg EVE(idTEvöav , die er wegen Paul. KoXooa. U 18 für
in Kleinasien weit verbreitet und auch in den Menmysterien von
Antiocheia verwendet hält und die, wie er aus Münzen folgert, die
einen Heros auf ein Schiff losgehend zeigen, sich auf den Eintritt
m ein neues Leben bezog, S. 51 ff. spricht Ramsay über die
Mysterienhochzeit, die er in Kleinasien wiederfindet und die er auf
eine vorgriechische Form der Mysterienweihe zurückführt, sowie
über die damit zusammenhängende attische Hochzeitsformel tcpvyov
T^a-Kov, evQOv a^eivov.
Einen Vortrag aus Mysterienschriften findet Miß Mudie
Cook, Journ. HeU. Stud. III, 1913, 170, T. VIII auf einem Wand-
bild der Villa Item bei Pompeji dargestellt.
7) Tanz, Umzng, Wettlauf.
Zu den Abwehi-maßregeln gegen böse Dämonen und überhaupt
gegen schädliche Einflüsse gehört auch das Umwandeln eines zu
reinigenden oder zu schützenden Ortes, Gegenstandes oder Menschen,
wobei die Vollzieher des Ritus oft Dinge in der Hand tragen, denen
eine reinigende Kraft zugeschrieben wurde, oder sich in rhythmisch
gemessenem, feierlichem Schritt oder im Tanz bewegen.
Über den Waffentanz handelt die Königsberger Dissertation
von Latte, De saltationibus Graecorum armatis, der seinen ur-
sprünglich apotropäischen Charakter u. a. damit begründet, daß er
auch, z. B. in Kypros (Aristot. bei seh. Townl. f' 130, fr. 476 der
akademischen Ausgabe) und in Etrurien (W e e g e , Arch. Jb. XXXI,
1916, 131) bei Leichenspielen angewendet wurde 5 über den Namen
TtVQQi'xi], den der Waffentanz führte, handelt ein Anhang von
Lattes Dissertatioö, in dem hervorgehoben wird, daß die Wörter
auf uixog in älterer Zeit nur im Mutterland und in Euboia, seit
dem V./IV. Jh. auch auf den Inseln häufig sind, dagegen in Klein-
aeien fast ganz fehlen und deshalb wahrscheinlich als dorisch be-
trachtet werden können. Genannt ist die tzvqqix^], wie Latte meint,
13*
196 1'-^^^-
nach der roten TJnifonn (qpo/>'tx<V) der Soldaten. Sie wurde in
der Blütezeit fast nur bei Festen und Paraden aufgefillui; ; daß sie
in der vorgeschichtlichen Periode auch vor dem Ernstkamj)f üblich
war, ist möglich, aber nicht beweisbar. Daß sie einen Kampf nach-
ahmte, hält Latte für unwahrscheinlich. Wir finden sie in Athen
bei den Panatheuäeu. in Eretria im Dienst der Artemis Amarj-'sia,
in Pagai in dem der Artemis ^iwreiga. Die bei den Ainianen und
Magneten (Xenoph. av. VI 1, 7), nach Hesych. auch in Makedonien
übliche Karpaia wurde nach Latte getanzt, damit die Ernte sicher
vor Räubern eingebracht werden könne. Kinesias (Aristoph. Frö.
153) änderte die TivQqiyj] in einen dithjTambosähnlichen Tanz um.
Allmählich artete sie immer mehr zur Spielerei aus , wm-de aber
in Rom grausam wollüstig nach Art der Gladiatorenkämpfe und
gewann auch den verlorenen kriegerischen Charakter wieder. Diese
Dissertation büdet das dritte Kapitel einer vollständigeren Ver-
öffentHchung Lattes, die unter dem Titel De saltationibus Grae-
corum capita quinque (RV u. Y, XIII 3) 1913 erschienen ist.
Hinzugekommen sind Kap. I De auctoribus tibqI oQXtjaeMg (1 ff.),
II de figuris saltationis (17 ff.), IV de civium chorea sacra (64 ff.)
und V de saltatione ecstatica (88 ff.). — Anders als Latte urteilen
über die Entstehung des Tanzes C. Fries, Stud. zur 0d3ssee I,
94 ff., der viele Tanzgebräuche aus alter und neuer Zeit zusammen-
stellt und als Nachalimung des Stementauzes deutet, und A. Rei-
nach, Bull. Musee Mulhouse XXXVII, 1913, 87, der in dem
Schlangentanz der kretischen Tänzerinnen ursprünglich eine Ver-
ehrung der allnährenden und heilenden Erde sieht, aber aus dem
Gorgonenmythos schließt, daß er später als schreckliches Zauber-
mittel aufgefaßt wurde. — Häufig dienen Waffeutänze nach der
Legende dem Schutze von Gotteskindern. Nach Leop. von
Schröder, Mysterium und Mimus, Leipz. 1908, 107 ff., der bei
Besprechung der Marutslieder RV I. 170 f. ausführlich über diese
in Indien nur in wenig Si>uren, dagegen in Griechenland, Italien
und Deutschland vielfach auch später erhaltene Kultsitte zu sprechen
kommt, sollte durch sie teils im Frühjahr der eben geborene Vege-
tationsdämon gegen Feinde geschützt, teüs der Drachenkampf dar-
gestellt werden, in dem nach v. Schröder der Gewitterdämon diißi
den Regen zurückhaltenden Dämonen besiegt. Ahnlich urteütf
E. Fehrle, Badische Heimat, Zs. f. Volksk. usw. I, 1914, 161 ff.; ,
er meint, daß die Waffentänze, die bei den Germanen auf eineK
ursprünghcheren Stufe stehen geblieben sein soUen als bei Griecheil
und Römern , junge Götter , z. B. Sterne , die Sonne , den neuy*!
Tanz. 197
erstehenden Tag, den Frühling gegen die Mächte der Finsternis zu
schinnen bestimmt waren. — Die bekanntesten griechischen Waffen-
tänze sind die aus den Kureten- und Korj-bantenmythcn zu erschließen-
den und bei den Römern die der Salier. Diese tanzten nach L. v o n
Schröder (s. o.) ursprünglich vielleicht um den eben geborenen
Mai'S wie die Kureten um Zeus oder Dionysos , die Korybanten
um Dionysos , den neugeborenen Gott der Vegetation. — Auch
Rene Cirilli, Les pretres danseurs de Rome, etude sur la Cor-
poration sacerdotale des Saliens, preface de M. J. Toutain, Paris
1913, vergleicht die Kuretentänze mit denen der Salier, die er aber
für Nachahmung von Zauberriten einer bei der Einführung der
Bronzekultur in Italien eingewanderten Schmiedezunft hält; s. da-
gegen J e a n m a i r e , Rev. hist. rel. LXIX, 1914, 260,undWissowa,
Berl. philol. Wschr. XXXV, 1915, 10 ff. — Da der salische Schritt
Tripudium heißt, sei auch die Ai'beit von Thom. Fitz hugh, The
sacred tripudium (IJniversity of Virginia, Bull, of the School of
Latin IIIj, Charlottesville, 2. Aufl., 1909 ei'wähnt, aber nur, um
festzustellen, daß sie für die Religionsgeschichte nichts bietet und
nur die früheren Arbeiten des Verfassers über den lateinischen
Rhythmus und Vers fortsetzt. — Über die Waffentänze bei dem
jährhchen Ahnenfest am libyschen Tritonissee vgl. Renet Basset,
Rev. hist. rel. LXI, 1910 ^ 313 ff. — Ein religiöser Tanz mit
Luftsprung ist auf dem von Cook, Class. Rev. XXI, 1907, 170
veröffentlichten sf. Vf. aus dem Kabiiion dai"gestellt •, Cook glaubt,
daß dieser Tanz der von Hippokieides nach Herod. VI 129 an
dritter Stelle ge tanzte sei. — Aus dem Xamen des phrygischen
Tanzes ßQty,iGf.iatcc (Hesych.) vermutet Eisler, Philol. LXVIII,
1909, 126, 27 einen Tanz beilbewehi'ter (zu ßgUig vgl. ßeoex.vq
= 7r6 Aezt'g) Kiu-eten. — Von den übrigen Tänzen hat Schnabel,
Kordax, archäologische Studien ziu* Geschichte des griechischen
Tanzes, München 1910, den Kordax behandelt; in den ihn, wie er
meint, tanzenden Dickbäuchen sieht er (46) mit Preuß Menschen,
die, als segnende Dämonen verkleidet, durch eine mimisch orchesti-
sche Nachahmung des Zeugungsaktes einen Fruchtbarkeitszauber
auszuüben glaubten. S. dagegen Süß, Berl. Phil. Wschr. XXXI,
1911, 211 ff., und A. Körte, DLZ 1910, 2787 ff. Die uyyelLv.ri
OQXV^t^S ^aQoivLog (Hesych.) sollte nach Schnabel 47 die Fruchbar-
keit des Weines befördern.
Dieselbe Bedeutung wie der Tanz hatte, wie bemerkt, die
feierliche Jjmschreitung. A. Hillebrand, Circumambulatio,
Festschr. d. schles. Gesellsch. f. Volksk., 1911, 1 ff. macht nach
198 Umzüge.
Calaiids Vorgang auf die Übereinstimmimg verschiedener Völker,
namentlich der Kelten und der Inder in dem Glauben aufmerksam,
daß man die Umwandlung beim Götteropfer nach rechts , beim
Dämonenopfer nach links vornehmen müsse. Da man die Unter-
scheidung dieser beiden Arten übernatürlicher Wesen nicht in die
proethnische Zeit hinaufrücken darf, empfiehlt es sich, innerhalb
der griechisch-römischen Kultur auf Spuren dieser Sitte zu achten,
die schwerlich mit Hillebrand aus der Richtung des Sonnenlaufes
zu erklären ist. HiUebrand selbst verweist auf Stat. Th. VI 215
Instrantque ex more sinistro orbe rogum, wozu der Scholiast (200)
bemerkt quia nihil dextrum mortuis convenit, und \ergleicht damit
indische, keltische und germanische Vorschriften, —
Den Umwandelungsgebräuchen stehen später die zahlreichen
sonstigen Umzüge nahe, die allerdings z. T. einen anderen Ur-
sprung zu haben scheinen. Viele bei verschiedenen orientalischen
und europäischen Völkern sich findende Prozessionen , die meist
am Neujahrstag gefeiert wurden und die Abwanderung oder Wieder-
kunft des Lichtgottes darstellen sollen, bespricht C.Fries, Stud.
zur Odyssee I, Leipzig 1910, 1 if. Aus der des sakralen Gewandes
entkleideten Legende eines solchen Festes soll der Mythos von
Odysseus', des Sonnengottes, Aufenthalt bei den Phaiaken entstanden
sein. — Erigone heißt nach Nilsson, Eranos, Acta Suecana XV,
1915, 199 '^liJTig, weil der Ritus, aus dessen Legende sie ge-
schöpft ist, in der feierlichen Umwandelung des Weinberges durch
eine nackte menstruierende Frau oder Jungfrau bestand. Umzug
um einen Gegenstand oder einen Menschen, namentlich mehrmals
(gewöhnlich dreimal) wiederholter, schien diesen mit dem, was um
ihn geht, getragen oder gefahren wird, in engste Beziehung zu
setzen. — Hektors Schleifung um Patroklos' Grabmal sollte nach
Seh wenn, Menschenopfer bei den Griechen u. Rom., RV u. V,
XV 3, 1915, 68 den Feind dem Toten weihen; nackt ist die Leiche,
weil Schnüre und Knoten den Zauber hemmen würden.
Die zuletzt erwähnten Umzüge sind wohl noch Sühne- und
Reinigungsmaßregeln gewesen, obwohl sie z. T. anders gedeutet
worden sind. Es gibt jedoch auch Prozessionen , die ein Ereignis
der göttlichen Geschichte darstellen sollen, die aber doch am besten
in diesem Zusammenhang erwähnt werden, weil erstens die Grenz-
linie schwer zu ziehen ist und zweitens auch diese mimetischen
Umzüge mittelbar den Zweck verfolgten, die Gemeinde gegen Schaden
zu schützen. Dazu gehört u. a, die Prozession mit dem Schiffs-
Jcarren. die, wie Frickenhaus, Arch. Jahrb. XXVII, 1912,
Umzug. "Wettlauf. Dramatische Aufführung. 199
61flf. ; XXXII, 1917, 13 ff. zweifelnd aus einer Angabe des Marmor
Parium über die Begründung der Komödie durch Susarion folgert, seit
der ersten Hälfte des 6. Jhs. und zwar an den großen Dionysien in
Athen stattfand, sich auffallend weit verbreitet hat und namentlich
in Italien und Deutschland sogar bis in die neuere Zeit hinein
geübt worden ist. — Die beliebte Ableitung des Wortes Karneval
von carrus navalis bestreitet Giemen, Arch. f. Religionswissensch.
XVII, 1914, 148, der Beispiele für diese Sitte gesammelt hat.
Da statt der feierlichen Umschreitung bisweilen, wie sich bei der
Besprechung der Geburtsriten herausstellen wird , ein eiliges Um-
laufen oder Herumlaufen eintritt, so erhebt sich die Frage, ob nicht
auch der religiöse Wettlauf unter Umstünden als eine Reinigungs-
maßregel zu betrachten und die Schnelligkeit der Bewegung aus
dem Bestreben zu erklären sei, die Wirksamkeit der Maßregel durch
die Energie, mit der sie ausgeführt wurde, zu steigern. Die neuere
Forschung hat diese Möglichkeit wenig ins Auge gefaßt und der-
artige ßiten entweder als Analogiezauber — z. B. zur Beförderung
des Sonnenlaufes, s. R. Eisler, Arch. f. Religionswissensch. XI,
1908, 150 f. — oder geradezu als Nachahmung eines natürlichen
oder göttlichen Vorgangs gedeutet. — F r a z e r , The dying God
(Golden Bough III) 90 f. nimmt eine Vermutung Cooks (Folklore
XV, 1904, 401), auf, daß der Sieger in Olympia den Zeus darstellte,
und meint, daß die in dem von Paus. V 16, 2 erwähnten Wett-
lauf siegreiche Jungfrau als Hera-Selene betrachtet worden sei.
8) Dramatische Aiifführuiigeu.
Daß auch in Griechenland Vorfühi-ungen legendärer Begeben-
heiten stattfanden , bei denen die Gottheiten durch Menschen ver-
treten waren, wird auch derjenige nicht in Abrede steUen, der die
hier angeführten Riten anders erklärt. Um eine Darstellung der
Legende handelt es sich dabei fi-eilich ursprünglich nicht; der
segensreiche Vorgang, die Erzeugung, Geburt, Erweckung oder
Wiederbelebung des heilbringenden Gottes wird erneuert, keines-
wegs aber nachgeahmt, und erst nachdem der Ritus durch eine
Legende erklärt worden ist und diese sich verselbständigt hat,
konnte er als ihre Darstellung gelten. Doch ist dies nicht bloß in
Griechenland an vielen Stellen sehr früh geschehen. L. v. Schröder,
Mysterium und Mimus , Leipzig 1908 erklärt mehrere Lieder des
Bigveda als Texte , die zu solchen Aufführungen oder mimischen
Tänzen gesungen wurden. Nun sind zwar derartige religiöse Auf-
führungen in vedischer Zeit nicht nachweisbar, und deshalb habeu
OQO Dramatische Aufführungen.
angesehene Kenuer des vedischen Kultus wie Winternitz
(Wiener Zeitschr. f. die Kunde des Morgenlandes 1909, 902 ff.)
Schröders Vermutung bekämpft; immerhin ist aber anzuerkennen
daß es für die als Texte für Aufführungen erklärten Lieder in dem
überlieferten Ritual keine Verwendung gibt. Caland, der dies
im Arch. f. Religionswisseusch. XIV, 1911, 499 ff. auseinandersetzt,
bezweifelt m. R., daß die mimischen Tänze iu die urindogennanische
Zeit hinauf reichen. Die Griechen haben sie jedenfalls auf der
Balkanhalbinsel vorgefunden, denn es kann jetzt als sicher be-
ti-achtet werden, daß erstens die Mythen von der Geburt, der Ver-
mählung und dem Grabe des Zeus und anderer Götter großenteils
aus Ijegenden erwachsen sind, die sich aus dem Ritus der Zeugung,
Geburt oder Belebung eines Gottes entwickelt haben, und daß
zweitens diese Begehungen und auch die Geschichten, die in ihnei:)
dargestellt sein sollten, wenigstens in Ki-eta bis in die vorgriechische
Zeit hinaufreichen. Wie die ..ägäische" Kultur sich überhaupt
mannigfach mit der in Vorderasien und Agj^jten während des
zweiten Jahrtausends herrschenden berührt, so finden sich auch
von den religiösen Aufführungen in Agj'pten, wo sogar schon eine
gewisse künstlerische Ausbildung zu beobachten ist (A. Wiede-
mann, Melanges Nicole 561 ff.), und in Babylonien deutliche Spuren.
Im geschichtlichen Griechenland leben derartige Riten in Mysterien
fort, z. B. in Eleusis: die Scheu, mit der solche Gemeinden, die
eigentlich immer als ein FremdköqDer im griechischen Religions-
wesen empfunden sind , sich abschlössen , wird damit zusammen-
hängen, daß die Reste der Urbevölkerung, ehe sie von den Griechen
ganz aufgesogen wurden, eine Zeitlang in der Stille an ihren alten
Gebräuchen festhielten, die sich an solchen Stellen reiner als sonst
erhielten, aber zuletzt entweder auf hörten oder nachträglich wenigstens
äußerlich hellenisiert wnirdeu. Wo eine Abschließung nicht statt-
gefunden hatte, konnten sich aus den alten Aufführungen kunstmäßige
dramatische Darstellungen entwickeln. — Daß das griechische
Schauspiel, das ja auch noch während der Blütezeit seinen gottes-
dienstlichen Ursprung nicht ganz verleugnete, auf eine religiöse Ver-
anstaltung zurückgehen müsse, ist auch die Voraussetzung der zahl-
reichen in der Berichtsperiode erschienenen Untersuchungen über die
Entwicklung des griechischen Theaters. K. Th. Preuß,
Neue Jbb. 190G, 161 ff. hat sie durch mexikanische Parallelen neu
zu stützen versucht ; vgl. dessen Aufsatz über phallische Fruchtbar-
keitsdämonen als Träger des mexikanischen Dramas , Arch. f.
Anthropol. X. F. I 129 ff. Aber darüber, welche Art des Gottes-
Ursprung des Dramas. 201
dienstes Ausgangspunkt des Dramas war, ist Übereinstimmung nicht
erzielt worden und wird wahrscheinlich erst erreicht werden, wenn
die Ansicht aufgegeben ist, daß die Erklärung nur dann befriedigen
könne , wenn sie eine organische Entwicklung erkennen lasse.
A. Dieterich hat in seiner letzten Arbeit (Arch. f. Religions-
wissensch. XI. 1908, 163 ff. = Kl. Sehr. 414 ff.) , anknüpfend an
das neue solonische Bruchstück über Arien als Begründer der
Ti'agödie, das die Angabe des Suidas Idqiiov und mittelbar die des
Aristoteles (jtoirj. 4) über die Entstehung des Trauerspiels aus
dem DithjTambos stützt, die sikyonischen TQayiyioi yoQoi des
Adi'astos als Bockschöre gedeutet, denen ein e^<xqx<^^v als Sprecher
diente. Die als Böcke verkleideten Choi'euten sollen die Geister
der Toten (S. 172) dargestellt und wie diese auf Ybb. um die
emporsteigende Köre oder Pandora herumgetanzt haben; dies soll
die Legende des Anthesterienfestes und besonders der Pithoigia
gewesen sein, bei denen die Toten aus der Unterwelt aufstiegen
and den einziehenden Dionysos begrüßten, dessen carrus navalis
dem Wagen des Thespis entsprechen soll. Zu dem Totenfest ge-
hörte eine Totenklage, die von Chören (Plat. vö/<. XII 3, S. 947 ^)
vorgeti-agen wurde ; daher bildet nach Dieterich der -aof^f^og einen
wesentlichen Teil der giiechischen Tragödie. Aber auch die eleu-
sinischen M3'sterien sollen (183 ff.) für die Tragödie wichtig ge-
wesen sein , da Aischj-los Eleusinier war und es von ihm heißt,
daß er das Schauspielerkleid nach der Amtstracht des Daduchen
und fiierophanten eingerichtet und, worauf vielleicht bereits Aristot.
H^. Nr/.. III 2, S. Ulla, 10 hinweist, die Mysterien profaniert
habe. Diesen letzten, den Zusammenhang der Tragödie mit den
eleusinischen Mysterien betreffenden Teil von Dieterichs Ergeb-
nissen bestreitet Foucart, Compt. rend. AIBL 1912, 135, wo-
gegen Bei och, Griech. Gesch. I^ I, 418 es für wohl möglich
hält, daß die Umwandlung des possenhaften Satj-rspiels in die ernste
Tragödie unter dem Einfluß des eleusinischen Passionsspiels er-
folgte, und auch O.Kern, Eleusinische Beiträge, Universitätsschr.
Halle 1909 sich an Dieterich anschließt. Bald nach diesem trat
0. Crusius, Neue Jbb. XXV, 1910, 81, der schon früher gelegent-
lich ebenso wie Nilsson, Arch. f. Religionswiss. IX, 1906, 286
ähnliche Ansichten angedeutet hatte , mit der Behauptung hervor,
daß die Tragödie in den chthonischen Elementen des attischen
Dionysoskultes wurzele, die am deutlichsten in den agyccLoreQu
Jiovioia^ den Anthesterien, zutage treten. Die Komödie läßt
Crusius zwar ebenfalls aus dem attischen Dionysoskult, aber aus
202 Ursprung des Dramas.
einer anderen Gegend und Schicht stammen. — Allein bald mußte
sich die Überzeugung aufdrängen, daß die einseitige Herleitung der
griechischen Tragödie aus dem Totenkult oder andern chthonischen
Diensten der Unterstützung in der Überlieferung entbehre , z.T.
sogar mit ihr in Widerspruch stehe. Es ist unbeweisbar, daß
die Böcke oder Pferde Toteuseelen darstellten, und unwahrschein-
lich, daß der Dithyrambos ursprünglich ein Klagelied war, was zu
der aristotelischen Angabe von der ?J^ig yeloia übel stimmt.
Schauspieltage sind, wie Nilsson. Neue Jahrb. XIY, 1911, 616ff.
hervorhebt, gerade nicht die Anthesterien , sondern hauptsächlich
die großen Dionysien, und eine Verlegung des Festes ist unwahr-
scheinlich. Außerdem wird an den Chytren nicht dem Dionysos,
sondern dem Hermes geopfert. Was den Krater mit der Phere-
phatta anbetrifft, so ist nach Nilsson die Darstellung zu vereinzelt,
um eine herrschende Yolksvorstellung zu erweisen. Ist dieser letzt-
genannte Einwand und der weitere , daß die Satp-n , wenn sie
Totengeister waren, ihr eigenes Schicksal hätten beklagen müssen,
nicht ganz durchschlagend, so ergibt sich im ganzen doch, daß mit
den von Dieterich aufgewendeten Mitteln der Ursprung der Tragödie
aus dem Heroenkult nicht erweislich ist. Einen anderen Weg
schlägt deshalb Ridgeway, The Origin of Tragedy with special
reference to the Greek Tragedians, Cambridge 1910 ein, um zu
einem ähnlichen Ergebnis vorzudringen. Kühn trennt er die An-
fänge der Tragödie ganz vom Dionysoskult und dem seiner Ansicht
nach aus dem thrakischen Dienst dieses Gottes entstandenen Satyr-
drama; damit kann er sich dem unmöglichen Nachweis entziehen,
daß der Dionj'soskult mit dem Heroenkult ursprünghch zusammen-
hing, und daß die Totengeister als Böcke gedacht wurden, Ridgeway
vermutet einfach, daß die Darsteller die ältere Tracht, ein Ziegen-
fell, anlegten und deshalb „Böcke" genannt wurden; es muß dabei
freihch als Spiel des Zufalls betrachtet werden , daß gerade dem
Dionysos der Bock heüig war. Nur da, wo Dionysos an die Stelle
eines Heros getreten ist, erkennt Ridgewa}' für die Vorläufer der
Tragödie einen Zusammenhang mit dem Dionysoskult an, der im
übrigen erst spät hergestellt sei. Diese Urformen der Tragödie
sucht er aber im Widerspruch mit der antiken Überlieferung nicht
in der Peloponnes , sondern , wie schon in früheren Schriften , in
Attika. Durch diese Umformung ist die Herleitung des attischen
Trauerspiels aus der Totenklage zwar von einzelnen Bedenken ge-
reinigt, aber doch im ganzen nicht wahrscheinlicher gemacht und
auch nicht in bessere Übereinstimmung mit der Überlieferung ge-
Dramatische Aixf f ührungen : Ursprung des Di'amas. 203
bracht worden. Vor allen Dingen ist es auch Ridgeway nicht
gelungen , mimetische Vorführungen für die griechische Leichen-
feier und den Grabeskult nachzuweisen. Die Vermutung, daß die ^-
Liihr] des Dionysostheaters an die Stelle eines alten Grabes getreten
sei, hat er später selbst aufgegeben ; und wenn auf den Torres-
Straßeninseln raimetische Tänze den BeschlulJ der Totenklage bilden,
so ist diese Vergleichung kein rechter Ersatz für das Fehlen eines
ähnlichen Zeugnisses für den griechischen Totenkult. Bei der
römischen Leichenfeier wurde allerdings der Tote bisweilen lebend
vorgeführt, indem jemand in seiner Rolle auftrat (Suet. Vesp. 19),
aber Nilsson, Neue Jbb. XIV, 1910, G36 ff. hebt hervor, daß
diese Bestattungssitte nicht als alt gelten könne. Nach Nilsson
selbst (ebd. 609 ff.) ist die Tragödie , die in Elöutherai entstanden
sein muß , weil sie an den dem Dionysos ^E?.Ei;9^€Qevg geweihten
großen Dionysien zuerst aufgeführt wurde, nicht bloß von der aus
der (paXXocpoQia entstandenen Komödie, sondern auch von dem
ursprünglich peloiionnesischen Satyrdrama, das Pratinas im Anfang
des 5. Jhs. zunächst als selbständiges Drama nach Athen ver-
pflanzte, dem Ursprung nach zu trennen. Die Ti-agödie läßt Nilsson
entstehen aus einer Verschmelzung des Kultdramas von Eleutherai,
bei dem Dionysos Melanaigis getötet und von den in ZiegenfeUe
gekleideten und deshalb rgdyoi genannten Hirten beklagt wurde,
mit den im Heroenkult üblichen Klagechören. Erst später sollen
Tragödie, Satvrdrama und Komödie miteinander ausgeglichen sein. —
Ähnlich wie Nüsson urteilt Farn eil, The Dionysiac and Hero-
Theory of the Origin of Tragedy, Hermath. XVII, 1913, 1 ff. dessen
Darstellung des Dion3-soskultus in den Cults of Gr. Stat. (insbesondere
V 225 ff.) über die Entstehung der Tragödie Eidgewa}' angegriffen
hatte. Farnell findet es unerklärlich, daß die Tragödie ganz in den
Dionysoskult aufgenommen wurde, wenn sie ursprünglich ein Bestand-
teil des Totenkults war , zumal der Bock wohl jenem , aber nicht
diesem angehöre und der Dithj-rambos, in dem ein Rind geopfert
wurde, auf die Entstehung der Tragödie, die ein Bocksopfer voraus-
setze , wohl eingewirkt , sie aber nicht hervorgerufen haben könne.
Die Verkleidung in Böcke ist nach FameU nicht als Beibehaltung
der ältesten Tracht auf dem Theater, sondern nur, wie die aus
dem Namen ccQ/.roi im attischen Dienst der Artemis zu erschließende
in Bärinnen aus einem Götterkult zu erklären. Die von Ridgeway
verglichenen Aufführungen heutiger Wilden werden großenteils
anders als aus dem Totenkult erklärt. Fai'neU entwickelt Useners
Theorie vom Kampf zwischen Sommer und Winter als Erklärung
204 Dramatische Aufführungen: Ursprung des Dramas.
für die Melanthossage im Dienst des Dionysos Melanaigis, von den,
er die Tragödie ableitet. — Schon vorher hatte sich gegen Ridgeway
auch A. W. Pickard- Cambridge, Class, ßev. XXVI, 1912, 52 ff.
erklärt, der, allerdings zweifelnd, den Glauben an chthonische
Fruchtbai-keitsdämonen für den Ausgangspunkt der Tragödie hält.
Ebd. 134 hat Eidgeway seine Aufstellungen gegen Pickard ver-
teidigt und ihren Widerspruch gegen die Überlieferung durch die
Behauptung zu verringern versucht, daß der DithjTambos ursprüng-
lich nicht nur den Dionysos feierte, und daß Aristoteles, als er die
Tragödie vom Dith^-rambos herleitete, gai' nicht an den Dionysischen
dachte. Er beruft sich auf die di-amatischen Aufführungen zu
Ehren des Skephros in Tegea und darauf, daß die Dramen des
ältesten Tragikers Epigenes von Sikyon sich nicht auf Dionysos
bezogen. — Ein anderer Gegner erstand Ridgeway in Murray,
der in einem Exkurs On the Eitual Forms preserved in Greek
Tragedy zu J. Hamsons Themis 3-il ff. aus der Analyse der Teile
einer Tragödie (Agon, Pathos, Angelia, Threnos, Anagnorisis und
Theophauie) , die den Akten eines Jahreszeitkultus entsprechen
sollen, den Nachweis führen will, daß das Drama aus dem Dromenon
eines Jahrzeitgottes hervorgewachsen sei. — Dagegen steht Gilders-
leeve in seiner ausführhchen Besprechung Amer. Journ. Phil.
XXXII, 1911, 210 ff. den Gedanken Eidgeways im wesentHchen
freundlich gegenüber, und auch G. A. Gerhard, Sitzber. Heidel-
berg AW 1915, V S. 50 ff. erklärt die Tragödie als aus der jähr-
lichen Totenklage bocksdämonischer Gottheiten entstanden. — Nach
E. Maaß, Internat. Monatsschr. 1913, 580 ist die Tragödie aus
zwei nicht zusammengehörigen Komponenten, dem dionysischen
Bocksgesang und dem Heroenlied, dem Lied zur Feier eines Toten
entstanden.
In anderen Bahnen als die zuletzt genannten Arbeiten bewegt
sich die Untersuchung von C. Fries, Stud. zur Odyssee I 233,
der, an L. v. Schröders (s. o. 100) Erörterungen anknüpfend (249),
die Entwicklung des indischen Dramas aus dem gi'iechischen be-
streitet (245), jenes vielmehr als eine selbständige Fortbildung der
dialogischen Lieder des Veda betrachtet. Er faßt die Tragödie als
Nachahmung eines himmhschen Vorgangs: wenn mehrere sich zu
diesem Tun vereinigen und den himmlischen Vorgang in irdischem
Gewand vor den Augen des zuschauenden Volkes darstellen, ist
die Geburt der Tragödie vollzogen (ebd. 93).
Mehrere Untersuchungen befassen sich mit der Entstehung der
Tragödie, indem sie von diesem Namen und von dem eigenartigen
Ursprung des Dramas. 205
Widerspruch ausgelin, daß die Satyrn, deren Reigen nach weit ver-
breiteter Ansicht die ältesten tragischen Chöre nachgeahmt haben
sollen, Böcke hießen und als solche noch im 5. Jh. bezeichnet zu
werden scheinen, während die gleichzeitige bildende Kunst sie mit
Pferdeschwänzen darstellt. Lionello Levi, Riv. stör, ant n. 3.
XII, 1908, 201 ff., der sorgfältig die antiken Zeugnisse sammelt,
ineint, daß die Bockschöre entstanden, indem bei einem Bakchos-
fest ein Bock zerrissen wurde . mit dessen Gliedmaßen die Teil-
nehmer sich maskierten. Davon sollen sie Böcke genannt sein.
Suid. '^QLiOi' wird von Levi so übersetzt: Arion soll auch die
Bockschöre (TQayiy.ög TQOTtog) erfunden, d. h. einen als Satyrn oder
Böcke verkleideten Chor aufgestellt und das von ihm gesungone
Lied Dithyrambos genannt haben. — Nach Flic kinger, Class.
Philol. VIII, 1913, 262 ff. wurden in Korinth Dionysosspiele durch
Böcke, üCLTVQOi- aufgefühi't. Als Kleisthenes in Sikyon die alten
Adrastoschöre dem Dionysos gab und einen Bock als Preis aus-
setzte, nannte er sie XQctydjdoi. In Attika traten ähnliche Choreuten
als „Pferde" ^iXi^voi auf, und pferdeartig sind diese athenischen
Choreuten auch später geblieben. Eurip. KvyX. 80 erklärt sich
nach Flickinger daraus , daß sie als Hirten auftreten , bei Aisch.
fr. 207 soll vor rgayog zu ergänzen sein wg: „du wirst klagen wie
ein Bock, der sich den Bart verbrannt hat". Pratinas aber soU
sie nach korinthischem Muster umgeformt , Satj'roi genannt und
ihnen ein Bocksfell gegeben haben. — Fric kenhaus, Arch. Jb.
XXXII, 1917, 11, der im Gegensatz gegen die bisherige
Ansicht den Süen für ursprünglich bocksge staltig oder bocks-
bärtig, dagegen die SatjToi für pferdeartig hält, leitet das
Wort Tragödie von Silenos , dem musikalischen Begleiter des
Chores, her. Die Stellen, die früher für die Bocksgestalt
der Satjnm angeführt wurden, lassen in der Tat eine andere Er-
klärung zu, aber auffallend bleibt schon ihr Zusammentreffen, so-
daß der Widerspruch bisher noch nicht als gelöst gelten kann.
Dagegen scheint sich hinsichtlich der übrigen hier erwähnten Fragen
aus den bisherigen Erörterungen über den Ursprung der Tragödie
doch eine gewisse Übereinstimmung herauszuschälen, nämlich die,
daß sie wirklich aus dem Dithyrambos erwachsen ist (vgl. z. B.
Beloch, Griech. Gesch. I^ 1, 418, v. Wilamo witz , Neue Jbb.
XXIX, 1912, 475). Diese Angabe des Aristoteles zu bezweifeln
liegt in der Tat kein Grund vor, da dieser Ursprung sich keines-
wegs durch die Ähnlichkeit der Kunstform von selbst aufdrängte.
Wer, ohne eine bestimmte Überlieferung zu haben, über die Vor-
206 Ursprung des Dramas.
läufer der Tragödie nachdachte, konnte und mußte weit eher auf
einen anderen Ursprung verfaUeu, z. ß. sie aus den ögioueva von
Mysterien ableiten, au die auch moderne Forscher gedacht haben.
Weil aber vom Dithj'rambos aus sich eine Fortbildung zum Drama
nicht wohl konstruieren läßt, ergibt sich daraus von selbst die
Folgerung, der z. B. v. Wilamo witz , Neue Jbb. XXIX, 1912, 475
Ausdruck gibt, daß die griechische Tragödie durch den Willen einer
starken Persönlichkeit geschaffen wurde. Es muß dies m. E. ein
Künstler und künstlerischer Organisator gewesen sein, der es ver-
stand, die Staatslenker für seine Neuschöpfung zu gewinnen. Wie
Peisistratos den athenischen Diouysoskult schuf, indem er zugleich
die Dienste von Ikaria und Eleutherai nachbildete, so kann er auch
die öffentliche Vorführung tragischer Chöre angeordnet haben.
Weniger als der Ursprung der Tragödie sind die Anfänge der
Komödie in der Berichtsperiode umstritten gewesen. In einem
Vortrag in der Hamburger Philologenversammlung von 1905 (Verhand-
lungen der 48. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner,
Leipz. 1906, S. 63 ff.) ftihi't K. Zacher sie auf ländliche Lustbar-
keiten {/MLioi oder d^iaaoi von y,üiiaXoi, (pevay.£g, xo'(>(Ja/.£g, cpXvay.eg
und andere .,Eigenschaftsdämonen" oder karikierte Verkörperungen
der das Fest aufführenden und in ihm sich selbst burlesk dar-
stellenden Bevölkerung) zurück, bei denen die Bauern sich als
Wald-, Feld- und Hausgeister verkleideten und in dieser Gestalt
sich selbst und die guten Nachbarn verspotteten. — So nahe es
liegt, sich auch die Choreuten der Komödie als in Götter verkleidet
zu denken, so sind doch die namentlich archäologischen Zeugnisse,
die als Bestätigung angeführt werden könnten, ziemHch schwach;
der Krater im Louvre z. B. stellt nach Charlotte Fränkel,
Rhein. Mus. LXVII, 1912, 100 ff., die allerdings die obszöne Zeich-
nung begreiflicherweise nicht ganz verstanden hat, überhaupt nicht
Dämonen, sondern eine peloponnesische Possenszene dar, in der
Sklaven COiuQixog) ein Weinfaß stehlen, dafür aber in den Block
kommen. — Aus dem Kordaxtanz leitet Schnabel, Kordax (ß. o,
197) erstens in Megara die realistische Komödie und zweitens
in Korinth die Travestie der Heldensage her. Aus der megarischen
soll er in die attische Komödie gekommen, wo ihn Aristophanes
einschränkte, aber nicht ausrotten konnte, und dann auch in den
Mimus und Pantomimus übergegangen sein. Aus den undorischen
Namen /.o'pda^, /.aXlaßig^ (xodojv wird (62) erschlossen, daß diese
Tänze der vordorischen Bevölkerung der Peloponnes angehörten
und deshalb in Lakonien besonders von den Heloten getanzt
Kordaxtanz. Vermummung. 207
•
wurden, was Plut. ^ux. 28 aus dem Bestreben erklärt, die Jugend
abzuschrecken; doch fehlt es nicht an Versuchen, den ursprünglich
unanständigen Tanz zu veredeln und auch für Spartiaten geeignet
zu machen. Daß der Kordax wirklich im Dienst der für Olympia
bezeugten Artemis Kordaka (Paus. VI 22, 1) getanzt wurde, ist
eine, wenn von den gewagten Vermutungen des Verfassers über
den Zweck des Tanzes abgesehen wird, nicht unwahrscheinliche
Annahme, und der Überlieferung, daß lydische Genossen des Pelops
ihn aus Lydien mitbrachten, wird doch als Tatsache entnommen
werden können, daß in Lydien dieser Tanz oder ein ihm ähnlicher
üblich war, so daß auch die Vermutung von seinem vorgriechischen
Ursprung einigermaßen gestützt wird. Daß er den Chören der
Komödie verwandt war, wird schon von Athen. XIV 28 630 e
hervorgehoben, und ihn geradezu als deren Ausgangspunkt zu be-
trachten empfiehlt sich deshalb, weil die vorgriechische Artemis
mit einem Gott gepaart war, der bei den Griechen gewöhnlich wie
der Gott der Komödie Dionysos genannt wurde. Damit erklärt
sich, was M. AzraHincks, Le Kordax dans le culte de Dionysos,
Eev. arch. IV, XVII, 191 1\ 1 ff. gegen Schnabel einwendet, daß
bereits ein alter korinthischer Aryballos , wahrscheinlich die älteste
Darstellung, im Kreise des unanständigen Tanzes einen alten Mann
mit PantherfeU zeigt , woraus vielleicht zu folgern ist , daß der
Kordax früh im Dionysoskult gefeiert wurde. — Über den eigen-
tümlichen Aufzug, aus dem nach Diomed. III S. 486 K. die
Bukoliastenagone entstanden, vgl. Vürtheim, Versl. en Meded. Vii,
1916, 387 ff.
Wir haben gesehen, daß die Tänzer beim Zauber und im
Kultus, was ja eben die Entwicklung zu szenischen Darstellungen
begünstigte, sich oft verkleideten, also in fremden Rollen auftraten;
es ist daher angebracht, hier diejenigen Untersuchungen anzuschließen,
die von den griechischen und römischen 3Iashenzüg en handeln.
Daß diese nicht aUe den gleichen Ursprung haben, darf davon nicht
abhalten, sie zusammenzufassen, denn der Zweck wurde oft ver-
gessen, und was sie so lange bestehen und sich erneuern ließ,
war schließlich doch dasselbe, die namentlich bei Jugendlichen,
Menschen sowohl wie Völkern, hervortretende Lust, etwas dar-
zustellen und darstellen zu sehen. In den einfachen Verhältnissen
der Frühzeit, als das Leben wenig differenziert war und historische
Kostüme natürlich ganz fehlten, war die Auswahl der möglichen
Vermummungen gering, sie beschränkte sich im wesentlichen auf
Tiere, deren FeUe umgelegt und deren Bewegungen nachgeahmt
20tS Vermummung.
wurden und. auf das andere Geschlecht, mit dem man die Kleider
tauschte. Über diese beiden Arten von Verkleidungen am Neujahrs-
fest handeln A. Müller, Phüol. LXVIII, 1909, 483 f. und
O. Crusius ebd. 579. Auf der Balkanhalbinsel sind, namentlich
im Norden, iu Thessalien, Bulgarien, an der rumänischen Grenze,
am Schwarzen Meer , Maskeraden übUch , die sich nahe mit
Begehungen im Dionysoskult berühren und zwar schwerlich
aus diesen entstanden und daher, wie Flickinger, Class.
Phüol. VIII, 1913, 262 mit Eecht hervorhebt, für sie. nicht
ohne weiteres vei-wertbar , aber doch gleichen Ursprungs sind
wie sie. Am bekanntesten ist der Karneval von Vizya (Bizye
im Stamme der Asten, nordwestlich von Byzanz) geworden, den
Dawkins, The modern Carnival in Thrace, a Cult of Dionysos,
Journ. Hell. Stud. XXVI, 1906. 191 ff., wie er versichert, meist
nach eigener Anschauung beschreibt. Unter den Gestalten des
Aufzugs sind bemerkenswert: 1. zwei •/.aXöyeQOL^ von denen der
eine mit einem Bogen, der andere mit einem Phallos ausgerüstet
ist; 2. zwei als Mädchen, xo^/tU«, verkleidete Knaben, die vvq^eg
„Bräute"' ; 3. Babo, die Alte mit einem in Lumpen gewickelten
Stück Holz, das ein Kind vorstellen soll; 4. Aar^ißelot und
TKxrtißtXa, Zigeuner, von denen die Frau bisweilen die Babo ver-
tritt; 5. zwei oder drei Polizisten. Vgl. über diese Aufzüge
Nilsson, Philol. Jbb. XXVII, 1911, 077. — Schon früher war man
auf ähnliche Maskeraden in Skyros (Ann. Brit. Seh. of Athens VI,
1899/1900, 135 ff.; Dawkins ebd. XI, 1904/5, 72 ff., der Journ.
Hell. Stud. XXVI, 1906, 205 vermutet, daß dies Fest im 16. Jh.
durch einwandernde Thraker mitgebracht sei) und an andern Orten
aufmerksam geworden. Wie bemerkt, traten bei der Volksbelustigung
von Vizya auch als Mädchen verkleidete Knaben auf, und solche
Vertauschungen des Geschlechtes finden sich auch sonst noch
jetzt vielfach im Volksbrauch der alten Kulturländer, z. B. in Kosti
im nördlichen Trakien, wo auch ein verkleideter Mann ins Wasser
gestoßen wird (Dawkins, Journ. Hell. Stud. XXVI, 1906, 201f.,
der an einen E,egenzauber denkt). Vgl. Kazarow, Arch. f.
Religionswiss. XI, 1908, 407 f. Andere haben diese Begehungen
anders gedeutet. Als Fruchtbarkeitszauber fassen sie z. B. Neu-
stadt, De love Cretico 35 und Giemen, Arch. f. Keligions-
wissensch. X\r[I, 1914, 155 auf; Giemen meint, daß bei diesem
je nach dem Sinn der einzelnen Begehung Männer oder Frauen
nötig waren, für die, wenn sie gerade fehlten, Personen des anderen
Geschlechtes eintraten. Fehrle, Kult. Keuschheit 92 hält für
Vermummung. 209
möglich, daß der Heraklespriester in Kos deshalb weibliche Kleider
trug, weil ein Priester an die Stelle einer Priesterin getreten war
wie in Delphoi eine alte Frau an die Stelle einer jungen (Diod.
XVI 26), s. auch A. B. Cook, Class. Rev. XX, 1906, 376 f.: anders
V. G e n n e p , Rites de passage 245 ; welcher vermutet, daß die Priester
als „Frauen" des Herakles gelten. — Halliday, Ann. Brit. Seh. Ath.
XVI, 1909/10, 212 ff. deutet die Vertauschung der Kleider an den
Hybristika, die er mit den lakonischen und italischen y.oQvd-dXia
vergleicht, und andern Festen als einen „Übergangsritus'' ; er meint,
daß bei dem Eintritt in das heii-atsfähige Alter die Geschlechts-
unterschiede aufgehoben werden sollten , wie bei Gelegenheit die
sonst 80 scharf gezogene Grenze zwischen Herren und Knechten
verwischt wurde. Durch die Umkehrung eines Gewöhnlichen
wollte man nach Halliday den (unglücklichen) Gang der Dinge
umkehren; zugleich aber sollten die Gemeinden durch Hervor-
kehrung der Einigkeit gestärkt werden. — Schnabel, Kordax 47
glaubt, daß die Anlegung von Kleidern des andern Geschlechtes
bei der orchestischen Nachahmung des Geschlechtsaktes üblich
gewesen sei. — Besondere Bedeutung hatte in manchen griechischen
Ländern der Kleidertausch bei der Hochzeitsfeier, den Dümmler,
Kl. Sehr. II 2:-{4 ff. aus der Nachahmung des zweigeschlechtigen
Bildes der Gottheit, dagegen Samt er, Geburt, Hochzeit, Tod,
Leipzig 1911, 90, und Fehrle, Kultische Keuschheit (RVuV VI)
41, 1 aus dem Versuche erklären, die Dämonen zu täuschen, die
beim ersten Beischlaf besonders gefürchtet wurden; diese zweite
Erklärung billigt Kuiper, Rev. et. grecqu. XXV, 1912, 336, der
passend an den Mythos von der Anlegung weiblicher Kleider durch
Hymenaios (Interpol. Serv. Aen. IV, 99; Lact, zu Stat. Th. III
283; vgl. Myth. Vat. I 75; II 210) erinnert. Nach Rader-
macher, Sitzber. WAW CLXXXII, 1916, 38 ff. handelte es sich
bei dieser Sitte oft darum, daß ein als Mann verkleidetes Weib
männliche Kinder erhalten sollte oder (S. 43), daß beide Gatten
die Gestalt des mannweiblichen Fruchtbarkeitsdämons annehmen
wollten, weil (45) die Defloration als gefährlich galt. — Für die An-
legung von Männerkleidern durch die Braut führt H. Blümner,
Griechische Hochzeitsgebr. (Festschr. f. Gerold Meyer von Kr.nau)
S. 2 eine schweizerische Parallele an.
Was die sonstigen Karnevalsgebräuche betrifft, so bestreitet
Giemen, Arch. f. Religionswiss. XVII, 1914, 139 ff. für die
rheinischen, die er als Fruchtbarkeitszauber zu erklären versucht,
den Zusammenhang mit den antiken Bacchanalia, Hilaria, Lupercalia
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplemcntband). 14
210 Karneval. — Opfer.
und Saturoalia; und unmittelbar können sie in der Tat, wie ihr ver-
hältnismäßig spätes Aufkommen beweist, nicht aus einem dieser Feste
hervorgegangen sein. — Die Gebräuche, die sich auf das Verbrennen,
oder Austreiben des Karneval beziehen, bespricht Frazer, Dying
God (Golden Bough III) 220 ff., der (253) vermutet, daß der
personifizierte Karneval oder, wie es an andern Orten heißt, der
Tod oder der Sommer erst spät für den Baum eingetreten sind,
den mau aufpflanzte und neben den eine Puppe oder ein Mensch trat.
9) Opfer und Gebet.
So allgemein in geschichtlicher Zeit die Vorstellung verbreitet
•war, daß die Opfer ein den Göttern geschuldeter Tribut, ein Mittel,
sie den Wünschen der Menschen zugänglich zu machen, oder ein
Dank für gewährte Hilfe seien, so steht doch jetzt fest, daß viele
spätere Opfer aus ganz anderen Erwägungen hervorgegangen sind.
Eine Zeitlang herrschte die zuerst von Liebrecht 1879 aufgestellte,
dann besonders von Robertson Smith vertretene Ansicht vor, daß
manche Speiseopfer ursprünglich Sakramente waren, bei denen man
die Gottheit zu verspeisen und sich mit ihrer Macht zu erfüllen
meinte. Selbstverständlich erhält hier wie überall der unbekannte
und deshalb unbestimmte Begriff „Gott" seinen Inhalt erst durch
den Zusammenhang, hier also durch das, was von ihm ausgesagt wird;
um Gottheiten im Sinn des griechischen Polytheismus kann es sich dabei
nicht handeln, sondern nur um irgendwelche übernatürlichen Kräfte,
die als übertragbare Substanzen gedacht wurden, und deren weitere
Bestimmung von den Vorstellungen abhängt, die man mit dieser
Vermutung über die Entstehung des Speiseopfers verbindet. Es
ist daher nur ein Streit um Worte, wenn Edg. Reuterskiöld
in dem von gediegenen Kenntnissen zeugenden Buch „Die Ent-
stehung der Speisesakramente" (aus dem Schwedischen übersetzt
von H. Sperber, Religionswissensch. Bibliothek IV, 11^12) dies»
Auffassung mit der Begründung bekämpft, daß die auf solche Weise
erklärten Opfer aus einer Zeit stammten, in denen es noch keine
Götter gab. Mit Recht weist Reuterskiöld die Vorstellung zurück,
daß das Speisesakrament aus dem Totemismus erwachsen sei; er
hätte aber weiter gehen und hervorheben können, daß der Totemismus
überhaupt nicht eine so häufig wiederkehrende Stufe des primitiven
Denkens ist, wie eine Zeitlang angenommen wurde. — Gegen
Robertson Smith wendet sich z. T. Ada Thomson, Arch. f.
Religionswiss. XII, 1909, 404. So wenig wie aus dem Geschenk-
opfer soll sich das Speiseopler aus der Verspeisung der Gottheit,
Yerspeisung der Gottheit. — Speiseopfer. 211
der es allerdings näher steht , entwickelt haben, sondern neben
beiden Arten des Opfers soll es schon auf einer niedrigen Stufe
der Kultur eine dritte Art des Opfers gegeben haben, bei der
nicht der Totemgott von der Gemeinde verzehrt wurde, sondern
diese mit ihrem Gott eine Kommunion, einen Bund schloß, indem
sie mit ihm zusammen aß, d. h. ihm diejenigen Stücke tiberließ,
die von den Opfernden nicht sofort verzehrt werden konnten. Aus-
führlich wird 46 G über die Satzung ova EY,cpoQd, d. h. das Verbot,
Opferstücke nach Haus zu nehmen, gehandelt, das sich daraus er-
kläre, daß der geopferte Gegenstand Tabu ist, woraus auch die
Aschenaltäre herzuleiten seien. In der Tat scheint diese An-
schauung weit verbreitet gewesen zu sein ; vielleicht hängt es mit
Ihr zusammen, daß beim Heiligtum des Ba'al und der Tanis bei
Siagu in Afrika Urnen mit den Knochen von Opfertieren ein-
gegraben gefunden sind (Merlin, Le sanctuaire de Baal et de
Tanit pres de Siagu, Notes et documents IV, 1910, 34). Daß schon
früh Stämme sich mit ihren Göttern und auch mit ihren Ahnen
und den Geistern der Unterwelt (.<?, u. Totenhult) durch eine ge-
meinsame Mahlzeit zu verbinden suchten, und daß aus solchen
Mahlzeiten später bisweilen Opfer wurden, ist A. Thomson zu-
zugeben ; andrerseits aber gibt es nicht ganz wenig Fälle, in denen
der Gott in eben dem Stoff wohnend gedacht wurde, der beim
Opfer verzehrt wurde •, und hier kann schwerlich bezweifelt werden,
daß man den Gott oder wenigstens die übernatürliche Kraft, die
später in ihm Gestalt gewonnen hatte, in sich aufzunehmen meinte.
Die Verspeisung der göttlichen Substanz und das gemein-
schaftliche Mahl mit der Gottheit sind aber nicht die einzigen
alten Gebräuche, aus denen nachträglich Opfer, Darbringungen an
die Gottheit, werden konnten. Maßnahmen, die ursprünglich nur
bezweckten, ein für gefährlich erachtetes Ding oder "Wesen zu be-
seitigen oder unschädlich zu machen, konnten, wie dies z. B. von
der Errichtung der Tropaien und der Waffenweihe vermutet wir<l
iß. 0. 161 ; vgl. u. 239 /".), als ein der Gottheit dargebrachtes Ge -
schenk betrachtet werden. — Das Wort Macte in den Gebeten beim
römischen Opfer wird von Warde Fowler, Kel. Exp. Rom.
People 182 ff. auf die Machtvergrößerung bezogen, die der Gott
durch das Opfer erhält. Zwar glaubten die Römer nach Fowler
nicht, daß die Götter die Eingeweide verzehrten, aber doch, daß
ihre Macht, zu helfen, durch die Hinlegung der Lebensorgane auf
den Altar vergrößert werde. Ist dies richtig, so ist auch das
römische Speiseopfer aus Vorstellungen erwachsen, die sich von
14*
212 Menschenopfer.
den später vorherrsclieuden wesentlich unterschieden. Noch deut-
licher tritt die Änderung der Anschauung bei denjenigen Opfern
zutage, von denen der Opferer nichts verzehrte, und zwar ist sie
am klarsten bei der schwersten dieser Darbringungen, dem Maischen-
opfer, zu erkennen, das hauptsächlich eben aus diesem Grunde
von den andern antilien Opfern sich so untex'scheidet , daß immer
wieder versucht wird, es den Griechen und Römern abzusprechen
oder wenigstens seine Darbringung auf die ältesten Zeiten und auf
einzelne Ausnahmefälle einzuschränken. A. Lang, Folklore XXI,
1910, 137 ff. bezweifelt sogar fiu- die mythische Zeit Griechenlands
und Italiens die Menschenopfer, er bestreitet wenigstens, daß die
Sagen, die von solchen erzählen, wirkliche Erinnerungen festhalten.
Der Mythos von Phrixos und Helle z. B. wird, wie es Lang schon
früher versucht hatte, auf einen Märchentypus zurückgeführt, in
dem ein Geschwisterpaar mit einem Tiere entweicht, um nicht ge-
fressen zu werden. — Für das geschichtliche ßom bestreitet J. G.
Reid, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 34 ff. die Menschenopfer; die
Eingrabung des Griechen- und Gallierpaares auf dem Forum Boarium
braucht nicht, wie Plut Marc. 3 zu sagen scheint, bis in die Kaiser-
zeit fortgedauert zu haben, vielmehr kann ein Ersatz durch Puppen
eingetreten sein; die Schlachtung an den arae Perusinae, die der
beiden Männer im Jahre 4(5 v. Chr., von denen Cassius Dion XLIII 24
sagt iv TQOj-rii) xivl leQOVQylag toqjdyt^aav, und die Einmauerung
der schuldigen Vestalinneu sind nach Reid nicht als Opfer zu
fassen, bei Plin. n. h. XXVIII 13 ist zu lesen etiam nostra [civi]tas
(für aetasj vidit. — Die Beschmierung zweier Jünglinge mit Blut,
die an den Luperealien vorgenommen wurde, erklärt S. Reinach,
Rev. arch. IV. s. XXII, 1913 ^^ 87 ff. ebenso wie die ähnliche
von Eurip. '£(pLy. Tavg. 1458 ff. erwähnte brauronische und die
von Mala III 2 als Ersatz für ein Menschenopfer bezeichnete
gallische Sitte nicht, wie in neuerer Zeit z. B. Samter, Geb.,
Hochz. u. Tod 184 ff. in diesem Sinne, sondern als einen Initiations-
ritus, der das Band zwischen den Gläubigen und der Gottheit er-
neuem sollte. Deubner, Arch. f. Religionswiss. XIII, 1910,
498 ff. hält die Sitte an den Luperealien für jung ; nach W. F.
Otto, Phil. LXXII, 1913, 187 ist sie zwar alt, es liegt aber ein
Reinigungsritual vor : man stellte die Menschen so dar, daß die
Gefahr sichtbar wird, mit einer entsetzlichen Stirnwunde. Aber
dieser schreckliche Anblick muß gleich im nächsten Moment wieder
verschwinden. Auch Fowler, Rel. Exper. Rom. People 107 be-
streitet rürnische Menschenopfer für die Blütezeit ; erst das Amphi-
Menschenopfer. — Dankopfer. 213
theater soll den religiösen Mord (wieder) eingeführt haben. Die
auch von Wissowa gebilligte Annahme, daß die Argeerversenkung
ein altes Menschenopfer erset;^te, wird ebd. :]21 f. bestritten. Da-
gegen erschließt Samter, Arch. f. Religionswiss. X, 1907, 324
mit Diels alte Menschenopfer nicht nur aus dem Argeeropfer und
aus der erwähnten Bestreichung der Jünglinge mit dem blutigen
Opfermesser, sondern auch aus den 12 Tafeln, die den Erntedieb
Cereri necai-i iubebant (Plin. n. h. XVIII 12), dem Devotionsritus
und den Wollpuppen, die an den Conipitalien als Gabe für die
Laren aufgehängt wurden. — Eigenartig erklären Gau ekler,
Comptes rendus AIBL 1908, 529, 1910, 389 f., und Dussaud,
Eev. hist. rel. LVIII, 1908", 308 die Schädelfunde bei dem
Heiligtum der sj-rischen Götter am laniculum. Die Opferung, meint
Dussaud , macht den Geopferten zum Gott , und dieser wird an
die Stelle gebannt, wo die Leiche oder ihr Schädel bestattet wird.
Ist diese Bedeutung des Menschenopfers, das auch sonst im Kult
der syrischen Gottheiten vorgekommen zu sein scheint, richtig, so
liegt es nahe, auch die Bauopfer auf solche Vorstellungen zurück-
zuführen. Vgl. u. {eschfttolofjische Vorsfellmir/en). Kretschmer,
Glotta I, 1909, 301 faßt die Sage von der Erschlagung des Remus,
wie sie Prep. III 9, 50 und Tib. II 5, 23 f. erzählen, als das
aiTiov eines Bauopfers. Die Sitte, die Sicherheit eines Gebäudes
bei seiner Errichtung durch ein Opfer oder eine andere religiöse
Handlung zu verbürgen, war nicht nur in Europa weit verbreitet.
Daß auch in Assyrien Beschwörungen bei Neubauten üblich waren,
zeigt das Verzeichnis Zs. f. Assyriol. XXX, 1915, S. 207, Z. 2.
Wahrscheinlich hat sich die Sitte mit der Baukunst früh von einem
Zentrum aus weit verbreitet; daß statt des Menschen- meist Tier-
opfer oder andere religiöse Zeremonien erwähnt werden, kann ein
nachträglicher Ersatz sein. — Ausführlicher sind die Menschen-
opfer in neuerer Zeit behandelt worden von dem Anthropologen
Westermark, Orig. and Developm. of the Moral Ideas I 434 ff.
und besonders von Friedrich Seh wenn. Die Menschenopfer
bei den Griechen und Römern, RVuV XV 3, 1915. — Über die
thrakischen Menschenopfer vgl. Kazarow, Klio XII, 1912, 361.
Die Arbeiten, die sich auf die übrigen Opfersubstanzen beziehen,
sind o. bei den Attributen (119 ff.) besprochen.
Die Entstehung der Barihopf er will J. W. Hewitt,
Transact. Amer. Phü. Assoc. XLIII, 1912, 95 ff.; XLV, 1914,
77 ff. erklären. Er hält, wie dies jetzt üblich ist, die magischen
Opfer, bei denen die Gottheit gezwungen wird, dem Opfernden zu
214 Gebet. — Weissagung.
helfen, der Art uacli für älter als die Gelübde-, Bitt- und Sühn-
opfer, und diese drei für älter als die Dankopfer, die hervor-
gegangen seien 1. aus der Einlösung eines Gelübdes, 2. aus einem
Sühnopfer, 3. aus einem Mahl, das zur Feier eines Erfolges oder
eines fröhlichen Ereignisses abgehalten wurde.
Mit dem Opfer ist gewöhnlich ein Gehet verbunden, das
aber natürhch oft auch ohne Opfer ausgesprochen wird. Wie
Sudhaus in der Abhandlung „Lautes und leises Beten", Arch.
f. ßeligionswissensch. IX, 1906, 185 if. zeigt, wird die Bitte
gewöhnlich laut an die Götter gerichtet , sofern nicht Scham
das Gebet zum Flüstern müdert. Im Zauber ist dagegen leise
Stimme nach Sudhaus, der bei Prop. Y 1, 101 schreibt lunonis
[tjacite (für facite) votum impetrabile dixi, immer üblich ge-
blieben. Fortgesetzt ist die Untersuchung z. T. mit dem von
Sudhaus selbst nachträglich gesammelten Material von dessen
Schüler H. Schmidt in dem Supplementum zu der Abhandlung
Veteres philosophi quomodo iudicaverint de precibus, ßVuV IV 1,
1907, 55 ff., der S. 66 darauf hinweist, daß im späteren Altertum
bisweilen, zuerst bei Apollonios von Tj-ana, aus demselben Grund
leise gebetet wird wie bei den Christen. Vgl. über diese ganze
Frage auch Ad. Abt, Die Apol. des Apul. (RVuV IV 2, 1908),
286 f., der viele Zeugnisse dafür beibringt, daß auch im Morgenland
beim Zauber leises Beten üblich war. — Aias' gleich widerrufene
Aufforderung an die Griechen, leise zu beten (H 195) erklärt
Heden, Homerische Götterstud.. Upsala 1912, aus der alten, zur
Zeit des Dichters innerhch bereits überwundenen Auffassung, daß
der Feind einem Gebete, namentlich , wenn er seinen Wortlaut
kenne, entgegenwirken könne. — Über das Knien beim Gebet vgl.
Walter, Österr. Jahresh. XIII, 1910, Beibl. 229 ff., und Wein -
reich, Arch. f. Religionswiss. XIV, 1914, 527 ff.
10) Weissagung.
Für die Lehunomantie, deren „psychoanalytische" Grund-
lage H. Silberer, Zentralbl. f. Psychoanalyse II, 1912, 383 ff.
experimentell festzustellen versucht, gibt der von Fr. Boll, Arch.
f. Ee'ligionswiss. XII, 1909, 149 ff. erklärte Text aus Catal. cod.
astrol. IV 132 eine Zauberanweisung; der N. des hier auftretenden
Dämons Semiramel wird als „Schauerdämon" gedeutet. — Abt,
Die Apol. des Apul. 171 (= RVuV IV 245) bespricht im An-
schluß an C. 42 des von ihm behandelten Werkes eme derartige
magische Handlung, bei der ein Knabe gewissermaßen als Medium
Weissagung. 215
dieut. Miss Mudie Cooke, Journ. Roman. Stud. III, 1913, 170
erkennt eine Darstellung dieser Art der Zukunftsbefragung in einem
der Mysterienbilder der Villa Item bei Pompei, indem sie zweifelnd
die Nachbildung eines Werkes aus dem smyrnaiischen Heiligtum
des Dionysos Bgi^aiog vermutet. Hier soll ein öatyr aus einer
Schüssel die Zukunft erforschen. Die Verfasserin vergleicht die
Öpiegelorakel, die Befragung der Ge in Patrai bei Paus. VII 21, 12
und die Weissagung der Themis auf dem Berliner Aigeusvasenbild
(Furtwängler-Reichhold T 140), das freilich gewöhnlich auf ein
Würfelorakel bezogen wird. Hat die Verfasserin recht, so ergibt
sich eine Bestätigung für die ohnehin naheliegende Vermutung, daß
die Lekanomantie ursprünglich dem Kultus angehörte und erst
nachträglich in den niederen Aberglauben hinabgeglitten ist. Das-
selbe Schicksal hatten wahrscheinlich auch andere Formen der
späteren privaten Schicksalbefragung , z. B. die Axinomantie, die
Cook, Transact. 3. Internat. Congr. Hist. Rel. 1908. II 185 mit
der Verehrung des Beils in Verbindung bringt, die Weissagung
mit Hilfe eines Schädels (Abt, a. a. 0. 142= RVuV IV 216 f.)
und die Lychnomantie (Abt a. a. 0. 161 ff. = 235 ff.). — Deut-
licher als bei diesen Arten der Orakelbefragung läßt sich die Ab-
hängigkeit von dem Bestehen eines bei'ufsmäßigen Propheten-
standes bei der Sterndeutung verfolgen. In der babylonischen
Kultur wurde ihr Zusammenhang mit der Religion durch die Be-
deutung aufrechterhalten, welche die Sterne für den Kultus hatten ;
auch bei den Phoinikern hatten die astralen Sj-mbole (Mond-
sichel, Sonnendiskus oder Rosette und Stern; Köpfe mit darüber
angebrachtem Sonnendiskus oder Mondsichel), die sie in ihre
afrikanischen Kolonien übertrugen, religiöse Bedeutung. An Toutain,
der dies Rev. et. anc. XIII, 1911, 379 f. ausführt, schließt sich
Cumont ebd. 379 f. an, der auf die merkwürdige Dauerhaftigkeit
dieser sich schon im 14. Jh. in Assyrien findenden Symbole hin-
weist und die zwei Löwen, die sich bisweilen im oberen Teil
solcher Denkmäler finden, als eine Darstellung der himmlischen
Feuer faßt, welche die Seele des Toten — es handelt sich meist
um Grabsteine — bei ihrem Aufstieg zu den Sternen durchfliegen
muß. Hiermit ist ein zweiter Punkt berührt, in dem Astrologie
und Rehgion zusammenstoßen; in dem Abschnitt über die Vor-
stellungen vom Leben nach dem Tode wird darüber mehr zu sagen,
•sein. Übereinstimmungen zwischen dem Kult und dem Sternen-
glauben bestehen darin, daß zunächst in dem Heimatgebiet dieses,
dann auch in andern Ländern das Neujahrsfest religiöse, später aber
21 6 Astrologie.
astrologische Bedeutung hatte (Nilß o n , Arch. f. Religionswiss. XIX,
1916, 69 f., z. T. nach Bell, Aus d. Offenbar. Joh. 9, und Pauly-
Wissowa, R.-E. VII 2572) und daß die assyrischen Astrologen
die Sterne mit Gottesnamen bezeichnen, z. B. den Planeten Venus
stets als Istar (Jastrow, Zs. f. Assyr. XIII, 1908, 155 ff.). In
Griechenland und Italien ist diese Bezeichnungsweise nicht ur-
sprünglich, erst im 4. Jh. werden sie, wie Cumont, Neue
Jahrbb. XXVII, 1911, 2 im Anschluß an Röscher und Boll
ML III 2518 ff. darlegt, für die Planeten im Sprachgebrauch üblich;
eine gewisse Beziehung zwischen Stern und Gottheit war freilich
schon früher möglich und läßt sich z. B. für den der Aphrodite
aus seiner Bedeutung im Kult und in den Mythen dieser Göttin,
ebenso für die Beziehung des Stiers zu Dionysos , dem aaxgojv
XOgayog (vgl. darüber Eisler, Philol. LXVIII, 1909, 142), erschließen.
Auch die Römer haben, wie Gundel, De stellarum appellatione
et religione Romana, RVuV III 2, 1907, zeigt, Sterne ursprünglich
nicht nach Göttern genannt; aber sie haben später die griechischen
Benennungen durch entsprechende römische ersetzt, also auch hier
eine allerdings nur äußerliche Verbindung zwischen Religion und
Stemglauben hergestellt. — Ausführlich behandelt das Verhältnis
der Astrologie zum Gottesdienst Fr. Cumont in Vorlesungen, die
er auf Veranlassung einer religionswissenschaftlichen amerikanischen
Gesellschaft in verschiedenen Städten Amerikas gehalten und unter
dem Titel Astrology and Religion among the Greeks and Romans
("New York und London 1912) veröffentlicht hat. Von seinem
vorher in Oxford gehaltenen Vortrag Sur Tinfluence rehgieuse
de Tastrologie dans le monde antique war in den Transactions
3 Intern. Congr. Hist. ofRel. 1908, II 197 nur ein kurzer Auszug
erschienen. — Durch das spätere Altertum ist eine aus dem
Orient stammende Verquickung der Astrologie mit dem Mystizismus
zu verfolgen, über die Cumont, Bull. ac. Beige, Cl. des lettres
1909, 256 ff. handelt. Die Seele des Menschen ist nach dieser
Vorstellung als göttlicher Funke vom Himmel gefallen, kann sich
aber in der Ekstase wieder zu den Sternen erheben, deren Herrlich-
keit aus der Nähe schauen und von ihnen das Schicksal erfahren. —
Eine völlige Lösung der Astrologie vom Götterglauben war möglich,
wenn man die Frage, ob die Gestirne die Geschicke schaffen oder
nur vorausverkünden, klar im zweiten Sinn beantwortete. Die ver-
schiedenen Lösungen, die dies Problem im Altertum gefunden hat,
stellt ein Schüler von Fr. Boll, Erw. Pfeiffer (Stud. zum
antik. Stemglauben, Leipzig-Berlin 1916), mit. dem Volksglauben
Astrologie. 217
beginnend , bis auf Plotin dar , wobei er freilich auch nach der
Antwort solcher Schriftsteller forscht , die sich die Frage gar
nicht vorgelegt hatten.
Wichtig und viel umstritten ist die Frage, wann die Astrologie
aus den Euphratländern, deren Astrologie Fr. Xaver Kugler
(Sternkunde u. Sterndienst in Babylonien) darstellt, nach Europa
verpflanzt wurde. Sicher hat Theophrast die Theorie der Chaldäer
gekannt, wie Cumont, Neue Jahrbb. XXVII, 1911, 5 ff . zeigt;
aber recht populär soll sie, wie er schon 1908 auf dem inter-
nationalen religionsgeschichtlichen Kongreß ausführte, erst durch
Poseidonios geworden sein, den er — ich glaube nicht mit Recht —
mit Diels für Manilius' Quelle hält. Aber Cumont selbst weist
auf die freilich angezweifelten Berichte hin, die dem Meten eine
Vorahnung der sizilischen Katastrophe bereits bei der Abfahrt <ler
Flotte zuschreiben (Ail. v. h. XIII 12; vgl. ' Plut. Alk. 17;
Nik. 13 f.), aus denen hervorzugehen scheint, daß schon er sich
nicht nur mit Astronomie, sondei-n auch mit Astrologie befaßte.
Daß diese damals noch unbekannt war, kann aus dem Fehlen von
Zeugnissen nicht mit Sicherheit gefolgert werden. Wir kennen
7Avar einigermaßen die höheren geistigen Bestrebungen der Blüte-
zeit und andrerseits auch die Anschauungen des ungebildeten
Volkes; aber gerade die Denkweise derjenigen Kreise, in denen
die Sterndeutung geblüht haben könnte, tritt erst verhältnismäßig
spät im erhaltenen Schrifttum hervor, nachdem diejenigen Kräfte
sich abgenutzt hatten, die vorher das Emporkommen dieses halb
wissenschaftlichen Aberglaubens verhinderten. Vielleicht ist daher
auch hier der Hellenismus nicht so schöpferisch, wie jetzt meist
angenommen wird, läßt vielmehr nur einen längst vorhandenen
Zweig niederen Geisteslebens zur Entwicklung kommen. Bestimmter
ließe sich urteilen, wenn Thulin, Götter des Mai't. Capeila 78 ff.
mit Recht die Behauptung von Bouche-Leclercq zu stützen
versuchte , daß die etruskische Lehre seit alter Zeit viel der
Astrologie verdankt, z. B. (80) die Verteilung der Götter auf die
verschiedenen Wohnungen und Gegenden des Himmels. Anders
als durch Vermittlung von Griechen könnte doch die Lehre kaum
nach Italien gelangt sein. Im Grunde beruht ja auch Hesiods
Lehre von den Tagen auf der gleichen Voraussetzung wie die
Sterndeutung, nämlich der Annahme eines Einflusses der Himmels-
körper auf die irdischen Vorgänge; auch Homer betont die Wirkung
eines Sternes, und unmöglich ist es nicht, daß hier die spärlichen
Reste von Vorstellungsreihen erhalten sind, die ganz aufzunehmen
218 Astrologie.
damals die Gebildeten sich sträubten und die große Menge der
Uuirebildeten nicht imstande war.
Eine astrologische Inschrift aus Sinope erklärt Fr. Boll,
Arch. f. Eeligionswiss. XIII, 1910, 475 fF. Ein gewisser Theseus
hat sie den sieben Glück bringenden Gestirnen seines Horoskops,
Themis (Jungfrau), Helios , Selene , Hermes , Wassermann und
Sirius gesetzt, deren Bezeichnungen akrostichisch seinen Namen
ergaben. — Seine Untersuchungen über die Astrologie im römischen
Gallien setzt H. de la Ville de Mirmont, Rev. et. anc. VIII,
1906, 128 ff., IX, 1907, 69 ff.; 155 ff.; XI, 1909, 301 ff. fort. AUe
diese und die frühereu Untersuchungen des Verfassers sind unter
dem Titel L'astrologie chez les GaUo-ßomains in einem Buch ver-
einigt, das in Bordeaux nach der seltsamen Angabe des Titels 1904
erschienen sein soll. Die einzelnen in Gallien wirkenden Schrift-
steller, Sidonius ApoUinaris, St. Eucherius, Consentius, Anthedonius,
Lampridius u. a. bis auf Caesarius , werden eingehend und zwar
oft mit dem Ergebnis besprochen , daß sie für die Geschichte
der Astrologie nichts ausgeben , und insofern wird ein künftiger
Darsteller der Geschichte dieser Wissenschaft entlastet, worin
nach Boll, Berl. Phü. Wochenschr. XXXII, 1912, 1481 ff. der
Hauptwert der fleißigen, aber von Mißverständnissen nicht freien
Arbeit liegt. Daß diese Form des Aberglaubens den Untergang
des Heidentums überdauerte, so daß selbst Prosper, Victor, Caesarius
nicht gegen ihn auftreten, kann nicht überraschen; die mittelalter-
liche Stemdeutung hat zwar auch durch die Araber und durch die
Wiederentdeckung zeitweise verloren gewesener antiker Schriften
Anregungen erhalten, steht aber doch auch nicht bloß in Gallien
in unmittelbarer Beziehung zu dem Altertum. Es ist deshalb die
Sammlung und Beschreibung der astrologischen Handschriften, die
durch das Zusammenarbeiten zahh'eicher Gelehrten (Bassi, Fr.
Boll, Boudreaux, Cumont, Heeg, Kroll, Martini,
Olivieri, RueUe) in dem in Brüssel erscheinenden Catalogus
codicum Graecorum jetzt größtenteils vorliegt, ein für die Ge-
schichte der Sterndeutung wichtiges Unternehmen. Da der Katalog
zahlreiche Textproben aus den beschriebenen Handschriften, darunter
auch solche enthält, die andere Formen des Aberglaubens behandeln,
wird auf ihn noch mehrfach zurückzukommen sein. — Je mehr die
Astrologie sich verbreitete, um so mehr mußte sie sich vereinfachen.
Es entstanden Horarien, bequeme Nachschlagebücher, die es er-
möglichten, ohne großen Apparat von Instrumenten und ohne
schwierige Berechnungen für jede Stunde den sie beherrschenden
^
Astrologie. Traumdeutung. Prodigien. 219
Gott und seinen Einfluß festzustellen. Über diese Gattung des
Schrifttums , von dem sich die erste genaue Angabe bei Vettius
Valens findet, handelt Gundel, Hess. Blatt, f. Volk.sk. XII, 1913,
S. 106 ff. — Im Anschluß an Hör. c. II 17, 21 f. spricht ßoll,
Sokr. V, 1917, 1 ff. über „Stemenfreundschaft'", d. h, die Zu-
sammengehörigkeit zweier unter gleichem Stern geborener Menschen.
Die Traumdeutung wurde, als man die vorausgesetzten
übernatürhchen Kräfte vorzugsweise den Toten und den Mächten
der Unterwelt zuschrieb, mit dem Dienst der Chthonischen ver-
bunden. Zu den vielen bisher vorhandenen Zeugnissen für das
Fortbestehen dieser Verknüpfung in späterer Zeit fügt L. We uiger,
Klio VII, 1907, vermutungsweise die Angabe, daß die Daktylen
auf dem Laub des v.özivog schlafen (Paus. V 7, 7), was , wie er
uieint, auf einen Inkubationsritus hinweist, bei dem durch das
Laub die Erdki-aft auf den Schlafenden übergehen sollte. Ist dies
richtig, so würde es sich zu der weitverbreiteten, von Kmoskö,
Zs. f. Assyriol. XXIX, 1914/5, 158 aus einem Gudeazylinder auch
für Assyrien erschlossenen Sitte der Inkubation auf dem Fell des
Opfertiers stellen, falls dieses, wie vielleicht mit Recht vermutet
wird, dazu dienen sollte, die mantische Erdkraft in den Körper
des Schlafenden überzuleiten; doch sind Blätter und Felle als
Unterlage beim Ruhen auf der Erde so natürlich, daß es sich kaum
um mehr als eine mitbestimmende Vorstellung handeln kann. —
Über Inkubation in Sardinien spricht Pettazzoni, Eendiconti
RAL V. s. Bd. XXIX, 1910, 89 ff.
Der Prodigienglauhe scheint seinen Ausgangspunkt ebenfalls
n Babylonien gehabt zu haben , über dessen Prodigienbücher
Br. Meißner in der Festschrift des Schlesischen Vereins für
Volkskunde (= Mitteü. XIII/XIV), 1911, 256 ff", handelt. In dem-
selben Jahr gibt eine Tübinger Dissertation von Steinhauser,
„Der Prodigienglaube und das Prodigienwesen der Griechen'' (Ravens-
burg 1911) in seltsamer Reihenfolge und Auswahl eine Aufzählung
der wichtigsten griechischen Prodigien von Homer bis in die Kaiser-
zeit und der Zeugnisse für ihre Beurteilung durch das Volk, die
Gebildeten und die "Wissenschaft. — Ein Teil der Vorzeichen ist
auch von Joh. Hunger. Die babylonischen Tieromina nebst
griechisch-römischen Parallelen, Mitt. der vorderasiat. Ges. XIV 3,
1909 behandelt. Im allgemeinen zeigt sich auf diesem Gebiet ein
besonders enger Zusammenhang zwischen dem im Altertum in der
ganzen antiken Kulturwelt einschließlich der Euphrat- und Tigris-
länder herrschenden Vorstellungen. Namentlich die an den Grenzen
220 Prodigien: V^ogelschau.
dieses Gebietes -wohnenden Völker, die Etrusker, über deren Ostenta
nnd Ostentaria T h u 1 i n , Die etrusk. Disziplin III, die Ritualbücher
und zur Geschichte und Organisation der Haruspices (Göteborgs
Högskolas Arsskrift 1909. I) 76 ff. ausführlich handelt, die Römer
und Assyrer, stimmen in der Art. wie sie die kommenden Ereig-
nisse vorher erkennen wollen, auffallend ttberein. Bei beiden ist
z. B. die Geburt Avidernatürlicher Geschöpfe , die Aufnahme oder
das Verweigern von Futter , die Form der in den geschlachteten
Opfertieren gefundenen Eingeweide bedeutungsvoll. Morris
Jastrow jr., der in seinem Buch Babylonian Assyrian Birth Omens
and Their Cultural Significance RV u. V XIV 5, 1914) das erste
dieser drei Gebiete unter Vergleichung des griechisch-römischen
Aberglaubens (z. B. 50 ff.. 64 ff.) behandelt hat, erklärt (.58) die
Übereinstimmung daraus , daß der römische Prodigienglaube den
Etruskern abgelernt sei, die ihn aus Kleinasien mitgebracht hätten.
Diese Ableitung ist zwar möglich . aber vielleicht überrascht die
Übereinstimmung nur deshalb so sehr, weil ein Zwischenglied, der
griechische Prodigienglaube, früh seine Bedeutung verloren hat und
deshalb weniger bekannt ist als der römische und der assyrische ;
vereinzelte Notizen weisen darauf hin , daß einst auch bei den
Griechen dieser Aberglaube blühte. Aber mehr als bei ihnen und
auch bei den Italikern scheint die Lehre in der Tat bei den Assyrern
ausgebildet gewesen zu sein : während bei jenen die Vorzeichen
meist bloß günstig oder ungünstig sind, glaubt der assyrische Zeichen-
deuter die Zukunft aus ihnen genauer erfahren zu können (Hunger
a. a. 0. S. 17). Eine scheinbare Ausnahme bildet die Vogelschau
(18 ff.). Zwar achtet auch der Assj-rer auf die Vögel, und zwar
wie der Grieche und Römer besonders auf die Raubvögel 5 aber
obwohl wahrscheinlich die bisher veröffentlichten Texte kein ganz
richtiges Bild von der Häufigkeit derartiger Deutungen geben,
scheint es doch als ob sie, und zwar besonders die eigentliche
Vogelschau, die Beobachtung des Vogelflugs, in Assyrien nicht so
wichtig waren wie in Hellas und Rom. Bisher liegen noch keine
Beweise dafür vor, daß man besonderen Wert auf die Richtung
des Vogelflugs legte, wie bei den Griechen und noch mehr bei den
Römern (Morris Jastrow jr,, Relig. Babyl. und Assvt. II 798 ff.).
Fmmerhin gab es besondere Adlerbefrager, und einen freilich nicht
ganz sicheren Fall der Vogelschau teilt Bezold, Zs. f. Assyr.
XXVI, 1912, 114 ff. aus einem Brief an Asarhaddon mit. Die
Seltenheit der Vogelschau erklärt sich in Assyrien gewiß daraus,
»laß sie verhältnismäßig früh durch verwickeitere Formen der Vor-
Vogelschau und Eingeweideschau. 221
xeicheukunde ersetzt worden ist, — In Rom sind nach F o w 1er,
Eel. Exper. Hom. People 304 die Auspizien uralt, während die
Blitzschau erst in etruskisclier Zeit, also gegen Schluß der Königs-
zeit hinzugetreten sein soll. — Spuren des Glaubens, daß die zwölf
Geier des Romulus eine 1200 jährige Dauer Roms verhießen, sammelt
S. Rein ach, Cultes ; uiythes, relig. III 302 ff. ; er rechnet dazu
auch Tac. Germ. 33, wo statt urgentibus zu lesen sei vergeutibus
Ein Prodigium konnte auch darin gefunden werden , daß die
Eingeweide des vor dem Beginn einer wichtigen Unternehmung
geschlachteten Opfertiers verstümmelt oder irgendwie unnatürlich
gebildet waren. Über diese Leberschau handelt russisch f A. G. Bäck-
ström, De hieroscopia Graecorum, St. Petersburg 1910, der nach
dem Bericht von C. Kappus, ßerl. Phil. Wochenschr. XXXII,
1912, 264 ff. über den Zusammenhang der griechischen Eingeweide-
schau mit der etruskischen und römischen und ihre Abhängigkeit
von der orientalischen spricht und dann aus einem Papyrus der
Sammlung Golenitscheff ,das Bruchstück eines ^praktischen Zwecken
dienenden Handbuchs über Oj^ferbeschau veröffentlicht. In der
Tat hat im Morgenland die Haruspizin lange geblüht •, bei den Arabern
war sie noch im 4. Jh. n. Chi-, üblich (Marmorstein, Arch. f.
Religionswiss. XV, 1912, 320), und nach dem Bericht von War de
Fowler, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 269 haben Ch. Hose und
William Mc Dougall sehr merkwürdige Übex'einstimmungen
zwischen dem römischen Extispicium und den Gebräuchen der Wilden
auf Borneo festgestellt. In Vorderasieu ist die Eingeweideschau
auch früher nachweisbar als in Griechenland und in Italien, wo
ihre ältesten Spuren bisher kaum über das 5. Jb.. hinauf zu ver-
folgen sind. Sowohl in Boghazkiöi wie in Babylonieu haben sich Lebern
ähnlich der berühmten etruskischen von Piacenza gefunden, die da-
durch eine vorher nicht geahnte Bedeutung für die Frage nach dem Zu-
sammenhang der antiken Kultur gewonnen hat und mehrfach behandelt
worden ist. C. Thulin, Die Götter des Martianus Capella und der
Bronzeleber von Piacenza, RV u. V, III 1, 1906 versucht nach-
zuweisen, daß auf der Leber, deren Anfertigung er in das 3. Jh.
v. Chr. setzt, die Götter der Außenregionen denen der Innen-
regionen entsprechen und daß diese Regioneneinteilung, wie schon
Deecke veimutet hatte, in Beziehung stehe zu den 16 Wohnungen,
aus denen die Götter bei Martianus Capella I 45 ff. zum Rate des
luppiter kommen. Ist diese Vei-mutung, wie es scheint, richtig,
so ergeben sich daraus wichtige Polgei-ungen über die etruskische
Entsprechung römischer Gottheiten, z. B. der Ceres, Di Consentes,
222 Leberschau. Losorakel.
Favores Opertani, des Hercules, der Minerva, Pales, Penates, des Vol-
canus. Weniger wahrscheinlich und deshalb von B oll, Berl. Phil.
Wocheuschr. XXVIII, 1908, 1372 ff. und Gr auger, Class. Eev.
XXII, 1908, 132, bezweifelt ist T hu lins Vermutung, daß man
versucht habe , diese eigentümliche Lehre mit der Astrologie aus-
zugleichen. Noch unsicherer ist der geheimnisvolle Zusammenhang,
der nach W. v. Bartels in dem von Morris Jastrow mit
einem empfehlenden Vorwort versehenen und auf dem 4. Leidener
Internationalen Kongreß (Act. S. IIO) als sehr beachtenswert be-
zeichneten Buche „Die etruskische Bronzeleber von Piacenza in
ihrer symbolischen Bedeutung", Berlin 1910, von den Etruskern
zwischen der Leber und dem Weltganzen angenommen wurde.
Solche Vorstellungsverknüpfungen, auf die Jastrow bereits in einem
Vortrag auf der 109. Versammlung der American Orient. Society
(DLZ XXVIII, 1907, 1566) aufmerksam gemacht hatte, haben viel-
leicht bestanden, aber die von W. v. Bartels erschlossene Geheim-
lehre hat an dem . was über die etruskische Disziplin überliefert
jst, keinen Anhalt. Ebenso steht es mit den orientalischen Vor-
stellungen, die W. V. Bartels hier und in ihrer weiteren Schrift:
_,Die etruskische Bronzeleber von Piacenza in ihren Beziehungen
zu den 8 Kwa der Chinesen", Berlin 1912, vergleicht, Daß die
italische Lehre hier mit orientalischen zusammenhängt, wird von
niemand bestritten, auch nicht von G. Körte, in seinem sehr verdienst-
vollen Aufsatz Rom. Mitt. XX, 1905, 371 ff., der nur betont, daß
die Lehre bei den einzelnen Völkern verschieden ausgebildet wurde ;
und an sich wäre möglich, daß sich Reste von früher weit, wenn
auch nur in einzelnen, dünnen Schichten, verbreiteten Vorstellungen
zufällig nur in zwei soweit auseinander liegenden Gebieten er-
halten haben. Allein die angeführten chinesischen Zeugnisse sind so
unbestimmt und ihre Auslegung ist so willkürlich, daß sie nicht die
von der Verfasserin erschlossene etruskische Lehre stützen können.
Endlich sind einige Arbeiten über Würfel- und Losorakel
zxx. erwähnen. Nach L. Weniger, Sokr. II, 1914, 16 saß die Pythia
auf dem Dreifuß und hielt die Lose im Schoß ihres Gewandes
oder in einer Schale ; sie nahm eines heraus und überreichte es
dem Priester, dem es oblag, die eingeritzten Zeichen zu deuten.
So erklärt Weniger die Ausdrücke ^eojv f.v yotvaoi '/.eiTai — denn
die Pythia soll die Gottheit vertreten — und dvelXev r^ JJvitia.
Ahnlich denkt er sich die Würfelorakel im Heiligtum des Herakles
;cu Bura. Losorakel sind für Delphoi literarisch bezeugt. Fr. Eg-
gleston Robbins, Class. phil. XI, 1916, 278ff. glaubt sie auch
Losorakel. 223
auf Kunstwerken zu erkennen , auf denen Apollon oder Theniis
(Aigeusscbale) oder eine Pythia weissagend eine .Schale in der Hand
hält; den zweiten Ausdruck hat Weniger vielleicht richtig ge-
deutet; vgl. Lobeck, Agl, 814. — Die bis jetzt bekannten Tat-
sachen „über die Orakelgebung durch Lose bei den klassischen
Völkern" stellt zusammen und erläutert Weniger, Sokr. V, 1917,
433 z. T. im Anschluß an Heinevetter (s. ^«.). Es werden zu-
nächst die verschiedenen Formen des Orakels in Deliihoi, zu
denen Stäbchen aus Holz , seltener kleine Platten aus Ton oder
Erz benutzt wurden , besprochen, an deren Stelle später Würfel
traten. Auch in Dodona und Olympia soll die Zukunft durch Lose
erforscht sein. In Italien sind Losorakel für Patavium noch zur
Zeit des Tiberius bezeugt; hauptsächlich scheinen sie aber in
Mittelitalien , in TJmbrien , im südlichen Etrurien , dem Sabinerland
und in Latium üblich gewesen zu sein. Vergleichbar und deshalb
auch für die Religionsgeschichte bei den klassischen Völkern nicht
unwichtig sind die Losorakel bei den Germanen , die Weniger in
einem weiteren^Aufsatz, ebd. 305 ff., 433 ff., von Herodot und Tacitus
beginnend, bis in die letzten Jahrhunderte hinein verfolgt; Nach-
träge aus neuerer Zeit bringt A. Becker ebd. VI, 1918, 12. —
Über Losorakel im Dienst der Athena ^xigdg vgl. Nilsson,
Arch. f. Eeligionswiss. XVI, 1912, 316 f., über das Verfahren bei
den Sortes in Praeneste Marucchi, Bull. comm. arch. comm.
XLI, 1913, 25 ff. — Eigentümliche Würfelorakel waren in den ersten
nachchristlichen Jahrhunderten namentlich in Kleinasien üblich.
Mit 5 aargayaloi, die mit den Zahlen 1, 3, 4, 6 beschrieben waren,
konnten 56 verschiedene Würfe erreicht werden, die meist nach
Göttern, Begriffswesen [Jal/iuov Meyiorog, Nixr], ^^yad^og XQOVog
usw.) benannt waren und deren Bedeutung aus hexametrisch-ge-
faßten Tabellen ersehen wurde. Die namentlich in österreichischen
Reiseberichten veröffentlichten Funde von Resten dieser Listen
sammelt, vergleicht und ergänzt F. Heinevetter, Würfel- und
Buchstabenorakel in Griechenland und Kleinasien, Diss. und Fest-
gruß des archäologischen Seminars zum 100jährigen Jubiläum der
TJnivers. Breslau 1912. Nach Art dieser kleinasiatischen Listen
denkt sich Weniger in dem oben erwähnten Aufsatz (Sokr. V),
die alte delphische Weissagung. Übrigens bezeichnet xA<}^ot bei
Eur. (Doiv. 839 auch die Antworten des Orakels in Delphoi, viel-
leicht weil sie ursprünglich durch Lose gefunden waren ; sie wurden
in Kisten aufbewahrt, über die Svoronos, Journ. Internat, d'arch.
num. XII, 1910, 232 ff. handelt.
224
11) Auliiß und Zeit des Zaubers und des Kultus.
a) Im Leben der einzelnen,
n) Ijiebeszauber.
Über Aigremonts Buch „Volkserotik und Pflanzenwelt" s. o.
{1^1). Meringer, Indogerm. Forsch. XXI, 1907, 306 fiilirt seinen
Gedanken (ebd. XVI 108 f.) aus, daß die Duenosinschrift einen Tjiebes-
zauber enthalte. — Im Anschluß an Theokrits Pliarmakeutriai
handelt R. Wünsch, Hess. Blatt, f. Volksk. VIII, 1909, 12G ff.
über antiken Liebeszauber. — Preisendanz, Philol. LXIX, 1910,
51 ff. gibt neu hei'aus und erklärt den von Breccia, Bull. soc.
arch. d'Alex. IX, 1907 n. s. II 1, 95 veröffentlichten y.axaöea/^og,
den Liebeszauber der Paulina gegen einen Neilos. — Fr. BoU.
Griech. Liebeszauber aus Ägj-pten auf 2 Bleitafeln des Heidelb.
Archäol. Instituts, Sitzber. Heidelb. AW 1910 veröffentlicht zwei
aus dem 1. oder 2. Jh. n. Chr. stammende Defixionen, zu deren
Lesung und Erklärung auch die kurze Besprechung von Wünsch,
Berl. phil. Wochenschr. XXX, 1910, 688 f. zu vergleichen ist. —
Über das Verbrennen des Lorbeers beim Liebeszauber (Theokr. IT
2o u. sonst) s. Ogle, Amer. Journ. Phil. XXXI, 1910, 296 f. —
Den Liebeszauber mit der ^t'vy^ erkennt Pernice, Class. Rev.
XXIII, 1909, 20 auf einem Fingerring und auf einem Vb. (Athen.
Mitt. XXXII, 1007, 79), das Eros oder Himeros, ein Rad an einem
Riemen haltend, darstellt. — Aphrodite mit der Yvy^ den Zeus zur
Liebe gegen lo zwingend stellt nach Svoronos, Journ. intern,
d'arch. num. XII. 1910, 242 A. ein rf. Vb. dar. — Mehrfach kommt
Pen quitt in der Königsberger Dissertation 1910, De Didonis
Vergilianae exitu auf den Liebeszauber zu sprechen, z. B. S. 42 ff.
auf das Verbrennen des Bildes. Das Hippomanes hat Verg. Aen.
IV 515 nach Penquitt S. 51 infolge einer Verwechslung ein-
geführt. — Es gab auch Maßregeln , durch die nicht der oder die
Zaubernde die oder den Geliebten zu gleicher Liebe entzünden,
sondern sich von der Leidenschaft frei machen wollte. Über den
Sprung vom weißen Felsen s. Arch. f. Religionswiss. XV, 1912,
374, — Der Stein , den sich in einer parodistischen Erzählung ein
Hähnchen aufs Herz legen will, um sich von seinem Liebesgram
zu heilen fOx}Th. Pap. II, Nr. 219), vergleicht Radermacher,
Rh. Mus. LXVII, 1912, 139 mit dem ?JO-og auxpgoviari^Q der
thebanischen Heraklessage.
ß) Hochzeitsgebräuche.
Über die antiken Gebräuche bei der Eheschließung handelt
ausführlicher als in den «Familienfesten der Griechen und Römer"
Hochzeitsgebräuche. 226
Samt er, Geburt, Hochzeit und Tod, Beiträge zur vergleichenden
Volkskunde, Leipzig-Berlin 1911. Wie schon in seinem ersten
Buch sieht er gern in den Gebräuchen Maßregeln , die bestimmt
sind, üble Geister fern zu halten ; so soll z. B. die Bestreuung des
Brautpaars und der Hochzeitsgäste mit Gerste , Weizen , Reis,
Erbsen u. dgl., auch Salz den Zweck gehabt haben, die Dämonen
teils zu beschwichtigen, teils zu bannen (171 ff.). — Verschiedene
griechische Hochzeitsgebräuche bespricht H. Blümner in der Fest-
gabe für Gerold Meyer von Knonau S. 1 ff., z. B. (2 f.) die Ver-
tauschung der Kleider, (3 ff.) die naxische Sitte, daß die Braut vor
der Hochzeit mit einem na'ig schläft, (6 f.) den Gebrauch, der Braut
die Schuhe nachzuwerfen, (9) die an:o/.alvTiTt'^Qia , (11) den vv^-
(fLTLog Xtßr^Q. — Von den einzelnen Handlangen magischer oder
religiöser Bedeutung, die im Verlauf der Hochzeit vollzogen wurden,
behandelt Sechan, Rev. et. gr. XXIV, 1911, 123 f. die Dar-
bringungen der Bräute vor der Eheschließung. — Auf die Zeit des
Mutterrechtes führt L Raderraacher, Rh. Mus. LXXI, 1916,
1 ff . die von ihm aus mehreren, z. T. griechischen Novellen er-
schlossene Sitte zurück, daß das Mädchen aus der Zahl der ver-
sammelten Freier den ihr Genehmen bezeichnet.
Schwierigkeiten macht die Bestimmung der Begriffe artavXia
und ircacXia, da die Zeugnisse Suid. hiacXia, Poll. III 39, Hesych
s. e/tavXia und ydiAOL z. T. vielleicht handschriftlich entstellt, jeden-
falls unklar sind und sich anscheinend widersprechen. Schreibt man
bei Hesych s. ydf.iOL für das letzte Wort mit Deubner iiravXia,
so sind die z. T. fast wörtlich übereinstimmenden Zeugnisse zur
Not auch innerlich in Einklang gebracht , und auf Grund des sich
demnach ergebenden Sinns erkennt Brückner, Ath. Mitt. XXXII,
1907, 91 ff. eine Darstellung der Epaulia auf attischen Vasenbildern.
Aber gegen diese Textänderung wendet sichKuiper, Rev. et. gr.
XXV, 1912, 331 ff. , weil es bei Hesych an anderer Stelle heißt
OLTcaiKia v.ai enaiXia dt^iog XiyExai r^tga, ev tj . . STiavXiteTUL
to) dvÖQi tj yvvrj. Leider ist nicht zu ersehen, ab diX(^S ^^^^ «iii
doppeltem Sinn" oder „in zwiefachem, d. h. in verschiedenem
Sinn" bedeuten soll. Kuiper nimmt jenes an und vermutet zu-
gleich, daß snai'lia die am Abend des zweiten (d/tavlia genannten)
Tages der Hochzeit gesandten Geschenke waren. Das war nicht
die Ansicht des von Pollux ausgeschriebenen Grammatikers, der
die STiavXia den dnaiXia. entgegenstellt. Entscheidend ist das
nicht, denn, wie es scheint, war das Wort enavXia im lebendigea
'Sprachgebrauch erstorben und wurde daher von den Altertums-
Jahresbericht für Altertumswissenachaft. Bd. 186 (Snpplementband). 1.5
22G Hochzeitsgebräuche.
forschem und vielleicht von Kommentatoren, die ea in der Literatur
fanden, nach dem Zusammenhang der Stellen oder nach dem Sinn
der ähnlich gebildeten Wörter a/raikta, ngoavha, owai'ha, für
die es aber vielleicht auch keine wirkliche Überlieferung gab,
oder bloß nach der Etymologie gedeutet. Sie kamen dabei,
worauf auch Suidas mit den Worten oV öi (paoiv hinweist, auf ver-
schiedene Erklärungen , die aber in den erhaltenen Exzerpten
z. T. ineinander geschoben und vermischt wurden, weil jede von
beiden sachliche Angaben enthielt, die vereinigt i,^ erden sollten.
Denn es scheint nach den Übereinstimmungen , die sich in diesea
finden, daß Suidas, Hesychios und Poilux hier schließlich auf
dieselbe grammatische oder antiquarische Quelle zurückgehen,
und deshalb hat m. E. Deubners Vermutung die größere Wahr-
scheinlichkeit. Weiter ergibt sich aus dem geschilderten Ver-
hältnis, daß das über a/iav'/.ia bei Poll. III 40 Bemerkte möglicher-
weise nur die Vermutung eines Gelehrten ist. — E. Samter hat iu
einem Vortrag in der Berliner Religionswissenschaftlichen Ver-
ninigung 28. 4. 1914 (Neue Jbb. 1914, 90 ff.) diese Angabe des
PoUux mit der von Kallimachos im Anfang des neuen Kydippe-
bruchstückes erwähnten naxischen Hochzeitssitte verglichen. Dort
heißt es, um anzudeuten, daß die Hochzeit der Jungfrau unmittelbar
bevorstehe rjdrj /mI y.oigo) nagi^ivog eirdaato, xii^fjiov wg t/.iXevB
TtQOVif.iq^iov vTtvov laZaai ägoevi ri^v taUv naidi ahv afiffii/aiei,
und in der Tat stimmt diese auch schon früher z. B. von Kuiper
herangezogene Beschreibung so mit der von PoUux gegebenen überein,
daß m. E. schon dessen Quelle an jene Kallimachosstelle gedacht
haben muß. Dann sind die beiden bei Suid. und Poll. zusammen-
geworfenen Erklärungen so zu trennen : nach der ersten wurden
die f7cai?uu den anavKia entgegen gestellt und auf das erste gemein-
same Ü>>ernachten des Brautpaars bezogen , während die aiiavXia
das von Kallimachos für Naxos bezeugte gesonderte Schlafen vor
der Hochzeit bezeichnen sollte ; bei dieser Erklärung war also hti
in tnuihia in örtlichem Sinn gefißt. Nach der anderen Deutung,
welche tJcaiKia als den zweiten Hochzeitstag ansetzte, hatte es
dagegen temporalen Sinn. Welche der beiden Aulfassungen die
richtige war, ist nicht auszumachen, religionsgeschichtlich auch von
geringer Bedeutung; wichtiger ist es, den Sinn des naxischen Ge-
brauches festzustellen. Kallimachos scheint sich hier zu wider-
sprechen. Die Worte xoipr^y nagitt-vrig evvuoaio scheinen , da
€vväa'tai rivi gewöhnlich vom Beischlaf gesagt wird , auf einea
vorehelichen Geschlechtsverkehr zu weisen. Das würde zu dem
Hochzeitsgebräuche. 227
von dem Dichter verschwiegenen Mythos passen, der, wie sich aus
dem Ausruf ergibt, mit dem das Verstummen begründet wird, etwas
für Hera Unschickliches enthalten haben muß. So hat daher z. B.
Leo, Gott. Gel. Nachr. 1910, 57 die Stelle in dem Sinn gedeutet,
daß Kydippe mit ihrem erklärten Bräutigam das in Naxos übliche
Probebeilager in der Nacht vor der Hochzeit gefeiert habe. Aber die
Worte, mit denen Kallimachos nachher den Brauch beschreibt «i^-
^lov ibg «xi'Acic TTQOvt'fjfpiov LTirov laiaai agaevi rijV läXiv naidl
ai'v af.ifpi^aXei, weisen nach anderer Richtung. Ilalg af.ifpi0^a}.ijg
puer patrimus et matrimus , hat einen bestimmten Sinn und kann
den Bräutigam nicht bezeichnen, weil dann in Naxos ein junger
Mann , dessen Vater oder Mutter gestorben War, zur Ehelosigkeit
verdammt gewesen wäre. Daß Kallimachos die in seiner Quelle
überlieferte Sitte falsch verstanden habe, ist an sich schwer glaub-
lich und auch deshalb unwahrscheinlich, weil die öianaQiytvEvoigy
bevor das Mädchen den ihm vom Schicksal Zugedachten empfängt,
stilwidrig wäre ; auch fehlt der Zug bei beiden Nachahmern des
Kallimachos, Aristainetos und Ovid, die doch schwerlich mehr Stil-
gefühl besaßen als jener, der demnach wix'klich evvaad^ai in einem
nngewöhnlichen Sinn gebraucht zu haben scheint. Jedenfalls be-
stand die naxische Sitte nicht darin , daß die Braut kurz vor der
Hochzeitsnacht mit ihrem Bräutigam , sondern darin , daß sie , wie
PoU. III 40 sagt, mit einem rcaidiov aiuq)ii)^aXeg schlief. Ein wenig
gemildert würde das Ungewöhnliche des Ausdrucks , wenn mit
Puech, Rev. et. gr. XXIII, 1910, 260 an einen Knaben zu denken
wäre, der die Stelle des Bräutigams vertreten sollte, wenn es sich
also wenigstens um einen fingierten Beischlaf gehandelt hätte, wie
dies Kuiper a. a. 0. annimmt. Sonderbar bleibt die Wendung
aber auch dann, auch ist vorehelicher Geschlechtsverkehr schwer-
lich als etwas so Heiliges empfunden worden , daß , als die Sitte
abkam , ein symbolischer Ersatz notwendig erschien. Nur wenn
einst die Defloration gewissermaßen rituelle Bedeutung hatte , wie
dies z. B. Campbell Bonner, Gl. Phil. VI, 1911, 402 ff. an-
nimmt , erklärt sich nicht allein das Aufhören der Sitte , sondern
auch die Vertretung des fremden Mannes durch ein Kind. Einen
solchen rituellen Grund für die Sitte glaubt nun in der Tat S a m t e r
in dem oben erwähnten Vortrag nachweisen zu können Er erklärt
sie aus dem Wunsche , die das Hochzeitsbett gefährdenden Dä-
monen zu täuschen. Solche Volkssitten hat es wirklich gegeben,
aber hier widerstrebt dieser Erklärung das durch Kallimachos mit
der Nennung Heras angedeutete al'ciov. Kuiper a. a. 0. schließt
15*
228 Hochzeit3gebräuche.
aus deu ähnlichen ebenfalls naxischen Sagen von Theseus und
Ariadue und von Theseus und Polykrite, daß der Brauch ursprüng-
lich durch einen Dionysosmythos und erst nachträglich durch einen
Zeusmythos erklärt sei; Graindor, Musee Beige XV, 1911, 49 ff.
denkt, daß Kallimachos auf einen Liebesverkehr zwischen Hera und
Herakles anspiele. Das beruht auf der richtigen Empfindung, daß, wenn
der TTolg a^q^ii^ah'jg einen fremden Mann vertreten sollte, der Mj'thos
den Brauch nicht durch einen vorehelichen Verkehr Heras mit dem
späteren Gatten erklären durfte. Dieser Einwand trifft auch dann
zu , wenn das Schlafen der Braut mit dem Knaben den Dämonen
die Hochzeitsnacht vortäuschen sollte. Und doch ist der naxische
Brauch wirklich dui'ch Heras voreheliche Vereinigung mit Zeus
erklärt worden. Im Seh. Townl. II B 296 heißt es, daß Hera auf
Naxos den Hephaistos aus vorehelicher Liebesgemeinschaft geboren
habe. Damit ist jedenfalls als Vater Zeus gemeint, schon weil
sonst die Geschichte nicht zur Erklärung von II. H 296 dienen
würde. Darauf wird auf unsere Kallimachosstelle angespielt, dto
y.ai fitXQi riv V7i6invr^f.ia q^vXdoaeoü^ai vtaqa Na^loig Aal tov a{i-
(fii)^a'kii (überlief, ^^f^q^ii^äkr^v) %rj räXi (überl. 'ItccXt]) avyy.aravi-
i)^€o9ai. Diese Erklärung, die vielleicht aus einem Kommentar zu
unserer Stelle stammt und sicher die von Kallimachos nur an-
gedeutete Sitte richtig beschreibt , scheint die oben als unmöglich
erkannte Beziehung des a^ifii^aKr^g auf den Bräutigam zu fordern,
und so hat die Stelle auch vor dem Funde des neuen Kydippe-
bruchstücks v. Wilamowitz GGN 1895, 236, 43 verstanden, ob-
wohl die Bedeutung „blühend", die er dem Worte ccfMqti&aXijg
zuschreibt, als Appellativbezeichnung des Bräutigams weder bezeugt
noch wahrscheinlich ist. Jedenfalls begründet der Mythos von
Hephaistos' Geburt die naxische Sitte nicht , wenn der nalg afi-
(fii^aXr^g einen fremden Mann vertrat. Kallimachos hat aber das
aYviov nicht, wie Samter in der sich an seinen Vortrag schließen-
den Aussprache (S. 13 der Sitzungsberichte) meinte , willkürlich
aufgestellt, da er es ja gar nicht ausspricht, sondern nur andeutet;
es war die anerkannte Begründungslegende , die der Dichter , wie
er sich wenigstens den Anschein gibt, nicht in den Mund nehmen
mag. Es müßte also vor Kallimachos die naxische Sitte umgedeutet
oder wenigstens durch einen für sie nicht passenden Mythos er-
klärt worden sein. Nun ist aber nicht abzusehen, wie die Sitte,
ein Kind vor der Hochzeitsnacht mit der Braut schlafen zu lassen,
durch den bereits bestehenden Mythos von dem vorehelichen Ver-
kehr des Götterkönigapaars erklärt werden konnte. Vielmehr muß
Hochzeitsgebräuche. 229
der Mythos ebeu zur Erklärung des naxischen oder eines nächst
verwandten (samischen? s. Schol. Townl. a. a. 0.) Gebrauches ge-
dichtet sein. Dann aber hat schon das Lied, dem H 296 folgt,
wahrscheinlich dasselbe, das Plato unter dem Namen des Orpheus
las, den naxischen Brauch nicht mehr in dem von Samter als ur-
sprünglich bezeichneten Sinn verstanden , denn als Erklärung für
eine Maßregel, welche die gefährlichen Geister täuschen sollte, ist
die Sage von Zeus' und Heras vorehelichem Umgang ungeeignet.
Überhaupt kann der Dichter den Knaben nicht als Vertreter des
Bräutigams gefaßt haben. Nur dann erscheint der Mythos als
ouTiov passend, wenn der naig aft(fii)aXr^g als Kind der Braut be-
trachtet wurde. Nach der Sage soll Hera vor der Ehe mit Zeus
den Hephaistos gezeugt haben, der in Naxos ursprünglich, wie aus
dieser Ableitung zu folgern ist, nicht als verwachsen und schwäch-
lich gedacht war: das ist das passende ai'ziov für den Gebrauch,
daß den Frauen vor der Hochzeitsnacht ein männliches Kind, dessen
beide Eltern noch lebten, das also sowohl für die Eltern wie für
die Nachkommenschaft von glückverheißender Bedeutung war, ins
Bett gelegt wurde. Ähnliche Volksbräuche sind, wie D. B. Stuart,
Class. Phil. VI, 1911, 302 if. nachweist, und wofür auch Samter
selbst S. 93 f. Beispiele anführt, bei Indem, Slawen, Bulgaren, Korsen
und Finnen bezeugt, und diese überdies naheliegende Vorstellung
scheint die naxische Sitte sowohl wie ihre ätiologische Begründung
befriedigend zu erklären. Es bleibt nur das Bedenken, daß dann
Kallimachos evvaGifat tlvi in einem sonst nicht nachweisbaren Sinn
gebraucht hat. Aber unüberwindlich, wie Kuiper S. 326 glaubt^
ist dieser Einwand nicht. Ist es auch unwahrscheinlich, daß Kalli-
machos die naxische Sitte falsch beschreibt, so braucht er doch
ihre letzte , vielleicht längst vergessene Bedeutung nicht gekannt
zu haben. Jedenfalls ist es gar nicht seine Absicht, sie wieder-
zugeben, ihm genügt der Hanweis auf den ätiologischen Mythos,
um dessentwülen er den Gebrauch erwähnt hat. Was er wußte
und was für seinen Zweck in Betracht kam, war, daß in Naxos
vor der Hochzeit die Braut statt mit dem ihr zugedachten Gatten
das Lager mit einem Kinde teilte 5 in einem solchen Fall würde
selbst ein französischer Schriftsteller coucher avec sagen können,
obwohl dieser Ausdruck mindestens ebenso ausgesprochen ero-
tische Bedeutung hat wie Evvaod^ai. Es hat sich daher auch
H. Blümner an der oben bezeichneten Stelle wahrscheinlich mit
Kecht an Stuart angeschlossen.
Dem Vollzug der Ehe ging bei Griechen und Körnern ein Bad
230 Hochzeitsgebräuohe. Zeugungazauber.
der Braut voraus, das vielfach als notwendig zu ihrer Befruchtung,
ja geradezu als deren Ursache galt. Derselbe Glaube ist aus andern
Ländern bezeugt, z. B. aus Palästina. Schon Curtiß, Ursemitische
Religion im Volksleben des heutigen Orients 118 und 122 ff. hatte
auf den Volksglauben hingewiesen, nach dem Weiber, die sich in
einem Strom baden, von dem Stromgott oder dem an seine Stelle
getretenen Schutzheiligen umarmt oder befruchtet werden (vgl.
V. Baudissin ebd. XXII f.) ; s. darüber K o h 1 e r , Arch. f. Religionswiss.
XIII, 1910, 84: Hartmann ebd. XV, 1912, 141. —In Griechen-
land galten Kinder oft als von dem Flusse geschenkt, in dessen
Wasser die Mutter vor der Hochzeit sich gebadet hatte ; zahlreiche
Personennamen, die Fröhner, Arch. f. Religionswiss. XV, 1912,
383 sammelt, bezeugen diese Auffassung auch für Griechenland.
Vgl. über die Ehe mit dem Flußgott auch Saintyves, Les
Vierges Meres et les Naissances Miraculeuses , Paris 1908, 39 ff.
und Kuiper, Rev. et. gr. XXV, 1912, 341.
Über ein bei der Pompa nuptialis auf einer sf. athenischen
Amphora von Mädchen getragenes ?üxvov vgl. P u t o r t i , Auson.
IV, 1909, 132 ff. , der Hesych. und Suid. t(fvyov y.a^Aov und PoU.
III 37 (wo aber ein Knabe das VtKvov trägt) vergleicht. Der Ge-
brauch ist nach Putorti ein Fruchtbarkeitszauber, der von Eleusis
ausgegangen sein soll. — Ein Tuch , das sich auf Hochzeitsdar-
stellungen mehrfach findet, sollte nach Brückner, Athen. Mitt.
XXXII, 1907, 85 ff. dazu dienen, durch Blutflecke die erfolgte
Defloration der Braut zu bezeugen. Eine derartige Sitte ist noch
heute im Morgenland weit verbreitet, aber H. Blümner Festgabe
f. Gerold Meyer von Knonau S. 10 f. bezweifelt Brückners Deutung
dieser Darstellungen.
y) Maßregeln zur Erzielung von Nachkommenschaft.
Auch abgesehen von der Eheschließung wurde mancherlei
Fruchtbarkeitszauber getrieben. Die von impotenten Mä nnern
angewendeten Mittel stellen O. v. Hovorka und A. Kronfeld,
Vergleichende Volksmedizin II 163 ff. zusammen, aber z. T. sind
die hier beschriebenen Kuren Überbleibsel aus überwundenen
Epochen der Heilkunde und haben mit Zauberei und Religion nichts
zu tun. Dagegen gehören in dies Gebiet fast alle die von un-
fruchtbaren Frauen vorgenommenen Maßregeln, die sich aus
vielen der von Saintyves in dem Buch Les Vierges M6res (s. o.)
gelegentlich erwähnten Vorstellungen erschließen lassen und teil-
weise schon vom Vf. erschlossen sind ; zwar sind die Sammlungen
ZeuguDgs- und Entbindungszauber. 231
2U unvollständig und ihre Behandlung nicht eindringlich genug, um
im ganzen als abschließend oder auch nur als wesentlich fördernd
bezeichnet werden zu können, das schließt aber nicht aus, daß
einzelne Abschnitte, z. B. über die Befruchtung durch den Genuß
von Früchten (71 ff.)> durch Mondschein (176), durch Schlafen im
Tempel (224) und andere, auf die in diesem Bericht gelegentlich
hingewiesen werden wird, auch dem Erforscher der antiken Reli-
gionen unter Umständen Anregung bieten können.
Den „Schlag mit der Lehensrute'' ^ der, wie schon o. {186)
bemerkt ist, auch in der Berichtsperiode verschiedenartige Deu-
tungen erfahren hat, erklärt Giemen, Arch. f, Religionswiss. XVIII,
1915, 147, der ähnlichen noch jetzt geübten Zauber anführt, als
Fruchtbarkeitszauber: man wollte, wie er meint, durch ihn der
vielleicht auf die Geschlechtsteile geschlagenen Frau die Frucht-
barkeit der dabei verwendeten frischen BLrkenrute oder der immer-
grünen 8techeiche mitteilen. — Mit dem Luperealiengebrauch ver-
gleicht Saintyves, Vierges Meres 217 den von Herod. II 42
a. E. den Ammonpriestern zugeschriebenen Gebrauch mit Unrecht;
daß es sich in Ägypten um einen Fruchtbarkeitszauber handelt, ist
zweifelhaft, und xiTiTOvraL lov v.qlov bedeutet nicht, daß die Priester
sich „schlagen", weil der Widder tot ist, sondern nur, daß sie ihn
„beklagen", — Über die Bedeutung des Salzes im Befruchtungs-
aauber und die seltsame Vorstellung, daß im Salz Manneskraft liege,
8. E. Hartmann, Arch. f. Religionswiss. XV, 1912, 142. — Über
den weit verbreiteten Aberglauben , daß die Zeugungskraft durch
Meihen oder Sitzen auf bestimmten Felsen gestärkt und die
Empfängnis gefördert werden könne, s. Arch. f. Religionswiss. XV,
1912, 866 ff. , wo auch einige andere Arten des Fruchtbarkeits-
zaubers erwähnt sind; noch jetzt knüpfen sich, wie S. Rein ach,
Cultes, mythes, rel. III 405 f. hervorhebt, an die Menhirs Gebräuche,
welche die Kindererzeugung herbeiführen oder begünstigen sollen.
Wie die Zeugung bietet auch.
J) die Geburt
Anlaß zu Zauberei und Gottesdienst. Viele dieser Gebräuche sind in
dem bereits o. {225) erwähnten Buch Samters, „Geburt, Hochzeit,
Tod" gesammelt und besprochen. — Über die Vorstellung, daß
die Entbindung verunreinige, s. Wächter, Reinheitsvorschr. (RV u.
V, IX. I. U)10) 25 ff. — Die „Couvade" erklärt R.Hertz, Rev.
^st. rel. LXIl, 1910^, 22« f. aus dem Glauben an einen mystischen
Zusammenhang zwischen Vater und Kind; gewöhnlich wird sie als
232 Zauber bei Geburt. Namongebung.
ein Versuch betrachtet, die Dämonen zu täuschen und von der
gefährdeten Mutter auf den Vater abzulenken, dem sie nichts an-
haben können. — Bisweilen werden kreisende Frauen (Gerhard,
Arch. f. Religionswiss. XVII, 1914, 3:i3, 675), häufiger die ge-
borenen Kinder (Samter, Berl. Arch. Gesellsch. Juni 1908 =
Arch. Anz. XXIII, 10it9, 522, der z. T. im Anschluß an Dieterich
seine früheren Ansichten umändert) auf die Erde gelegt. — Über
die Feier der Wiederkehr des Geburtstages handelt W. Schmidt,
Geburtstag im Altertum RV u. V, VII 2, 19Ü8, in der Weise, daß
zuerst die Geburtstagsfeier von Privaten, dann die der Fürsten und
Städte, endlich die der Götter besprochen wird; jeder dieser Ab-
schnitte beschäftigt sich zuerst mit griechischen , dann mit römi-
schen Vorstellungen. Nachträge zu den yertaia (37 £F.) bietet
Marmorstein, Arch. f. Religionswiss. XIII, 1910, 630 ff. , zu
den Städtegeburtstagen (83) H. Blümner, Berl. phil. Wochenschr.
XXIX, 1909, 1382. — Nach Pfister, Reliquienkult RV u. V,
V II, 1912, 530 entsteht die Geburtstagsfeier aus dem Glauben,
daß in jedem Menschen ein Dämon wohnt; der Dämon besonders
hervorragender Menschen wird daher folgerichtig in öffentlichen
Geburtstagsfeiern oder sogar in eigentlichem Götterkult verehrt.
Wahrscheinlich am 7. Tage nach der Geburt wurden die
Amphi dromia begangen, über die auch in der Berichtsperiode
viel verhandelt ist. S. Rein ach hatte unter Vergleichung eines
esthnischen Gebrauches als Zweck des Umlaufes um den Altar und
um das (auf ihm liegende?) Kind bezeichnet, dieses schnellfüßig
zu machen. Deubner bei Hastings s. Amphidr. II 648, ent-
scheidet sich für Samters Eiklärung, daß das Kind unter den
Schutz der Herdgottheit gestellt werden sollte. — Auch Vürt-
beim, Mnemos. XXXIV, 1906, 73 ff. zieht die esthnische Sitte
heran , und glaubt einen Zusammenhang mit dem Heros Amphi-
dromos herstellen zu können. — Svoronos, Athen. National-
Mus. I 445 sieht in der Umwandelung des Altars (durch die Braut)
und den Säugling eine symbolische Besitzergreifung. — Gruppe,
Berl. Phil. Wochenschr. XXVI, 1906, 1137 macht auf die sonder-
barerweise übersehene Stelle bei Plat (JeaiT. 160® aufmerksam,
aus der sich ergibt, daß die Athener der Blütezeit den Ritus als
ein Gottesurteil darüber auffaßten, ob das Kind am Leben bleiben
solle. Vgl. Berthold, Die Unverwundbark. in Sage u. Abergl.
d. Griech. RV u. V XI, 1, 3:. ff.
War das Kind zum Leben bestimmt, so mußte es auch einen
Namen erhalten. Auch dieser, der mit seinem Träger in einem
Namengebung. 23S
mystischen Zusammenhang zu stehen schien {o. 167) •, war oft
durch religiöse Gründe bestimmt. Ein großer Teil der griechischen
Personennamen enthielt namentlich in hellenistischer und noch mehr
in römischer Zeit als einen Bestandteil einen Gottesnamen. Ein
reichhaltiges Verzeichnis dieser Benennungen stellt Ernst Sittig,
De Graecorum nominibus theophoris, Diss., Halle 1911 nach den
Göttern geordnet , zusammen. Er hält diese Namen für urindo-
germanisch . weil sich ähnlich gebildete bei Indern , Persern und
Kelten finden ; aber da diese Namen bei Homer fast ganz fehlen
und im späteren Altertum sich mit zunehmender Schnelligkeit
mehren, so haben die ungeteilten Indogermanen, von deren Göttern
wir nichts wissen, solche Namen wahrscheinlich nicht gekannt;
erst von Vorderasien aus werden sie sich nach Osten und nach.
Westen verbreitet haben. Freilich war die Bildung hier, ent-
sprechend den allgemeinen Gesetzen über die Namenbildung, z. T.
anders als bei Griechen und Indern : der Name war oft ein ganzer
Satz. Später scheinen die Griechen, namentlich in Ägypten, solche
Bildungen nachgeahmt zu haben: ein Name wie Geoadi-tfuiov ist
vielleicht mit Schöne, Griech. Personennamen (s. u. 233) S. 25 als
«Ig i^Eog "^i^(.iü)v zu erklären. So lange das ererbte Sprachgefühl
lebendig war, trat bei den Griechen wie bei andern indogermanischen
Völkern für den Satz das zusammengesetzte, dann freilich oft ver-
kürzte Nomen ein. Der erstbezeugte griechische Name dieser Art
ist Herakles (vgl. Pauly-Wissowa-Kroll, ß.-E. Suppl. I, 1098, 50 ff.),
welcher der Blütezeit der argivischen Kultur angehört. Doch hatte
es schon vorher anders gebildete Namen von gleichfalls religiöser
Bedeutung gegeben, auf die Sittig zum Schaden seiner Untersuchung
nicht eingegangen ist. Namentlich die Fürsten legten ihren Kindern
gern Namen bei, die an irgend einen Gegenstand ihres Geschlechts-
kultus oder an ein Ereignis in seiner Legende erinnerte. Oft
werden Menschen nach Eigenschaften , Taten oder Abzeichen der
Götter, z. B. nach heiligen Tieren oder Pflanzen genannt, und daß
auch später noch die Einsicht in die Bedeutung dieser Namen
nicht ganz verschwunden war, zeigen Doppelbezeichnungen wie die
des ßaoikfKcg ygaf-i/jaxecg Harpokration 6 xat ^Itga^, der nach dem
Sperber des Horos-Harpokrates heißt.
Zweigliedrige Namen dieser Art konnten variiert werden, indem
die Bestandteile der Zusammensetzung mit solchen anderer zu-
sammengesetzter Namen vertauscht wurden ; ganz freie Bildungen
kamen zwar vor, waren aber m. E. nicht beliebt, weil sie (wie die
heute in der angelsächsischen Welt herrschende Wülkür in den
234 Namengebung.
Voruamen) den Eigennamen nicht als solchen kenntlich erscheinen
läßt. Deshalb sind Bildungen vfie'^Qiaroinißldag, ELim^lldr^g usw.
(Sittig S. 7) kein Beweis dafür, daß 'E7riiiti^Xiöt;g nicht mit dem
Hermes 'En:t^tjXiog zusammenhänge , sondern umgekehrt enthalten
noch jene frei gebildeten Namen einen Nachklang des Gottosnamens.
Nicht allein die Zahl der religiösen Namen ist weit größer als sich
aus Sittigs Sammlungen ergibt, sondern selbst die der eigentlich
theophoren Benennungen. Diese waren zwar später abgeblaßt und
wurden oft ohne individuelle Beziehung beigelegt; oft aber muß
man sich ihres ursprünglich religiösen Sinnes noch erinnert haben,
denn es werden im allgemeinen die Gottheiten bevorzugt, die
irgendwie mit Zeugung und Geburt oder deren Verkündigung in
Beziehung gebracht werden konnten. Die religiöse Bedeutung der
griechischen Personennamen scheint mir daher von Sittig unter-
schätzt; namentlich hätte er, wie Pfister, Wochenschr. f. klass.
Phil. XXVIII, 1911, S. 1108 ff. m. K. hervorhebt, mehr auf die
Beziehung der Namen zu den örtlichen Kulten achten sollen. —
Die theophoren Namen, die ein Kind als Geschenk einer Gottheit
bezeichnen, sammelt W. Fröhner, Arch. f. ßeligionswiss. XV,
1912, 380 ff. Begreiflicherweise sind die Flußgötter verhältnis-
mäßig reichlich vertreten, weU man vom Bad Kindersegen erwartete
(o. 230) ; dagegen fehlen Ares und, was zunächst befremdet, Demeter,
Aphrodite, die Musen, Hören und Charites. Für Demeter und
Aphrodite, die überhaupt wenig theophore Vollnamen bilden, erkannte
schon Sittig a. a. 0. 21 den Grund darin, daß ihre Namen
als Zusammensetzungen empfunden wurden. Statt ungefüger
Bildungen wie 'AqQoduodwQoq oder zJrjjurjtQodtoQog wendete man.
'Eycaq'QoöiTog oder ^r^f.njiQiog an. — Jacobsohn, Zeitschr. f.
vergl. Sprachf. XLIII, 1909, 46 f. macht darauf aufmerksam, daß
außer Achilleus, Eteoneus, Guneus, Idomeneus, Leonteus, Monestheus,
Nireus, Odysseus, Othryoneus, Phegeus die Helden der troischen
Epen, deren Name auf evg endigt, einer früheren Generation an-
gehören ; er folgert daraus, daß diese Namenbildung in der Zeit,
da die Sage gebildet wurde , bereits im Absterben begriffen war.
In der Tat ist ein großer Teil dieser Namen aus dem Griechischen
nicht deutbar und manche, die es zu sein scheinen, können volks-
etymologisch aus vorgriechischen Namen zurechtgeformt sein; aber
das gilt auch von den Namen anderer Bildung, und der statistische
Unterschied ist wohl nicht groß genug, um jene Folgerung zuzi-
lassen. — Fick, ebd. XLIV, 1911, 150 ff. glaubt, daß viele dieser
Namen Ethnika sind wie Nrfkevg^ nrjXevg, Tvöevg, deren Städte
Namengebung. — Bestattung und Totenkult. 235
i.af eia endigen und Kargevg, ^aX^cüvevg, denen Stadtnamen auf tj
entsprechen. Hierbei ist vorausgesetzt, was nicht bewiesen werden
kann, daß nicht Held und Stadt nach derselben Gottheit heißen
oder wenigstens den Namen aus demselben Kult empfingen. —
J. Schöne, Griech. Personennamen als religionsgeschichtliche
Quelle, Düsseldorf, Progr. 1906 will aus den in hellenistischer und
römischer Zeit häufigen Doppelnamen, namentlich den ägyptischen
gewisse Ausgleichungen griechischer und barbarischer Götter folgern.
— Auch andere Arbeiten über die antiken Namen enthalten ge-
legentlich Vermutungen über deren religiöse Bedeutung; ein Ver-
zeichnis gibt Sittig S. 6. — Seitdem erschien Fr. Bechtel, Die
historischen Personennamen des Griechischen bis zur Kaiserzeit,
Halle 1917, in dem die bekannten, in Bechtels früheren Werken
niedergelegten Untersuchungen wiederholt und zugleich weiter ge-
fahrt werden. Da die Götter- und auch, soweit sie nicht zugleich
auch später im Leben üblich waren oder wenigstens mit anderen
ihrer Bildung nach verglichen werden können, die Heroennamen
fortgelassen sind, bietet auch dies umfangreiche Buch für die Er-
forschung der griechischen Religion nur gelegentlich Neues.
Die Kinder wurden in Attika am dritten Tag des Apaturien-
festes im Monat Pyanopsion in die Phratrie aufgenommen. Da die
gewöhnlich zur Erklärung des Festnamens angesetzte Form 'Ana-
toqJ-ia nur im Ionischen möglich ist, leitet Ehrlich, Zeitschr.
f. vergl. Sprachforsch. XXXIX, 1906, 560 die attische Form von
einem Nominativ aTtaTcoQa ab. Diese Annahme ist nicht nötig;
das Fest kann aus lonien oder aus Troizen nach Athen übertragen
sein. Dafür spricht auch der hauchlose Anlaut, der durch die
attische Apaturienlegende verbürgt ist. — Nach Ledl, Wien. Stud.
XXIX, 1907, 202 wurde bei der Einführung der Knaben, die in
den ersten Lebensjahren stattfand , das „geringere" Opfer (lueiov}
dargebracht, das „Haarschneideopfer" xoiQeiov erfolgte erst in vor-
gerückteren Jahren,
f) Bestattung und Totenkult.
Eine wissenschaftliche Bearbeitung der antiken Gebräuche bei
der Beisetzung und Verehrung der Toten ist in der Berichtperiode
nicht erschienen; eine kurze Zusammenfassung der Hauptzeugnisse
gibt Sergi in Hastings Encycl. of Relig. and Eth. III 472 ff, —
Mehrere neuere Untersuchungen über homerische Bestattungs-
gebräuche hatD. Mülder (o. CLXI, 1913, i5^> besprochen ; über
Chudzinski, Tod und Totenkultus bei den alten Griechen,
236 Bestattung und Totenkult.
GymnasialbibliotJi. , herausgegeben von H. Hoffmann XLIV, 1907,
s. Stengel, Berl. Phil. Wochenschr. XXVIII, 1908, 404 ff. —
Über die Verbindung von Gräbern und Quellen handelt L. P ar-
men ti er, Acad. Belg., Bull, de la cl. des lettr. 1914, 358 im An-
schluß an das, wie er meint, von Plat. OalÖQog 47, S. 264"* er-
fundene Grabgedicht auf Midas. — Viel ist über die Frage nach
dem Verhältnis zwischen Begraben und Verbrennen geschrieben
worden. Während die antike Altertumsforschung, soweit sie sich
mit der Frage befaßte , aus Resten namentlich im römischen Be-
stattungswesen das höhere Alter des Begrabens gefolgert zu haben
scheint, das die Ausgrabungen jetzt bestätigen, werden bei Homer
die Toten verbrannt. So lange der Glaube an das hohe Alter der
bei Homer überlieferten Kultur nicht erschüttert war und diese
noch im ganzen der „mj-kenischen" gleichgesetzt wurde, suchte
man natüi-lich den Unterschied zwischen dem Dichterwort und den
Fundtatsachen möglichst zu verwischen. Eine Möglichkeit dazu
schien der Umstand zu eröffnen, daß die Leichen in den mykeni-
schen Gräbern durch Erhitzung gedörrt zu sein schienen. Wie
Dörpfeld sucht auch Z ehetmaier, Leichenverbrennung und
Leichenbestattung im alten Hellas, Leipzig 1907 zu erweisen, daß in
beiden Kulturen beide Arten der Bestattung nebeneinander und zwar
auch kumulativ geübt wurden. Toqxvblv ■=■ TctqiiEiEiv soll „dörren'*
heißen , dieses kann auch durch Anbrennen erwirkt werden , also
sind nach Zehetmaier in der mykenisch-homerischen Zeit die Leichen
nur angesengt worden, damit sie widerstandsfähiger würden. Damit
wird der homerischen Beschreibung Gewalt angetan, und E. Pfuhl,
Gott. Gel. Anz. 1907, 669 wendet dagegen ein, daß tagxveiv ur-
sprünglich „einbalsamieren", aber in der Ilias (vgl. JI 456) über-
haupt „feierlich bestatten" bedeutet. — Deshalb schließt Schrader,
in einem Vortrag über Begraben und Verbrennen, der in der Festschr^
der Schles. Ges. f. Volksk. (= Mitteil. XIII/XIV) abgedruckt ist,
(S. 467) aus dem homerischen Worte toqxvbiv nur, daß zwischen
der mykenischen und der homerischen Kultur keine starke Volks-
nmwälzung stattgefunden haben könne , da Homer für „bestatten"
ein Wort verwende, das nicht für die Sitte seiner Zeit, wohl aber
für die der mykenischen passe. — Der ursprüngliche Zweck der
Verbrennung war nach Schrader, Mitt. d. Schles. Ges. f. Volksk.
XII, 1910, 64 f. „die bis dahin auch nach dem Tode am Körper
haftend gedachte Seele aus ihrer Haft zu befreien und durch den
Bauch der Flamme einem fernen Totenreich zuzuführen". —
J. de Mot, La cremation et le sejour des morts chez les Grecs,
iJestattiing und Totonkult. 237
Mem. de la soc. d'anthrop. de Bruxelles XXVII, 1908, no. (j meint,
die in der „my kenischen" Zeit noch unbekannte Leichenverbrennung
sei in der Zeit der dorischen Wanderung allgemein üblich geworden,
init Ausnahme der Kinder, die man, wie schon Dieterich annahm,
beerdigt habe, damit sie von der Mutter Erde neu geboren werden
könnten. — In Italien scheint die Sitte des Begrabens älter zu
sein als die der Verbrennung, da man später auch, wo diese voll-
zogen wurde , zur Erinnerung an den ursprünglichen Gebrauch
■ wenigstens einen Körperteil beerdigte. Das Grab soll , wie mehr-
fach auch in neuerer Zeit angenommen wird, ursprünglich im oder
wenigstens beim Hause gelegen haben; daraus erklärt Marbury
B. Ogle, Proc. Am. Philol. Assoc. XL, 1908, S. LXVI flf. die
Vorstellung, daß die Toten in der Nähe der Tür weilen, und die
sich daraus ergebende von der Heiligkeit der Tür. — Pascal,
Symbolae litterariae in honorem Julii de Petra 1911, S. 228 ff. bringt
mit der alten Sitte des Grabes im Hause , wo man auf den Toten
herumtrat, die Formel „Sit tibi terra levis" in Verbindung. —
Daß noch in homerischer Zeit das Verbrennen nicht allgemein
üblich war, setzt voraus oder sucht zu erweisen M. Mayer, „Zu
homerischen Bestattungsgebräuchen", Berl. Phil. Wochenschr. XXIX,
1909 , 153 , indem er H 410 vorschlägt ßtlzeQOv st x£ (überlief.
yiyvBT e.7tei ae) i^dvwai, nvQag (überlief, nvgög) (usiXiGGEfjev (d.h.
„mit Honig versetzen") io/.a. — Andere Schriften über homerische
Bestattungsgebräuche hat D. Mulde r in diesen Jahresber. {CLXIy
1913, 132 ff .^ besprochen. — Ridgeway, der die „pelasgische" in
■ Kreta und Mykene ausgegrabene Kultur von der achaiischen sondert,
schreibt jener die Beerdigung, dieser die Verbrennung der Leichen
'IM (Early Age of Greece, Bd. I, Ch. VII) ; und da ein Volk, das
eine lange Zeit der Wanderung durchgemacht haben muß , darauf
verfallen konnte, die Leichen zu verbrennen und die Aschenreste
mitzunehmen , so hat diese naheliegende , auch früher schon ge-
äußerte Vermutung vielen Anklang gefunden. So hält z.B. Law-
son. Modern Greek Folklore and ancient Greek Relig., der 485 ff.
das Problem ausfüiu-lich behandelt, Ridgeways Schlußfolgerungen
(491) für bündig und glaubt auf sie weitere Vermutungen über die
Jenseitsvorstellungen beider Völker gründen zu können , wobei er
'aber die innere Wahrscheinlichkeit seiner Voraussetzung durch die
Vermutung abschwächt, die Neuerung habe den Zweck gehabt, den
Körper der Seele in das Paradies nachzuschicken und dadurch die
Wiedervereinigung beider zu ermöglichen. Ähnlich wie Eidgeway
Tersucht gegen Dörpfeld Rouge, Neue Jahrb. XXV, 1910, 385 ff.
238 Bestattung und Totenkult.
den Nachweis, daß die vorgriechische Bevölkerung Beerdigung, die
eindringenden Griechen aber Verbrennung kannten und daß daher
der Adel, das eingedrungene Herrenvolk, an der Verbrennung fest-
hielt. Auch Fred. Poulsen, Der Orient u. die frühgriech. Kunst
181 verwirft die Annahme, daß die mykenische und die homerische
Bestattung gleich gewesen seien. Dörpfeld hat ebd. XXIX»
1912 , 1 ff. seine Ansicht gegen diese Angriffe mit Gründen zu
stützen versucht, die nur dann Überzeugungskraft hätten, wenn
seine Ansichten über das Verhältnis der mykenischen zu der
homerischen Kultur überhaupt sicher ständen. — Vollständig ist
die Frage, ob auch schon die vorgriechische Bevölkerung ihre Toten
verbrannte , noch nicht entschieden , aber obwohl noch einige Be-
denken übrig bleiben , gewinnt die Überzeugung immer mehr An-
hänger, daß die vorgriechische Bevölkerung der Balkanhalbinsel die
Toten in der Erde barg, und daß die Reicheren sich Kuppelgräber
oder wenigstens, wie es in Makedonien (0. Rubensohn, Bull.
SOG. arch. n. s. III, 1910, 84 ff.) und in Etrurien auch später
üblich war, Grabkammern bauen ließen. Daß das Ansengen der
Leichen, das man beobachtet zu haben glaubt, die Verwesung
hintan halten sollte, scheint mir zweifelhaft; man konnte diesen
Zweck auch durch andere Mittel, z. B. durch Honig, wie es wahr-
scheinlich von Babylonien aus , früh auch in Griechenland üblich
war, erreichen. — Die Einschließung der Leiche in einem unter-
irdischen Räume konnte einen doppelten Zweck haben: einerseits
konnte der Tote geehrt und ihm eine behagliche Stätte für die
Ewigkeit bereitet werden, andererseits wurde er dadurch verhindert,
auf die Oberwelt zurückzukehren und den Menschen zu schaden.
Dieser zweite Zweck wird von vielen Forschern , z. B. von
0. Sehr ad er a. a. 0. S. 64, auch für die Leichenverbrennung
vorausgesetzt. Welche dieser beiden Vorstellungen, die natürlich
nebeneinander bestehen konnten und auch wirklich bestanden haben,
die ältere ist, läßt sich bisher nicht feststellen, und vielleicht ißt
die Frage nicht richtig gestellt. Daß man den Toten wie den Tod
als etwas Unheimliches ansah und den Anblick der Leiche, die dem
Menschen vor Augen stellt , was er selbst einst werden muß,
fürchtete und mied, lag zwar nahe; auch mußte man früh auf die
gesundheitgeiährlichen Wirkungen aufmerksam werden , die von
einer unbeerdigten Leiche ausgehen können. Diese Vorstellungen
haben den im späteren Altertum herrschenden, von Wächter,
ßeinheitsvorschriften (RV u. V IX. I, 1910J, S. 43 ff behandelten
Aberglauben hervorgerufen, daß der Tote und vieles, was mit ihm
Bestattung und Totenkult. 239
in Beziehung gesetzt wird, verunreinige. Schon die Nachricht vom
Tode eines Freundes oder Verwandten konnte Unreinheit bewirken;
das Erwachen vom Scheintode, das Wiedererscheinen eines Ver-
schollenen, selbst — wofür Kohler, Arch. f. Reli<.'ionswi88. XIII,
1910, 79 ff. Parallelen aus dem semitischen Kulturkreis beibringt —
die Rückkehr nach langer Reise mußten an manchen Orten durch
einen Wiedergeburtsritus geführt werden. Allein die diesen Rein-
heitsvorschriften und Riten zugrundeliegende Anschauung ist viel-
leicht in den Jahrhunderten aufgekommen oder wenigstens aus-
gebildet worden, die zwischen der Blütezeit der altkretischen und
der von Homer geschilderten Kultur angenommen werden müssen.
In ihnen sind viele Höhlen , in denen Regenzauber geübt wurde,
und alte Blitzgräber als Unterweltseingänge gedeutet worden , und
den aus ihnen , wie man glaubte , emporstrebenden Unterirdischen
wurden manche der üblen Wirkungen zugeschrieben , gegen die
man früher meist andere übernatürliche Mächte angerufen hatte.
Vielleicht stammt erst aus dieser Zeit das Bestreben, dem Toten-
geist die Rückkehr auf die Erde unmöglich zu machen.
Diese Auffassung scheint auch durch die den Toten ins Grab
mitgegebenen Gaben bestätigt zu werden. Die Eier, die sich so
oft in alten Gräbern finden, sollen nach Nilsson, Arch. f. Re-
ügionswiss. XI, 1908, 530 ff. dem Toten die in ihnen verkörpert
gedachte Lebenskraft mitteüen oder erneuern, deren er so dringend
bedarf. Sehr bezeichnend sind jedenfalls die nackten Frauen-
gestalten, die sich, wie W. A. Müller, Nacktheit und Ent-
blößung, ausführt, wie in ägyptischen (25) und andern orientalischen
so auch in vor- und frühgriechischen (62) Gräbern, und zwar noch
zusammen mit Vasen des geometrischen Stils (77) gefunden haben.
Vgl. über die nackte, oft die Brüste pressende Göttin der alt-
kretischen und der hetitischen Kunst H. Prinz, Ath. Mitt. XXXV,
1910, 154, 169 f. — Mögen diese Figuren auch typengeschichtlich
von den sogenannten Ishtarbildem zu trennen und mit S. Reinach,
Evans u. a. zu der in ganz Europa verbreiteten vorgeschichtlichen
Plastik zu stellen sein, so kann doch darüber kaum ein Zweifel
aufkommen, daß sie dazu beitragen sollten, dem Toten sein Grab
behaglich zu machen, nachdem man ihm — etwa durch einen
Zauberspruch — vermeintlich Leben eingeflößt hatte. — Eine
andere Vorstellung scheint freilich die namentlich bei Ausgrabungen
in Gallien öfters beobachtete Tatsache zu verraten, daß die den
Toten mitgegebenen Gegenstände, z. B. Schwerter, worauf S. R e i n ac h ,
Cultes, myth. rel. III 151 ff. auch Polyb. II 33 bezieht, und Krüge
240 Bestattung und Totenkult.
(vgl. Prop. V [IV] 7, 34) zerbrochen sind. Eeinach schließt
daraus , daß diese Gegenstände dem Toten nicht zum Gebrauch
dieuen, sondern als Tabu außer Gebrauch gesetzt werden sollten
und zugleich deshalb als passende Toteugaben erschienen, weil
dem gebrochenen Menschen die gebrochene Sache entsprach. Wenn
diese Auffassung wirklich einmal bestanden hat, so ist in ihr
schwerlich mehr zu sehen als eine durch unbekannte Umstände
veranlaßte Umänderung der Sitte, die eine Umformung auch der
zugrunde liegenden Idee herbeigeführt hat.
Denn obwohl nie ganz erloschen, ist doch die Vorstellung,
daß der Tote die ihm mitgegebenen Sachen benutzen könne, später
von geringer Bedeutung gewesen. Das, womit man in geschicht-
licher Zeit die Leiche und das Grab schmückte, hat nur noch
wenig Beziehung zu jener alten Vorstellung. Es wird mehr oder
weniger zum Kunstwerk und erhält als solches symbolische Kraft,
d. h. es erregt Gefühle beim Beschauer, die über das unmittelbar
von ihm Geschaute hinausgehen. Dem entspricht es, daß es mehr
sichtbar gemacht wird. Schöner als die Leiche wird der Sarkophag
oder die Urne geschmückt, welche die Reste aufnimmt, oder das
Grabmal, in dem sie beigesetzt werden. Dem Toten selbst wurde
in der Blütezeit im ganzen wohl nicht mehr mitgegeben als der
natürliche "Wunsch, keine unschönen Vorstellungen mit dem lieben
Entschlafenen zu verbinden, auch heute natürlich erscheinen läßt.
Über den Totenkranz vgl. J. Klein, Der Kranz bei den
alten Griechen, S. 40, und Carlo Pascal, Le credenze d' oltre-
tomba I 35 ff., der die Sitte, den Toten mit Blumen zu schmücken,
ebd. 27 aus der orphi sehen Vorstellung von den Gelagen der Seligen
und 33 f. auch die Rosalia aus orphisch-dionysischen Vorstellungen
erklärt. Wie die Tainien, die Pley, De lanae usu (RV u. V, XI 2,
1911) 83 ff. als Lustrationsmittel auffaßt, wie die Schminke, die
schwerlich, wie A. Sonny, Arch. f. Religionswissensch. IX, 1906,
525 glaubt, das einst dem Toten dargebrachte Blutopfer ersetzen,
sondern die häßliche Leichenfarbe nehmen und, wie F. v. Duhn
ebd. 1 ff . es auffaßt, dem Toten den Anschein des Lebens geben
soUte, wie die rote Farbe des Totenkleides , in der auch v. Duhn
a. a. 0. eine Erinnerung an einstige Blutopfer sieht, sind auch die
den Toten mitgegebenen Blumen wahrscheinlich als einfacher Schmuck
und daneben vielleicht als ein Hinweis darauf gefaßt worden, daß
der Tote etwas Heiliges, ein Gegenstand der Verehrung geworden sei.
Auf den römischen Sarkophagen und in der sonstigen Sepulkralkunst
Roms will V. Macchioro, II simbolismo nelle figurazioni sepolcrali
Bestattung und Totenkult. 241
romane, Mem. RA di archeol., Neapel 1909, eine ausgedehnte
S3'mbolik nachweisen : ein Wagen, ein Schiff, ein Delphin sollen
ein Sinnbild der Seelenreise sein, ein trinkender Vogel die im
Jenseits erquickte Seele darstellen. Taube und Hahn werden
erotisch gedeutet, weil Persephone der Aphrodite gleich sei, Pfau
und Adler sollen auf die Apotheose , Schlange und Totenmahl
auf dionysische Lehren hinweisen. — Ähnlich deutet Haus er,
Rom. Mitt. 25, 1910, 274 ff. das Weinsieb in der Hand eines
Mädchens auf dem Sarkophag von Torre Nova als eine Andeutung
davon, daß die Verstorbene noch nicht in die Geheimnisse der Ehe
eingeweiht war. Gewiß haben die Alten bei der Wahl des Gegen-
standes auch in der Grabkunst sinnige Beziehungen gesucht und
auch gefunden, die uns, denen ihr Vorstellungskreis nur z. T. be-
kannt und jedenfalls nicht mehr lebendig ist, fernzuliegen scheinen;
aber im ganzen hat m. E. Deubner Recht, wenn er bei der Be-
sprechung von Macchioros Untersuchungen (Berl. Phil. Wochenschr.
XXX, 1910, 1453) findet, daß der rein dekorative Charakter vieler
von diesen Darstellungen unterschätzt werde. Auch darauf ist
hinzuweisen, daß wirkliche Symbole oft lange, nachdem ihr Sinr
vergessen war, angewendet wurden und dann verwandte Dar-
stellungen hervorriefen , die nie Sinnbilder gewesen sind. —
R. Pagenstecher, Unterital. Grabdenkmäler (zur Kunstgesch.
des Auslands XCIV), Straßburg, 1912, bezieht Szenen, die
namentlich von neueren italienischen Forschern als die Mahle
der Seligen gedeutet waren, auf Opfer, die dem — vielleicht
heroisierten — Toten von seinen lebenden Angehörigen dar-
gebracht werden (S. 121 f ). Über athenische Gräber und Grab-
denkmäler sprach A. Brückner am 28. 3. 1916 in der Berliner
Religionswissensch. Vereinigung. Auf den älteren Grabreliefs er-
scheinen die Toten wie bei Polygnot in stillem Träumen ; in
mancherlei Formen und Zeichen spiegelt sich die Schlaffheit des
Toten wieder, die auch das Epos schildert; es lagert über den
Gräberfeldern wie ein ewiger Dornröschenschlaf. In ähnlichem
Sinn deutet z. B. Pagenstecher, Sitzungsber., Heidelb. AW,
1911, no. IX 5 die „Penelope" als eine Grabfigur, welche eine
über ihren Tod klagende Seele darstellt. Seit dem Ende des
5. Jhs. wird der Trauer der Hinterbliebenen nach Brückner die
aus den Mysterien geschöpfte Zuversicht auf ein seliges Los
gegenübergestellt; das zeigt sich in der Gestalt des Toten selbst
und deutlicher noch in dem ornamentalen Schmuck, der Seligkeits-
hoffnungen symbolisiert. Über den Umfang, in dem der letzte
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementband). 16
242 Totenkult. Jenseitsvorstellungen.
Satz gültig ist, kann noch Zweifel herrschen, aber als sicher er-
scheint mir, daß die Deutung dieser Denkmäler von den Gefühlen
ausgehen muß , welche die große Masse der Besteller erfüllte und
sie veranlaßte, gerade diese Gegenstände zu verlangen. Sie kamen
zur Grabstätte in weihevoller, wehmütiger Stimmung und wünschten
dort eine mit ihr in Einklang stehende, sie steigernde Darstellung
zu finden. Sie wollten den Toten in der Lieblichkeit seines einstigen
Erdendascins, in der Gemütlichkeit des Familienmahles, in der Aus-
übung des Berufes, in der Abschiedsstunde, da er dem Besteller
zum letzten Male erschienen war, sehen. War der Verstorbene
fürs Vaterland gefallen, so wählte man eine Darstellung seines
ruhmvollen Todes. Andere verlangten einen Ausdruck ilires
Schmerzes über den Verlust oder auch der Entsagung, mit der sie
über die Hinfälligkeit alles Schönen klagen. Auch die Erlösuugs-
hoffnung wird ausgesprochen, der Tote erscheint als Heros oder
auch als Gott: beides ist nicht ganz selten, aber doch nicht so
häufig, als nach den literarischen Zeugnissen angenommen werden
konnte. Da Porträtähnlichkeit in dieser Handwerkskunst meist
nicht erreicht werden konnte und wohl auch nicht erstrebt wurde,
ist die Masse dieser Darstellungen typisch; sie geben Bilder aus
dem Leben des Tages oder auch aus dem Mythos, dessen S}Tn-
bolische Kraft der Gebildete im Altertum wahrscheinlich viel leb-
hafter empfand als heutzutage. Es ist eine fast überflüssige Frage,
ob die zahlreichen Eaubszenen auf den Terrakottareliefs von Lokroi
die Entführung Persephones darstellen, wie es Quagliati, Auson. III,
1908, 168 ff. dann annimmt, wenn die Person großartiger und der
Wagen prächtiger gebildet ist, oder ob der Tod eines Menschen
symbolisch ausgedrückt werden soll. Jene war für diesen un-
mittelbares Sinnbild, dieser wurde bei jener sofort mitverstanden.
In diesem Fall hat der Mythos wahrscheinlich von Haus aus be-
deutet, was später in ihn gelegt wurde; denn Lawson, Modem
Greek Folklore and anc. Gr. Relig. 577 hat schwerlich mit der
Annahme recht , daß Persephones Hochzeit ein Symbol für die
Hochzeit der Seele mit der Gottheit im glücklichen Jenseits be-
deuten sollte. Aber oft sind zu Grabdarstellungen mythische Szenen
gewählt worden, die zwar den Beschauer in die beim Besuche des
Grabes passende Stimmung versetzen konnten, aber ursprünglich
in anderem Sinn erfunden waren. Dann muß zwischen dem Sinn-
bild und der hineingelegten Vorstellung schärfer geschieden werden^
als dies jetzt oft geschieht. Die Sirene und die Harpyie z. B.
haben die Hinterbliebenen gewiß an das Geschick erinnert, das
Totenkult. Jenseitshoffnungen. 243
ihnen den Toten entrissen hat, aber sie schon darum als ursprüng-
liche Todesdämonen zu fassen, geht nicht an. Alle diese Vor-
stellungen, die sich nicht wesentlich von den noch heute herrschenden
unterschieden, haben sicher im späteren Altertum bestanden, frag-
lich ist nur, wie weit neben ihnen ältere sich erhalten hatten,
nach denen die Toten mit Furcht oder Ehrfurcht, als Dämonen,
Heroen oder Götter betrachtet wurden und wie weit diese Reste mit
den späteren Anschauungen ausgeglichen waren. Nach Rhomaios,
Ath. Mitt. XXXIX, 1914, 189 ist die Heroisierung der Toten viel
seltener vorgekommen, als gewöhnlich angenommen wird. Die
„Totenmahlreliefs", in denen z. B. Eitrem, Christ, Vidensk. Selsk.
Skr., 1909, no. 9 S. 15 ff. des Separatabdrucks idealisierte Dar-
stellungen des Totenkultus gesehen hatte, wenn auch kein be-
stimmter Moment ausgedrückt sei, die aber bereits Svoronos,
Athen. National-Mus. I 558 als ursprünglich auf die Bewirtung
fi-emder Götter bei ihren neuen Verehrern oder deren frühereu
Göttern bezüglich, gedeutet und erst in ihren jüngeren Exemplaren,
etwa vom 3. Jh. an (S. 561) als Grabdenkmäler anerkannt hatte,
stellen nach E,homaios meist nicht die Toten, sondern Gott-
heiten, und zwar, wenn sie auf Gräbern standen, die Gottheiten
der Unterwelt dar. Nur selten wird nach Rhomaios der Tote beim
Mahl durch Adoranten geehrt. Die lakonischen Weihreliefs sollen
Götter und Heroen darstellen, diese und die Toten zwar ähnlich
verehrt, aber doch verschieden aufgefaßt gewesen sein. Dagegen
hatte Roussel, Rev. et. anc. XIV, 1912, 380 viele Beispiele
von Totenvergötterung aus späterer Zeit gesammelt. — Eine ge-
wisse Apotheose würde vorliegen, wenn der Tote auf kleinasiatischen
Reliefs, die ihn reitend, aber ohne Doppelaxt darstellen, dem
dortigen Reitergott angeglichen wäre , wie M i c h o n , Rev. et.
anc. VIII, 1906, 189 meint. — Über die phrygische Sitte der
Kaiserzeit, den Toten einem Gott gleichzustellen und das Grab als
Heiligtum zu betrachten, vgl. auch Ramsay, Aberdeen Stud. XX,
1906, 270 ff. — Die Heroisierung eines Lokalbeamten findet
G. Herbig, Philol. LXXIII, 1914/6, S. 458 ff. in einer oskischen
Altarinschrift ausgesprochen, wo die Worte Jovioi metsed pehed
flousoi bedeuten sollen Divo (= Jovio) ex meddicio pio Floro. —
Mit der allgemeinen Vergötterung der Toten berührt sich die
Fürstenapotheose, bei der jedoch auch andere Vorstellungen mit-
spielen (.5. 0. 89 ff.). Als eine Totenvergötterung könnte auch
die Mysterienlehre gefaßt werden, daß es durch Begehung gewisser
Riten möglich sei, in das Land der Seligen zu gelangen ; ja, es
16*
244 Totenkult. Jenseitshoffnungen.
wird diese Mysterieulehre auch in neueren Untersuchungen bisweilen
noch als „Unsterblichkeitsglauben" bezeichnet. Das ist aber un-
genau, denn in den Mysterien wird, wie in der Volksvorstellung
überhaupt , die Fortdauer aller Seelen vorausgesetzt und den Ge-
weihten nur ein besseres Los im Jenseits verheißen als den
andern Toten. Das ist gewissermaßen die Kehrseite zur Ver-
götterung und Heroisierung: bei dieser wird dem Toten Macht
über die Lebenden zugeschrieben und ihm deshalb ein Kult ge-
widmet, während es sich bei der Mysterienlehre nur um den Zu-
stand der Seele selbst handelt. Beide Vorstellungen können zwar
verbunden auftreten; es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß die
Griechen bei den früheren Bewohnern ihres Landes, denen sie die
Mysterien entlehnt zu haben scheinen, auch die Sitte vorfanden,
dem Toten dauernden Kult zu weihen. Wenigstens vermutet
V. Duhn, Arch. f. Religionswiss. XII, 1909, 161 ff., daß auf dem
Sarkophag von Hagia Triada ein Toter beschworen wird, um ein
Opfer zu empfangen, und auch nach P ari b e n i , Mon. ant. ARL XIX,
1908, 79 wird dort der Tote wie ein Gott verehrt. Allein not-
wendig ist diese Verbindung nicht; ja, wenn beide Vorstellungen
aus derselben Grundanschauung erwachsen sind und sich später
durchkreuzt haben, so muß doch ihre Entwicklung mindestens
teilweis unabhängig erfolgt sein. Deshalb sind Vergötterung und
Totenkult einerseits, Erlösungslehre und Mysterienglauben ander-
seits getrennt zu betrachten. Loisy, Rev. bist. litt. rel. n. s. IV,
1913, 146 stellt Nichtzusammengehöriges in Vergleich, wenn er
gegen Rohde erweisen will, daß bei den Trakern der Unsterblichkeits-
glaube älter sei als der Einfluß der Orphiker. Freilich hatte er darin
in alter und neuer Zeit Vorgänger.
Empfängt der Tote als Gott oder Heros Opfer, so wird er in
der Regel als chthonische Gottheit betrachtet. Das spätere
griechische Ritual machte nach dem Stoff, der Art und der Zeit
der Opfer einen Unterschied zwischen den oberen und den unter-
irdischen Gottheiten, auf den namentlich P. Stengel immer wieder
hingewiesen hat. Den Toten, den Heroen und den Unterirdischen
wird am Abend geopfert, wofür B. Haussoulli er, Rev. de
phil. XXXIV, 1910, 137 ff. eine neue Bestätigung in der In-
schrift eines archaischen Diskos aus Cumae findet, in der er
Pythagoreischen Einfluß vermutet. Dieser und ähnliche Unter-
schiede sind jedoch, wie A. Thomsen, Arch. f. Religionswiss. XII,
1909, 482 ff. bemerkt, nicht ursprünglich, sondern erst nach und
nach durchgeführt. Daher erklären sich die vielen Ausnahmen.
Totenkult. 245
Die Einsicht in ein solches Verhältnis ist in der Tat nicht un-
wichtig: sie kann durch die Vermutung erweitert werden, daß der
Unterschied in den dunklen Jahrhunderten sich ausbildete, als
der Kult der Toten und die Furcht vor ihrer Macht in den religiösen
Vorstellungen vorherrschte und für die neuen Kulte passende
Formen geschaffen wurden. Diese neue Art der Darbringung i.st
vielfach auf andere Kulte übertragen worden, namentlich auf solche,
die das Wetter und die Fruchtbarkeit verbessern sollten, und solche
Kultformen sind nachträglich, als jene Zeit der chthonischen Kulte
überwunden war, nicht immer beseitigt worden. Es ist deshalb
nicht gestattet, wie es noch jetzt vielfach geschieht, einen Kult
deshalb für uisprünglich den Unterirdischen geweiht zu halten,
weil er andern chthonischen Kulten verwandt ist oder die Fruchtbar-
keit des Landes mehren soll. — Von den einzelnen Darbringungen
an die Toten sind die Haaro^^ev bereits o. {168) erwähnt. Daß die
Milch bei der Totenbeschwörung und dem Totenopfer nicht zur
Versöhnung dargeboten sei, will K. Wyß, Die Milch im Kultus
d. Griechen u. Römer 34 ff. erweisen. — Über Wcmspenden im
Totenkult handelt Kirch er, Die saki-ale Bedeutung des Weins
im Altertum, ßV u. V IX 2, 1910, S. 12 f. — Blutopfer an Tote
waren, wie Paribeui, Mon. ant. RAL XIX, 1908, 48 aus dem
Sarkophag von Hagia Triada folgert, vielleicht schon in „minoischer"
Zeit üblich. — Das Ausgießen des Wassers bezweckte nach
Lawson, Modern Gr. Folklore and anc. Gr. Relig. 521, dem
Toten den Eintritt in das Paradies zu ermöglichen. Eher ist der
Grund der Sitte in der Vorstellung von dem Durst der Seelen
(Hdb. d. griech. Myth. und Religionsgesch. 831, 1) zu suchen, aus
der Pascal, Riv. di fil. cl. XL, 1912, 441 f. auch Lucr. III 917 f.;
Prop. IV (V) 5, 1 f . erklären will. Dieser Glaube ist uralt; er
war weit verbreitet und lebt an vielen Orten noch heute fort. Bei-
spiele aus Rußland so.mmelt z.B. Janiewitsch, Arch. f. Religions-
wiss. XIII, 1910, 627. Vgl. auch den in der arabischen Grab-
dichtung gewöhnlichen Segensv/unsch „Möge dein Grab stets durch
Regen getränkt werden", den freilich Goldziher ebd. 20 ff. mit
der sühnenden Kraft des Wassers begründen wollte.
Den nach dem Begräbnis fortdauernden Totenkult, fi'eilich
auch, wie es der Titel ankündigt, manches andere stellt Fr.
P f i s t e r , Der Reliquienkult im Altertum (RV u. V V 1 u. 2),
1909 u. 1912 dar. Der Reliquienkult, der mit wenigen Ausnahmen
wie Agamemnons Zepter dem Heros am Grabe geweiht wird (528),
beruht auf dem Glauben, daß der Verstorbene sich um so mehr
24 t) Totenkult.
als helfend oder schüdigend betätigen könne, je Größeres er im
Leben geleistet hatte und je mehr sein Wirken als von über-
menschUcher Art erschienen war. Neben den heroisierten Menschen
nimmt aber Pfister (545) eine zweite Klasse, die aus chthonischen
oder auch uranischen Göttern entstandenen Heroen, an. Daß es
auch frei erfundenen, d. h. an eine Dichtung angelehnten Heroen-
kult gibt wie den am Elpenorgrab (228) und den römischen Aeneas-
kult (143), erkennt er zwar an, aber er meint (226), über die
Hälfte der Heroen, neben denen „homonyme Kultobjekte stehen",
seien bald nach ihrem Tode heroisierte Menschen oder entthronte
Götter gewesen, deren Kult sich mit ihren Verehrern ausgebreitet
habe. Die bloße Tatsache des Kultus und das Gesetz, daß in der
mythischen Genealogie im allgemeinen nur Ortseponymen und nach
Kultobjekten genannte Heroen erscheinen, „das Bodenständigkeits-
gesetz" (65), genügt ihm meist schon zum Beweis dafür, daß ein
Heros einer der beiden von ihm unterschiedenen Hauptklassen an-
gehört. Das sind trügerische Kennzeichen. Oft erscheinen frei
erfundene Gestalten deshalb als „bodenständig", weil die Dichter,
um die Glaubwürdigkeit ihrer Schöpfung zu erhöhen, ihnen Namen
geben, die an einen Kult oder an Ortsnamen ihrer angeblichen
Heimat anknüpfen. Die Kolonisation hat zwar oft Heroen in
andere Gegenden verpflanzt, aber die Wanderungen der Stämme
fallen in Zeiten, wo die Dichtung von ihren Heroen noch nichts
•wußte, und die Wanderungssagen scheinen nur deshalb zu der
Verbreitung des Kultus der „Stammheroen" zu stimmen, weil
sie eben aus den genealogischen Übereinstimmungen erschlossen
sind , die sie jetzt erklären sollen. Die Zahl der heroisierten
Menschen scheint mir Pfister zu überschätzen-, im allgemeinen hat
die griechische Heldensage zwar zum Ruhme lebender Fürsten ge-
sungen, aber nicht von ihnen, sondern von den ihnen angedichteten
Ahnen, in denen sich der Buhm, die Wünsche und Hoffnungen, die
Ansprüche der Enkel spiegeln sollten. Ebenso nimmt Pfister m. E.
unter den Heroen eine zu große Anzahl ehemaliger Götter an; wo
wirklich ein Heros einem Gott gleichnamig ist, muß oft sein Ver-
hältnis anders als durch Hypostase erklärt werden. In der ver-
hältnismäßig späten Zeit, in der sich die griechische Götterwelt
bildete, wurden an die Stelle von alten Lokalgottheiten oder neben
sie vielfach berühmtere Götter des Epos gesetzt; die alten Namen
lebten zwar auch später als Beinamen fort, z. T. aber wurden sie
allmählich vergessen und waren dann in den letzten Stadien ihrer
Erhaltung für die Mitglieder der an der Kultstätte herrschenden Adels-
Totenkult. 247
t^eschlechter ein Anlaß, ihre Kinder oder ihre Vorfahren nach ihnen
zu nennen. Die Dichter sind ihnen natürlich bei der Namengebung
gefolgt; und da konnte es denn freilich leicht vorkommen, daß auf
den im übrigen frei erfundenen Helden Züge übergingen, die einst
von dem gleichnamigen Gott erzählt waren. Wer will, mag dies
eine Hypostase nennen, aber ein entthronter Gott ist ein solcher
Heros doch nicht. Wertvoller als in der Beurteilung dieser all-
gemeinen Fragen ist das umfangreiche Werk durch allerlei Beiwerk,
das hier nicht erwähnt werden konnte. Der erste Halbband be-
handelt das Objekt des Reliquienkultus , und zwar zunächst die
einheimischen Heroen, darunter die mythischen Königslisten von
Megara (als Dissertation 1907 erschienen), Troizen und Achaia
sowie die thessalisch-pylische Genealogie, der zweite die Reliquien
als Kultobjekte und die Geschichte des Reliquienkultus. Eingehend
werden auch die Reliquien christlicher Märtyrer besprochen.
Über die attischen Totenkulte handelt P. Stengel, Herm.
XLIII, 1908, 647 ff., Opferbräuche der Griechen 163 ff. Die
revtota wurden von den Angehörigen eines Verstorbenen zu seinem
Geburtstag wie auch vom Staate am 5. Boedromion zu Ehren aller
Toten gefeiert; ob auch die NluEoeicc ein staatliches Fest waren,
ist wenigstens zweifelhaft. Die Lexikographen knüpfen alle an
Demosth. XLI 11 an, wo es sich um eine private Feier handelt,
und wissen von der Sache nichts ; der Name vexcaia bezeichnet
nach Stengel nicht ein Fest, sondern allgemeine Begehungen zu
Ehren eines Toten ; ebenso sind die togala appellativisch als Toten-
opfer zu fassen, die diesen Namen erhielten, weil man dabei auf
die Jahreszeit achten mußte. — Die Xai.i7iaöi]dQ0/Liia des Evcixdcpiog
ctyiöv wurde nach Brückner, Ath. Mitt. XXXV, 1919, 200 f.
bereits im 5. Jh. eingeführt. Ein bestimmter Tag war notwendig
festgesetzt, aber dieser fiel nicht notwendig mit dem Staatsbegräbnis
der Gefallenen zusammen. — Als ein attisches Totenfest sind auch
die Pithoigia anzusehen, wenn die von dem Berichterstatter Handb.
94, 3 und 761, 9 (danach von J. Harrison, Proleg. ^ 40 ff.) gegebene
Erklärung des nid^og richtig ist. Aber diese Deutung bestreitet Nilß on ,
Eran. Suec. 1915, 184, weil das Gefäß, aus dem die Toten auf dem
Jenaer Vs. aufflattern, eine gewöhnliche Grablekythos sei. Der
Einwand scheint mir nicht begründet; galt der Ausgang aus der
Unterwelt als ein Faß, so konnte, ja mußte fast der Künstler ihn
in der Form einer Grablekythos denken. — Für die Geisteraustreibung
am Schlüsse dieses Festes gibt E. Fehrle, Hess. Bl. f. Volksk. XI,
1912, 216 Parallelen. — Mit den Pithoigia läßt sich der römische
248 Totenkult.
Ta<; Mimdus patet vergleichen, dessen ursprünglicher Sinn jedoch
in neuerer Zeit umstritten wird. Der Muudus diente zugleich als
Opfergrube und war nach Warde Fowler, Jouru. llom. Stud. II,
li»r2, 25 fF. ursprünglich ein Vorratsraum, aber nicht oder wenigstens
niclit ausschließlich der Vorratsraum für Getreide überhaupt, sondern
der Sicherheitsplatz für das Saatkorn. Er wurde dreimal geöffnet,
nämlich am 24. 8. vor den Opiconsivia, zur Aufnahme des neuen
Saatkorns, am 5. 10. zur Entnahme des far und am 8. 11. zur
Entnahme des Triticum. Erst unter griechisch-etruskischem Einfluß
soll das Öffnen des Musdus auf die Geister bezogen sein (Varro
bei Macrob. I 16, 18; Ateius Capito bei Fest. 157 a 5). Ebenso
faßt Warde Fowler die eleusinischen (.ityoQa und die Krypta von
Knidos als Aufbewahrungsstätte des Getreides. An ihn schließen
sich in der Hauptsache an Cornford, Ess. and Stud. presented
to Ridgeway, 1913, S. 153 ff., der auf das Hineintun und Herausholen
des Getreides in die und aus der Grube auch den eleusinischen Mythos
von Kores Ab- und Aufstieg bezieht, und J. Harri son (ebd. 143),
die vermutet, daß die Toten, die in ähnlichen Hohlen bestattet
wurden, als Beschützer der Ernte galten. Etwas anders steht
E. A. Ho o ton, The Mundus, the Palatino and the Terramare,
Rev. d'ethnogr. et de sociol. IV, 1913, 238 ff. der Vermutung
W. Fowlers gegenüber. Er will nachweisen , daß der palatinische
Munius der mit einem hölzernen Deckel verschlossenen Grube
der Terramare entspricht, in den Tonwarenscherben, Knochen,
Feuersteine u. dgl. gelegt wurden. Bei der Anlage der Vier-
regionenstadt wurde der Mundus nach Hooton vielleicht auf das
Forum (Romulusgrab; Lapis niger?) verlegt. Er diente zur Nieder-
legung von Opfergaben. Ein Speicher für das Saatkorn können
die Gruben der Terramare , in denen fast nie Körner gefunden
werden und die auch zu feucht für diesen Zweck sind, nicht ge-
wesen sein; aber Hooton gibt zu, daß der Mundus auf dem Palatin
diese Bestimmung erhalten haben könne. Die Beziehung auf den
TJnterweltseingang hält auch er für eine Neuerung, und zwar soll
diese wahrscheinlich unter griechisch-etruskischem Einfluß erfolgt
und durch die Deutung des ßomulusgrabes empfohlen sein. — Thulin,
Die etruskische Disziplin III (Göteborgs Högskolas Arsskrift 1909, 1)
S. 18 ff. trennt die Roma Quadrata auf dem Palatin, (^\e an der
Peripherie der ältesten Stadt lag, von dem den di inferi geweihten
Mundus, wenigstens von dem Mundus, den Cato bei Festus be-
schreibt. Dieser, der noch nicht gefunden ist, von dem aber der
Pozzo auf dem Pozzarello von Bolsena ein Bild gibt, diente als
Toteakult. Jenseitsvorstellungen. 24^
Opferstätte für die di inferi; er war gewölbt und rund wie alle
mundi, auch der von Plutarch ^Piou. 11 erwähnte, der aber zur
Aufnahme der Erstliugsopfer bestimmt war. Dagegen entsprach
die viereckige Roma quadrata den Gruben unter den Termini und
unter manchen Altären; über ihr erhebt sich ein Altar mit einem
eingefriedigten Raum ringsum, in dem die bei der Zeremonie der
Stadtgründung verwendeten Gerätschaften geborgen wurden. —
Das Verhältnis des römischen Totenfestes der Parentalia zu den
Lemuria bespricht Warde Fowler, Rel. Exper. of the Rom.
People 392 ff.; -400 f. Jene sollen einem hochstehenden ein-
gewanderten Volk, die Lemuria dagegen den überwundenen pelasgisch-
tjrrhenischen Urbewohnern angehört haben, deren Vorstellungen,
wie Fowler meint, auch in Griechenland neben den höher stehenden
der Einwanderer erkennbar seien. Bailey, Class. Rev. XXV,
1911, 225 billigt das.
Im Anschluß an die Bestattungsgebräuche werden in manchen
der hier zu besprechenden Untersuchungen behandelt und daher
am besten auch hier betrachtet
0 die Vorstellungen vom Schicksal der Seele nach dem
Tode.
John Cuthbert Lawson, Modern Greek Folklore anl
Ancient Greek Religion, A Study in Survivals , Cambridge 1910
konstruiert, namentlich auf Grund des neugriechischen Volksglaubens,
eine alte Lehre, nach der die Seele , wenn ihr der Körper durch
dessen Vernichtung nachgeschickt wird, sich im glückseligen Jenseits
wieder mit ihm vereinige und eine Ehe mit einer Gottheit eingehe,
daß dagegen die Nichtzerstörung des Körpers Unheil auch für die
Seele bedeute. Diese Vorstellung soll seit der „pelasgischen" Zeit
in den Mysterien fortgepflanzt, bis auf den heutigen Tag geherrscht
haben und auch in der antiken Literatur — selbst der nicht
mystischen — nicht selten zum Ausdruck kommen, z. ß. in Patroklos'
Wunsch, begi'aben zu werden, damit seine Seele in den Hades ein-
gehen könne , der doch sonst als ein keineswegs erstrebenswerter
Aufenthaltsort geschildert werde. S. dagegen Berl. Phil. Wochen-
schr. XXT, 1911, 683 ff. — Schöpft Lawson hauptsächlich aus dem
heutigen Volksglauben, dem er die antiken Zeugnisse unterordnet,
soweit sie sich fügen wollen, so verheißt Carlo Pascal, Le
credenze d'oltretomba nelle opere letterarie dell' antichitä classica,
2 Bände, Catania 1912 im Titel eine Darstellung der in den Schrift-
werken niedergelegten Anschauungen. Ein abgerundetes und ganz
250 Vorstellungen vom Jenseits.
verständliches Bild kann auch auf diesem Wege nicht gewonnen
werden, denn wenn sich auch in der Literatur oder vielmehr in
ihren einzelnen Gattungen natürlich eine gewisse Beharrlichkeit
der Vorstellungen zeigt, so daß deren Fortbildung teilweise nach
den in ihnen selbst liegenden Eutwicklungsreizen erfolgt, so werden
sie doch in höherem Grade durch außer ihnen liegende Kräfte, den
Volksglauben, den Kultus, die Werke der bildenden Kunst weiter
getrieben oder können wenigstens nur im Zusammenhang mit ihnen
verstanden werden. Tatsächlich greift denn der Vf. auch nicht selten
auf diese Gebiete hinüber; er handelt vom Totenkult (z. B. I 105 ff.),
führt christUche Vorstellungen an, in denen heidnische fortleben
sollen, und verweist auf künstlerische Darstellungen , aber nicht
ohne Fehler namentlich in der Deutung archäologischer Zeugnisse
(vgl. V. Macchioro, Neapohs I, 1913, 100 f.) und immer nur
beiläufig , um einen Satz zu unterstützen , der im besten Fall aus
der literarischen Überlieferung abgeleitet, oft aber einfach aus
früheren Untersuchungen anderer herübergenommen ist. Denn
Pascal hat das Buch nicht so abgegrenzt, weil er über das ganze
Gebiet Neues zu sagen hatte; was er an Eigenem bietet, sind nur
Einzelheiten, die in diesem Bericht nicht hier zu erwähnen sind, im
ganzen begnügt er sich mit der Wiedergabe der jetzigen Ansichten
oder dem, was er infolge mangelhafter Bekanntschaft mit den neueren
Untersuchungen für den jetzigen Stand der Wissenschaft hält. Als
Handbuch könnte sein Werk auch so vielleicht noch etwas nützlich
sein, aber es als ein solches zu gebrauchen, hindert die unsystematische
Anordnung und die UnvoUständigkeit des gesammelten Stoffes. —
Auch De Sanctis' Aufsatz L'anima e I'oltretomba secondo Omero,
den der Vf. in dem Sammelband Per la scienza dell' antichitä,
Tur. 1909, S. 27 ff. mit Zusätzen neu herausgegeben hat, und die
Amsterdamer Dissertation von Garrit Willem van Bleck, Quae
de hominum post mortem condicione doceant carmina sepulcraHa
^ latina, Rotterdam 1907 beschränken den Blick auf einen kleinen
Ausschnitt aus einem großen Bilde; aber weil dieser zusammen-
hängt und im einzelnen gründlicher untersucht wird, ist der Nach-
teil weniger groß. Besonderen Wert legt van Bleck darauf, aus
griechischen Inschriften und der eigen thchen Literatur Parallelen
nachzuweisen und womöglich den Ursprung der einzelnen Vor-
stellungen festzustellen. Gegliedert ist der Stoff in folgender Weise:
1) An Sit vita post mortem ; 2) g^^e'rf post mortem remaneat; 3) ubi
Sit quod post mortem remanet; 4) quomodo sit, rjuod post mortem
remanet. — Verwandten Inhalts ist Judson Allen Tolman des
Vorstellungen vom Jenseits. 251
Jüngeren Untersuchung, A Study of the Sepulchral Inscriptions in
Buechelers Epigr. Lat. , Chicago 1910, die von Sammelfleiß zeugt,
aber auffallend viel Fehler in den zitierten Versen aufweist.
Wahrscheinlich übernahmen die Griechen ihre ältesten Vor-
stellungen von dem Zustand der Seele nach dem Tode früheren
Bewohnern dieses Landes , die ihrerseits wieder in ihren An-
schauungen vom Jenseits mit vorderasiatischen Völkei'n und Ägyptern
Übereinstimmten. Eine einheitliche Lehre vom Jenseits hat es in
den Zeiten , aus denen sich Zeugnisse erhalten haben , bei keinem
dieser Völker gegeben; es ist deshalb weniger die Aufgabe der
Forschung, den Sinn der Begriffe festzustellen, als die verschiedenen
Bedeutungen zeitlich zu ordnen. Aber das ist meist schwer. Selbst
in Ägypten, wo doch die Überlieferung am ergiebigsten ist, und
das von manchen Forschern hauptsächlich deshalb, aber doch viel-
leicht nicht ohne Grund als Heimat der ältesten, von den Griechen
nie ganz überwundenen Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode
betrachtet wird, ist die Bedeutung der wichtigsten Begriffe Ka und
Bai umstritten. Nach Erman , Die ägypt. ßelig. ist der Ka der
unsichtbare , aber dem Menschen ähnlich gedachte Geist , der als
sein Lebensprinzip gedacht ist, im Tode ihn zwar verläßt, aber
doch zeitweilig den Körper wieder aufsucht. — Ed. Meyer, Alte
Gesch. Ixi^ 57 begnügt sich, die Eigenschaften, die in den ver-
schiedenen zahh-eichen Texten dem Ka zugeschrieben werden , zu-
sammenzufassen, gelangt aber deshalb zu einem verschwommenen
Bilde. Er sieht in ihm einen den Menschen wähi-end seines Lebens
begleitenden Geist, ursprünglich die in ihm wii-kende geistige Macht,
sein eigentliches Ich, das im Geisterreich fortlebt, aber noch mit
der Leiche in Verbindung steht, nachdem die lebendige Seele in
Vogelgestalt (Bai) ihn verlassen hat. Nach Stein dorff, Zeitschr.
für ägypt. Spr. und Altertumsk. XLVIII, 1910, 152 ff. ist Ka nicht
der Schatten, der nach dem Tode übrig bleibende, die Gestalt des
Menschen beibehaltende und deshalb in die Natur eingehende Teil
dieses, sondern dessen Schutzherr im Leben und nach dem Tode. —
Vgl. über die Bedensart „zu seinem Ka gehen" Breasted, Develop-
ment of Beligion and Thought in Ancient Egypt. 51 ff. — Auch,
diese widerspruchsvolle oder wenigstens unklare Vorstellung von
dem den Körper belebenden, aber ihn zugleich beschützenden Geist
scheint von den früheren Bewohnern Südeuropas übernommen zu
sein. In Griechenland wirkt sie fort in den ebenfalls ver-
schwommenen Begriffen, die sich später mit dem Daimon oder Dai-
monion des einzelnen Menschen verbanden, in Italien im Kult der
252 Schicksal und Gestalt der Seele nacli dem Tode.
dii Manes. Das verbindende Glied zwischen diesen Vorstellungs-
ketten ist in den Resten der altkretischen Kultur zu suchen und
wäre dort auch gefunden, wenn sich die Ausdeutung, die einige
neuere Forscher einem der berühmtesten Denkmäler gegeben haben,
bestätigt. Paribeni, Mon. ant. RAL XIX, 1908, 81 ff. folgert
aus dem Sarkophag von Hagia Triada, daß nach der Vorstellung
der „minoischen" Kreter beim Tode eine ähnliche Dreiteilung statt-
fand wie nach dem Glauben der Ägypter, d. h. daß der Mensch
in den Körper, die als Vogel gedachte Seele, die dem ägyptischen
Bai entspricht, und in ein Wesen sich auflöst, das wie der Ka in
Menschengestalt vorgestellt wird und auf einem von Greifen ge-
zogenen "Wagen in das andere Reich fährt; vgl. dazu v. Duhn,
Arch. f. Religionswiss. XI, lOOi?, 161 If.; Beloch, Griech. Gesch.
l^ 1, 113, 1 und dagegen Petersen, Arch. Jahrb. XXV, 1910,
162 ff. Im geschichtlichen Griechentum läßt sich diese Sonderung
jedenfalls nicht mehr rein nachweisen ; in dem eJ'dW.oj' und der
ipvxjj sind Ka und Bai zusammengeflossen, sie werden einerseits
wie jeuer in einer dem Verstorbenen ähnlichen Gestalt, anderseits
aber auch als Tiere , besonders wie der Bai als Vögel , auch als
kleine geflügelte Menschen dargestellt, wie dies 0. Waser, Arch.
f. Religionswiss. XVI, 1913, 330 ff. , nach A. Koerte bei Pauly-
Wissowa RE V 2084 If. und in Ergänzung seiner eigenen Dar-
legungen bei Röscher ML III 3213 ff. ausführlich begründet. Er
beginnt mit dem ^Scclcnfogel'' , wobei er Nachträge zu Weickers
gleichnamigem Buch und dessen Artikel bei Röscher ML IV 617 ff.
bringt (vgl, auch Pasc als Aufs., Gli uccelH simbolici e le anime
umane, Atene e Roma XV, 1912, 155 ff.), spricht über die Seele
als iJedcrmans (Waser, 353), dls Schlange {^b^)y Eidechse (Sbb)
und Fisch (356; vgl. Scheftelowitz, Arch. f. Religionswiss.
XIV, 1911, 357 ff.), über die Seele in MenschengcstaU (Waser
360 ff.). Auch der körperlose Kopf als Sitz der Sinne diente bis-
weilen als Darstelluiigsform der Seele, wobei Waser (379) an II.
^54 und an die üuBVTjva 'jtuQijVa erinnert. Auch vom Seelen-
schmetterling wird gesprochen (382 ff.). Vgl. darüber auch Bethe,
Rh. Mus. LXII, 1907, 465, 02.
Als Vogel konnte die Seele das große Wasser ül^erfliegen, als
Fisch durchschwimmen , das die Unterwelt oder das Totenreich
vom Diesseits trennt; daneben bestand wahrscheinlich die Vor-
stellung, daß ein Vogel oder Fisch die Beförderung übernehme, und
am weitesten war im späteren Griechenland der Glaube verbreitet,
daß ein Fährmann die Toten übersetze, wofür man diesen als
Schicksal der Socio nach dem Tode. 253
Bezahlung an jenen ein Geldstück mitgab : eine Sitte , die , wie
Ca] and, Arch. f. ßeligionswiss. XVII, 1914, 504 bemerkt, noch
jetzt in Litauen geübt wird und die A. v. Gennep, Ritcs de pas-
sage 221 als einen seiner „Übergangsriten" betrachtet. Nach
E. Herzog, Arch. f. Religionswiss. X, 19o7, 222 ff. ist der „Charon-
gToschen" eine Ablösung der (.leXizovixa , die dem Kerberos zur
Besänftigung vorgeworfen wurde. Schon v. Wilamowitz u. a.
hatten Charon als menschlich gebildeten Nachfolger des Kerberos
gefaßt; sie wurden zu dieser Annahme hauptsächlich dadurch be-
stimmt, daß der Löwe und der Adler yügiov heißen und daß Herakles
am Laphystion, wo er nach boiotischer Überlieferung den Kerberos
heraufgeführt haben sollte, den Beinamen Charops hatte. Eader-
macher, Wien. Stud. XXXIV, 1912, 3n ff. vergleicht VMQyaQog
und bezieht in der Bedeutung „scharfzahnig" den Namen ebenfalls
auf Kerberos oder einen anderen raubtierähnlichen Dämon , von
dem aus er erst nachträglich auf den Totenfährmann übertragen
sei. Die jetzt, wie es scheint, fast allgemein angenommene
Gleichsetzung des mythischen Schiffers mit dem gleichlautenden
Appellativum und die Zusammenstellung mit dem Herakles Charops
ist m. E. nicht sicher-, vielleicht ist ein vorgriechisches Wort (vgl.
das verschlingende Meerungeheuer Charybdis) vom Volke der griechi-
schen Zunge geläufiger gemacht worden. — Über eine Charon-
darstellung auf einem Grabaltar Lodi-Mailand spricht Calderini,
di una ara Greca dedicatoria agli dei inferi, Mailand 1907 , wo
S. 16 ff. die bisherigen Verzeichnisse der Charondarstellungen auf
weißgrundigen X^kvO^oi vervollständigt werden.
Eine eigentümliche Vorstellung von den Seelen der im Meer
Umgekommenen erschließt 0. Immisch, Arch. f. Religionswiss.
XIV, 1912, 449 aus dem Namen der AUhanten, den er von Xißdg
trennt und als ali-ßavT£g „die über das Meer Wandelnden" deutet
(vgl. Et. Magn. alißarzag). In lonien hat der Geist des höfischen
Epos, in seiner Aufgeklärtheit den Spukgestalten des Aberglaubens ab-
geneigt, Wort und Vorstellung sich ferngehalten (460), aber in Attika
hat trotz Soph. fr. 722 die ursprüngliche Vorstellung der „Seewandler**
sich in ungebrochener Kraft erhalten, wie Immisch aus Plat. noX.
in 2 387 bc folgert, und eine dunkele Erinnerung an sie soll sich in
dem Verse ov f.iev yag tl oe ne'Cov oiof^ai hifäd r/.toiyai «173;
I 190; n 59, 224 erhalten haben. Sollte nicht auch dieser Name
vorgriechisch sein? Vgl. l^A/-/.a^ra , '^^li-'/MQvaaoog, ^Uxrgva,
AUoaQva u. a. und zum zweiten Bestandteil KoQcßavteg.
Auf ihrem Wege in die Unterwelt mußten die Toten an dem
254 Gestalt und Schicksal der Seele nach dem Tode.
weißen Felsen'^ (Od. w 11) vorbei, über den seit langer Zeit
viel gestritten ist. v. Wilamowitz, Sappho u. Simon. 26 hält
die aufgestellten Vermutungen für wenig wahrscheinlich ; seiner
Ansicht nach hat sich der Dichter „den Rand der Erde, die Küste
des Okeanos als eine Xevxag TttTQa gedacht", „dann hat er sich
wenigstens etwas gedacht". Homer kennt in der Tat ntTQrj so-
wohl im Sinn von „Felsgebirge" wie von „Fels" •, aber die Zu-
sammenstellung mit dem Okeanos zwingt nicht dazu, den weißen
Felsen längs jenes hinlaufend zu denken. Eine Lösung der Frage
ist nur möglich, wenn es gelingt, den Ursprung der Vorstellung
festzustellen ; und da ist wahrscheinlich von den weißen Gerichts-
felsen (Arch. f. Religionswiss. XV, 1912, 372 ff.) auszugehen, an
denen die Blutgerichtshöfe zusammentraten , und von denen die
Verurteilten hinabgestoßen wurden, an denen aber auch — wie so
oft an Stätten des Hochgerichtes — mannigfacher Privatzauber
geübt wurde. Ob je an demselben Heiligtum alle diese Vor-
stellungen vereinigt waren, ist zweifelhaft, aber begrifflich gehören
sie zusammen, und einzelne von ihnen sind mit anderen sicher
verbunden gewesen. Vgl. Handbuch d. griech, Myth. u. Religions-
gesch. 816 f. — Wie der weiße Felsen ist wahrscheinlich auch
die eherne Schwelle von einer der heiligen Stätten, wo ein Unter-
weltseingang angenommen wurde, auf den mythischen Zugang zum
Hades übertragen worden; s. Arch. f. Religionswiss. XV, 1912, 360 ff.
War die Seele am Hadeseingang angelangt, so stand ihr der
Eintritt offen ; hinaus aber durfte sie nach einer zwar schon in
alter Zeit nicht ausschließlich herrschenden, aber jedenfalls nicht
erst im Epos geschaffenen Vorstellung ebensowenig, als es
Lebenden möglich war, in die Unterwelt einzudringen. Doch hatte
die religiöse Einbildungskraft in der Zeit, da man sich soviel mit
den Toten und dem Jenseits beschäftigte, vermeintliche Mittel ge-
funden, auch den Geistern, die man beschwor, den Austritt und
Lebenden das Betreten des Hades zu ermöglichen. Ein solches
Mittel war z. B. der von Vergil erwähnte goldene Zweig, über
den o. {S. ]2T) berichtet ist; hier muß nur noch eine Vermutung über
den Zauberritus erwähnt werden, auf den mutmaßlich auch diese
Vorstellung zurückgeht. K. Robert, Sitzungsber. BAW 1915,
709 ff. glaubt, daß der Zweig, den Athena auf einem Wiener Sar-
kophag der geraubten Persephone entgegenhält, ferner der, welchen
Adonis beim Auszug auf die Eberjagd aus Aphrodites Schoß hebt,
und der, welchen Alkestis bei der Rückkehr aus dem Hades trägt,
die Erlösung andeuten. Dementsprechend würde Aeneas oder der
Schicksal der Seele nach dem Tode. 25J>
Held, von dem der Dichter den Zug auf seinen Helden übertragen hat,
durch den Zweig eigentlich nicht befähigt worden sein, in den Hades
einzudringen, sondern aus ihm wieder herauszukommen. Dies wider-
spricht zwar Vergils Darstellung, ist aber für seine Vorlage nicht un-
bedingt auszuschließen und würde sich damit vergleichen lassen, daß
auch der Nekromant, der einen vermeintlichen Unterweltseiugang zu
öffnen vorgibt , damit die Toten emporsteigen können , einen Stab
trägt, der, wie der ihm nachgebildete Stab des Hermes yQvavQQaTCig
vermuten läßt, ebenfalls von Gold oder vergoldet war, wo solcher
Aufwand sich erschwingen ließ. Indessen gab es auch Totenorakel,
wo den Befragenden vorgespiegelt wurde , daß sie selbst in die
Unterwelt einträten, und auch zu diesem Zwecke konnte man sich
der magischen Rute bedienen. Vielleicht wurde sie bei beiden
Arten der Totenbefragung angewendet. — Über die Beschwörungen
handelt Hubert Mende in der fleißigen Breslauer Dissertation:
De animarum in poesi epica et dramatica ascensu 1913. Die Dar-
stellung ist etwas schematisch, namentlich im zweiten Teil, wo
die verschiedenen Arten der Totenerscheinungen nach Klassen ge-
schieden werden. Da es sich dabei hauptsächlich um das in der
Dichtung benutzte Einführungsmotiv handelt, das für die Religions-
geschichte meist gleichgültig ist, so kommt für diese, die den Vf.
überhaupt weniger beschäftigt als die Literaturgeschichte , nicht
viel Neues heraus ; aber als Stoffsammlung ist die Arbeit dankens-
wert. Daß alle späteren Totenerscheinungen von Homer abhängen (88),
geht doch wohl zu weit.
Neben der Vorstellung, welche die Geister der Abgeschiedenen
in der Unterwelt einschloß und nur durch Zauberei die Möglich-
keit einer Verbindung der Lebendigen mit den Toten voraussetzte,
stand unvermittelt oder auch, so gut es eben ging, ausgeglichen,
eine andere, nach der die Geister in der Nähe der Leiche oder im
Grabe weilen und von dort nach ihrem Belieben zu Nutzen oder
öfter zum Schaden der Menschen wirken oder zur Oberwelt empor-
steigen.
Um das Wiederkommen der Toten zu verhindern, gab es
ebenfalls Maßregeln ; eine von ihnen war das Köpfen der Leiche,
über das Wiedemann, Sphinx XVIII, 1914, 31 ff. besonders mit
Rücksicht auf Ägypten handelt. Aus dieser Vorstellung erklärt
Eitrem, Hermes und die Toten, Vidensk. Selsk. Forh. 1909, V,
S. 6 (vgl. 65) die Bauopfer; eine ähnliche Vorstellung soll sich
beim Altar erhalten haben, worauf Phleg. mir. 3 (Westerm. Paradox.
.S. 130) und Porph. abst. II 56 bezogen werden. —
25(5 Unterwelt,
Über den Eingang zur Vntcricclt herrschten sehr ver-
schiedenartige Vorstellungen, die mindestens zum großen Teil an
Einrichtungen des Kultus, besonders der Totenfeste , des Gräber-
dienstes, der Totenorakel und der Hochgerichte anknüpften. Eine
dieser Vorstellungen gehört zu der bereits bei dem attischen Toten-
fest der Pithoigia {247} erwähnten von der Unterwelt als Faß. Sie
erklärt sich einerseits aus dem bienenkorbähnlichen Grabkammern,
der „mykenischen" Zeit, andrerseits aus den auf die Gräber ge-
setzten Urnen, die sich zwar an Größe und Gestalt von jenen
unterscheiden, auch einen anderen Zweck haben, aber doch vielleicht
in einem gewissen Zusammenhang mit ihnen stehen, sei es, daß sie
nach Einführung der Leichenverbrennung als eine billige Erinnerung
an sie beibehalten wurden, sei es, daß mit jenen aufwandlicbende
Fürsten bescheideneren Grabschmuck überboten. Eine Art Ver-
bindunir zwischen beiden Vorstellungen könnte einerseits die Sitte
bieten, die sich bei einigen sehr alten griechischen Begräbnisstätten,
z. B. den Dipylongräbern , findet, die Leichen in einen uLl^og
hineinzuzwängen (0. Schrader, Mitt. d. Schles. Ges. f. Volksk.
Bd. XII, 1910, S. tjl), anderseits die runde brunnenartige Öffnung,
die auf Kunstwerken als Verbindung von Oberwelt und Unterwelt
dient; vgl. Ducati, Mon. ant. EAL Vxix, 1910, 176 ff., der an
den römischen Mundus erinnert, und Anziani, Demonologie etrus-
que, Mel. d'arch. et d'hist. XXX, 1910, 257 ff. , der die bisher
meist auf griechische Mythen bezogenen Darstellungen von Grab-
urnen aus etruskischen Anschauungen erklärt. Die Reliefs zeigen
den aus dem Brunnen aufsteigenden Dämon der Unterwelt ent-
weder durch einen Priester beschworen, d. h. in seine menschliche
Gestalt zurückverwandelt, oder mit Wolfskopf.
Eine Art Hadcshe Schreibung enthält nach Crusius das
in sonderbaren stets gleichen logaödischen Versen gedichtete Stück
Fayum Towns and their Papyri (Eg. Explor. Funds III S. 82). Es
wird eine Ebene beschrieben, bedeckt mit Leichen, die auf gewalt-
same Weise ums Leben gekommen sind und von den Poinai aus-
gelacht worden. — Die Nekyia im 0. Buch der Aeneis ist nach
Mackail, Journ. Rom. Stud. III, 1913, 1 ff . durch minoische
Bauten bei Cumae bestimmt, von denen Vergil Kenntnis gehabt
haben soll; darum wird nach Mackail auch zu Anfang des Buches
das Werk des Daidalos erwähnt.
Waren die Toten in der Unterwelt angelangt, so wurden sie
vor das Gericht gestellt, das entschied, an welchen Ort sie ge-
langen, und wenn sie schuldig befunden wurden, welche Strafe sie
Unterweltsrichter. 257
erleiden sollten. Obwohl von den späteren Unterweltsgöttern
mindestens zwei, Minos und ßhadamanthys , wahrscheinlich vor-
griechische Namen tragen, ist nicht sicher, daß sie als Totenrichter
bis in das zweite Jahrtausend hinaufreichen. Zuerst werden sie
von Plat. FoQy. 79, S. 523^ genannt, und Deubner, Herrn. XLIII,
1908, 638 ff. schließt aus dem unbestimmten r/4; bei Find. 'O, II
59 , wo er tv zade Jiog agx^ auf die Zeit vor Zeus' Herrschaft
bezieht, daß im Anfang des 5. Jhs. die Vorstellung von dem Toten-
richter vielleicht noch keine festen Formen angenommen hatte.
SoU damit ein Zweifel an dem hohen Alter des Glaubens an das
Totengericht ausgesprochen werden , so scheint mir diese Ansicht
nicht gegründet. Es ist unwahrscheinlich, daß die Einführung des
Totengerichts, wie früher wohl angenommen wurde, mit dem Auf-
kommen orphischer Vorstellungen zusammenhängt. Zwar haben die
Orphiker sich wie anderer überlieferter Vorstellungen so auch dieser
bedient, aber ihre Lehre zielte nach ganz anderer Richtung. Es
ist eher zu glauben, daß die Odyssee den Minos die Streitigkeiten
der Toten entscheiden ließ , weil er nach einer vorliegenden
Überlieferung über ihre Taten während ihres Lebens richtete,
als daß der spätere Glaube durch Umdeutung der Homerstelle ge-
wonnen wurde. Aber daß es von Anfang an neben dem Hades-
hierm auch Hadesrichter gegeben habe , ist in der Tat nicht sehr
wahrscheinlich; wie auch später noch oft dem Unterweltsherrscher
selbst die Entscheidung über das Los der Seelen zugeschrieben
wird, so scheint Minos zeitweilig als Gebieter in der Unterwelt
gegolten zu haben und erst, seitdem als solcher Hades allgemein
anerkannt war, in die Stellung eines Richters hinabgedrängt zu
sein. Es fehlt sogar später nicht ganz an Resten dieser Vor-
stellung. Wie so oft als Beisitzer des Unterweltskönigspaares wird
auf einer neu veröffentlichten ägj^ptischen Grabinschrift der Tote
als Mivo) övvd^toy.og (d. i. avvd^ayiog) naq euaeßeatv bezeichnet
(Arch. f. Papyr. V, 1913, 164, Nr. 12). Auch Rhadamanthys scheint
einst Hadesgebieter gewesen zu sein ; wenigstens nennt Seh. Theokr.
II 34 den Pluton '^Padäi.iag, wenn die Stelle ganz in Ordnung ist.
Ist das Urteil gesprochen , so werden die Verdammten ge-
foltert. Als Beispiel führen die antiken Hadesbeschreibungen eine
Reihe mythischer Frevler an, über die L. Radermacher, Rh.
Mus. LXIII, 1908, 530 ff. die antike Überlieferung zu dem
Zweck zusammengetragen hat, um im Anschluß an A. Dieterich zu
zeigen, daß harmlose attische Volksüberlieferungen aus Märchen von
mystischen Theologen aufgegriffen, zu Hadesstrafen umgestempelt
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Sapplcnientband). 17
258 Elysion. Inseln der Seligen.
und auf die mythiscben Helden Tantalos, Sisyphos usw. gesetzt
worden sind. Die loXol (Piud. 'O. II 61 ff.), d. h. die für gut Be-
fundenen , kommen au den lönoQ eiaeßon' oder dfietvwv. Dieser
war nach Malten, Arch. Jahrb. XVIII, 1913, 35 ff. ursprünglich
ganz verschieden von dem Elysion oder den f.tay.dQcov vrjaoi , wo-
mit das Götterland bezeichnet sein soll, da i.td/.aQeg bei Homer die
Götter seien. Erst als die Seelenwanderuugslehre aufkam, wurde
nach Malten unter den Inseln der Seligen auch der Endaufenthalt
der ganz Erlösten verstanden; so bei Pind. a. a. 0. 70 f., der aber
zu beiden Schilderungen dieselben Farben verwendet und nach
epischer Erinnerung auf den Inseln der Seligen Peleus und Kadmos
wohnen läßt, so daß das Elysion zu den zwei tottoi rein omamental
hinzugetreten ist (48). Es ist daher nach Malten (49) begreiflich,
daß Plat. rogy. 79, 524'"^ die ^a/.dQ(ov vrjaoi geradezu dem Aufent-
halt der Seligen gleichsetzt und in die Unterwelt verlegt. Bei der
Formelhaftigkeit der homerischen Sprache scheint es mir unstatt-
haft, aus der Häufigkeit der Bezeichnung der Götter als ^äy.aqeg
zu folgern , daß die fuay.dQiüv vrjaoi ursprünglich die Eilande der
Götter waren. Ebenso wie Elj'sion und die später übliche Be-
zeichnung der „Stätte der Frommen" wird auch jener Ausdruck
von Haus aus für die Aufenthaltsstätfe derjenigen gebraucht worden
sein, die an bestimmten Kulten teilgenommen hatten. Übrigens darf
man die Ausdrücke „Elysion" und „Insel der Seligen", wenn sie
auch beide das Land der Erlösten bezeichneten und später unter-
schiedslos gebraucht wurden, nicht durchaus gleichsetzen. Wahr-
scheinlich ist derselbe Begriff an verschiedenen Kultstätten ver-
schieden benannt und wohl auch ausgebildet worden. Elysion wird
zu einem Heiligtum gehören, das im Reiche der Seligen den blonden
Rhadamanthys herrschen ließ (Od. d 564). Die Griechen haben
ihn durch den blonden Menelaos ersetzt, der später neben ihm
erscheint. Denn auch diese Vorstellung ist wahrscheinlich vor-
griechisch, obwohl Malten schwerlich Recht hat, wenn er das Wort
Elysion der griechischen Sprache abspricht. Auch Kronos, der,
wie es scheint, ursprünglich auf den Inseln der Seligen herrschte,
ist wohl ein Gott der älteren Bevölkerung gewesen. — Darstellungen
des seligen Lebens im Elysion erkennt Oldfather, Philol. LXIX,
1910, 120 auf Ttivaxeg von Lokroi EpizephjTioi. — Vor der mystischen
Auslegung von unteritalischen Vbb. warnt Vittorio Macchioro,
Intomo al contenuto oltremondano della ceram. ital. Neap. I, 1913,
30 ff. und (gegen C i a c e r i , II significato di alcune scene su vasi
antichi dell' Italia meridionale, Apulia 1913, S. 88 ff.) ebd. II, 1914,.
I
Die Seelen als Sterne. 259
113. — Über das Phaiakenland als Elj'sion s. v. Wilamowitz,
11. u. Hom. 497 ff. ; Kranz, Herrn. L, 1915, 96 ff.
Neben dem Glauben an das Elysion und die Inseln der Seligen
bestand seit uralter Zeit und dauerte ebenfalls während des ganzen
Altertums die Vorstellung fort, daß die Seelen der Besten an den
Himmel gelangen und dort im Monde (seltener in der Sonne) fort-
leben oder zu Sternen werden ; vgl. G u n d e 1 , De stellamm appella-
tione et religione ßomana 129 = KV u. V III 2, 1907, 221;
Haussoullier, Rev. de phil. XXXIII, 1909, 1 ff. (über aOTT]Q yevo-
fop; einer Inschrift von Amorgos und den Vers ttccq xtgag 'Q?.epirjg
alyuQ ccveQxöjuevog, mit dem eine milesische Inschrift von einem
toten Knaben spricht); Pascal, Riv. di. fil. class. XXXVIII,
1910, 427 ff. , der viele Beispiele aus römischer Zeit anführt;
Reitzenstein, Die hellenistischen Mysteriem-elig. 1910, S. 171;
Greßmann, Protestantenbl. XLIX, 1916, 661 ff.; Pfeiffer,
Stud. zum ant. Sternglauben (^rot/ela II) Leipz.-Berl. 1916, 113 ff.
Am ausführlichsten handelt über diesen Vorstellungskreis P. Ca-
pelle in der Dissertation De luna, stellis, lactis orbe animarum
sedibus , Halle 1907. Neben zahlreichen QueUenuntersuchungen,
unter denen z. B. hervorzuheben ist, daß Cic. somn. Scip. 13 nicht
auf Poseidonios sondern auf Herakleides Pontikos' Dialog ^EfXTtedo-
tiixog i] TTEQi Twv SV ovQavto zurückgeführt wird (45) , gibt der
Verfasser Vergleiche mit mittelalterlichem und neuerem Volks-
glauben. — Früh begegnet im Morgenland die Vorstellung, daß ein
Adler die Seele , speziell die von Angehörigen des Königshauses,
zu demjenigen Stern emporträgt, dem sie ihre irdische Entstehung
verdankt. Nach Cumont, Rev. bist. rel. LXII, 1910 2, 119 ff.
(vgl. Lidzbarski, Ephem. f. semit. Epigr. III 3, 1911, 188 f.),
der damit auch die Verwendung des Adlers als eines Grabsymbols
verbindet, lebt diese Vorstellung im kaiserlichen Rom fort. Vgl. o.
(KaiserJcult S. 93). — Besondere Bedeutung gewann die Lehre von
der Himmelfahrt der Seele in der Mystik des 6. Jhs. , welche die
Rückkehr in das eigenschaftlose , vielfach im Äther angenommene
und an oder über den Himmel versetzte All-Eine zum Ziel der
Erlösungshoffnung machte ; sie ist seitdem ein Hauptbestandteil fast
aller mystischen Systeme des Altertums geblieben. Über die
gnostische Lehre von der Rückkehr der Seele zur großen Göttin
durch die 7 Planeten und die Fixstemsphäre s. Delatte, Musee
Beige XVII, 1913, 327 ff. Auf den Aufstieg der Seele durch die
7 Planetensphären , denen die 7 Grade der Weihe entsprechen
sollen, wird eine auf dem laniculum gefundene Statuette der
17*
260 Diö Seeion als Sterne. Seelenwanderungslehre.
Atargatis bezogen , die zwischen 7 Windungen einer sich um sie
ringelnden Schlange je ein Ei zeigt, s. zuletzt Deonna, Rev. et.
anc. XIII, 1911, 419. — Über die orphische Anschauung, die
das Paradies in die Sonne oder den Mond verlegte, s. o. {259). —
Bisweilen heißt es , daß die Seele durch das Sternbild der Wage
aufsteige ; wir hören , daß deren Gott Abatur sich gegen die da-
durch verui-sachte Verunreinigung wehrt (Lidzbarski, Das
Johannesbuch der Mandäer 232; Reitzenstein, Sitzungsber.
Heidelb. AW 1917, X, 36). — Nach Lejay, Rrr. de phil. XXXVI,
1912, 201 liegt die Vorstellung von dem Aufstieg der Seele durch
die Planeten auch der Rede bei Eusebips, hist eccl. X 4, 15 zu-
grunde, wo der Jubel über die Besiegung des Heidentums ge-
schildert werden soll. — Dem Aufstieg der Seele nach dem Tod ent-
spricht in der mystischen Literatur ihr Abstieg vor der Geburt.
Über diesen Glauben in den Hermetika vgl. B o u s s e t , Gott. Gel.
Anzeig. CLXXVI, 1914, 732 ff., der u. a. daraufhinweist, daß sich
neben der Vorstellung von den schlechten Gaben, welche die Seele
bei ihrem Durchgleiten durch die einzelnen Sphären empfängt, auch
die umgekehrte, nach Bousset 735 ältere findet, nach der die Pla-
neten als gute Geister mit ihren Gaben das Wesen der Menschen
konstituieren (Serv. Aen. XI, 51; Macrob. somn. Scip. I 12, 14).
Die Lehre von den Planetenlastern wird nach Bousset 736 unter
den Gnostikern bereits dem Basileides (Klem, otq. II 20, 112)
wenigstens rudimentär zugeschrieben. — Carl Hönn, Stud. z.
Gesch. der Himmelfahrt im klass. Altert., Progr. Mannheim 1910
will Boussets und A. Dieterichs Untersuchungen fortsetzen, gelangt
aber in dem hier vorläufig veröffentlichten Teil — eine etwaige
Fortsetzung ist mir nicht zugänglich — nicht dazu , friihere Vor- M
Stellungen zu berichtigen, klären oder zu vertiefen. fl
Schließlich ist hier einer Vorstellung von dem Schicksal der j.
Seelen nach dem Tode zu gedenken , die zwar weder aus dem
Totenkult hervorgegangen ist noch auf ihn eingewirkt hat , aber
doch mit den zuletzt behandelten Vorstellungen verbunden und von f
ihnen durchkreuzt wurde: der Seelenwanderungslehre. Sie tritt
fast gleichzeitig in Indien und andern asiatischen Ländern und in
Griechenland bei den Orphikem und bei Pythagoras auf, und zwar
überall in der sehr eigenartigen Wendung, daß die Wiedergeburt
oder, wie es hier heißt, das „Wiedersterben" als ein Fluch be-
trachtet wird, den der Mensch durch Ertötung aller Affekte brechen
und nach dessen Beseitigung er in seinen Ursprung, das unpersön-
liche All-Eine zurückkehren könne. Daß ein geschichtlicher Zu-
Seelenwanderungslehre. 261
sammenhang zwischen diesen Systemen bestehen müsse, die gleich
bei ihrem ersten Auftreten zwei Erdteile in Bewegung gesetzt und
die lange nachgewirkt haben, ja noch jetzt nachwirken, scheint mir
sicher, und da die E,eise des Pythagoras oder eines andern griechi-
schen Philosophen nach Indien oder China ebenso unwahrscheinlich
ist wie die Buddhas oder eines andern Inders oder Hinterasiaten
nach Griechenland , so muß wohl angenommen werden , daß der
gemeinschaftliche Ausgangspunkt all dieser Bewegungen in Vorder-
asien etwa im Zweistromland lag, und daß die Griechen die Lehre
als letzte große Anregung aus dem Morgenland empfingen. Daß
sich von ihr in assjTischen Denkmälern so wenig eine Spur findet
wie auf solchen Ägyptens, für das Herodot wenigstens den Seelen-
wanderungsglauben bezeugt, beweist nichts, da solche Texte, auf
denen sie erwartet wei'den könnte , aus dem 6. und 5. Jh. für
beide Länder fehlen. In christlichen und islamitischen Sekten
Westasiens, in denen Reste assyrischer Vorstellungen nachgewiesen
sind, fanden sich während des Mittelalters und finden sich z. T.
noch heute deutliche Spuren der Lehi'e von der Metempsychose
oder, wie sie besser genannt wird , von der Metasomatose. Diese
steht demnach in einem großen Zusammenhang, den die neuere
Forschung noch immer nicht genügend beachtet, •{■ T o r g n y
Segerstedt, Le monde oriental, Upsala 1919, 43 ff., 111 ff. unter-
schätzt, soweit die ausführliche Inhaltsangabe bei van der Voo,
Rev. hist. rel. LXIII, 1911^, 215 ff. erkennen läßt, den Abstand
zwischen der alten Vorstellung von dem Aufenthalt der Seelen im
Hades oder einem besseren Jenseits und der Seelenwanderungs-
lehre. — Fimmen, Arch. f. ßeligionswiss. XVII, 1914, 513
streitet den älteren Orphikern die Seelenwanderungslehre, deren
Zusammenhang mit der Auffassung des Körpei'S als eines Grabes
der Seele er nicht erkennt, ab und meint, erst Pythagoras habe
die Metemps3'chose in Äg3^pten kennen gelernt , aber nur den
Glauben, daß die Seele in verschiedene Formen eingehen ^ömae;
erst indem er die Möglichkeit zur Gcivißheit , die beliebig kurze
Zeit zu einer Durchführung des ganzen Lebens erhob und als
Zweck der Seelenwanderung die Strafe und die Läuterung liin-
stellte, soll er den ägyptischen Formalismus zu einem hohen Wert
umgeschaffen haben. Ein gewisser Zusammenhang zwischen dem
von Fimmen als ägyptisch bezeichneten, aber schwerlich von
Herodot gemeinten Glauben und der Seelenwanderungslehre ist
zwar zuzugeben, aber er betrifft einen nur bei oberflächlicher Be-
trachtung wichtigen Punkt, und diese Vorstellung konnte Pythagoras
262 Seelenwanderungslehre. — Wetterzauber.
ebenso wohl in der Heimat kennen lernen wie am Xil. Das Ent-
scheidende, die fast völlige Übereinstimmung der griechischen und
der indischen Lehre von dem Fluche der Wiedergeburt und der
Erlösung durch Abtötung der Affekte oder Unterdrückung der
Sinnlichkeit erscheint bei dieser Auffassung als bloßer Zufall, ebenso
daß diese Lehre auch in Griechenland bei den Orphikern wieder
eine religiöse Färbung erhielt.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den Kulten zurück
und betrachten jetzt
h) die Zeit und Veranlassung der öffentlichen
Gottesdienste.
1) Einmalige Begrehungfen aus besonderer
Veranlassung-.
So wenig wie bei irgend einem andern Kulturvolk läßt sich
bei Griechen und Römern eine Zeit erschließen, in der es keine
regelmäßigen, in bestimmten durch den Lauf der Sonne, des Mondes
oder der Sterne festgesetzten Zwischenräumen gefeierten Feste
gab; aber nicht wenige solcher Feste sind sicher oder wahrschein-
lich aus Zauberakten enstanden , die nur ausnahmsweise bei einer
bestehenden Not geübt wurden, haben freilich ihren ursprünglich
finsteren Charakter oft ganz abgestreift, wenn sie nicht mehr in
Mangel oder Bedrängnis , sondern in Zeiten des Überflusses zur
Abwendung eines möglichen Glücksumschlags gefeiert wurden. Im
Frieden gab zum Notzauber und zum Notgebet besonders
a) das Wetter
Anlaß, dem noch heute, erst recht aber im Beginn der Kultur für
den Südeuropäer und für die Bevölkerung Vorderasiens eine er-
heblich größere Bedeutung zugeschrieben werden muß als etwa für
die Bewohner Deutschlands oder Frankreichs. Das Ausbleiben der
Herbst- und Frühlingsniederschläge verhinderte das Gedeihen der
Felder und "Weiden, Stürme gefährdeten die Schiffahrt und Fischerei :
80 waren die wichtigsten Erwerbsklassen, ja das ganze Volk in
der Existenz bedroht, wenn das Wetter ungünstig war ; und da es
keine natürlichen Mittel gab, sich dagegen zu schützen, versuchte
man es mit übernatürlichen.
Weit verbreitet war die Sitte, mit Hilfe eines Ilegensteines ,
den man sich oft als vom Himmel gefallen und dessen Regenkraft
in sich schließend und später als Sitz des Regen- und Vegetationa-
dämons dachte, indem man ihn badete oder salbte, die erwünschten
Niederschläge zu erzwingen. Die Sitte gehört zu den am weitesten
Wetterzauber. 263
verbreiteten Volksgebräuchen, sie findet sich auch jetzt noch nicht
nur auf altgriechischem Kulturgebiet, z. B. in Üsküb, wo Christen
und Mohammedaner bei langer Regenlosigkeit einen umgestürzten Altar
des luppiter Optimus Maximus aufrichten und mit Wein begießen,
Hasluck, Ann. Brit. öch. of Ath. XXI, 1914/16, 78, sondern
auch sonst vielfach, z. B. in Afrika, auch in Indien, ja sogar in
Mexiko, vgl. M. A. Murray, Zeitschr. f. ägy-pt. Spr. u. Altertumsk.
LI; 1913, 131, s. ferner Eisler, Phüol. LXVIII, 194 ff. Auch
diu'ch donnerähnliche Geräusche versuchte man an manchen Orten
den Himmel zum Regnen zu bringen , s. F r a z e r , Balder the
Beautiful (Golden Bough VII) II 227 ff. ; der Ritus wurde später
auf verschiedene Weise erklärt, z. B. so, daß der schlafende Gott
erweckt oder daß der eben geborene begrüßt werden soUte. Das
sind wahrscheinlich nachträgliche Deutungen , der ursprüngliche
Sinn der Begehung ist nicht sicher; sie mag ein Analogiezauber
gewesen sein oder auch die Abwehr der den Regen zurückhaltenden
Dämonen bezweckt haben. — Einen andersartigen Regenzauber aus
Assj'rien, der dort früh abgekommen oder wenigstens zurückgetreten
ist , aber im späteren Griechenland geübt wurde , die Besprengung
des Landes, bespricht Bezold, Zeitschr, f. Assyriol. XXVI, 1912,
S. 120 f. — Mit dem Argeeropfer, in dem War de Fowler, Rel.
Exper. of the Rom. People 55 , 321 im Gegensatz zu Wissowa
einen Regenzauber sehen möchte , berührt sich eine bulgarische
Sitte, über die Kazarow, Klio VI, 1906, 170 berichtet: eine
Lehmfigur, der „German" (ein Dämon der Hitze?) wird beklagt und
an einem Flusse begraben. — Einen bulgarischen Gewitterzauber teüt
Kazarow, ebd. XII, 1912, 356 f. mit; er vergleicht das Pfeü-
schießen , durch das , wie Herod. 4. 94 auch nach seiner Deutung
sagt, die Bewohner sich gegen Gewitterschäden zu schützen suchten.
— Zu dem Regenzauber mit vergossenem Blut bringt Frazer,
Magic Art (Golden Bough I) I 256 ; Dying God (ebd. III) 20 Bei-
spiele aus Australien und vom oberen Nil bei. — Den Glauben,
daß man durch das Untertauchen einer Jungfrau den fehlenden
Regen herbeiführen könne, folgert A. J. Reinach, Rev. et. d'ethnogr.
et de soc. I, 1908, 297. — Allerhand Maßregeln zur Abwehr der
Hagelschäden werden in den Geopon. I 14 empfohlen: über diese
Zauberriten, denn das sind mindestens einige von ihnen gewesen,
handelt Fehrle, Antiker Hagelzauber, Alemannia III, IV, 1912,
13 ff. und in der Heidelberger Habilitationsschrift „Zur Gesch. der
griech. Geoponica" 1913, S. 7 ff. Bemerkenswert ist u. a. , was
in der ersten Abhandlung über die Anwendung des Spiegels im
2G4 Kriegsopfer.
Hagelzauber gesagt wird : man suchte den gefahrliclien Dämon der
Hagelwolke im Spiegel einzufangen.
;*) Zauberei und gottesdienstliche Handlungen aus Anlafi
A'on Kriegen,
Einer der stärksten Antriebe . sich an die übernatürlichen
Mächte zu wenden, bietet für den Menschen der Krieg. Die durch
ihn veranlaßten Begehungen behandeln 0. Kern in einem beim
Rektoratsantritt gehaltenen Vortrag j,Krieg und Kult bei den
Hellenen", der zuerst 19 IG in der für die im Felde stehenden
Hallischen Studenten bestimmten literarischen Weihnachtsgabe,
dann, um Literaturangaben erweitert und in einem Punkte be-
richtigt, selbständig Halle 1917 gedruckt ist, und Szymanski in
der durch E. Maaß angeregten Dissertation Sacrificia Graecorum
in bellis militaria, Marburg 1908, der in 4 Kapiteln die Opfer vor
dem Auszug des Heeres , auf dem Marsch , vor der Schlacht oder
dem Sturm auf eine feindliche Stadt, endlich nach dem Siege be-
spricht. In einem Anhang wird der Unterschied von legä und
oq^äyia , von denen die letzteren zur Zeit des Epos noch nicht
bestanden , erörtert und dabei gegen Stengel die grundsätzUche
Verschiedenheit beider nach Sinn und Bedeutung behauptet: die
meist erst nach Aufstellung der Schlachtordnung dargebrachten (55)
oqüyia sollen ursprünglich nicht zur Weissagung gedient, sondern
diese Bestimmung erst allmählich durch Übertragung von den IeqÖ.
erhalten haben. Nachträge und Berichtigungen dazu gibtP. Stengel,
Arch. f. Religionswiss. XIII, 1910, 85 ff. Nach ihm bedeutet
a(fd~eiv „schachten", gleichviel, ob es sich um Opfer an Heroen,
Tote, um Sühn- oder Eidopfer handelte, daneben auch „in großer
Gefahr opfern", wobei dem Gotte nichts, auch keine Spenden dar-
gebracht wurden, dagegen ein fjcii-rig die Zeichen beobachtete. —
Über Menschenopfer im römischen Heer vgl. Seh wenn, ßV u. V,
XV 3, 1915, 141 ff. — Viel behandelt ist in neuerer Zeit die von
Liv. XL 6, 1 beschriebene Lustration des makedonischen Heeres,
das zwischen Stücken eines geteilten Hundes hindurchgeführt wird
(vgl. Gurt. X. 9. 11 = X. 28, Plut. qu. Rom. 111 ; s..auch o. (S. 147».
s. A. Reinach, Rev. et. gr. XXVI, 1913, 359 f. ; Baege, De
Macedon. sacr. 224; Xilßon, Griech. Feste 404; Arch. f.
Religionswiss. XT^'I, 1913, 314 und besonders E irrem, Beitr. zur
griech. Religionsgeschich. II (Vidensk. Skr. 1912 II ii), S. 9.
Nächst ver\\andt ist der aus der Opferung der Astydameia bei
Apollod. III 173 zu erschließende Ritus, zu dem Eitrem a. a. 0.
Piu allelen anführt ; er erinnert, wie z. T. schon Frühere, einerseits
I
Kriegsopfer. 265-
an die dem Peleus im thessalischen Pella dargebrachten Menschen -
opfer (Monim. FHG IV 454 bei Klem. tiqoiq. III 42. 4 oder in
Pellene, Kyr. in Jul. IV, S. 128 C ; vgl. Paradox ed. Westerm. S. 165),
andererseits an das Durchgehen durch das geteilte Opfer beim
Eide (Dikt. I 15, II 49, V 10) und an das von Herodot VU 39
beschriebene Verfahren. — Über den Kr i eg stanz ist o. {S. 1%)
berichtet. Heilige C aterv enhämpfe ^ in denen Usener,
Kl. Schi*. IV 435 eine Darstellung des Kampfes von Sommer und
Winter gesehen hat, erschließt Vürtheim, Versl. en Meded.
IVxH) 1913, 37 flf. aus der ätiologischen Erzählung bei Plut. '^p. 17
a. E., die er auf den Kult der Artemis ^Og^ia bezieht. Die beiden
feindlichen Parteien sollen durch Astrabakos und Alopekos (Paus.
III 10. 9) vertreten, also als Esel (vgl. aoTQaßri Maultiersattel j
und Füchse gekennzeichnet gewesen sein ; und zwar soll der Kampf,
wie aus der ebenfalls auf diesen Catervenkampf bezogenen Schilde-
rung bei Xenoph. yiay.eö. reo).. 2. 9 gefolgert wird, darin bestanden
haben, daß die eine Abteilung (die Füchse?) Käse, nach Alkm.
:r. 34 von der Göttin selbst aus Löwenmilch bereitet , von dem
Altar der Göttin zu rauben, die andere diesen Raub zu verhindern
bestrebt war. Vürtheim vergleicht u. a. den Kampf im spartani-
schen Platanistas , den Jungfrauenkampf bei den Auseem (Herod.
IV 180), die von den 16 Frauen in Elis gebildeten Kampfreigen
der aus einem Orte Orthia, also wahrscheinlich ebenfalls aus dem
Kult der Artemis ^Ood^ia stammenden Phjskoa und der Hippo-
dameia, und den Kampf in der Vorstadt Meroe zu Antiocheia. Dem
Käsestehlen entspricht nach Vürtheim der von Ostheide, Arch.
f. Beligionswiss, X, 1907, 156 in Ergänzung von Useners Samm-
lungen angeführte Brauch in Kampen, wo zwei Parteien danach
trachten, einander das Holz für das Martinsfeuer oder Pfannkuchen
zu stehlen. Der Gebrauch soll, wie Vürtheim u. a. aus dem
elischen Namen der Physkoa folgert, aus Karien stammen, wo es
ein Physkos gibt und wo auch die in der Legende mit dem griechischen
Physkos verbundenen Leleger bezeugt sind ; dieselbe karischa
Göttin, die in Sparta Artemis ^ÖQ&ia genannt wurde, soll in Samos
der Hera gleichgesetzt sein. In hellenistischer Zeit entartete das
Schauspiel immer mehr, es wurde zu einem grausamen Spießruten-
laufen, und so entstand die öiafiaaTr/cüOig ^ die erst in der
Kaiserzeit erwähnt vrird und keine unmittelbare Beziehung mehr
zum Dienst der Orthia hat, sich auch sonst in diesem nirgends
findet. — Xilßon, Griech. Feste 413 ff. sieht in den Schein-
kämpfen teils, wenn sie Fruchtbarkeitsgöttinnen wie Demeter, Damia.
260 Kriegsopfer. — Trophäen.
Auxesia gelten, einen Vegetationszauber, teils, wenn sie im Kult
des Ai-es , Enyalios usw. auftreten , einen s3-mpathetischen Sieges-
iauber des in den Kampf ziehenden Heeres. Nach E. Maaß,
Internat. Monatsschr. 1913, 557 ff. sind sie aus Ehrungen für einen
Verstorbenen hervorgegangen und entwickelten sich allmählich zu
Einzelagonen. — Einen Nachtrag zu üseners Zusammenstellungen
bringt A. Wilhelm, Arch. f. Religionswiss. XVI, 1913, 630 aus
Estouruelles de Constaut, Ija vie de province en Grece 1870 für
das heutige Griechenland bei.
Über die bei der Beendigung des Krieges durch ein Bündnis
üblichen Begehungen der Römer ist in der Berichtsperiode mehr-
fach gehandelt worden. Deubner, Neue Jahrbb. XXVII, 1911,
334 ff. versucht den Nachweis, daß Polj^b. III 25. 6 den bei Privat-
schwüren üblichen Eid fälschlich für den der Fetialen gehalten habe.
Anderes s. o. {S. 120, 172)\ vgl. auch Rose, Journ. Rom. Stud. III,
1 'Jl3, 208 und J. Harrison, Essays and Stud. pres. to Ridgeway 92 ff.
Ist der Sieg errungen, so fragt sich, was aus den Trophäen,
d. h. den dem Feinde abgenommenen Waffen werden soll. Die
Arbeiten, die sich mit den verschiedenen Antworten des Altertums
auf diese Frage befassen, sind meist voneinander so unabhängig
und beziehen sich auf so verschiedene Probleme, daß sie hier nur
nach der Reihenfolge ihres Erscheinens ohne Rücksicht auf innere
Zusammenhänge genannt werden können. P o u 1 s e n , Athen.
Mitt. XXXI, 1906, 377 ff. , der von der Darstellung einer kreti-
schen Mitra ausgeht, meint, daß in älterer Zeit die feindlichen
Waffen an einen Baumstamm gehängt wurden, was noch im Denk-
mal von Adamklissi nachklinge. Sal. Reinach, Rev. arch. IVxl>
1908 S 43 ff., 03 (vgl. Cultes, myth., rel. III 223 ff.) glaubt, daß
Römer, Gallier, Juden und andere Völker die Waffenbeute für Tabu
hielten. Les depouiUes prises ä la guerre sont comme impregnees
d'une nocivite d'ordre magique que les sortileges du vainqueur
lui-meme leur ont inoculee. Die Zerstörung der Waffen wurde
einem der Elemente überlassen, sie wurden in der Luft aufgehängt,
ins Wasser oder in die Erde versenkt oder verbrannt. — Eine
sorgfältige Sammlung der Zeugnisse ohne wesentlich neue Ergebnisse
bietet der auf Löschckes Anregung entstandene Aufsatz von
K. Wölcke, Beiträge zur Geschichte des Tropaions, Bonner
Jahrbb. CXX , 1911, S. 127 ff. — Nach 0. Roßbach, Castro-
giovanni, Berlin u. Leipzig 1912 ist wegen Eurip. ^Hqü-kX. 936,
0OLV. 1250 ff. das Tropaion als ein dem Palladion verwandtes an
Ort und Stelle errichtetes Kultbild des Siegesspenders zu fassen. —
Trophäen und Triumphe. 2ti7
Nach Hewitt, Transact. Amer. Phil. Assoc. XLIII, 1912, 108
war das Tropaion ursprünglich ein Apotropaion. — A. J. Reinach,
der in einem Aufsatz in der ßev. hist. rel. LX, 1909^, 350 das
Tropaion im Gegensatz zum Apotropaion als ein Mittel, die ver-
ehrten Mächte herbeizurufen, gedeutet und die Sitte, die Wafifen
aufzuhängen, von ihrer Verehrung hergeleitet hatte, handelt aus-
führlich über die Trophäen Rev. d'ethnogr. et de sociol. IV, 1913,
211 ff. Ausgangspunkt bildete nach A. J. Reinach die Furcht vor
dem in der Waffe vermuteten Dämon (5. 0. 161), der mit seinem
früheren Besitzer , wie man fürchtete , noch Beziehungen haben
und ihn rächen konnte. Man ließ daher die Waffen auf dem
Schlachtfeld zurück, verbrannte sie oder heftete sie an Bäume.
Es wurden auch Haufen von Waffen aufgeschichtet, namentlich
nach Massenkämpfen, während nach dem Einzelkampf öfters ein
menschliches Bild die Waffen trug. Erst später sollen die Tro-
phäen als Weihegaben für die Götter, deren Hilfe der Sieg
zugeschrieben wurde , und zugleich als Erinnerungsmale gegolten
haben, für diese aber bald auch wertvollere Dinge (Bildsäulen,
künstlerische Nachbildungen von Waffen u. dgl.) eingetreten sein,
während der Staat nur noch auserlesene Stücke weihte und den
Rest ganz oder teilweise dem einzelnen überließ. — Nach
v. Wilamowitz, Aischylos S. 107 war das Tropaion, meist eine
an einem Pfahl gehängte Panoplie , keine Weihung an einen Gott
wie die Weihung erbeuteter Waffen in einem Tempel; es sollte
vergänglich sein , und wer da wollte , nahm die Waffen weg. Es
wurde stets auf dem Schlachtfeld selbst errichtet, nachdem der Feind
um die avaigeaig vs-hqiöv gebeten und damit seine Niederlage eingestan-
den hatte. Aufgekommen ist die dem Epos fremde Sitte nach v.Wüamo-
witz bei den dorischen Heerendes 7. Jhs., als eine tqoti/J die Auflösung
der geschlossenen Phalanx und die Schlacht entschied. Gegen Wölcke
a. a. 0., der die Waffenweihe zuhause von Anfang an der Errichtung
eines Siegesmales auf dem Schlachtfeld gleichgesetzt hatte , meint
V. Wilamowitz, daß diese Gleichstellung erst später eingetreten sei.
Über den Gebrauch, das feindliche Heer unters Joch zu schicken,
und den Einzug des siegreichen Heeres ist 0.(188), über den Fetialeneid
o.{17J2) berichtet worden. Über Menschenopfer im Krieg vgl. o.{212f.).
— Über die religiöse Bedeutung des römischen Triumphes handelt
Laqueur, Herm. XLIV, 1909, 215 ff. Er hält ihn für die Erfüllung
des Gelübdes, den edelsten Teil der Beute der Gottheit zu weihen
■und die vornehmsten Gefangenen zu töten. Der Triumph ist demnach
ursprünglich nicht sowohl ein Recht als eine sakral gebotene Pflicht
268 Triumph. — Regelmäßige Feste.
des Feldberrn (225). Daher ist das Recht des Auspiciums Voraus-
setzung des Triumphs , und der Senat mußte , seit er sich in die
Triumphfrage einmischte , zu dieser Bei'atung extra pomerium zu-
sammentreten, weil der Feldherr dieses nur im Triumph über-
schreiten darf. — G. Beseler, ebd. 352 fF. erkennt Laqueurs
Hauptergebnisse an, bestreitet aber, daß wie imperium die welt-
liche so auspicium die geistliche Vollgewalt des Feldherrn bezeichue
und daß Pflicht und Recht des Triumphes auf der zweiten beruhe.
— Gius. Spani, Neapolis I, 1913, 144 ff., 329 ff. ; gibt Graef
die Herkunft der römischen Ehrenbogen von den alexandrinischen
Stadttoren und besonders den Tetrastyla zu , sucht aber nach-
zuweisen , daß viele von ihnen einfach die alten Pi'opylaien ver-
traten, die den Zugang zu einem heiligen Bezirk, Markt oder dgl.
bildeten. — Die sogenannten „Triumphbogen", die sich nicht nur
am Pomerium, beim Durchgang der Hauptstraßen, sondern auch
auf offenem Laude und zwar sowohl in Italien wie in den Pro-
vinzen finden, will Frothingham, Am. Journ. Archaeol. XIX,
1915, 155 als alte Grenzzeichen erweisen. — Daß der Triumph-
bogen erst nachträglich mit dem Triumph in Verbindung gebracht
sei, hatte schon Morpurgo, Bull. comm. arch. comm. XXXVI,
1908, 109 vermutet; sie sah in ihm einfach das Stadttor, durch
das der siegreiche Feldherr einzog.
2) Regfelmärsig-e Feste.
Die über sie erschienenen Untersuchungen sind großenteils
bereits bei den Riten besprochen , die an ihnen begangen wurden.
Nur weniger Arbeiten ist hier noch zu gedenken. Martin
P. Nilßon, Griechische Feste von religiöser Bedeutung mit Aus-
schluß der attischen, Leipzig 1906 steht vielleicht in der Selb-
ständigkeit der Auffassung hinter den ebenfalls bei Teubner er-
schienenen „Festen der Stadt Athen" von A, Mommsen zurück,
zu denen es die Ergänzung bildet, ist aber — z. T. vielleicht eben
deshalb — bequemer zu benutzen. Die Anordnung mußte, da eine
Aufzählung der Feste nach ihrer Stellung im Kalender, wie sie
Mommsen für Athen und Warde Fowler in den Roman Festivals
für Rom gewählt haben , hier natürlich ausgeschlossen war , ent-
weder den einzelnen Landschaften und Gemeinden oder den an den
Festen gefeierten Gottheiten folgen. Nilßon hat sich mit gutem
Grund für das Zweite entschieden ; die Verteilung des Stoffs ist
im ganzen übersichtlich und würde es wahrscheinlich noch mehr
sein wenn das Prinzip nicht starr durchgeführt wäre, oder wenn
Römischer Festkalender. 269
Gottheiten, die oft einen gemeinschaftlichen Kult haben oder ihrem
Wesen nach verwandt sind, zusammengefaßt würden, etwa in der
Weise, daß zuerst die nicht einer einzelnen Gottheit zuzuweisenden
Feste besprochen wären. Durch die Trennung z. B. der Demeter-
von den Köre-, den Damia- und andern Festen gleicher Art wird
nicht nur, worauf A. J. Rein ach, Rev. hist, rel. LV, 1907 V
381 ff. hinweist, Zusammengehöriges auseinandergerissen, sondern
es wird unter Umständen geradezu das richtige Verständnis der
Feste verschlossen. — Innerhalb des römischen Kalenders hatte
V. Domaszewski schon in der Festschrift flu* 0. Hirschfeld 247
gewisse Gruppen von Festen namentlich im August (21 Consualia,
23 Volcanaha, 25 Opiconsivia) und Dezember (15 Consualia,
17 Saturnalia, 19 Opalia) als zusammengehörig behauptet und aus
dieser Einheitlichkeit das Wesen der an ihnen verehrten Gottheiten
zu erschließen versucht. Nachdem die Ausgrabungen im Hain
der Furrina diese Gottheit als Quellgottheit erwiesen haben, wie aus
der Zusammengehörigkeit ihres Festes (25. 7) mit den Lucaria
(19 u. 21. 7) und den Neptunalia zu folgern war, verfolgt er im
Arch. f. Religionswiss. X, 1907, 333 ff. (= Kl. Sehr. 171 ff.) diesen
Gedanken weiter. Zu der Gruppe des August werden noch zwei
äußere Glieder, am 17. die dem Tiberhafen geweihten Portunalia
und am 27. die dem Tiber selbst geltenden Volturnalia hinzugefügt,
weil man mit Flußwasser der Macht des Feuergottes allein wehren
kann. Im Dezember wird ein äußerer Kreis in dem am 11. dem
Sonnengott gefeierten Agonium, dem luppiterfest Divalia am 21., den
Larentalia am 23. und den Compitalia vermutet. Im Januar sollen
das Agonium für lanus am 9., die Carmentalia am 11. u. 15., im
Februar die Feriae lovi am 13., die Lupercalia am 15. und die
Quirinalia am 17. eine Einheit bilden. Die Equirria am 27. Februar
leiten das Geburtsfest des Mars am 1. März nach v. Domaszewski
ebenso ein, wie das gleichnamige Fest am 14. 3. die Liberalia
am 17. Im Aprü sollen die Fordicidia (15.), die Cerealia (19.),
die Parilia (21.), die Vinalia (23.) und die Robigalia (25.) eine
der Mutter Erde, im Oktober die Fontinalia (13.), das Opfer des
Oktoberrosses (15.) und das Armilustrium (19.) eine dem Mars
heilige Gruppe bilden. Aus den in diese Ordnung sich nicht fügen-
den, meist auf grade Monatstage fallenden Festen Quando rex
comitiavit fas (24. 3. u. 24. 5.) und den Tagen quibus mundus
patet (24. 8., 5. 10., 8. 11.) wird geschlossen, daß in der Königs-
zeit die Zyklen noch nicht galten , daß für sie vielmehr die acht-
tägige Woche gültig war. — Bedenken gegen diese Konstruktionen
270 Feste. Kalender.
äußert Warde Fowler, Rel. Exper. of the Rom. People 98^
110. 14. — Emil Blaufuß, Römische Feste und Feiertage nach
den Traktaten über fremden Dienst (aboda zara) in Mischna, To-
sefta, Jerusalemer und bab3donischem Talmund, Progr. Nürnberg
1909 legt seiner Untersuchung eine Stelle der Mischna zugrunde,
in der den Juden der Geschäftsverkehr mit den Heiden unter-
sagt wird. Das sti*engste Verbot betraf einige Feste , an deren
Spitze die .,Kalenden" d.h. der Neujahrstag stehen-, für diese galt
es bereits drei Tage vorher; dieselbe Verschärfung findet sich bei den
Saturnalien, doch war an diesen der Verkehr nicht mit allen Heiden,
sondern nur mit denen verboten, die Opfer darbrachten. Im übrigen
werden einige selten erwähnte und sogar sonst unbekannte heidnische
Feste in den jüdischen Quellen erwähnt, aber m. R. hebt Samter,
Berl. Phil. Wochenschr. XXXI, 1911, 559 hervor, daß nicht immer
an römische Feste zu denken sei.
Alle Feste, auch die eigentlich profanen Zwecken, z. B. der
Belustigung dienenden konnten zugleich mit religiösen Zeremonien
begangen werden, und meist ist dies auch wirklich geschehen. Da
nach den Festen sich die Zeiteinteilung richtete oder auch um-
gekehrt der Anfang der durch andere Gründe bestimmten größeren
Zeitabschnitte gefeiert wurde, war das ganze antike Kalendcr-
wesen bis zu einem gewissen Grad unter religiösen Schutz ge-
stellt, und daher müssen mehrere auf die antike Zeiteinteilung be-
zügliche Arbeiten , weil und soweit sie auch auf den Kultus ein-
gehen, hier erwähnt werden. Man pflegt drei Arten von Jahren
im antiken Kalender zu unterseheiden : das nach den Sternenauf-
und -Untergängen beobachtete Sternenjahr, das nahezu mit dem
Sonnenjahr übereinstimmt, das Mondjahr von 12 Mondmonaten
oder ungefähr 354 Tagen und das Mondsonnenjahr, das durch
Schalttage oder Schaltmonate beide innerhalb gewisser Perioden
einigermaßen in Einklang bringt. An dieser Unterscheidung hält
auch Nilßon fest, der im Arch. f. Religionswiss. XIV, 1911, 423 £F.
die Geschichte der griechischen Kalender in großen Zügen be-
handelt hat. (Vgl. auch Lunds Universit. Arsskrift. N. F.
Avd. I XIV no. 21). Seiner Ansicht nach hatten die Griechen seit alter
Zeit sowohl Mondmonate als auch das (Sternen- oder) Sonnenjahr, aber
das Mondsonnenjahr übernahmen sie mittelbar von den Babyloniern
(^436); es soll von Haus aus hieratischen Zwecken gedient haben
und mit der Feier des tabuierten siebenten Tages verbunden ge-
wesen sein; bei seiner Einführung wurde die alte Einteilung des
Kalender. 271
Monats in drei Enneaden durch die Teilung in vier siebentägige
Wochen ersetzt. In Kleinasien, von wo dieser Kalender nach
Griechenland übernommen wurde, soll er unter den Schutz Apollonn
gestellt sein, der zusammen mit ihm nach Griechenland gelangtet
und der, weil jener Kalender alle Reinigungen und Sühnungen an
sich zog, als der Gott dieser betrachtet wurde. Ihm war deshalb
der siebente Monatstag geweiht, nach seinem Vorbild haben auch
die andern Götter bestimmte Monatstage zugewiesen erhalten. Erst
nach der Einführung des lunisolaren Jahres erhielten die Monate
Namen: das ist, wie Nilßon aus der Verschiedenheit der Monats-
bezeichnungen schließt . später geschehen als die Besiedelung . der
Inseln im Ägäischen Meer und der ägäischen Küste durch die
Griechen. Zur Zeit Homers bestand dieser Kalender nach Nilßou
noch nicht ; in Athen wurde er durch Solons a^oveg (Diog. Laert. I 59 ;
Plut. ^61. 52; Bekk. Anecd. I 86, 20) eingeführt. Diese An-
sichten entsprechen zwar teils dem, was vorher vielfach an-
genommen wurde, teils sind sie folgerichtig daraus abgeleitet, sie
stehen aber mit einzelnen Ergebnissen anderer Untersuchungen
nicht durchweg in Einklang. Diese werden ebenso wie die übrigen
auf den Kalender bezüglichen Arbeiten, soweit sie in der Berichts-
periode erschienen sind und für die Religionsgeschichte Bedeutung
haben, am besten zusammen mit Nilßons Abhandlung besprochen.
Wahrscheinlich mit Recht nimmt dieser an, daß vor der Ein-
führung des Mondsonnenjahrs die Zeit nach Mondmonaten berechnet
wurde. Daß die Feste sich in monatlichen Perioden wiederholten,
findet sich auch später, z. B. in Olympia (vgl. L. Weniger,
Klio IX, 1909, 291 ff.). Als Monat galt wahrscheinlich von jeher
der Zeitraum von ungefähr 29^2 Tagen, der zwischen zwei Neu-
monden liegt, d. h. der synodische Monat. Daß auch nach wirk-
lichen (d. h. siderischen) Mondumläufen von etwas mehr als-
27 Tagen gerechnet wurde, hat zwar der letzte eindringende Be-
handler dieser Frage, Röscher in seinen „Enneadischen Studien,
Versuch einer Geschichte der Neunzahl bei den Griechen mit be-
sonderer Berücksichtigung des älteren Epos, der Philos. u. Arzte '^
(Abh. SGW XXVI, 1907) aus der bei Homer und Hesiod häufigen
Befristung von Opferschmäusen , religiösen Festen, Totenklagen,
Geburtswehen einer Göttin usw. auf 9 Tage erschlossen, indem er
annahm, daß damit eine Woche bezeichnet werden sollte, und diese
dem Monatsdrittel gleichsetzte; und Nilßon, Arch. f. Religions-
wiss. XIV, 1911, 433 hat diese Drittelung sogar für die natür-
lichste Einteilung des Monats gehalten. Aber hiergegen erhebt
2' 2 Kalender.
Fr. BoU, R.-E. VII 550, 59 ff. begründeten Einspruch. Der
"wirkliche Mondumlauf, d. h. die Rückkehr des Mondes an dieselbe
Stelle der Ekliptik ist nicht allein viel schwieriger festzustellen
als die Wiederkehr des Neumondes, sondern hat auch im späteren
Kult so gut wie gar keine Bedeutung, während der Neumond als
Festtag und als Monatsanfang wichtig war. Die konventionelle
Zusammenfassung von 9 Tagen weist nicht notwendig auf eine Zeit-
einteilung hin, sondern kann verschiedenartige Ursachen haben: die
Neunzahl schloß z. B. dreimal die heilige Zahl drei in sich und
erscheint auch sonst häufig im Kult und als runde Zahl im Sprach-
gebrauch. — Je zehn Monate, also wenn diese mit Recht als
synodisch gefaßt werden, je 295 Tage wurden zu einer größeren
Zeiteinheit zusammengefaßt. Von dieser Einteilung, bei der die
Monde nicht benannt, sondern gezählt wurden, liegt, wie es scheint,
in der ältesten Fassung vom Dodekathlos des Herakles (R.-E. Suppl.
III, 1021, 27 ff.) eine Spur vor, eine andere hat sich in Italien
wahrscheinlich so lange erhalten, daß die römischen Altertums-
forscher (Censor. XX 2) sie richtig erschließen konnten. Es ist
auch nicht ausgeschlossen, daß die Monate der zweiten Jahres-
hälfte ihre lateinischen Namen (Quintilis bis Dezember) von jenen ge-
zählten Monden des zehnmonatlichen Zyklus übernommen haben.
Daß neben diesem auch das Jahr, d. h. ein durch Sternenaufgänge
bestimmter Abschnitt als Zeitmaß diente , nimmt Nilßon dagegen
w-ahrscheinlich nicht mit Recht an. Zwar bildete das jährliche Ab-
sterben und die Erneuerung des Pflanzenlebens auch in den Ländern
des klassischen Altertums sehr bemerkbare Eiuschnitte, und Jahres-
feste, d. h. Feiern, die bei der Wiederkehr eines bestimmten Sternauf-
oder -Unterganges begangen worden, hat es wahrscheinlich schon in
vorgriechischer Zeit gegeben; auch wäre an sich der gleichzeitige Be-
stand zweier ineinander nicht aufgehender Zeitrechnungen ebenso mög-
lich wie bei uns die Wochen- neben der Monats- und Jahreseinteilung;
allein die Veränderungen der Vegetation bilden Abschnitte, die zwar
für ungefähre Angaben sehr brauchbar, dagegen für genaue Zeitberech-
nungen ungeeignet waren. Auch die Beobachtung des Sternenhimmels
führte nicht gleich auf ein Sternen- oder Sonnenjahr. Zwar ließ sich
verhältnismäßig leicht feststellen, daß Neu- und Vollmond bei der 12.
oder 13. Wiederholung der Phase in demselben Tierkreiszeichen
standen ; allein wenn diese Beobachtung zur Feststellung der Jahres-
länge beitrug, so lehrte sie eher das lunisolare als das reine Sonnen-
oder Stemjahr. Fraz er, Spir. of de Corn (Golden Bougb V) I 307 ff.
weist auf die Bedeutung hin, welche die Plejaden auf weiten Gebieten
Kalender. 273
für den Kalender hatten : der Mond kommt bei dieser Einteilung
nicht in Frage ; allein die Abgrenzung der Jahreszeiten nach den
Auf- und Niedergängen der Plejaden scheint, da sie in mehreren
Gebieten der antiken Kultur jünger ist als die Drittelung des Jahres,
doch erst einer Zeit anzugehören , in der die Mondrechnung mit
dem Sonnenjahr ausgeglichen war. Dem widerspricht nicht die
religiöse Bedeutung dieses Gestirns (H. Grimme, Das israelitische
Pfingstfest und der Plejadenkult, Paderborn 1907). Daß schon die
ungeteilten Indogermanen diesem Sternbild besondere Aufmerksam-
keit schenkten und es als „Staub" bezeichneten, wie Bartholomae.
Indogerm. Forsch. XXXI, 1912/lo, 35 ff. aus dem von ihm ver-
muteten Zusammenhang seines griechischen Namens mit lat. pulvis
erschließt, ist nicht anzunehmen ; es würde übrigens , selbst wenn
es sicher wäre, ein uraltes siderisches oder solares Jahr nicht erweisen.
Ebenso kann die Neujahrsfeier (s. u. 277ff.') aus dem lunisolaren
Kalender stammen; denn wenn auch in der mehrjährigen Schalt-
periode der Anfang des einzelnen Jahres etwas zurücktritt, so ist
er doch als Beginn einer neuen Monatsreihe wichtig genug, um eine
religiöse Feier begreiflich erscheinen zu lassen. Natürlich waren
Landmann und Schiffer in ihrer Tätigkeit an die Innehaltung be-
stimmter Jahreszeiten gebunden, und so erhielt sich z. B. in den
ökonomischen Lehrbüchern seit alter Zeit die Sitte, die Termine für
die landwirtschaftlichen Obliegenheiten nach dem ersten oder letzten
Sichtbarwerden der Fixsterne zu bestimmen, das einst die diese Ob-
liegenheiten einleitenden Feste geregelt hatte ; aber einen Kalender,
«in von der Beobachtung des einzelnen unabhängiges Jahr setzen diese
Angaben und Feste nicht nur nicht voraus, sondern sie beweisen gerade
umgekehrt, daß es ein solches nicht gab. Für eine auch nur einiger-
maßen genaue Zeitbestimmung, wie sie in einem Kalender ver-
langt wird, wäre auch ihr praktischer Wert gering gewesen. Die
Beobachtung der Stern Untergänge und namentlich (worauf Leh-
mann-Haupt, KHo VIII, 1908, 225 gegen Ed. Meyer hinweist)
der Aufgänge ist sehr schwierig und setzt überdies eine verhältnis-
mäßig schon so vorgeschrittene Kenntnis des Sternenhimmels voraus,
"wie sie der Landmann der ältesten Zeit schwerlich besaß. Für
ihn mochte es immerhin schon ein Vorteil sein, wenn er auf etwa
14 Tage genau die Jahreszeit von den Sternen ablesen konnte,
aber sehr großen Nutzen können derartige Angaben ihm nicht ge-
bracht haben; denn obwohl während der ganzen Zeit, in der nach
der lunisolaren Schaltperiode gerechnet wurde , dasselbe Bedürfnis
■bestand, und obwohl die zunehmende Kenntnis des Sternenhimmels
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplein entband), 18
274 Kalender.
eine immer genauere Beobachtung gestattete , finden sich in den
erhalteneu Beötinimungen des Datums nach einem Sternauf- oder
-Untergang zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehler. Offenbar sind
diese Angaben wie so vieles in unsern Kalenderbüchern verständnis-
los von einer Generation zur andern mitgeschleppt, also praktisch
nicht viel benutzt worden. Deshalb machte sich das Bedürfnis
geltend , die Monatszählung mit den Jahreszeiten auszugleichen.
Das ließ sich aber erst erreichen , als die Länge des Jahres un-
gefähr richtig gefunden war. Diese Entdeckung, die nur durch
sehr schwierige Beobachtungen des Tages möglich war , an dem
ein Fixstern zum ersten oder letztenmal kurz vor Sonnenaufgang
oder kurz nach Sonnenuntergang sichtbar wird , ist nur einer hoch-
entwickelten Kultur zuzutrauen, die sich aus andern Gründen, z. B.
der Vorzeichen wegen mit dem Untergang der Sterne befaßte und
die bestimmte, nicht nur durch Beobachtung festzustellende, sondern
auch leicht im voraus zu berechnende Zeitabschnitte , d, h. einen
wirklichen Kalender für die regelmäßige Erledigung politischer oder
religiöser Obliegenheiten , besonders aber für die Bestimmung der
Termine brauchte, an denen die das Land bebauenden Leibeigenen
und Pächter die einzelnen Arbeiten vorzunehmen und ihre Natural-
leistungen abzuliefern hatten. Daß eben dies hauptsächlich zur
Benennung einzelner Mondmonate und schließlich zur Einführung
eines durch Schaltungen mit der Mondrechnung ausgeglicheneu
Sonnenjahres führte, machen die Namen der Monate im Kalender
Assyriens und auf dem Stein von Geser (Palestine Explor. Fund,
Quarterly Stat. 19U9, 26 ff., 107 ff.) wahrscheinlich. — Die Unter-
suchungen zu besprechen , die sich mit dem Entstehungsort , der
Entstehungszeit und den ältesten Formen des solaren Kalenders
im Orient beschäftigen, ist hier nicht der Ort: für das alte Süd-
enropa haben die bisherigen Forschungen das Bestehen eines solchen
Kalenders nicht erwiesen und auch nicht wahrscheinlich gemacht.
Für das klassische Altertum ist das reine Sonnenjahr, soweit sich
bis jetzt die Entwicklung überschauen läßt, überall End-, nicht
Ausgangspunkt der Kalenderentwicklung, obwohl der durch die Be-
obachtung des Wetters , des Pflanzen- und Tierlebens unmittelbar
gegebene J3cgriff des Jahres und der Jahreszeiten natürlich bekannt
war. Künftige Erwägungen werden das Ergebnis vielleicht ein-
schränken, aber dann kann es sich kaum um mehr handeln als um
vereinzelte Ausnahmen, deren Auftreten bei dem regen Kultur-
austausch der südeuropäischen Kultur mit der orientalischen übrigens
■weniger befremden würde, als jetzt ihr Fehlen befremdet. Das
I
Kalender.
J/i)
allgemeine Ergebnis würde auch dann bestehen bleiben , daü die
Griechen und Römer und auch die vor ihnen in Südeuropa an-
sässigen Völker zwar bereits vor dem lunisolaren Kalender eine
geordnete Zeitrechnung hatten , daß diese sich aber ausschließlich
nach dem Monde richtete. Diese Zeiteinteilung scheint in den
Ländern der klassischen Kultur so feste Wurzeln geschlagen zu
haben, daß sie geraume Zeit bestehen blieb, auch nachdem die
Dauer des scheinbaren Sonnenumlaufs bekannt geworden war, und
erst abgeschafft wurde, als sich ein Mittel gefunden hatte, sie mit
diesem in ein festes und bequemes Verhältnis zu setzen. Es galt,
eine Zahl von Tagen zu finden, in der eine volle Zahl von Mond-
monaten und eine volle Zahl von Sonnenjahren zugleich aufgingen.
Eine ziemlich gute Lösung liegt bei 2921 Tagen : diese Zahl
entspricht annähernd 8 Sonnenjahren und 99 synodischen Mond-
monaten und kommt überdies nahezu 13 Umläufen der Venus gleich,
so daß wenn beim Beginn einer Periode dieser Planet Abendstem
war, er zu Anfang der nächsten in derselben Stellung zur unter-
gehenden Sonne und zur Neumondsichel erschien. Diese drei
hellsten Gestirne werden in der Reihenfolge Sin, Samas, I§tar auf
assyrischen Urkunden, in der Anordnung Venus , Mond , Sonne in
sabäischen Texten (Ditl. Nielsen, Der sabäische Gott Ilmukah
(Mitteil, der Vorderasiat. Gesellsch. XIV 4, 1910) S. 52 flF. öfter«
zusammen genannt, und wahrscheinlich bezieht sich das weit-
verbreitete Symbol der Sonnenscheibe (später bisweilen durch den
Adler ersetzt, Lidzbarski, Ephem. f. semit. Epigr. III 3, 1911,
S. 188), der Mondsichel und des Sternes eben auf diese Dreiheit
und oft auch auf die durch ihr Zusammentreffen herbeigeführte
neue Schaltperiode. Dieser Zeitabschnitt von 2921 Tagen ist die
berühmte Ennaeteris , die erst im 5. Jh. in manchen griechischen
Gemeinden durch den noch voUkommneren metonischen Zyklus ab-
gelöst wurde, nachdem sie trotz der sich allmählich mehrenden und
Abhilfe heischenden Ungenauigkeit mehrere Jahrhunderte bestanden
hatte. Allerdings läßt Censorin. XVIII 5 eine Ennaeteris, den
annus magnus, d. h. eine Schaltperiode von 8 Jahren durch Eudoxos
von Knidos oder Kleostratos von Tenedos begründet werden, und
deshalb vermutet R o s c h e r (zuletzt Abh. SßW XXVI, 1907, 22 ff.),
daß die bisher auf diesen Zeitkreis bezogenen Erwähnungen einer
Ennaeteris oder eines großen oder ewigen Jahres, die in griechischen
Mythen namentlich als Befristung einer Verbannung vorkommen,
vielmehr eine Periode von 9 Jahren bezeichnen , die deshalb an-
gesetzt worden sei, weil bei Sühnungen die Neunzahl als das Drei-
18*
276 Kalender.
fache der heiligen Drei überhaupt von Bedeutung war. Er nimmt
an , daß bei ApoUodor III 24 und Suid. Kaöfieia viy,7] ein Irrtum
vorliege, wenn sie den aiöiog iiiauTug, den Kadmos wegen der
Tötung des Drachens dem Ares dienen mußte, als einen Zeitraum
von 8 Jahren deuten. In der Tat wird bereits im Altertum das
große Jahr oder die Ennaeteris als eine Frist von 9 Jahren auf-
gefaßt: schon Hesiod OEoy. 793 ff. läßt die Götter, die bei der
St}TC falsch geschworen haben, Teie?.eaf.tevov eig Iviaviöv in schwere
Krankheit verfallen und dann nach Vollendung des fityag eviaizog
noch neun ganze Jahre vom Mahle der Götter fern bleiben, denen
sie erst im zehnten sich wieder zugesellen ; und gewiß hat der
Dichter des Mythos diese Strafdauer der in seiner Heimat üblichen
nachgebildet. Aber darum ist m. E. der Zweifel an der acht-
jährigen Verbannung des Kadmos, obwohl diese erst später bezeugt
ist, nicht gerechtfertigt. Censorins Angabe kann unmöglich in dem
Sinn richtig sein , daß Eudoxos oder Kleostratos die erste acht-
jährige Schaltperiode einrichteten : das beweisen deren Verbesserung
durch Meton, ihre Anwendung im kleisthenischen Kalender und in
noch viel früherer Zeit die durch ihre Halbierung entstandenen
Penteteriden der großen Agonalfeste. Es hat also spätestens im
7. Jahrhundert neben der neun- auch die achtjährige Periode Be-
deutung für das Strafrecht gehabt. Der Staat wollte dem, der in
Notwehr oder aus gerechter Ursache einen Mitbürger getötet oder
eine andere sonst mit dem Tod bedrohte Tat begangen hatte,
weder selbst bestrafen noch der ßache der Geschädigten oder ihrer
Angehörigen preisgeben, wagte oder vermochte aber andrerseits
auch nicht, die altgeheiligte Blutrache ganz aufzuheben, gestattete
dem Täter vielmehr nur, nach einer Abwesenheit von 9 oder
8 Jahren, die im Ausland oder in einem Asyl zugebracht werden
mußten, die friedliche Rückkehr in den Schutz der Gesetze. Die
Befristung auf 9 Jahre ist wahrscheinlich die ältere : sie hat an
anderen neunmal zu wiederholenden alten Sühnungen eine Parallele
und wurde erst bei Einführung der achtjährigen lunisolaren Schalt-
periode verkürzt. Wie gewöhnlich ist das Recht bei steigender
Kultur gemildert worden, und zwar vermutlich auch darin, daß die
neunjährige Verbannung von ihrem Anfang an berechnet wurde,
während nach der neueren Rechtssatzung dem Totschläger gestattet
war, schon bei Beginn der nächsten Schaltperiode, also unter Um-
ständen bald nach Beginn der Verbannung zurückzukehren. — Der
Ausdruck „großes" oder „ewiges Jahr" oder kurzweg „Jahr" (z. Bi
Hesiod Gcoy. 795; Panyas. fr. 16 k.) ist zwar für die achtjährige Schalt
periode passend, nicht aber für den Zeitraum von neun Jahren, de
Kalender. 277
keinen Schaltkreis bildet und für den Kalender unbrauchbar ist. — Wie
durch Umdeutung die Ennaeteris zur Frist von neun Jahren, so ist
diese, was Röscher selbst schon in den Abh. SGW XXI 4, 1903,
S. 19 A., 76 bemerkt hat, bei Apollod. II 175 zu einem zehnjährigen
Zeitraum gedehnt worden. Umgekehrt hat Piaton vofj, IX 8, S, 865®
oder seine Quelle den iviaitog zu einem bürgerlichen Jahr verkürzt,
was L a w s o n , Modern Gr. Folklore and anc. Gr. Relig. 444 ff., 455 ff.
bei der ausführlichen Besprechung dieser Stelle hätte anmerken
können. — Urkundlich bezeugt ist die achtjährige Periode zuerst
im 8./7. Jh. für Babylon (Cumont, Neue Jahrbb. XXVII, 1911, 2),
sie kann aber weit älter sein, und es ist nicht ganz ausgeschlossen,
daß sie oder eine andere minder genaue Aiasgleichung des Sonnen -
Jahres mit den Mondmonaten bereits den vorgriechischen Bewohnern
der Balkanhalbinsel bekannt war. Aber auch wenn es der Fall
war, wird Nilßon a. a. 0. mit Recht diese Schaltperiode aus
Babylon herleiten. Dagegen scheint mir seine Annahme bedenk-
lich, daß diese Schaltperiode mit der siebentägigen Woche zusammen-
hing. Daß die Ordnung der Planeten nach der scheinbaren Um-
laufszeit und die sie voraussetzende Benennung der Wochentage
erst in hellenistischer Zeit aufkam, zeigt Fr. BoU, Zeitschr. f.
Assyr. XXV, 372 ff., vgl. Pauly-Wissowa RE VII 2557; vielleicht
war der im 2. Jh. v. Chr. schreibende Petosiris (vgl. luven, Sat.
VI, 581) wirklich der Erfinder (Boll, Der Ostasiatische Tierzyklus
im Hellenismus , Vortrag gehalten 9. 4. 1912 auf dem 16. Inter-
nationalen Orientalistenkongreß zu Athen, Leiden 1912, S. 11).
Sieben namenlose Tage werden zwar im Orient viel früher zu
Wochen zusammengefaßt, und die jetzt fast allgemein verbreitete
Annahme, daß diese durch Vierteilung des synodischen Monats,
etwa in der Weise entstanden, daß zunächst am Neu- und Voll-
mondtage, dann auch an den in der Mitte der Halbmonate liegen-
den Tagen die Arbeit ruhte (Grimme, Das israel. Pfiugstfest,
Paderborn 1909), ist, wenn auch m. E. keineswegs sicher, so doch
zur Zeit nicht zu widerlegen; aber was von Nilßon und anderen
bisher angeführt ist, um siebentägige Wochentage für den alt-
griechischen Kalender oder ihre Zugehörigkeit zur Ennaeteris zu
erweisen, scheint mir zur Unterstützung dieser doch nicht gerade
naheliegenden Annahme nicht auszureichen.
Als Anfangstage des siderischen Jahres eignen sich anscheinend
am meisten die Gleichen und die Wenden, und eine oder die andere
von ihnen hat wohl wirklich als Neujahr gegolten, da dieses in
auffallend vielen lunisolaren Kalendern in der Nähe eines der Jahr-
punkte liegt. Um mehr als eine ungefähre Übereinstimmung kann
278 Kalender.
es sich dabei nicht handeln, denn selbst nur auf einen Tag genau
lassen sich die Solstitien und Aequinoktien nur auf Grund ziemlich
schwieriger Beobachtungen und Berechnungen feststellen, und diese
hätten keinen rechten Zweck gehabt, da die durch Schaltung zu
erreichende Ausgleichung von Jahr und Monat immer ungenau
bleibt, 80 daß sogar in Jahren desselben Schaltzyklus der Jahres-
anfang seine Stellung im natürlichen Jahr um mehrere Wochen
änderte , nach einiger Zeit aber der Fehler so groß wurde , daß
öfters eine neue Kalenderordnung mit anderem Jahresanfang
wünschenswert erschien. Daß einst das Jahr der Athener, um
nicht zu sagen, der Griechen, mit dem Thargelion begann, schließt
W. Schmidt, Geburtstag im Altertum (RV u. V, VII 1), S. 115
daraus , daß dann die Reihenfolge der Monatsgötter dieselbe sei
wie die der Göttergeburtstage und der Götterfeste (1. Apollon,
Thargelion; 3. Athena, Hekatombaion ; 4. Herakles, Metageitnion ;
6. Poseidon, Poseideon; 7. u. 8. Dionysos, Lenaion oder Gamelion
und Anthesterion). Diese Begründung ist deshalb anfechtbar, weil
die Zueignung eines Monatstages an einen bestimmten Gott auch
nachträglich erfolgt sein kann, z. B. weil an ihm diesem ein nam-
hafter Tempel geweiht worden ist 5 aber sie beruht auf der richtigen
Voraussetzung, daß der Jahresanfang in den griechischen Ge-
meinden im Gegensatz zu den meisten religiös geschützten Ein-
richtungen ziemlich willkürlich geändert wurde.
Wie der Neumond, so wurde wahrscheinlich auch das Neujahr
von Anfang an festlich begangen. Es fanden an ihm Gelage statt,
und es wurde ein heiterer Mummenschanz getrieben , doch hatte
er auch eine tiefere Bedeutung, weil man den Segen der Gottheiten
für den neuen Zeitabschnitt erflehte und das physische und moralische
tJbel , das aus dem vergangenen Jahr in der Gemeinde zurück-
geblieben war, auszutreiben suchte. Diese apotropäischen Maß-
regeln boten den Anlaß zu mehr oder minder ausgeführten Dar-
stellungen und waren öfters TJrsache des erwähnten Mummen-
schanzes, der um so mehr hervortrat, je mehr sich die eigentliche
Bedeutung der Begehung verdunkelte. Namentlich da, wo das Fest
oder auch der Jahresanfang verlegt war, wo also beide nicht mehr
zusammenfielen , konnte der ursprüngliche Sinn vergessen werden,
sofern er nicht durch den Namen der angerufenen Gottheit wie
bei dem am 15. März gefeierten Fest der Anna Perenna wach-
gehalten wurde. Die weit verbreiteten , von TJsener behandelten
An.streibungen des Jahres oder einer Jahreszeit gehen, wo sie adt
bind , wahrscheinlich großenteils auf derartige Sühnemaßregeln
zurück, nicht auf die Austreibung des gestorbenen oder geschwächten
Kalender. 279
Vegetationsdämons, auf die noch D. G. Roberts, Journ. Hell.
Stud. XXXII, 1912, 107 fF. die Versenkung der Argeer, die Oscho-
phorien und Skirophorien bezieht und mit denen v. Domaszewski,
Abb. zur röm. Relig. 182 den von Hör. c. III, 30. 8 f. erwähnten
Zug und den ihm angeblich gleichen von Lyd fut^v. IV 49 (viel-
mehr IV 3) genannten in Verbindung bringt. — Von großer Be-
deutung war die feierliche Begehung des Jahresbeginns im Zwei-
etromland (H. Zimmern, Zum babylonischen Neujahrsfest, Ber.
SGW phil. hist. Gl. LVIII, S. 126 ff.).
Bisweilen wurde auch das Fest vom Neujahrstag, der zugleich
ein Neumondstag war, auf den ersten Vollmondtag verlegt. Dies
ist bei dem mit dem 1. März beginnenden römischen Jahr geschehen,
in dem das Fest der Anna Perenna an den Iden des ersten Monats
gefeiert wurde, und wahrscheinlich auch in einem noch älteren, das
am 1. September anfing, da an den Iden dieses Monats der Säkular-
nagel in die Seitenwand der Cella des kapitolinischen luppiter-
tempels eingeschlagen wurde, dessen Stiftungstag wohl aus einem
mit diesem Fest zusammenhängenden Grund eben auf diesen Tag
eingesetzt wurde.
Mit der Einführung des reinen Sonnenjahres gewann das Neu-
jahrfest neue Bedeutung (A. Müller, Die Neujahrsfeier im römi-
schen Kaiserreiche, Philol. LXVIII, 1909, 464 ff.). Ausführliche
Berichte liegen erst bei Libanios und den Kirchenvätern vor, welche
die von vielen Christen übernommenen heidnischen Gebräuche
einzuschränken versuchten. Die Sitte , am Neujahrstag ein Feuer
vor dem Hause anzuzünden und zu überspringen, verbot noch das
Trullianische Konzil vom Jahr 692 (Müller S. 474). Dies ist eine
bei den klassischen Völkern vielfach bezeugte Reinigung-, andere
Gebräuche stammen wahrscheinlich aus ausländischen Kulten oder
sind vom Saturnalienfest auf den 1. Januar verlegt worden (s.
Nilßon, Arch. f. Religionswiss. XIX, 1917, 50ff.), einige waren
schon im alten Rom am Neujahrstag üblich , so die Strenae , die
Lorbeerzweige (Symm. rel. XV. 1 verbenae felicis arboris ex luco
Streniae anni novi auspices. — Streniae sacellum am Ostende der
Sacra via, Varro 1. 1. V 47 ; Fest. 293* 3 f. M.), die der Gesund-
heit (vgl. strenuus) wegen am 1. März (vgl. Ov. F. III 137 ff.) ge-
schickt , später aber durch Geldgeschenke ersetzt wurden ; vgl.
Deubner, Strena, Glotta III, 1910, 34 ff. Bei den Griechen sind
die Spuren eines Neujahrsfestes spärlicher, sie fehlen aber auch
für den nicht ganz, der nicht mit C.Fries, Stud. zur Odyssee I
das Zagmukfest auf Scheria, Mitt. der Vorderasiat. Gesellsch. XV,
2./4. Leipz. 1910 in dem Phaiakenabenteuer des Odysseus Anklänge an
280 Kalender. — Zalilensymbolik.
die SchildeniDg des assyrischen Neujahrsfestes oder mit Aly, Phil.
TjXXI, 1913, 467 A. 30 in der Sage von Idomeueus' Vertreibung
eine Spiegelung des Märchens von der Austreibung des alten Jahres
sieht. Mehrere Mythen, z. B. die von Persephones Rückkehr, von
Helenas Befreiung durch die Zwillinge, von Europas Ankunft lassen
sich auf eine Form zurückführen, in der sie passend die Neujahrs-
feier im lunisolaren Jahr erklärten; vielleicht ist die Annahme
Frazers, Dying God (Golden Bough III) 71 f. richtig, der im
Anschluß an Cook vermutet, daß alle 8 Jahre der König und die
Königin die heilige Ehe von Sonne und Mond in der Gestalt von
Stier und Kuh nachahmten (und erneuerten).
In der Kalenderordnung treten einzelne Zahlen hervor, die
meist auch in andern Zusammenhängen bedeutungsvoll sind und
etweder deshalb für die Zeiteinteilung verwendet wurden oder von
der Zeiteinteilung aus weitere Bedeutung erhalten haben, die jeden-
falls am besten anhangsweise im Anschluß an diese besprochen
werden. Seitdem Koscher 1903 in den Enneadischen Studien und
1904 in dem Aufsatz über „Die Sieben- und Neunzahl im Kultus
und Mythus der Griechen" auf die Bedeutung der Zahlensymbolik
hingewiesen hatte , ist diese oft behandelt worden. Über die
Monatstage der Göttergeburten spricht Schmidt, Geburtstag im
Altertum (RV u. V, VII 1, 1908) 84 ff. Die Pythagoreische Zahlen-
symbolik soll, soweit sie mit der des römischen Festkalenders über-
einstimmt, wie in der Scheu vor der ungeraden Zahl, nach
v. Domaszewski, Aixh. f. Religionswiss. X, 1907, 343 der
Philosoph aus dem italischen Volksglauben übernommen haben,
während F. X. Kugler, Klio XI, 1911, 481 ff. ihren Zusammen-
hang mit babylonischen Lehren nachweisen will. — Anregende
Bemerkungen über die symbolische Bedeutung mancher Zahlen
(besonders 3, 4, 7 und 12) finden sich in Bolls Aufsatz über die
Lebensalter, Neue Jahrbb. XXXI, 1913, 89 ff. — Den Einfluß be-
stimmter typischer Zahlen auf die Anordnung und Einteilung von
Schriftwerken hebt W einreich, Triskaidekadiscbe Studien (RV u.
V, XVI. 1. 1916) 57. 3 und 78 ff. hervor. — „Zahlensymbolik in
griechischen Sacralbauten" will A. Lud wich in dem H. Blümner
zum 70. Geburtstag gewidmeten Königsberger Universitätsprogr.
1914 nachweisen. — Was die einzelnen Zahlen betrifft, so bezieht
C. Fries, Die griechischen Götter und Heroen, Berlin 1911,
34 ff", die Ziceizahl auf Sonne und Mond oder auf Sommer- und
Winteraonne. Ebd. S. 27 ff. wird über Götterf/rc2heiten gehandelt.
Zahlensymbolik. 281
— Daß die Dreiisahl nicht immer auf chthonischen Kult hinweise,
bemerkt m. R. im Anschluß an Goud}', Trichotomy in Roman
Law, Oxford 1910, S. 5 ff. Warde Fowler, Roligious Exper.
of the Rom. People 33-1. 47 gegen Diels und Wissowa. — Über
den Zusammenhang der Drei- (und Neun)zahl mit dem Mondkalender
ist o. {271 ff.y gesprochen. — Die Vierzahl behandelt Fries
a. a. 0, 20 ff. — Die Siehcnzahl scheint, wo sie als Rundzahl auf-
tritt, mit den 7 Planeten in Verbindung zu stehen oder mit ihnen,
da deren Reihenfolge wahrscheinlich nicht so alt ist , wie bisher
meist angenommen wurde, wenigstens nachträglich kombiniert worden
zu sein. Über die Verknüpfung der 7 Lebensalter mit den Wandel-
sternen s. Boll a. a. 0. 114 ff. , über die der 7 griechischen Vo-
kale Boll, Aus der Offenbarung Joh. 26 ff. — Auch die 7 Tod-
sünden, über die Marie Gothein, Arch. f. Rehgionswiss. X,
1907, 416 ff. spricht, werden mit den 7 Planeten verbunden (ebd.
421 ff.) , doch wird ihre Zahl bisweilen auf 8 erhöht. — Auch in
Roschers Aufsätzen „Die Hebdomadenlehre der griechischen
Philosophen und Arzte, ein Beitrag zur Geschichte der griechischen
Philosophie und Medizin" (Abh. der phüos. bist. Gl. SGW XXIV,
1906) und „Enneadische Studien , Versuch einer Geschichte der
^mnzahl bei den Griechen mit besonderer Berücksichtigung des
alt. Epos, der Philosophen und Ärzte", ebd. XXVI. I. 1907 finden
sich religionsgeschichtlich wichtige Bemerkungen , zu denen teil-
weise schon o. (271 f.) Stellung genommen ist. Im allgemeinen
hält Röscher wie schon in den früheren Arbeiten die Siebenzahl,
die im Gottesdienst überwiegt und deren Heiligkeit er haupt-
sächlich von den Zwischenräumen zwischen den 4 Mondphasen
herleitet, wo sie im Kult oder Mythos mit der Neunzahl konkurriert,
für älter als diese. Die alte Siebenzahl soll hier deshalb durch
die Enneade ersetzt sein, weil an die Stelle des viergeteilten Monats
von 28 Tagen bereits der dreigeteilte von 27 Tagen getreten war.
Noch jünger ist nach Röscher (Ennead, Stud. 35) die Zehnzahi^
die sich aus den Dekaden des 30 tägigen Monats ergab und nament-
lich in Kj-eta oft mit der Neunzahl wechselt. Diese Vermutungen
scheinen mir nicht gesichert. Ein Zusammenhang der 9 oder 10
Kureten , der 90 oder 100 kretischen Städte mit den neun- oder
zehntägigen Teilen des Monats ist nicht erkennbar , und einen
Monat von 27 Tagen, dessen Drittelung Wochen von 9 Tagen
ergeben hätte, hat es schwerlich gegeben {s. o. 271). Auch
Nilßon <o. 270) und Ziehen, Berl. Phü. Wochenschr. XXIX,
1909, 145 f. bezweifeln das höhere Alter der Hebdomas-, Ziehen
ooo Zahlensvmbolik.
weist auf die „sehr beacbtenswcrte" Vermutung von Röscher
selbst hin, daß die vordorischen Kulte die 9, die dorischen die 7
bevorzugten. — Zur ZwölfzaM vgl. Fries a. a. 0. 24 ff. Mit
dem Kult der 12 Götter steht nach Weinreich, Sitzungsber.
Heidelb. AW 1913, S. 39 f. die Anlage von Tholoi in Verbindung.
— Über die „Unglückszahl" Dreizehn handeln E. ßöklen, Mythol.
Bibl. V 2, 1913 und Weinreich in dem Aufsatz ^Lykische Zwölf-
götterreliefs, Untersuchungen zur Geschichte des dreizehnten Gottes",
Sitzungsber. Heidelb. AW IV, 1913, VII, 8. 8 ff. und 35 ff., zu
dem Rein ach, Rev. arch. IVxxii , 1913, 279 ff. Nachträge gibt,
sowie in den „Triskaidekadischen Studien", Beitr. zur Geschichte
der Zahlen (RV u. V, XVI. I. 1916). In der ersten dieser beiden
Untersuchungen werden Zeugnisse dafür zusammengestellt, daß der
Herrscher im Kreise des Pantheons als dreizehnter Gott dargestellt
und daß auch Christus im Kreise der Apostel als dreizehnter galt.
— Eine Reihe von Stellen, in denen die Zahl 13 vorkommt (Theokr.
XV 171: Gurt. X 2; lustin XII 11, 8; Sueton. Gai. 38 usw.),
sammelt Postgate, Class. Rev. XX, 1906, 443 in Ergänzung
eines früheren Aufsatzes. — Über die vicnmdzwanzig Buchstaben
des Alphabets als Inbegriff aller Gottesnamen vgl. Boll, Aus der
Offenbar. .loh. 26ff. , der auch an den Doppelsinn von OTOix^iOV,
^Buchstabe" und „Element" erinnert. — „Die Zahl vierzig und
Verwandtes" besonders bei den Hebräern behandelt Ed. König,
ZDMG LXI, 1907, 913 ff. — Ihre Heiligkeit hat sich nach Brunn-
Lofer, Arische Urzeit 226 ff. durch wandernde Indoeranier ver-
breitet , sie findet sich aber auch bei Griechen und Turaniern.
Eingehender bespricht diese Zahl Röscher in den Aufsätzen
„Die Zahl 40 im Glauben, Brauch und Schrifttum der Semiten,
Ein Beitrag zur vergleichenden Religionswissensch., Volkskunde und
Zahlenmystik" (Abb. SGW phil.-hist. Gl. XXVII, 1909, IV) und
,Die Tessarakontaden und Tessarakontadenlchren der Griechen u.
anderer Völker, Ein Beitrag zur vergleichenden Religionswissensch.,
Volkskunde und Zahlenmystik sowie zur Geschichte der Medizin"
(Ber. SGW phil.-hist. Gl. 1909, 11). Im Orient und in Griechen-
land gilt die 40 tägige Frist besonders für die Unreinheit nach dem
Kindbett, die auch die Griechen im heutigen Ägypten annehmen,
für Perioden innerhalb der Schwangerschaft, für Trauerfasten, für
Bußen, für die Dauer des Winters, womit die 4* »tägige Unsichtbar-
keit der Plejaden zusammenhängt. Außerdem werden in morgen-
ländischen Schriftwerken nicht selten Gruppen von 40 Personen,
Opfertieren usw. zusammengestellt. Die 40 tägige Befristung ist
Zahlensymbolik. — Orphiker. 28iJ
nach Röscher nicht, wie Hirzel glaubte, der 40 jährigen nachgebildet,
sondern deren Vorbild; die Griechen mögen einzelne Tessarakon-
taden einem semitischen Volk entlehnt haben, sind aber i. g. doch
meist selbständig auf sie gekommen. — Nachträge zu Roschers
erstem Aufsatz gibt 0. Rescher, ZDMG LXV, 1911, 517. —
Das Überwiegen der Zahl fünfzig erklärt Röscher, „Die Zahl
50 in Mythus, Kultus, Epos und Taktik der Hellenen und anderer
Völker, bes. der Semiten", Abh. SGW phU.-hist. Cl. XXXIII 5,
1917 teils aus der Sitte, 50 Choreuten zusammenzustellen (daher
50 Nereiden), teils aus den 50 Pentekontores (daher 50 Aigypti-
aden und Danaiden, danach dann 50 Köpfe der lernaiischen Hydra)
und den aus 50 Mann bestehenden militärischeu Abteilungen (daher
z. B. 50 Thebaner von Tydeus getötet, 50 Griechen im hölzernen Pferd,
50 Thespiaden und Lykaoniden). — Über die Zahl zweiundsiehzig
s. F. Pradel, Griech. und süditalienische, Gebete, Beschwörungen
und Rezepte des Mittelalters (RV u. V, III 3), Gießen 1907,
S. 72(=325)ff., Preisendanz, Philol. LXXII, 1913, 552.
V. Antike Schriftquellen zur Religionsgescliiclite
und 3Iythologie.
Orphika.
Über die orphischen Lehren handelt ausführlich, aber im ganzen
ohne zu selbständigen Ergebnissen zu kommen, James Adam,
The religious Teachers of Greece, Edinb. 1908, S. 92 ff. — Im
Anschluß an Jane Harrison (Prolegomena (s. o. CXXXVII, 1908,
Suppl. 277 ff.'), die inzwischen ihre Vermutungen weiter aus-
gesponnen hat (■?. M.), will Auguste Dies, Le cycle mystique.
La divinite origine et fin des existences individuelles dans la philo-
sophie antesocratique , Par. 1909 den orphischen Mystizismus des
6. Jh. unmittelbar von griechischen Urvorstellungen herleiten. —
Im Gegensatz zu Gomperz glaubt Perdrizet, Ann. de l'Est Uli,
1910, 101, daß die orphische Lehre aus Thrakien stamme und von
dort später als der Dionysoskult nach Griechenland gelangte , wo
sie aber verwandte Vorstellungen vorfand, vor allem die Sehnsucht,
Gott gleich und zu einem neuen Leben erweckt zu werden. —
Jos. Dörfler, Die Eleaten und die Orphiker, XLI. Jahresber.
des Gymn. zu Freistadt in Ober Österreich 1911 kommt zu dem jetzt
nicht mehr ganz neuen Ergebnis , daß Zeller den Einfluß der kos-
mogonischen Spekulation auf die wissenschaftliche Philosophie
284 Orphiker.
unterschätzt hat, und daß die Eleaten ebenso wie die Tonier zahl-
reiche Anregungen und zwar nicht bloß in Nebensachen und Einzel-
heiten , sondern selbst in Grundanschauungen von den Orphikern
erhielten. Selbst da, wo Xenophanes und Pannenides von den
Orphikern abweichen , will Dörfler deren Einfluß erkennen ; er
meint, daß die Eleaten dauernd zu den gleichzeitigen orphischen
Lehren Stellung genommen haben. Diese Auffassung scheint mir
berechtigt, wenn unter den orphischen l^ehren Gedanken verstanden
werden , die im VI. Jh. das Geistesleben der ganzen Kulturwelt
beherrschten oder wenigstens erschütterten und die in Griechen-
land ihren für uns deutlichsten Ausdruck in den Schriften gewisser
orphischer Kreise gefunden haben. Aber über diese Einschränkung
ist sich Dörfler nicht klar geworden 5 er vergißt, daß die von ihm
als orphisch erklärten Lehren weder in allen orphischen Gemeinden
noch allein in solchen vorgetragen wurden, und kommt daher in
einzelnen vielfach zu irrigen Annahmen. Nestle, der in der
Wochenschr. f. kl. Phil. 1012 , 80 ff. bei aller Anerkennung eine
Reihe derartiger Überspannungen nachgewiesen hat, irrt nur darin,
daß er die reale Bedeutung der in Wahrheit symbolisch poetischen
Göttergestalten der Orphiker überschätzt. — J. Harrison, Themis,
Cambrige 1912, 461 ff. sieht in der orphischen Bewegung des 6. Jhs.
eine Reaktion gegen die Entwicklung der griechischen Religion,
welche die ursprünglich reinen Erdgottheiten erst zu Giganten, dann
zu Titanen, endhch zu Olympiern erhoben hatte. Unterstützt soll
die Umkehr sein durch iranischen Naturdienst, deren Einfluß auf
die Griechen die Verfasserin überhaupt sehr hoch bewertet, Aristo-
phanes soll in den veffiXai 217, in dem auf der Hängemaschine
die fiETtioQa TtQciy/uaTa studierenden Sokrates vielleicht nicht so
sehr den phantastischen Philosophen als den verkappten Perser
an den Pranger stellen. S. 527 wird vermutungsweise die Um-
wandlung des Begriffs Dike (vom natürlichen Wege der Welt zur
Rächerin) auf persischen Einfluß zurückgeführt.
Von den einzelnen unter Orpheus' Namen umlaufenden Werken
ist die Theogonic an verschiedenen Stellen von R, Eisler,
Weltenmantel und Himmelszelt, Religionsgeschichtliche Unter-
suchungen zur Urgeschichte des antiken Weltbildes, München 1910
behandelt worden. Eisler denkt (70, S. 4), daß von Anfang an
mehrere in der Peisistrateischen Akademie zu gleicher Zeit von ver-
schiedenen Sängern gedichtete Versionen der Rhapsodien vorhanden
waren. Aber wir wissen nichts von verschiedenen „Versionen"
der Theogonien , als überliefert kann nur gelten , daß im späteren
Orphiker. 285
Altertum mehrere inhaltlich und wahrscheinlich auch nach ihrem
Umfang und ihrer Anlage verschiedene Theogonien unter Orpheus'
Namen vorhanden waren. Daß diese Gedichte oder eines von ihnen
bis in die Peisistrateische Zeit hinaufreichte , ist zwar nicht un-
möglich, aber nicht zu erweisen; wie verschiedene Dichter gleich-
zeitig verschiedene Fassungen desselben Gedichtes schaffen konnten,
auch wenn sie Mitglieder derselben „Akademie" waren, vermag man
sich schwer vorzustellen.
Bruchstücke der Paraphrase eines orphischen Gedichtes über
den Raub der Persephone sind bei den Ausgrabungen in Abusir
el mäläk gefunden und von Fr. Buecheler in den Berl. Klassiker-
texten Vi, S. 7 ff. herausgegeben, sowie von T. W. Allen, Class.
Rev. XXr, 1907, 97 ff. und besonders von L. Malten, Arch. f.
Religionswiss. XII, 1909, 417 ff. besprochen worden. Orpheus
wird am Anfang genannt, und es heißt, daß Musaios seine H^onnen
oXiya inlavoQd^tuaag] aufgeschrieben habe ; Kol. 2, 1 (zu Hom. v. V
z. B. 460 stimmend) und Kol. 2, 7 (= Hom. v. 418 ff.) wird eben-
falls Orpheus als Quelle angegeben , dagegen Kol. 4, 6 Musaios
mit dem wunderbaren Zusatz dia riöv STtojr alvov. Da die Quellen-
angabe überflüssig war, wenn dem Epitomator ein einheitlicher
Text vorlag , sieht es so aus , als berichte er von zwei , wie er
meint , nur wenig verschiedenen Hymnen , dem des Orpheus und
dem, wie er in der Einleitung sagt, etwas verbesserten des Musaios ;
damit stände auch Kol. 2, 2 im Einklang, wenn ol ds den Musaios
in sich schließt. Was dem Orpheus zugeschrieben wird , stimmt
zu Hom. t". V, mit dem sich auch sonst wörtliche Übereinstimmungen
finden (Kol 2, 7 ff. = 418 ff.; 4, 13 = 9 ff.; 5, 1 = 17 ff.; 5, 3 =
33 ff.), andere Verse berühren sich aber nur z. T., z. B. Kol. 6, 15
mit 256 ; 7, 1 mit 54 und 268, und der Mythos selbst zeigt erheb-
liche Abweichungen nicht bloß in den Namen — so erscheinen
Baubo (Kol. 6, 1 u. 9) statt Metaneiras und vielleicht Dys[aules]
(Kol. 3, 10) statt Keleos (vgl. aber Kol. 7, 5) — , sondern auch
in den Begebenheiten — so wollen Artemis und Athena der Köre
helfen (Kol. 3, 2), Demophon wird durch die Göttin getötet (Kol. 7, 1).
Malten a. a. 0. betrachtet auch die versuchte Hilfeleistung der
beiden Göttinnen als orphisch, weil sie auch in einem Chorlied von
Eurip. *£A. (1315 f.) vorkommt, in dem Demeter der ogeia fiätrjg
&i:iüv (1302) gleichgesetzt wird, wie in der orphischen Theogonie
des Hieronymos (fr. 41 Ab.) und wahrscheinlich in den Rhapsodien
(fr. 106 Ab.). Zu dem Orpheus der Paraphrase stimmt dies nicht,
denn im Gegensatz zu ol öe heißt es von ihm gerade , daß er
2g() Orphiker.
Demeter nicht zur Mutter, sondern zur Schwester des Zeus mache^
und damit fällt ein Teil von Maltens Aufstellungen. Die Sache
liegt so, daß von den vier Zitaten des Hymnos die zwei den Orpheus
nennenden , darunter ein mehrere Verse umfassendes , zum home-
rischen Hymnos stimmen, dagegen das auf Musaios lautende, sowie
das mit ot ö^ eingeführte von ihm abweichen und außerdem mehrere
nicht mit Quellenbezeichnung versehene gegen Homer zu Orpheus
stehen. Dies Verhältnis legt die Vermutung nahe , daß eine der
beiden im Auszug zusammengeworfenen Hymnen der homerische
war, dem der Exzerptor die meisten Verszitate entlehnte, und deu
er irrtümlich oder auf Grund einer Theorie für ein Werk des
Orpheus hielt, der andere dagegen ein „verbesserter" des Musaios
dessen Angaben von andern Schriftstellern z. T. als orphisch be-
zeichnet werden. Hatte „Musaios" sich als Orpheus' Schüler be-
zeichnet oder sonst irgendwie angedeutet, daß sein Werk dessea
Gedanken oder Bericht wiedergebe, so konnte dieses Werk wohl
auch als orphisch gelten, anderseits konnte jemand, der neben seinem
Hymnos noch den homerischen vor sich hatte , auf den Gedanken
verfallen, daß dieser das aus den Worten des Musaios erschlossene
Original von dessen Hymnos sei. Von dem, was in dem Hymnos
des „Musaios** abweicht, läßt einzelnes sich bis in das 5. Jh. hinauf
verfolgen; aber der paraphrasierte Hymnos kann auch hellenistisch
sein. Die Neuerungen erklären sich z. T. aus dem Bestreben, in
den Mythos vom Raub andere eleusinische Gottheiten wie Artemis
oder die athenische Athena zu verflechten oder auch ihn mit
fremden Überlieferungen auszugleichen. So wird Baubo eingeführt,
Demeter kommt aus Sizilien und wird der Rheia gleichgesetzt. Die
Bestrebungen, welche wahrscheinlich die Orphiker des 6. Jhs. in
Athen erfüllten, die Sehnsucht nach der Aufhebung der Seelen-
wanderung, d. h. des Fluches, wieder sterben zu müssen, und nach
dem Eingehen in das All-Eine, kommen in dem Hymnos nicht zum,
Ausdruck. — Mit dem von Klem. nqoxQ- 11 20, 2£f. , S. 15, 27
Stäh. , Arnob. V 25 f. zitierten orphischen Gedicht vom Raube
Persephones beschäftigt sich Di eis, Arcana Cerealia, Miscell. ded.
al prof. Salinas 1907, 3 ff. "laAXog von Iclxelv „grunzen" abgeleitet»
soll so viel sein als yßlQog in der Bedeutung pudendum muliebre,
wie auch Arnobius die Stelle verstand ; Diels vergleicht die obszönen
Tonstatuetten von Priene, die einen weiblichen Bauch, auf dem ein
Gesicht eingezeichnet ist, mit anschließenden Beinen darstellen.
Viel ist in der Berichtsperiode über die Entstehungszeit und
die Heimat der erhaltenen orphischen Hymnensammlung gestritten
Orphiker. 287
worden. Auf kleinasiatische Bestandteile (Hipta, eigentlich Be-
zeichnung der Kybele, Mise, Erikepaios, Melinoe u. a.) weist Kern,
Genethliacon der Graeca Hai., Berlin 1910, S. 89 ff. hin, vgl. Uandb.
d. griech. Myth. u. Religionsgesch. 14^57, 1544; Röscher, ML III
2266 ff. Spezialisiert hat Kern seine Ausführungen 1911 in Hermes
XLVI , 1911, 431 ff. Gestützt auf die Ergebnisse der deutschen
Ausgrabungen am Demetertempel von Pergamon, über die inzwischen
flepding ausführlicher berichtet hatte , und die zahlreiche Über-
einstimmungen der gefundenen Inschriften mit dem orphischen
Hymnenbuch aufwiesen , wagte er die Vermutung , daß dieses im
Kreise der Priester jenes Heiligtums entstanden sei, aber auch
Beziehungen zu dem Kult des Dionysos KaifrjysfAwv in Pergamon
habe. Daß die Sammlung nach dieser Stadt gehöre, ist auch mir
wahrscheinlich, fraglich aber scheint mir, ob wir ihren Ursprung
in priesterlichen Kreisen zu suchen haben oder ob, wenn dies der
Fall gewesen sein sollte, die Priester die Sammlung in ihrer amt-
lichen Eigenschaft zustande gebracht haben. Die orphischen Ver-
bände scheinen sich zwar an die Staatskulte der Gemeinden, in
denen sie bestanden, angeschlossen zu haben, einzelne ihrer Zere-
monien mögen auch Bestandteile eines öffentlichen Kultus gebildet
haben, aber schwerHch ist ein orphischer Verein aus einem Priester-
kolleg hervorgegangen. — Diesen zweiten Aufsatz Kerns scheint
M. Hauck, De hymnorum Orphicorum aetate , Bresl. phil. Abh.
XLIII, 1911 noch nicht benutzt zu haben, der zwar den klein-
asiatischen Ursprung der Hymnen zugibt , aber aus ihrer von ihm
behaupteten Abhängigkeit von Synesios und Proklos und aus dem
Fehlen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber den
Nachnonnianern schließt, daß sie erst gegen Ende des 5. Jhs. ent-
standen seien. Eine Ausnahme soU nur Hymn. 59 machen, in den
ältere Bestandteile aufgenommen zu sein scheinen. B uckler,
Ann. Brit. Seh. Ath. XXI, 1914/16, 171 hält Haucks Nachweis für
überzeugend; m. E. ist der Inhalt der Hymnen einer so späten
Ansetzung nicht günstig; die in ihnen angerufene Götterwelt ist
die hellenistische. Die literarische Festlegung könnte trotzdem ein
halbes Jahrtausend später erfolgt sein, aber zur Begründung dieser
an sich wenig wahrscheinlichen Annahme scheinen mir die von
Hauck geltend gemachten sprachlichen und metrischen Erschei-
nungen so wenig auszureichen, wie die früher in ähnlichem Sinn
verwerteten. — Daß die orphischen Hymnen in Kleinasien ent-
standen seien, ist auch das Ergebnis von Qu an dt. De Baccho
ab Alexandri aetate in Asia minore culto , Diss. phü. Hai. XXI,
288 Orphiker. Italische Goldplättchen.
1913, S. 254 ff. Neu ist u. a. der Hinweis (262) auf die Bedeutung
der Trieteris in Kleinasien und im Hymnenbuch. — "Weinreich,
Arch. f. Religionswiss. XVII, 1914, 531 empfiehlt eine Vergleichung
der orphischen Hymnen mit den Prosahymuen des Aristeides und
den kleinasiatischen Inschriften.
Eine enaoiöi 'O^iqni'ws (überliefert oq^tiog), die man nach Athanas.
bei Migne P.G. XXVI, 1320 für 20 Obolen kaufen könne, gewinnt
durch Textänderung Abt, Arch. f. Religionswiss. XII, 1909, 412.
Mit den orphischen Hymnen berühren sich z. T. die Götter-
anrufungen in den Zauberpapyri, namentlich die in dem großen
Pariser Zauberpapyrus benutzten Hekatehymnen •, vgl. Wünsch,
Aus einem griech. Zauberpapyr. S. 16 zu v. 2566", über den Helios-
u. Aphroditehymnos s. u. {294).
Der orphischen Literatur werden gewöhnlich auch die Verse
der Goldplättchen zugerechnet, die in Petelia, Thurioi, Rom sowie
in dem kretischen Eleuthernai gefunden und auch in der Berichts-
zeit mehrfach neu herausgegeben iind besprochen sind. Die Formel
iQicpoq ig ydXa l'netov oder InsTEg auf 2 Tafeln von Thurioi be-
zieht R. Eisler, Transact. 3 Congr. Hist. Rel., Oxford 1908 auf
die Milchstraße, denkt aber zugleich an einen Ritus, bei dem ein
Lamm in Milch — der Nahrung der Neugeborenen — als Symbol
und Bürgschaft der Wiedergeburt aufgekocht wurde. — Das römische
Täfelchen von der via Ostiensis faßt H. D i e 1 s , Philotesia, P. Kleinert
zum 70. Geburtstag dargebracht, Berlin 1909, S. 41 ff. als „orphi-
schen Totenpaß". In Z. 3 liest er t^co de für t'x «>(Jfi und bezieht
ftvrji.iooLvt^g zoöe Öwqov auf das Täfelchen selbst. In den Schluß-
worten, die der Caecilia Seeundina als Antwort gegeben sein sollen,
ändert Diels alel öiaytyoJaa in l'O^t d^eia. yeyiuaa. Der in V. 1 an-
gerufene Dreiverein Xif^oviiov ßaaiXeia , Emkir^g und EißuvXevg
wird mit dem eleusinischen (Demeter, Köre, Pluton), dem von
Mykonos (Demeter, Köre, Zeus Bovleug) und dem von Amorgos
(Demeter, Köre, Zeus Evßovkeic) verglichen. Ev^Xti^g (Nebenform
EiiyiXog) soll Hades sein und Persephones Sohn Eubuleus dem
Dionysos lakchos entsprechen. Die Voraussetzung, daß toöe dwgov
das als Erkennungszeichen in der Hand des in die Unterwelt hinab-
steigenden Mysten gedachte Goldplättchen sei, scheint mir nicht
sicher ; es kann irgendein anderes Symbol gemeint sein, bei dessen
Vorzeigung der tote Myste bestimmte Worte sprechen soll. Die
Vergleichung mit dem ägyptischen Totenbuch, der oft fehlende
Zusammenhang und vor allem die jetzt bisweilen sinnwidrigen Satz-
verbindungen machen wahrscheinlich, daß die Verse aus einem
1
Orphische Goldplättcheii. 289
größeren Gedicht herausgerissen sind. Dieses braucht ursprünglich
nicht für die Benutzung in der Unterwelt bestimmt gewesen zu
sein. — Pichon, Rev. et. gr. XXIII, 1910, 58 ff. bezieht die
Formel tQiCfog fg ydX uiizov auf ein rituelles Bad, bei dem der
Myste in Wasser, das aber die Milch ersetzte und als solche be-
zeichnet wurde, hineinfiel. Der Vorschlag hat, wie die zahlreichen
anderen Versuche , den dunkelen Ausdruck zu deuten , nicht viel
Beifall gefunden; wie das avi-ißolov der eleusinischen und der
attischen Mysterien soll das Erkennungszeichen, um Mißbräuche zu
erschweren, unverständlich sein, und nur ein Zufall kann die Lösung
bringen. — Dom. Comparetti, Laminette orfiche edite ed illustrate,
Flor. 1910 gibt eine sorgfältige Nachbildung der Plättchen und
(S. 47) der Bakcheninschrift von Cumae , die derselbe Verfasser
in der Ausonia I 19t)t), 13 zuerst herausgegeben hat. Die eigenen
Vermutunger^ Comparettis über die ursprüngliche Gestalt der Verse
sind unsicher und z. T. unrichtig; auch der Kommentar entspricht
nicht der Ausgabe, die für absehbare Zeit für die dokumentarische
Festsetzung des Textes maßgebend sein wird. Die Vermutung,
daß das zugrunde liegende Gedicht die tig'Aiöov /.azdßaotg sei,
wird jetzt (36j mit Recht aufgegeben; die kretischen Tafeln schreibt
Comparetti 39 mit Halbherr dem 2. Jh. v. Chr. zu. 7tiE(.i^oi soll
bedeuten [öoit) Tcitv (d i. tciüv) f.toi. Für das Original der drei
Tafeln des kleinen Grabhügels von Thurioi wird (.5 f.) folgender
Vers gewonnen: eic^ fj-ii Mo'iq FÖn^iaaa^ alov ozegonr) te xc-
^avvui\ was sich auf die Tötung der Titanen durch den Blitz be-
ziehen soll. Das römische Tätelchen wird anders erklärt als von
Diels: (.ivi,f.n,üivag zööe öoiqov soll sich nicht auf die Mnemosyne-
quelle beziehen, sondern auf die Erinnerung der Mysten im Leben,
wofür auf Orph. t/*»». 76, I verwiesen wird; am Schluß liest Com-
paretti v6/.ni) uei diayiyoioa. Die Formel ^Ql(poc fg ydla tneiov
soll (9, 2) nur die Reinheit des einem Milchlamm vergleichbaren
Mysten bezeichnen. — Textverbessernngen und neue Erklärungen
schlägt Radermacher, Rh. Mus. LXVII, 1912, 472 vor, z. B.
wird i''.Q f.is TtQOifQi'iv 7ituil<f] Vdgag fg e-uay/ov auf 2 Tafeln von
Thurioi als Pentameter gefaßt. — Loisy, Rev. bist. litt. rel. n. s.
IV, 1913, 151 f. findet in der Formel i-Qi{fog ßg yäla eusiov den
Ausdruck für Erneuerung des Mysten, seine Wiedergeburt, die Um-
formung «eines Wesens. Der Myste soll sich dem mystischen
Widder gleichgeset/.t haben, dessen Fleisch er gegessen hatte und
der zugleich der Gott war. — Alline, Le paradis Orphique et la
formule i-yicpoc ßg yail tneiov in Xenia (Jubil. der athen. Uni-
.lahresbericht für Alteriumswis-enschaft. Bd. 186 (Snpplementband). 19
290 Orphische Goldplättchen.
versität 1912, S. 94 ff.) bezieht wie Eisler das Symbolon auf den
Eintritt der Seele in die Milchstraße , durch den sie zum Gott,
nämlich dem Dionysos 'Egicpioc: oder "Egtq'og oder ^iiAviTr^g werde.
Er vergleicht Numenios bei Prokl. Plat. ttoX. II 129 f. Kroll (vgL
S. 68 Schoell) und Macrob. Somu. Scip. I 12, 3, wo die Milch-
straße Aufenthalt der Seelen und Seelenspeise heißt. Schon Plat.
noX. X 14, 616»"' soll Orpheus folgend (wie Pind. ^01. II 70 den
Weg des Zeus) das TEzautvov (f(Zg^ wo die Seelen sich versammeln,
als Milchstraße gefaßt haben. Bedenklich an dieser Deutung ißt,
daß der Aufstieg zur Milchstraße als ein Fallen bezeichnet sein
soll. Alline verweist S. 104 auf Eurip. '^EX. 1016 Eig ai/drarov
at^iQ^ ntrteoiuv und meint, die Seele habe durch den Wassermann
zum Himmel hinauf, dann ■ aber durch das zweite Tor zur Milch-
straße hinabsteigen müssen. Für Eurip. a. a. 0. würde diese Er-
klärung nicht passen. Überdies lag, wie A. Delatte, Muses
Beige XVII, 1913, 128 f. aus lambl. v. Pythag. 82 '(und, m. E.
nicht mit Recht, aus Pind. fr. 133) folgert, dies orphische Paradies
vielmehr in der Sonne oder im Mond. — Delatte selbst erklärt
den Vers der Goldplättchen aus einer Lehre, nach der die Seelen
auf die Erde durch ihre Begierde nach Milch herabgezogen werden,
die deshalb die erste Kindernahrung sei und bei der Psychagogie
benutzt worden sei, die Geister auf die Erde zurückzurufen ; ig
ydX^ l'nerov soll demnach soviel sein, wie ig yaveaiv l'neaov, und als
i'giq^og der Myste sich dem Dionysos gleichsetzen. Den Vers el're
{js BloiQ idaf.idaaTO hte doTtQonfjfii /.egaivti) bezieht Delatte ebd.
125 auf den sich auch bei Pythagoreiern findenden Glauben, daß
die Seelen im Blitz zur Erde niedersteigen. Allines Erklärung
der Worte yaige 7taifdjv tu ndi^rjiiia als auf das Trinken aus der
heiligen Quelle gehend bestreitet Delatte ; zweifelnd denkt er bei
nd^r^fja an die Seelenreise. — Wyß, Die Milch im Kult der
Griechen und Römer (RV. u. V, XVu, 1914,) 53 f. erklärt die
Formel tqiqog ig ydX i7cezov daraus, daß der Neophyt als neu-
geboren galt und die Milch als Nahrung der Säuglinge zum ffäg'
fxav.ov düavaolag wurde. In einer gründlichen Leidener Disserta-
tion unterscheidet Jan Wieten, De tribus laminis aureis quae
in sepulcris Thurinis sunt inventae (1915), eine obere (IG XIV,
641, 1) und eine untere (ebd. 2 und 3) Stufe der Mysten; jene
soll der Klasse der Epopten entsprochen haben , die Mitglieder
hießen tgirpoi. Das Fallen in die Milch wird auf das W^under der
Auffindung von Milchströmen in den Bakchischen Kulten bezogen,
das Wieten ansprechend erklärt, das aber einem andern GebietJ
Orphische Goldplättchen. Kultlieder. 291
des Dionysoskultus angehört und auch nur vom weiblichen Personal,
den Mainaden, vollzogen wird. Die mystischen i}iaooL ünteritaliens
sollen aus pythagoreischen Vereinigungen hervorgegangen sein, di^
sich durch die Aufnahme von kretischen, über Sparta nach Unter-
italien gelangten dionysischen Kulten in der zweiten Hälfte des
5 Jhs. umgestaltet hatten. Beziehungen zu Kreta scheinen in der
Tat vorhanden, aber sie sind schwerlich so alt, wie Wieten glaubt.
Den orphischen Charakter der ^laaot bestreitet er (s. dagegen
Kern, Hermes LI, 1916, 556, der aber zugibt, daß das Verhältnis
zwischen Orphikern und Pythagoreiern genauer untersucht werden
muß) ebenso , wie daß die Verse aus einem größeren Gedicht
stammen. — A. Olivieri, Lamellae aureae Orphicae (Kleine Texte
für Vorlesungen und Übungen, herausgeg. von H. Lietzmann 133,
Bonn 1915) versucht eine Art Stammbaum der verschiedenen
Exemplare aufzustellen, vgl. dagegen Berl. Phil. Wochenschr. XXXV,
1915, 1585 f. Die Goldplättchen im Museum von Neapel hat Olivieri
selbst studiert, Puccetti hat neue Nachbildungen gegeben. Ein
wesentlich anderer Text, ist, wie zu erwarten war, nicht gewonnen
worden. — 0. Kern, Herrn. LI, 1916, 555 folgert aus dem Vers
des Täfelchens von Petelia (IG XIV, 638, 8), daß der Myste sich
trotz seiner Abstammung auch von Gaia doch als oigaviog den xi)6vioL
TiQÖyovoL (Orph. v^v. 37, 8) entgegenstellt. Ebd. LH, 1917, 475
erklärt er in diesem Sinn das Epigramm von Phaistos (Mon. ant.
ßAL XI, 1901, 542 ff.) xat o" yoveav vnixovxai „die ihren Adel
(ihre Abstammung von Uranos) nachweisen können".
Knltlieder uud Gebete.
Auch für die Religionsgeschichte wäre es nicht unwichtig, wenn
Th. Fitz Hugh, Proc. Am. phil. Ass. XLIV 1913, S. XXV das
elische Kultlied auf Dionysos (Athen. XI 51, S. 476 a) aus me-
trischen Gründen mit Recht für sehr alt erklärt. — Bei Palaikastro
im östlichen Kreta ist eine im 2./3. Jh. n. Chr. gesetzte Inschrift
gefunden, die einen Hymnos auf den Zeus yiovQog und die
Kureten enthält. Vgl. Bosanquet, Brit. Seh. Ath. XV, 1908/9,
339 ff.; Murray ebd. 357 ff.; Jane Harrison, Themis S. 3 ff.;
Aly, Philol. LXXI, 1912, 469 ff. ; Latte, RV u. V, Xin, 1913,
21; W. M.L.Hutchinson, Class. Rev. XXVII, 1913, 132 ff.;
Poerner, Diss. Hai. XXII, 1913, 264 ff. Gegen J. Harrisons
Vermutung, daß der Hymnos eine Tribal initiation as a New Birth
und der größte Kuros das Samtgegenbild der eingeweihten, jungen
Leute sei, der sich später zu einem Jahresgenius entwickelte, er-
19*
292 Kulthymnen und Grebete.
klären sich Hutchinson und Latte, welcher meint, daß es sich um
einen Befruchtungszauber zu Anfang des Frühlings handele , und
die Worte ^Öqe d' cif-uv eg dtfivia so deutet, daß Zeus gebeten
wird, ut insiliat frugibus, quasi compleat illas felicesque reddat prae-
sentia sua. Aly versteht den Hymnos als die Übertragung der
orphischen Vulgata auf den im Anschluß an Olympia völlig in
griechische Form gekleideten Zeuskult, der so zu dem altmystischen
Idakult in Widerspruck getreten sei. — Von dem Hymnos auf
AskI epi OS hat sich ein neues Exemplar in Erythrai gefunden;
danach stellt v. Wilamowitz-Moellendorff, Abh. BAW 1909
hist. phil. Gl. II 43 den Hymnos wieder her. Akeso, die bei Make-
donios und in den Kopien von Ptolemais und Athen steht, fehlt
in Erythrai; sie kommt auch in der Literatur nur bei Suid/ HTtiovrj
vor. Makedonios hat nach v. Wilamowitz den Hymnos über-
arbeitet. — Den delphischen Hymnos des Aristonoos auf Hestia er-
gänzt mit Er. Keil und MaasPomtow, Berl. Phil. Wochenschr.
XXXII, 1912, 1395 ff. — Anhangsweise sei schließlich Fr. Brauns
Dissertation über die Hymnen heiNonnos von Panopolis, Königs-
berg 1915 erwähnt.
G. Appel, De Romanorum precationibus , RVu. V, VII 2,
Gießen 1909 stellt im ersten Kapitel die inschriftlich oder bei
Schriftstellern erhaltenen Gebete zusammen. Der Hauptteil dieses
Kapitels enthält die, wie der Vf. meint, echt römischen Gebete,
d. h. hauptsächlich die in Prosa überlieferten, und zwar zunächst
die öffentlichen sowohl im Kriege wie im Frieden angewendeten (8 ff.),
dann die nur auf den Krieg (12 ff.) oder nur auf den Frieden (16 ff.)
bezüglichen. Es folgen (19 ff.) die Privatgebete, und zwar zu-
nächst solche von religiösen Verbänden , den fratres Arvales und
den Saliern (27), dann die von einzelnen (27 ff.). Im Anschluß
daran werden S. 43 ff. auch die formulae magicae aufgezählt. An-
hangsweise wird (47 ff.) ein nach dem Anfangsbuchstaben der
zitierenden Schriftsteller geordnetes Verzeichnis der bei Dichtem
und derjenigen in Prosa überlieferten Gebete gegeben, die nach der
Meinung des Vfs. sich als Nachahmungen griechischer Originale
verraten. Das zweite Kapitel (53 ff.) ist überschrieben: De pre-
cationum Romanonam sermone, handelt aber über die Sprache nur
in seinem Mittelstück (75 ff.), während der Anfang die Gelegen-
heiten, bei denen die Griechen zu beten pflegten, und der Schluß
164 ff. , die durch den Gebrauch abgenutzten Gebete (precationes,
quae quidem sint velut usu detritae, dum aut verba omittuntur aut
forma parenthetica vel hypotactica adhibetur) aufzählen. Das dritte
Gebete. Zaubertexte. 293
Kapitel (184 ff.) handelt über die Haltung, welche die Römer beim
Gebete einnahmen und die zum Gebet gehörigen Riten. In der
zusammenfassenden Schlußfolgerung unterscheidet Appel in der
Geschichte des römischen Gebetes 5 oder 6 Perioden : in der ersten
sollen die Götter durch Zauberei; in der zweiten durch einen Rechts-
akt gezwungen werden, die Bitte zu erfüllen ; in der dritten treten
die Menschen den Göttern wie Vorgesetzten gegenüber; in der
vierten sehen sie die Allmacht der Götter ein ; in der fünften haben
die Philosophen gelehrt, daß nur Wesentliches und wahrhaft Gutes
wie körperliche und geistige Gesundheit von den Göttern erbeten
werden dürfe ; zugleich aber dringen sechstens in die Gebete Wen-
dungen ein, in denen das Vorhandensein der Götter bezweifelt wird.
Appel hat reichhaltigen Stoff zusammengetragen , aber nach äußer-
lichen Einteilungsgründen geordnet, die weder eine bequeme Über-
sicht ermöglichen noch zu wichtigen neuen Ergebnissen führen. —
Grienberger, Indog. Forsch. XIX, 1906, 140 ff. hält das Ärval-
lied nicht für sehr alt, es enthält nach seiner Ansicht bäuerliches
Latein aus dem Anfang des 3. Jhs. mit deutlichen vulgären Formen
und einigen archaistischen Anklängen. „Vermutlich ist es von
eben jenen Landleuten entlehnt, denen das Fest der Ackerlustra-
tion durch die aus vornehmen Kreisen stammenden römischen fratres
arvales einmal abgeborgt wurde". — Danielsson, Sertum philo-
logicum C. F. Johannsson oblatum 1910, S. 96 hält den Text des
Arvalliedes für sprachlich verwahrlost. Als Augustus den ver-
fallenen Kult erneuerte, soll man kein gutes Exemplar des uralten
Liedes mehr besessen haben.
Zaubertexte.
Die attischen Verfiuchungstafeln bespricht W. Rabe hl, De
sermone dafixionum Atticarum, Berl. Diss. 1906 zwar hauptsächlich
von der sprachlichen Seite, bringt aber dabei zugleich Beiträge
auch für die religionsgeschichtliche Würdigung dieser Texte , von
denen er die meisten mit Wilhelm noch in das 4. Jh. v. Chr. setzt.
Die Verfluchungen selbst sind zwar sehr alt, sie wurden aber nach
Rabehl 7 ursprünglich nicht aufgeschrieben, sondern unter magischen
Zeremonien gesprochen. Um des unglücklichen Vorzeichens willen
ist die Schrift der Defixiones bisweilen linksläufig, aber deshalb
braucht die Sitte der schriftlichen Aufzeichnung nicht in die Zeit
hinaufzureichen, da man von rechts nach links schrieb. — Rätsel-
hafte Inschriften auf Abraxassteinen erklärt Mo nceaux, Bull, soc.
antiqu. Fr. VII vii, 1907, 224 aus dem Hebräischen. — Über den
4
294 Zaubertexte.
an Odyss. X 4G angeschlossenen Zaubergesang Pap. Oxyrh. 412
(Grenfell-Hunt III 36 fF.) handelt Wünsch, Arch. f. Religions-
wiss. XII, 1909, 2 ff. Er unterscheidet zwei Stufen der Interpola-
tion, von denen die ältere noch an Homer selbst anknüpfe und
homerische Verse verwende . während die jüngere, vielleicht aus
dem 2. Jh. n. Chr.. auch ägyptische Götter anrufe. Einen Nach-
trag dazu bringt E. Schmidt ebd. XIII, 1910, 624. Das Zauber-
wort ^Aßkaraitalßa soll verdreht sein aus '^ßXavaOa „Vater komm'
(zu) uns", damit das Wort von hinten und vorn gleich (?) gelesen
wird. — Drei neue Fluchtafeln auf Blei veröffentlicht Wünsch
ebd. XII, 1909, 36 ff., zwei neue tunesische Delixiones Audollent,
Bull. arch. du comite des trav. histor. 1910, 137 ff. — In den In-
schriften des pergamenischen Zaubertisches will Lehmann-Haupt,
KJio X, 1910, 395 uiovXov CaQLctQyMiy aus dem Babylonischen
deuten: „sie mögen angerufen werden". — Die beiden lateinischen
Beschwörungen, die im Anschluß an botanische Opuscula erhalten
sind und die zu archaisierenden Senaren zurecht emendiert zu
werden pflegen, gibt Norden in der Festschr. des Schles. Vereins
f. Volksk. 1911, 517 ff. neu heraus. Zu ändern ist in Wahrheit
wenig: der ersten Beschwörung liegt ein in der ersten Hälfte des
8- Jhs. n. Chr. entstandenes Gedicht an Tellus zugrunde, das weit
später von einem der Technik des Senars bereits unkundigen christ-
lichen Schreiber umgearbeitet und zu dem dann die zweite Be-
schwörung, die precatio omnium herbarum frei hinzugedichtet ist. —
Im großen Pariser Zauberpapyros 574 sind Hymnen auf Helios
(Z 433 ff., auch in mehreren andern magischen Papyrus erhalten),
Aphrodite (29U3) und Selene (2242) überliefert, die ein Schüler
von R. Wünsch, Küster, De tribus carminibus papyri Parisinae
magicae , Diss. Königsb. 1911 erläutert. Er versucht die „orphi-
schen" und die „magischen" Bestandteile der Hymnen zu scheiden,
zu jenen rechnet er (S. 55) im Helioshj^mnos v. 1 — 10, 24 — 27,
im lAphroditehymnos (S. 81) v. 23 — 26. — Wünsch selbst hat
in Lietzmanns Kleinen Texten 84, Bonn 1912 u. d. T. „Aus einem
griechischen Zauberpapyrus" die in derselben Handschrift Z. 2441 ff.
vereinigte Sammlung von Zaubereien (meist Liebeszauber) mit sehr
eingehenden Anmerkungen herausgegeben und über eine in Werden
begriffene Gesamtausgabe der griechischen Zauberpapyri in den
Act. du IV. Congr. intemat. d'hist. des relig., Leiden 1913 be-
richtet. Eine Aufzählung der 25 bis 1911 bekannten Texte gibt
K'.i ster a. a. 0. S. 1 ff. — Die „milesischen Worte" ßedv, lajAip usw,
(KJem. OTQ. V, 8, 48, S. 359 6 St.) enthalten gerade zwei voll-
i
Antiquarische und theologische Schriften über Kulte. 295
ständige Alphabete, scheinen aber doch wirkliche Wörter zu sein,
die Sturtevant, Class. Phil. VIII, 1913, 034: z. T. zu erklären
versucht.
Schriften von Antiquaren und Theologen üher den Kult.
W. Rowoldt, Librorum pontificiorura Romanorum de cae-
i'iminiis sacrificiorum reliquiae, Diss., Halle 1906 erklärt im ersten
Teil dieser Wissowa gewidmeten Dissertation (S. 1 — 36) das Wesen
der Libri oder Commentarii pontificii und verfolgt dann ihre Spuren
bei den einzelnen späteren Schriftstellern, besonders bei Varro,
Verrius, Plinius, Gellius, Servius, dessen Interpolator er mit Recht
nicht, wie Kretzer, De Romanorum vocabulis pontif., Diss. Straß-
burg 1903 wollte, aus Macrobius, sondern aus dessen Quelle schöpfen
läßt. Daß die Libri pontificii auch die sacrificia iuris Graeci be-
rührten, wird von Rowoldt S. 7 bestritten. Sie sind wegen ihrer
vielen veralteten technischen Ausdrücke früh unverständlich ge-
worden und bedurften der Erklärung , der sich zuerst Aelius Stile
unterzogen zu haben scheint. Von ihm hängen Varro und Verrius
Placcus (S. 17 ff.), die deshalb oft übereinstimmen, ab. Das zweite
Kapitel enthält eine Sammlung der Bruchstücke. — Phil. Ehr-
manns Untersuchung, De iuris sacri interpretibus Atticis (RVu. V,
IV 3), Gießen 1908, wird mangels einer geeigneteren Stelle hier
genannt, obwohl sie in ihrem Hauptteil nicht literarische Werke,
sondern die Grundlage solcher, die Auslegungen der e^r]yrjzai und
diese selbst, die bisher nur gelegentlich meist im Anschluß an
Inschriften behandelt waren, erörtert. Wesentliches Material boten
die delphischen Inschriften, die u. a. die Unterscheidung zweier
Klassen von Exegeten, derer aus dem Geschlecht der Eupatriden
und der eumolpidischen, ergaben. — C. 0. Thulin, „Die etrus-
kische Disziplin" behandelt in II, 1906 die Haruspicin, in III,
1909, S. 1 ff. die Ritualbücher. — A. Tresp, der schon in seiner
Königsberger Diss., Scriptorum de rebus sacris Atticis fragmenta
1910 gesammelt hatte, will in seiner umfassenderen, L. Deubner
gewidmeten Untersuchung „Die Fragmente der griechischen Kult-
schriftsteller" (RVu. V, XV 1, Gießen 1914) eine Vorarbeit für
die so nötige neue Sammlung der Fragmenta historicorum Grae-
corum geben; das Thema ist glücklich gewählt, da die Müllersche
Sammlung gerade bei den Kultschriftstellern besonders unvollständig
ist. So gelingt es Tresp nicht weniger als 38 dort fehlende Bruch-
stücke beizubringen; von den übrigen werden viele vollständiger
oder in berichtigter Fassung gegeben. Die Literaturgattung er-
296 Antiquarische und theologische Schriften über Kulte.
wächst aus den in den Tempelarchiven niedergelegten Opfervor-
schriften und diente (S. 5) zunächst praktischen, erst später auch
wissenschaftlichen Zwecken. Schon um die Mitte des 5. Jhs. schrieb
Pherekydes über die Opfer an Dionysos, sonst treten einzelne Ver-
fassernamen erst gegen Ende des 5. Jhs. in Athen hervor. Mit
den Atthidographen berühren sich die sakralrechtlichen Schriftsteller
zwar, doch stützen sich die '^r.lt'deg mehr auf die in den Händen
der Beamten befindlichen Archontenlisten. Neben der sakralrecht-
lichen Literatur gab es eine besonders in alexandrinischer Zeit
blühende sakralantiquarische. — Tresp gibt zunächst die Bruch-
stücke der attischen , dann die der übrigen Schriftsteller. — Von
den einzelnen Autoren ist namentlich Varro auch in der Berichts-
periode mehrfach behandelt worden. H. Willem sen, De Varroni-
anae doctrinae apud fastorum scriptores vestigiis, Bonn. Dias. 1906
faßt die auf den Festkalender bezüglichen Bruchstücke ins Auge.
Daß die Hauptquelle Censorin ist, wird gegen erhobene Zweifel
sicher gestellt; auch Verrius Flaccus hat nach Willemsen in seinen
Angaben über das römische Jahr und die Monate Varros Anti-
quitates benutzt. Ovid schöpft in den Fasti außer aus Varro auch
aus von ihm unabhängigen Fasti, die den inschriftlich erhaltenen
ähnlich waren. — Nach Sihler, Proc. Amer. Phil. Soc. XL, 1909,
S. LXXXVII gibt Macrob., wo er längst untergegangene heidnische
Kulte im Präsens beschreibt , wörtliche Zitate aus Varro , dem er
auch in der Auslegung der Göttermythen nahesteht. Die Annahme
scheint mir bedenklich. Freilich sprechen auch bj'zantinische Schrift-
steller bisweilen von altgriechischen Kulten in Präsens, aber Ma-
crobius , der den Anschein erwecken will , als gebe er Gespräche
von Zeitgenossen wieder, läßt sich mit ihnen nicht vergleichen:
da er doch über den Untergang wichtiger Kulte unterrichtet sein
mußte, scheint mir die Voraussetzung unumgänglich, daß die von
ihm als bestehend geschilderten Zeremonien wirklich noch wenigstens
insgeheim von Anhängern des alten Glaubens geübt wurden, jeden-
falls noch nicht so lange untergegangen waren , daß sie nicht als
noch der Gegenwart angehörig bezeichnet und als nur zeitweilig
unterdrückt betrachtet werden konnten. — Im übrigen kann für die
Varronische Literatur auf Mras {o. CXLII, 1909, 9dff) verwiesen
werden. —
Mythographische Literatur.
Bethes Annahme eines großen wissenschaftlichen Handbuches,
das, in alexandrinischer Zeit verfaßt, mit seinen zahlreichen
Varianten nicht allein die Grundlage für fast alle späteren mytho-
11
Mythographen. 297
graphischen Angaben , sondern auch Quelle für viele dichterischen
Darstellungen gewesen sei , hat sich in neuerer Zeit immer deut-
licher als irrig herausgestellt. Sie wird geradezu ausgeschlossen
in den Fällen, wo ein Mythograph, wie es z. B. Diod. IV 64 für
einen großen Teil der Oidipussage tut (Robert, Oidip. I 547),
lange Zeit hindurch einer und derselben Quelle folgt , die bei den
übrigen Mythographen mit den andern zusammen gearbeitet ist;
denn die Grundlage der ganzen Hypothese bricht zusammen, wenn
das vorausgesetzte „Handbuch" eine Sammlung von viioO^tOEtg war,
aus der erst später die einzelnen Exzerpenten sich einen zusammen-
hängenden Bericht schufen. — Weiter, als er es sich selbst ein-
gesteht , entfernt sich G o e d e 1 , De poetarum Graecorum epi-
corum, lyricorum, tragicorum apud mythographos memoria, Diss.
Halle 1909 von Bethe. In gründlicher Darlegung wird gezeigt,
daß bei den späteren Mythographen zwar häufig Quellenvermischung
eintritt, daß aber namentlich bei ApoUodor (Goedel, S. 14), wo
erhaltene Dichter benutzt sind , dem Verfasser auch deren Wort-
laut vorlag. Oft scheint der Dichter mit einem Kommentar (oder,
weniger wahrscheinlich, dieser statt des Dichters) gelesen zu sein:
so erklärt sich die Übereinstimmung der Mythographen mit der
ältesten Scholienmasse und auch untereinander, wie z. B. (S. 20 ff.)
zwischen Apollod. ep. 7 und Hj^g. f. 125 f., die den Inhalt der
Odyssee wiedergeben. Aus dem Kommentar entnehmen Apollodor
ep. VII 16 und Hyg. f. 125 nach Goedel, daß Odysseus das /nioXv
in den Becher wirft (was freüich sehr nahe liegt und auch ohne
Kommentar leicht gefunden werden konnte), ebenso die halbe Vogel-
gestalt der Sirenen (Apoll, ep. VII 18; Hyg. f. 125, S. 103, 20 B.»
Goedel S. 26 f.). Diese und viele ähnliche Fälle sprechen gegen»
nicht für die Annahme des mythographischen Handbuchs, die doch
den Sinn hatte und auch allein haben konnte , daß sich innerhalb
der mythographischen Literatur unbeschadet einzelner Abweichungen
die Überlieferung nach der literarischen Form und auch ihrem
Inhalt nach wesentlich gleich blieb , weil ein großes , die ganze
Literaturgattung beherrschendes Werk den später zwar verschieden
verkürzten, aber wenig vermehi-ten Stoff gesammelt hatte. Diese
Annahme wird wesentlich eingeschränkt, wenn die mythographischen
Handbücher so stark auch aus andern Quellen, nämlich den Dich-
tungen selbst und deren Kommentaren schöpfen. Und doch hatten
die mythographischen Schulbücher wahrscheinlich auch noch andere
Vorlagen. Die Übereinstimmung in der Reihenfolge der mythischen
Begebenheiten , mit der noch jetzt bisweilen die Annahme eines
298 Mythographen.
immer benutzten, aber nie zitierten Handbuches begründet wird,
erklärt sich auch ohne diese Annahme. Schon die alten Helden-
lieder hatten eine gewisse mythische Chronologie geschaffen , von
der auch die folgenden Schriftsteller nicht abgehen konnten; und
wo sie noch nicht vorlag, mußte sie sich später einstellen, als es
galt, die ganze mythische Geschichte im Zusammenhang zu erzählen.
Ebenso mußte sich, indem jedes Schulbuch sich mehr oder weniger
an seine Vorgänger anschloß , nach und nach auch eine gewisse
Gleichförmigkeit in der Aneinanderknüpfung herausbilden, vergleichbar
etwa der Konstanz, mit der sich die Lehre in unsern Schulbüchern
fortpflanzt, auch wenn kein größeres wissenschaftliches Werk vor-
liegt und sogar dann, wenn ein solches den Stoff anders gruppiert.
Was die einzelnen mythographischen Schriften anbetrifft, so
geht die Tabula Iliaca, deren Inschriften Mancuso, ßendic.
BAL XIX, 1910, 932 ff. neu herausgegeben hat, nach Taccone,
Riv. fil. cl. XXXVIII, 1910, 515 ff., der auf die Totenklage der
Thetis um Achilleus mit einer Nereide und einer Muse (nicht mit
zwei Musen, wie früher angenommen wurde) hinweist, unmittelbar
auf das kyklische Gedicht, nicht auf ein mythologisches Handbuch
zurück. — Die wertvollen mythogi'aphischen und sakralgeschicht-
lichen Scholien zu Old. ev KoX. sind, wie Joh. Richter, Wien.
Stud. XXXIII, 1911, 37 ff. gegen v. Wilamowitz behauptet, fast
unveränderte Auszüge aus Didymos. — Die Zuverlässigkeit der
Subscriptiones in den Homerscholien wird nach Robert, Herrn.
LII, 1917, 308 durch eine Prüfung der Pherekydeischen Melampus-
sage (seh. Od. o 225) und der auf Bakchjdides und Hesiod zurück-
geführten Europasage (seh. II. M. 292) bestätigt. In der Tat scheint
die Echtheit der Subskriptionenangaben im allgemeinen voraus-
gesetzt werden zu dürfen, jedoch mit der Einschränkung, daß ein-
zelne Züge aus andern Sagenfassungen in diese oft durch viele
Hände gegangenen Berichte eingedrungen sein können. — Ähnlich
steht es mit den Quellenangaben bei Parthenios und Antoninos
Liberalis. Bethes Vermutung, daß die Verfasser selbst die von
ihnen ausgezogenen Dichtungen bezeichneten , ist fast allgemein
aufgegeben. Nach Hartmann, Untersuch, über die Sag. v. Tod
des Odyss. S. 183 f. rühren sie von einem Scholiasten her, der
zwar ohne zu schwindeln, aber ohne genaue Kenntnis der von ihm
zitierten Werke die Quellen angab, so daß aus den Zitaten in der
Regel nicht Parthenios' und Antoninos' wirkliche Quelle , sondern
nur der ungefähre Inhalt der zitierten Schrift zu entnehmen ist.
Ahnlich hatte schon Hercher geurteilt, und dasselbe Ergebnis stellt
Mythographen. 299
sich für die v/cod^eGEig des epischen Kyklos heraus. — Auch
V. Wilamowitz, Berl. Kl.-T. V^ 24 schreibt die Quellenangaben,
die sich über den einzelnen Abschnitten der genannten beiden Mytho-
graphen finden, einem Gelehrten zu, der sich nach Kräften bemühte
die wirklichen Vorlagen ausfindig zu machen-, er schließt aus der
Gleichartigkeit des Verfahrens, daß alle diese Angaben auf den-
selben Grammatiker zurückgehen, der, falls nicht etwa Antoninos
den Parthenios fortsetzte, schon beide Autoren vereinigt vor-
fand (oder selbst zusammen herausgab). — Von den übrigen Mytho-
graphen weichen sowohl die Berichte des Parthenios und Antoninos
selbst meist erheblich ab, und auch die in den Quellenangaben
zitierten Schriftsteller sind dort nur ausnahmsweise benutzt, daraus
schheßt W. A. Baehrens, Studia Serviana I, Gent 1917, S. 43,
einer der wenigen Gelehrten, die noch an das große wissenschaft-
liche mythographische Handbuch glauben, daß dieses zur Zeit des
Parthenios vielleicht noch nicht vorhanden war.
Die lateinischen Mythographen hat der Berichterstatter im An-
fang seiner Geschichte der Mythologie behandelt, der 1914 gedruckt,
dann infolge des Kriege zurückgestellt ist, aber beim Erscheinen
dieses Jahresberichtes voraussichtlich in den Händen der sich
dafür Interessierenden sein wird. Mit Kücksicht darauf, daß es
sich fast ausschließlich um mittelalterliche Schriftsteller handelt,
die nur noch mittelbar, als Fortsetzung mit den antiken Mytho-
gi-aphen zusammenhängen, verweise ich auf diese Darstellung und
begnüge mich hier, auf F. Keselings Dissertation, De Mytho-
graphi Vaticani secundi fontibus, Halle 1908, hinzuweisen, der den
„Mithologiarius" ähnlich behandelt wie R. Schulz in einer andern
Haller Dissertation (1905) die Quellen des ersten vatikanischen
Mythographen. Eine von Keseling verglichene Wiener Handschrift
gehört dem 15. Jh. an; älter ist der Vaticanus , der nach Maaß
aus dem 10., nach Mai aus dem XI. oder XII. Jh. stammt: das
ist das einzige Datum zur Bestimmung eines Tennins ante quem
noch unsicherer ist die Festsetzung eines frühesten Punktes, da
die Übereinstimmung mit Isidor und den Schollen, namentlich zu
Vergil und Statins, sich ebensowohl aus einer Benutzung von deren
Quelle als ■ — was Keseling vorzugsweise in Betracht zieht von
ihnen selbst erklärt. Das Verhältnis dieser Mythographen zu den
Schollen , die wenigstens für Vergü in ihrem älteren Kern auf an-
tike Kommentare zurückgehn, und das der verschiedenen Schollen
zueinander ist überhaupt noch recht dunkel.
K. Barwick, Philol. LXX, 1911, 106 if. gelangt zu dem
300 Mythographen. Der mjiihologische Roman.
Ergebnis, daß der sogenannte Interpolator Servii (derServiusDanielis)
ursprünglich einen eigenen Vergilkommentar bildete, der aus älteren
Kommentaren Stücke entlehnte , die ein irischer Mönch im 7. Jh.
mit dem sogenannten echten (kleinen) Servius verband, und daß
— ebenfalls in Irland — durch eine Kompilation aus diesem und
PhilargjTius die Berner Scholien entstanden , die später in einigen
Handschriften mit dem vereinigten Danielscheu und kleinen Servius
verbunden wurden. Mii' scheinen in dem sogenannten Interpolator
mindestens zwei verschiedene Massen unterschieden werden zu
müssen : die eine enthält Stücke eines Kommentars, von dem auch
der „echte" Servius einen Auszug bietet, die andere, weit wert-
vollere, überhaupt das Wichtigste, was von der lateinischen exege-
tischen Literatur erhalten ist, stimmt z. T. wörthch mit dem überein,
was bei Macrob. dem Servius in dem Mund gelegt wird. — Über
den religiösen Glauben des Servius und des sogenannten Interpolator,
die von ihm nicht geschieden werden, handelt Sihler, Amer.
Joum. Phil. XXXI, 1910, 6 ff. Die neoplatonischen Elemente
werden hervorgehoben, doch sollServ. in der Annahme philosophischer
Ideen bei Vergil nüchterner sein als Macrobius. W. A. Baehrens,
Studia Serviana ad litteras Graecas atque Latinas pertinentia (Ver-
öffentlichungen der Genter Univ. I), Gent 1917 will nachweisen,
daß die bei dem großen und kleinen Servius überlieferten Ver-
wandlungsgeschichten durch die Vermittlung wahrscheinlich des
Donatus aus einem VergUkommentar stammen , der Auszüge aus
dem von Baehrens angenommenen (o. 29ff) großen mythologischen
Handbuch mit Angaben hauptsächlich Varros verschmolzen habe.
Der mythologische Roman.
Euemeros wollte, wie Jacoby, R.E. VI, 952 ff. zu zeigen
versucht, den alten Götterglauben nicht zerstören — das wäre
überflüssige Mühe gewesen — , sondern nur seine Entstehung zeigen.
Während die früheren Historiker sich darauf beschränkten, die
Geschichte der Heroen und derjenigen Götter zu pragmatisieren,
deren ursprüngliche Menschlichkeit anerkannt war, hat Euemeros
(968 f.) unter dem Einfluß äg3-ptischer Theologeme die Methode
auf die oberen Götter angewendet und zur Erklärung jenes philo-
sophischen Problems benutzt. Charakteristisch für ihn soll sein,
daß die Vergötterung von den Machthabem selbst ausging, was
freilich in den doxographischen Berichten nicht hervortrete (964).
In der Rahmenerzählung scheint Euemeros (958) nicht nur poe-
tische, sondern wirkhche Täuschung beabsichtigt zu haben. Pan-
Euemeros. 301
chaia läßt sich zwar geographisch nicht fixieren, ist ein Nirgends-
land, aber anderseits so nüchtern und rationalistisch geschildert,
daß man immer wieder versucht hat, es einem wirklichen Lande
gleichzusetzen. — An Jacoby schließt sich im wesentlichen an
Kaerst, Gesch. d. hellenist. Zeitalters II 1, 226 ff. Er betont
noch stärker die didaktische Tendenz , die sich namentlich in der
Schilderung der staatlichen und sozialen Ordnung auf Panchaia be-
kunde, lehnt aber die Annahme einer Übertragung der ägyptischen
■d-€oXoyOL'i.ieva des Hekataios von Teos ins streng Griechische ab.
Den Gedanken, daß die Schrift eine satirisphe Tendenz habe, ver-
wirft er (229) nicht ganz , warnt aber vor ihrer einseitigen Be-
tonung. Damit aber hebt Kaerst nur das Problem hervor, ohne
es zu lösen, denn schon eine bloß teilweis sich zeigende Satire ist
mit dem vermuteten didaktischen Zweck unvereinbar. Noch stärker
tritt der Widerspruch bei Jacoby hervor, nach dem Euemeros
in der Rahmenerzählung nicht nur poetische, sondern auch wirk-
liche Täuschung beabsichtigt zu haben scheint. So häufig antike
Philosophen, auch als die wissenschaftliche Darstellungsform sich
längst durchgerungen hatte , auf die alte mythische oder sonstwie
phantasievolle Einkleidung zurückgriffen , so unerhört wäre in der
Zeit des Euemeros eine diesem Zweck dienende Fälschung. Jacoby
scheint zu seiner Vermutung erstens durch Zeugnisse namentlich
zwei des Kallimachos bestimmt worden zu sein , von denen aber
das wahrscheinlich ältere vf4V. I 8 f. gar nicht auf Euemeros geht,
während das andere (fr. 86), soweit sich bei dem Fehlen des Zu-
sammenhanges urteilen läßt, nichts weiter enthält als einen Pro-
test gegen die Vermenschlichung des Gottes. Zweitens gründet
sich Jacobys Urteil, wie es (958) scheint, auf der nüchternen alles
Wunderbare fernhaltenden Schilderung von Panchaia; die sich aber
aus dem rationalistischen Charakter des ganzen Werkes genügend
erklärt. Diesen Widersprüchen entgeht nur, wer in der Umformung
des überlieferten Göttermythos in einen hellenistischen Roman die
eigentliche Absicht des Dichters, die philosophischen Lehren aber
als Zutaten ansieht, die sich teils aus dem Hauptzweck der Dich-
tung von selbst ergaben, teils aber in der hellenistischen Denk-
weise begründet waren. Indem Euemeros den Mythos den An-
schauungen seiner Zeit entsprechend umformt, verfährt er im Grunde
gar nicht anders als die alten Mythendichter ; nur ist die Wirkung
viel stärker , weil die Grundlage , auf welcher der Mythos beruhte,
Busammengebrochen und dadurch ein Bruch in der Überlieferung
eingetreten war, ähnlich dem, der erfolgte, als die alten Legenden
302
Euemeros. Ptolemaios Chennos,
der Heiligtümer in Heldensage umgeformt wurden. Wird ein Stoff
ans einer Stillgattung in eine niedere übertragen, so entsteht eine
Parodie. Komische Gegensätze können nicht ausbleiben , weil die
niedere Kunstform mit dem höheren oder wenigstens bisher in
edlerer Gestalt bekannten Inhalt in Widerspruch steht. Weil aber
dieser nicht nur in eine andere Form gegossen und mit neuen Ge-r
danken erfüllt werden soll, sondern zu diesem Zweck auch materiell
geändert werden muß und keine Erfindung ganz unabhängig vom
Erlebten und Wahrgenommenen ist, so spiegeln sich in den Mythen
des Euemeros, gleichviel, ob dieser es wußte und beabsichtigte oder
nicht, Zeitereignisse. Bei seinem Zeus, der von Griechenland auszog,
sich überall als Gott begrüßen ließ und im fernen Orient begraben
liegt, muß Alexandres mindestens insgeheim schon dem Euemeros
vorgeschwebt haben. Gar nicht anders verfuhren die Dichter der
Heldensage , wenn sie die frommen Männer , von denen die alten
Legenden erzählten, zu Kriegshelden machten, in denen sich, die
Taten ihrer Abkömmlinge reflektieren. Nur dient im ernsten Helden-
lied eine solche Spiegelung der Verherrlichung sowohl des Ahnen
wie des Nachfahren; im Roman muß der leichte Spott, mit dem
die Götter bedacht werden, auch auf die irdischen Machthaber
fallen, die zu jenen das Vorbüd abgaben. In diesem Sinn alga
steht die lEQct dvaygaq^rj auch der eigenen Zeit satirisch oder
wenigstens , da ihre Widersprüche ruhig hingenommen werden,
humoristisch gegenüber. Aber nicht um diese Widersprüche auf-
zuzeigen, hat Euemeros gedichtet, sondern um die Mythen so zu
erzählen, wie sie ihm erschienen.
Wie Euemeros und seine zahlreichen Nachfolger unterscheidet
sich auch JPtolemaios Chennos nicht prinzipiell, sondern nur
dem Grade nach — allerdings in hohem Grade — von den ihm immer
entgegengestellten echten Mythendichtern. Schon diese schufen
neue Mythen, indem sie Angaben früherer Dichtungen durch freie
Erfindungen kombinierten; der Unterschied ist nur der, daß ihnen
der neue Mythos nur die Form war, in die sie die eigenen Emp-
findungen gössen, während es den prosaischen Mythenbildnern der
Kaiserzeit vor allem auf die Neuheit und Seltsamkeit des von
ihnen geschaffenen Mythos ankam. A. C h a t z i s , Der Philosoph
und Grammatiker Ptolemaios Chennos, Leben, Schriftstellerei und
Fragmente (mit Ausschluß der Aristotelesbiographie) I. Einleitung
nnd Text fStud. zur Gesch. u. Kult d. Altert. VII 2), Paderborn
1914, zeigt, daß Hercher, dem sich viele, z. B. Crusius und Diels,
angeschloesen haben, mit Unrecht den Ptolemaios als Schwindler
Ptolemaios. Diktys. Dares. qaq
bezeichnete. Chatzis wirft ihm nur Mangel an Kritik und Soro--
losigkeit in bezug auf die Auswahl und Benutzung seiner Quellen
vor. Aber auch dieser Vorwurf bedarf m. E. noch der Einschrän-
kung. Ptolemaios standen erlesene Quellen zu Gebot, und er hat
aus ihnen singulare und entlegene Nachrichten im ganzen mit Sortr-
falt zusammengesucht; aber sie rein wiederzugeben betrachtete er
nicht als seine Aufgabe; er kombiniert sie und schafft so neue
Mythenformen, Das bestätigt die Prüfung aller der Stellen , wo
wir ihn einigermaßen mit seineu Quellen vergleichen können, z. B.
seine Angabe über den Tod des Odj^sseus, die Hartmann, Unters,
über die Sagen vom Tod des Od. S. 169 ff. zwar richtig be-
handelt, aber sonderbarerweise als Bestätigung von Herchers Urteil
bezeichnet hat. Ptolemaios ist deshalb eine ebenso wichtige als
gefährlich zu benutzende Quelle ; es gilt aus den abstrusen Mythen
die oft winzigen, aber fast immer wertvollen Notizen herauszuschälen,
die der gelehrte Peripatetiker in seiner reichen Bibliothek gefunden
hat. Es ist daher dankbar zu begrüßen, daß Chatzis zum ersten-
mal die Bruchstücke der v.aivrj \oioqia vollständig gesammelt und
Photios' Auszug aus den „Neuen Geschichten" auf Grund neuer
Handschriftenvergleichung verbessert herausgegeben hat.
Die übrigen mythologischen Romane — sie beschäftigen
sich großenteils nicht mit den Göttern, sondern mit Heroen — unter-
scheiden sich von der y.aivri laTOQia hauptsächlich dadurch, daß ihre
Verfasser weniger bestrebt oder imstande sind, entlegnere Über-
lieferungen zu benutzen und deshalb der Phantasie freieren Spiel-
raum gewähren, die bei ihnen freilich hauptsächlich zu dem Zweck
wirkt, das, was die Phantasie der alten Dichter geschaffen hatte,^
wieder zu beseitigen. Sie wollen den Schein erwecken , als seien
sie die Quelle eben der Dichter gewesen, von denen sie abhängen, und
das ist ihnen nicht ganz mißlungen. — T. W. Allen, Journ. of Phil.
XXXI, 1910, 207 ff. wül nachweisen ,• daß Diktys Originalberichte
vom troischen Krieg enthält, die dann von den Kyklikern in Verse
gebracht wurden. Homers Dichtungen, die einzelne Teile des Kyklos
ausschmückten , haben nach Allen wie diese so auch die Prosa-
behandlung während der Blütezeit zurücktreten lassen ; aber sie
tauchte wieder auf, als das Publikum zur Kindlichkeit zurückgekehrt
war. Lang ebd. XXXII 1912 1 ff. macht dagegen besonders
geltend, daß dann Homer sich eine von seiner Quelle abweichende
Kultur zu seinem Privatvergnügen erfunden haben müßte. — Ganz
wertlos für den Mythologen ist auch die der Kaiserzeit und dem
frühen Mittelalter angehörige Literatur, von der wir Proben z. B»
304 Diktys. Darea. Philostratos.
in dem sogen. Dares- und Diktys haben, nicht; aber die in ihnen
verwerteten , von der erhaltenen Literatur unabhängigen Angaben,
die sie verwendeten , sind seltener und noch schwieriger heraus-
zufinden, als bei Ptolemaios. Die Entstehung der einzelnen Werke
wird sich am ehesten feststellen , wenn man sie miteinander ver-
gleicht. Nach einem von F. Huhn hinterlassenen, von E. Bethe
Herm, LH, 1917, 613 ff. herausgegebenen und vervollständigten
Aufsatz läßt Philostr. ii]q, 8 S. 174. 3 K den Idomeneus deshalb
nicht mit gegen Ilion ziehen , um seinen Knappen Diktys , unter
dessen Namen kurz zuvor die uns in schlechter lateinischer Über-
setzung und jetzt auch in der schon früher von Noack und Patzig
vermuteten griechischen Fassung auf einem Tebtunis Pap. (II, 1907,
9 ff.) bruchstückweise (IV, 9 — 15) erhaltene Darstellung des troi-
schen Krieges erschienen sei, „unter den Tisch zu wischen". Dieses
Buch, das im 13. Jahre Neros in einem knossischen Grabe aufge-
funden sein will , soll nämlich nicht vor dem Anfang des 3. Jhs.
entstanden sein. Auf etwaige derartige literarische Beziehungen
ist gewiß zu achten, aber so einfach liegen die Verhältnisse nicht
immer und vielleicht auch hier nicht. Der Tebtunispapyrus mit
dem Diktysbruchstück entstammt freilich dem 3. Jh., sein Original
aber wird z. B. von Ussani, Riv. fil. cl. XXXVI 1909 1 ff. in
das 2., vielleicht sogar 1. Jh. gesetzt. Ist das richtig, so wird
die Bekämpfung eines so weit zurückliegenden Autors durch Pto-
lemaios unwahrscheinlich. — Ihm, Herm. XLIV, 1909, 5 hatte es
unententschieden gelassen , ob Diktys aus Philostratos schöpfe
oder umgekehrt. — Über Aineias bei Diktys und Dares handelt
W. Konopka, De Aenea postvirgiliano , Königsberger Dissert.,
1913, 58 ff., über Antenors Geschlecht Scholz, De Antenore et
Antenoridis, Breslau, Diss. 1911, S. 7 f., 59 ff., der beweisen will,
daß Dares die Geschichte von Antenors Sendung zu Telamon zum
Zweck der Rückforderung rfesiones (C. 4 f.) aus Dracontius VIII,
239 ff. oder dessen Quelle schöpfe : ein Zusammenhang der Über-
lieferung muß in der Tat wohl angenommen werden, aber er liegt
vielleicht erheblich weiter zurück. Die anderen Untersuchungen
über diese Literaturgattung, deren Bedeutung wahrscheinlich größer
war, als die übrigens in verschiedenen Fassungen erhaltenen Reste
ergeben, hat bereits Münscher o. {CIL, 1911, 180 ff.) besprochen.
Philostratos. S. Katz Zur Mythenbehandlung in Phil.'
Heroikos, Primitiae Czemowicienses, Festgr. zur 4. Vers, deutsch.
Phil, in Graz, Czemowitz 1909 faßt Philostratos vor allem als
Sophisten auf. Daß er den Heroenglauben verteidigt, mag seiner
Philostratoti. Menippos. 305
Weltauffassung entsprechen, hatte aber bei dem Zuge der damaligen
Zeit auch den Reiz der Schwierigkeit. Sein erster und haupt-
sächlichster Zweck war nach Katz , ein aktuelles Thema in geist-
reicher und amüsanter Weise zu behandeln. 'Wie der rv(xvaOTLyf.6c
und der Dialog jieqI oQXfjoetog soll unsere Schrift nichts sein als
eine Epideixis, bei der die geschickte Beweisführung und ge-
achmackvoile Form wichtiger war als die sachliche Richtigkeit des
Resultates. Es finden sich auch Widersprüche ; so werden z. B.
(S. 118) Heroen und Dämonen von Philostratos zusammengeworfen,
aber trotzdem wird (c. II, 2 S. 144, 10 K.) dem Heros Protesilaos
ein Dämon zugeschrieben. Dem Mythos selbst steht Philostratos
nach Katz (S. 128) ziemlich frei gegenüber, er ändert und modi-
fiziert alles Unglaubliche, der Vernunft Widerstrebende, sowie alles,
was der Würde der Heroen abträglich ist. Daß die schrift-
stellerische Form bei Philostratos wie bei den meisten Literaten
seiner Zeit eine Bedeutung hat, die uns fremdartig berührt, hat
Katz richtig hervorgehoben ; aber er unterschätzt m. E. die Tendenz
des kleinen Werkes , die gerade im Zug der Zeit lag und gewiß
nicht den Reiz der Neuheit und Schwierigkeit hatte.
Menippos' Ne-avia glaubt R. Helm, Lucian u. Menipp,
Leipzig-Berlin 1906, 346 ungefähr so wiederherstellen zu können:
Menippos selbst kam im Traum oder sonst wie zum Hades , an
dessen Eingang die Szene mit dem entlaufenen Sklaven spielte.
Nachdem er von Charon übergesetzt ist, der in Homerversen sprach,
tat er sich mit dem geistesverwandten Mikyllos zusammen. Er
hatte Gespräche mit verschiedenen Toten, welche die Vergänglich-
keit alles Irdischen und die Verkehrtheit menschlichen Strebens
dartaten. Dies wurde weiter ausgeführt bei dem Prozeß der eben
Herabgekommenen und in einer Rede , in welcher Teiresias den
Menippos über d^n Inbegriff aller Weisheit belehrte. In dem Gegen-
stück, der Himmelfahrt, soll Menippos erdichtet haben, wie er
zum Monde emporflog, von wo ihm das Treiben der Menschen in
seiner ganzen Kleinheit, Torheit und Bosheit erschienen. Darauf
flog er nach Helm weiter zu Zeus , den er durch seine Reden in
die Enge trieb. Eine Götterversammlung wurde berufen und der
ganze Götterhimmel durch die allzumenschlichen Götter und durch
die unaufhörliche Schaffung neuer Götter diskreditiert. Schließlich
wurde Menippos irgendwie zur Erde zurückgebracht und ihm die
Möglichkeit des Wiederkommens abgeschnitten. AUes dies wird
hauptsächlich aus verschiedenen Schriften Lukians erschlossen.
Helm glaubt nämlich, daß Lukian, der weder Philosoph noch be-
Jahresboricht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpiilementbaud). 20
306 Menippos. Apuleius.
sonders witzig war, seinen Ruhm fast ausschließlich dem Zufall
verdankt, daß der in Rom zwar viel beachtete, aber in Griechen-
land fast vergessene Menipj) in seine Hände fiel , dessen Frei-
geisterei und Abneigung gegen ernste Philosophie ihm s^nnpathisch
waren und dessen Schriften er deshalb auffrischte und aufs neue
schmackhaft machte.
ApnJ eius. K. H. E. de Jong, Das antike Mj-sterienwesen
in religionsgcschichtlicher , ethnologischer und psychologischer Be-
leuchtung, Leiden 1909, S. 37 if., R. Rei tzenstein, Die helle-
nistischen M3'8terienreligionen, ihre Grundgedanken und Wirkungen,
Vortr. gehalten in dem wiss. Predigerverein f. Eis. - Lothringen,
Leipz.-Berl. 1910, S. 25ff. , und M. Dibelius, Die Isisweihe
bei Apuleius u. verwandte Initiationsriten , Sitzb. Heidelb. AW
1917, IV suchen nach der Darstellung der Isism3'^sterien im XI. Buch
von Apuleius' MetamorjiJiosrn ein Bild von diesen zu zeichnen,
Dibelius indem er in den Worten accessi confinium mortis usw.
(Apul. XI, 23), die de Jong 237 ff. als eine Vision des Initianten
psychologisch verständlich machen will, als ein Symbolen der Mysten
zu erklären versucht. Dibelius' Voraussetzung wird durch die Worte
quae, quamvis audita, ignores tamen necesse est nahe gelegt und
kann richtig sein, obwohl die übrigen aus dem Altertum überlieferten
Erkennungszeichen nicht den symbolischen Sinn der Aufnahmeriten,
vielmehr umgekehrt Äußerlichkeiten , die bei diesen vorkommen,
mit verhüllenden Worten und nicht ohne Hinweis auf den in sie
hineingelegten Sinn andeuten. Dagegen ist die weitere Voraus-
setzung, auf der alle drei Untersuchungen beruhen, die Annahme,
daß die Metamorphosen eine zuverlässige Quelle für Mysterien-
vorstellungen seien, obgleich fast allgemein geteilt, nur schwach
begründet ^). Den Glauben, daß in den Mysterien der Mensch neu
geboren werde, konnte nur derjenige zu der tollen Erfindung be-
nutzen, daß der Grieche Lucius durch die Weihe zum Madaurenser
Apuleius geworden sei , der diese Weihen gründlich verspotten
wollte. Denn anders ist doch der Prolog des Romans nicht zu
verstehen, so viele Versuche auch gemacht sind , dieser scheinbar
unmöglichen Folgerung zu entgehen (vgl. die Übersicht bei C a -
* Um größere Änderungen im Druck zu vermeiden, habe ich das
Folgende so stehen lassen , wie es vor zwei Jahren der Redaktion ein-
gereicht wurde. Weitergeführt sind die hier niedergelegten Ergebnisse
in einer Besprechung der zweiten Auflage von Reitzensteins Mysterien-
religionen, die beim Erscheinen dieses .Jahresberichtes voraussichtlich
gedruckt sein wird (Philol. Wochenschr. 1921).
ApuleiuB. -07
longlii E,iv. di fil. XTjIII, 1915, Iff.); ein Zweifel ist bei dem
klaren Wortlaut der Einleitung und auch schon deshalb nicht
möglich, weil in der griechischen Fassung des Romans (Luk. ov. 55)
der Held sich ebenfalls schließlich dem angeblichen Schreiber,
nämlich dem Romanschriftsteller {'lavoQiüJv /mI aXXwv avyyQatpevg)
Lukios von Patrai gleichsetzt. Bei näherem Zusehen erweist sich
auch der dann notwendige Schluß, daß das Ende der Metamorphosen
nicht auf eine Verherrlichung, sondern auf eine Verspottung der
Mysterien hinauslaufe , als keineswegs unwahrscheinlich , \aelmehr
als schon aus andern Gründen gefordert. Der ganze Roman ent-
hält eine so deutliche Karrikatur des Wunderglaubens , daß noch
niemand sich über den aufgeklärten Spötter Lukian gewundert
hat, unter dessen Namen die griechische Fassung überliefert ist.
So unbegreiflich die stark gepfefferten Stellen sowohl der griechischen
wie der römischen Form wären, wenn der Zweck eine Verherr-
lichung der Isisweihe war, so leicht erklären sie sich, wenn darin
verkehrte Zeitrichtungen verspottet werden sollten. Denn die
Satire, zumal die antike, nimmt an der Zote, die für einen erbau-
lichen Zweck weniger geeignet ist , keinen Anstoß ; bei Apuleius
ist sogar der scheinbar fromme Schluß nach den vorhergegangenen
Obszönitäten von verblüffender Komik. Lucius Apuleius , der in
seinem stupiden Aberglauben von den schlauen Mysterienpriestem
ausgebeutelt wird und schließlich sogar seine Garderobe verkaufen
muß, spielt auch eine wenig beneidenswerte Rolle. Das Bedenken,
daß Apuleius, der doch selbst in dem Rufe des Aberglaubens und
mystischer Neigungen stand und sich in andern Schriften als in
viele Mysterien eingeweiht bezeichnet, unmöglich die "Wundersucht
und die Weihen verspotten konnte, ist (Berl. Phil. Wochenschr. XXXI,
1911, 932) durch den Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit entkräftet
worden, daß der Roman, der in der maßgebenden Hs. F. keinen
Verfassernamen hat, gar nicht von Apuleius herrührte. Diesem
scheint ihn zwar schon August, c. d. XVIII 18 zuzuschreiben; allein
auch wir würden kaum Bedenken tragen, die Abenteuer, die ein
iSchriftsteller in einem ihm untergeschobenen Werk — namentlich wenn
dessen Bekanntschaft vorausgesetzt wird — wie von ihm selbst erlebt
erzählt, als die dieses Autors zu bezeichnen •, auch wäre es nicht ohne
Beispiel, daß die Satire nachträglich für ein Werk dessen gehalten
wäre, gegen den sie gerichtet und dem sie untergeschoben war. Hat
Photios BißL 96 b, 11 ff. das Verhältnis von Lukios und Lukianos
richtig geschildert, so hat dieser das Werk jenes parodiert; aber der
gelehrte Patriarch ist selbst unsicher, und wahrscheinlich war schon
20*
308 Apuleius.
der im Kreise des Photios unter dem Namen des Lukios verlesene
£,oman eine Parodie (Lukians?), und die erhaltene Schrift ist nur
ein Auszug. Wenn R. ßeit/enstein, Das Märchen von Amor
und Psyche bei Apuleius , Antrittsrede an der IJnivers. Freiburg,
Leipz. -Berl. 1912, S. 55 mit Recht Übereinstimmung zwischen
dem einzigen Bruchstück der Milesiaka des Aristeides und seines
Übersetzers Sisenna einerseits und dem ytov'KiOQ )] ovog und Apu-
leius' Metamorphosen andrerseits behauptet, so hat Lukios oder der
Parodist das Grundmotiv und sogar Einzelheiten bei Aristeides
oder Sisenna vorgefunden; dies ist in der Tat wahi-scheinlich.
Der Roman des Lukios oder die unter dessen Namen gehende
Parodie auf Lukios' Romaue hat dann einen unbekannten Lateiner
zu einer Erweiterung veranlaßt , in der er auch andere Aus-
wüchse der Zeit geißelte , den in der römischen Welt wenig be-
kannten Lukios aber durch den als wundergläubig bekannten
Apuleius ersetzte. Wenn im Anfang des Romans das mangelhafte
Latein damit entschuldigt wird, daß der Verfasser erst seit kurzem
und zwar ohne Lehrer die Sprache erlernt habe , so sieht das so
aus, als solle der unreine und affektierte Stil des Apuleius ver-
spottet werden. Aber auch wer nicht an die Unterschiebung des
Werkes glaubt, sondern annimmt, daß Apuleius selbst die Isis-
mysterien aus nicht nachweisbaren Gründen, z. B. weil sie mit
seiner Mystik in Wettbewerb standen , verspottete , wird nun Be-
denken tragen, seinen Angaben zu trauen. Zwar hat der Verfasser
wahrscheinlich Lokalfarbe aufgetragen , um dem Phantasiebild eine
Scheinwirklichheit zu geben ; aber wenn er dabei allzu pedantisch
verfuhr, verstärkte dies die Wirkung des Schwankes nicht, sondern
machte ihn schwerfälliger. — Betrachten wir den goldenen Esel
als Satire nach Art von Immermanns Münchhausen, so erklärt sich
auch die große Einlage des Psychemärchens, über die auch in der
Berichtsperiode viel verhandelt ist, vgl. z. B. *Purser The Story
of Cupid and Psyche as related by Apuleius, Edited with Intro-
duction and Notes, London 1910. Für eine freie Erfindung des
Platonikers Apuleius und für den gleich ursprünglich symbolischen
Gehalt tritt ein *M. Kawczyüski Rozprawy der Blrakauer AW
ph. Cl. XLV Krakau 1909, 1—161 (Auszug bei Brückner Zs.
des Vereins f. Volksk. XIX, 1909, 213), der die verwandten
Märchen alle von Apuleius ableitet. Die zweite Vermutung kann
richtig sein, aber die erste, daß Apuleius das Märchen gleich als
Allegorie gemeint habe, nur dann, wenn der Neoplatoniker Apuleius,
der Dichter des Märchens, von dem unter seinem Namen schreibenden
I
Psychemärchen. 309
Verfasser der Metamorphosen getrennt wird. Dieser will wirklich nur
durch die rührenden Leiden der Heldin wirken ; es mtissen in der Ge-
schichte des Stoffes zwei Stufen unterschieden werden, eine, auf der
er ein freies Volksmärchen, eine andere, auf der er eine Allegorie
war. Da liegt nun freilich die Annahme nahe, daß die Allegorie nach-
träglich in die Erzählung hineingetragen wurde, und so urteilt auch
noch in neuerer Zeit Wendland, De fabellis antiquis earumque
ad Christianos propagatione , Gott. Univers. - Progr. 1911, S. 11.
Allein diese Ansicht ist, soweit Ps. Apuleius in Betracht kommt,
irrig, denn dessen Erzählung läßt sich, wie Reitzenstein a. a. 0.
S. 9 mit Recht bemerkt, gar nicht allegorisch deuten. Ebd. S. 20
heißt es: „Ausgeschlossen ist also, daß Apuleius oder ein gelehrter
Vorgänger den Namen des Eros für einen beliebigen verwunschenen
Königssohn eingesetzt hat ; mit dem Gott ist die Erzählung von
Anfang an verbunden". (21) „Die gesamte Erzählung des Apuleius
bietet dem , der sie unbefangen liest , im Grunde nichts , was auf
eine Allegorie statt eines Mythos wiese, als den Namen der Heldin
Psyche". Reitzenstein schließt daraus, daß dem Märchen ein
orientalischer Göttermj-thos zugrunde liege, in dem Psyche nicht die
menschliche Seele, sondern eine Gottheit war und den hellenistische
Erzähler unter Anlehnung an griechische Vorbilder zu einer Kunst-
dichtung umgestalteten. Dieser schreibt er hauptsächlich auf Grund
verstreuter Anspielungen, die er in diesem Vortrag (S. 19) und mit
ausführlicherer Begründung in einer späteren Untersuchung (Sitzber.
Heidelb. AW hist. ph. Gl. 1914 XTE) aus Dai-steUungen der Kleinkunst,
aus Zauberpapyri usw. erschließt , folgende Züge zu (22) : „Eros
als Knabe und zugleich als beflügelter Drache , den Zauberpalast
mit seinem Lager, Psyche von Aphrodite und Eros gemartert,
Psyche und Eros in Liebe vereinigt, endlich wahrscheinlich: Psyche,
von Hermes z^um Himmel emporgeführt , bringt dem Weltall die
Freude". Ferner glaubt er, daß Psyche in die Unterwelt hinab-
stieg, um für den von ihr getöteten oder schwer verwundeten
Gatten das Wasser des Lebens zu holen. Mit der Herleitung
aus einem orientalischen Göttermythos fallen für Reitzenstein so-
wohl 0. Jahns Gedanke , der die Anfänge des Märchens über die
bildlichen Darstellungen von Eros und Psj^che bis zu Piaton hinauf
verfolgte, als auch Friedländers Vermutung, daß Apuleius ein altes
Volksmärchen durch die Vermengung mit einer gelehrten Allegorie
kläglich verdorben habe (12 ff.), und die Vermutung des Referenten,
der in dem Märchen letzte Reste einer altgriechischen Mysterien-
legende nachzuweisen versucht hatte (Hdb. 871 ff.). Indessen ganz
810 Arärchen von Amor und Psyche.
xiifällig sind die Beziehungen , die zu diesen drei Vermutungen
geführt haben, wohl nicht. Wer nicht alle die Märchen vom ver-
wunschenen und durch eine Königstochter befreiten Prinzen von
dem Psychemilrehen abzuleiten wagt , wird daran festhalten , daß
bei der Erfindung des Göttermythos Märchenmotive vorbildlich
gewesen sind. Im Grunde glaubt dies auch Reitzenstein selbst;
er hebt S. 24 richtig hervor, daß eine Göttergeschichte nicht des-
wegen reines Märchen zu sein braucht, weil sie Motive bietet, die
auch in Märchen vorkommen. Auch die Kunstwerke, die Eros und
Psyche verbunden darstellen , stehen , auch wenn sie auf keinen
wesentlichen Zug des Märchens hinweisen, doch mit diesem wahr-
scheinlich irgendwie in Verbindung: das Paar gehört doch nicht
von Natur aus so zusammen , daß es leicht unabhängig mehr als
einmal zusammengestellt sein könnte, auch ist es gewiß kein Zufall,
daß, wie auch Reitzenstein annimmt, das Märchen die Hoffnung
auf die Erlösung vom Hades begründen soll und andrerseits Eros
und Psyche sich öfters in der Sepulkralkunst finden , also wahr-
scheinlich ebenfalls als Andeutung der Erlösungshoffuung aufgefaßt
wui'den. In altgriechischen Mysterien lassen sich beide bisher als
Paar nicht nachweisen, abey Eros kann mit Wahrscheinlichkeit
erschlossen werden, und Psyche erscheint projiziert in der Gestalt
mehrerer Göttinnen. Die Vorstellung geht auf einen Mysterienritus
zurück, bei dem sich die Seele mit dem Gotte durch ein sinnliches
iSymbol ehelich verbindet, und den Reitzenstein 25 in seiner
ausgebildeten und vergeistigten Form schwerlich mit Recht erst
hellenistischen, d. h. ursprünglich orientalischen Mysterien zuschreibt.
Vielmehr werden diese in dieselbe Zeit hinaufreichen und ver-
wandter Art sein wie jene erschlossenen alt- und vielleicht vor-
griechischen. Auch hier scheint Reitzenstein im Grund gar nicht
erheblich anderer Ansicht zu sein , und nur die Vermutung abzu-
lehnen, daß die im Kult erstarrten und unverstandenen Reste jener
nralten Vorstellung Ausgangspunkt für das hellenistische Märchen
gewesen sein könnten. Aber von den altgriechischen Mysterien
ist so wenig bekannt, daß ein Zusammenhang zwar nicht erwiesen,
aber auch nicht bestritten werden kann. Endlich ist es keineswegs
undenkbar, daß auch Piaton, wenn er die Sehnsucht nach dem
Ideal Eros benannte, zur Wahl dieses Wortes, dessen Bedeutung
er dadurch freüich sehr vertiefte, durch Vorstellungen geleitet
wurde, die mit jenen alten Mysterien zusammenhingen. Wie weit
Apnleius oder ein früherer Gestalter des Märchens — einen solchen
vcimutet Butler, Class. Rev. XXIV, 1910, 191 in dem von Fulg.
Psychemärchen. 311
mit. III, 0 S. 6S, 3 genannten Aristophontea Atheuaeus — durch
altgriechische Mysterien oder durch hellenistische bestimmt wurde,
auf die hingewiesen zu haben Reitzensteius Verdienst ist, bleibt
vorläufig zweifelhaft, da die Spuren beider bisher noch unsicher
sind und das Verwandte sich früh zusammengefunden haben wird;
allein, daß wirklich eine Mysterienlegende der Keim ist, scheint
mir sicher. Aber mit dieser Anschauung, daß die Psychegeschichte
eine ihres religiösen Charakters entkleidete Mysterieulegende ist,
steht Reitzensteins Voraussetzung iu Widerspruch, daß der Roman
oder wie man das Buch sonst nennen mag, in dem Apuleius an-
geblich Selbsterlebtes erzählt, in vollem Ernst auf eine Verherr-
lichung der Mysterien hinauslaufe. Reitzenstein selbst empfindet
diesen Widerspruch; er sagt (9), das große Mittelstück des Werkes,
die Erzählung von Amor und Psyche, müsse für den Autor „notwendig
den Nebenzweck gehabt haben, zu zeigen, wie die Menschenseele nach
Irrtum und harter Prüfung zu Gott erhoben wird", und findet es mit
Recht seltsam, daß nur die Stellung der Erzählung den tieferen Sinn ver-
rate. Seiner Ansicht nach hat Apuleius den von ihm erfundenen Stoff
nicht innerlich meistern können. Das Seltsamste hat Reitzenstein gar
nicht hervorgehoben. Der Autor würde , wenn er eine erbauliche
Absicht gehabt hätte , diese mutwillig vereitelt haben , indem er
burleske Züge einmengte. Die Geschichte von Amor und Psyche
enthält satii'ische Züge wie der ganze Roman, in den sie eingelegt
ist. Wenn der Verfasser den milesischen Apollon propter Milesiae
conditorem in lateinischen Distichen weissagen läßt, so sieht
dies wie ein Hieb auf einen lateinischen Roman aus, in dem der
griechische Gott lateinisch redete. Der ganze Ton des Märchens
ist übermütig und nicht immer so harmlos wie hier; wie der ganze
Roman verspottet auch das Märchen die religiöse und literarische
Mystik. Es gibt zwei Arten der Parodie : die Fehler können in der
Nachahmung überboten oder beseitigt werden. Zu allen Zeiten haben
die großen Satiriker beide Weisen , die negative und die positive
Kritik, zugleich angewendet. Wie Immermann dem geschraubten
Stil der von ihm verhöhnten Schriftsteller das Idyll des Oberhofs
entgegenstellt, so hat der Verfasser des goldenen Esels die mystische
Psychegeschichte in ein Märchen, wie es die Alexandriner liebten,
umgewandelt, und insofern die Übertragung in eine andere Stilgattung
Parodie ist, können wir es auch als Parodie bezeichnen. — Aus
andern Gründen macht Helm, Neue Jahrbb. XVII, 1914, 170 ff.,
Einwendungen gegen Reitzenstein: der Geschichte soU weder ein
altes Volksmärchen noch ein religiöser Mythos zugrundeliegen,
312 Psychemärchen.
sondern ein frei erfundener Göttermythos eines hellenistischen
Dichters, der von Eros eine Liebesgeschichte erzählen wollte und
ihm, da eine Göttin nicht disponibel war, eine sterbliche Geliebte
gab. Den beliebten Frauennamen Psyche wählte der Dichter nach
Helm nur deshalb, weil Eros und Psyche als Paar bereits bekannt
waren. Es gelingt Helm in der Tat, zu zahlreichen Zügen unsers
Märchens Parallelen aus der hellenistischen Literatur nachzuweisen;
das ist dankenswert , beweist aber nur , daß die Psychegeschichte
im Zeitalter der Alexandriner bearbeitet, nicht, daß sie frei erfunden
ist. Dagegen spricht doch der Umstand , daß nach Weglassung
leicht abtrennbaren Beiwerks ein erbaulicher Inhalt übrig bleibt,
der sich überdies in wichtigen Punkten , namentlich in der Ver-
wendung der Gestalten von Eros und Psyche , und in der Höllen-
und Himmelfahrt dieser, mit nachweisbaren Mysterienvorstellungen
berührt. — Die in seiner Antrittsrede angedeutete Ansicht, daß
Psyche eine Göttin orientalischer, religiöser Spekulation war, führt
Reitzenstein, Sitzungsber. Heidelb. AW, 1917, X aus, indem
f-r manichäische , mandäische und gnostische Schriften sowie die
y.oo^onoiia vergleicht. In dem persischen Mythos finden wir
{ 1^8 f.) nichts von Eros , nichts von der geheimen Ehe oder dem
Mordversuch gegen den Gott oder der Wanderung nach der Unter-
welt und dem Lebenswasser. Aber in einem orientalischen Märchen
wird Psyche dem Herrscher der Unterwelt zum Praß ausgesetzt,
und diesem werden von den Manichäern ein Schlangenleib und
Vogelflügel gegeben. Auch von dem Zauberpalast bei Apuleius
will Reitzenstein in einem Leidener Papyrus und in einem der
Bruchstücke aus Turfan Spuren gefunden haben. Es werden dann
weitere Psychedarstellungen mitgeteilt oder besprochen , u. a. ein
von Visconti herausgegebener heidnischer Sarkophag , der durch
eine Stelle der Turfanischen Handschriften erklärt wird (98 fif.).
Nach Reitzenstein hat sich ein iranischer Schöpfungsmythos, in
welchem eine Göttin „Seele" vorkam, unter persischer Herrschaft
allmähhch durch Vorderasien verbreitet, bei seiner Verbindung
mit andern Traditionen verschiedenartig umgebildet und so aus-
gestaltet, daß der dualistische Grundcharakter mehr und mehr ver-
dunkelt wurde. Diese Hinweise verdienen gewiß ernbte Beachtung,
aber selbst wenn die durch eine im einzelnen nicht immer unan-
fechtbare Ausdeutung gewonnenen Kombinationen alle genauerer
Prüfung standhalten , beweisen sie nicht die an sich allerdings
keineswegs unwahrscheinliche Behauptung, daß die dem Märchen
zugrunde liegende Anschauung im Zeitalter des Hellenismus inner-
Psychemärchep. Wundererzählungen. Alexanderroman. 313
halb der orientalischen Mystik entstanden sei. Gerade das, worin
sich diese jüngere Mystik von der älteren, für griechische Mysterien
zu erschließenden unterscheidet, die Verallgemeinerung der Psyche
2ur Weltseele und ihre Erhebung zur kosmischen Potenz findet
sich im Märchen nicht , das verständlich ist , wenn in der ihm
zugrunde liegende Legende die Erlösung der Einzelseele beschrieben
war. Selbst wenn, was Reitzenstein annimmt, was aber m. E.
zweifelhaft ist, Psyche ursprünglich Göttin war, beweist dies nicht
den jüngeren Ursprung des vorausgesetzten Mythos, denn schon die
altgriechische und altorientalische Eschatologie gibt der in die
Unterwelt hinab und dann zu den Göttern emporsteigenden Seele
eine Gottheit als mythisches Prototyp, die zwar nicht nachweisbar
„Seele" genannt wird, aber doch leicht so heißen konnte. Andrer-
seits darf freilich auch aus dem Fehlen einer Spur von diesen
jüngeren Vorstellungen in dem Märchen nicht gefolgert werden,
daß dieses notwendig nur an ältere und älteste Vorstellungen an-
gelehnt sei ; es ist glaubHch , daß bei der Umwandelung in ein
hellenistisches Märchen die abstrusen Vorstellungen , welche die
Mandäer und wahrscheinlich schon Vorgänger von ihnen mit der
Göttin Seele verbanden, wieder ausgeschaltet wurden. — Reitzen-
steins Vermutung bekämpft v. d. Leyen, Bayr. Hefte f. Volksk. ,
I, 1914, 58 ff., der in dem Psychemärchen nur ein Gebilde frei
schaltender Phantasie findet.
Für die übrigen Romane kann auf Münschers Bericht o.
{CIL. 1911} verwiesen werden, insbesondere für die Apollonios-
biographien (auf S. Ulf.')., für Menippos als Quelle der im
Hades spielenden Dialoge Lukians {auf S. 57 ff.) , für Reitzen-
stein, Hellenist. Wundererzählungen, Leipz. 1906 {auf S. 6 ff.).
Die auch für Mythologen wichtige Überlieferung des Alexander-
romans {196 ff.) untersucht gründlich A. Ausfeld, Der griechische
^\lexanderroman. Nach des Vfs. Tode herausgegeben von W. Kroll,
Leipz. 1907. Diese Erzählung ist nach Ausfeld kein Volksbuch,
sondern aus verschiedenen literarischen Quellen zusammengearbeitet.
Den Kern bildet ein unter Ptolemäus V. nach schlechten Quellen
und mit willkürlichen Änderungen verfaßtes Geschichtswerk. Später,
namentlich im 2. Jh. n. Chr., wurden nach anderen geschichtlichen
oder novellistischen Quellen Zusätze gemacht, die sich öfters durch
Widersprüche mit dem Grundtext verraten. Dieser Bearbeitung
sollen am nächsten stehen der Pariser Codex A des Pseudo-Kalli-
sthenes und die Übersetzung des luhus Valerius. — Alexanders
Zug nach der Lebensquelle war, wie Friedländer, Arch. f. Reli-
314 Ilomane. Fhilosophisohes.
giousw. XIII, lylu, 1(51 ti". nachweisen will, dem Brief au Olympias
bei Ps.-Kallistlienes ursprünglich fremd und mußte stark zugestutzt
werden, damit er in ihm Aufnahme finden konnte. Die Geschichte
sollte zeigen, daß die Unsterblichkeit dem Menschen nicht bloß
unerreichbar, sondern auch nicht einmal begehrenswert sei. Ent-
fernter sind nach Friedläuder die Berührungen mit der babylonischen
Legende, in der die Lebeusc|uelle ganz fehlt, doch können einzelne
Züge der Volksüberlieferung wie auf Gilgamesch so auch auf
Alexander übergegangen sein. Im Koran, der aus mündlicher
christlicher Tradition schöpft, ist Alexander mit Moses verwechselt
und der Lebensquell durch „die Vereinigung der beiden Meere"
(später auf die ISuezenge bezogen ; ursprünglich Straße von Gibral-
tar?) ersetzt. — Alexanders Koch Andreas steUt Brunnhofer,
Arische Urzeit, Bern 1909, 2-tO zu Indra (Andra), Friedländer,
Ai'ch. f. Eeligionsw. XIII, 1910, 161 ff. sieht in der Episode wieder
eine Nachbildung der Glaukossage. — Über Olympias vgl. Wein-
reich. Der Trug des Nektanebos, Berhu 1911, der das Motiv bis
in die neuere Dichtung verfolgt. Nachträge bieten u. a. Hilka,
Festschr. der Schles. Ges. f. Volbsk. (-- Mitt. XIII/XIV) 188 ff.,
vgl. dazu Mitt. XVI, 1914, 80 ff. ; Preisendanz, Hess. Bl. f.
Volksk. XI, 1912, 218 ff.; Weinreich, Phüol. LXXII, 1913, 517 ff.
Philosophen.
H. Schmidt, Veteres philosophi quomodo iudicaverint de
precibus (ßV u. V IV I), Gießen 1907 handelt nicht nur von den
Lehien der Philosophen, sondern auch von manchen Dichtern,
X. ß. (4 ff.) von Euripides , der philosophische Bildung besessen
habe (26 ff.) , von Persius (28 ff.) , luvenal und den Stoikern , mit
denen manche Äußerungen von Horaz verglichen werden. Bei dem
geringen Umfang der ganzen Arbeit bleibt für die eigentlichen
Philosophen nur wenig Raum übrig , auf dem das Thema nicht
erschöpft, sondern nur durch einzelne Bemerkungen gestreift werden
konnte. — Über James Adam, The Religious Teachers of
Greece, Edinburg 1908 s. o. iß. 32). A. Dies, Le cyclo mystique
de la divinite , Origine et fin des existences individuelles dans
la Philosophie antesocratique (Collect, histor. des grands philoa.),
Paris 1909, wül zeigen, daß der Gedanke von der Gottheit als
dem Anfangs- und Endpunkt alles Einzelseins wie am Ende so
auch am Anfang der griechischen Mystik vorherrschte und (25 ff.)
keimhaft in der ältesten griechischen ßehgion gegeben war.
Dieser Keim wird (33) gefunden: 1) in der Allgemeinheit und
lleligion und Philosophie. 315
Unbestimmtheit dei- unpersönlichen vorhomerischen Götter, welche
die Vorstellung von ihrer Verwandlungsfähigkeit erleichterte und
den Gedanken, daß das Göttliche sich in die verschiedenen einzelneu
Wesen wandele, annehmbarer erscheinen ließ, als wenn die Gottheit
ein einzelnes bestimmtes Wesen gewesen wäre; 2) in der Vor-
stellung von schädlichen Einwirkungen , die durch Reinigung und
Sühnungen zu beseitigen seien ; 3) in den ßiten, die eine Erfüllung
mit der Gottheit bezweckten. Neben der mystischen Vorstellung
von Gott als dem Ziel und Ausgangspunkt alles Einzelseins soll
aber bei den Vorsokratikern die rationalistische oder eigentlich
philosophische Auffassung bestanden haben , nach der Gott mehr
Prinzip und Bestimmung als Anfang und Ende des Einzelseins war.
Nachdem diese Sätze allgemein hingestellt sind, sucht Dies an den
Orphikern und Pythagoreern (47 ff) , an den loniern, Eleaten und
den Atomisten (62 ff.) und an Empedokles (83 ff.) die einzelnen
Formulierungen dieser Lehre zu erweisen. In einem Schlußkapitel
werden die Folgerungen gezogen. Sofern der Standpunkt, von dem
aus Dies die griechische Philosophie betrachtet, nicht als der einzig
richtige und auch nicht als wichtigste angesehen wird, sind seine
Darlegungen dankenswert; aber ganz neu sind diese nicht, vielmehr
ist vieles gelegentlich und in anderem Zusammenhang schon von
andern , namentlich deutschen Forschern hervorgehoben worden,
deren Gedanken Dies richtig wiedergibt; wo er, den Andeutungen
von J. Harrison folgend, die älteste griechische Religion zu re-
konstruieren versucht, verliert er sich ins Bodenlose.
Das nach dem Tode des Verfassers erschienene Werk Otto
Gilberts, Griechische Religionsphilosophie, Leipzig 1911, führt
die Entwickelung der religiösen Gedanken bei den griechischen Philo-
sophen bis auf Epikureer und Stoiker durch. Während er in der
„Griechischen Götterlehre" <o. CXXXVIl, 1908, Suppl. 89) sich
auf einen jetzt überwundenen Standpunkt stellt, vertritt dieses
letzte Werk, an das der Verfasser gründlicher vorbereitet heran-
getreten ist, Ansichten, die sich allmähHch durchzusetzen scheinen.
Er behauptet, daß die griechische Philosophie von Anfang an mit
der Religion in Verbindung gestanden und diesen Zusammenhang nie
vollständig verloren habe. Gegenüber der früheren, unter dem nach-
wirkenden Einfluß Hegels stehenden Betrachtungsweise, nach der
die Entwickelung der griechischen Philosophie in der Hauptsache
nur Begriffsentwickelung gewesen war, gewährt Güberts Standpunkt
einen weiteren Ausblick — freilich nicht einen so weiten, als es
zunächst wohl scheint. Denn er, der schon in seiner Götterlehre
31t) Religion und Philosophie.
wie so viele natursymbolische Mythendeuter bei der Mythenbildimg
dem Erkenntnistrieb eine übertriebene Bedeutung beimaß , hat be-
in-eiflicherweise bei den vorgeschrittenen Stadien der griechischen
Entwickelung noch viel weniger Veranlassung, auf die immer
schwächer werdenden Spuren und Nachwirkungen des wirklich
religiösen Lebens zu achten. Was er verficht , ist bis zu einem
gewissen Grade nicht der religiöse Charakter der griechischen
Philosophie, sondern der philosophische der gi-iechischen Religion.
Weil er sich nicht vollständig von der früheren Betrachtungsweise
frei macht, gelangt er nicht dazu, seine eigenen Gedanken folge-
richtijr zu Ende zu denken. Andrerseits besaß aber Gilbert auch
nicht so^•iel methodische Klarheit, um sich vor Übertreibungen zu
hüten, seine Ansichten klar zu formulieren und zu begründen; er
bietet viele Angriffspunkte , hat nur einzelne überzeugt und wird
daher, wenn einmal die Grundgedanken, auf das richtige Maß zurück-
geführt , Anerkennung gefunden haben , kaum als ein besonders
starker Streiter für die gute Sache betrachtet werden. Und doch
enthält sein Buch, allerdings mehr gefühlt als gedacht, Ansichten,
die auf den ersten Blick aller Wahrscheinlichkeit widersprechen
und sich doch bei eindringender Betrachtung als richtig oder
wenigstens einen richtigen Kern enthaltend herausstellen.
Dazu gehört z. B. die Meinung, daß sich die Spekulationen der
milesischen Physiker nicht wesentlich von denen unterschieden,
die in den Theogonien und in orphischen Liedern niedergelegt
waren. Vergleicht man die bei den Doxographen erhaltenen Bruch-
stücke mit den erhaltenen Theogonien und Kosmogonien, so kann
man sich zunächst kaum einen größeren Abstand denken 5 erst
nach und nach stellt sich heraus, daß der Unterschied weniger die
Gedanken als die Ansdrucksform betrifft und daß auch Aristoteles
und andere, welche die Theologen, die m3'thisch redenden Dichter
usw. den Philosophen entgegenstellen, hauptsächlich diesen Unter-
schied der Darstellungsweise ins Auge fassen. Und selbst in diesem
Punkte unterscheiden sich beide vielleicht nicht unbedingt. Wie
noch Piaton neben der logischen die m^-thische Darlegung eines
Gedankens nicht verschmäht, können auch die ionischen Natur-
philosophen, von denen ja Herakleitos, dessen Sprache am besten
bekannt ist, zahlreiche mythische Einzelausdrücke verwendet, auch
größere Mythen erzählt haben, die in der mehr die Gedanken ins
Auge fassenden Doxographie nicht mehr hervortreten. Andrerseits
darf man sich auch von den griechischen Theogonien nicht ein
Bild nur nach der erhaltenen Hesiods bilden, dessen M3'then zwar
Religion und Philosophie. 3^7
auch philosophische Gedanken enthalten, aber sehr verschiedenai-tige,
miteinander nicht in Einklang stehende. Folgt daraus auch nicht,
daß vorher ein griechischer Dichter ein philosophisches System in
zusammenhängender, mythischer Einldeidung vorgetragen habe , so
wäre es doch irreführend, würde aus diesem die Überlieferung
sammelnden Werk geschlossen, daß die griechischen theogonischen
Dichtungen von Haus aus so verworren waren , wie sie hier er-
scheinen. — Wie Gilbert, glaubt auch Fr. Macdonald Corn-
ford, From Religion to Philosophy, A Study in the Origins of
Western Speculation, London 1912. daß die griechische Philosophie
von der Religion ausgegangen und mit rehgiösen Ideen erfüllt «ge-
wesen sei ; weil er aber die Anfänge der Reb'gion an anderer Stelle
als Gilbert, nämlich bei dem Gruppenbewußtsein sucht, das sich
gesteigert als Gruppengeist und später als Gott projiziere, und
weil er, %vie das jetzt in England und Frankreich mehr als in
Deutschland üblich ist, die ältesten griechischen Vorstellungen aus
denen heutiger Wilden erschließt, mxxß er im einzelnen zu andern
Ergebnissen gelangen aJs Gilbert. In der q^ioig der lonier lebt
Mana fort (125), d. h. die geheimnisvolle Wunderkraft, welche die
Melanesier manchen Gegenständen zuerkennen; weil Mana der
Stoff ist, aus dem bei höherer Entwickelung Menschen gebildet
werden, lehren Thaies (134) die Göttlichkeit des Wassers und
seine Belebung durch Dämonen, Anaximandros die GöttHchkeit und
Unvergänglichkeit seines aneigov. Der Grundsatz der Hylozoisten,
daß Wirkungen nur zwischen Gleichem möglich seien , wird von
dem vorausgesetzten Glauben primitiver Völker an einen sympathe-
tischen Zusammenhang gewisser Dinge abgeleitet (132 f.; 140).
Die Beseitigung der anthropomorphen Götter durch Xenophanes
soH nur den alten , nie ganz überwundenen präreligiösen Zustand
wiederhergestellt haben (177; vgl. 89). Selbst der Materiahsmus
Demokrits wird S. 123 aus der Fortbildung religiöser Ansichten
erklärt, da jeder, der die Gottheit nicht in der Xatur wohnen
lasse , das Leben auf mechanische Bewegung zurückfuhren müsse.
Dagegen suchten die Mystiker — außer den Orphikem besonders
die Eleaten, Pythagoras und Herakleitos — das Göttliche in der
Natur und hielten an der ursprünglichen Vorstellung der Einheit
von Mensch und Xattir fest (161 ff.). Die orphische und pytha-
goreische Mystik soll sich an Dionysosmysterien entwickelt haben,
Herakleitos zu der noch älteren Vorstellung einer allgemeinen
Lebenssubstanz zurückkehren. Obwohl nicht ohne Geist geschrieben
und im einzelnen beachtenswerte Anregungen bietend, wird auch
318 Religion und Philosophie.
dies Werk außerbelb der Kreise , die schon vorher von ähnlichen
Auffassungen ausgingen, nicht viele überzeugt haben.
Von einzelnen für die Religionsgeschichte wichtigen antiken
Schriften rückt A. Delatte, Kev. phil. XXXIV, 1910, 175 ff.
den Ieqos Xoyog des ^Ptjthagoras'' bis in die Mitte des 5. Jhs.
hinauf. Die Pythagoreer sollen damals vielleicht noch eine große
in Enthusiasmus glühende, in Askese schwelgende Gemeinde gebildet
haben. Daß alle Bruchstücke derselben Redaktion entstammen, ist
nach Delatte nicht notwendig. — Über den Mythos des Aristophanes
in Piatons av^noaiov vom androgynen Urmenschen s. K. Ziegler,
Neue Jahrb. XVI, 1913, 529 ff., der darin eine (in Wahrheit sehr
entfernte) Ähnlichkeit mit Empedokles und Anaximandros findet
und diese damit begründet, daß eine altorphische Kosmognie allen
drei Theorien zugrunde liege. — C. Pascal, Riv. di fil. XXXIV,
1906, 241 sucht die Angabe, daß Epilcur Verehrung der Götter
forderte , als richtig zu erweisen und mit der sonstigen Welt-
auffassung des Philosophen zu vereinigen. Vgl. auch R. Philipp -
son, Zur epikureischen Götterlehre, Herm. LI, 1916, 568 ff. —
Eine dem „Klemensroman" und auch seinem Exzerpt, den Homilien,
zugrunde liegende jüdische Schrift, in der ein zum Judentum be-
kehrter Grieche gegen stoische und epikureische Mythendeutung
mit Apion, Athenodor und Anubion disputierte, erschließt fHeinze,
Klemensroman (Texte und Unters. XL, 2), Leipz. 1904, 42 ff. —
Das erste Buch der für die epikureische Theologie wichtigen Schrift
Philo de ms neQi &ei7jv gibt mit einer von dem Rever. Cohen
angefertigten Durchzeichnung der Hayterschen Disegni H. Diels,
Abh. BAW 1915, hist.-ph. Kl. VII heraus. Es waren sehr zahl-
reiche Ergänzungen nötig, von denen der Herausgeber selbst viele
der Form nach für zweifelhaft erklärt und die im allgemeinen nur den
Sinn verständlich machen sollen. Der wichtigste Teil der Schrift
(bei Diels II C und D) steht am Ende : er handelt von den Lehren,
durch welche die Todes- und Götterfurcht zu bekämpfen ist, und
über die ^a/MQia C^)a^ d. h. die epikureischen Götter. Verfaßt
ist die Schrift nach Diels S. 100 Ende 44 v. Chr.
Die allegorische Mythendeutung , die innerhalb der
philosophischen Literatur des Altertums z. B. eine eigene Gattung bildet,
ist in der Berichtsperiode vielfach behandelt worden. *Anne Bates
H e r 8 m a n , Studies in Greek Allegorical Interpretation, Diss. Chicago
1906, gibt nach dem Bericht von Nestle Berl. Phil. Wochenschr.
XX Vn, 1907, 1391 im kleineren ersten Teil eine Übersicht über die
antike Mviihendeutung und bespricht dann ausführlich die Stellung,
Philosophische Mythendeutung, 31 9
file Plutarch namentlich in seiner Schrift über Isis und Osiri»
gegenüber der Religion und dem Göttermythos einnimmt. —
F. Wipprecht, Zur Entwickelung der rationalistischen Mythen-
deutung bei den Griechen II, Progr. Donaueschingen, Tübingen 1908»
die Fortsetzung der 0. {CXXXVII, 1908, Suppl S9T) besprochenen
Abhandlung, wird hier erwähnt, damit die Arbeiten über die griechische
Auslegung der Mythen zusammenstehen ; der Verfasser gelangt
aber auch hier noch nicht bis zur systematischen Mythenauslegung
der Stoiker und anderer Philosophen, sondern verweilt hauptsächlich
bei den Geschichtschreibern des 5. und 4. Jh. sowie bei dea
Dichtern der mittleren Komödie. — Eine umfassende Darlegung
der griechischen Mythendeutung gibt C. Reinhardt, De Grae-
corum theologia, Berlin 1910. Er unterscheidet zwei Klassen, von
denen die eine , am reinsten bei Eustathios , vereinzelt auch im
Vergilkommentar des Probus und bei Sextus Empiricus , sehr ge-
trübt dagegen bei Herakleitos und in Pseudoplutarchs Schrift von
Homers Leben und Dichten vorliegende auf Krates' von Mallos
acpaiQOTioiia zurückgeführt wird, die nach Reinhardt hauptsächlich
dem Nachweis gewidmet war, daß Homer die Kugelgestalt der
Erde kannte, wogegen die andere, am reinsten in Porphyrs Homer-
erklärungen, aus PorphjT (nicht wie Reitzenstein meinte, aus einem
römischen Autor, auch nicht aus lamblichos, wie Wissowa glaubte)
auch bei Macrob. Sat. I, 17 ff., minder deutlich aus Kornutos zu
erkennende , auf Apollodors großes Werk Tiegi d^eiov zurückgehen
soll, das die Götter nicht den Naturerscheinungen selbst, sondern
den sich in ihnen äußernden Kräften gleichgesetzt und demnach
auch die Mj^hen nicht allegorisch gedeutet, vielmehr aus den Riten
und den Kultbeinamen die Entstehung der einzelnen Gottes-
vorstellungen und schließlich die letzten Ursachen des mensch-
lichen Gottesbewußtseins zu erklären versucht habe. Reinhardt
glaubt (114), daß ApoUodor nicht nur das Höchste leistet, was der
antiken Theologie überhaupt zu leisten bestimmt war, sondern da&
er bereits wie die moderne Religionsphüosophie nach Gesetzen
forschte, aus denen sich die geheimnisvollen Wurzeln alles Gottes-
glaubens in der menschlichen Seele erklären lassen. Vgl. dagegen
Berl. Wochenschr. XXXI, 1911, 478 f. — K. M eis er, Sitzungs-
ber. Ba AW 1911 hist.-ph. Kl. VII gibt (3 ff.) eine „Würdigung
der *0;UJ^ptxa nQoßliq^ata^ und dann S. 13 ff. Beiträge „zur Kritik
und Erklärung einzener Stellen", darunter auch Berichtigungen zu
der kurz vorher erschienenen Ausgabe , welche die Mitglieder des
Bonner Philologischen Seminars Buecheler zum 70. Geburtstag ge-
320 Kornutus. Poseidonios. Plutarch.
widmet hatten. — Br. Schmidt, De Cornuti theologiae Graecorum
compendio capita duo , Hall. Diss. 1912 verwirft, abgesehen von
einzelnen kleinen Zusätzen, m. ß. Langes Annahme, daß die Schrift
durch Interpolation entstellt sei, und bekämpft (21 ff.) mit beachtens-
werten Gründen auch Reinhardt, der in ihr einen durch Exzerpte
nus verschiedenen Schriften erweiterten Auszug aus einem echten
Werk des Kornutos nachweisen wollte. Vielmehr rührt nach
Schmidt das ganze Werk von Persius' Lehrer Kornutos her, der
hauptsächlich aus ApoUodor schöpfte (44 ff.) 5 daneben sollen ein
stoisches Werk, aus dem die Poseidonioszitate stammen (91), femer
ein vielleicht auf Krates zurückgehender Hesiodkommentar (96),
auch ein mythologisches Handbuch, ähnlich dem von Diodor be-
nutzten (97), herangezogen und auch einige eigene Einfälle (98 ff.)
hinzugefügt sein. Woher die mit Aristoxenos tibereinstimmende
Ableitung von x^'^Q^j X^og und xtf^wv stammt, wird unentschieden
gelassen.
Daß die religionsgeschichtliche Bedeutung des Poseidonios
ein Menschenalter hindurch überschätzt worden ist und daß ihm
nicht alles zugeschrieben werden darf, was lange auf ihn zurück-
geführt wurde, wird allmählich erkannt, wie an verschiedenen Stellen
dieses Berichtes bemerkt ist. Volkmann. Jahresber. der schles.
Ges. für Vaterland. Kult. Breslau 1908 weist darauf hin, daß der
Syrer keineswegs die alleinige Quelle von Cicero Somnium Seipionis
gewesen sein müsse.
Plutarch. J. J. Hartmann De Avondzon des Heiden-
doms, het Leven en weerken van den wijze van Chaeronea, Leiden
1910, 2 Bde., 'gibt im zweiten Band Erklärungen und z. T. Über-
setzungen von einzelnen Plutarchischen Schriften, z.B. 157 ff. von
De Iside et Osiride, 300 ff. von Ad versus Colotem, 317 ff. von
Non posse suaviter vivi secundum Epicurum, 397 ff. von De sera
numinis vindicta. — Von den einzelnen Schriften ist in der Berichts-
periode wieder die über Isis am eingehendsten bebandelt worden.
Ein Schüler von E. Schwartz und Sethe, P. Frisch, will
in der Göttinger Dissertation De compositione Hbri Plutarchei qui
inscribitur Ttegl 'laidog /.al 'OaiQiöog 1907 nachweisen, daß
Plutarch von einem Schriftsteller abhänge, der (c. 41) sich schon
auf stoische Mythendeutung berief und aus verschiedenen Erklärungen
des äg}-p tischen Mythos eine neue herzustellen suchte. — Scott
Moncrieff, Joum. HeU. Stud. XXIX, 1909, 79 ff. hält es für
nötig, zu betonen, daß darin nur die ägyptische Religion der
hellenistischen Zeit beschrieben sein kann. — F,ine gründliche, auch
Religion und Philosophie. Labeo. 321
auf andere Teile von Plutarchs Schrift Rücksicht nehmende Erklärung
von De Iside c. 28 f., bietet Parmentier, ßecherches sur le
traite d'Isis et d'Osiris de Plutarque (Mem. publ. par la Classe des
lettres et des sc. mor. et polit. et la Classe des beaux-arta de
TAc. de Belg. I ser. XI) Brüssel 1913. Die Vergleichung einiger
Handschriften hat nichts Wesentliches zur Verbesserung des sehr
verwahrlosten Textes beigetragen. — Verbesserungsvorschlüge gil)t
B. Michael, L4i^T]ra XXIV, 1913, 321 £f. zu dieser Schrift wie
ebd. 371 ff. zu den Pythischen Dialogen.
Der lange Streit um den merkwürdigen, von Macrobius, Lydus
und Servius zitierten , auch von einigen Kirchenvätern benutzten
Antiquar und Philosophen Cornelius Labeo scheint in der
Berichtsperiode entschieden zu sein , und zwar in einem Sinne,
welcher der ersten Lösung des Rätsels entgegengesetzt ist. Zuerst
versuchte nämlich Niggetiet, De Cornelio Labeone, Diss. Münster
1908 auf Grund des Arnobius, der, wie er meint, den Labeo, ohne
ihn zu nennen, bekämpft, diesen als Neoplatoniker zu erweisen, der
von Porphyr und sogar von lamblichos abhänge. Diese Ansicht
fand zwar Zustimmung bei P. Wendland, Berl. Phil. Wochenschr.
XXX, 1910, 39, aber dagegen machte Br. Boehm, Da Cornelii
Labeonis aetate, Diss. Königsb. 1913 geltend, daß bei Macrob.
I, 16, 29 in einem wahrscheinlich auf Sueton zurückgehenden Ab-
schnitt Labeo zitiert wird, und folgerte daraus und aus dem Fehlen
neoplatonischer Elemente in den sicheren Bruchstücken Labeos,
daß dieser nicht ein Neoplatoniker aus der Wende des o./4. Jhs.,
sondern (S. 78) ein Stoiker des 1. Jhs. gewesen sei. Die Erwähnung
Traians (Macr. I, 23, 14) stammt nach Boehm nicht aus Labeo,
sondern wie der vorhergehende Abschnitt über Heliopolis (ebd.
§ 10 f.) aus lamblichos. Schon Labeo soll aber wissenschaftliche
Theokrasie betrieben, und zwar die Gottheiten, worin ihm die
Neoplatoniker folgten, für Sonnengötter erklärt haben. Dies geschah,
wie Boehm glaubt, in einem besonderen Werk, das ein Neoplato-
niker mit einem ähnlichen des lamblichos zusammengearbeitet habe.
Ob Arnobius, der gegen Labeo schreibt, diesen noch selbst las,
hält Boehm für zweifelhaft. Labeos Bedeutung war groß, aber wir
kennen (S. 79) nicht einmal seine Heimat. — Diese Ansichten sind
ziemlich allgemein gebilligt worden •, B o u s s e t , Arch. f. Religionswiss.
XVIII, 1915, 139 hält den Nachweis für überzeugend, und in der
Tat wiegt in diesem Fall das Argumentum ex silentio sehr schwer. —
Nicht m. R. scheint mir W. A. Baehrens, Hermes LH, 1917, 39
das Porphyrzitat bei Serv. VE, V, 66 auf Labeo zurückzuführen
Jahrosbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplcmentl)an(l). 21
322 ApoUonios von Tyana. Hermetische Literatur.
und überhaupt die große Übereinstimmung zwischen Porph^ r und
Labeo aus der Benutzung jenes durch diesen zu erklären , den er
— zweifelnd — sogar für die unmittelbai'e Quelle für Macrob.
T. 17 ff. hält.
M. Wundt, Apoll 0 71. von Tyana, Prophetie und Mythen-
•bilduug. Zeitschr. f. wisseusch. Theol. XLVIIII, 1906, 309 ff., sucht
ApoUonios von dem Verdacht der Täuschung zu befreien ; da er
sich frei von den Fesseln irdischen Daseins fühlte, sollen ihm seine
Gedanken göttliche Offenbarungen gewesen sein.
Für die neueren Schriften über die hermetische Literatur
kann im allgemeinen auf W. Kroll E,. E. VIII, 793 ff. verwiesen
werden , nur einige für die Religionsgeschicbte wichtige und dort
nur kurz behandelte Punkte sowie auf die seitdem erschienenen
Arbeiten muß hier eingegangen werden. Das Gebet am Schluß des
Poimandres ist in den Berl. Klass. Text. VI von C. Schmidt
und W. Schubart als liturgisches Stück herausgegeben und von
E. Reitzenstein und P. Wendland GGN, 1910, 325 (vgl.
ßeitzenstein GGA, 1911, 550) erklärt worden. Vgl. Dibelius,
Isisweihe bei Apul., Sitz.Ber. Heidelb. AW, 1917, 49 <o. 306). Nach
Reitzenstein GGA, 1911, 564 müssen die Gebete umgelaufen und im
Einzelgebrauch üblich gewesen sein wie der an verschiedenen
Stellen der Zauberpapyri wiederkehrende Hermesh}Tnnos (Arch. f.
Papyrusf. II, 208 ff.). — Eigenartige Ansichten über die Entstehung
der in den hermetischen Schriften niedergelegten Lehren äußert
Zielinski, Arch. f. Religionswiss. IX, 1906, 25 ff. in der Fort-
.setzung der o. {CXXXVII 1908 Sifppl. 226 ff ) besprochenen
Untersuchung. Er trennt die niedere hermetische Lehre, den ganzen
magischen Spuk, der vielleicht z. T. ägyptisch ist (60), von der
höheren, die, abgesehen von Äußerlichkeiten, wie den Namen Ammon,
Tat, Jsis, Horos gar nichts Ägyptisches enthalte. Den Keim aller
hermetischen Vorstellungen sucht Zielinski in Arkadien, indem er
aus Plat. Kqäx. 24 S. 408 c eine altarkadische Kosmogonie er-
schließt, nach welcher Pan- Logos, Sohn des Hermes-Nus war. Tu
Wahrheit zeigt schon der Ausdruck Xöyog Vi Xöyov tJog, daß Piaton
in freiem Spiel diesen Mythos erst durch willkürliche und nicht
ganz ernst zu nehmende Umdeutung zu einem kosmogonischen ge-
macht hat. Diese vermeintliche arkadische Kosmogonie und eine
aus der Odysseussage erschlossene arkadische Eschatologie (48 ff.)
sollen nun zunächst nach Kreta, dann wie Odysseus nach Kyrene ver-
pflanzt und dort Ausgangspunkt der Hermetik geworden sein, womit
der Titel Kvoaviöeg einiger naturwissenschaftlicher, dem Hermes
Hermetische Literatur. ;}23
beigelegter Schriften verglichen wird (51). Hier trat (56 ff.) neben
die dualistische Kosmogonie eine pantheistische. Diese stammt
aus Boiotien, das, wie Zielinski mit Studuiczka annimmt , in alten
Beziehungen zu Kyrene stand. Im dortigen öffentlichen Kult ist
Hermes durch Apollon ersetzt, aber in den geheimen Lehren der
hermetischen Literatur hat er seine Stelle behauptet (51). Wie
die Straßburger Kosmogonie zeigt, die eine Mittelstellung zwischen
der „arkadischen" Kosmogonie und dem Poimandres einnimmt
(30 ff.) , war dieser Hermes ethisch-politisch ; er sollte z. B. die
erste Stadt gegründet haben. Der Kyrenaier Theophrast verwob
in seinem „Hermes^ die hermetisch kosmogonische Bedeutung des
Gottes mit der allgemein mythischen (52 f.). Von Kyrene aus ge-
langte der Hermes Logos nach Alexandreia , aber auf dem Wege
dorthin erweiterte sich seine Bedeutung; man faßte ihn meta-
physisch (55). Stufenweis verflüchtigten sich die mit ihm im
Mythos verbundenen Gestalten zu Begi'iffen, bis aus der arkadischen
Göttertrias Zeus , Hermes , Pan (dem Vater des Pelasgos oder
Asklepios) Nus, Nus Demiurgos und Logos avd^Qwnog (56) werden.
In Alexandreia soll der k^u^enaiische Asklepios durch Tat ersetzt
sein. — Jos. Kroll, Die Lehren des Hermes Trismegistos (Beitr.
z, Gesch. des Mittelalters XII Heft 2 — 4) Münster 1914 gibt nach
seinem Lehrer W. Kroll eine ausführliche Darstellung der Lehre
des Hermes Trismegistos , die er — wie wenigstens bis zu einem
gewissen Grade auch W. Kroll R.-E. VIII, 804. 35 ff. — als
einheitlich faßt. Gegen Reitzenstein macht J. Kroll mit Recht
geltend, daß der ägyptische Einfluß nicht allzu stark angenommen
werden dürfe ; er denkt — schwerlich m. R. — an Poseidonios
als Urheber der Grundgedanken dieser Literatur. — Bousset
GGA CLXXVI, 1914, S. 693 unterscheidet innerhalb dieser zwei
Richtungen. Die Grundstimmung der einen ist pessimistisch: die
erste Quelle alles Übels ist die EifiaQinivrj , eine Macht der Bos-
heit. Deshalb müssen auch der gesamte ihi- unterstellte Kosmos
(716) , die Gestirne und die ihnen untergebenen Dämonen (723)
schlecht sein; aber darüber, jenseits der Planetenwelt und der
ei^ttQf^evr] wohnt die höchste Gottheit, und die wenigen vom Nus
erleuchteten svoeßelg-, die Auserwählten, sind von der Macht der
Heimarmene frei (725). Diese seiner Ansicht nach ungriechische
Anschauungsweise nennt Bousset „hellenistische Gnosis". Die
Ahnlichikeit mit der christlichen Gnosis findet er (713) z. B. darin,
daß der Demiurg als minderwertig unter den höchsten Gott ge-
stellt wird , und in dem unstoischen Gegensatz von utIq {nvsvfia)
21*
324 Hermetische Literatur. Philo. Neuplatoniker.
und (flog (^(t»'/)- t-ier t>ich nicht einmal in den sonst den Henuetika
nahestehenden Oracula Chaldaea , sondern nur bei (Hippol. bei
Duuck. - Schneidew. 14G, 681) den Naassenern und anderen
Gnostikem finde. Auch führen nach Bousset 730 f. die Hermetika
eschatologische Gedanken aus, die christlich gnostischen Elreisen in
der ersten Hälfte des 2. Jhs. bekannt waren, t— Auf dem Stand-
punkt E,eitzeusteins , der an den ägA'ptischen Ursprung vieler
hermetischer Lehren glaubt, stellt sich L. Troje, Adam und Zw»;',
eine Szene der altchristlichen Kunst in ihrem religionsgeschichtlichen
Zusammenhang, Sitz.Ber. Heidelb. AW 191G, XVII, bes. S. 89 fif.,
nach dessen Ansicht eine frühchristliche Sekte durch die Ver-
mittelung der hermetischen Mystik aus ägyptischen Lehren den
mystischen Begriff des Lebens übernommen und ihn auf Eva, die
Mutter alles Lebendigen, übertragen hat. So wird ein Freskobild
in der christlichen Xekropole von El Baganät am Rand der großen
Oase erkläi't, das Eva Zcoij nennt. — Nach Reitzenstein ebd.
1917, X, 43 f. wurde die xoaju o; rot /a wahrscheinlich dem Asonakes
(Plin. n. h. XXX 4, wo der Name in verschiedenen Entstellungen
überliefert ist), dem „Wissenden", einem Lehrer des Hermippos zu-
geschrieben; der Name ist in dem Papyrus zu ylllON entstellt.
Phil OS Verhältnis zu Poseidonios untersucht M. Apelt, De
rationibus quibusdam quae Philoni Alexandrino cum Posidonio
intercedunt (Comm. Phil. Ten. VIII, 1907, 93 ff.) mit dem Ergebnis,
daß die mystischen Neigungen des Poseidonios, die immerhin durch
seine reiche Gelehrsamkeit in Schranken gehalten werden, bei Philo
infolge der hebräischen Überlieferung so in Aberglauben ausarten,
daß er kaum noch ein Philosoph genannt werden kann.
Über die Lehre von den Astralseelen bei den Neu-
j)J atoniJiern spricht de Jong, Act. du IV Congr. internat.
d'hist. des relig. S, !28ff. Der Ausdruck doigoeiöeg findet sich von
der Seele erst bei Damaskios (Suid. avyoBid^g • • . i'xsi xi ipvxtj
aiyoeidig o'/j^uct ?.Ey6fjevov, aoTQoeidig zt vml aidiov usw.), aber
schon bei Plotin und Porphyr will de Jong Spuren dieser Vor-
stellung nachweisen. Die Neuplatoniker bezeichnen nach ihm den
Höhepunkt der griechichen Philosophie. — Ein Schüler Deubners,
W. Bertemann, versucht in seiner Dissertation De lamblichi
vitae Pj-thagoricae fontibus , Königsberg 1913, von Rohdes Ver-
mutung ausgehend, daß lamblichos unmittelbar aus Nikomachos und
Apollonios schöpfe , den Nachweis , daß diese beiden viel aus Ti-
maios genommen haben, auf den daher, wie schon Kothe , De Ti-
Julian. — Attische Kulte. 325
maei Taaromenitae vita et scriptis 1874 erkannt hatte, ein großer
Teil von lamblichos' Schrift zurückgehe.
Die beiden religionsphilosophischen Reden JuJians sind von
G. Man, (Die Religionsphilosophie Kaiser Julians in seinen Reden
auf König Helios und die Göttermutter. Mit einer Übersetzung
der beiden Reden, Leipzig 1908), und R. Asmus, Kaiser Julians
philosophische Werke, übersetzt und erklärt (Philos. Bibl. CXVI
Leipz. 1908) gründlich behandelt Avorden. Die Untersuchungen
unterscheiden sich darin, daß A'on Asmus mehr Schriften des
Kaisers übertragen werden , während Mau zwar nur die beiden
Götterreden übersetzt , dafür aber Julians Philosophie im ganzen
nnd auch sein Verhältnis zu Plotin , Porphyr und lamblichos dar-
stellt. Julians System ist, wie Mau 119 auseinandersetzt, in
Wahrheit eine Religion, „aber es ist eine Religion auf ein philo-
sophisches System aufgebaut und philosophisch gestützt". „Julian
nennt sich selbst einen Diener des Königs Helios ; und die Wahr-
scheinlichkeit, daß der Kaiser in die M)-sterien dieses Gottes ein-
geweiht war, ist groß." In der Tat kann diese Auffassung Julians
nicht mehr bezweifelt werden : auch Asmus, der in der Wochenschr.
f. klass. Phil. 1908, 684 Einzelheiten in dem Werke seines Rivalen
beanstandet hat, urteilt im wesentlichen nicht anders. Vgl. über
diese Untersuchungen o. {Bd. CIL, 1911, 138 f.), zu Maus Schrift
auch Wright, Class. pbil. IV, 1909, 87 ff-, der sehr ungünstig über
Julian urteilt. — Über Geffckens Kaiser Julianus s. o. {S. 83)-
VI. Lokalkulte und Mytlien.
Attika.
Die unter R. Foersters Leitung entstandene Untersuchung
von W. Scheuer, De lunone Attica, Diss. , Breslau 1914, be-
handelt nicht nur die Stellung Heras in der attischen Religion,
sondern auch die gemeingriechischen Überlieferungen, soweit sie von
attischen Schriftstellern oder bildenden Künstlern behandelt sind.
Da diese die Vorstellungen, die sich die Athener der Blütezeit von
der Götterkönigin machten, bezeugen und z. T. gebildet haben, ist
auch ihre Betrachtung lehrreich ; aber da sie vorzugsweise fremden
Dichtungen und Werken der bildenden Kunst folgen , verliert das
Bild der altattischen Religion dadurch, daß auch sie als Zeugen
befragt werden , an Deutlichkeit. Der Kult der Göttin ist nach
Scheuer in Attika verhältnismäßig jung, jünger z. B. als der De-
326 Attische Kulte.
meters, seine Einführung — wahrscheinlich aus der Peloponnes —
ftllt aber doch noch in die vorgeschichtliche Zeit. Neben Athena
hat Hera in Attika nie besondere Verehrung genossen , sie hat
nicht einmal Dione als Gemahlin des Zeus zu verdrängen vermocht.
Im 5. Jh„ als der Gegensatz zur Peloponnes deutlicher hervortrat,
verlor die attische Hera noch mehr an Bedeutung. Das wichtigste
athenische Herafest waren nach Scheuer die ^soycif^ua, auch leQog
yafiog genannt, deren Feier er auf den 24. Gamelion setzt; ver-
schieden von ilinen waren die beiden Riten , die mit dem Namen
yauipua bezeichnet wurden und von denen die eine von den jungen
Eheleuten, die andere von Ephebeu und Jungfrauen am Apaturien-
fest bei der Vorstellung in der Phratrie begangen wairde. —
Fr. Kutsch, Attische Heilheroen (RV u. V, XII 3), 1913 be-
handelt den Heros latros , Aristomachos . AmjTios , Asklepios und
den Amphiaraos, der um 420 von Knopia nach Oropos verpflanzt
sein soU (S. 44 ff.). Den größten Teü des Heftes (S. 48—135)
füllen der Abdruck der Inschriften und ein Verzeichnis der Skulp-
turen. — Nach Wellmaun, Herrn. XLV, 1910, 554 gab Pherekyde.s
von Leros die älteste attische Königsliste: 1) Kekrops, 2) Erech-
theus, 3) Pandion, 4) Aigeus, 5) Theseus. Amelesagoras führte
im 5. (nicht im 4. Jh.) Erichthonios als Nachfolger von Kekrops
ein : er zuerst behandelte die Erichthonioslegende ; HeUanikos er-
weiterte die Liste so : 1) Kekrops, 2) Erichthonios, 3) Pandion I.,
4) Erechtheus, 5) Pandion II., 6) Aigeus und Nisos, 7) Theseus,
8) Menestheus, 9) Demophon. Am Ende des 4. Jhs. soll die neue
attische Liste mit Kranaos , Amphiktj^on und Kekrops II., ent-
standen sein.
E in z eine attische Gemeinden. Athen: Burg.
Petersen, Die Burgtempel der Athena, Berlin 1907, glaubt mit
Michaelis, daß es neben dem „alten" Tempel Dörpfelds, dem Heka-
tompedon, einen noch älteren nördlich von ihm gegeben habe, der
ungefähr auf der Stelle des späteren Erechtheion lag, sein Adyton
aber nicht unter der Poliascella, sondern im Pandroseion der Bau-
urkunden hatte (18). Den zwei Tempeln entsprechen nach Petersen
(40) zwei schon von Jahn angenommene Kultbilder, ein Sitzbild
und ein bewaffnetes stehendes. — Den „ürtempel" Petersens be-
streitet G. Koerte, GGA 1908, 837. In dem Hekatompedon,
dessen Verunreinigung nach seiner Ergänzung und Auslegung der
Inschrift vom Jahre 485/4 verboten wird, sieht er nicht Dörpfelds
.alten" Tempel, der mindestens 72 cm länger als 100 attische Fuß
gewesen sein müsse , sondern einen heiligen Bezirk nördlich von
Heiligtümer der Akropolis. 327
ihm, der in naclimykenischer Zeit, aber doch seLr früh geweiht
wurde. Die unter dem Erechtheion gefundenen Baureste weist er
Schatzhäusern zu, die sich, wie aus den oly.tf.iata tu iv toi 'Exaco^-
Tcidoi der Inschrift geschlossen wird , in dem riftevog erhoben.
Hom. Od. 1] 80, wo Petersen öofiog als Tem])el gefaßt hatte , und
II. B 54:6 ff. werden in die Peisistrateische Zeit gesetzt und auf
den alten Tempel bezogen, der im Anfang des 6. Jhs. -südlich vom
Hekatompedon errichtet und von Peisistratos umgebaut wurde,
seine Westcella war für den bildlosen Kult des Erechtheus, Poseidon
und Hephaistos bestimmt, die Ostcella nahm das öi07ceTeg ^oavor
auf, ein äußerst rohes , kaum menschenähnliches , stehendes Holz-
bild, das unter der Bekleidung und dem abnehmbaren Goldschmuck
fast ganz verschwand. Daß es daneben noch ein sitzendes Kult-
bild der Göttin auf der Burg gegeben habe , darf nach Koerte aus
den Vbb. und Terrakotten nicht gefolgert werden , da diese nicht
notwendig Kultbilder wiedergeben. Herod. VIII 55 beweist seiner
Ansicht nach nicht, daß es einen vrpg ^EgE^d^tog bereits im Jahr
480 gab, da der Geschichtschreiber von seiner Zeit sprechen könne
und wahrscheinlich die Grundmauern des späteren Erechtheions
bereits gesehen habe. Der Parthenon sollte nach Koerte nicht den
„alten" Tempel ersetzen, für den vielmehr später das Erechtheion
eintrat, sondern das alte räfitvog, dessen Größe es daher nachahmte
und dessen Name auf ihn überging. — Den „TJrtempel" an Stelle
des späteren Erechtheion lehnen auch G. N i c o 1 e , Le vieux temple
d'Athena sur l'acropole, Genf 1908 und Frickenhaus, Ath.
Mitt. XXXIII, 1908, 25, der namentlich auch das zweite Kultbild
bestreitet, ab. — Die andern zahlreichen auf die Burgtempel be-
züglichen Untersuchungen sind mehr baugeschichtlich wichtig als
religionsgeschichtlich 5 gelöst sind die hier angedeuteten Probleme
m. E. noch nicht. Von Petersens Gründen haben sich zwar
mehrere als nicht stichhaltig erwiesen, aber Herod. VIII 55
spricht nicht von einem eben angefangenen Tempel des Erechtheus,
sondern , da eine entgegenstehende Angabe fehlt , so , daß der
Leser den Tempel als bereits zur Zeit des Persereinfalls be-
stehend annehmen muß. ^Egsxd-^og nv/uvo^ d6f.iog, wohin sich
Athena Od. r] 81 zurückzieht, war, wie jetzt wohl allgemein zu-
gestanden wird, ein Tempel, der auch der Athena heilig war, aber
das gilt auch vom Erechtheion ; soll Erechtheus hier nur als Erbauer
bezeichnet sein, so muß er von Athenas tiUov vrjog, in dem der
kleine Erechtheus aufwächst, verschieden gewesen sein, meinte aber
der Dichter , daß Erechtheus hier einen Kult hatte , so befremdet,
328 Heiligtümer der Akropolis.
daß er den Tempel nicht nach der Göttin , sondern nach einem
neben ihr stehenden Heros nennt. Ist dies auch nicht geradezu
entscheidend, so erregt es doch zusammen mit dem Zeugnis Herodots
Zweifel an der Annahme nur eines einzigen alten Burgtempels. —
Über den iiltesten Kult des Zeus und der Ge, für die später wahr-
scheinlich Dione eingetreten sein soll , vgl. die Vermutungen von
Cook, Class. Rev. XX, 1906, 370 f.
Die Ahllänge der Burg. Vollgraff, Mnemos. XXXVI,
1908, 211 f. meint, daß Limnal am Südabhang der Akropolis
beim alten Dionysosheüigtum lag, dagegen das Lenaion am Areopag
an der von Dörpfeld ausgegrabenen Stelle; vgl. o. {CXXXVII,
1908, JeS/f-y — Ber Tempel der Themis bei Paus. I 22, 1 ist
nach Robert, Pausanias als Schriftsteller 204 fif. gleich dem der
Aphrodite i(f 'l/tTioXvTf^) (die demnach von der Ilävdrjiitog , Paus.
I 22, 3 zu trennen ist) ; neben dieser stand, wie in Rhamnus und
Epidauros (Paus. II 27, 5) Themis. Der Tempel fiel nach Robert
dem Odeion des Herodes Atticus zum Opfer. — Dsls Eleusinion
sucht Bersakis, f(f. ctQX- 1912, 43 ff. auf der Südseite der Burg,
■wo es sich vom Tor des Eumenes ursprünglich westlich bis über das
Odeion hinaus erstreckt haben soll. Später fand hier Asklepios zuerst
Unterkunft: daher wurde später ein Teil vom Eleusinion zum Bau des
Asklepieion verwendet. — Über dieses vgl. Arabantinos ,^axXT;-
Ttibg y.al 'via/lrjcitla 25 ff. — Die Lage des Agraulion behandelt
Ch. Well er, Amer. Journ. Phil. XII, 1908, 68 f. Die Gattin des Basi-
leus, die sich im BuJcolcion mit Dionysos an den Anthesterien ver-
mählte, vertrat nach Pascal, Dioniso 99 ff. nicht eine Göttin, sondern
die athenische Gemeinde. Das Bukoleion setzt E. Petersen,
Rh. Mus. LXVni, 1913, 239 ff. dem Gutshof des Basileus gleich
und vermutet, daß es im Südosten der Akropolis, nahe dem älteren
Dionysostempel lag. Hier soll der Gutsherr mit seinen Knechten,
den ßovv.oXoL, gewaltet haben, während das daneben gelegene Frauen-
haus der Sitz der Basilinna und der 14 Ehrendamen war. Das
Ganze führte nach Petersen später den Namen Dionysion , der
ursprünglich vielleicht nur einen Teil bezeichnet.
Das übrige Athen. Über die Heiligtümer am Markt
s. Robert, Paus, als Schriftsteller 309 ff. und dagegen Robinson,
Amer. Journ. Phil. XXXI, 1910, 221 f. — Für das Wesen der
Meter ist nicht unwichtig die Feststellung Wilhelms, Beiträge
zur griech. Inschriftenkunde 230 ff., daß das athenische Archiv sich
seit alter Zeit, nicht erst, wie v. Wilamowitz glaubte, seit dem
■x. Jh. im Metroon befand und daß im Buleuterion nur Papyrus-
Athenische Heiligtümer. 329
Urkunden niedergelegt wurden (237). — Die Aphrodite ^yeuovij xoT
dtjfiov (JG II 5, Suppl. no. 1161 'i) ist nach Robert, Paus, als
Schriftsteller 338 f., die alte Ovgavia, die den neuen Kult des Demos
und der Charites aufsog, als diese bei ihrem Tempel (dem „Theseion" ?)
ein Heiligtum erhielten. — Frickenhaus, Ath. Mitt. XXXVI,
1911, 112 ff. bestreitet, daß das von Dörpfeld ausgegrabene Heilig-
tum zwischen Pnyx und Areopag , das des Dion^-sos tv yti(.ivaig
gewesen sei, das nach der Rede gegen Neaira (Demosth. LIX)
{5 76 nur am 12. Anthesterion geöffnet wurde, während die Kelter
der von Dörpfeld gefundenen Kultstätte dem Gebrauch diente.
Diese hält Frickenhaus vielmehr für das Herakleion h MeIltTj^
das kein Tempel, sondern nur ein Heroon nach Art der von Paus,
II 7, 2 beschriebenen sikyonischen Gräber, d. h. ein sich auf einem
stufenförmigen Unterbau erhebender, von 4 Säulen getragener Bau
irewesen sei, wie ihn Reliefs und Vasenbilder des 5. und 4. Jhs. oft-
mals und zwar einmal mit der Aufschrift '//^a/cAiog ^^Xe^iKaxOf
d. h. eben mit der Epiklesis darstellen, die Herakles in Melite
hatte. — William Scott Ferguson, The Athenian Pythais,.
Klio IX, 1909, 304 ff. sucht die Unregelmäßigkeiten in der Sen-
dung der Pythais zu erklären , die sich bei Colins Ansätzen er-
geben. — Das Heiligtum der Demeter und Köre in Agrai muß
nach Roden waldt, Ath. Mitt. XXXVII, 1912, 148 wegen des
Berliner „Wäschereliefs" (ca. 350 v. Chr.) in nächster Nähe der
Kalirroe , wahrscheinlich an der Stelle der heutigen Kirche Hagia
Photini gelegen haben ; es hieß auch Metroon und diente für die
kleinen Mysterien. Ebendort hatte (141 ff.) Pan ein Heüigtum im
Gebiete der gleich ihm mit dem Marathonsiege verknüpften Artemis
.AyqoxtQa- — Neun wahrscheinlich aus dem Nymphaion am Ke-
phisos stammende Inschriften, darunter eine, die zahlreiche Götter
wie Hestia, Kephisos, ApoUon IIvd^Log. Artemis uioxia, Ileithyia,
Acheloos, Kallirroe , Geraistai Nymphai Genethliai , Rhapso nennt,
veröffentlicht Stais, E(p, aqx- 1909, 239 ff. — Über den Kolonos
Hippios spricht ausführlich Svoronos, Ath. Nation. -Mus.
I 386 ff. Hervorgehoben werden die eigentümlichen Beziehungen
zum Areopag; wie schon v. Wilamowitz , Aus Kydath. 103 vom
Oidipusgrab vermutet hatte, nimmt Svoronos auch von den übrigen
übereinstimmenden Heüigtümem an, daß sie unter den Peisistratiden
vom Areshügel nach dem Kolonos übertragen wurden. — Über den
Thorikischen Stein , die eherne Schwelle , den Birnbaum und die
Theseussage vom Kolonos s. Arch. f. Religionswiss. XV, 1912,
359 ff. — Ein xdofxa auf dem Kolonos bestreitet Robert, Oidip.,
330 Kolonos Hippios. Eleuais.
Berliu 1915, I 29. Ebd. 25 ff. wird x^ovog r/^ffJe x«^w/tdviOi'^ oöog
igeiGfi' '^4V^t]V(Zp bei Soph. OK 57 f. auf den ganzen Kolonos mit
seinen Erzschätzen (s. Seh. z. d. St.), wegen deren auch Prometheus
\ind später Hephaistos dort einen Kult gehabt habe, bezogen ; dieser
soll als „Schwelle von Athen'", als „Bollwerk des Landes" be-
zeichnet worden sein. Dagegen denkt E-obert I 582 bei dem
■AaTaQQd/.iijg odög (ebd. 1590) an eine einzelne abschüssige Stelle
an dem süd- oder nordöstlichen Teil des Kolonos , die auf der im
Nordwesten des Hügels angenommenen Bühne nicht sichtbar war.
Der Poseidonaltar und folglich auch die Akademie lagen nach
Robert da, wo sie vor Svoronos immer angesetzt wurden, südlich
oder südwestlich vom Kolonos, sonst hätten Polyneikes und Theseus,
äIs er mit seinem Heer zurückkehrt, die Orchestra passieren müssen.
Den Namen von Elcusis bringt fde Saussure, Melanges
Nicole 1905, S. 509 zweifelnd mit aXiio in Verbindung, deutet also
Eleusis als .,Mühlberg", was, wenn es richtig wäre, auch religions-
geschichtlich wichtig sein würde. — Ebd. S. 531 handelt f Tsuntas
über die Opferstöcke und die von ihnen zu unterscheidenden eigent-
lichen (yi^oacQoi von Eleusis. — fPringsheim, Archäologische
Beiträge zur Geschichte des eleusinischen Kults, Bonner Diss. 1905
bespricht im ersten Kapitel die Mysterientracht : Hierophanten und
Daduchen trugen ein langes, gesticktes Armeigewand , oiol^i]^ das
dem Theaterkostüm zwar ähnlich war, aber ihm weder nachgebildet
ist , noch als Vorbild gedient hat , sondern einfach die Festtracht
der peisistrateischen Periode war, die sich auf der Bühne und bei den
Mysterienpriestern erhalten hat. Die Mysten wai-en bis 168 n. Chr.,
wo Herodes Atticus durch eine Stiftung weiße Festtracht einführte,
meist schwarz gekleidet und kennzeichneten sich durcli einen
Myrtenzweig (14). Im zweiten Kapitel wird die Einweihung
fiurjOig (39 ff.) , die früher meistens und auch jetzt noch bisweilen
mit der Weihe verwechselt wird, mit Recht sowohl von den großen
wie von den kleinen Mysterien getrennt; sie war nicht an einen
einzigen Ort und an eine bestimmte Zeit gebunden , konnte viel-
mehr sowohl in Eleusis wie in Athen jederzeit stattfinden. Prings-
heim hebt zwar 28 ff. ihre Ähnlichkeit mit den Hochzeitsgebräuchen
hervor und vermehrt die Zahl der Zeugnisse, welche die Ehe-
.schließung als fivaii'giov oder x(,'Kexi] bezeichnen , faßt aber trotz-
dem die [uvr^aig als Adoption und leitet sie (41, 4) von der Zeit
her, da der eleusinische Kult noch ganz Geschlechtskult war. Das
folgende Kapitel handelt über die Prozession und die Cista mystica,
in der er (52) mit Ammonios einen geflochtenen Korb erblickt.
Eleusis. 331
wälirend die Holzkiste Äißcorog heiße. Kunstwerke lassen öfters
Demeter, nie Persephone, auf der „Kiste" sitzen. In ihr wurden
(57), wie schon Jahn vermutet hatte, die 'tegd des lakchoszuges,
zu denen aber nicht , wie in Bakchoskulten , eine heilige Schlange
gehörte, von y.iaTOcpoQOi getragen; ist das richtig, so ist die „Kiste"
wohl eingeführt worden, als Athen den eleusinischen Kult über-
nahm und den von der Landeshauptstadt ausgehenden lakchoszug
einführte ; so erklärt sich die Nichterwähnung der Kiste im home-
rischen Hj-mnos. Den eleusinischen Kalathos bezweifelt Pringsheim
49-, Klem. Alex, ttqotq. II 21, S. 18 P. wird von alexandrinischen
Eleusinien gesprochen haben, für die Kallim. h. VI 3 den Kalathos
bezeugt: dann muß freilich auch Ov. M. V 393 eine hier von der
eleusinischen abweichende Fassung geben. Das vierte Kapitel,
„Mysterienchor" überschrieben, kommt auf die aytXaatog ntTQa,
die, wie Pringsheim {'oQ, 3) mit 0. Eubensohn annimmt, nicht ein
kleiner Stein gewesen sein kann, und auf die yjQxvoi des Schatz-
verzeichnisses vom Jahr 408/7 zu sprechen; die y.iQyvoi trennt
er (71) von den nur im Kybelekult verwendeten Mischgefäßen,
xtQVVj, die allerdings den von den Frauen in Eleusis auf dem
Kopf getragenen, nach Pringsheim brennendes ßäucherwerk ent-
haltenden Gefäßen ähnlich gewesen sein sollen. Im folgenden
Kapitel (S. 78 ff.) sucht der Vf. zu entscheiden, wann der auf
eleusinischen Darstellungen erscheinende fackeltragende Jüngling
lakchos und wann Eubuleus zu nennen sei. Er glaubt, daß der
Typus in Peisistrateischer Zeit für lakchos geschaffen, aber später
auf Eubuleus überti'agen wurde, der jedoch immer nur eine, nicht^
wie jener oft, zwei Fackeln trage. Den in der Nordwestecke des
Tempelbezirkes gefundenen schönen Kopf hält er mit Kern für
unpraxitelisch und bezeichnet ihn als Triptolemos (92 ff.). Das
sechste Kapitel (101 ff.) endlich enthält den Opferkalender. — Das
Jahr 1906 brachte eine Zusammenfassung der Ergebnisse früherer
Ausgrabungen durch deren vieljährigen Leiter Philios, EkEvoig,
MvGTiJQia , egeiTiLa /.al /.lovaelov airrjg, Athen , und im Frühling
dieses Jahres unternahm F. N o a c k eine genaue Aufnahme der
NiveUierungen in den verschiedenen Bauperioden des Heiligtums,
über die er in der Julisitzung der Berl. Archöol. Sitzung (Arch.
Anz. 1906, 264 ff., Berl. Phü. Wschr. XXVI, 1906, 1341 f.) be-
richtete. Auf der sich ziemlich scharf nach Osten senkenden Fläche
bestand hier schon im 2. Jahrtausend eine von einer „my kenischen "
Mauer abgestützte Opferstätte , die im Laufe der Zeit immer ver-
größert wurde , indem man die Stützmauer nach Osten vorschob ;
332 Eleusis.
bei jedem Neubau wurde der Grundplan des frühereu und auch
die alte Bezeichnung festgehalten ; der Vortragende glaubt nämlich,
daß in dem späteren Telesterion das alte Herrenhaus {(.liyaQOv^
cn'ä/.coQOi') und in dem Hofe, davor, den der Kultus verlaugte, die
homerische avhj sich erhalten habe. — Die Annahme, daß der eleusi-
nische Dieust in hellenistischer Zeit mit dem Isisdienst irgendwie
verknüpft gewesen sei, weist Rusch, De Serapide et Iside in
Graecia cultis, Berlin, Diss. 1906, 15 f. als auf der willkürlichen
Ausdeutung zweier Inschriften beruhend zurück. — P h i 1 i o s , iq^.
agx. 1906, 207 ff. versucht mit Hilfe des Bildes der Ninniou eine
d€utlichei-e Vorstellung von dem lakchoszug zu gewinnen.
In seiner ausführlichen Darstellung der eleusinischen Kulte ent-
hält Farn oll (Cults of Greek States III 120 ff.) sich zwar in den
einzelnen strittigen Punkten meist der Entscheidung, bekämpft aber
im allgemeinen Foucarts Meinung, daß der Hierophant magische
Formeln lehrte, durch die der Myste dem Tode entgehen könne (192),
und Frazers und Jevons' Theorie von einer sakralen Kommunion
(194 ff.), der gegenüber er behauptet, daß die Mysterien wohl die
Freundschaft mit der Gottheit, nicht aber eine Einigung mit dieser
versprachen. Nicht selten äußert er Zweifel auch hinsichtlich
solcher Angaben, die sich bisher allgemeiner Anerkennung erfreuten.
Aber solche Bedenken entspringen nicht immer schärferer Kritik
an den Zeugnissen, sondern bisweilen, wie die Unbestimmtheit der
gewählten Ausdrücke zeigt, nur dem Gefühl der Unsicherheit, das
der Vf. selbst empfindet, weil er fühlt, daß er weder die ganze
zur Entscheidung erforderliche Überlieferung noch die daran an-
knüpfende neuere Forschung überschaut. So trifft er denn auch,
wo er ein eigenes Urteil wagt, nicht selten daneben, z. B. wenn
er aus dem „Erechtheus" des Euripides folgert, daß Athen schon in
vorgeschichtlicher Zeit sich in den Besitz von Eleusis gesetzt habe,
und es für eine phantastische Ansicht einiger weniger Schriftsteller
erklärt, daß dieser Vorgang erst in solonischer oder peisistrateischer
Zeit eingetreten sei (154) oder wenn er annimmt (134 f.), daß der
homerische Hymnos Züge dem Thesmophorienritual entlehnt habe.
Den Angaben christlicher Schriftsteller über den Inhalt der öqvj-
jueva, die Foucart in den Recherches sur l'origina et la nature des
mysteres d'Eleusis und in den Grands mysteres d'El. {Jahrcshcr.
CXXXVJI, 1908, 247 f.) verwendet hatte, um ein Bild von den
m3-8ti8chen Begehungen zu entwerfen, zweifelt Farnell mit Lobeck
an, weil bei ihnen eleusinische und andere Mysterien vermischt
seier; das ist wohl z. T. richtig, aber da die Heiden schweigen
Eleusis. 333
müssen, sind diese christlichen Angaben die einzige Quelle, und es
kornndt darauf an, das Echte von dem Unechten zu sondern. Das
ist keineswegs unmöglich , da diese späten Zeugnisse nicht selten
den Schlüssel zum Verständnis, sonst unverständlicher Andeutungen
älterer Schriftsteller geben, und sich so beglaubigen. Es ist auch
grundsätzlich nicht zulässig, eine Angabe über eleusinische Riten
bloß deshalb zu verdächtigen, weil diese auch in andern Mj'sterien
bezeugt sind. Bei dem großen Einfluß von Eleusis ist vielmehr
zu erwarten, daß die dortigen Zeremonien in andern Geheimdiensten
nachgeahmt wurden. Sonst zeigt Farneil sich viel gläubiger. Ohne
Prüfung wird fast alles , was über Eleusis überliefert ist , auf die
Mysterien bezogen, zu deren Göttern er z, B. auch das von ihm
als Hades und Persephone gedeutete Paar des „Gottes" und der
^Göttin" rechnet, obwohl diese in der Überlieferung nichts mit
dem Geheimkult zu tun haben. Die Eleusinien setzt er (131 u.
öfter) den Mysterien gleich, ohne die in neuerer Zeit fast allgemein
gebilligte und mindestens in der Hauptsache richtige Annahme auch
nur zu erwähnen, daß jene ein nicht mystisches Agonalfest waren.
Gelegentlich wird (161) die Vermutung aufgenommen, daß der
Eleusinier Aischylos das tragische Kostüm den eleusinischen Priestern
entlehnte. — Viel weiter geht in dieser Beziehung A. Dieterich.
der im Arch. f. Religionswiss. XI, 1908, 163 die attische Tragödie
als aus den ÖQc6i.i€va von Eleusis hervorgegangen zu erweisen
versucht. In demselben Jahr veröffentlichten Cavaignac seine
Untersuchung , Le tresor sacre d'Eleusis und Ph. E h r m a n n
eine Abhandlung, De iuris sacri interpretibus Atticis (RV u. V
IV 3); dieser unterscheidet die i^rjyriTal tlZv Evf.ioX7itdiüv, die
von den alten Königen abstammten und die religiöse Tradition
fortpflanzten von den aus dem Geschlecht der Keryken hervor-
gegangenen l^rjyr^Tal fj^vGTrjQiiov. — Durch die Vergleichung
australischer, melanesischer und amerikanischer Begehungen, die
alle „Übergangsriten" sein sollen, glaubt A. van Gennep, Rites
de passage 126 ff. eleusinische Zeremonien, innerhalb deren er aber
die verschiedenen übereinander gelagerten Schichten nicht unter-
scheidet, zu erklären. — Nach S. Reinach, Cultes, mythes relig.
III 101 bestand das Mysterien dagegen ursprünglich in der ehe-
lichen Verbindung des Priesters und der Priesterin, die Zeus und
Demeter vertraten und durch die magische Sympathie ihrer Ver-
einigung die Fruchtbarkeit der Erde — symbolisch durch die Vor-
zeigung der abgeschnittenen Ähre (Hippel, ref. V 8 S. 162, 57
Du.- Sehn.) angedeutet — befördern sollten. Diesen otd^vg TS&eQia-
384 Eleusiö.
ftivog vergleicht aber ß. Engelmanu, Berl. Phil. Wocbenschr-
XXVIII, 1908, 361 mit einer Zeremonie der römischen Arvalbrtider,
deren Ritus mit den OUae , wie er glaubt, den eleusinischen nh]-
liioxöcti entspricht. — Über Denkmäler, die sich auf die Gott-
heiten von Eleusis beziehen, handelt Ducati, Rendi cont. RAL
Vxviii 1908, 375 ff. Der auf eleusinischen Denkmälern nicht seltene
6uq>al6g, auf dem z. B. auch die Frau des Kertscher Vasenbildes
mit der Einweihung des Herakles sitzen soll, ist nach Ducati ein
Abzeichen der Erdgöttin, die er auch in der O^ed des Lakrateidas-
reliefs erkennt und deren männlicher Partner, der ^eög, Zeus sein
soll. Die andere Seite der Kertscher Pelike stellt , wie er meint,
die Geburt des Dionysos-Iakchos dar, während er auf der rho-
dischen Hydria Plutos' Geburt erkennt. Bei diesem Vorgang sollen
N}Tnphen zugegen sein , die , geführt von Hermes , seiner Ansicht
nach zum eleusinischen Kult gehörten und in diesem bei der Götter-
geburt eine ähnliche Bedeutung hatten, wie die Kekropiden in Athen
bei der Geburt des Erichthonios (388 ff.). — Svoronos (zuletzt
in der deutschen Ausgabe des Athen. Nationalmuseums I 556) sieht
im eleusininischen &e6g Asklepios , in der Ssd Hygieia : aber der
epidaurische Sprachgebrauch dieser Wörter , die doch wenigstens
vorübergehend als Hauptgottheiten geltende Wesen bezeichnen
können, darf für Eleusis nicht maßgebend sein. — Die in den
Berliner Klassikertexten V', 1907, S. 7 ff • veröffentlichte Paraphrase
eines orphischen, angeblich von Musaios aufgezeichneten Gedichtes,
das, wie es scheint, ycäd^oöog betitelt war und Kores Raub ähnlich
wie Hom. ifiv. 5 , aber unter Einführung z. B. Baubos erzählte,
untersucht Malten, Arch. f. Religionswiss. XII, 1909, 417 ff. Er
führt den in einem Pa])yrus des 1. Jhs. v. Chr. überlieferten Be-
richt, der die Entführung und die Niederfahrt nach Eleusis verlegt
und die Stiftung des Kultus damit begi'ündet, daß Triptolemos der
Göttin die Stelle des Abstiegs zeigte , in der Hauptsache schließ-
lich auf ein orphisches Gedicht {s. o. 285) des 6. Jhs. zurück. —
In demselben Jahr erschienen in Halle als Beigabe zur Bekannt-
machung der akademischen Preisbewerbung vom Jahre 1908 0. Kerns
Eleusinische Beiträge , dessen erster Teil sich mit den ÖQiofxeva
beschäftigt. Wie Dieterich glaubt auch er, daß das attische Theater
durch sie beeinflußt sei , und zwar auch die Komödie , auf die
namentlich die yeqwQiOfÄol eingewirkt haben sollen (14). Teilweis
im Anschluß an Foucart sucht Kern die einzelnen Szenen der Auf-
führung festzustellen , wobei er sich im ganzen an Noacks Aus-
grabungsergebnisse hält und mit diesem sich eine Art Bühne in der
Eleusis. 335
Mitte des Telesterions denkt, aber es für möglich erachtet (6), daß
auch später noch einzelne dgcj/Lieva im Freien, nicht weit von der
Grotte vorgeführt wurden. Daß das vTralov die plötzliche Erhellung;
des großen Saales im Weihetempel ermöglichen sollte, glaubt er (7 )
mit 0. Rubensohn. Die Frage TertuUians Cur rapitur sacerdos Cereris,
si non tale Ceres passa est ? (nat. II 7) wird auf das Irren Demeters
bezogen (7). Apollodors Angabe bei Seh. Theokr. II 36 '^^rjvriai
Tov iEQOCfccvT)]v Ttjg '/.oQrjg i/rrKceXoviiievr^g t7Tr/.Q0VEiv xo Y.aXov(jevov
rjxBiov {s. u. S. 337) verbindet Kern 10 mit der Tj-mpanonschlägerin
auf dem Yasenbild von Kertsch und auf einer Capuaner Mysterien -
vase (Sacra conversazioue) , er meint, daß der Hierophant sich als
Lautenscblägerin vei-kleidete. Aus 2 Vasenbildem und aus Klem.
jiQOTQ. II 15 (vgl. seh. Plat. Foqy. 497 c) wird gefolgert, daß Aphrodite
in Eleusis vorkam, wie mir scheint, nicht mit Recht; mpQOÖioiOL Gvu-
jtXo'/iai ist nur ein dezenter Ausdruck für die geschlechtliche Ver-
einigung, und es ist nicht einmal ganz sicher, daß sich die Stelle in
Klemens' Quelle aiif Eleusis bezog. Richtig wird Plutos aus Hom. v^v.
\ V 488 füi' die Weihestätte erschlossen und auf ihn auch der BQi(.i6g
\ in dem von Hippolytos überlieferten Spruch bezogen (10). Der zweite
\ Teil der Arbeit (14 ff.) bespricht eine Reihe von Sigillatavasen aus
I römischer Zeit, die im ganzen übereinstimmend, aber mit Abweichungen
im einzelnen, auch in der Anordnung und Auswahl 15 Szenen aus dem
Dionysoskult darstellen, — In der Besprechung von Kerns Aufsatz
j versucht L. Ziehen, Berl. Phil. Wochenschr. XXX, 1910, 1073
' im Sinn Lobecks und Farnells den Wert der christlichen Angaben
über die dQcaf.ieva herabzusetzen. Die Aufführungen im Freien
möchte er auf die älteste Zeit beschränken. Daß ein Teil dieser
szenischen Darstellung auf Vasenbildern wiedergegeben werde , ist
ihm unwahrscheinlich und auch das Zeugnis des Hippolytos nicht
so einwandfrei, daß daraufhin Plutos' Geburt als ein Teil der
Mysterienaufführung angenommen werden könnte. — In demselben
Jahr versuchte Thom. Spencer Jerome, Am. Journ. Arch,
XIV 89 f. zu zeigen , daß die eleusinischen Mysterien die Seelen-
wanderung lehrten. — Mit Recht bestreitet Lawson, Modern
Greek Folklore 562 ff", diese Annahme ; er sieht in den Mysterien
nichts weiter als den von ihm den „Pelasgern" zugeschriebenen
Glauben an das Göttlichwerden des Menschen im Jenseits. In dem
neugriechischen Osterfest will er (572 ff.) Erinnerungen an das alte
Mysterion gefunden haben. — Pascal, Rendic. Reale Ist. Lomb.
IIxLUi, 1910, 124 ff. (vgl. Dioniso 193 ff.) glaubt aus Aristophanes'
ßa%qa%oi , der sich eng an den Kultus und die Lehre von Eleusia
336 Hou.sis.
aufgeschlossen haben soll, das Bild beider vervollständigen zu können :
er foli;ert z. B., daß die Glückseligen und Verdammten dargestellt
wurden, — Oikonomos, eqp. ccqx- 1910, 1 ff. veröffentlicht eine
zwei Jahre vorher auf der athenischen Agora entdeckte Inschrift,
welche in einigen Punkten von der schon früher bekannten In-
schrift des 5. Jhs. über die eleusinischen Aparchen (IG I. Suppl.
no. 27^ ff., 60 f.) abweicht und diese erläutert; vgl. A. EU er.
Bonner TJniv.-Progr. 1014; Bannier, Berl. Phil. Wochenschi'.
XXXV. 19^5, 1230, der daraus folgert, daß im 5. Jh. die jährliche
Zwangsabgabe nicht bestand, daß vielmehr nur der Hierophant und
der Daduch ohne rechtsverbindliche Kraft an den Mysterien die
Aufforderung au die Gemeinde richtete, die Aparche zu liefern. —
Ausführlich handelt über das Ritual und die Legenden von Eleusis
J. G. Frazer, Spirits of the Corn and of the Wild (Golden
. Bough Vi) 35 ff. Der homerische Hymnos drückt, wie er meint,
symbolisch dieselbe Vorstellung aus wie der von Hippolytos be-
zeugte Ritus mit der abgeschnittenen Ähre , denn Persephone ist
auch ihm ein Korngeist, ebenso wie Demeter. Ihr Gemahl Zeus
ist, wie er jetzt Ridgeway gegenüber zugibt, vielleicht nicht ein
ursprünglicher Bestandteil der eleusinischen Legende oder kann
wenigstens statt des Himmelsgottes Zeus, der unter den Kultgöttern
von Eleusis fehlt, den Unterweltsgott bedeuten. Die Eleusinien,
die im homerischen H3-mnos noch nicht erwähnt sein sollen (70 ;
vgl. dagegen v. 265 ff.), werden von ihm (77) wegen Seh. Pind.
^Ok. IX 150 als ein Erntefest gedeutet und schwerlich mit Recht
in den Mai gesetzt; den TcdiQiog dyiov bei Dittenberger , SIG^
587, 258 möchte er (74) als ein Wettmähen fassen , das , wie er
(71) meint, vielleicht den Ausgangspunkt der Spiele bildete. Daß
diese nicht , wie bei einem Erntefest zu erwarten wäre , jährlich
gefeiert wurden, erklärt er (79 ff.) aus der Sitte, Spielfeste in ennae-
terischen Zeiträumen zu wiederholen. — In demselben Jahr erschien
Foucarts Aufsatz, Les drames sacres d'Eleusis, Comptes rendus
AIBL 1912, 123 ff. Wie schon 1895 in den Untersuchungen über
Ursprung und Wesen der eleusinischen Mysterien hebt er neben
der Darstellung des Koreraubes als wichtigen Teil des Weihespiels '
die Ehe des Zeus mit Demeter hervor, die zu feiern den Mysten
zweiten Grades, wie er meint, vorbehalten war. Sehr mit Recht
wird betont, daß die Feier nicht erbauen sollte (130 ff.), obwohl
sie auf den Gläubigen eine derartige Wirkung hervorbrachte , daß
sie aber noch weniger als Darstellung des mythischen Vorgangs
betrachtet wurde, daß dieser vielmehr nach der Meinung der Ge-
Eleusis. 387
weiliten tatsächlich unedcrliolt wurde , weil der Segen , den man
sich von ihm versprach, nur als ein Jahr dauernd betrachtet wurde.
Zwischen den weit auseinanderstrebenden Ergebnissen Foucarts
und Frazers sucht Loisy, Rev. Hist. et litter. relig. n. s. IV,
1913, 193 fF. zu entscheiden; er neigt sich mehr auf die Seite seines
Landmanns, dessen Versuch, die Weihen aus Ägypten herzuleiten,
er jedoch nicht als gelungen erachtet. An dem ursprünglich agrari-
schen Charakter des Weihefestes hält auch er fest : die heilige Ehe
soll ursprünglich zwischen dem Vater und der Mutter des Kornes
vollzogen sein , die, wie er meint , nie ganz mit Himmel und Erde
ausgeglichen wurden. Daß die Mysterien auf die alten agrarischen
Riten damals aufgepfropft wurden, als Dionysos zu Demeter hinzu-
trat (224) , ist eine m. E. nicht glückliche Vermutung. Auch im
einzelnen scheinen mir Loisys Vorstellungen von den mystischen
ÖQCofXEva anfechtbar. Er hält nicht genügend auseinander die Ehe,
die der Myste bei der Einweihung mit der Todesgottheit eingeht,
und die Vermählung der beiden Gottheiten , die bei der Epopteia
vollzogen wird und aus welcher der Heiland hervorgeht. Mit Fou-
cart deutet er (209) die o. {S. 335} angeführten Worte Apollodors bei
Seh. Theokr. II 36 als le gong de Gore appelant au secours ; aber
wahrscheinlich ist das Partizip hier passivisch zu fassen , jedoch
nicht im Sinn Farnells (Das sogenannte Gong der mit Namen
angerufenen Köre), sondern als Genet. absolut, (der „Hierophant
schlägt das Echeion, während Persephone, die Todesgöttin, herauf-
beschworen wird"); und jedenfalls irrig ist Loisys Vermutung,
das Echeion habe „Hilferuf Kores" geheißen, weü das mystische
Drama mit dem Raub Kores begann. Aus Hippol.' {(fiXoo. V 8,
S. 162, 57) Worten Xtyovot . . .LdO^r^raloi . . . iv aico/ifj zei^eQia-
[xivov otdyvv liest er (215, 1) heraus; „die Athener nennen den
Attis (d. h. den mit ihm ausgeglichenen Heiland) die schweigend
abgeschnittene Ähre". Der Sinn ist vielmehr: die Naassener er-
kennen den av 9^ Q(x)7tog sowohl in dem yXoEQog ozdyvg der Phryger
wie in dem TEdsQtGfiarog ara%i"g, der, wie es scheint, mit den
Worten ibqov iTExe nözvia y.ovqov BQif-icu Bqi/uov vom Hierophanten
den Epopten gezeigt wird und den die Naassener dem 7iciqd xov
axccQayizrjQiazov q>coOTiJQ riXeiog fiiyag gleichstellen. — Die Mythen
von der thrakischen Herkunft des Eumolpos scheint Calderon,
Act. IV Congr. internat. d'hist. des relig. 127 als Beweis für den
thrakischen Ursprung der eleusinischen Weihen anzusehen , da er
mit diesen gewisse Feste der heutigen Slawen vergleicht, die er
für die nächsten Verwandten der alten Thraker hält. — Über die
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementbanrt). 22
338 Eleusis.
eleusinischen cpgeaca s. Cornford, Ess. and Studies preseut. to
Ridgewa}- 1913, S. 161 f., der unter Vergleichung der kölschen
Burinaquelle (Theokr. elö. VII 5) vermutet, daß einer der Brunnen
.iurch die ayeXaoiog nerga gedeckt war. — Paul Foucart fsdt
in dem großen Werk Les mysteres d'Eleusis , Paris 1914 in end-
gültiger, vielfach berichtigter Fassung seine früheren Untersuchungen
über Eleusis zusammen. Der erste Teil des Werkes, das der Vf. seinem
Sohn , dem Agj-ptologen George F. gewidmet hat , behandelt den
äg\-ptischen Ursprung der Mj^sterien. Um 1500 v. Chr. sollen ägyp-
tische Flüchtlinge in Argos ein Reich gegründet haben. Sie brachten
Getreide und Weinbau und deren Schutzgottheiten, Isis und Osiris,
mit, die in Griechenland unter den Namen Hera oder Demeter und
Dionysos verehrt und von Argos aus vor der ionischen Wanderung,
wie aus ihrem Auftreten in lonien geschlossen wird , nach Eleusis
übertragen wurden. Ihr Kult war nach Foucart ursprünglich rein
agrarisch; erst im. 7./6. Jh. sollen griechische Weise die eschato-
logischen Lehren der Ägypter auf ihren Reisen kennengelernt und
mit den urverwandten Vorstellungen des eleusinischen Kults ver-
bunden haben. Die Mythen und die aus ihnen geschöpften An-
gaben der alten Geschichtschreiber, auf die Foucart sich stützt,
sind wertlos. Ähnlichkeiten der ägyptischen und eleusinischen Vor-
stellungen bestehen zwar und nötigen zur Annahme eines gewissen
geschichtlichen Zusammenhangs, sie sind aber nicht größer als über-
haupt die der ältesten griechischen Kulte, zu denen Foucart mit Recht
den Kern der eleusinischen Gottesdienste rechnet, und der orienta-
lischen, auch der ägyptischen, und rechtfertigen daher die Annahme
einer über Argos gehenden besonderen ägyptischen oder ägyptische
Kultur mitbringenden Besiedelung von Eleusis nicht. — Im zweiten
Teil seines Buches spricht Foucart (141 ff.) über das eleusinische
Priestertum und (340 ff.) über die Orte, an denen der Kult stattfand ;
im dritten, wächtigsten über die Riten, die er in ÖQWueva, deiY.vv[.itva
und Keyä^^va einteilt. Wie schon früher hebt er mit Recht hervor
(355), daß die liturgischen Dramen älter sind als die Weihen. Er nimmt
ihrer zwei an , die er auf zwei Mysteriennächte verteilt : in der
des 21. Boedromion, bei der Einweihung (fivijOLg), die er, obwohl
schon Pringsheim die entgegenstehende Überlieferung hervorgehoben
hatte, zu den großen Mysterien rechnet, sollen Demeter und Köre,
in der folgenden Nacht, an deren Feier nur die Epoptai teilnahmen,
Demeter und Zeus im Mittelpunkt des Dramas gestanden haben.
Außerdem sahen aber die Epoptai nach Foucart 444 ff. die Leiden
und den Triumph des Dionysos, der an die Stelle des alten i^Eog
Eleusis. 339
getreten war, und als dessen Symbol der zed^egiafiivog ardyvg galt.
Im ganzen ist dieser Teil von Foucarts Werk wie der umfang-
reichste so auch der wichtigste ; zwar sind viele Einzelheiten zu
berichtigen , aber es bleibt das große Verdienst des französischen
Forschers , daß er nachdrücklich wieder auf die lange vernach-
lässigten Angaben der christlichen und spätheidnischen Schriftsteller
hingewiesen, als erster aus ihnen ein zusammenhängendes und der
Wahrheit schon ungefähr nahe kommendes Bild gewonnen und so
der bloß negativen Kritik Lobecks , dem er freilich weder in der
Beherrschung des Stoffes noch in der klaren Durchführung des
einmal als richtig erkannten Gedankens gleichkommt, den Boden
entzogen hat. Seine ägyptischen Lieblingstheorien, die sich wenigstens
in dem Umfang und in der Formulierung , die er ihnen gegeben
hat, nicht durchführen lassen, verleiten ihn wohl hier und da zu Miß-
deutungen, z. B. wenn er (311 f.) die Ausschließung der fftovi]v
ctOvvETOL im Anschluß an eine ägj-ptische Lehre daraus erklärt, daß
es beim Vortrag der heiligen Formeln nicht allein auf den richtigen
Wortlaut, sondern auch auf die richtige Modulation ankam; aber
im ganzen folgt er doch den Wegen , welche die Überlieferung
namentlich die Lobeck großenteils noch verschlossene epigraphische
weist. — Die ägyptischen Elemente der eleusinischen Dienste er-
kennt Haury, Das eleusische Fest ursprünglich identisch mit dem
Laubhüttenfest der Juden, München 1914, an, für die Vermittler
hält er aber Juden ; in einer Zeit , da sie sich in Agj^pten noch
nicht zum Monotheismus durchgerungen hatten, sollen sie sich zu-
nächst in der damals ionischen Peloponnes festgesetzt und das
Volk wie sich selbst in 12 Stämme geteilt haben. Sie wurden
zwar später von den Griechen aufgesogen, aber ihre Gedanken sollen
sich u. a. auch in den Mysterien von Eleusis erhalten haben, die
wie das Laubhüttenfest ein Erntedankfest waren, zur selben Zeit
wie dieses gefeiert wurden und gleich diesem die Erlösung von
dem Schauen der Gottheit herleiteten. Es gelingt dem Verfasser
neben manchem Irrtümlichen auch eine Reihe wirklicher Überein-
stimmungen vorzubringen, aber er würde schwerlich auf sie gebaut
haben, wenn er die weite Verbreitung dieser Vorstellungen inner-
halb der antiken Kultur gekannt hätte. — Gegen Foucarts Her-
leitung der eleusinischen Kulte aus Ägypten erhebt Patroni,
Atene e Roma XVII, 1914, 874 ff. Einspruch. — Mit Hufe der
„Basis von Sorrent" versucht Svoronos, Journ. intern, d'archeol.
numism. XVI, 1914, 160 ff. , neuen Aufschluß über die Kulte von
Eleusis zu gewinnen. Diese Basis soll die Demeter ^viyÜMOTog^
22*
340 Eleusis.
eiu Werk des Praxiteles für Megara (Paus. I 44, 2, wo Jt]iö oder
Jiotiü für udV/tLo zu schreiben sei), getragen haben, von dem sich
App. Claudius, Pompeius' Freund, mit dessen Hilfe eine Kopie ver-
schaö'te, die er dann au einen andern Freund des Pompeius, Vedius
Pollio , zur Aufstellung in der Grotte des navallvTro^ (vgl. den
Namen l4yt?MOTog) verkaufte. Auf der Basis sollen u. a. auch
Plutos (S. 178) und lambe (184) dargestellt gewesen sein. Das
allgemein für das Telesterion gehaltene Hauptgebäude am Ost-
abhauge des eleusinischen Burgberges hält Svoronos vielmehr für
einen Demetertempel. Das (fQtaQ FlaQ&eviov, Ka)J.iyooov mid^'^vO-iov
bezeichneten, wie er meint, denselbeu auf dem Wege nach Eleusis
belegenen Brunnen. — Nach Koerte, Arch. f. Religionswiss. XVIII,
1915, 116 ff. ist der von Brimo geborene Brimos der Myste , der
durch die Berührung der /.zeig der Erdmutter deren Kind geworden
sei. Daß sich der Geweihte als Sohn seiner Gottheit fühlt, ist
eine an sich nicht unwahrscheinliche und auch in andern Mysterien,
wie es scheint , begegnende Vorstellung , aber das Anfassen eines
in einem Korbe getragenen Abbildes der weiblichen Scham scheint
mir eher auf eine sjTnbolische Vermählung als auf eine Adoption
zu weisen. — Am 28. 11. 191G sprach der Schreiber dieser Zeilen
in der ßeligionswissenschaftlichen Vereinigung zu Berlin über die
eleusinischen Mysterien; vgl. DLZ 1917 49 f. Da die Verletzung
des die Weihen umgebenden Geheimnisses auf das strengste be-
straft wurde , sind deutliche Angaben über sie erst bei Christen
und erst in einer Zeit zu erwarten, als das Heidentum nicht mehr
imstande war, seine heiligsten Dienste zu schützen; was ältere
Schriftsteller über Eleusis, insbesondere über Kores Raub berichten,
kann sich überhaupt nicht auf die Geheimweihen beziehen. In-
dessen spielen sie doch öfters, den Eingeweihten verständlich, auf
diese an, und dadurch gewinnen die Angaben der Christen, welche
solchen versteckten Hinweisen Inhalt verleihen, wenigstens teilweis
den Wert unanfechtbarer Zeugnisse. Die Mysterienlaufbahn um-
schloß seit der Vereinigung von Eleusis und Athen drei Stufen.
Nach der Einweihung, die in Athen oder Eleusis stattfinden konnte
und an keines der Weihefeste gebunden war, und nach der Feier
der kleinen Mysterien in Agrai, die ursprünglich mit den eleusini-
schen Mysterien nichts zu tun hatte, aber als Vorbedingung für
die Aufnahme in diese gefordert wurde, damit das athenische Fest
durch das eleusinische nicht in Vergessenheit geriete, jedoch eben
dieser Bestimmung wegen als niedere Weihe galt, erreichten die
männlichen Mitglieder der Gemeinde den zweiten , ursprünglich
Eleusis. 341
ersten Grad der Weüie in der heiligen Nacht des Boedromion durch
das Sakrament der Vermählung mit der Todesgöttin , d. h. durch
einen symbolischen Tod. Das Symbol, durch das die Frauen sich
weihten, ist nicht bekannt. Drei Monat später fand das Haloeu-
fest statt, an dem die gewaltsame Ehe der Erdgöttin mit dem
Himmelsgott auf dreimal gewendeter aXiog., ursprünglich vermutlich
auch TQLmöXmog und daher später aXüjg TQiJtioXefiov genannt,
durch den Hierophanten und die Demeterpriesterin erneuert wurde.
Wahrscheinhch seit Pheidon, der sich der Kultstätte bemächtigt
zu haben scheint , wurde der Überwältiger der Göttin dem Zeus
und sie selbst der Demeter gleichgestellt ; ursprünglich führte aber
der Himmelsgott hier den wahrscheinlich vorgriechischen Namen
Poseidon, und der mystische Name der Erdgöttin ist bis ins späteste
Altertum Eleutho „Hervorbringerin" gewesen; nach ihr nannten die
Griechen die Kultstätte , die vorher Saisar(i)a (Hesych. s. v.) ge-
heißen hatte, Eleusis. Es hatte sich iirsprünglich um einen für zahl-
reiche andere griechische Kultstätten und auch für andere Länder
zu erschliel3 enden Zauber gehandelt , bei dem zum Schutze gegen
den gefähi-Iichsten Feind des griechischen Landbaus, die Dürre, der
Dämon des Regens und Segens ex'zeugt wurde. Die Vermählung
des Himmels mit der Erde dachte man sich im Blitz vollzogen-,
die Stelle , wo der Blitz in die Erde gefahren war , hieß Elysion,
Enelysion „Stätte des Gedeihens". Doch ist schon in vorgeschicht-
licher Zeit dieser Zauber zu einem regelmäßigen Fest ausgestaltet
und der erhoffte Segen auch auf das bessere Los im Jenseits, an
der ebenfalls Etysion genannten Stätte, bezogen worden. Neun
Monate nach der Zeugung des Segensdämons wui'de dessen Ge-
burt im Boedromion wahrscheinlich in derselben Nacht , in der in
einem früheren Jahr die Mysten sich mit der Todesgöttin vermählt
hatten, feierlich begangen. Diese höchste Weihe, die Epoptie, zu
der nur die Epopten , d. h. diejenigen zugelassen waren , die min-
destens ein Jahr , oft aber viele Jahre zuvor den ersten Grad der
Weihe erreicht hatten, wurde nach einem langen Umherirren in
der Finsternis wahrscheinlich vor der Höhle nordöstlich vom
Telesterion, nicht in diesem selbst begangen; die Höhle wurde er-
leuchtet, und der Hierophant verkündete die Geburt des Heilandes,
der an andern Stellen Plutos hieß und so oder Pluton auch in
Eleusis genannt werden konnte. Als später die Gemeinde auf dem
engen Raum vor der Höhle nicht mehr Platz fand und die Geburts-
feier verlegt wurde, erklärte man die Höhle für die Stätte, wo die
jetzt nach Eleusis verlegte Niederfahrt des Hades und der Köre
342 Eleusis.
stattgefunden habe, und so ging der Name Pluton auf den jetzt im
Plutonion verehrten Hades über. — Gegenüber den zuletzt erwähnten
Vermutungen verteidigte F. Noack in einem am 27. 2. 1917 in
derselben Gesellschaft gehaltenen Vortrag die ältere Ansicht, daß
das eigentliche Mysterien im Telesterion gefeiert sei, weil der kleine
Raum vor der Höhle für die Aufnahme der Mj'steriengemeinde
— abgesehen vielleicht von den frühesten Zeiten — nicht aus-
gereicht habe. Er ging dann anknüpfend an Dörpfelds Unter-
suchungen und SLW seine eigenen Aufnahmen und Vermessungs-
arbeiten (ß. 0. 33 f) auf die Gestalt des Weihetempels ein, der seiner
Ansicht nach , wie auch Gruppe angenommen hatte , nicht zwei
Stockwerke, sondern wenigstens in der Mitte nur zwei übereinander-
stehende Säulem-eihen und an den vier Seiten umlaufende Empore
gehabt hat. Den während des ganzen Altertums festgehaltenen
Grundtypus des Telesterions leitet Noack von dem Megaron, dem
alten Anaktenhaus, ab, auf das er auch die Bezeichnung Anaktoron
zurückfühi't. Daß es zu Schaustellungen diente, wird namentlich
aus den Stufen gefolgert. — In der sich an den Vortrag an-
schließenden lebhaften Debatte wurde allseitig die Schwierigkeit
zugegeben , die in der Beschränktheit des Raumes vor der Höhle
liegt und die zu der Annahme nötigen würde , daß nur ein sehr
kleiner Teil der großen Mysteriengemeinde die oberste Stufe der
"Weihe erreichte ; es wurde auch auf die von beiden Vortragenden
bereits angedeutete Möglichkeit hingewiesen , daß der Schauplatz
verlegt worden sei, als der Raum nicht mehr ausreichte. Zugleich
aber traten in der Erörterung die Schwierigkeiten hervor, die sich
der Benutzung des Weihetempels für die Epoptie entgegenstellten.
Erstens war der Raum mit seinen vielen dicken Säulen so ungeeignet
wie möglich für ein Ritual, bei dem alles darauf ankam, daß alle An-
wesenden den Akt sahen , dann ist in dem Festsaal kein Raum
für das mehrfach erwähnte Irren, das dem letzten Akte der Weihe
vorhergegangen sein muß ; endlich zeigen die Reste des Telesterions
keine Spur eines Raumes in der das ÖQOJfiEvov hätte stattfinden
können, es bliebe also nur die Annahme übrig, daß eine Art hölzerner
Bühne aufgeschlagen wurde, die in dem gewaltigen und nur mit
einem Ausgang versehenen Räume bei dem großen, vor der Geburt
des Segenskindes angezündeten Feuer die Brandgefahr auf das
äußerste gesteigert hätte. Als bedenklich wurde auch die Annahme
bezeichnet, daß die von der Mysterienstätte gebrauchten Ausdrücke
Mesaron und Anaktoron unmittelbar auf das Megaron der home-
rischen Anakten zurückgeführt werden können. Megaron bezeichnet
Eleusis. Boiotien. 343
im attischen Demeterkult , dessen Terminologie fiix- Eleusis zu-
nächst maßgebend sein muß , die Erdhöhle {vgl. 0. S. 109) , und
wird in diesem Sinn auch vom homerischen Hymnos 379 gebraucht ;
Anaktoron aber muß, da das Wort im Plural auch von den eleusi-
nischen uQa gesagt wird, etwa das „Hochheilige" bezeichnet
haben. Wenn also zwischen diesen Bezeichnungen und den home-
rischen ein Zusammenhang besteht , kann dieser nur etwa so an-
genommen werden, daß die Fürsten mit einem vielleicht vorgriechi-
schen Wort die „Heiligen", avaycTeg, und ihre Residenzen mit einem
Ausdruck genannt wurden, der vorher auch auf die Höhlenheilig
tümer angewendet war.
Boiotien.
Fast unbekannte boiotische Mythen behandeln die in den
Berliner Klass. -Texten Vji 19 ff. herausgegebenen Korinnafragmente,
darunter einen, der einen musischen Wettstreit zweier Riesen,
Helikon und Kithairon (S. 26 ff.), einen, der die Schicksale der
neun Asopostöchter (S. 30 ff.) und einen , der die Besitzer des
Ptoion (S. 33. 68) betrifft. — Den Helikon will R. Eisler,
Philol. LXVIII, 1909, 143 als Weltachsenberg erweisen. — Die
t an ag rauschen Kulte behandelt in Fortsetzung seiner unter
gleichem Titel erschienenen Jenaer Dissertation vom Jahre 1901
Buslepp, De Tanagraeorum sacris, Progr. Weimar 1908. Ge-
ordnet nach dem Alphabet der lateinischen Namen werden be-
sprochen die Dienste des Amphiaraos, Asopos, Atlas (und Orion),
der Caesares, der Demeter (und Persephone), Artemis, der großen
Götter, Dioskuren, des Eunostos, der Isis (und des Serapis), des Zeus,
der Athena, der Göttermutter (der Satyroi und der Nymphen), des
Narkissos, Poseidon, Poimandros (und Achilleus), der Themis, Aphro-
dite und der Hestia. Die Versuche, einzelne dieser Götter einem der
Volksstämme zuzuweisen, die nach der Überlieferung oder nach
Vermutungen Neuerer auf dem Gebiet von Tanagra sich festsetzten,
scheinen mir nicht geglückt. — In Theben hat Keramopullos
die Reste des Ismenion und dabei eine mykenische Nekropole ent-
deckt; vgl. Karo, Arch. f. Religionswiss. XVI, 1913, 272. —
Seine früheren Vermutungen über die 7 Tore Thebens schränkt
V. Wilamowitz, Aisch. 103 mit Recht ein. Das Epos gab die
Zahl der Tore und die 4 Namen, über welche die Tradition ein-
hellig ist. Drei Tore, das der Elektra, des Proitos und das Neitische,
hat es immer gegeben-, aber die 7 Tore lagen in der Mauer, welche
die Unterstadt umgab, diese ist jedoch nach v. Wilamowitz erst
344 Boiotien. Lokris.
augelegt, nachdem die Boioter sich an die Stelle der Kadmeioi
gesetzt hatten, im 8. Jh. Daher können, wie er glaubt, die 7 Tore
in der Thebais. die vor der Ilias entstand, noch nicht vorgekommen
sein. Daß die 7 Tore nicht von der Burg, sondern von der Unter-
stadt zu verstehen sind , halte auch ich für sicher, wahrscheinlich
kam die Zahl bereits in dem ältesten, für Argos gedichteten Lied
von der Überwindung Thebens vor. Auffallenderweise heißen von
den drei in allen Listen erscheinenden, also mutmaßlich zuerst ge-
nannten Toren zwei, das Proitidische und Elektrische, nach
mythischen Gestalten, die erst die kurze argivische Herrschaft nach
Theben verpflanzt zu haben scheint; doch läßt sich daraus nicht
mit Sicherheit folgern, daß diese Namen nicht schon in der argolischen
Dichtung vorkamen, da der Eroberer den durch seinen Sieg her-
gestellten Zustand als den ursprünglichen und rechtmäßigen hin-
gestellt haben kann. Der Thebais sind m. E. wenigstens die drei
übereinstimmenden Namen bereits zuzuschreiben, — Der ganze
Göttei-kreis vom thessalischen Homoleberg, Zeus Demeter, Athena,
Enyahos war nach Maaß, Üsterr. Jahresh. XI, 1908, 5 in einem
thebanischen Bezirk vereinigt. Enyalios kann aus Phot. u. Suid.
^Ofiola'iog Zevg, wo Homoloa, die nQOKfrjilg^ Tochter des Enyeus
heißt, als in diesen Kreis gehörig nicht mit Sicherheit erschlossen
werden; bei schol. Lykophr. 520 ist statt üvlaiog 'Ofxolcoig mit
Scheer zu lesen 7ti:?mi. 'OixoX(oid€g\ von Enyeus ist hier keinesfalls
die Rede.
Lokris.
W. A. Oldfather Lokrika, Philol. LXVII, 1908, 411 ff.
(vgl. die Münchener Dissert. Lokrika, Sagengeschichtliche Unter-
suchungen, Tübingen 1909) geht von dem "Widerspruch zwischen
II. B 726, wo Medon die Mannen des Magneten Philoktet an-
führt, und N 693 aus, wo er mit Podarkes, dem Bruder des
Protesilaos , dessen Truppen befehligt und in Phylake wohnt.
Letzteres soll (S. 419) das Ursprüngliche sein. In Hellanikos'
Stammtafel Lokros, Opus, K3'nos, Hodoidokos, Oileus, Aias sind
(441 ff.) zwei Glieder zu viel, weil Patroklos als Sohn von Opus'
Bruder Menoitios danach mindestens zwei Geschlechter vor Aias
fallen würde. In den Eoien fehlten nach Oldfather Kynos und
HodoidokoB. — Den Dienst, welchen je zwei lohris che Mädchen
im Heiligtum der ilischen Athena verrichten mußten , vergleicht
J. Vürtheim, der diesen ganzen Kult ausführlich in seinem Buch
De Aiacis origine, cultu, patria, Leiden, 1907, 104 ff. behandelt,
Lokrißche Mädchen. 34.%
mit der Flucht ehescheuer Jungfrauen zu dem daunischeu Heih^-
tum Kassandras (Lykophr. 1123 ff., Vürtheim S. 125 ff.); er
meint, die lokrischen Jungfrauen hätten sich wie in Salapia in den
Dienst und Schutz der Göttin begeben, um der Prostitution zu
entgehen, zu der sie sonst wie in dem epizephyrischen Lokroi ge-
zwungen gewesen seien. Die Sitte herrschte nach Vürtheim iu
Lokris vor der Aussendung dieser Pflanzstadt, man opferte einer
Fruchtbarkeitsgöttin Jungfrauen, damit die übrigen verschont blieben,
und erdichtete zur Erklärung des Gebrauches die Legende, daC-
die Göttin selbst von einem wilden erdgeborenen Riesen Aias ver-
gewaltigt worden sei (121 f.). Als die Lokrer nach Ilion aus-
wanderten und dort den Kult dieser Gottheit einführten, mußte
das in der Heimat zurückgebliebene Geschlecht, das die Jungfrauen
gestellt hatte, sie nach Asien schicken (123). Die Übereinstimmung
des Mythos von dem Frevel und der Strafe des lokrischen Aias
mit dem Ritual wird hervorgehoben und mit Recht angenommen
(117), daß nicht dieses nach jenem eingerichtet, vielmehr der
Mythos zur Erklärung des Ritus bestimmt gewesen sei. Bedenken
aber erregt ein in der Kette der Beweisführung unentbehrliches
Glied, nämlich die Vermutung, daß das in Lokris zurückgebliebene
Geschlecht seit der Anlage der Pflanzstadt am Hellespont die
Mädchen in diese, nicht mehr an die heimatliche Kultstätte weihte :
es hatte doch schwerlich das Heiligtum mitgenommen, und wenn
es doch der Fall gewesen wäre, hätten vermutlich die nach IHon
übergesiedelten Genneten die Pflicht gehabt, immer zwei ihi-er
Töchter der Göttin zu weihen. — Eine der Hauptstellen für das
Ritual ist Plut. de sera numinis vindicta 12 mit den von Meineke
vermutungsweise auf Euphorions Chiliaden zurückgeführten Versen.
Dem chalkidischen Dichter werden z. T. auch die übrigen Angaben
zugeschrieben, die Plutarch a. a. 0. über die lokrischen Jung-
frauen bringt; allein diese Annahme hält Scheidweiler, Euphor.,
Bonner Diss., 1908, 43 (vgl. S. 53) für unwahrscheinlich, glaubt
aber, daß Euphorion, auf dessen Zeit, 250, die chronologische An-
gabe passe, das Beispiel dieser Sühnung angeführt habe. — Ein
in Vitrinitsa gefundener, um 250 v. Chr. geschlossener Vertrag
zwischen den Aianteiern und den Narykiern einerseits und den
Lokrern andrerseits, in dem jene die Sendung der Mädchen über-
nehmen, dafür aber wieder als Lokrer anerkannt werden, gibt
A.Wilhelm, Österr. Jahresh. XIV, 1911, 163 ff. Anlaß zu einer
ausführlichen Erörterung der Sitte, in der er die Buße für einen
sehr alten wirklichen Vorgang findet. — A. Loisy, Rev. bist, et
346 Lokrische Mädchen.
litt, relig. n. s. II, 1911, 387 vergleicht sie mit den athenischen
Arrepboren. — Nach Valeton, Mneinos. XL, 1912, 20 ff. wurden
die Mädchen ursprünglich geschlachtet und erst später in aus-
wärtige Sklaverei gegeben. Erst als die Neuerung eingeführt war,
tlichtete man von dem Frevel des Aias, das ist aber schon um die
Mitte des 7. Jhs. geschehen. — Nach Corßen, Sokr. I, 1913,
185 ff., 235 ff. wurden die Mädchen ursprünglich nicht zur Sühne
eines Frevels nach Ilion geschickt (247), sondern um die Eeinheit
des Kultus zu beaufsichtigen. Der Vf. nimmt nämlich an, daß die
Lokrer in Hissarlik das Heiligtum der Atheua gründeten, die sie
nach ihrer heimischen ^Ihag in Physkos 'iXia nannten. Erst nach-
dem dieser Kult gestiftet war, d. h. wie die Funde lehren, etwa
seit dem Anfang des 7. Jhs., ist nach Corßen Ilion in Hissarlik
gesucht worden; aber ein bloß zufälliges Zusammentreffen beider
Namen ist meines Erachtens unwahrscheinlich: sind die übrigen
Vermutungen des Verfassers begründet — und etwas Richtiges
scheinen sie in der Tat zu enthalten — , so ist die Stadt, von
deren Untergang das Epos si}igt, von den Lokrern gegründet oder
vielmehr erobert und dann umgenannt, die vorgefundene Göttin
aber der lokrischen Athena Ilias gleichgesetzt worden; das kann
aber vor 700 geschehen sein, da das Alter eines Heiligtums nicht
zugleich das des Kultus beweist. Nach Corßen wurden ursprünglich
je 2 Mädchen aus zwei der 100 regierenden Häuser, und zwar
jährlich und je auf 1 Jahr geschickt; so kennen die Sitte
Ain. Takt. XXXI 24, Strab. XIII 1, 40, S. 601, Ail. fr. 177 und
Seh. Lyk. 1141. Nach 346 hörte die Sendung auf, und ihr ehe-
maliges Bestehen wurde jetzt umgedeutet als eine Strafe für den
Frevel des Aias; weil man Alexanders Zug als eine nach 1000 Jahren
eingetretene Erneuerung des Troerzuges faßte, wurde erdichtet, die
Buße sei überhaupt nur auf 1000 Jahre festgesetzt worden (S. 239).
Am Ende des 4. Jhs. wurde aber die Sitte auf ein delphisches
Orakel und die Entscheidung des Antigonos Monophthalmos hin
wieder aufgenommen , jedoch so , daß zwei Mädchen aus den
lokrischen Städten ausgelost und auf Lebenszeit nach Ilion ge-
sendet wurden. Diese Änderung soll in der Absicht erfolgt sein,
die Mädchen ganz von der Heimat zu lösen und deren Einfluß auf
den ihschen Kult auszuschließen, aber das ist wenig überzeugend,
da am Ende des 4. Jhs. und lange vorher ein lokrischer Eingriff
kaum emsthch zu befürchten war; es kommt hinzu, daß die von
Corßen angegebenen Unterschiede der älteren und der jüngeren
Sitte nicht rein aus der Überlieferung selbst genommen werden
Lokrische Mädchen. 347
können, in der vielmehr die meisten Zeugen Züge der angeblich
zu sondernden Gebräuche vermischt bieten. Die weiteren Ab-
weichungen in der seiner Ansicht nach jüngeren Überheferung er-
klärt der Vf. daraus, daß durch die Wiederaufnahme der Sendung
ein Widerspruch gegen die Erklärung der Lokrer entstanden war,
daß die lOOOjährige Frist nach dem dritten heiligen Krieg ab-
gelaufen sei. Dieser Anstoß konnte auf zweifache Weise behoben
werden, indem man nämlich entweder die Echtheit des die Frist
bestimmenden Verses bestritt (Ail. fr. 177; vgl. Tz. Lykophr. 1159)
oder aber die Erneuerung der Sitte ignorierte (S. 198 ff.). Nachher
trat nach Corßen eine neue Änderung ein, die in der von Wilhelm
veröffenthchten Inschrift (,9. 0.) festgesetzt wird: das in Naryka
ansässige Geschlecht der Aianteioi übernahm gegen mancherlei Ver-
günstigungen die Verpflichtung, die Mädchen zu stellen. In dieser
Form bestand die Sitte bis in den Anfang der christlichen Zeit.
Eine Schwierigkeit bei diesen scharfsinnigen, aber künstlichen Kon-
struktionen scheint mir darin zu liegen, daß durch sie eine ein-
leuchtende Erklärung für die grausame Behandlung der Mädchen
nicht gewonnen wird. Diese ist schon ziemlich früh eingetreten,
wenn Haus er, Österr. Jahresh. XV, 1913, 168 ff. in den i/.eTideg
dreier unteritalischer Vbb. mit Recht die ersten nach Ilion gesendeten
Mädchen Kleopatra und Periboia erkennt (dies bestreitet V. Mac-
chioro, Neapolis II, 1914, 254; aber auch Marg. Bieber, Berl.
Winkelmannprogr., 1915, S. 1 findet auf den Vbb. diese Szene
wieder) und mit Grund vermutet, daß hier eine einheimische über
das epizephyi'ische Lokroi nach TJnteritalien vei'pflanzte Sage vor-
liegt. — Die im Vorstehenden gegen Corßeus Herleitungsversuch
hervorgetretenen Bedenken scheinen Lehmann-Haupt, Klio XIII,
1913, 314 f. bestimmt zu haben, der glaubt, daß bei der Eroberung
Troias durch die Griechen wirklich Lokrer gegen die Priesterin und
das Heiligtum einer troischen Gottheit, die schwerlich von Haus aus
als Athena bezeichnet gewesen oder ihr gleichwertig gewesen sei,
einen Frevel begingen und dafür in sehr alter Zeit, vor der Gründung
von Lokroi Epizephyrioi, vom delphischen Orakel mit der Buße
belegt wurden. Auch diese Lösung der Schwierigkeiten befriedigt
nicht vollständig, weil zur Zeit, als jene unteritalische Ansiedelung
angelegt wurde, Delphoi schwerlich soweit als höchste religiöse
Autorität anerkannt war, daß es eine derartige schwere Buße zu-
erkennen konnte. Hauptsächlich aus diesem Grunde schließt
v. Wilamowitz , II. und Homer 392, daß die Sendung der Jung-
frauen, die seiner Ansicht nach von Haus aus eine Buße war,
34S Lokrische Mädchen.
nicht vor dem 6. Jh. verfügt sein könne. Er kann sich auf
(Demetrios von Skepsis bei) Strab. XIII 1, 40, S. GOOf. berufen, der
sagt Tccg öi ^ioy.Qiöag nefuqidrjvaL Uegoidv IjÖTj XQatovvzwv ovvißi].
Ausgegangen soll der Gedanke dieser Sühne von dem delphischen
Heiligtum sein, das den Gegensatz zwischen den Griechen in
Sigeion und den Asiaten in Ilion nicht bedachte und nicht voraus-
sah, daß die Mädchen von den griechenfeindlichen Barbaren mit
Mißtrauen empfangen wei'den würden. So kam die Sitte nach
V. Wüamowitz allmählich ali, wurde aber unter Antigonos, und zwar
nicht unter Monophthalmos, der über IHon nur wenige Jahre ge-
herrscht hat, sondern unter dessen Enkel Gonatas, unter dessen
Machtgebot die Lokrer standen, erneuert (384). Plut. De sera num.
vind. 12 soU aus Poseidonios schöpfen, auf dessen Zeit sich auch
der Ausdruck oc 7cokvg xqovoq beziehe 5 daß der Gebrauch bis in die
Kaiserzeit fortbestand, ist nach v. Wüamowitz ein naiver Gedanke.
Dieser Versuch, das Auffallende des Gebrauches aus dessen Gesclüchte
zu erklären, beseitigt zwar offenbare Anstöße früherer Lösungen,
läßt aber die wieder von Vürtheim (.5^5) in diesem Zusammen-
hang verwerteten Spuren außer acht, dia auf eine sehr alte lokrische
Ansiedlung in Ilion hinweisen ; auch ist nicht recht verständlich,
welchen Grund Asiaten haben sollten, Griechenmädchen so grausam
zu verfolgen, die als niedere Dienerinnen zur Sühne für eine ver-
meintliche Schuld zugeschickt waren. Schon zur Zeit, da der
Dichter die Ilias schuf, geboten in Ilion Fürsten, die sich von
einem ursprünglich vielleicht in der Peloponnes heimischen und
wahrscheinlich von Griechen in die troische Sage eingeführten
Heros , Anchises , herleiteten ; die Entwicklung , die in der darauf
folgenden Zeit die Aineiassage nahm, weist auch keineswegs auf
ein dauernd feindliches Verhältnis Ilions zu den umwohnenden
Griechen hin. Die Gottheiten von Ilion wären im Epos kaum stets
mit griechischen Namen genannt worden, wenn hier nicht schon
dieselbe Ausgleichung zwischen der aufblühenden und bereits über-
legenen griechischen Kultur mit der barbarischen stattgefunden
hätte wie seit dem Ende des 7. Jhs. im lydischen ßeich, das in
seiner Blütezeit wahrscheinlich auch IHon mitumfaßte. Homer
nennt die Stadtgöttin weit eher deshalb Athena, weü diese Gleichung
in seiner Zeit allgemein üblich war, als daß später Homer zuliebe
der Kult der Göttin eingerichtet wurde. — Bietet demnach auch
keine der hier besprochenen Untersuchungen eine ganz befriedigende
Antwort auf die sich aufdrängenden Fragen, so ist in ihnen doch
der Weg gewiesen, den die Forschung künftig gehen muß. Im
Lokrische Mädchen. 349
8. Jii. hatten sich Lokrer auf Hissarlik festgesetzt und die Stadt
nach ihrer hierher verpflanzten und vielleicht einer barbarischen
Göttin gleichgesetzten Athena llias Ilion genannt. Zum Dienste
der Göttin wurden zwei vornehme lokrische Jungfrauen dorthin
geschickt. Das dauerte auch fort, als die lokrische Herrschaft am
Hellespont gebrochen war; aber die neuen Gebieter mochten die
Beaufsichtigung ihres Heiligtums durch fremde Priesterinnen nicht, sie
suchten sie mit Gewalt von dem Heiligtum fernzuhalten und zwangen
die Mädchen, wenn es ihnen doch gelungen war, dieses zu er-
reichen, zu niederem Dienst. Daß die Sitte trotzdem so lange be-
stand , ist freilich auffällig , kann sich aber teils daraus erklären,
daß die Lokrer alte Ansprüche, die sie mit der Sendung verbanden,
nicht aufgeben mochten, teils vielleicht auch mit dadurch veranlaßt
sein, daß das delphische Heiligtum in der zweiten Hälfte des
6. Jhs., als jene romantischen Ansprüche inhaltslos geworden waren,
bei irgendeiner Notlage den Lokrern geraten hatte, als Sühne die
Sendung der Mädchen fortzusetzen oder wieder aufzunehmen. Dann
würde sich auch Strabons Angabe erklären, daß die Mädchen ge-
schickt wurden Tleqowv r^ör] '/.garoivTCüv. Daß die Sendung damals
begann, ist nicht ausdrücklich gesagt, aber wahrscheinlich gemeint :
Strabons Gewährsmann lag wahrscheinlich ein Orakel vor, in dem
der Dienst der Lokrerinnen geboten und der persischen HeiTschaft
in Ilion irgendwie gedacht war. — Endlich sei hier auf den Aufsatz
von Leaf, Ann. Brit. Seh. of Athens XXI, 1914/6, S. 148 ff. hin-
gewiesen, der unabhängig von den meisten deutschen Untersuchungen
und ohne Rücksicht auf die in ihnen aufgeworfenen Fragen die
von Wilhelm besprochene lokrische Inschrift eigenartig erklärt. Er
meint, daß sie gerade mit der Aufhehimg der Sitte in Verbindung
steht. Das Orakel in Delphoi habe entschieden, daß die Schuld
abgebüßt und die Aianteioi ihrer Strafe quitt seien; sie sollen
nach dieser Abmachung wieder als vollberechtigte Mitglieder des
lokrischen Verbandes anerkannt sein, dafür aber die Verpflichtung
übernommen haben, für den Unterhalt der ungefähr 100 Mädchen
zu sorgen, die ein Jahr in Hion als Priesterinnen gedient hatten
und bestimmungsgemäß gezwungen waren, ehelos zu bleiben.
Delphoi.
Auf Grund der französischen Ausgrabungen, deren Ergebnisse
ungebührlich lange der Wissenschaft vorenthalten wurden, ist es
im Laufe der Berichtsperiode gelungen, einen großen Teil der zu-
350 Delphoi.
tage gekommenen Baureste sicher zu benennen und damit wichtige
Aufklärungen auch über den Kultus zu gewinnen. Die älteren
Arbeiten, über die Hitzig und Blümmer in ihrer Pausaniasausgabe III
(1910) S. 651 Auskunft geben, werden hier nur soweit genannt,
als dort religionsgesclüchtliche oder mythologische Ergebnisse nicht
erwähnt sind , oder soweit sich an sie später Untersuchungen an-
ireschlossen haben, welche die Bekanntschaft mit ihnen voraussetzen.
Daß über die während des Krieges erschienenen französischen, eng-
lischen und italienischen Arbeiten hier noch nicht berichtet werden
kann, bedeutet eine für Delphoi besonders empfindliche Lücke.
Pomtow berichtet Berl. Phil. Wochenschr. XXVI, 1905, 1165 fF.
über die Ergebnisse der Ausgrabungen und die von ihm bei einer
Reise nach der Kultstätte gezogenen Folgerungen. Neu sind u. a.
die Vermutungen, daß das vorher gewöhnlich südlich der Polygon- •
mauer angesetzte Heiligtum der Ge und der Musen dort entweder
überhaupt nicht existierte oder aber erst eine spätere Anlage an
Stelle einer älteren, weiter nördlich auf der „Zwischenterrasse"
irelegenen Kultstätte der Ge war (vgl. dazu Pomtow, Berl. Phil.
Wochenschr. XXXII, 1912, 1240) und daß zwischen dem Tempel
der Pronaia und Ergane in der Marmariä zwei Tempel der ivayelg
lagen. — Die ),£v/mI /.ogat, die Delphoi beschützten, sind nach
Weniger, Arch. f. Rehgionsw. X, 1907, 243 Schneejungfrauen,
die den gipsbeschmierten Titanen, „den Reifriesen", entsprechen.
Statt auf Naturerscheinungen ist m. E. der Mj^thos auf Riten zu
beziehen. — In demselben Jahr schilderte Farn eil, Cults of
Gr. States IV 179 ff. eingehend die Bedeutung von Delphoi
für die griechische Religionsgeschichte. — Über die viel um-
strittenen Heiligtümer östlich vom Temenos Apollons, in der sog.
Marmariä, handelt Poulsen, Overs. Danske Vidensk. Selsk. Forh.»
1908, 332 ff. Hier wurde schon im 7. Jh. ein Tempel der Athena
Jlgovaia^ nachher aber um 500 ein neuer Tempel mit Altären der
Athena Ziootr^gia, J^agyäva, 'Yyieia und Eileithyia errichtet, der
aber um 400 durch ein Erdbeben zerstört wurde und von dem
Paus. X 8, 6 daher nur Trümmer sah. In der Tholos westlich
von diesen Ruinen vermutet Poulsen 372 ff. das Heroon des Phy-
lakos, Athena Tlgovaia aber soll später noch weiter westlich das
von Pausanias beschriebene Heiligtum erhalten haben. Durch diese
Annahme einer Verlegung des Pronaiatempels wird im voraus ein
Teil der Bedenken Roberts, Pausanias als Schriftsteller 277 ff.
entkräftet, der 285 diesen großen westlichen Tempel der an den
Eingang des Stadtbezirkes, also nach Osten gehörigen Pronaia ab-
Delphoi, ;j5l
spriclit und in ihm ein Schatzhaus vermutet. Robert weist nämlich
darauf hin, daß sich auf der Stelle des westlichen Heiligtums vor
dem im 4. Jh. errichteten Bau höchstens ein ganz unbedeutender
befunden haben könne, während das Pronaiaheiligtum schon im
o. Jh. berühmt war. Diesen beiden Einwänden Roberts hatte
Poulsen durch die Annahme älterer Pronaiatempel im Osten bereits
vorgebeugt; es bleibt aber das dritte Bedenken Roberts bestehen,
daß nach Paus. a. a. 0. das Kultbild unverhältnismäßig klein war,
während die breite Basis im westlichen Tempel auf mehrere große
Statuen schließen lasse. — Die Hauptergebnisse der Ausgrabungen
stellt Perdrizet, Neue Jahrb. XI, 1908, 22 ff. zusammen. Aus
den Funden werden Beziehungen zu Kreta schon in minoischer
Zeit gefolgert, wogegen Spuren eines Zusammenhangs mit Thessalien
anfangs fehlen. Über den seltsamen, vom Seh. zu Pindars Paiaa
auf Pytho (Oxyrh. Pap. V S. 41) bezeugten, aber schon für Alkaios
(fr. 2 — 4) zu erschließenden Glauben, daß der Kephisos die Kastalia
speise, spricht Diels in der Berliner Arch. Gesellsch. 3. 3. 1908
(vgl. Berl. Phü. Wschr. XXIX, 1909, 443, 479). Die VorsteUung
ist , wie mir scheint , schwerlich aus falscher Naturbeobachtung,
aber vielleicht daraus entstanden, daß in sehr alter Zeit ein Heilig-
tum vom Kephisos mit dem delphischen verbunden wurde ; die
Überlieferung schweigt darüber, aber es lohnt sich, m. E. auf
etwaige weitere Spuren zu achten. — Pomtows Studien zu den
Weihgeschenken und der Topographie von Delphoi, Eüo VII, 1907,
395 ff.; YIII, 1908, 73 ff., 186 ff., 302 ff., und die zweite Reihe seiner
„Delphica" überschriebenen Aufsätze (Berl. Phil, Wochenschr.,
1909 , Sp. 156 ff.) brachte für die Religionsgeschichte Delphois
nichts unmittelbar Wichtiges; über die Lage der Kassotis, des
Neoptolemosgrabes und des Pronaiatempels handelte Eq>. oqx-i 1909,
266 ff. Keramopullos {s. u.). — Roberts Vermutungen über
die Beschreibung des Pausanias bekämpfte Robinsohn, Amer.
Journ. Arch. XXXI, 1910, 217 f. — Fehrle, Kultische Keusch-
heit 83 f. glaubt , die Vorstellung von dem evS^ovöiaOfiog der
Priesterin sei erst durch den Dionysoskult in Delphoi eingeführt
worden, und zwar habe man ihn anfangs durch Lorbeerblätter,.
Quellwasser, Berühren des Dreifußes usw., später aber in Er-
innerung an den alten Brauch des Erdorakels durch die Dämpfe
entstehen lassen. — Nach Perdrizet, Ann. de l'Est Uli, 1910,
67 ff. haben Thraker in Delphoi den Dionysos eingeführt, an dessen
Stelle erst später ApoUon getreten sei, und dessen Kult später
dadurch verändert wurde, daß sich mit ihm orphische Vorstellungen
352 Delphoi.
verbanden. Die Thraker sollen sich, wie aus dem Geschlecht der
Thrakidai gefolgert wird, lange unvermischt gehalten haben; vielleicht
erst später traten nach Perdrizet an ihre Stelle die oatot. — Nicht bloß
für die Baugeschichte und Topographie des pythischen Heiligtums ist
wichtig die Abhandlung von Frickenhaus, Athen. Mitt. XXXV,
1910, 235 ff. In Marmaria werden vier Tempel unterschieden: Um
700 soll ein kleiner Bezirk mit 3 Altären geweiht und gegen 650 der
Bau des ältesten Porostempels begonnen sein, dazu kamen etwa
in der Mitte des 6. Jhs. der große Porostempel der Atheua und
die Marmortempel der Hj-gieia und Eileithyia, um 400 die Tholos.
Um 300 wurde nach Fricj^enhaus der Porostempel aufgegeben und
dafür der neue Kalksteintempel im Westen errichtet. DenNeoptolemos-
tempel beim ApoUonheiligtum setzt Frickenhaus 247 südlicher an,
als es bisher meist geschah, nämlich unmittelbar neben der Nordost-
ecke des Tempelplatzes , nicht höher hinauf am Abhang. In der
Doloneia sieht er (268) ein Tor des Ischegaon, durch das man
zur Kassotis gelangte, bei der, dicht am Neoptolemosgrab, Apollon
den in der vccTTr] jener Quelle hausenden Drachen erschossen haben
sollte. Daraus wird weiter gefolgert, daß die aAwg, wo das
•Septerion gefeiert wurde, die Terrasse nördlich vom Tempel ge-
\vesen sein müsse. Der im Neoptolemosbezirk aufbewahrte Stein
des Kronos (271 f.) war der ursprüngliche Nabelstein und diente
als Vorbild für den in einer Kapelle des ApoUontempels auf-
gestellten, jetzt vielleicht wiedergefundenen (Arch. Anz. XXIX,
1914, 162) ofucpalog-^ daher fäUt Neoptolemos auf Kunstwerken am
Omphalos. Den Apollonpriestern waren die Reste des Kultus sehr
ärgerlich; der Stein wurde als der von Kronos verschluckte um-
gedeutet und nach seinem Vorbild im Adyton des ApoUontempels
ein neuer Nabelstein aufgestellt. — *Kontoleon oi zfeXq^ol koI
zö Ko)Qvy.LOv avTQOv, Tlargig 19. 11. 1910. — Im Jahre 1911 wurde
in der Berl. Phü. Wochenschr. XXXI, 1911, 1547 die dritte Reihe
der Delphica von Pomtow eröffnet, die sich fast durch den
ganzen folgenden Jahrgang der genannten Zeitschrift hinzieht.
Gleichzeitig erschienen mehrere andere Untersuchungen Pomtows,
von denen für die Religionsgeschichte am wichtigsten der über die
Kultstätten der „andern Götter" von Delphi, Philol. LXXI, 1912,
-30 ff. und der über die Tholosbauten (Klio XII, 1912, 179 ff.;
281 ff.) sind. Über diese Aufsätze, die sich vielfach berühren und
deren Ergebnisse sich am besten auf der Karte in der Wochenschr.
1912, S. 1173 f. überschauen lassen, wird hier zusammenfassend
berichtet werden. Das älteste Heiligtum der Athena Ugovaia,
Delphoi. 35;)
wird an der Stelle gesucht, auf die der Name hinweist und an die
schon A. Mommsen gedacht hatte, vor dem ApoIIontempel (Philol.
LXXI S. 52), wo auch die Statue oder Kapelle des Poseidon
Ugöveiog angesetzt werden muß. Aber schon im 7. Jh. war (ebd. 80)
in der Marmaria statt dieses kleinen Heiligtums der große Poros-
tempel errichtet worden, der um die Mitte des 6. Jhs. durch einen
der hier besonders drohenden Felsstürze zerstört und an dessen
Stelle gleichzeitig mit dem Alkmeonidentempel , also um 530, ein
neuer Porostempel erbaut wurde, derselbe, den noch Herodot sah.
Als dieses jüngere Heiligtum sein Ende im ersten Drittel des
4. Jhs. ebenfalls durch einen Felsrutsch gefunden hatte, wurde der
Tempel hier nicht erneuert, sondern weiter nach Westen an eine
Stelle verlegt, die aber auch nicht größere Sicherheit bot, so daß
die etwa 12 stehenden, kurz vorher ausgegrabenen Säulen des
Heiligtums 1905 ebenfalls zertrümmert wurden. Die große im
4. Jh. errichtete marmorne &6kog zwischen diesem jüngsten Tempel
der Marmaria und den beiden älteren Pronaiaheiligtümern ist nach
Pomtow das Buleuterion mit der -/.oivri fozia (Wochenschr. 1912,
1366; Philol. LXXI 83 f.; Klio XII 295 f.); ob schon der Porosbau
aus dem 6. Jh. diesem Zweck diente, wird wegen seiner Eleinheit
unentschieden gelassen. Die aXwg und der Drachenkampf werden
im Gegensatz zu Frickenhaus wieder südlich von der Polygonmauer
angesetzt (Wochenschr. 1912, 190), die Doloneia, in deren Be-
schreibung bei Plut. def. or. 17 (vgl. Hesych. ^loXa) der von
Maaß, Zs. f. vergleichende Sprachf XL, 1907, 529 verteidigte
Geschlechtsname im Satze h' f^ u4loX(xd{ai) xbv a(.iq)i0^aXrj •/.oqov
r^fx^xivaig öqatv ayovaiv in ylaßvädat verwandelt wird, muß dann
die kleine dort nach Süden führende Treppe sein (Wochenschr. 127);
dagegen soll das Neoptolemosheiligtum (ebd. 190; vgl. 1268, Philol.
LXXI 32) in dem Mauerviereck nördlich des layjyaov liegen;
ebenso urteilen Bulle und Keramopullos (s. o.). Das Heilig-
tum der Dioskuren, denen nach der Labyadeninschrift ^ioa/.ovQijia
MsyaXocQXia gefeiert wurden, vermag Pomtow (Wochenschr. 1912,
125; Philol. LXXI, 45) bis jetzt noch nicht zu bestimmen; Zweifel
herrschen auch über die Tempel der Aphrodite und Eileithyia
(Wochenschr. 1912, 93 f.; vgl. 127; Phil. LXXI 37 ff.). Das uqov
des Asklepios vermutet er (Wochenschr. 1912, 62; Philol. LXXI
33 ff.) wie schon Keramopullos in dem „weißen Haus". Über die
Weihung der Bürger von Hermione an Damater, Phersephona und
Klymenos s. Wochenschr. 1912, 573 f., über das Standbild des
Apollon Sitalkas ebd. 284 ff. — Das Septerionfest soU nach Jane
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplementband). 23
354 Delphoi. Thessalien.
Harriso u, Themis 429 den Übergang des Königtums nach Ab-
lauf der neunjährigen Periode bezeichnen, wobei der König wie
Kekrops und Kychi'eus als Schlange gedacht gewesen sei. — Das
Heiligtum des Phylakos vermutet F. W. v. Bis sing, Ath. Mitt.
XXXVII, 1913, 219 ff. wieder wie früher Poulsen im Gegensatz
zu Pomtow in der Tholos ; Paus. X 8 , 7 soll es vielleicht aus
Herod. VIII 39 nachgetragen haben. — Eitrem, Festskr. til Alf
Torp 1913, S. 81 f. hält das Septerionfest für eine Nachbildung
von Grabriten, die sich in dem Kult des chthonischen Dämons er-
halten hatten. — Über Traumorakel in Delphoi s. Haus er,
Österr. Jahresh. XVI, 1913, 43 f.; 71. — Corßen, Sokrat. I,
1913, 501 ff. setzt das Heiligtum der Ge in die Nähe des Punktes,
der seit Homolle meist für das Damatrion in Anspruch genommen
wird, d. h. unweit des Gj^mnasions, also außerhalb des Temeiios,
an das Ostufer der Kastalia. Dort sollte auch , wie aus Kallim.
i'^iv. IV 92 f. und dem ihn nach Cox'ßen nachahmenden Stat. Theb. I
562 gefolgert wird, Python, und zwar näher der Mündung als der
Quelle der Kastalia (509) gehaust und Apollon geweissagt haben;
daraus erklärt Corßen, daß das Orakel auch später so oft mit der
Kastalia verbunden wird, deren Eigenschaften Paus. X 24, 7 auf
die Kassotis überträgt. Die von Steph. Byz. JeX(pOi 224, 22 er-
wähnte Quelle Delphusa stammt nach Corßen aus einem Miß-
verständnis bei Hom. v^v. II 66 und ist nur irrtümlich nach
Delphoi versetzt worden. — Alte Losorakel sucht Weniger,
Sokr. V, 1917, 308 ff. für Delphoi zu erweisen. Die Lose d^Qiaiy
nach denen die Thriai heißen, wurden in den Kessel des Dreifußes
geworfen {d-Qioßolla)\ erst nachträglich soll die Pythia, für die ein
anderes Gestühl praktischer gewesen wäre, auf den Dreifuß gesetzt
sein. Eine Nachbildung soll das Würfelorakel von Bura, Kirra
gegenüber sein.
Thessalien.
Auch die Kenntnis der thessalischen Kulte und Mythen ist
durch zahlreiche Ausgrabungen und gelegentliche Funde vertieft
worden. Sie sind jetzt zum Teil in dem auf Kosten von
Athanasakis gebauten Museum von Volo gesammelt , zu dem
Arvanitopulos' Q€aaa?uy,a juv/yjuela den Katalog bilden. Die
bis zum Jahre 1908 bekannt gewordenen Inschriften hat 0. Kern
in den Inscriptiones Thessalicae, IG IX, II gesammelt. Die Be-
richte Ober die neueren Ausgrabungen und die sich daraus er-
gebenden Folgerungen finden sich zerstreut in zahlreichen Aufsätzen
Thessalien, 355
von A r V a n i 1 0 p u 1 (1) 0 s (ArbanitopuUos usw.); vgl. z. B. über ein
Heüigtum der Ai'temis ftoXy.ia auf dem Hügel bei Volo, TlQaxTr/.n
1908, S. 221 ; 1909, 155 £f., 1910, 168 ff., über weitere Ausgrabungen
bei Pagasai ebd. 1912, 154 ff., wo u. a. über einen vermutlichen
Poseidontempel (172 ff.) und (198 ff.) über ein Heiligtum berichtet
Avird , dem eine Weihung an Pasikrata entstammt. Vgl. auch
Arvanitopullos, Rev. de phil. XXXV, 1911, 123 ff., wo wir S. 291
no. 41 von einem auch für die ßeligionsgeschichte nicht unwichtigen
Streit zwischen Ktimenai und Augeiai um das Heiligtum von Omphale
erfaliren.
Gegen Busolts , ßelochs und Cauei's Vermutung , daß Aga-
memnon und Menelaos ursprünglich nach dem thessah' sehen Argos
gehörten, wendet sich Valeton, Mnemos. XLI, 1913, 26 ff. —
In den Nachträgen zu seinem Saggio di storia tessalica behandelt
Vinc. Costanzi, Riv. fil. cl. XLII, 1914, 529 ff. auch mytho-
logische Fragen. Er unterscheidet z. B. eine thessalische Phthiotis
mit der Hauptstadt Pharsalos, die Heimat des Achilleus , von der
gleichnamigen Landschaft in Achaia und stellt (537) zur Frage,
ob Deukalions Mutter Pandora vielleicht den Namen einer süd-
thessalischen Landschaft (vgl. Pandosia) trage. Wahrscheinlich
mit Recht wii'd angenommen, daß einst in Thessalien Hellenen und
Pelasger nebeneinander wohnten , dabei aber nicht berücksichtigt,
daß auch der Name Hellenes vorgriechich sein und nachträglich
auf den griechischen oder hellenisierten Teil der Landesbevölkerung
übertragen sein kann. Nach Diod. V, 61, der nach Costanzi
588, 1, die älteste Überlieferung bietet, wohnten die Hellenen einst
auf dem dotischen Gefild : das weist eher auf ein freundliches Ver-
hältnis zwischen dem hellenischen und pelasgischen Bund. — Nach
D. Mülder, Die Ilias und ihre Quellen, Berlin 1910, S. 100 sind
die thessalischen Fürstentümer in der Ilias, namentlich im Schiffs-
katalog in einer Weise verteilt, wüe es mit der politischen Möglich-
keit nicht vereinbar ist. Man gewinnt nach Mülder den Eindruck,
daß der Dichter aus seiner Quelle eine Anzahl unter Beifügung
ihrer Heimat angeführter Persönlichkeiten gesammelt und ihre
Heimatsorte in Reiche umgewandelt hat.
Peloponues.
Über „Die mythische Königsliste von Megara und ihr Ver-
hältnis zum Kult" handelt die Heidelberger Dissertation von
F. P fister 1906, die den ersten Teil des , Reliquienkults" (RVu. V)
350 Mcgara. Achaia. Elia.
bildet. — P a r e t i , Studi siculi ed ital. (Contrib. alla scienzia
deir antichitä I, 1914) sucht durch Vergleichung der Kulte me-
garischer Kolonien die der Mutterstadt zu erschließen. Er handelt
über den Dienst des Zeus (230 fif.) , Herakles (234 fF.) , Apollon
(236 ff.), Poseidon (241 ff.), der Athena (243 ff.), Demeter (245 ff.),
Hekate (248 ff.) , Hera (254 ff.) , Aphrodite (und Eros , 256), des
Dionj'sos (257) und Asklepios (258); die Grenzen, die diesem nur
bei eigenartigen Kulten zulässigen Verfahren gesteckt sind, werden
nicht immer beachtet. — Auf die mj-thischen Beziehungen zwischen
Megara und Kephallenia weist Hecke nrath, Berl. Phil.
^Vocheuschr. XXX, 1910, 1269 hin. Er erinnert an Nisos (tt 395,
o 127 ; 413), mit dessen megarischer Sage sich die kephallenische
von Pterelaos vergleichen läßt, und an Pandareos (Hellad. bei
Phot. ßißX. 531* 21). Diese Übereinstimmungen, denen vielleicht
auch der ÜTSQsXag viog ^EvvaXiov (AP IX, 684, 4 Jac. ; vgl. das
megarische Enj^alion , Thuk IV, 67, 2) angereiht werden darf,
obgleich dieser Name des Kriegsgottes auch sonst verbreitet ist,
scheinen darauf zu weisen , daß die Isthmosstadt sich bei ihren
sizilischen Unternehmungen gegen Ende des 7. Jhs. der ionischen
Inseln als Stützpunkt ebenso bedient hat , wie ihre Nebenbuhlerin
Korinth Kerkyras. —
Die m3'thische Königsliste von Achaia behandelt Pfister,
Rehquienkult (RVuV V) I, 65 ff. — Damatria in Alisos bei Patrai
erwähnt ein Sakralgesetz, eq). oqx- 1908, 95.
Elis. Einen alten Neunstädtebund in der Pisatis erschließt
L. Dyer in dem erst nach seinem Tode in den Harv. Stud. XIX
1908, 1 ff. erschienenen Aufsatz The Olympian Council House and
Council aus Str. VIII, 3, 31 S. 356, indem er annimmt, daß zu
den dort gezählten 8 Städten Pisa hinzuzurechnen sei, das Haupt
dieser arkadopisatischen Amphiktyonie , das die aitolischen Elier
nach der Eroberung der Alpheioslandschaft ausgemerzt haben sollen,
um als alte rechtmäßige Besitzer des Landes zu erscheinen. Der
Vf. vermutet weiter, daß sich die Reste der Bevölkerung, die diese
Amphiktyonie geschaffen hatten, vor den von Norden herein-
brechenden Feinden nach Triphylien und weiter nach Messenien
zurückzogen. Die geschichtlichen Zeugnisse, auf die Dyer sich
stützt, haben wenig Wert (s. Berl. Phil. Wochenschr. XXIX, 1909
1594 ff.); aber den in den Mythen liegenden Andeutungen entspricht
diese Vermutung, die freilich den schon in vorgeschichtlicher Zeit
wahrscheinlich mehrfach geänderten Verhältnissen nicht genügend
Rechnung trägt , m. E. im ganzen besser als die Annahme von
Olympia. 357
B. Niese, Genethl. f. Robert 1910, 1 ff., der glaubt, daß Olympia
und die ganze Pisatis abgesehen von den Jahren 365 und 364,
wo die Landschaft sich unter arkadischem Schutz selbständig ge-
macht hatte, stets zu Elis gehört habe. — Mit religionsgeschicht-
lichen Altertümern \on Olympia beschäftigen sich mohi-ere Auf-
sätze von Ij. Weniger, die seine früheren Untersuchungen fort-
führen. Klio VI, 1906, 1 ff. werden die Riten besprochen, die im
Frühjahr vor Beginn der Saison vollzogen werden ; es handelt sich
hauptsächlich um Reinigungen und um Wiederherstellungsarbeiten.
Das Prytaneion, wo die nicht verbrannten Stücke der Zeusopfer ver-
zehrt wurden, ist nach Weniger S. 15 erst gegen 580 eingerichtet
worden. — Im 3. Teil der „Olympischen Forschungen" (ebd. VII, 1907,
145 ff.) behandelt Weniger den „Dienst der Muttergöttiu und Ver-
wandtes". Als das älteste Heiligtum Olympias wii'd (147) das
Gaion angenommen ; hier waltete die Göttermutter , die zugleich
„Erdgöttin, idäische Mutter, im Waldgebirge hausende und schaffende,
im Baumwuchs die Geheimnisse der Tiefe an das Tageslicht fördernde
Erdkraft" ist und „als Gemahlin des Ej-onos, des Bergesalten der
Urzeit", galt (169). Ihr ältestes Heiligtum soU ein Aschenaltar
vor dem Kronoshügel gewesen sein- später war hier die Südwest-
ecke des Metroon, das (165) nach dem Siege der Arkader über die
Elier zusammen mit dem Heiligtum des Sosipolis und der Eileithyia
als Entschädigung für die Veränderung der ehemaligen idaiischen
Grotte gestiftet sei. Dieser Arkadereinfall (Paus. VI, 20, 4) ist
(158 ff.) der vom Jahr 364; das „Hochaltertümliche" des Sosipohs-
kiiltus, wegen dessen Löschke, Robert und Blümmer an eine frühere
Besetzung Ohonpias dui'ch die Arkader denken, ist nach Weniger
bewußte Nachahmung. Die Frau mit dem Säugling Sosipolis ist (160)
die Göttermutter. Eileithyias Heiligtum wird mit Robert nördlich von
dem der Kureten angesetzt (162); es ist die alte idaiische Grotte,
in der einst Begehungen gefeiert wurden , die später halbver-
schollen und unverständlich geworden waren. Sie hatten den
Daktylen gegolten , die , wie aus ihrer Fünfzahl geschlossen wii'd
(170), als Finger, zugleich aber auch in Zwerggestalt und, wie Kaibel
vermutet hatte , als Phallen betrachtet worden waren. Zu ihnen
gehörte Herakles IlaQaoTdvrjg , der diesen den Idaios von dem
Thebaner unterscheidenden Beinamen erhalten haben soll, weil er
als Phallos neben der Göttin (172, 4) oder weil er als Daumen
neben den 4 andern Fingern stand. Daß ganz Verschiedenartiges
vereinigt sein müßte, wenn diese Vorstellungen wirklich bestanden
haben sollten , wird von Weniger nicht genügend hervorgehoben ;
358 Olympia.
wt?uu dio Daktylen ihren Namen trugen, weil sie nur einen Finger
große Zwerge waren, kann ihre Fünfzahl nur auf einem Zufall oder
einer bewußten Umdeutung beruhen, und von dem Phallos führen
beide Anschauungen gleichmäßig ab. Der ,Kult der Daktylen soll
nach Olympia über Kreta aus Kleinasien gekommen sein (179), zum
Zweck des Kultus wurde die idaiische Grotte (Demetr. Skeps. bei
Seh. Find. 0. V. 42 » und b) am Kronoshügel künstlich hergestellt
(155 ff). Verschieden von dem Dienst der Daktylen und wahr-
scheinlich älter als dieser war der näher am Berg geübte Kureten-
kult (170). Von zahlreichen einzelnen Vermutungen Wenigers,
über die z. T. noch in anderem Zusammenhang zu sprechen ist,
sei hier nur noch auf das S. 176 f. über die alte Orakelstätte in
Olympia Gesagte hingewiesen. — In zwei weiteren Artikeln (Klio
IX, 1909, 291 ff.; XIV, 1914, 398) handelt Weniger auf Grund
der bei Paus. V, 14, 4 benutzten Opferordnung über die monat-
lichen Opfer in Olympia. Nach Ausscheidung der eigenen Zusätze
des Periegeten glaubt er den wenig veränderten Wortlaut einer
obrigkeitlichen Verordnung und in dieser Spuren verschiedener
Fassungen, wie sie die zunehmende Zahl der Altäre erforderlich
machte , nachweisen zu können. Nachdem er so das Prinzip der
Ordnung zu ermitteln versucht hat, bespricht er die Begehungen,
die bei den einzelnen Altären vorgenommen wurden, und bemüht
sich , deren Lage und gottesdienstliche Bedeutung festzustellen.
Die heilige Handlung, die aus der Opferung selbst und einem gegen
Abend veranstalteten Priestermahl besteht, soll in einer dritten
Abhandlung dargestellt werden. —
Zwischen diese beiden Aufsätze Wenigers fällt der in den
Neuen Jahrbüchern XXXI, 1913, 241 ff. erschienene über den
Hochaltar des Zeus. An der früher angenommenen Stelle, hat, wie
Dörpfelds Ausgrabungen 1908 ergaben, ein Altar nicht gestanden;
die vermeintlichen Reste gehörten zu Wohnhäusern. Der AJtar
zwischen Heraion und Pelopion, den Puchstein und Trendelenburg,
obgleich er weder gleichweit von den beiden genannten Gebäuden
lag noch .cQO/.eiiiiErog jrgd afj.q^oxioojv (Paus. V, 13, G), für Zeus,
Dörpfeld füi- Zeus und Hera in Anspruch nahmen , war nach
Weniger ausschließlich Hera geweiht. Der wirkliche Zeusaltar
lag nicht fem von dem früher vermuteten Platz , nur ein wenig
weiter nach Südosten, östhch von der Südspitze des Pelopion,
westlich von der OToa tcoikD.tj (= Echohalle und d^eavQOv^ Xenoph.
'EU.. VII, 4, 31), die zum Schutze gegen die Morgensonne für die
Zu.schauer beim großen Opfer erbaut wurde. Die Verehrung des Zeus
Olympia. 359
in Olympia hält Weniger (242 flf., 249) für jünger als die der Meter
und Hera- sein Kult soll von Aitolien mitgebracht sein (255). Der
Altar war rechteckig, vielleicht quadratisch ; Pausanias' Maßangaben
bedürfen der Berichtigung nicht. — Fraz e r, The dying God (Golden
Bough III) 89 ff. untersucht den Urs^^rung der olympischen Spiele.
Daß sie aus einem Erntefest hervorgegangen seien , wird seiner
Ansicht nach (105) durch den vierjährigen Zwischenraum und auch
dadurch ausgeschlossen, daß das Fest im Hochsommer, also halb-
wegs in der Mitte zwischen der Korn- und Weinernte, gefeiert
wurde; vielmehr stellten der Sieger in dem für Zeus gefeierten
Männerkampf und die Siegerin in dem für Hera gefeierten Wett-
kampf das Gütterkönigspaar als astronomische Potenzen , nämlich
als Sonne und Mond, nicht als Mächte, die den Ackerbau fördern,
dar. Zwischen der Ansicht von Cook, der glaubte, daß das Fest
ursprünglich begangen wurde , weil der König nach 4 , anfangs
vielleicht nach 8 Jahren sich einem Kampf um Leben und Herr-
schaft unterziehen mußte, und der von Ridgeway, der die griechischen
Agonalfeste aus Totenfeiern und Heroenkulten herleitet , glaubt
Frazer, zu dessen Grundansicht die erste Erklärung besser paßt,
der aber die zweite durch zahkeiche ähnliche Begründungen der-
artiger Messen, z. B. der irischen (99 ff.), für gesichert hält, durch
die auf Paus. VI, 21, 9 ff . gestützte Annahme vermitteln zu können,
daß die Seelen der beim Kampfe getöteten Könige bei der Wieder-
kehr des Tages versöhnt wurden. — Gegen Ridgeways Ableitung
der Spiele aus dem Heroenkult wendet sich F. M. Cornford
im 7. Kapitel von J. Harrisons Themis (S. 212 ff.). Schon deshalb,
meint er, kann das Agonalfest nicht aus Totenfeiern für Pelops
hervorgegangen sein, weil dieser in der ätiologischen Legende eine
keineswegs rühmliche Rolle spiele (215). Aber auch Cook, dessen
Anschauung Cornford weit näher steht, irrt nach diesem, wenn er
in dem Sieger oder dem ehemaligen König die Verkörperung eines
Gottes sieht, während in Wahrheit der Gott umgekehrt erst nach
dem Vorbild des Siegers geschaffen sei (222) und dieser nur als
Träger des Mana, der vom Himmel stammenden Gewalt über Regen
und Blitz, galt. Diese Macht ist aber in ihm nur für eine be-
stimmte, kürzere oder längere Frist — Iviavzog — lebendig ; daraus
wird geschlossen, daß die Olympien ursprünglich bei der Erneuerung
einer solchen Periode gefeiert wurden. In dem Kronosmythos soll
die älteste ätiologische Legende zur Begi-ündung dieses Festes
vorliegen; es wird hervorgehoben, daß Salmoneus, der den König
und Sieger von Olympia vertrete , auf einem Krater in Chicago
360 Olympia.
(abgebildet ebd. S. 80) an seinem linken Knöchel eine Fessel trägt,
■womit schon Cook die (freilich nicht auf OljTiipia bezügliche)
Angabe bei Macrob. Sat. I, 8, 5 verbunden hatte, daß Saturnus an
den Saturnalien von der wollenen Fessel befreit wurde. Der Vf.
nimmt nun an , daß wie in Rom so auch in Olympia das ent-
sprechende Fest des Kronos zur Zeit der Wintersonnenwende ge-
feiert wurde, und erschließt aus der eigenartigen Berechnung, durch
die nach Komarchos bei Seh. Find. 'OA. III, 33 * der Termin der
Olj-mpien bestimmt wurde , und aus den Worten ßg^./evo TToXXjj
riq^ädi bei Find. ^OX. X, 51 (wo aber der Zusammenhang diesen
Schluß nicht zuläßt), daß einst auch die Olympien in diese
Zeit fielen. Dies Fest war (238) ursprünglich agrarisch und galt,
wie aus der Kuretengeschichte (Paus. V, 7, 6 f.) gefolgert wird,
einer Erdgöttin ; an deren Stelle soll aber früh die Mondgöttin
Hera Ilaq^tvog getreten sein, als deren Vertreterin die Siegerin
bei den jungfräulichen Wettläufen galt. Da der Monat, in dem
dies Fest (die Heraia) gefeiert wurde , Parthenios hieß , wird ge-
schlossen, daß der Agon in die Zeit des (von Cornford schwerlich
mit Recht angenommenen) reinen Mondjahres hinaufreiche und
ursprünglich jährlich war. Mit der Einführung des Mondsonnen-
jahres und der achtjährigen Schaltung läßt Cornford die Wettspiele
penteterisch, zunächst vielleicht ennaeterisch werden. Jetzt wurde
der Sieger im Kampf der Männer als Zeus , d. h. als Sonnengott
und als Bräutigam der Hera, d. h. der Siegerin bei den Heraia,
gedacht. Eine andere mythische Spiegelung des Siegerpaares sollen
Pelops und Hippodameia sein (224 ff.). Mit dieser Kalender-
veränderung scheint Cornford zu verknüpfen , daß der Parthenios
ein Sommermonat, der zweite des Jahres von Olympia, wurde ; er
sagt dies zwar nicht ausdrücklich, da er aber (226) hervorhebt,
daß der natürlichste Zeitpunkt für ein Fest von Sonne und Mond
in die Jahreszeit falle, wo die Sonne ihre höchste Kraft entfalte,
muß er v^-ohl die Verlegung des Festes, die Einführung des Sonnen-
mondjahrs und die Darstellung der Sonne und des Mondes als
gleichzeitig eingeführte Neuerungen betrachten. Die Heraia wurden
bei der Neuordnung am Neumondtage belassen , dagegen der dem
Zeus geweihte Männeragon auf den Vollmond gesetzt, und zwai-,
da es sich nicht geschickt hätte, den Göttervater immer hinter der
Gattin zu feiern , abwechselnd auf den vorhergehenden und den
nachfolgenden Vollmond (230) : so soll sich die schon von Weniger
als auffallend bezeichnete Tatsache erklären, daß es für die Ol^onpien
keinen festen Monat gab. Auch die übrigen Mythen von Olympia sucht
Olympia. 361
Cornford als ätiologische Legenden im Sinne seiner Auffassung des
Festes zu erldären. Leiden auch seine Aufstellungen z. T. an Unklar-
heit, Unwahrscheinlichkeit und sogar an Unrichtigkeit, so wird die
künftige Forschung sie doch nicht unbeachtet lassen dürfen. — Schon
öfters und wahrscheinlich m, R. ist die Vermutung ausgesprochen
worden, daß die 12 Stücke, in die Hermes bei Hom. vf4v. III, 128 das
Opfertier zerlegt, mit dem Kult der 12 Götter in Olympia zusammen-
hänge und daß in der Legende, die mutmaßlich der Sage zugrunde
liegt, Hermes, wie später Herakles als Stifter dieses Zwölfgötter-
altars und zugleich als hier in die Zahl der 12 Götter aufgenommen
bezeichnet werden sollte. — Nach Robert, Herm. XLT, 1906, 19 ist
Myrtilos, Hermes' Sohn, ursprünglich nicht Geliebter, sondern Gatte
Hippodameias gewesen , und das ist in der Tat wahrscheinlich.
Dann muß zeitweis Hermes in Olympia sehr angesehen, göttlicher
Ahn der dort gebietenden Geschlechter gewesen sein. L u d o v i k e
Köttgen, Quae ratio intercedat inter Indagatores fabulam Sophocl.
et hymn. in Mercur., Bonn. Diss. 1914, S. 28 vermutet, daß der
Mythos vom Rinderraub des Hermes und dessen nachträglicher
Versöhnung mit ApoUon an den gemeinsamen Altar beider Götter
in Olympia (Herodor bei Seh. Find. 0. V, 10 a; Paus. V, 14, 8)
anknüpft. Diese scharfsinnige Vermutung ist wahrscheinlich richtig ;
neben beiden Göttern scheint Aphrodite gestanden zu haben, auf
die sowohl der Name Hippodameia (Hesych.) , als auch der nach
der Myrte genannte Myrtilos hinweisen. Vielleicht ist dieser Drei-
verein, von dem sich auch sonst Spuren finden, eben von Olympia aus
verbreitet worden. Aber schwerlich hat noch der Dichter des Hermes-
hj^mnos an Olympia gedacht; bei eg IIvXov -^yad^srjv (v. 216) ist
an das homerische Pylos zu denken, in dessen Nähe von den Ge-
stalten des Kyllenegebirges die Atlantiden und Dardanos durch
Str. VIII, 3, 19, S, 346 bezeugt sind. Aus der Erzählung Nestors
n. ^/, 670 ff. ergibt sich, daß die Herren von Pylos einst auch auf
die Pisatis Anspruch machten: sie können den Rinderraubmythos
nach dem späteren Olympia übertragen oder auch ihn von dort
empfangen haben. Einzelne Züge, die ihn bilden, finden sich auch
sonst, z. B. auf dem Kyllenegebirge, in der Stadt Kyllene, in Pharai
in Messenien {u. 363), im thessalischen Pherai; die Gottheiten, an
denen sie haften, sind wahrscheinlich vorgriechisch. Der "Widder-
oder Bocksgott der ägäischen Kultur wird teils dem Apollon, teils
dem Hermes angeglichen sein ; indem in Olympia beide Aus-
gleichungen vorgenommen wurden , wird der Dreiverein ApoUon,
Hermes und Aphrodite, die auch Sallust tt. &ec)v 6, S. 27 als
862 Olympia. Messenien.
aQftuCoi'ieg zusauimeufaßt, uud danach in freier Erfindung der Mythos
vom RindeiTaub entstanden sein. Daß Apollon , als er seinen
Siegeszug aus Thessalien autrat, in der Peloponnes den Hermes
vorgefunden habe , den er nicht vei'driüigeu konnte und zu dessen
Bruder er deshalb gemacht sei (Ludov. Köttgen a. a. 0. 31), wäre
m. E. auch dann nicht anzunehmen , wenn dieser Siegeszug fest-
stände ; denn in Olympia hat sich nichts erhalten , was auf einen
Versuch, Hermes durch Apollon zu ersetzen, schließen ließe. Doch
ist Hermes als Herdengott an manchen Orten vielleicht wirklich
durch Apollon aufgesogen.
Die ni essen i sehen Inschriften sind in IG Vii, 1913 ge-
sammelt; vorausgeschickt hat der Herausgeber W. Kolbe eine
Zusammenstellung der literarischen Übei'lieferung, so daß, hier ab-
gesehen von den poetischen Mythen , fast alle für die Religions-
geschichte und die Lokalmythen wichtigen Angaben vereinigt sind. —
Mit Mythen und Kulten Messeniens befassen sich Fr. Hill er
v. Gärtringen und H. Latt ermann in dem LXXI. Berl.
Winckelmannprogr. 1911. Aus den Ergebnissen ist hervorzuheben,
daß Aristomenes eine geschichtliche Person aus der Zeit der
Perserkiiege war, der von Hira aus gegen Sparta ankämpfte. — Die
von Vollgraff, Bull. corr. heU. XXXIII, 1909, 175 ff. heraus-
gegebene Inschrift mit dem Orakel des argivischen Apollon ist
wichtig für die Geschichte der Mysterien von Andania; sie steht
in unmittelbarer Beziehung zu der gi'oßen Mysterieninschrift, denn
die in beiden Inschriften genannten Mnasistratos bezeichnen den-
selben Mann , und das Orakel genehmigt eben die Reformen , die
durch die Mysterieninschi'ift durchgeführt werden. Ausführlich
behandelt diese Neuerungen G. Pasquali, Per la storia del culto
di Andania, Atti accad. Torino IIL, 1912/3, 9-4 ff. Nach ihm wurden
die Mysterien auf die Karneien erst durch Mnasistratos verlegt
und Apollon Karneios in die Reihe der Mj-steriengötter aufgenommen.
Mnasistratos verzichtete auf sein Amt als Hierophant, dessen Be-
fugnisse auf den Priester des Apollon Karneios übergingen, behielt
«ich aber für seine Person lebenslang die bisherigen Privilegien
vor. — Br. Müller, Diss. Hai. XXI, 1913, 298 vermutet,
daß in Andania ursprünglich die peloponnesischen Dioskuren ver-
ehrt wurden, die erst später (durch die Neuerung des Methapos?)
vielleicht nach delischer Sitte mit den Kabiren ausgeglichen und als d^eol
fieyä/.OL bezeichnet wurden. — Die mythischen Beziehungen zwischen
Thessalien und Messenien, insbesondere zwischen Pherai und Pharai,
sowie die zwischen dem thessalischen Oichalia und dem bei Pharai
Me8senien. 3Ö3
liegenden Oiclialia - Karnasion sind , wie K u i p e r , Mnemos.
XXXVIII, 1910, 1-13 if. scharfsinnig nachweist, noch erhebUch
enger als schon bisher angenommen wurde. Z. T. sind die
messenischen Mythen und Kulte älter als die entsprechenden thessa-
lischen. Von Admetos erzählte man, wie auch Kuiper glaubt, früh
in Pharai; erst der Dichter von y 16 ff. soll ihn hier durch Orsi-
lochos ersetzt haben (147). Auch Eumelos , der Schwiegersohn
des Ikarios (d 798), paßt besser für diese Stadt als für Pherai
(154), und Asklepios, mit dessen Tötung Apollous Dienst bei Ad-
metos eingeleitet wii'd, hat (153) nach raessenischer Sage in
Messenien gewohnt. In der Tat führen verschiedene Spuren
darauf, daß Pharai bereits im 8. Jh. eine reiche mythische Über-
lieferung besaß (Handb. 1568, 3). Für Pherai läßt sich das nicht
mit Grund vermuten, und deshalb scheint es mir bedenklich, diese
Übereinstimmungen mit Kuiper aus minyeischen Wanderungen zu
erklären ; eher könnten messenische Geschlechter sich auf Grund
der früh beobachteten Übereinstimmungen in M}'thos und Kult von
thessalischen abgeleitet haben oder umgekehrt. Aber freilich eine
Ursache müssen diese gewiß nicht zufälligen Übereinstimmungen
gehabt haben. Schon die Städtenamen Pharai und Pherai dürfen
schwerlich voneinander getrennt werden; zwar ist der Vokal in
beiden Namen verschieden , aber in der Ilias heißt der Vater des
Eumelos Or^gr^iddr^g, und umgekehrt gehört zu Pharai wahrscheinlich
Aphai'eus. Lautgesetzlich ist der Wechsel bisher nicht zu erklären ;
aber wahrscheinlich ist der Name überhaupt nicht griechisch, und
dann ist eine genaue Entsprechung nicht zu erwarten. Der Name
Pharai findet sich außer in Messenien auch in Achaia und Boiotien ;
an allen drei Orten wie auch in Thessalien erzählt die Über-
liefei'ung von einem Schafgott, der in Tanagra und Achaia Hermes
ygiocfOQOg und ^E7ti/u7Jliog, in Messenien Apollon Kagveiog heißt. In
Pherai freilich hütet Apollon Rinder, und Eumelos hat (II. B 763) die
bestenRosse, aber das scheinenNeuerüngen, da Admetos, dessenHerden
Apollon weidet, in Sparta, das diese Überlieferungen wahrscheinUch
aus dem messenischenPharai an sich gezogenhat, indenÜberlieferuugen
des Apollon Kagrelog erscheint und Eumelos durch seinen Namen auf
die Schafzucht hinweist. Es erhebt sich deshalb die Frage, ob die
Namen Phar und Karn in der vorgriechischen Sprache irgendwie
mit dem Kult des Schafgottes zusammenhängen. Indessen sind
die Übereinstimmungen zwischen Pherai und Pharai doch wohl zu
groß , als daß sie aUe aus der vorgriechischen Zeit hergeleitet
werden könnten ; vielmehr scheinen einzelne Anklänge , die sich
:^(J4 Messenien. Lakonien.
erhalten hatten, die Fürsten von Pherai und ihre Dichter veranlaßt
zu haben, die ganze Überlieferung der sagenberühmten peloponne-
sischen Stadt nach Thessalien zu übertragen.
In demselben Band (Vii) der Inscriptiones Graecae , der die
messenischen Inschriften enthält , werden von W. K o 1 b e die
lakonischen gesammelt; auch ihnen sind die wichtigsten Angaben
über die Landesgeschichte aus den Schriften werken der Alten voran-
gestellt. Das ApoUonheüigtum von Aniyklai war nach Versakis
icf agx- li*12, 183 ff. ursprünglich unterhalb des Thrones gelegen,
und hier stand auch das alte von Paus. III 19, 2 erwähnte ayaXfta.
Später erhielt Bathj-kles den Auftrag , ein Heiligtum weiter ober-
halb und zwar so zu bauen , daß ein (vielleicht schon vorher vor-
handenes) Hj-akinthosgrab mit umschlossen und das alte Bild
ApoUons mit benutzt würde. — Über Weihegaben der Priesterinnen
an den Dionysos von Bryseai s. TlQay.Ti/.d 1909, 296 ff. — In
Sjmrta haben seit 1906 die Engländer gegraben, vgl. Ann. ßrit.
School of Athens XHI, 1906/7, 44 ff. ; XIV, 1907/8, 4 ff . ; XV,
1908/9, 5 ff.; XVI, 1909/10, 15 ff. Das fast völlige Fehlen myke-
nischer Funde erklärt sich nach Karo, Arch. f. Religionswiss.
XVI, 1913, 265 f. daraus, daß die mykenische Stadt weiter südlich
am andern Eurotasufer, bei Therapnai lag, wo auch das Menelaos-
gi-ab gezeigt wurde. — Das Heihgtum des ApoUou Kaqvüog Ol-
y.izac scheint nach Woodward, Ann. Brit. Seh. Ath. XV, 1908/9,
81 (vgl. Karo, Arch. f. Eeligionswiss. XVI, 1913, 264) das
^Leonidaion" gewesen zu sein. Über das Heiligtum der Athena
nolLOiXO<i (später Xalv.ioiv.og) berichtet Dickins, Ann. Brit.
Seh. Ath. Xni, 1906/7, 137 ff. — Besonders ergebnisreich waren
die unter Leitung von Bosanquet und D a w k i n s vorgenommenen
Grabungen, die zur völligen Aufdeckung des Theaters und des
Orthiatempels geführt haben. Der Tempel lag in einem hufeisen-
förmigen, theaterähnlichen Gebäude, das in römischer Zeit errichtet
wurde , damit die am Altar vorgenommenen heiligen Handlungen,
darunter auch die Geißelungen , von der Menge gesehen werden
konnten. Der ältere . aus dem Anfange des 6. Jhs. stammende
Tempel selbst war früher — vielleicht im Zusammenhang mit
der Erneuerung der lykurgischen Verfassung — wiederhergestellt
worden. Das älteste Bauwerk . ein Häuschen mit Ziegelmauern
lind Fachwerk, und der dazu gehörige Altar sowie der noch ältere
in einer flachen Mulde gehören der geometrischen Zeit an. Das
Tempelbild scheint eine stehende Frau mit anliegenden Armen dar-
gestellt zu haben. Die älteren Weihgeschenke zeigen sie meist
Lakonien. Argolis. 3gr^
geflügelt mit zwei Tieren — gewöhnlich Wassei-vögelu — in den
Händen, s. Thompson, Journ. Hell. Stud. XXIX, 1909, 286 ff.,
also als 7c6Tvia 'hjQcov. Obgleich dieser Typus wenigstens z. T.
wahrscheinlich an mykenische Vorbilder anknüpft, hat sich auch
hier, abgesehen von einer Gemme, nichts Mykenisches gefunden,
■wohl aber eine Anzahl geometrischer und protokorinthischer Ware.
Mit der Göttin zusammen wurde , wie es scheint , Eileithyia ver-
ehrt, s. Dawkins, Brit. Seh. of Athens XV, lOOS'O, 21 f. —
Die bei den Ausgrabungen gefundenen Gorgoneia sind nach Schnabel,
Kordax S. 50 Masken, die beim Tanz getragen wurden. — Für FaarjTC-
zov bei Paus. III 12, 8 vermutet Maaß, österr. Jahresh. XI,
1908, 13 aKrj/ttov (tan d^ inorof.ia<löiuevoi' [^y.]i]TiT6v^ ieqov yag).
Das Wort soll ebenso wie r^Xcoiov eine vom Blitz getroffene Stelle
bezeichnen.
Dawkins Grabungen bei dem Eleusinion, IV2 Stunden süd-
lich von Sparta (vgl. Journ. Hell. Stud. XXX, 1910, 359) haben
keine nennenswerte Funde ergeben.
Das Menelaosheiligtum in Therapnai am östlichen Eurotasufer
"wiirde durch Wace und Thompson freigelegt; vgl. die Aus-
grabungsberichte , Ann. Brit. School of Ath. XV, 1908/9, 108 tf.
Die älteste Anlage scheint bis in spät mykenische Zeit hinauf-
zureichen, womit m. E. noch nicht entschieden ist, daß der wahr-
scheinlich vorgi'iechische Kult Helenas hier in so alte Zeit hinauf-
geht; tut er es, so ist wahrscheinlich Menelaos als Gatte der
Heroine etwa im 7. Jh. aus der argivischen Kultur hinzugetreten.
Das Heiligtum in Therapnai blieb bestehen , als die Stadt nach
Norden auf das rechte Ufer des Flusses verlegt wurde. Nach dem
großen Erdbeben von 464 wurde ein Neubau angelegt. — Daß der
Unterweltseingang am Tainaron vordorisch sei, erschließt Malten,
Kyrene 120 aus der undorischen Namensform Pohoidan.
Die Funde ägyptischer Kleinkunst, die an verschiedenen Stellen
von Argolis , namentlich am Heraion und in Mykenai gemacht
sind, werden von Foucart (zuletzt Mysteres d'Eleusis 1 ff.) und
von A. Fick, Zeitschr. f. vergl. Sprachforsch. XL VI, 1914, 119
als Beglaubigung der griechischen Mythen über ägyptische An-
siedelungen in der Landschaft betrachtet; in Wahrheit bestätigen
sie nur, was die Funde auch an zahlreichen anderen Stätten ge-
lehrt haben, daß die ägäische Kultur des zweiten Jahrtausends, der
sie angehören, in Warenaustausch wie mit Westasien so auch mit
Ägypten gestanden hat. — Aus dem Kuppelgrab am Heraion, das
unterhalb einer Felshöhle liegt, schließt P. Friedländer, Ath.
36G Argolis. Arkadien.
Mitt. XXXIV, 1909, 69 ff., da die übrigen Grabdome meist zu
einer Burg gehören, daß auch die Spitze des Heraions, einst eine
Feste getragen habe, nach deren Zerstörung die Eroberer entweder
den Kult der früheren Herren beibehalten oder ihrer eigenen
Göttin ein Heiligtum errichtet hätten. Er dachte sich noch Achaier
als Erbauer der alten Burg, heute würde man eher an vorgi*iechische
Besiedler denken und ihnen nicht nur Hera , sordern auch die
Danaiden und lo, die in der Tat nicht griechische Namen zu tragen
scheinen, zuweisen, wenn sie, wie Friedländer meint, aus Legenden
des Heraion stammen.
Auch auf der Larisa von Argos hat in der Zeit der mykeni-
schen Kultur eine Burg gestanden , und auch der Name dieser
Stadt scheint ungi-iechisch , ebenso wie die der meisten Phylen
oder q>dzQai, die eine von W. Vollgraff, Bull. corr. hell. XXXIII,
1909, 182 ff. veröffentlichte, auch für die Rehgionsgeschichte und
die Mythologie wichtige argivische Insckrift bietet. Wir finden
hier u. a. Paionidai , Olisseidai , Arkeidai , Aithonidai und Vanidai.
Der Herausgeber erinnert an Paion von Messenia , Odysseus und
Arkeisios von Ithaka, Aithon von Thessalien und zweifelnd an
Anios von Delos. Diese Namen scheinen demnach entweder aus
argivischen Stammtafeln zu stammen oder doch wenigstens auch
in solchen gestanden zu haben , wie dies von Odysseus bereits
früher (Handb. 175, 624) vermutet wurde.
Über das 'ieqov von Epidauros handelt der Arzt Arabantinos,
"AayJ.r^nioQ, Aal ^a/.Xrj7tieia 32 ff. — Die Kureten IG, IV, 996 in
Epidauros sind nach Poerner, Dissert. Hai. XXII, 1913, 275
wohl an die Stelle der Daktylen getreten. — Über die mythische Königs-
liste von Troizen s. Pf ist er, Reliquienkult I (RV u. V, V), 50 ff.
Die arli ad i sehen Überlieferungen stellt Hill er v. Gär-
t ringen in IG Vn ebenso zusammen, wie wir es bereits von den
messenischen und lakonischen gesehen haben. — Über Ausgrabungen
in Kaphyai Methydrion , Orchomenos , Teuthis , Theisoa berichtet
Lattermann, Abh. BAW 1911, Anhang IV, S. 18 ff. — Über
den Apollontempel in Bassai s. Kuruniotis, scp. dgx- 1910, 271 ff.
Unter dem Tempel des Iktinos lag, wie die Grabungen lehren, ein
älterer, bei dem der Kult bereits im 7. Jh. rege war. — Ebd. 29 ff.
wird über die Ausgrabungen am Heiligtum des Apollon Parrasios
und an der Kretea des Lißiaion (Paus. VIII 32, 2) berichtet und
142 ff. über die am Megaron von Lyjiosura (Paus. VIII 37, 8), wo
zahlreiche Terrakotten gefunden sind. Sie stellen großenteils ein
aufrechtstehendes Schaf in einem Frauenhimation oder eine Frau
Arkadien. 3(j7
mit einem Schafs-, seltener Kuhkopf (155 ff.) dar, die einen Korl>
auf dem Kopf trägt : so sollen die Verehrer der Göttin ihre Gaben
in Prozession dargebracht haben. Das von Pausanias genannte
Megaron wird in einem Bauwerk wiedergefunden , das dem Altar
des Zeus Soter in Pergamon sehr ähnlich war. Der Tempel ist
hellenistisch; über die Kultgi'uppe Demeter, Despoina, Artemis,
Anytos s. Dickins, Ann. Brit. Seh. of Ath. XIII, 1906/7, 357
und Kuruniotis, -/.axaloyog rov Movodov yiv/.oooiQag, Athen
1911; die Artemis von Lykosura behandelt S. Reinach, Cultes
mythes, relig. III 210 ff. — Über StympJialos vgl. H. Latt er-
mann und F. Hiller v. Gärtringen, Ath. Mitt. XL, 1915^
71 ff. Die alte Stadt, w^o Hera von Temenos, Pelasgos' Sohn, auf-
gezogen sein sollte, lag auf der Halbinsel im See, die von Pausanias
allein gesehene Neustadt am Fluß Metope , wo der Artemistempel
sich erhob — Über Ausgrabungen am Tempel der Athena (H)alea
in Tegea vgl. Ehomaios, üquat. 1909, 303 ff., Arch. Anz. 1911,
131; Du gas, Compt. rend. AIBL 1911, 257; 1912, 653; Rev.
de l'art. anc. et mod. XXIX, 1911, S. 9 ff . Der Tempel ent-
stammt der ersten Hälfte des 4. Jhs. [Hjalea , später Alea
Athena ist nicht, wie R. Meister, Ber. SGW 1889, 83 wollte, der
Athena UoliaTig gleichzusetzen, s. v. Premerstein, Österr.
Jahresh. XV, 1913, 198 und besonders Rhomaios , Journ. intern,
d'arch. num. XIV, 1912, 50 ff. , denn das Heiligtum dieser Göttin,
die auf einer von Premerstein a. a. 0. herausgegebenen In-
schrift .FaoaTcoxog heißt (vgl. Telephos' Gattin Astyoche), lag am
Markt, das der Alea Athana über 3 Stadien entfernt, an der Süd-
westecke der Stadtmauer. Rhomaios versucht nach Mzz. und
einem Relief vom Kultbild eine Vorstellung zu gewinnen ; die Göttin
scheint mit einem langen gegürteten Chiton bekleidet gewesen zu
sein und einen korinthischen Helm sowie eine Lanze, dagegen keinen
Schild getragen zu haben. Auf der Inschrift des Mummius steht
neben ihr Herakles , der nach einer tegeatischen Legende von ihr
die Gorgolocke empfangen haben sollte (ApoUod. ßißX. II 144). —
Das Demeterheiligtum nördlich von Tegea hat viele Statuetten der
thronenden Demeter und der stehenden Persephone aus Terrakotta,
seltener aus Bronze zutage bringen lassen ; vgl, über den Kult, der
sich bis ins 3. Jh. nach Chr. erhielt, JIpaxTixa 1909, 317 ff.
Die Nordländer der Balkanhalbinsel.
0. Hoffmann, Die Makedonen, ihre Sprache und ihr Volks-
tum, Göttingen 1906, wiU die Makedonen als echte, den
Q^g Makedonien. Thrakien.
Thessaleru verwandte Griechen erweisen, die aber von den unter-
■worfenen thrakisch - phrygischen und illjn-ischen Stämmen einzelne
Elemente aufgenommen haben. Ungefähr auf demselben Standpunkt
steht Hoffmanns Rezensent, F. S o 1 m s e n , Berl. Phil. Wochenschr.
XXVII, 1007, 270 ff., der aber den thrakisch-phrygischen Einschuß
stärker betont und auf ihn auch den im Griechischen sich sonst
nicht findenden Ersatz der Aspirata durch die Media zurückführt.
Über die Kulte handelt Hoffmann S. 92 ff. — *Dobruskys,
Materiaux d'archeologie en Bulgarie, Sophia 1907.
Unter den von Kaiinka, Antike Denkm. aus Bulgarien
(Schriften der Balkankommission, Antiquar. Abt. IV) Wien 1907
herausgegebenen Inschriften sind erwähnenswert die Weihungen
ÄU KvQia ^AcfQoditi] (S. 165, no. 183), den KvQiog ^aßaUog {\M\
die !x/r€;i<o< IcoirjQeg (S. 179, no. 200), den KvQiog ^ovrj{TovXrjv6g?
vgl. no. 202, KvQiog "Hgcog lovizovhjvcg) ebd. S. 180, no. 203. —
Eine Inschrift aus Sofia (Serdica) Klio IX, 1909, 254 erwähnt die
Stiftung eines Heiligtums der Mater deum. Vielleicht auf denselben
Kult bezieht sich eine andre Inschrift von Sofia (ebd. 258), in der
^EvÖQoq^oQOi der Göttermutter (Z. 3) und f^varai (Z. 20) genannt
werden. — Die thrakischen Münzen sind im zweiten Bande der von
der BAW herausgegebenen Münzen Nordgriechenlands gesammelt.
Dem Referenten war bisher erst das erste Heft (Berlin 1912) zu-
gänglich in dem M. Strack unter Mitwirkung von H. v. Fritze
die Münzen der Thraker und der Städte Abdera, Ainos und
Auchialos zusammengestellt hat. — Ein Schüler von 0. Kern,
W. Baege (De Macedonum sacris , Diss. Hai. XXIIj, 1913) gibt
eine sorgfältige Darstellung der makedonischen Kulte. Der Haupt-
wert der Arbeit liegt begreiflicherweise in der Sammlung der Zeug-
nisse ; aber der Verfasser beweist auch in den Folgerungen , die
er aus ihnen zieht, Urteil und Verständnis. In ethnographischer
Beziehung teilt er ungefähr die Ansichten Solmsens; er glaubt,
daß die Makedonen sich mit der von ihnen beherrschten haupt-
sächlich thrakophrj'gischen Bevölkerung verschmolzen haben ; letzterer
schreibt er z. B. den Dionysos zu (105). Diese Annahme liegt
nahe und ist vielleicht richtig; da aber einerseits sehr alte mittel-
griechische Ansiedlungen an der thrakisch-makedonischen Küste,
anderseits enge Beziehungen zwischen dem thrakisch-phrygischen
Dionysoskult und den mittelgriechischen Kolonialstaaten feststehen,
und da drittens die freilich von manchen Forschern noch an-
genommenen thrakischen Niederlassungen am euboiischen und ma-
lischen Meerbusen ziemlich unwahrscheinlich sind , so scheinen
Thrakien. 369
daan die Kulte aus den Kolonien in deren Heimat gewandert zu sein.
Diese Annahme mag zunächst befremden , aber bei reiflicherem
Nachdenken wird es als nicht unmöglich und auch nicht als un-
wahrscheinlich erscheinen, daß im 8. Jh. der in Thrakien vor-
gefundene orgiastische Kult zunächst bei den griechischen Zu-
wanderern Modesache wurde und daß sich dann auch im Mutter-
lande Kult- und Geschlechtsgeuossenschaften bildeten , die sich
Thraker oder mit einem thrakischen Wort Dyaleis nannten. Frei-
lich konnte es dann kaum ausbleiben , daß echt griechische oder
von den Einwanderern in Griechenland vorgefundene Elemente,
eben die , auf welche sich die Annahme einer Übertragung des
Dionysoskultus nach, nicht von Thrakien stützte, in den barbarischen
Kult eindrangen; und dann ist die Frage nach der Richtung der
Übertragung, wenn sie mehr bedeutet als die Heimat des Namens
Dionysos, überhaupt nicht glatt zu erledigen. — G. Oikonomos,
^Euiygafpal xrjg Maxeöoviag {ßiß'kioO-rf/.r} rrjg sv ^^(^yvaig agyaio-
XoyfKfjg ezaiQEiag) I, Athen 1915, sammelt pierische Inschriften
hauptsächlich aus Dion (z. B. auf Athena- und Asklepioskult be-
zügliche no. 6 u. 4) und aus Pydna (wo no. 64 einen Zeuskult
erwähnt). — Von einzelnen makedonischen und thrakischen Kult-
stätten ist nur wenig zu erwähnen. In Abdera diente , wie sich
aus der im Bull. corr. hell. XXXVII, 1913, 125 no. 39 veröffent-
lichten Inschrift (Z. 34; vgl. ebd. 123 no. 39, 23) ergibt, das
Dionysosheiligtum, das als {ß7iiq)aveoT)aTog Tojco^g) galt, zur Auf-
stellung von Urkunden 5 über einen Jlovvouov aycuv s. ebd. S. 123. —
Über eine lokrische Ansiedlung daselbst handelt Jure nka, Philol.
LXXI', 1912, 173 ff. auf Grund der Abdei'ossage in dem neuen
Paian Pindars. Die Abderossage ist ihm eine Ktisisgeschichte
in mythischer Form, aus der er als geschichtliche Tatsache ent-
nimmt, daß eine lokrische Schar unter Abderos, Thronies Sohn,
in der durch Herakles vertretenen phoinikischen Handelsstation
Abdera landete, zuerst die thrakischen Barbaren schlug, die durch
Diomedes (= Ares) und seine menschenfressenden ßosse repräsen-
tiert werden, dann ihren Führer Abderos bei einer blutigen Em-
pörung der Thraker verlor, aber bald darauf mit Hilfe der Phoiniker
Rache nahm. — Der Bezirk der Kampfspiele, das Ji]qccivov^ die
Altis von Abdera , umschloß den Tempel des Apollon , des
sTOÜtor/og der Stadt, und vielleicht den der Aphrodite. — Sehr
ausführlich verbreitet sich über das Fang aion P. Perdrizet,
Cultes et mythes du Pangee, Ann. de l'Est pubüees par la Faculte
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplementband). 24
370 Thrakien. Ägäische Inseln,
des Lettres de rUniversite de Naccy Uli, 1910 (auch als Sonder-
druck. Paris. Nancy 1010 erschienen). Das von Maaß unterschiedene
doppelte Dionysosheiligtum in Amphipolis und auf dem Pangaion
wird (S. 30) geleugnet; ebenso der orphische Einfluß auf den
Pangaioudienst und die von Maaß 1.3.^ verteidigte, auf Himerios
fußende Annahme eines Leibethra am Pangaion. Die Angabe
Alexanders, des Vielwissers, bei Macr.-Sat. I 18, 11 (FHG III,
244, 151) über den Kult des Helios-Dion^-sos auf dem Zilmissos-
berg soll auf das Heiligtum bei den Bessen gehen (43). — Vgl.
zu Perdrizets Untersuchung Vollgraff, Rev. et. anc. XII, 1910,
429. — Svoronos. Jouru. intern, d'arch. num. XV, 1913, 252 ff.
will pierische Kulte am Pangaion nachweisen. Er verbindet z. B.
den Eberaltar makedonischer Münzen mit der Sage vom Sys am
Olymp (Paus. IX 30, 11).
Inseln des ägäischen Meeres.
Das Ergebnis seiner Ausgrabungen an dem Tempel zu Aigina
faßt A. Furtwängler in dem großen Werk „Das Heiligtum der
Aphaia, unter Mitwirkung von E. R. Fiechter und H. Thiersch",
München 1906 zusammen. Wie Furtwängler nehmen auch Maiuri,
Rom. Mitt. XXV, 1910, 197 ff., und Savignoni, ebd., 206 ff.,
welche aber in der Ergänzung und Deutung der Widmungsinschrift
auseinander gehen , an , daß der Tempel der Aphaia geweiht war.
Del OS. Kurze Ausgrabungsberichte von Holleaux finden
sich in den Comptes rend. AIBL 1906, 546; 1907, 335 ff.; 1908,
163 ff. ; über die Fortsetzung dieser Berichte s. u. Seit 1909 er-
scheint das große Werk Exploration archeol. de Delos faite par
Tecole franpaise d'Athenes et publice sousladirectionde Th.Homolle
et M. Holleaux. — Von einzelnen delischen Kulten bespricht
A. Mommsen, Philol. LXVI, 1907. 433 ff. den des delischen
Apollon\ den Hömeraltar versetzt Courby, Mel. Holleaux, Paris
1913, 59 ff. in ein fast völlig zerstörtes Gebäude vor den Tempeln
im Westen des heiligen Weges, wogegen 0. Roßbach, Berl.
Phü. Wochenschr. XXXV, 1915, 361 einwendet, daß nach Od.
L 162 und Polyb. XXVI 1, 11 der Altar eher im Freien gestanden
zu haben scheine. — Über das KahcArion vgl. Holleaux, Comptes
rendus AIBL, 1910, 306 ff. Der Kult bestand bereits im 3. Jh.,
aber der Tempel wurde 101 v. Chr. erneuert. — Über die Nym-
phai Mivoldeg und die Quelle Mivoh], MivwIt] s. Holleaux ebd.
1909, 413 ff. Ein kleines Gebäude an der Südseite des Stadions
hält A. Plassart, Mel. Holleaux 1913, S. 201 ff. für die jüdische
Delos. Euboia, 37 1
Synagoge. — Viel behandelt ist das Temenos der fremden Götter
an den Inoposabhängen ; vgl. Rusch, De Serapide et Iside in
Graecia cultis S. 38 ff. ; W. Scott Ferguson , Klio VII, 19ü7,
226; IX, 1909, 332 ff. ; Roussel, Bull. corr. hell. XXXU, 1908,
186; Comptes rend. AIBL 1910, 521 ff.; Holleaux, ebd. 290 ff.
Ferguson will aus den Inschriften feststellen, daß die meisten dieser
Kulte unter athenischer Herrschaft im 2. Jh. v. Chr. gestiftet seien,
daß aber ein Serapis- und ein Isisheiligtum schon vor der zweiten
athenischen Okkupation bestanden habe , aus dem auch einzelne
Gegenstände in ein jüngeres Heiligtum der ägyptischen Götter über-
tragen seien. Ferguson bestreitet gegen Roussel, daß dieses
wegen der älteren dort gefundenen Gegenstände vor 137/6 gestiftet
sein müsse. Mit den ägyptischen und syrischen Niederlassungen
auf Delos ist nach Ferguson auch der Kult der fremden Götter
erloschen. Hiergegen wendet sich Holleaux a. a. 0. Zwar
nimmt auch er an, daß die „fremden" Götter ursprünglich von
Fremden verehrt seien, er meint aber, daß sie später in den Kreis
der Staatsgottheiten übergingen und daher keineswegs erloschen,
als mit der politischen Blüte der Diadochenreiche auch ihre Handels-
beziehungen zu Delos dahinschwanden , daß Rom den delischen
Kult der fremden Götter sogar begünstigt habe. Es sind zwei
Gruppen von Heiligtümern zu xmterscheideu , von denen die auf
dem südlichen Teil der TeiTasse gelegene (Holleaux 294 ff.) den
ägyptischen Göttern geweiht war. Hier erhob sich schon ungefähi-
200 V. Chr., wie Weihinschriften an Serapis, Isis, Anubis, Ammon
(aber auch an Artemis Ocooq)6Qog) beweisen (Roussel a. a. 0.
523 f.) , ein ihnen geweihtes Heiligtum. Es sind mehrere Tempel
einzelner Gottheiten auf der felsigen Plattform über dem Inopos
zu unterscheiden; gegen Ende des 2. Jhs. v. Chr. wurde aber
weiter im Südosten eine zusammenfassende gemeinsame Kultstätte
errichtet. Auf dem nördlichen Teil der Terrasse lag dann das
Heiligtum der syrischen Göttin Atargatis (Holleaux a. a. 0. 300 ff.),
der gegen Ende des 2. Jhs. ein kleines Theater geweiht wurde
(Arch. Anz. XXIX, 1914, 155); ihrem Kult schreibt Roussel,
Mel. Holleaux 265, eine dehsche Stele mit Reinheitsvorschriften zu.
Die Inschriften von Eu hoia sammelt E.Ziebarth,IG XII 9,
1915. — Der Streit um die in Chdlkis gefundene, von Papabasileios ecp.
aqX- 1902, S. 29 ff. herausgegebene Inschrift, die nach Wilhelm
ebd. 1902, 185 u. 1904, 103 f. aus Athen verschleppt ist, hat auch
in der Berichtsperiode fortgedauert. Die in der Inschrift genannten
Kulte sind meist attisch , und deshalb stellt sich Ziehen, Leges
24*
372 Euboia. Ikos. Keos.
sacrae Hi, S. 42 ff. entschieden auf Wilhelms Seite ; aber Farnell,
Cl. Rev. l'JOG, 27 ff. glaubt ihren euboiischen Ursprung mit der
Vennutuug halten zu können , daß die mit der Anlage der Pflanz-
stadt 444 neu eingeführten attischen Kulte (Herakles iv ^EXaiel,
Zeig TgOTtaJog, Aphrodite sq) ^iTtnolirii)) die einheimischen eretri-
schen (Eros und Glaukos) überwuchert habe, und Papabas ileios,
dessen Gründe Wilhelm bereits zweimal widerlegt hatte , versucht
ew. ciQX- 1911, 81 ff. seine Ansicht noch einmal zu stützen. — In
Ereirin fanden Ausgrabungen am Heiligtum des Apollon Jag)vrj-
(fOQog statt, die u. a. zahlreiche, von Kuruniotis, icp- uqx- 1911,
1 ff. herausgegebene Inschriften zutage gefördert haben. Neben
dem großen ApoUonheiligtum wurde ein kleineres entdeckt, das
wahrscheinlich die Perser zerstört haben: vgl. Karo, Arch. f.
Rehgionswiss. XVI, 1913, 273. — Ein Tempel mit dem Thes-
mophorion ist jetzt durch eine Weihung an Köre auf der Südost-
seite der Akropolis erwiesen; s. Arch. Anz. 1911, 122. Über den
Ort, an dem die eretrischen Artemisia gefeiert wurden, vgl. Papa -
basileios, eq^. oqx- 1911, 94. — Ein Thesmophorion westlich von
Eretria wurde durch Kuruniotis entdeckt, vgl. Arch. Anz. 1911, 122.
Für die Peleussage auf IJcos erschließt v. Wilamowitz
Herrn. XLIV 1909, 474 f. neue Zeugnisse, indem er nach Anth.
Pal. VII 2, 8 bei Seh. Pind. Hvi^ III 167 «^ und Seh. Eur. Tq.
1128 für Kos einsetzt Ikos, was durch Kallim. airia Oxyrh. Pap.
XI, 1915, no. 1362 v. 23 f. bestätigt wird. Es fallen damit an-
scheinend festgegründete Kombinationen, z. B. von K. 0. MüUer,
der daran erinnerte, daß Peleus' Gastfreund Molon einen auf Kos
häufigen Namen trage und daher der koischen Peleussage sogar
geschichtlichen Wert zuerkannte, von Dibbelt, der zu dem koischen
Abanten Molon die den chalkidischen Abanten gleichnamigen Koer
Chalkiope und Chalkon stellte, und v. Wilamowitz selbst, der in der
nahen Beziehung der koischen Abanten zu dem thessalischen Peleus
einen Beweis für die Zusammengehörigkeit von Histiaia auf dem
abantischen Euboia und der thessalischen Landschaft Hestiaiotis
gesehen hatte. Alle diese scharfsinnigen Vermutungen müssen selbst
in dem Fall aufgegeben werden, wenn der koische Molon nicht
auf einem sehr alten Schreibfehler, sondern darauf beruhen sollte,
daß ein koisches Geschlecht die Sage von Ikos sich angeeignet
und mit seinen eigenen Überlieferungen verschmolzen hat.
Nachdem bereits das Siegeslied des Bakchylides auf den
Keier Argeios die Überlieferung über die mythische Geschichte
von Keos sehr bereichert hatte, werden neue Aufschlüsse geboten,
Keos. 373
freilich zugleich neue Rätsel aufgegeben durch den vor kurzem
entdeckten Paian Pindars und das große Kallimachosbruchstück
Oxyrh. Pap. VII, 1910, S. 25, das den zweiten Teil der Kydippe-
sage , zugleich aber im Anschluß daran (54 ff.) einen Auszug aus
der keischen Geschichte des d^x^t^og X€voi.ajöi]g bringt, og Ttoie
naaav vi^aov ivl ^ivr^iA]] yiccTd^eio f-ivO^oloyo). Es ist dies offenbar
derselbe, der im EM d^tlyei 445, 8 genannt wird (!^)£vofA{rJd)jg
(überl. ^Evoi-iidrjg) b %a{K)eLa (tiberl. d^ela) ygdipag xal xovg Telyj.vag
STVf^oloyi^aag einev ori Oelylveg ijaav. Nach Xenomedes werden
(v. 70 ff.) als Stadtgründer auf Keos bezeichnet Megakles (von
Karthaia) , Eupylos , der Sohn der Nymphe Chi-(y)so (von lulis),
Akai . . . (von Poieessa) und Aphrastos (von Koression). Wir
hören (v. 62) von Karern und Lelegern auf Keos , von den Tei-
chinen und dem törichten Frevler Demonax, von Makelo und ihrer
Tochter , die allein verschont blieben, als die Bewohner der Insel
ihrer Ruchlosigkeit wegen zugi-unde gingen. Diese Verse erläutern
z. T. den Bericht des Bakchylides I 114 ff., Nonn. J. XVIII, 35 ff.
und die verworrenen , auch schlecht überlieferten Angaben beim
Schol. Ov. Ib. 473 = 475, lassen sich aber mit ihnen nicht ganz
vereinigen. Es folgt die Euxantioslegende , über die jetzt auch
Pind. nai. IV 34 ff. S. 279 Sehr. 2 = Oxyrh. Pap. VIII 841, S. 37
(vgl. S. 90) vorliegt: Zeus und Poseidon haben mit Blitz und
Dreizack die Insel geschlagen und den OTQazog in den tiefen Tar-
taros gestoßen , aber die Mutter des Euxantios übrig gelassen. —
Diese Fülle neuer Mythen hat begreiflicherweise zahlreiche Unter-
suchungen hervorgerufen. K. Chr. S 1 0 r c k , Die ältesten Sagen
der Insel Keos, Gießener Diss., Mainz 1912 behandelt, hauptsäch-
lich im Anschluß an das neue Kydippebruchstück , die Nymphen
(5 ff.), Aristaios und Zeus ^AQiOTolog (8 ff.) , Apollon (13) und
Dionysos. Er glaubt aus den Sagen die Vorgeschichte der Insel
erschließen zu können , die er in drei Pex'ioden einteilt. Zuerst
sollen Leleger, die den Kult des Apollon Sminthios und der Athena
Nedusia einführten und vielen Orten den Namen gaben (KoQi]Go6g
usw.) , auf der Insel gewohnt haben , auf sie folgten nach Storck
Karer. Einen Lelegerfürsten sieht er (17) auch in dem Eponymen
der Insel, weil die Sage ihn gewöhnlich aus Naupaktos stammen
läßt, wo nach Hesiod. fr. 115 Rz.2 = Strab. VII 7, 2, 322 vielleicht
Leleger wohnten; doch meint Kallimachos mit seinen Lelegern
wirkliche Kleinasiaten, da der Zeus 'AXaKa^iog ■, dem sie unter
Trompetenschall opfern, dem karischen ^TQccTiog gleichgesetzt wird.
Denn selbst wenn hiermit nicht nur die keischen Leleger durch
374 Keos.
ihren Zeus als Karer gekeunzeichnet sein, sondern die Keier wirk-
lich den ^TQCcTiog verehrt haben sollten, würde Kallimachos dies
nicht hervorgehoben haben, wenn er nicht die beiden Angaben
über die Übervölkerung der Insel und den Zeusdienst verbinden
und die eine durch die andere beglaubigen wollte. Mit Recht hebt
auch F. Sitz 1er, Berl. Phü. Wochenschr. XXXVI 1916, 789
hervor, daß (.terä zu Anfang des den Keos einführenden Satzes
„nachher" bedeuten könne und daß KalHmachos den Keos vielmehr
aus Arkadien herzuleiten scheine. Auf die Leleger folgten nach
Storck Kreter, die zur See herrschten, auf diese wiederum
gi'iechische (dryopische '?) Stämme. — Gunning, De Ceorum fabulis
antiquissimis quaestiones selectae, Amsterdamer Diss. 1912 behan-
delt die vorgriechischen lelegischen und karischen Überlieferungen
an der Hand des Kydippebruchstückes , dessen Besprechung den
ersten Teil der Abhandlung bildet. Nachdem im zweiten Teil die
ethnogi'aiDhischen Angaben über Keos geprüft sind (26 ff.) , wobei
von den Ortsnamen Karthaia für vielleicht phoinikisch, Koressos
und MeHssos (40) für karisch erklärt werden, handelt Kap. 3
(49 ff.) über die Sage von dem Telchinenkönig Demonax und Dexi-
thea sowie (66 ff.) über die korykischen Nymphen. — Jockl,
Wien. Stud. XXXVII, 1915, 151 stellt die keische Sage in der
Quelle des Bakchylides so her: als die Teichinen die Fluren von
Keos verzaubern, besuchen Zeus und wahrscheinlich Apollon (vgl.
Nonn. z/. XVIII, 35) die Insel, wei'den von den Teichinen nicht
aufgenommen , aber von den Töchtern ihres Königs gastlich be-
wirtet. Die Götter beschließen, diese durch ein Traumbild (Bak-
chyl. 50) vor dem beschlossenen Untergang der Stadt zu warnen;
während die übrigen Töchter folgen, scheint Makelo (Ov. Ib. 475
= 473) aus Gattenliebe mit den andern Teichinen umgekommen
zu sein. An Bakchylides schloß sich Nikander an. Kallimachos
unterscheidet sich von ihnen dadurch , daß er erstens nichts von
Minos' Ankunft und der Geburt des Euxantios sagt und zweitens
Makelo Gattin, nicht Tochter des Demonax (= Dämon bei Seh.
Ov. Ib. 475 = 473), also Mutter, nicht Schwester Dexitheas nennt.
Nach Jockl 155 bieten Xenomedes-Kallimachos die ältere Sagen-
form, der auch Find. Tlai. IV 42 folgt. Bei Nonnos a. a. 0. sind
die Teichinen durch die Phleg}-er ersetzt, die Poseidon (wie bei
Euphorion Serv. Aen. VI 618) vernichtet. — An bereits früher
bekannte keische Überlieferungen knüpft Malten, Kyrene 91 f.
an. Einer Andeutung von Blaß (Einleit. zu Bakchyl^ S. LIY)
und V. Wilamowitz (GGN 1898, 128) folgend, will er die „bakchyli-
Keos. Kos. Kreta. 375
deischen" (fr. 52) Telchinennamen Aktaios, Megalesios, Ormenos
und Lykos als keisch erweisen. Er bringt den Namen Aktaios
mit dem des Jägers Aktaion zusammen, dessen Hunde nach Arme-
nidas in Teichinen verwandelt wurden, den also ursprünglich Zeus'
oder Artemis' Hunde , die Teichinen oder diese in Hundegestalt
zerrissen haben soUten. Allein die Namensähnlichkeit zwischen
dem Jäger und dem ihn zeiTcißenden Teichinen ist doch , selbst
wenn Malten die älteste Sagenform richtig erschlossen haben sollte,
ein unsicherer Anhalt; Bakchylides selbst bietet 'Etclv. I 116 ff.
eine ganz andere Sagenform, und es ist leicht möglich, daß Tz.
Qeoy. 81 irrig Bakchylides als Gewährsmann nennt, oder daß dieser
an anderer Stelle eine andere , nicht keische Sagenform erzählte.
Blinkenberg, Herrn. L, 1915, 301 ff. weist daraufhin, daß die
von Tzetzes gebotenen Telchinennamen wahrscheinlich rhodisch
sind, und daß für Aktaios wahrscheinlich Antaios (vgl. Tz. /iA.
YII 124) zu lesen sei. — Von eigenen Vermutungen Blinkenbergs
sei hervorgehoben, daß er Ov. Ib. 468 und 473 auf zwei Brechungen
derselben Sage zurückführt , die der Dichter als solche nicht er-
kannte, und daß er in der Sage von Minos (Bakchyl. Eniv. I, 113 ff.),
der , wie schon v. Wilamowitz angenommen hatte , an die Stelle
des Zeus getreten sein soll, eine Nachbildung der Argonautensage von
dem Weibervolke sieht. Sollten den Frauen Männer zugeführt werden,
so bot sich das Seevolk der Ki-eter von selbst dar, deren König
Minos natürlich die Prinzessin Dexione (Dexithea) heiraten mußte.
Die Lage des Asklepiosheiligtums von ICos erläutert B. Herz og,
Arch. f. Eeligionswiss. X, 1907, 201 ff.
Inschriften aus Kr eta veröffentlicht Xanthudides, t(p.
ccQX- 1908, 197 ff. ; hervorzuheben sind no. 1 (aus dem Diktaion),
2, 15 (aus Lato), 16 (Kjiossos) , 17 (Chersonnesos) , 18 und 19
(Gortyn). — Daß Epimenides , der Dichter der KQtjTi/.d , ein
Alexandriner war, will Neustadt, De love Cretico 40 erweisen. —
Zahlreiche semitische Orts- und mythische Namen auf Kreta glaubt
Aßmann, Philol. LXVII, 1908, 161 entdeckt zu haben-, so soll
z. B. Tarra, wo ApoUon nach der Sage von dem Drachenmord
entsühnt wird, = taharah „Reinigung von Sünde" sein (166),
Kastalios = Kassath eli „Bogenschütze des Gottes" , AkakaUis
= Chakak el „Gott hat verordnet", ßhadamanthys = radah methim
„Herrscher der Toten". Korybas wird als qarob Ba'^al, „dem Ba'al
nahestehend" gedeutet. Spuren babylonisch - assyrischer Ein-
wanderung in Kreta findet Aßmann 193 ff. in den Namen Asterios
vgl. Istar), Kadistos (vgl. Kadistu, Hierodule Istars), Kyta (vgl.
876 Kreta.
Kutha), Lasos (vgl. die babylonische Göttin Laz) u. aa. Arabischen
Einfluß sollen die Namen Minos (vgl. die Minaei) und Rhada-
manthys (vgl. die Ehadamaei) u, aa. erweisen. — Für ein Misch-
volk hält die Kreter Schaefer, De love apud Cares culto, Diss.
phil. Hai. XX, 4, 1912, S. 377 ff. Die kretische Doppelaxt wird
von Karien hergeleitet (382) und die Ableitung des Labyrinths
von lä^Qvg, die Ed. Meyer, Gesch. des Altertums I^u, S. 637
sehr problematisch findet, gebilligt. — Gegenüber der Ansicht,
daß die vorgriechischen Bewohner Kretas beim Eindringen der
Griechen großenteils nach Kleinasien, ihrer Heimat, zurückfluteten,
folgert E. Bethe, Rh. Mus. LXV, 1910, 214 aus dem Fehlen
von Minossagen daselbst , daß die vertriebenen Kefti dort keine
dauernde Aufnahme fanden. — Die Beziehungen Kretas zu Olympia
bespricht L. Weniger Klio VII, 1907, 177 ff., die zu Arkadien
stellen Aly, Kret. Apollonkult 56 und S. Rein ach, Cultes, mythes,
relif. III 221, der die Schlangengöttin von Knossos in der Artemis
von Lykosura fortleben läßt, zusammen. — Mit Thessalien ist
Kreta, wie A. J. Rein ach, Rev. bist, des rel. LX, 1909 2, 188 f.
zeigt, ebenfalls durch gemeinsame epichorische Bezeichnungen wie
Axios (Axos), Boibe , Gyrton oder Gordynia (in Kreta Gortyn),
Larisa, Lethaios, Magnesia, Omphalion, Peneios, Phaistos, Phalanna,
(in Kreta Phalasarna), Pherai (Pharai), Pydna (in Kreta Hierapytna),
Trikka (Tritta = Knossos) usw. und mythische Namen wie Salmo-
neus (kret. Salmonion), Europa (in Thessalien Europos), Asterion,
Itonos (vgl. kret. Itanos) verbunden. Um 1200 sollen thessalische
Achaier nach Kreta gewandert sein und diese Namen und Sagen,
die aber, was A. J. Reinach nicht genügend beachtet, zum großen
Teil vorgriechisch sind, mitgebracht haben. Vgl. über die Be-
ziehungen zwischen Thessalien und Kreta AI 3', Kret. ApoUonk.
55 f Auf die Achaier läßt A. Reinach um 1000 die Dorier
folgen (190 ff.). — Nach einer argivischen Inschrift, von der Voli-
graff, Neue Jahrbb. XXV, 1910, 312 Kunde gibt, galt Knossos,
dessen Hafen Herakleion hieß , im 5. Jh. als Tochterstadt von
Argos , das auch sonst in der Überlieferung mit Knossos verbunden
erscheint; vgl. Aly, Kret. Apollonk. 43, 53. — Wichtige Auf-
klärung hat die Berichtsperiode über die dem Zeus heiligen Grotten
auf Kreta gebracht. Schon Aly a. a. 0. 47, 2 bezweifelte, daß
die diktaiische Höhle an der bis dahin meist angenommenen Stelle
lag; er vermutete, daß die Idahöhle sowohl diktaiisch wie idaiisch
genannt wurde, daß freilich Zeus Diktaios nur im Osten der Insel
bei Praisos und Itanos zu Haus war. Im Philol. LXXI, 1912,
Kreta. 377
461 fühi't er aus , daß das clvtqov i]?JßaTOv in dem Berg Aigaion
bei Lyktos (Hesiod 0 484) nicht in der Höhle von Psychro zu
suchen sei , wo nur Weihgeschenke aus minoischer Zeit gefunden
sind, sondern in der Grotte des Ida, wo Zeus von der Ziege Amal-
theia genährt sein sollte ; Lyktos soll Hesiod nur genannt haben,
um die Provinz zu bezeichnen. Aber es ist keineswegs sicher,
daß zur Zeit des Dichters Lyktos über das Idagebiet herrschte,
dagegen gab es in größerer Nähe von diesem sicher Stätten , die
in der Sage berühmter waren als Lyktos und sich mehr als dieses
dazu eigneten , auf die Idagrotte hinzuweisen. Daß Aigaion der
„Ziegenberg" sei und ursprünglich zu der Amaltheiasage gehörte, ist
mindestens zweifelhaft; der Name würde dann von Aigaion, Aigeus,
den Aigeiden usw. getrennt werden, und es fragt sich, ob er über-
haupt griechisch ist. Die Lösung wurde fast gleichzeitig von mehreren
Forschern gefunden im Anschluß an den inschriftlich erhaltenen
Hymnos von Palaikastro. Vgl. z. B. Beloch, Klio XI, 1911,
433 ff. (s. auch Griech. Gesch. I^, 1, 112, 2) und besonders
Toutain, Rev. bist. rel. LXIV, 1911^, 1 ff., dem es gelungen
ist, durch die Aufdeckung eines sonderbaren Irrtums bei Strabon
{s. M.) die letzten Zweifel zu zerstreuen. Es sind drei kretische Grotten
mit altem Zeuskult zu unterscheiden : 1) die Höhle von Psychro im
udLlyalov oqoq (Gebirge von Lassitti) östlich vom Ida, 4V2 St. südlich
von Lyktos, untersucht durch Halbherr, Chatzidakis,, Evans, Demargne
und Hogarth; die Funde reichen nur bis ins 8. Jh. hinab; 2) idaiische
Höhle , südlich von Knossos, 1884 entdeckt und durch FabriciuSf
Halbherr und Orsi untersucht; 3) die diktaiische Grotte im Osten
der Insel zwischen Praisos, das Strab. X, 4, 12 S. 478 mit Prian-
sos verwechselt hat, und Hierapytna. Diese Grotte ist noch nicht
gefunden, wohl aber eine Abzweigung östlich von Hierapytna, südlich
von Itanos , die durch die Ausgrabungen der British School of
Athens 1904 entdeckt (Ann. 1908/9 , 339 ff.) wurde und bei der
sich die erwähnte Inschrift mit dem Hymnos fand. Dessen Auf-
zeichnung hängt nach Aly, Philol. LXXI, 1912, 469 mit der ge-
steigerten Bedeutung zusammen , welche dar kretische Zeuskult
teils infolge von Kretas Bedeutung als Flottenstation, teils wegen
der wachsenden allgemeinen Religiosität gewann. Daß das Mutter-
heiligtum dieser Kultstätte auf dem Gebiet von Lyktos lag, wird
sowohl durch die Weite der Entfernung als auch dadurch ausge-
schlossen, daß in jener Stadt zwar Zeus Biöäzag [=^Idaiog?)r
KgrjTayevyg, MovviTiog, ^ÖQUigiog, Tallalog, aber gerade nicht
der Jiv.xaiog verehrt wurde. — Außer dem kretischen Zeusdienst,
378 Kreta.
aber den Neustadt, De love Cretico (Berl. Diss. 1906) handelt,
ist der ApoUonkult der Insel in der Berichtsperiode ausführlich
besprochen worden. W. Aly, Der kretische Apollonkult , Vor-
studie zu einer Anahse der kretischen Götterkulte , Leipz. 1908
will den Letoiden als Eindringüng auf Kreta erweisen. Der
Pythios soll von Pytho-Delphoi stammen, ebenso, wenn ich den
Vf. recht verstehe (S. 43, doch ist 29 von einem minyeischen
E-ulturki-eis die Rede , und S. 56 wird der Delphinios unter den
Anzeichen einer Wanderung von Thessalien nach Kreta angeführt),
der Delphinios (43 ff.) und der Tarraios , der Agyieus (53 ff.) aus
Argos, der ^Leschenorios (54) aus Thessalien usw. — Von den
einzelnen Städten Kretas hat Arkades, wie eine von Paribeni,
Mon. ant. RAL XVIII, 1907. 364, no. 13 veröffentlichte Inschrift zeigt,
eiu(lf)€p6v TijQ Qe^ifoiar^^ besessen. Der Herausgeber glaubt zweifelnd
mit Svoronos, daß die Stadt vielleicht an Stelle des heutigen Ini lag. —
Über Gortyn vgl. Paribeni, Savignoni, DeSanctis u. aa. Nuov.
scoperte in Gort. (ebd. S. 177 ff.); die Ausgrabungen haben besonders
über das Pythion Aufklärung gebracht (181 ff.). Über ein Heiligtum
der ägyptischen Götter s. Arch. Anzeig. XXIX, 1914, 148; über zwei
aus dem 8. oder 7. Jh. stammende Tempel bei Priniä, zwischen
Kandia und Gortyn, in deren einem die Kult(?)statue einer
thronenden Göttin in reichgesticktem Gewand gefunden ist, be-
richtet D a w k i n s , Journ. Hell. Stud. XXVIII, 1908,
329. — Den Kult in der Idagrotte bespricht Aly, Philol. LXXI,
1912, 462 ff. Das Hauptfest wurde, wie er meint, zur Zeit der
Wintersonnenwende , zur Erinnerung an die Gottesgeburt gefeiert,
während die Epiphanie des Gottes in die Zeit der Frühliugsgleiche
zu setzen sei. Diese Unterscheidung scheint mir zweifelhaft. In
der Darstellung des Kultus verläßt sich Aly m. E. zu sehr auf
das Bruchstück der Euripideischen Kgr/veg, in dem keineswegs
rehgioDsgeschichthche Genauigkeit erstrebt wird, sondern nur etwas
Lokalfarbe gegeben werden soU; die Verbindung des Zeus- mit
dem Zagreuskult , die nach Aly die finstere Seite des Gottes dar-
stellt, ist vielleicht nur ein Einfall des Euripides , der sich an
Mythen attischer Orphiker anschließen mochte. — Südhch von
Knossos sind in den von Evans auf dem Gipfel des Juktas auf-
gedeckten Resten eines Heiligtums geweihte Ghedmaßeu aus Ton
gefunden worden, aus denen Karo, Arch. f. Religionswissensch.
XVI, 1913, 260 folgert, daß der kretische Himmelsgott zugleich
Vorgänger des Zeus "Yipiarog und des Asklepios war. — In Lato
bestand ein tu l^O^avaia tÖ. JtQafxiTL y.al zu 'EXEvi>via geweihter
Kreta. Lemnos. Lesbos. Rhodos.
379
/'«dg und ein 7iSQtßo).og, deren Stiftungsurkunde X a n t li u d i d e s ,
iq). ccQX. 1908, 225, no. 11, 8 herausgibt. — Leben ist, wie Aß-
rnann, Phil. LXVII, 1908, 165 aus dem Namen (= Löwe)
schüeßt, von Plioinikeru gegründet worden. — lu Phaistos ist auf
den Trümmern vom Südflügel des Palastes ein Heiligtum erbaut
gewesen, über das Pernier in dem Sammelband Saggi di storia
antica e di arch. ofiferti a Beloch 1910 S. 241 tf. berichtet. Es
wurde in hellenistischer Zeit erneuert, enthält aber auch Weih-
geschenke , die denen aus der Idagrotte ähnlich sind und wie
diese etwa dem 8. — 6. Jh. entstammen. Wegen der Darstellungen
auf den geweihten Schilden vermutet Pernier, daß die hier ver-
ehi-te Gottheit Rheia war. Zu diesem Heiligtum gehört wahr-
scheinlich die Inschrift Mus. Ital. III, 735 ff.
Die antiken Zeugnisse über Lemnos sammelt * A. Moschides
in dem ersten Teil seiner Schrift 'H uiF^f-ivog, Alexandria 1907. —
Auch vom raj'thologischen und religionsgeschichtlichen Standpunkt
aus spricht über die Insel der Herausgeber der Inschriften von
den nordägäischen Inseln, Fredrich, Ath. Mitt. XXXI, 1906,
60 ff.; 241 ff. Die Sage von der dvooo/.ila der Lemnierinnen soll
(76) die während der Feuerlöschung vorgeschriebene geschlechtliche
Abstinenz erklären. Vielleicht fiel das Fest in den Frühling (wenn
das Feuer auf dem Mosychlos sich neu entzündet?) und war zu-
gleich Neujahrsfest.
T^eshos. Die legendäre Geschichte von der Gründung des
Heraheiligtums von Mytilene nach Troias Zerstörung erwähnt der
neugefundene Sapphohymnos, den v. Wilamo witz , Neue Jahrbb.
1914, 228 rekonstruiert.
Rhodos. Blinkenbergs im Auftrag der Stiftung Carlsberg
ausgeführte Grabungen in der Umgegend der Kirche Hagios Stephanos
nahe dem lindischen Theater fülirten zur Auffindung der von Tima-
chidas verfaßten, 99 v. Chr. in Stein gehauenen und ursprünglich
auf der Burg im Athenaheiligtum aufbewahrten „Tempelchronik",
die von dem Entdecker in Oversight Danske vidensk. selsk. forh.
1912, später in Lietzmanns Kleinen Texten 131 herausgegeben ist
und jetzt eine Hauptquelle nicht bloß für die Geschichte dieses
einen rhodischen Heiligtums , sondei'n überhaupt füi- die der Insel
bildet. Es sind erhalten: 1. ein Katalog der Priester 170 — 47
T. Chr., 2. Bruchstücke eines älteren Priesterverzeichnisses und
3. die eigentliche Tempelchronik. Diese enthält zuerst den Be-
schluß, der die Aufstellung der Säule anordnet, dann ein Verzeich-
nis der Weihgeschenke , endlich die sniifaveiaL der Göttin ; vgl.
ggQ Rhodos.
Blinkeuberg a. a. 0. 317 ff., der 430 ff. die literarischen Parallel-
berichte sammelt. Es werden auf dem Stein viele bisher unbe-
kannte Schriftsteller über die Vorgeschichte von Rhodos zitiert;
nicht Zenou, der die Sagenzeit nur kurz behandelt zu haben scheint,
ist Diodors Quelle, sondern ein jüngerer Schriftsteller, der u. a. auch
Polyzalos benutzt zu haben scheint. Diese Vermutung Blinken -
bergs billigt v. Wilamowitz in einem Vortrag in der Berliner
Archäol. Gesellschaft am 4. März 1913 (Berl. Phil. Wochenschr.
XXXIII, 1913, 1373), der eingehend die Quellen der Chronik be-
handelt. Vgl. zur lindischen Tempelchronik auch Holleaux, Rev.
et. gr. XXVI, 1913, 40 ff. Ausführlich beschäftigt sich mit der
rhodischen Urzeit Blink enberg, Herrn. XLVIII, 1913, 239 ff.
Pur die älteste Stammsage hält er die von lalysos und dessen Eltern,
dem nach dem ialysischen Achaia gehörigen (Diod. V 57) Kerkaphos
und Kydippe. Lindos und Kamiros sind als jüngere Brüder des lalysos
(Pind. 'OA. A'^II, 71) nachträglich angeschlossen, als das ialysische
Heliosheihgtum Zentrum der Insel wurde. Durch Zusammenstellung
von Strab. XIV, 2, 8 6-54 mit Diod. V, 58 wird das Ergebnis ge-
wonnen , daß die in Rhodos gestorbenen Danaiden die Eponjonen
der drei Städte lalj^sos, Lindos und Kamiros waren. Mir scheinen
in den Sagen der Insel drei Schichten unterschieden werden zu
müssen, von denen jede auf eine besondere Besiedelung der Insel
zurückweist: die erste kretische war wohl eher eine Rückwanderung;
wenigstens scheint der Teil der vorgriechischen Bevölkerung
Kretas , der vor den Griechen nach Rhodos entwich , der dort
ursprünglich ansässigen verwandt gewesen zu sein. Kamiros hat
nahe mythische Beziehungen zu Kreta, wo Hierapytna einst Kamiros
geheißen haben soll, und wo in dieser Stadt auch eine Phyle Kamiris
(i(f. ccQX 1908, 199, 1) bezeugt ist. Es scheint sich daher die den
vorgriechischen Kretern verwandte Bevölkerung auf Rhodos am
längsten in Kamiros gehalten zu haben und vielleicht durch rück-
wandernde Kreter verstärkt zu sein. Die erste größere griechische
Niederlassung kam vermutlich im 8. Jh. aus Sikyon und dem von
ihm beherrschten Achaia ; sie setzte sich in lalysos fest, in dessen
Nähe ihr Hauptheiligtum , das des Helios, lag. Im 7. Jh. folgten
dann die Argiver, die an der Ostküste in Lindos festen Fuß
faßten. — Aus einer Angabe der lindischen Tempelchronik in Ver-
bindung mit Theogn. bei Athen. VIII, 60, 360 d (FHG, IV 514 ^
PLG, in* 671), Simonid. fr. 57 und Diog. Laert. I, 89 folgert
L. Parmentier, Acad. Roy. de Beige, Bull, de la classe des
lettres 1914, 353, daß Kleobulos den Tempel der Athena ylivdia
Rhodos. Salamis. Samos. Samothrake. Sikinos. SkjTOS. 381
mit Hilfe einer panhellenisclien Kollekte erneuerte. — N i 1 s s o n ,
Timbres amplioriques de Lindos 121 ff. gelingt es, die auch für
den Kultus wichtigen rhodischen Monatsnamen festzustellen ; es
scheinen sich , von unserm Januar anfangend , die Monate Peda-
geitnyos, Badromios, Sminthios, Artamitios, Agrianios, Hj'akinthios,
Panamos, Karneios, Dalios, Thesmophorios, Diosthyos und Theu-
daisios gefolgt zu sein.
S al am is wurde nach F i c k , Zeitschi*, f. vergl. Sprachf. XLIV,
1911, 7 von Alanten besiedelt, welche die Insel nach einem
thessalischen ^uX{a)iii'jv (vgl. ^aXf-ttovEcg) benannten.
Einen großen Mythenlo-eis von Samos sucht Friedländer,
Herakl. S. 83 f. zu erweisen. Außer dem Oineus- und Deianeira-
mythos (65 ff.) sollen samisch sein : die Meleagrossage (84), Leda,
Keyx, Oite als Götterberg (87), die Sage von Hephaistos' Geburt,
die lemnische Philoktet- und die Sirenensage (89 ; vgl. die Samierin
Parthenope). Selbst die arkadischen Sagen von Ankaios und Parthe-
nopaios sind nach Friedländer 91 wahrscheinlich unter samischem
Einfluß gebildet worden. — Die Ausgrabungen am Heraion, über
die Wiegand , Abh. BAW, 1911, Anh. V berichtet, haben ergeben,
daß zwei Tempel zu unterscheiden sind. Der ältere wurde nach
Wiegand ca. 517 durch Otanes zerstört, der jüngere um 500 als
Ersatz gebaut.
S amothraJce. Über ein vor der Einweihung abzulegendes
Sündenbekenntnis s. Steinleitner, Die Beicht, Münchener Diss.
1913, S. 118. Auf Samothi-ake lag nach Della Seta, Bendi conti
BAL V XVI, 1907, 594 ff., das Aigai, wo nach II. N 21 Poseidons
Palast war, nicht weit davon zwischen Samothrake und Imbros
wohnt Thetis , ß 78. Aber vielleicht ist die Angabe von dem
samothrakischen Aigai (Seh. Od. £ 381) erst aus II. N 21 er-
schlossen. Der Name Aigai bedeutet nach Della Seta ebd. 610
einen von der Gewalt der Wellen geschlagenen Ort. Nach v. Wilamo-
witz, II. u. Homer 445 ist N 21 Aigai bei Karystos gemeint.
Die Buinen des Apollontempels von SiJcinos beschreibt
Dawkins, Ann. Brit. Seh. Ath. XVIII, 1911, 30 ff.
Mit der Geschichte von SJcyros beschäftigt sich Graindor,
Histoire de l'ile de Skyros jusqu'en 1538 (Bibl. de la fac. de phil.
et lettres de Liege. XVII) 1906. Die AchiUeussage soll (25 ff.,
bes. 35) die Eroberung von Skjoros durch die Doloper aus-
drücken, Neoptolemos die Verschmelzung der neu Angekommenen
mit der alten Bevölkerung symbolisieren. Die Amazonen , der
Themiskult und die daran geknüpften Vermutungen (Handb. 584 ff.)
382 Skyros. Teuos. Thasos. Thera. — Kleinaaien.
■werden bestritten (50 ff.) 5 zwischen ^-/.igiov und ^/.igog soll nur
ein ganz äußerlicher Zusammenhang bestehen, die Geschichte von
Theseus nur eine geschichtlich wahre Ansiedelung ausdrücken,
Deidameia mit den Amazonen nichts zu tun haben (vgl. S. 34).
Der Vf. scheint die Gründe, auf die sich die von ilim bekämpfte
Ansicht stützt, nicht vollständig zu überschauen.
Ani Ten OS haben (zuletzt 1909) Ausgrabungen stattgefunden^
über die Graindor, Musee Beige XI, 1907, 5 ff. und besonders
XIV, 1910, 1 ff., 233 ff. berichtet. Das wichtigste dem Poseidon
(XIV 19. no. 1, 3; 32, no. 11) und der Amphitrite (ebd. 27,
no. 4, 4 Weihung eines Spiegels) errichtete Heiligtum [ieqov ebd.
35, no. 16, 34; 39, no. 18, 7) hat zahlreiche Inschriften geboten,
die u. a. eine erbliche Priesterin (ebd. 25, no. 3, 6) und ein Fest
JJoaideia (XI, 12 ff.) kennen lehren. Auch von einem Kult der
Aphrodite (XIV S. 33) und einem durch Rhodier gestifteten Dienst
der Dioskuren (23) hören wir.
Über Thasos handelt Deonna, Iq^. ccqx- 1909, 1 ff.; er
bringt neue Inschriften, die u. a. Bendiskult und als Schutzdämon
eines Hauses den Herakles bezeugen. Auf der Akropolis erhob
sich ein Tempel des Apollon Ilvd-iog., über dessen Ausgrabung
Picard, Compt. rend. AIBL, 1912, 206 ff. berichtet; über weitere
Ausgrabungen s. Picard ebd. 655 f. und über ein Tor mit riesigem
archaischem Silen mit langem Spitzbart, der einen Kantharos in der
erhobenen Rechten hält, ebd. 1913, 360 ff., über ein Heiligtum und
einen Priester des Anios Picard, Rev. et. anc. XV, 1913, 37, 2,
der Kallim. fr. 9 vergleicht, über ein Heiligtum der Artemis /ZiwXw
Macridy, Arch. Jahrb. XXVII, 1912, 1 ff.
Gegen Studniczkas Annahme einer vordorischen Ansiedelung
auf Thera wendet Adele Cortese, Atti acc. Tor. IL, 1913/4,
1048, 1 ein, daß die minyeischen Stammbäume, auf die sie sich
gründet, geschichtlich wertlos sind.
Kleinasien.
Auch in der Berichtsperiode hat Ramsay die Religious-
geschichte Anatoliens durch wertvolle Untersuchungen gefördert.
In den Studies in the History and Art of the Eastem provinces
of the Roman Empire, Edited for the Quatemary of the University
of Aberdeen (Aberdeen Stud. XX, 1906) setzt er S. 305 ff. das
Schicksal der unafangreichen Tempelgüter auseinander, die es seit
alter Zeit in KJeinasien gab und welche die hellenistischen Könige
meist verweltlichten, bisweilen um Kolonien zu gründen, oft aber
Kleioasien, 385
auch, ohne das Abhängigkeitsverhältnis der Bewohner zu ändern. —
Auf den sehr lesenswerten Artikel Sketches in the Religious
Antiquit. of Asia Minor (Ann. Brit. Seh. Ath. XVIII, 1911/2, 37 ff.)
wird später noch öfters zurückzukommen sein.
Den zur Mystik neigenden, sich ganz der Gottheit hingebenden
Charakter der Kleinasiaten zeichnet Steinlei tner, Die Beicht^
Münchener Diss. 1913, S. 76 ff. — Über die kleinasiatischen
Dionysoskulte in hellenistischer Zeit handelt die sorgfältige, aus
0. Kerns Schule hervorgegangene Arbeit von W. Quandt, De
Baccho ab Alexandri aetate in Asia minore culto (Diss. phil. HaL
XXI 2), Halle 1913. Auf eine Sammlung der einzelnen bezeugten
Kultstätten (S. 107 — 240) folgt eine zusammenfassende Darlegung
über die Mysterienkulte und ihre Einrichtungen (241 — 207). Die
Beziehungen zum orphischen Hymnenbuch werden angedeutet ; auf
die schwierige Frage nach dem Verhältnis der kleinasiatischen
Mysterien zu den eleusinischen geht aber der Vf. nicht näher ein.
Von den einzelnen Landschaften Kleinasiens hat Karten f
wie E. Aßmann, Philol. LXVII, 1908, 187 ff. aus zahlreichen
mythischen und Ortsnamen (Astyra, Chrj^saor, Kadmos, Maiandros»
Maussolos, Miletos, Osogoa, Phoinike, Tabai usw.) erweisen will,
unter semitischem Einfluß gestanden. Über einen in Alahanda von
ihm ausgegi'abenen Tempel des Apollon (?) spricht Edhem Bey,
Compt. rend. AIBL, 1906, 407 ff. Über Gaudins Ausgrabungen in
ApJirodisias berichtet G. Mendel, Comptes rend. AIBL, 1906^
158 ff.; Inschriften der Stadt gibt Th. Hein ach, Rev. et. gr.
XIX, 1906, 79 ff.; 205 ff. heraus. Oft wird natürlich die Göttin
genannt, die der Stadt den Namen gegeben hat (z. B. 220, no. 122;
223, no. 126; 232, no. 138), sie h.ei&t^Eniq'av/jg, OvQavia, ndvörj^og
(242, no. 141, 16 f.), und ihr werden Strafgelder überwiesen (201,
no. 155, 5; 263, no. 157, 10; 268, no. 163, 3; 275, no. 169, 13);
außerdem finden wir Artemis (117, no. 38), Asklepios (109, no. 29)^
Athena n{ohdg, 206, no. 83), Eleutheria (128, no. 55), Helios
(209, no. 88, 12; 223, no. 126, 4) und Zeus Nivsvöiog (92, no. 8,
wobei an Steph. Byz. 476, 6 Nivoi] ^ sv Kaqia ^^qiQodiaio'.g er-
innert wird).
In loni en hat auf Chios und der gegenüberliegenden
Mimashalbinsel seit langer Zeit G. J. Zolotas Inschriften ge-
sammelt, die dessen Tochter nach dem Tode des Vaters (1906),^
um diesem die Priorität zu wahren, unter dem Titel Xiaxiöv utal
'EQvd-Qia-Awv E7TL'yQa(piov awaycoyy in der '^^t^v« XX, 1908, 113 ff.
(Nachträge und eigene Verbesserungsvorschläge ebd. 509 ff., XXI»
384 lonien.
1909, 4G5 fi".) herausgegeben hat. Inzwischen hatte nämlich
P, Jacobsthal die Inschriften gesammelt, nach dessen Abschriften
sie V. Wilamowitz, Abh. BAW, 1910, hist.-ph. Kl. II unter dem
Titel „Nordionische Steine" weit besser als die Griechin heraus-
gegeben hat. Vgl. auch B. Haussoullier, Inscr. de Chios et
d'Erythrees, Rev. de phü. XXXIII, 1909, 9 ff.; XXXIV, 1910,
119 ff.
Der zweite Band der vom österreichischen archäol. Institut
veröffentlichten „Forschungen in Ephesos" brachte, von Heber-
dey herausgegeben, u. a. zahlreiche Inschriften, namentlich vom
Theater. — Mit Benutzung der im ersten Band dieses Werkes
enthaltenen Untersuchungen Benndorfs „Zur Ortskunde und Stadt-
geschichte" (Wien 1905) behandelt G. Radet in der E,ev. des
et. gr. VIII, 1906, 1 ff . (vgl. Ephesiaca, Bordeaux 1908) la coloni-
sation d'Ephese par les loniens. Aus den drei Berichten, 1. des
Kreophylos bei Athen. VIII 62, 362 •= f. , 2. des Paus. VII 2 , 6 ff.,
der auf Ephoros zurückgehen soll, und 3. des Artemidoros bei
Str. XIV 1, 21 S. 640, deren geschichtlichen Wert der Vf. m. E.
überschätzt, wird die Wiederherstellung der Urgeschichte von
Ephesos versucht. Die ephesische Artemis war (14 ff.) eine der
Istar und Kybele verwandte barbarische Gottheit, die eigentlich
Upis hieß ; die Stadt bildete den Mittelpunkt einer Meerherrschaft
und wurde selbst von Tyriern aufgesucht, nach denen die Insel
Syrie heißen soll. — Hiller v. Gaertringen, Berl. Phil.
Wochenschr. XXIX, 1909, 1274, der Badets Ephesiaca rezensiert,
erinnert aber mit Hecht daran, daß ähnhch wie in Ephesos die
Namen Ortygia und Sj'rie auch in Od. o 403 bei der Angabe der
Heimat des Eumaios zusammen auftreten, daß also eine der auch
sonst nicht ganz seltenen Übertragungen von geographischen Namen-
gruppen vorliege. — D. G. Hogarth, Excavations of Ephesus,
The archaic Artemision, London 1908, spricht über die verschiedenen
z. T. übereinander liegenden Tempel, von denen die drei ältesten
zwar viele Kleinfunde, aber wenig architektonische Reste ergeben
haben. — Heberdey, Österr. Jahresh. XV, 1912, 156 ff. be-
richtet über die Fortsetzung der Grabungen 1907 — 1911. Aus-
ftlhrlich beschäftigt sich mit den ephesischen Kulten Ch. Picard,
Rev. de phil. XXXVII, 1913, 77 ff. hauptsächlich auf Grund der
von Heberdey herausgegebenen Inschriften. Während man bisher
die erbUchen Könige aus dem Androklidenhaus wegen Str. XIV 1, 3
S. 633 für Priester der Demeter ^ElEvoivia gehalten hatte, sieht
«r in ihm vielmehr den toarjv, der einem König verglichen wird
Ephesos. Erytbrai. 385
(Etyni. Magn. 383, 30), und ergänzt daher in der Inschrift bei
Heberdey no. 18, Z. 4 o vmI atrog ßaaileig [y.ai 'lEQEig ^Aqxi-
(.iidog iv. y'\tv[oi]g. Hicks und Heberdey hatten J/urjQog ein-
gesetzt. Nach Picai'd erhielten sich die Vorrechte dieses alten
Königsgeschlechtes verhältnismäßig lange ; noch im Anfang des
3. Jhs. sollen sie eine gewisse Finanzhoheit besessen und erst
gegen die römische Zeit hin ihren Einfluß sehr beschränkt ge-
sehen haben. — Auf die Mysterien, welche die Kureten auf dem
Solmissosberg begingen, bezieht Picard 86 f. die uvgvi/mI O^vaiat
und die f.ivavt]Qiu y.al dioica der Inschrift bei Heberdey no. 20.
Über die ephesischen Kureten handelt Poerner, De Curetibus
et Corybantibus , Diss. phil. Hai. XXII, 1913, 285 £f. Nur in
Ephesos bezeichnet nach dem Vf. der Name ein Priesterkolleg. Es
bestand aus 6, seltener 7 Mitgliedern, deren Haupt der 7iQfozo/.OLQrjg
war ; dazu kam ein sich allmählich vergrößerndes niederes Personal.
Genaueres erfahren wir über die Organisation dieser zum Artemis -
dienst gehörigen Priester, die sich selbst Sioeßeig nennen, aus den
30 von Poerner abgedruckten Inschriften. — Über Dionysosmysterien
in Ephesos handelt nach den Inscr. Brit. Mus. 452, 595, 600 ff.
Quandt, Diss. Hai. phil. XXI, 1913, 160 f. — Von dem Fest
der Artemis Daitis sucht Fehrle, Kultische Keuschheit (BV u. V,
VI, 1910, 174 f. ein Bild zu geben; es kann sich, wie er glaubt,
kaum um etwas anderes handeln als um einen lEQog ydf.iog. — Ein
Fest •Kazaycuyia hatte Usener (Progr. Bonn 1877) aus den Acta
S. Timothei erschlossen. Diese Vermutung erlangt eine gewisse
Bestätigung durch ein Dionysosfest dieses Namens in Priene (Inschr.
V. Priene 174) und Milet (6. Vorlauf. Bericht, Anh. I zu Abh.
BAW 1908 , S. 23 , 21), wonach auch das ephesische Fest dem
Dionysos geweiht gewesen zu sein scheint. Vgl. Nilßon, Griech.
Feste 416; Arch. f. Religionsw. XI, 1908, 401.
Inschriften von Erythr ai hatte der verstorbene Gymnasial-
direktor Zolotas in Chios gesammelt; mit den chiotischen zusammen
sind die wichtigsten von ihnen von Jacobsthal vereinigt und
durch V. Wilamowitz in den Abh. BAW 1909, hist.-phil. Kl. II
veröffentlicht worden. Religionsgeschichtlich bedeutsam sind be-
sonders umfangreiche Bruchstücke eines Opferkalenders (no. 12,
S. 48 ff.) (mit genauen Angaben über die Preise der zu beschaffenden
Opfertiere), in dem eine Anzahl bisher unbekannter Götter für
Erythrai erwiesen wird ; es befinden sich darunter so auserlesene
wie der sonst verschollene, aber zu vermutende Hermes ^'Ircniog.
Zusammen mit der großen Inschrift über den Verkauf der Pi'iester-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Siipplementband). 25
386 Krythrai. Milet.
tümer (Dittenberger SIG " 600) erschließen diese Inschriftenreste
uns die Kulte des schreibseligeu, aber bisher wenig durchforscliten
Erythrai in einer Reichhaltigkeit, wie sie bisher kaum bei irgend-
einer anderen griechischen Stadt erreicht ist. Eine der Inschriften
führte V. Wilamowitz darauf, eine bisher unverständliche Stelle
der Inschrift über den Verkauf der Priestertümer (SIG ^ 600, 95)
richtigzustellen, nämlich die ebenfalls sinnlose Zeile 154 hier ein-
zuschieben und die ganze Stelle so zu lesen : Koqvßdvriov Ev-
(fQomiior y.al Oaleiiov FTTid^aXEiciOewg "vfe/e»' Ttjv yvrcay.Eiar
i]yoQCt]a£r L^VTiTTargog. Wir lernen daraus, daß es männliche und
weibliche Korybanten gab ; zu den weiblichen gehören vielleicht
die in der neuen Inschrift genannten Herse, . . . oQt] und Phanis,
doch bleibt der Kult noch recht unklar. OaXeiovv kann nur heißen
.zum QäXeiog machen", und wenn diese Korybanten QdXEioi sind,
so ist die ETtid^aheiiooig nach v. Wilamowitz S. 25 eine Handlung,
die diese ihre Eigenschaft wiederherstellt oder auffrischt. Die Ge-
weihten überkommen die Eigenschaft der Gottheit, wenn sie nicht
gar selbst Götter, Korybanten werden; die ani^aleiwaig geht sie
also auch an. Bei Hesych. {*i/w?.elov) steht oder bei Diogen. hat
doch wenigstens gestanden d^dXsiog' /.ni^aQog. — XJngefär zur
selben Zeit, da diese Inschriften in Athen und Berlin veröffentlicht
wurden, fanden in Erj'thrai Ausgrabungen statt, tiber die J.Keil,
österr. Jahresh. XIII, 1910, Beibl. 1 — 74 berichtet. Auch hier
werden religionsgeschichtlich wichtige Inschriften veröffentlicht,
z. B. S. 43, no. 7 eine Weihung an die Dioskuren, S. 45, 8 an
IMijrriQ Oqv'/ia. Merkwürdig ist S. 42, no. 6 der ^aif-icov rfiX-
civ&QOTtog viog ^^oy.Xi\7Ti6g iirKfavt-g {.liyLOTog. — Die auf S. 45,
no. 8 mitgeteilte, aus der Kaiserzeit stammende Altarinschrift er-
gänzt 0. Kern, Herm. XLVI, 1911, S. 304 f. [xat 7]a(7«>j xofc
Jij/xTjZQi. Er denkt an den idaiischen Daktjden.
Weitere Fortschritte machten in der Berichtsperiode die Aus-
grabungen von Milet und ihre Veröffentlichung. Es wurden zunächst
die „Vorläufigen Ausgrabungsberichte" in den Schriften der BAW
fortgesetzt (V in den Sitzber. 1906, 249 ff.; VI in der Abh. hist.-
phil. Kl. Anh., wo S. 27 ein Verzeichnis der Götternamen auf neu
gefundenen Inschriften gegeben wird, VII ebd. 1911. Zusammen-
fassend stellte die Ergebnisse der Ausgrabungen v^on Milet und
Didyma, soweit sie ihm bekannt sein konnten, Arn. v. Salis,
Neue Jahrbb. XXV, 1910, 103 ff. dar. Das amthche Hauptwerk,
das die deutschen Ausgrabungen krönen soll , führt den Namen
.Milet, Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen"; von
Milet. Klares. 387
den bisher erschienenen Teilen ist für die Geschichte der Kulte
am wichtigsten der dritte (Berl. 1914). — Nach Fick, Zeitschi'.
f. vergleichende Sprachforsch. XL VI, 1914. 94 wurde Milet ursprüng-
lich von Thessalern gegründet ; die Fürsten sollen Neleiden nach
dem thessalischen Neleia gö3Qannt sein. — Unter den Kulten der
Stadt war schon früher Apollon als der angesehenste bekannt. Es
sind zwei Heiligtümer zu unterscheiden. Das eine, dem Jelrpiviog
geweiht, lag in der Stadt (G. Ka w e r a u und A. R e h m , Milet, Ergebn.
d. Ausgr. in 2). Hier wii'kten die /.lolTrol, eine Tänzergilde,
welche die Staatsprozession nach Did3'ma leitete ; ihr Vorsteher,
der aiacf^rt^Tr^g, war Eponym der Stadt. Im Gegensatz zu diesem
griechischen Dienst war der des Jidif-iEtg in Didyma ursprünglich
barbarisch gewesen und bewahrte auch später Spuren dieses Ur-
sprungs, obwohl die ixoXnoL auch bei ihm mitwirkten. Das Didymaion
V. urde 494 zerstört ; 334/3 begann der Wiederaufbau, der aber nie
fertig wurde (ßegling, Sokrat. IV, 1916, 19if.). — Für die Ab-
leitung des Namens Didyma von öiövf.ioi spricht nach Nissen,
Orientat. 135 f. der Umstand, daß die Tempelachse mit dem Früh-
aufgang von ß geminorum übereinstimmt. Aber wahrscheinlich ist
das Zusammentreffen zufällig, höchstens könnte es sich um eine
Umdeutung des schwerlich griechischen Namens handeln. — Ein
AsJclejpieion lag zwischen dem Marktbrunneu und dem Südmarkt
von Milet (Sitzungsber. BAW 1906, 258; Abh. BAW. 1908,
Anh. I 28), vielleicht davon verschieden ist der Asklepios tcqo
rroAcwg, dessen Priestertum in einer Inschrift (Sitzungsber. BAW,
1906, 259, Z. 6) erwähnt wird. — Über einen ÄtlienatevaTpel s.
Arch. Anz. XXI, 1906, 12. Ein altes Dionysosheiligtnm stand
zwischen dem Theater und dem Rathaus (Abh. BAW 1908,
Auh. I 22). Im Westen des großen Südmarktes wurde von
Knackfuß ein Serapeion freigelegt (Abh. BAW 1911, Anh. I
19 ff.). — Seine Berichte und Untersuchungen über Notion
(Österr. Jalii-esh. VIII, 1905, 161) setzt Macridy Bey (ebd. XV,
1912, 41 ff.) fort. — Über den !n:QO(prjtijg des ApoUon IlvO-tog (ebd.
VIII 164, Z. 5; 167, Z. 8; 169, Z. 9 f.) vgl. Ramsay, Ann.
Brit. Seh. of Ath. XVIII, 1911/2, 44 ff, der namenthch den Spuren
von Mysterien im Dienste des Klarischen Apollon nachgeht. Er
hält sie für gleichartig den phrygischen Mysterien; das l(.ij3aTeveLV,
das sowohl von der ersten Weihe wie von dem Aufstieg zu den
höheren Stufen gebraucht werde , soll sj-mbolisch den Eintritt in
ein neues Leben bezeichnen. — Über Ausgrabungen am Heiligtum
des Klarischen Apollon berichtet kurz Picard , Compt rend. AIBL,
25*
388 lonien.
1913, 692. — Das klarische Orakel, das bei Hungersnot und Pest
den Einwohnern des Indischen Troketta gegeben wurde, ist wieder
aufgefunden und wird besser herausgegeben von Keil und
V. Premerstein, Reise in Lyd. II 116 f. — Nachdem bereits
1904 durch Wiegand und Schrader die übrigen Ergebnisse der
deutschen Ausgrabungen von Priene dargestellt waren, erfolgte
li06 durch Hiller v. Gaert ringen, der für den verstorbenen
V. Prott eingetreten war, die VeröffentUchung der Inschriften.
Vorausgeschickt ist, wie in den Inschriftwerken des Herausgeber^
gewöhnlich, „die Stadtgeschichte und Wiederentdeckung'', die auch
einzeln erschienen sind. Der Name der Stadt wird, wahrscheinlich
mit Recht, als uugriechisch erklärt, zweifelnd erinnert der Verfasser
an ki-etisch Priansos, hält aber auch einen thrakischen Ursprung
für möglich, da ein unzweifelhafter Thraker als IlQiaveig bezeichnet
werde. Die zahlreichen Boiotien und der Landschaft südlich vom
Mykalekamm gemeinsamen mythischen und ejjichorischen Namen
beurteilt er nicht gleichmäßig ; während er die Übereinstimmung von
Mykale und Mykalessos auf eine gemeinsame vorgriechische Ur-
bevölkerung zurückführt, glaubt er, daß auswandernde Boioter den
Kadmos, nach dem Priene Kadme hieß (Str. XIV 1, 12, S. 636),
und den Namen Thebe nach lonien brachten, wo die Erinnerung
an die boiotische Heimat vieler Ansiedler immer lebendig geblieben
ist. Aber ist es nicht mißlich, den Namen von Mykalessos, wo
man von Kadmos erzählte, anders zu beurteüen als den von Kad-
mos oder diesen, der doch in dem boiotischen Theben haftet, von
Thebe zu trennen? Die Frage wird noch verwickelter dadurch,
daß die Übereinstimmungen loniens mit Kreta, aus denen schon
im Altertum kretische Zuwanderer in Karien erschlossen wurden
und auch von Hiller von Gaertringen erschlossen werden, großenteils
dieselben sind wie die zwischen lonien und Boiotien. Die dafür
im Handbuch 271, 7 gesammelten Belege lassen sich sehr ver-
mehren; auch wo nur an zweien dieser drei Landschaften eine
Ortsbezeichnung oder ein mythischer Name begegnet , kann das
Fehlen in der dritten sich aus der Lückenhaftigkeit der Überlieferung
oder aus lautlicher Nameusveränderung erklären. So fehlen in
Kreta Kadmos und Mykale, aber jener ist der Bruder der kretischen
Europa, und zu Mj'kale könnte das kretische Amyklaion gehören.
Keiner der in Frage kommenden Namen ist griechisch , aber auch
dieser Umstand gestattet keine sichere Erklärung der auffallenden
Erscheinung. Es ist möglich, daß in sehr früher Zeit ein südlich
von der M}-ftale ansässiges mächtiges Fürstenhaus Unternehmungen
lonien. Pergamou. 389
nach Kreta und nach dem Euripos ausgeführt und dort als Zeugen
seiner einstigen Herrschaft Ortsbezeichnungen und sagenhafte Er-
innerungen zurückgelassen hat, oder daß ein von dort aus in einem
der beiden griechischen Gebiete gegründetes Reich Kolonien nach
dem anderen ausgesendet hat ; es ist weiter möglich , daß ein Teil
der in Kreta und Boiotien angesiedelten Karer in die Heimat ihrer
Väter zurückkehrte und Überlieferungen mitbrachte , die sich erst
in Griechenland herausgebildet hatten. Es ist endlich auch denkbar,
daß die griechischen Kreter und Boioter hinter den Rückfahreru
herfuhren und als Feinde oder auch als Freunde Beziehungen zu
dem südlichen lonien gewannen. Alle diese Möglichkeiten müssen
ins Auge gefaßt werden, aber es ist zurzeit m. E. nicht gestattet,
auch nur in einem Fall anzugeben , aus welcher sich die Über-
einstimmung erklärt. — Die mythische Geschichte von Pcrgamon
behandelt ausführhch Schuchhardt, Altert, von Perg. I 173 ff.
Über die Ausgrabungen daselbst berichtet Hepding Ath. Mitt.
XXXV, 1910, 401 ff. Es werden u. a. 98 Inschi'ifteu mitgeteilt,
darunter no. 22 — 72 Widmungen. Eine Weihinschrift ist von der
Königin Apollonis , der Gemahlin Attalos I., der Demeter , Köre
als OeofiocfOQOL gesetzt (S. 439, no. 24 ; vgl. 449, no. 28). Die In-
schriften aus diesem Heiligtum (S. 437 ff.) zeigen, daß Philetairos, als
er und Eumenes es um 266 stifteten, sich eng an Athen und Eleusis
anschloß. Wir finden einen Hierophanten, Keryx, einen Daduchos,
einen e/rt ßn)f.uij^ Mysten-, eine lElexiq wird auf einer Weihinschrift
erwähnt. Vielleicht wurde auch nach attischen ]\Iuster eine orj)hische
Sekte gestiftet. Die orphischen Hymnen schließen sich so genau
an die Kulte von Pergamon an , daß sie wahrscheinlich für eine
dortige Gemeinde gedichtet sind. Vgl. Kern, Herrn. XL VI, 1911,
431 ff. und 0. {287). — In demselben Jahr handelte v. Fritze in den
Abh. BAW 1910, hist.-ph. KL, Anli. I über die Münzen von
Pergamon. Von Göttern finden wir besonders dargestellt Apollon
(59 f.), Asklepios (39 ff.; 47 ff.), Athena (35 ff., 57 ff.), deren Kult
Alexander eingeführt oder belebt hat , Demeter (63) , Dionj^sos
(60 ff.), die Dioskuren, Herakles (69 f.), Hermes, die Kabiren (63)'
die Meter Meyälr. (64), Sarapis (57). — Conze und Schatz-
mann bexnchten in dem Ergänzungsheft IX zum Archäol. Jahrb.
1911 über einen von Philetairos erbauten Tempel der Göttermutter
auf der einsamen Höhe des Mamurth Kaleh. — W. Dörpfeld
bringt Ath. Mitt. XXXVII, 1912, 235 ff. genauere Angaben über
den heiligen Bezirk der Demeter (s. o.) und ebd. 256 ff. über den
der Hera, wo Attalos II. nach der Architravinschrift einen Tempel
der Hera Baoileia weihte.
390 Troas. Mysien.
Troas. Fr. Stählin, Das hypoplakische Theben, Eine
Sagenverschiebung l)ei Homer, München 1907, will nachweisen,
daß die Ihas nicht das troische Theben meinen könne , das erst
ca. 600 V. Chr. von IMilesiern gegründet wurde und bei dem es
weder einen Berg Plax noch einen Wald gab (Str. XIII 1, 65,
S. 614), daß Homer die Sage vielmehr atopisch erzähle, und daß
die alte Sage das phthiotische Theben meinte , das wirklich unten
an der waldigen Ebene '^YnoTtlay.i^ ih]€aa)] (Z 42b) lag und Q^ßrj
'VTron/.a/.h] {Z 897) heißen konnte. Aber der Name des Berges
Piakos scheint dem Nordwesten Kleinasiens anzugehören, wie Plakia
östlich von Kyzikos vermuten läßt (vgl. die Plakiaquelle bei Theben,
die Jurenka, Wien. Stud. XXXVI, 1914, 217 vermutungsweise
bei Sappho einsetzt), und die Gründung dieser milesischen Pflanz-
stadt wird von Stählin wahrscheinlich etwas zu weit herunter-
gerückt; jedenfalls ist nach ihrer Anlage die Zeit der Ilias oder
wenigstens der "Ey.TOQog v.ai '■Avdqouä.yr^g, bf.iüÄa zu bestimmen,
nicht umgekehrt wegen dieser das hypoplakische Theben nach
Thessalien zu vei'legen. — über die Sage von den lokrischen
Mädchen und über die sich daran anschließenden Fragen s. o.
(^S. 344 ff.) . über die ilische Athena x. W i 1 a m o w i t z , II. und
Homer 379 ff. — Aus den Untersuchungen über den Schauplatz
der Kämpfe vor Ilion seien als auch für die Sagengeschichte wichtig
hervorgehoben die von A. Buss'e, Neue Jahrbb. XIX, 1907. 457 ff.,
die zu dem Ergebnis gelangt, daß der Skamandros schon zu der
Zeit, als die homerischen Epen entstanden, sein Bett an der west-
lichen Seite der Ebene gegraben hatte, daß er unweit der Mündung
sich mit dem von Osten kommenden Simoeis vereinigte und dann,
wie es scheint , ohne weitere Gabelung in die Stomalimne ergoß,
und die von E. Obst, Klio IX. 1909, 220 ff., der. die Ansichten
von Robert und Dörpfeld vereinigend, nachweisen will, daß Ska-
mandros in der Ihas der Name des das Schlachtfeld im Westen
begrenzenden Hauptflusses , dagegen Xanthos , der in der Mitte
der Ebene fließende , durch eine Furt passierbare Ostarm sei. —
Über die Lage der in der Sage und im Kultus wichtigen Orte
Gergis und Marpessos s. R. Kiepert, Klio IX, 1909, 10 ff"., der
sie auf Grund der antiken Angaben ostnordöstlich von Ilion ansetzt,
ohne die Stelle genauer bezeichnen zu können. —
Mysien. F. W. Hasluc k CyziJMS, being some Account of
the History and Antiquities of that City and of the District ad-
jacent to it with the towns of ApoUonia ad ßhyndacum, Miletu-
polis. Hadrianuthera . Priapos , Zeleia etc., CamVmdge 1910, be-
Bithynien. Paphlagonien. Pontos. Lydien. 391
handelt im dritten Teil ausführlich die Gottesdienste. Daß die
Umgebung der Stadt mit einbegriffen ist, verdient Anerkennung, und
die ganze Untersuchung ist um so mehr zu begrüßen, als die Türkei
bisher Ausgrabungen auf dem Gebiet von Kyzikos nicht gestattete ;
die Zitate hätten aber sorgfältiger nachgeprüft werden müssen.
Tj Ithynien. Das Pferd mit Menschenbeinen auf den Münzen
von NiJcaia stellt nach A. Rein ach, Klio XIV, 1914, 335 den
Blen *^oyai]v6g oder Askanios dar; Cäsar hat es in seiner Jugend
gesehen und als seineu Ahnherrn auf dem Forum abbilden lassen,
vgl. Suet. div. lul. 61; Plin. n. h. VIII 155.
Paphlagon l e n. f D a v i d M. Robinson, Ancient Sinoi'ie,
An historical Account with a prosoj^ographia Sinopeensis , and an
Appendix of Inscrij)tions, Baltimore 190G faßt Aufsätze zusammen,
die im Amer. Journ. Phüol. (wo über die Kulte XXVII, 1906, 265 ff.
gehandelt wird) und in dem Journ. Arch. Inst, of Amer. erschienen
waren. Die Schilderungen beruhen auf eigener Anschauung , die
der \i. sich auf einer von Ed. Me3-er und Busolt empfohlenen
Reise 1903 erworben hatte.
Pontos. Das zweite Heft der Studia Pontica (Vovage d'ex-
ploration archeol. dans le Pont et dans la petite Armenie, Brüssel
1906) rührt von Fr. und Eugen Cumont her, von denen jener die
archäologischen Ergebnisse darstellt, während dieser, Professor an
der Kriegsakademie in Brüssel, die geographischen Aufnahmen ge-
macht hat. Religionsgeschichtlich wichtig sind die Erörterungen
über die zwei Kultstätten des Zeus ^xq<xtloq bei Amasia (145 f.,
171 ff.), über die Nymphengrotte ebendort (171), über die Kulte
von Sebastopolis (202), über den trapezuntischen Kult des Serapis
und Hermes und ein in den Felsen gehauenes Mithraion , das zu
einer Kapelle der Panagia Theoskepastos umgewandelt worden ist
(367 ff.). An den kalkhaltigen Quellen bei Tschennilv findet ein
Jahrmarkt statt, den Fr. Cumont 283 als unmittelbare Fortsetzung
von einer der oft mit Märkten verbundenen rcari]yiQeig betrachtet. —
Lydien. Eine große Anzahl neuer oder revidierter Inschriften
teilen auf Grund einer 1906 angestellten Reise Jos. Keil und
A. V. Premerstein, Denkschr. WAW LIII, 1910ii, LIV, 1911ii
mit. Neben vielem anderen , was an verschiedenen Stellen dieses
Berichtes hervorzuheben ist, sind für die Religionsgeschichte ^vichtig
die Inschriften aus Philadelphia (1910, S. 24 ff.), die zwar fast nur
bekannte Gottheiten wie (Artemis oder Meter) lAvaelTig, Meter
(DiXelg, Z. TaQavr]v6g, -d^edg '^'Yipiovog, den mit Mysterien verehrten
Dionysos Kad^r]y€f.ii6v^ Men Tid/^ou nennen, aber doch wegen des
392 Lydien. Phrygien.
I
ZusammentreflFens dieser Gottheiten und wegen der Mitteilung einiger
Einzelheiten ihres Kultus Aufmerksamkeit verdienen, ferner eine
Insclu'ift aus Gjölde, 143'4 n. Chr., in der Meter und Men Joqov
■/.('tin^v ßaaiXeiovzeg (1911, S. 103, no. 204) genannt werden, und
eine ähnliche Inschrift aus Kawakly (1911, S. 105), in der Miyag
JIrjV JJeiQaeiTr^g [zrjv ywUtt^v? ßajoileLCOv y.(ai) I]l[eydl)^ O^eiov]
IMrjro TaL[ip^ . . .] erscheint. Die Herausgeber finden wohl mit
Recht in dem Königtum der Gottheiten Reste alter Theola-atieu. —
Am wichtigsten sind unter den Ijdischen Kulten natürlich die von
Sarclcs. Hier haben die Amerikaner Ausgrabungen veranstaltet,
über die W. H. Buckler und Dav. M. Robinson, Amer. Journ.
Arch. XVI, 1912, 11 ff., XVII, 1913, 29 ff. und 353 ff., XVIII,
1914, Iff. berichten; vgl. auch H. C. Butler ebd. XVII, 1913,
471 ff. ; Dawkins, Journ. Hell. Siud 1910, 3G1 •, Arch. Anz.
1911, 152 und Karo, Arch. f. ReligionsAviss. XVI, 1913, 288.
Die Ausgrabungen galten begreiflicherweise besonders dem Arte-
mision ; hier wurden z. B. zahlreiche Ehreninschriften für Priesterinnen
gefunden (Am. Journ. Arch. XVII 353 ff. ; vgl. 368 ff.) , die u. a.
einen neuen Titel einer solchen, -/.aceig, ergeben. — Nach G. Radet,
Cybebe, Etüde sur les transfigurations plastiques d'un t3^pe divin
(Bibl. Univ. du midi XIII) und den Nachträgen in den Rev. et-
anc. XIII, 1911. 75 ff. hieß die Göttin von Sardes lydisch Kybebe,
die Perser nannten sie Anähita, die Griechen und zwar schon
Xenoph. avaß. I 6, 7 anfangs Artemis , in der Zeit der Antonine
und Severe Köre. — Dagegen bestreiten Buckler und Robinson
a. a. 0. XVII 368, daß die „Artemis" von Sardes in Anahita auf-
ging; die Göttin blieb nach ihnen rein lydisch.
Über die phrygischen Kulte und ihre Bedeutung für die
griechisch-römische Welt handelt Eisele, Neue Jahrbb. XXIII,
1909, 620 ff. , über die Spuren der ältesten phr3^gischen Kulte
Brandenburg, Rev. hist. rel. LIX, 1909^ Iff. — Im Gebiet
von Antiocheia an der Grenze Pisidiens , zu dem es oft gerechnet
wird, lagen zwei Heiligtümer des Men (vgl. Str. XII 3, 31, S. 557):
das ursprüngliche bei Saghir, 6 Stunden nordnordöstlich von der
.späteren Stadt, das jüngere, von jenem abgezweigt, näher dieser, un-
gefähr 400 m oberhalb von ihr, s. Ramsay, Ann.Br. Seh. ofAth. XVIII,
1911/2, 37 ff. Die Inschriften (Ramsay, Stud. in the Art of the Eastem
Rom. Provinces 305 ff., Journ. Hell. Stud. XXXII, 1912, 151 ff., Ann.
ßrit. Seh. of Ath. XVIII, 1911/2, 61 ff.) zeigen, daß der Kult phrygi-
j^chesRitual hatte. Auch bei dem städtischen HeiUgtum sind Aus-
grabungen veranstaltet; das Heiligtum des Gottes, neben dem eine
Phrygien. 39:i
hier gewöhnlich Demeter, aber auch Artemis (Ramsaj', Ann. XVIII
55 ff.) oder sogar Selene genannte Göttin, ursprünglich wohl Kybele
steht, ist ein hellenistischer oder (wahrscheinlicher) römischer Bau ;
die älteste datierbare Inschrift stammt aus der Zeit des Claudius,
die meisten Inschriften sind aber unter Maximian I. und Maximin
gesetzt. Vgl. Anderson, Festivals of Men Askaenos in the
Eoman colonia at Antioch of Pisidia, Journ. Rom. St. III, 1913,
267 ff. Aus den Ruinen glaubt Ramsay , Journ. Hell. Stud. a. a. 0.
auf den Inhalt der Mysterien, die er mit den Klarischen (.9. 0.
S. 38?) vergleicht , schließen zu dürfen. Vgl. über den Menkult
von Antiocheia Miß Hardie ebd. 111 ff., Hasluck ebd. 390,
Calder, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 79 ff. — Die Flutsage, die
Sage von Anchuros , den Kult des Marsyas und das Grab des
Aineias (Fest 269*, 4, wo für Nolon zu schreiben sei Noricon, vgl. Plut.
5Tor.X2; Diou. ^ieq. 321) in Apameia Kihotos bringt A. Reinach,
Klio XIV, 1914, 321 ff. durch kühne Kombinationen, die bisweilen
richtige Quellenabschätzung vermissen lassen, miteinander in Ver-
bindung. — Die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchungen über
Hierapolis faßt Leo Weber in dem populären Buch „Im Banne
Homei-s" zusammen , dessen Kapitel „Am Heiligtum der Kybele,
Geschichte und Kulte einer Provinzialstadt Kleinasiens aus nach-
christlicher Zeit" als Sondei-abdruck erschienen ist; vgl. Philol.
LXIX, 1910, 178 ff. Als von Eumenes hier spätestens 190 v. Chr. die
Grenzfestung angelegt wurde, traten die urspi'ünglich an dem Erdspalt
verehrte Kj-bele (vgl. Küster, RVu.VXIIl2, S. 91) undLairbenos
hinter dem pergamenischen Apollon zurück, aber in der späteren Kaiser-
zeit, in der Hierapolis seine höchste Blüte erreichte, wurde das bar-
barische Element wieder mächtiger, der Kult der großen Göttermutter
drang wieder durch und behauptete sich bis in das 6. Jh. n. Chr. —
Eine Aufzählung der auf den Münzen von Hierapolis vorkommenden
Gottheiten gibt Weber, Num. Chron. 1913, S. 1 ff . Vgl. Xagizeg,
Fr. Leo zum 60. Geburtstag dargebracht, Berlin 1911, S. 466 ff. An
letzterer Stelle wird zuerst über die Neokorie gehandelt, die Hiera-
polis unter Caracalla erhielt. Die Stadt hatte zwei Tempel für den
Kaiserkult, der eine galt, wie aus dem Festnamen des Agons ^/.ria
gefolgert wird, dem Augustus und seinem Haus, der andere, der Xeo-
korie dienend, dem jeweiUgen Kaiser. Darauf (480 ff.) werden die
ApoUontypen besprochen. — Über Nysa berichtet W. v. D i e s t , Nysa
ad Maeandrum nach Forschungen und Aufnahmen in den Jahren 1907
und 1909 unter Mitwirkung vonColer, Graefinghoff, Hiller
V. Gaert ringen, Pringsheim, Regling im 10. Ergänzungsheft
394 Phrygien. Galatia. Kilikien.
des Arch. Jahrbuchs 1913. — Eine merkwürdige Mischung von
Monotheismus und Heidentum . von der sich in Kleinasien auch
sonst Spuren finden , verrät eine in den Denkschr. WAW LIV»
191 In, S. 110, no. 211 herausgegebene luscha-ift von S(fitta in
den Worten aig ^eog iv OLQai'olg ^teya^, I\h]i' Oigäviog. — Ein
eigenartiges Relief aus Kula in der KaTay.eY.avf.ifvv^ das den Reiter-
gott darstellt, veröfifentlicht E. Remy, Musee Beige XI, 1907,
133 — 142; es trägt die Widmung L4ji611vjvl Tagaüii Y.ai MtjtqI
TctQOivh- Der Herausgeber setzt jenen dem tarsischen Apollou,
diese der Ateh (Atergatis) von Tarsos gleich, obwohl beide ihre ur-
spi'üugliche Gestalt aufgegeben und phrygische angenommen haben. —
In Galatia hatPessinus nach R. Eisler, Philol. LXVIII, 1909,
125 den Namen von neooog, dem heiligen Stein der Kybele empfangen.
Über mehi-ere Kulte Kilikiens, namentlich die von Olba
und Tarsos, handelt auch mit Rücksicht auf ihr Verhältnis zu cheti-
tischen und semitischen Frazer, Adonis Attis Osiris (Golden
Bough IV ^) 1 142 ff., über andere (Zeus ^Olißgiog, Ai-temis lleQuoia
usw. und über die kilikische Gigantensage v. D o m a s z e w s k i ,
Numism. Zeitschr. XLIV, 1911, 1 ff. Die wohlerhaltene Ruine des
Zeustempels von Olba, die Bent entdeckt und 1890 beschrieben hat,
schilderte E. Herzfeld am 9. März 1909 in der Berliner Arch.
GeseUsch. (vgl. Berl. Phü. Wochenschr. XXIX, 1909, 1291 ff.).
Die Anlage rülirt von Seleukos Nikator her, eine teilweise Er-
neuerung fand zwischen 60 u. 50 v. Chr. statt, in christHcher Zeit
wurde in den Tempel, einen der schönsten Kilikiens, eine chi'ist-
liche Basilika hineingebaut. Von diesem Tempel aus heiTschte in
hellenistischer Zeit mehrere Jahrhunderte lang ein Priesteradel, der
sich auf die beiden Telamonier der Ilias, Aias und Teuki-os, zurück-
führte und sich meist nach einem von diesen nannte, aber in Wahr-
heit , wie auch Herzfeld annimmt , barbarische , vielleicht bis auf
die chetitische Zeit hinaufreichende Namen, die als Bestandteil
anderer küikischer Namen vorkommenden Bezeichnungen Tarku
(Troko) und lan trug. — Diese Famihe erscheint auch unter den
etwa 10 Geschlechtern, aus denen nach der von Bent aufgefundenen
Liste die Priester an der Korykischen „Grotte" (besser dem Kory-
kischen „Kessel") hervorgingen. Über diesen Kult handelt Frazer,
a. a. 0. 152 ff. Daß der Typhonkampf hier lokahsiert wurde, ist
seiner Ansicht nach nur eine Folge der fossilen Knochen , die in
der Schlucht entdeckt wurden; der Gott, der hier verehrt wurde
und der ausdrücklich dem Zeus von Olba gleichgesetzt wird, war
nach Frazer ein Dämon des in der Feuchtigkeit vermuteten
Kilikien. Cypern. Syrien. 395
Fruchtbarkeitsprinzipes , verwandt dem Adonis , dem Sandau und
Ba'al Tars von Tarsos (160 f.). — Über die Kulte von Tarsos vgl.
Hans Böblig, Die Geisteskultur von Tarsos im augusteischen
Zeitalter mit Berücksichtigung der Paulinisclien Schriften (Forsch,
zur Rel. und Liter, des A und NT n. F. II, Göttiugen 1913)
S. 8 — 107. Dem Theologen kam haii])tsäclilich darauf an, die An-
regungen darzustellen , die Paulus aus dem Geistesleben seiner
Vaterstadt schöpfen konnte , aber was ihm wirklich von dorther,
nicht aus der allgemeinen Richtung der griechischen und besonders
der kleinasiatischen Kultur zufloß, läßt sich meist nur vermutungs-
weise feststellen, und so bleibt der Hauptertrag der Schrift die
Schilderung des religiösen Lebens der Heiden und der Juden in
Tarsos; freihch tritt es oft zutage, daß der Vf. sich aus äußerem
Anlaß an einen ihm eigentlich femer liegenden Stoff gewagt hat.
Auf Cypern ist noch immer die Lage des Aphroditeheilig-
tums von Golgoi strittig; vgl. über die Frage Menardos, l4d^r^va
XXII, 1910, 417. — Tremitlms war nach demselben (419) eine
Kultstätte des Apollon und der Aphrodite, die nach einer kühnen,
aber wahi^scheinlich richtigen Vermutung zu Ptolem. Heph. 198, 11
in Westerm. Mythogr. Gr. in dem dortigen Apollonheiligtum den
Adonis fand <.<?. o. S. 127). Die bei Ptol. Heph. überlieferte Stadt
Argos hat es nach Menardos nicht gegeben ; es ist zu lesen Iv
ccQoei (kypr. = aloei).
Der semitische Orient.
Außerordentlich wichtig auch für die Religionsgeschichte sind
die von der katholischen St. Josefs-Universität in Beirut heraus-
gegebenen Melanges de faculte Orientale , die seit 1906 unter Mit-
wirkung besonders von Jalabert und Ronzevalle erscheinen.
Von den hier veröffentlichten Inschriften sind mehi'mals Sonder-
ausgaben veranstaltet. Vieles Neue bieten namentlich für die Zeit
des absterbenden Heidentums die Publications of an American
Archaeologic. Expedition to Syria in 1899 — 1900, besonders deren
dintter Teil, die von W. Kelly-Prentice herausgegebenen Greek
and Latin Inscriptions (New York 1908), und die Publications of
the Princeton University. Archaeological Expedition to Syria in
1904 — 1905, besonders der Band mit den von E. Littmann ver-
öffentlichten südsyrischen und den von W. Kelly-Prentice
herausgegebenen nordsyrischen Inschriften. Für die antike Religion
kommt besonders Div. III ^ 4 mit den Inschriften von Bosra in
Betracht. — Über die Tempel der wichtigsten Götter Phöniziens
896 Syrien.
spricht im Anschluß an Münzen G. F, Hill, Journ. Hell. Stud.
XXXI, 1911, 56 ff.; vgl. Brit. Acad. 191112, S. 411 ff. In einem
früheren Aufsatz Church Quarterly Rev. 1908, 118 ff. hatte er
bereits nachzuweisen versucht, daß Ba'al und seine Kultgenossin
Astarte in doppelter Auffassung, als himmlische und als Seegott-
heiten erscheinen. — Was die einzelnen Kultstätten anbetrifft, so
ward in einer Inschi'ift von Beer seha eine Statue des Uranos,
das ist wohl C7rdb5'n oder Dhu '1 Sarra, erwähnt, Amer. Journ.
Arch. XIV, 1910, G8. — Auf Weihungen von Deir el Qalk bei
Benjtos wird neben I(uppiter) O(ptimus) M(aximus) Balmarcodes
bisweilen eine Göttin genannt, die häufig luno, einmal (58) Regina
heißt, Jalabert, Mel. de la fac. or. I 1906, 181 ff. — Die Aus-
gleichung des Adonis von Byblos mit Osiris geht nach Ed. Meyer,
Gesch. d. Altert, l^n , S. 394 bis in das mittlere Reich zurück und
ist, wie aus Darstellungen des Erikabaumes mit dem Sarg früh von
den Ag}-pteru selbst anerkannt worden. — Über die Geschichte
und „die politische Bedeutung der Religion von JEmesa"' handelt
v. Domaszewski, Arch. f. Religionswiss. XI. 1908, 223 ff. =
Abhaudl. zur römischen Religion 197 ff. Es sollen zwei weibliche
Gottheiten ausgeglichen sein : die syrische Mondgöttin Oigavia^
'u4atQodQyr^ (Herodian. V C, 4) und die jungfräuliche MrjirjQ d-€0)V
oder Athena der arabischen Eroberer. Elagabal hat nach v. Do-
maszewski Astarte der luno Caelestis , Athena dem Palladion des
Vestatempels gleichgesetzt und sich mit ihr vermählt. Severus
schloß die Ehe mit lulia Domna , weil sie ihm bei der überragen-
den Stellung der Religion von Emesa im Osten Syriens eine Bürg-
schaft für das Gelingen seiner hochgespannten Bestrebungen zu
bieten schien. In Rom wurden für den Sonnengott Elagabal zwei
Tempel geschaffen, einer am alten Mundus der palatinischen Stadt,
im Bezirke des kaiserlichen Palastes, ein zweiter in einer Vorstadt
(Herod. a. a. 0. § 6). — Die Ergebnisse der deutschen Ausgrabungen
in Heliopolis 1900 — 1904 sind zwar schon am Schluß der vorigen
Berichtsperiode bekannt gegeben worden, haben aber auch noch in
der jetzigen nachgewh'kt. Obwohl der Artikel Heliopolis der Real-
enzj-klopädie schon bei seinem Erscheinen dem Stande der Wissen-
schaft nicht mehr entsprach, braucht auf die den Lokalkult be-
treffenden Fragen hier nicht eingegangen zu werden, da Winne-
felds Aufsatz „Zur Geschichte des syrischen Heliopolis", Rh.
Mus. IL, 1913, 139 ff. dafür Ersatz bietet. Nur auf einige von
diesem und auch von Dussaud in dem Artikel Heliopolitanus der
Realenzyklopädie weniger berücksichtigte Punkte sei hier hin-
Syrien. ■ 397
gewiesen. Nachdem dex- T3'pus des Zeus von Heliopolis schon vor
mehr als einem Menschenalter festgestellt war und die voi-i^^-e
Berichtsperiode die Erkenntnis gebracht hatte , daß in den beiden
Hauptgottheiten von Heliopolis das alte syrische Götterpaar fort-
lebe, das gewöhnlich Hadad und Atargatis genannt wurde, richtete
sich in den diesmal zu besprechenden Untersuchungen die Auf-
merksamkeit auch auf die Nebengottheiten, insbesondere auf den
jugendlichen Gott, der in römischer Zeit als Mercurius mit luppiter
Optimus Maximus und Venus eine Dreiheit bildet. Eine Samm-
lung der auf sie bezüglichen Inschriften bietet Jalabert, Comptes
rendus AIBL , 1906, 97 if. , Mel. fac. or. I, 1906, 175 (darunter
176 eine Inschrift aus Zellhausen in Hessen), II, 1907, 280 ff. In
den beiden Aufsätzen der Melanges I 180, II 283 wird es als
möglich bezeichnet, daß ursprüngHch in Heliopolis nur das Paar
luppiter und Venus verehrt und daß Mercurius erst von Römern
dorthin verpflanzt wurde. Dagegen meint Ronzevalle, Mel. I,
1906, 229, daß Hermes in der Trias von Heliopolis an die Stelle
eines Knaben getreten sei , der ursprünglich neben Hadad und
Atergatis stand. Er glaubt aber , diese Ansicht mit der Jalaberts
vereinigen zu können , da es sich wohl nur um eine Zeitfrage
handele. Die diesem Zugeständnis zugrunde liegende Voraussetzung,
daß der Kult von Heliopolis im Laufe der Zeit große Umwandelungen
durchgemacht hat, ist gewiß richtig; und es versteht sich von selbst,
daß die Bezeichnung des jugendlichen Partners der beiden Hauptgott-
heiten als Mercur neue Vorstellungen in den Kult einführte ; allein
im ganzen ist doch der Mercur von Heliopolis nicht minder als
S3Tischer Gott anzusprechen wie der luppiter Optimus Maximus
und die neben ihm stehende Venus; nur so viel ist einzuräumen,
daß er vielleicht in assyrischer oder persischer (schwerlich in helle-
nistischer) Zeit zu den beiden andern Göttern hinzugetreten ist,
und daß die Versuche, ihn einem bestimmten syrischen Gott, etwa
dem Seimios, gleichzusetzen oder diese Dreiheit von Emesa als in
den drei für die Ennaeteris wichtigen Gestirnen, Sonne, Mond und
Planet Venus (0. S. 375) verehrt zu erweisen , bisher zu einem
sicheren Ergebnis nicht geführt haben. — In Kanatha ist ein Tempel
des Hehos (?) aus dem 2. Jh. n. Chr. ausgegraben worden;
s. Clarence Ward, Amer. Journ. Arch. XI, 1907, 387 ff. —
Chapot, Selencia de Piex-ie, Mem. soc. antiqu. de France VII vi,
1906, 149 ff. spricht auch über die Kulte dieser Hafenstadt von
Antiocheia. Bezeugt sind (S. 221) Zeus ^0?.i'f.t7Tiog und KoQvq>aiog,
Apollon von Daphxie , die ^coT^QSg, d. h. die verstorbenen Könige,
39S Arabien. Ägypten.
der lebende König, (222) Zeus Kegatvioc: und Kaoiog. — In
G. Dalmauns Werk Petra und seine Felslieiligtümer, Leipzig
I90S handeln S. 49 ff. über die Religion der Nabatäer.
Ägypten.
Den hellenistisclien Kulten des Nillandes widmen fast alle
äg3'ptologischen Zeitschriften einen Teil ihres Raumes , auch das
Ai-chiv für Papyrusforschung enthält Aufsätze über die Religion
Ägyptens unter griechischer Herrschaft. Allein die meisten dieser
und auch ähnlicher einzeln erschienener Untersuchungen fassen
entweder den Kult einzelner Gottheiten ohne Rücksicht auf eine
bestimmte Kultstätte ins Auge oder befassen sich mehr mit der
Religionsgeschichte , sind also ebenfalls an dieser Stelle nicht zu
besprechen. Walter Ottos Buch, Priester und Tempel im helle-
nistischen Äg3-pteu, ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Hellenis-
mus, von dem der zweite Band Leipzig und Berlin 1908 erschienen
ist, bietet für die Priesterordnung, die Verwaltung der Tempelgüter,
die soziale Stellung der Priesterschaft und das Verhältnis von
Kirche und Staat mehr als für die Religion, für die nur zahlreiche
einzelne besonders zu erwähnende Bemerkungen in Betracht kommen.
Hier sind nur wenige Arbeiten zu nennen. Perdrizets Auf-
satz Le fragment de Satyros sur les demes Älexandr. (Bull.
SOG. arch. d'Alex. n. s. III, 1910, 53 ff.) wird durch die Demen-
namen mehrfach auch auf den Kultus, insbesondere den des Dionysos
geführt. — Daß in Eleusis, dem Vorort von Alexandreia, Mysterien
gefeiert wurden, bestreitet Otto, Priester u. Tempel II 265, 1;
nur einen Kult der mit Isis ausgeglichenen Demeter gesteht er
zu. Hier scheint mir ein richtiger Gedanke überspannt. Von einer
förmhchen Nachbildung der eleusinischen Geheimweihen kann aller-
dings nicht die Rede sein, denn der von diesen erhoffte Segen
haftete an der Scholle ; das schließt aber nicht aus , daß auch im
äg}-ptischen Eleusis Mysterien gefeiert und daß diese wie aller-
orten in der Welt des Hellenismus bis zu einem gewissen Grade
den attischen angeähnelt wurden. — Über den Tempel des Zeus
Kaoiog am Sirbonischen See s. Cledat, Compt. rend. AIBL,
1909, 764 ff. , der ihn bei Mahemdiah am Westende des Sees an-
setzt. — Die Kulte von Ptolemais bespricht ausführlich Gerhard
Plaumann, Ptolemais in Oberägypten, Ein Beitrag zur Geschichte
des Hellenismus in Ägypten (Leipz. hist. Abhandl. XVIII) 1910,
S. 39 ff. Die Stadt und ihre Kulte waren rein griechisch ; Isis hat
(S. 35, 58; zwar einen Tempel, aber außerhalb der Stadtmauer. —
Ägypten. Kyrene. 39t>
Einen (kleiuasiatisclien ?) Kultverein eines, wie es scheint, nicht-
griechischen Apollon in Hernmpohs magna bespricht auf Grund
eines Papyrus in Gießen P. M. Meyer, Klio YIII, 1908, 427 fF.
Kyrene.
Z i e 1 i n s k i s Vermutungen über einen Zusammenhang der kyrenäi-
schen Kulte mit der hermetischen Literatur sind o. {S. 322) er-
wähnt. — Gercke, Herm. XLI , 1906, 447 will nachweisen,
daß in der afrikanischen Ansiedluug wie auch in Thera , von wo
aus sie gegründet sein soll, vor den Spartanern aiolische Myrmidouen
saßen, die von den nachdrängenden Doriern nach Tainaron ver-
trieben seien. Hier soll Euphamos zum Poseidonkult, aber auch
als Totengott zum Hadeseingaug gehört und hier ursprünglich die
Sage von der Überreichung der Erdscholle gespielt haben. Von dort
aus sollen sie im 4. Glied, w'ie auch nach der Meinung Gerckes die
Ehoie gedichtet hat, nach Kyrene ausgewandert sein, wo sie unter
Euphamiden ansässig wurden, bis die spartanischen Battiaden sich der
Stadt bemächtigten und die Überlieferung umgestalteten. Mit diesen
Konstruktionen wird der mj'thischen Überliefei'ung ein unmittelbarer
Geschichtswert beigelegt, den sie m. E. nicht besitzt. Vor dieser Über-
schätzung der Stammwanderungssage sollte schon deren Unbestimmt-
heit und Vieldeutigkeit abhalten, die es gestattet, sie mit sehr ver-
schiedenen einzelnen Angaben zusammenzustellen und daher zu
andersartigen und sogar entgegengesetzten, in Wahrheit ebenfalls
zweifelhaften Schlüssen zu verwerten. Das zeigt in diesem Fall die
scharfsinnige Untersuchung von L. M al te n , Kyrene, Sagengeschicht-
liche und historische Untersuchungen (Philol. Unters. XX), Berlin 1911 .
Malten gibt zwar auch thessalische Elemente in der kyrenaiischen
Sage zu: er glaubt, daß Einwanderer aus dem südlichen Thessalien
den Guneus, Prothoos, Ladon, Triton, Euphemos, Eurypylos und
Aristaios nach der südlichen Peloponnes überbracht hatten und
daß diese mit den dort heimischen Sagen von Pasiphae, Atlas und
Poseidon nach Libyen übernommen wurden, als um 1000 v. Chr.,
von Tainaron aus sich Ansiedler dorthin begaben. Allein die Aus-
gestaltung der Beziehungen zwischen Kyrene und Thessaüen.
die Verlegung des Löwenkampfes der Ortseponyme , in dem der
Kampf der griechischen Ansiedler gegen die Löwen der libyschen
Wüste projiziert war, nach Thessalien und die Umänderung der
Stammtafel , durch die der thessalisch-keische Hirtengott ein Sohn
des Apollon und der Kyrene wurde, sollen das Werk des Dichters
der Kyreneehoie sein, der um die Wende des 7./6. Jhs. den
400 Kyreue.
SagenstofF in delphischem Interesse umgestaltete. Auf dem Au-
tenoridenhügel, unterhalb des Hochplateaus wohnten die Pelopon-
nesier, die vom Tainaron ausgefahren waren, unter Führern, die
sich von Euphemos, einem von den thessalischen Zuwanderern mit-
gebrachten, mit dem ebenfalls thessalischen Eurypylos und mit Poseidon
alternierenden Gott herleiteten, nach Malten mehrere Jahrhunderte
lang, bis sich um 631 theraiische Dorier, die unter Aristoteles in-
folge einer Hungersnot auswanderten, auf dem obersten Rande des
Hochplateaus, und zwar auf der westlichen der dort erhebenden
Kuijpen, niederheßen. An ihrem Fuß entspringt eine Quelle, von
den Libyern K3Ta genannt, nach der die Dorier, die sich bald zu
Herren auch der älteren griechischen Niederlassung machten , ihre
Stadt und deren Heroine Kyrana nannten. Anfangs nannten sich
Aristoteles und seine Nachkommen , die sich mit Benutzung des
einheimischen Wortes für König von Battos herleiteten, Abkömm-
linge des Odysseus , bald aber knüpften sie , um ihre Legitimität
zu beglaubigen, ihren Stammbaum an Euphamos, ließen diesen aber
nicht mehr unmittelbar von Tainaron kommen, sondern leiteten sich
von theraiischen Euphamiden her, die auf den Sohn des Euphamos
und einer Lemnierin zurückgehen sollten. Diese Theraier verehrten
als Hauptgott den Karneios , ihm bauten sie auf einer Terrasse,
die sie am Kyraquell aufschütteten, ein Heiligtum, und ihn machten
sie zum Gemahl der Kyrana. Von Sparta ist diese theraiische
Besiedelung unabhängig, dies gewann erst im 6. Jh. Einfluß auf
Thera, als die auch in Kyrene sich findenden Aigeiden nach der
Insel auswanderten. Malten glaubt, die von ihm erschlossenen
Wanderungen und An Siedlungen durch Mischformen in der Mund-
art von KjTene bestätigen zu können ; er folgt darin einer m. E.
irreleitenden Richtung der neueren griechischen Dialektforschung,
die mit Benutzung der aus erdichteten Stammbäumen erwachsenen,
historisch wertlosen Stammwanderungssagen eine Ordnung in die
Mundarten bringen will, die in Griechenland so wenig als sonst
wo erwartet werden kann , weil alle dialektischen Erscheinungen
aus sich überschneidenden Kreisen bestehen ; er vermehrt aber die
Fehler dieser Methode, indem er orthographische Eigenheiten gleich
als mundartliche auffaßt , und auch dadurch, daß er (vgl. S. 69 f.)
mit den neueren Ergebnissen der griechischen Etjonologie nicht
vollständig vertraut ist. Von diesem Teil seiner Beweisführung
kann also hier, entsprechend dem Zweck dieses Berichtes, abgesehen
werden , ohne daß damit das Gewicht der von ihm vorgebrachten
r;ri-,r,riö vermindert wird. Aber auch seine Sagenkritik, an die sich
Kyrene. 401
großenteils A. Ferrabino, Atti Acc. Torino XLVII, 1911/2, 505 ff.,
IL, 1913/4, 1063 ff. , Kalypso (Piccola bibl. di scienze moderne
no. 234), Turin 1914, 207 ff. , 421 ff. anschließt, ist anfechtbar.
Zwar ist die auch schon früher aufgestellte Vermutung nicht un-
wahrscheinlich, daß in den kyrenaiischen Mythen und Kulten echt
Libysches mit den Bestandteilen verbunden sei , die aus ver-
schiedenen griechischen Gemeinden stammten ; aber M a 1 1 e n s Ab-
grenzung dieser Elemente überzeugt nicht immer. Wenn erst die
Theraier die Stadt nach dem Quell Kyra benannten, wie selbst
der gegen Maltens mythologische Kombinationen sonst mißtrauische
Costanzi, Auson. VI, 1912, 27 ff. annimmt, so müssen die anderen
griechischen Heroinen dieses Namens als nur zufällig überein-
stimmend erklärt oder beseitigt werden, wie dies Malten wirk-
lich schon früher versucht hat und jetzt S. 63 durchführen will,
indem er für Kyrene bei Apollod. II 96 , Tz. Lj'kophr. 499 und
Intp. Serv. Aeu. III 552, wo M. Mayer, Apul. 388 [Cerjcyra
vermutet hatte, Pyrene, bei Hyg. f. 14, S. 41, 19 B. aber auf
Grund sehr verwickelter Schlußfolgerungen Corone einsetzt. Bei
dem Zustand des Textes ist mit dem Zeugnis Hygins nichts an-
zufangen , von den übrigen Änderungen ist nur die schon von
Hoefer empfohlene bei Tzetzes wahrscheinlich; sicher ist auch
sie nicht, weil ebenso wie aus der Kyknossage auch aus dem
Mythos von Diomedes ein Name in die verwandte Lykaongeschichte
eindringen konnte , so daß nicht ein Abschreibefehler vorliegen
würde, sondern eine vielleicht alte Sagenvermischung. Die Änderung
bei Apollod., an die ebenfalls Hoefer gedacht hat, ist willkürlich;
weil Eurip. !^Ax. 501 ff. die Söhne zusammen nennt, brauchen die
Mütter nicht gleichgesetzt zu werden. Ihrem Ursprung nach haben
Lykaon und Diomedes nichts miteinander zu tun. Es ist auch
schwerlich ein Zufall, daß die drei Namen Euphemos, Aristaios und
Kyrene der libyschen Stadt mit der Küste von Abdera und Maroneia
gemeinsam sind. Aus ähnlichem Grund ist auch die Änderung bei
Intp. Serv. Aen. III 552 unwahrscheinlich. In Kroton, wohin der
dort genannte Sohn Kyrenes Lacinius gehört, haben wir Aristaios
als Personennamen (lambl. v. Pyth. 36 S. 265), den sein Träger
einem mythischen Krotoniaten zu Ehre empfangen zu haben scheint,
da in derselben Stadt auch der Name des mit dem Aristaios eng
im Mythos verbundene Orpheus auftritt. Ein Zufall wird bei diesem
gruppenartigen Zusammenstehen mythischer und epichorischer Namen
freilich nur dann ganz ausgeschlossen , wenn es geschichtlich er-
Märt werden kann. Aber dies ist der Fall. Engere Beziehungen
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementband). 26
402 Kyrene.
verbinden Kyrene mit Troizen, wo Aigeus, der gleichnamig dem Ahn-
herrn der Aigeiden, ferner die mit Poseidon gepaarte Athena, endlich
der nach luba FHG III 472, 23 in Ijibyen landende Diomedes
zu Hanse sind. Auch Aristaios und Orpheus gehören in diesen
Kreis : jener begegnet in Keos , dieser bei der kikonischen , d. h.
vorchiischen Bevölkerung von Maroueia. Eben diese leitete sich
aber über Keos von Troizen ab; das sagt IL B 845 f., wo der
Eakonenkönig Euphemos viög Tgoi^'^voio, diorgecftog Ktdöoio heißt.
Dadurch wird zugleich ein Zufall bei dem Zusammentreffen des
Aristaios und Euphemos in Thrakien fast ausgeschlossen, denn
beide Namen haben einst in verdunkelten , aber noch erkennbaren
Beziehungen zu Orpheus gestanden, mit dem zusammen Euphemos
auch in Kyi-ene und am Tainaron erscheint, und in dessen Genea-
logie er festsitzt. Auf dem Helikon, dessen Mythen überhaupt den
troizenischen nahe stehen, begegnet eine Musenamme Eupheme ; die
Vermutung ist schwer abzuweisen, daß der auch auf dem boiotischen
Berg lokalisierte Orpheus einst durch den Hadeseingang auf dem
troizenischen Markt in die Unterwelt hinabstieg und daß er in den
Legenden des angrenzenden (Paus. II 31, 3) Heiligtums der Musai
'^QÖa?jd€g vorkam. Daß ein berühmtes Kikonengeschlecht sich
aus Troizen ableitete , bestätigt der Name des Kikonenpriesters
Euanthes (Od. t 197), der an die troizenischen Antheaden anknüpft.
Direkt oder mittelbar stammte also aus Troizen auch der thrakische
Diomedes. Durch troizenische Ansiedler sind alle diese Namen auch
nach Sybaris und, als diese Stadt zerstört war, von dort oder viel-
leicht auch gleich von Troizen aus nach Kroton und Thurioi, die
Erben von Sybaris' Kulten und Mythen, gelangt. In Kroton findet
sich der berühmte Musenkult , zu dem auch die aus den krotonia-
tischen Orphikem erschlossene Sage von Orpheus und die nach
einem Personennamen vermutete von Aristaios gehören; in Thurioi
erzählte man auch von dem troizenischen Diomedes. Wenn also
von dieser Namengruppe, die teilweise in verschollenen Mythen ver-
kuppelt gewesen sein muß, erhebliche Reste in Troizen, auf Keos,
in Thrakien, am Helikon, in UnteritaUen und in Kyrene erscheinen,
so ist ein Spiel des Zufalls so gut wie vöUig ausgeschlossen ; und
es fragt sich nur, ob die Mj'then und die ihnen zugrunde liegenden
Kulte zusammen mit ihren Trägern gewandert oder unabhängig von
Stammwanderungen und Kolonialpolitik sind. Troizen muß im
8. Jh. viele Pflanzstädte ausgesendet haben, und für Keos sowie
für die thrakischen und unteritalischen Orte, an denen diese Namen-
gruppen sich finden, darf unbedenklich Verbreitung durch Ansiede-
Kyrene. 403
lungen angenommen werden. Schwieriger ist das Urteil über die
Orte des Mutterlandes, an denen sich Reste dieser Komplexe finden.
Ihre Zahl vergrößert sich , wenn auch solche Stätten in Betracht
gezogen werden, welche in Kyrene nicht bezeugte Namen mit Troizen
gemeinsam haben, z. B. Anthedon: die Möglichkeit, daß die mit
Troizen sich im Kult und Mythos eng berühi-enden Heiligtümer des
Mutterlandes nach troizenischem Vorbild -eingerichtet und daß die
Legenden dieses auf die Nachahmungen übergegangen sind , ist
nicht ganz auszuschließen ; aber ungleich wahrscheinlicher ist doch,
daß die Troizenier sich auf ihren Kolonialfahrten so wichtiger
Küstenpunkte wie Anthedons und Tainarons, dessen Eponj'm
Bruder des Kalabros, d. h. des Kalauros, des Eponymen der troi-
zenischen Insel Kalaureia, heißt (Steph. Byz. Taivaqoq 598, 7), be-
mächtigten und daß ihre Ansiedler wie von Keos aus nach Thrakien,
so von Anthedon aus auch in das boiotische Binnenland vordrangen
und von Tainaron aus Kyi'ene besetzten. Dann hatte der Spartiaten-
adel Grund und Recht, als er die letzten Reste der troizenischen
Ansiedlung am Tainaron beseitigte , auch deren Kolonie sich an-
zueignen. Wahrscheinlich geschah dies am Anfang des 6. Jhs.,
und zwar wird sich Sparta auf seine etwas ältere theraiische Pflanz-
stadt gestützt haben; daß schon vor der spartanischen Ansiedlung
auf Thera von dort Kolonisten nach Libyen gegangen seien, ist
wenig wahrscheinlich, das Gründungsjahr 631 ist geschichtlich wert-
los. Früh scheint die spartanisch- theraiische Kolonie Beziehungen
zu Delphoi gehabt zu haben, das vielleicht wirklich, wie Herod.
IV 150 sagt, die Gründung von Kyrene angeregt hat; so kam die
libysche Kolonie auch in Beziehung zu den an Delphoi sich an-
lehnenden thessalischen Fürstentümern. Wahrscheinlich damals
wurde mit Benutzung vorhandener Sagen Kyrene auch mythisch
mit Thessalien verbunden, wo von Aristaios schon vorher erzählt
I war. Daß Kyrenes Herkunft aus Thessalien erst in der Ehoie aus-
1 gestaltet wurde , vermutet Malten wahrscheinlich mit Recht , auch
gehört diese wohl wirklich dem delphischen Kreise an, aber von
einer delphischen Religion sollte dabei nicht gesprochen werden,
noch weniger von einem Bestreben dieser Religion, den Polytheismus
einzuschränken. — Den Korobios der kyrenaiischen Gründungssage
hält A. I Reinach Rev. hist. rel. LX, 1909^, 176 zweifelnd für
eine Bezeichnung des Seegottes von Itanos; er vergleicht die
Namen von Korope in Thessalien, vom argivischen Koroibos und
von Apollon Koqvdog.
26*
404 Afrika. Tunis.
Das nordwestliche Afrika.
Zu den bereits bestehenden Sammelstätten füi' die Berichte
über Entdeckungen auf dem Gebiet des französischen Nordafrika j
kommen jetzt die Notes et documents publies par la Direction des <
antiquites et arts de Tunis. Das erste Heft, A. Merlin, Le '
temple d'Apollon ii Bulla Regia, enthält die ausführliche Beschrei-
bung der Funde, über die derselbe Gelehrte bereits in den Comptes
rendus AIBL , 1906, 547 ff. berichtet hatte. Aus dem Beiwort
deus patrius, das Apollon in der am Eingänge der Gella gefundenen
Weihinschrift führt, schließt der Direktor der tunesischen Alter-
tümer, daß der Apollon Kid^agcijödg, dessen Züge das Tempelbild
trägt, an die Stelle des Ba'al getreten sei, der sonst als Saturnus
wiedergegeben wird, und daß unter den neben ihm in der Inschrift
genannten dei Augusti Ceres-Tanit und Aesculapius-Esmun ver-
standen werden müssen, deren Statuen im Heiligtum gefunden sind,
daß also der Tempel ursprünglich der punischen Götterdreiheit
geweiht war. Ein Standbild zeigt die Göttin in der Haltung und
mit den Attributen verschiedener Gottheiten ; sie ist im Typus der j
Parthenos dargestellt, trägt aber ein Füllhorn wie sonst Tyohe |
und Flügel wie Nike. Ebenso erscheint Ba'al im Typus ver-
schiedener griechisch - römischer Gottheiten ; ein Schleier am
Hinterhaupt bezeichnet ihn als Saturn, ein Füllhorn als Bonus
Eventus, er trägt eine Mauerkrone. — Von den weiteren Heften
der Notes et documents , von denen ich aber nicht alle habe ein-
sehen können, ist für die Religionsgeschichte wichtig das vierte, i
in dem Merlin , Le sanctuaire de Ba'al et de Tanit pres de Siagu
(Paris 1910) beschreibt. Der Ort liegt etwa 60 Kilometer von
Tunis. Das Heiligtum wurde etwa im Beginn unserer Zeitrechnung
erbaut. Gefunden ^vurden zahlreiche Statuen und Statuetten, auch
lateinische und punische Inschriften , unter den letzteren eine
längere Konsekrationsinschrift. Es handelt sich bei Siagu um
einen Lokalkult ; die Weihgeschenke , meist von Terrakotta, .
rühren von kleinen Leuten her, aber sie sind lehrreich
weil sie in ihrer Gesamtheit deutlicher als die der großen Tempel : *
die karthagische Kultur, wie sie sich in 5./4. Jh. v. Chr. aus ■
sjTisch-phoinikischen, ägyptischen und griechischen Elementen ge- \
bildet hatte, zeigen und die verschiedenen übereinander gelagerten ,
Kulturschichten unterscheiden lassen. Die wichtigsten Göttertypen j
sind (S. 51 f.) von Künstlern, die in Karthago lebten, im 5. und j
4. Jh. für die einheimischen Götter nach ausländischen Mustern )
Tunis. 405
geschaffen worden. Der Gott heißt in einei* Inschrift (S. 22) bloß
Ba'al, nicht, wie gewöhnlich Ba'al Hamman, die Göttin Tanit brs—'iE-
Über die andern hier verehrten Gottheiten s. S. 35 ff-, wo aber
das Bestreben, alle mit Weihgaben bedachten Gottheiten auf Ba'al
und .Tanit zurückzuführen , m. E. übertrieben wird. — Die sehr
zahlreichen in anderen periodischen Veröffentlichungen erschienenen
Untersuchungen über afrikanische Lokalkulte können hier nicht
einzeln aufgeführt werden , da dieser Jahresbericht ohnehin schon
so umfangreich ausfällt. Im allgemeinen legen die französischen
Forscher besonders darauf Wert , das Verhältnis zwischen den
einheimischen und den griechisch-römischen Namen der afrikanischen
Gottheiten festzustellen und, wo jene nicht bekannt sind, sie aus diesen
zu erschließen, um so ein Bild von der vorrömischen Kultur des Landes
zu gewinnen. So bemüht sich Toutain in seinem Werke Les
cultes paiens dans l'empire romain, I. Les provinces latines, 1. Les
cultes officiels, Les cultes romains et grecoromains , Paris 1907,
nachzuweisen , daß Venus, Aesculapius, Cereres und Hercules in
Afrika meist karthagischen Ursprungs sind. Ganz im allgemeinen
wird dies richtig sein , wie es ja schon vorher auch in
Deutschland, z. B. von Richter, De deorum barbarorum inter-
pretatione Romana, Hall. Diss. 1906 ausgesprochen war; zu einer
Nachprüfung der Einzelergebnisse würde eine vollständige Kenntnis
der Einzelfunde gehören. Allein auch ohne diese läßt sich nach
dem, was über die Romanisierung der Religion in anderen Provinzen
bekannt ist , die Frage aufwerfen , ob nicht die vorrömischen Be-
standteile der neuen Kulte überschätzt sind. Selbst im Orient sind
die griechischen Kulte nur mit wenigen einheimischen so ver-
schmolzen, daß deren ursprüngliches Wesen noch erkennbar ist;
wie wenig würden wir vollends von der ursprünglichen römischen
Religion wissen ohne die Tätigkeit der römischen Altertumsforscher!
In den Westprovinzen des Römischen Reiches , wo eine starke
nationale Kultur, von einer fast allgewaltigen politischen Macht
unterstützt, den einheimischen Gottesdiensten gegenübertrat, war
das Schicksal dieser, sobald einmal ein Ausgleich erstrebt wurde,
besiegelt. Mit dem Namen Saturnus und Pluto erhielten die
barbarischen Götter zugleich viel von dem Wesen dieser gi'iechisch-
römischen Gottheiten 5 und selbst in den kleinen Gemeinden , wo
nicht gleich eine starke römische Ansiedlung sich festsetzte , wo
also die Aussichten für die Erhaltung des ursprünglichen Kultus-
charakters günstiger waren, liegen die Verhältnisse verwickelter,
als man annehmen könnte. Das zeigen z. B. die Ausgrabungen iu
406 Tunis. — Westgriechenland.
Thuburnica, über die Cartou in den Comptes read. AIBL, 1907,
380 berichtet. Hier müssen verhiiltuismäßig viel Griechen gelebt
haben, die z. B. auch den Priaposdienst eingeführt haben werden. —
Über die äg}'ptischen Dienste in Nordwestafrika spricht S t. Gsell
auf dem Archäologeukougreß in Cairo, Rev. hist. rel. LIX, 1909*,
149 ff. Vielleicht schon im 2. Jahrtausend soll Ammon in echt
äg}'ptis^rer Foi'm. d. h. als Widder, gekrönt von dem von zwei Uräus-
schlaugen umgebenen Sounendiscus nach Numidien gebracht sein,
sich aber früh, nach Unterbindung des Zusammenhangs mit Ägypten
in den punischen Ba'al Hamman verwandelt haben und später dem
Saturn angeglichen sein. Die ägyptischen Götter des Hellenismus,
Sai-apis und sein Kreis, haben nach Gsell in Nordwestafrika weder
einen namhaften noch einen eigenartigen Kult genossen.
Der Nordwesten der fialkanhalbiusel.
Während es W. Hohmann, Atolicn und die Ätoler bis
zum Lamischen Ki*iege, Hall. Diss. 1908 ablehnt, die mythische
Geschichte des Landes in Betracht zu ziehen, da die Angaben der
Alten lediglich aus Mythen erschlossen seien, diese aber, wie der
Verfasser offenbar meint und z. B. von den Kureten ausdrücklich
ausspricht, freie Erfindungen der Dichter seien und auch uns Schlüsse
nicht gestatten, beschäftigt sich E-eitz, De Aetolorum et Acar-
nanum sacris, Hall. Diss. 1911 ausführlich auch mit den Mythen
der von ihm behandelten beiden Länder. Er hält die Kureten,
deren Streit mit den Aitolem er für älter als das Meleagroslied
der IHas und erst nachträglich mit der Sage vom Kalydonischen
Eber verknüpft betrachtet (14), für ein kretisches Volk, das, wie
Archemachos angibt, erst nach Euboia, dann nach Aitolien gezogen
eei und in Olenos den Kult des kretischen Zeus eingerichtet habe.
Die Übereinstimmung der aitolischen Kulte und Mythen mit elischen
werden, wie dies üblich ist, aus Wanderungen der Aitoler nach
der Peloponnes erklärt. Die Aufzählung der einzelnen Gottesdienste
AitoHens und Akarnaniens , über dessen mythische Vorgeschichte
der Verfasser keine eigenen Vermutungen äußert, erfolgt in der-
selben Anordnung wie bei den übrigen aus der Hallenser Schule
hervorgegangenen Arbeiten über die Kulte einzelner griechischer
Landschaften. Die Götter und Heroen bilden das obere, die Kult-
stätten das untere Einteilungsprinzip. Wenn das Verzeichnis etwas
dürftig ausgefallen ist , so liegt das in der Hauptsache daran, daß
für beide Landschaften nur spärliche Zeugnisse vorliegen-, daraus
Westgriechenland. 407
erklärt sich auch die verbreitete Ansicht, daß die Bevölkerung
Jbeider Landschaften vor der Gründung der korinthischen Pflanz-
städte, deren Einfluß auf die Küste beschränkt wird, vor der helle-
nistischen Zeit halbe Barbaren gewesen seien. Bei dieser An-
schauung bleibt die Bedeutung unerklärt, die Aitolien und Akar-
nanien nicht nur in jungen Sagen, in die sie, wie Vollgraff,
Nikander und Ovid, Groningen 1909 meint, Nikanders ^IxioXi/.d
oder andere hellenistische Dichtungen eingeführt haben könnten,
sondern auch in unzweifelhaft alten Teilen der griechischen Helden-
sage, insbesondere in den Mythen des Tydeus- und Meleagroskreises
haben. Mehrere dieser Sagenzüge sind diesen westgriechischen Land-
schaften mit Argos gemeinsam, von wo wahrscheinlich auch Odysseus,
der Eponym der argivischen Ollisseidai nach Ithaka kam und Da-
masippos der Eponym der cpdiQa der Dmahippides Penelopes Bruder
wurde. (Vollgraff, Bull. corr. heU. XXXIII, 1909, 193). Einen
Hinweis auf das Alter dieser Sagenübertragungen und Verknüpfungen
bietet der Name Pheidon, den in dem neu gefundenen Bruchstück
eines hellenistischen Epos (Berl. Klass. Texte V, I, 69 v. 20) der
ätolische Verwalter auf dem Landgut des Diomedes führt. Er
heLßt ^^Q/,eaidrjg, sein Vater also ähnlich wie der Großvater des
Odysseus, und gewiß hat der Dichter beide Bezeichnungen der von
ihm vielleicht frei erfundenen Person deshalb beigelegt, weil sie in
älteren aitolischen Sagen vorkamen, wie dies von einem Namen
aus dem Stammbaum des Odj^sseus auch nicht wundernehmen
kann. Selbst wer in dem Thesproterkönig Pheidon (Od. ^ 316",
T 287) nicht gleich eine Erinnerung an den argivischen TjTannen
sehen mag, wird zugeben, daß diese Namen derselben Kultur ent-
stammen, in der dieser seinen Namen empfing, daß also um die
Wende des 8./7. Jhs. Argiver in Aitolien, Akarnanien, Südepeiros
und den vorgelagerten Inseln saßen, das amphilochische Argos
gründeten, Herakles' Vater gegen die Taphier ziehen ließen und,
entweder um die Rechtmäßigkeit ihres Besitzes zu erweisen,
mythische argivische Fürsten wie Diomedes und Odj-sseus und den
Großvater ilu-er Helena aus dem nordwestlichen Griechenland her-
leiteten oder dort vorgefundene Gestalten in die argivische Sage
verflochten. Denn schon vor der argivischen Kolonisation scheinen
mittelgriechische Ansiedler, Boioter, Phoker, Euboier in jenen West-
ländern eine Kultur mit ausgebildeten Sagen geschaffen zu haben;
so stammen z. B. die aitolisch-akarnanischen Kureten wahrscheinlich
aus Chalkis und sind in den argivischen Stammbaum des Phoroneus
erst nachträglich aufgenommen; auch Odysseus kann Ahn eines
408 Epeiros.
Stamines oder Geschlechtes in Argos geworden sein, weil ihn die
Argiver auf der von ihnen beherrschten Insel vorgefunden hatten.
Jedenfalls haben Aitolien und Akarnanien schon im ältesten
griechischen Mythos eine bedeutende Rolle gespielt, und wir
kommen um die Annahme nicht herum, daß den Zeiten verhältnis-
mäßiger Barbarei in diesen Gegenden eine Periode hoher griechischer
Kultur vorausgegangen ist.
Über Sagen von Epeiros handelt Martin P. Nilßon,
Studien z. Gesch. des alten Epeiros (Acta Universitatis Lund. VI,
I, 1910, S. 17 ff.)- i^icks Vermutung, daß Pielos der Eponym von
Pieleia sei, und Müllers Kombination, daß die Herakleidin Leonassa
in den epeirotischen Stammbaum wegen Pyrrhos' Gemahlin Lanassa
eingeführt wurde , werden m. R. gebilligt ; man muß dann freilich
wohl annehmen, was aber bei dem Tyrannen von Syrakus nicht
schwer fällt, daß Lanassas Vater, der Plebejer Agathokles, sich
einen Stammbaum hatte machen lassen, in dem er von Herakles
abgeleitet wurde. Bedenklicher ist es , wenn Nilßon aus der Ein-
führung des Pielos in den Stammbaum der Molosserkönige (lustin
XVII, 3, f Piales; vgl. Paus. I, 11, 1) folgert, daß die Aiakidensage
das Peneiostal hinauf nach Epeiros wanderte ; es handelt sich doch
nicht um alte Volkssage , sondern um einen künstlichen , freilich
früh entstandenen Stammbaum. Nicht m. B. wird ferner von
Nilßon die Genealogie , die Eurytos , den Eponym der Eurytanes,
und Ambrakia zu Kindern des Melaneus machte , aus der Zu-
gehörigkeit Ambrakias zum aitolischen Bund erklärt; diese Stamm-
tafel konnte jederzeit entstehen, wenn sich sowohl die epeirotischen
Dryoper (GGM I, 229 v. 30 ; Plin n. h. IV, 2) als auch die Eury-
tanen von den Dryopern am Oeta und dem dortigen Oichalia ab-
leiteten, denn dessen König Eurytos, Sohn des Melaneus, war durch
die Sage gegeben. Daß die offizielle Genealogie des molossischen
Königshauses auf P}T-rhos' Hofhistoriographen zurückgeht, hat nach
Lenschau, Berl. Phil. Wochenschr. XXXII, 1912, 341 Nilßon
erwiesen; mir scheinen mindestens die Anfänge dieses Stammbaumes,
die Gleichsetzung des Neoptolemos mit Piales oder Pielos und die
nach Nilßon GGA 1912, 383 jüngere des Achilleus mit Aspetos,
bis in das 5. Jh. hinaufgerückt werden zu müssen. — Während
Nilßon, dem sich Lenschau a. a. 0. anschließt, die Epeiroten für
ein ungriechisches, wenn auch mit Griechen vermischtes Volk hält,
will Costanzi, Atti acc. Tor. XLVII, 1911/12, 969 ff. sie aus
den Heroennamen Kadmos , Gropos , Aspetos und Pyrrhos , von
denen aber der erste und vierte gewiß erst von Griechen eingeführt,
Epeiros. Malta. Sardinien. Sizilien. 409
die beiden mittleren wahrscheinlich nicht griechischen Ursprungs
sind, und aus dem Namen JEirtatvQog^ den nach Hesych. ein Gott
bei den Tjmiphaiern führte, der m. E. aus dem Griechischen (vgl.
Zeus narr^Q) entlehnt oder übersetzt ist, erweisen. — C. K 1 o t z s c h ;
Epeirotische Geschichte bis zum J. 280 v. Chr., Berlin 1911 handelt
nur wenig über die Sageugeschichte. — Über die Spekulationen,
die L. Colane-elo in seinem Aufsatz Oracolo di Dodona Riv.
stör. ant. XI, 1906, 491 ff. über pelasgische und indogermanische
Arten der Weissagung anstellt, ist bereits o. {18) berichtet.
Über eine figürliche Darstellung der illyrisch - thrakischen
Götterdreiheit (Silvanus, Diana, Apollo?) s. Reeb, Festschr. zur
Feier des 50jähr. Bestehens des Eöm.-German. Zentralmuseums
zu Mainz 1907.
Italische Inseln.
A. Mayer faßt seine langjährigen von Oberhummer angeregten
und von der Bayrischen Akademie der Wissenschaften unterstützten
Untersuchungen über Malta zusammen in dem Buch „Die Insel
Malta im Altertum", München 1909, in dem er S. 120 ff. die Kulte
bespricht.
Auf S ar dinie n sind nach P a i s , ßendicont. RAL Vxviii^
1909, 13 ff. die lolaier und liier Vertreter desselben libyschen
Namens; für einen altafrikanischen, „sei es punischen, sei es,
was näher liegt, libyschen Namen" hält v. Baudissin,
Adon. und Esmun S. 290 b-^, bx"', by, d. i. lolaos. Unabhängig
von der Frage nach der Herkunft des barbarischen Gottes ist
natürlich die nach seiner Ausgleichung mit dem griechischen Heros,
dem Neffen des Herakles; wahrscheinlich steht die Sage von seiner
und der Thespiaden Ankunft in Beziehung zu Perikles' Plänen im
tyrrhenischen Meer (Berl. Phil. Wochenschr. XXXI, 1911, 999 ff.). —
Viel hat sich in der Berichtsperiode Pettazzoni mit den Sagen
und Gottesdiensten von Sardinien beschäftigt. In einem Aufsatz
Rendicont. RAL Vxix, 1910, 88 ff. , 217 ff. spricht er über den
dortigen Totenkult , über Inkubation und Götterbilder. Vgl. La
religione primitiva in Sardegna, Piacenza 1912. Nachträge dazu
bietet ein Vortrag auf dem vierten religionsgeschichtlichen Kongreß zu
London 1913; vgl. I Primordi della Religione in Sardegna, Arch.
f. Religionsw. XVI, 1913, 321 ff., wo u. a. über neue Funde bei
Tonara in der Mitte der Insel berichtet wird.
Sizilien. Ciaceri, Culti e miti nella storia deU' antica
Sicilia, Biblioteca di filologia classica II, Catania 1911 gibt nicht,
410 Sizilien.
wie der Titel verspricht, eine Übersicht über die für die Geschichte
wichtigen sizilischen Kulte, wozu er als Kenner seiner Heimatinsel
wohl berufen gewesen wäre , sondern Ansichten über Herkunft,
Geschichte und Bedeutung vieler von ihnen und auch solcher, die
für die Geschichte der Insel keine Bedeutung haben. Im ersten
Kapitel werden die Kulte der sikanischen, sikelischen und elymischen
Bevölkerung, die er, vielleicht m. R. für gleichartig hält, mit dem
Ergebuis dargestellt, daß ein verhältnismäßig großer, m. E. etwas
zu großer Teil der späteren Gottesdienste der Insel aus dieser
Quelle hergeleitet wird. Im zweiten Kapitel bestreitet Ciaceri,
was A. J. Reinach, Rev, hist. rel. LXIV, 1911 2, 360 als ein
sehr wichtiges Ergebnis bezeichnet, mit Pais, den einst von Movers
und Holm behaupteten Einfluß der Phoiniker auf die Mythen und Kulte
Siziliens, und auch (107 ff.) den des minoischen Kreta, den Bethe,
Rh. Mus. LXV, 1910, 208 erweisen w^ollte. Ausführlicher be-
gründet Ciaceri seine Bedenken gegen diese Ansicht Studi storici
per l'antichitä class. V, 1912, 177; und zwar gewiß mit Recht,
soweit der kretische Einfluß auf Sizilien aus den Sagen von
Daidalos und Ikaros gefolgert wird , denn diese Sagen reichen
weder in so alte Zeit hinauf, noch sind sie überhaupt in Sizilien
entstanden. Im dritten Kapitel seiner Culti e miti behandelt
Ciaceri die großen griechischen, d.h. die zwölf von Ennius zusammen-
gefaßten, im vierten die kleinen Gottheiten, auch Dionysos, Askle-
pios sowie nichtgriechische wie lanus, die syrische Göttin, Isis usw.,
im fünften die Heroen und sonstige Gestalten des Mythos. Im
ganzen folgt der Vf. guten Führern, und seine Urteile entfernen
sich nicht oft weit von dem, was auch in guten Büchern zu lesen
ist; aber seine Quellenangaben sind zu wenig zuverlässig, und die
bisweilen nötige Verweisung auf Verhältnisse des griechischen
Mutterlandes zeigt zu große Lücken in der Kenntnis der alten
Geschichte, als daß das Buch wie andere Monographien über die
Kulte einzelner Landschaften als Vorarbeit und Entlastung für
eine Geschichte der griechischen Religion empfohlen werden könnte.
Um diesem Zwecke zu dienen, müssen derartige Arbeiten das vor-
handene Material , was der Verfasser nicht einmal erstrebt hat,
soweit erreichbar, vollständig aufarbeiten. Vgl, über die Mängel
der Schrift Berl. Phü. Wschr. XXXII, 1912, 879 ff. — Von den
einzelnen Gemeinden ist in Akragas der Tempel der Demeter
und Köre durch zahlreiche Terrakotten jetzt an der Stelle der
Kirche S. Biagio festgestellt , wo ihn schon Schubring vermutet
hatte; siehe Rizzo, Österr. Jahresh. XIII, 1910, 64 ff. — Die Lage
Sizilien. 411
von Enna beschi-eibt 0. Roßbach in einem Vortrag, der u. d. T.
„Castrogiovanni, das alte Henna in Sizilien nebst einer Unter-
suchung über griechische und italische Todes- und FrtlhUngsgötter
und neun Abbildungen", Leipz.-Berl. 1912 unter Hinzufügung zahl-
reicher Anmerkungen herausgegeben ist. — Ferrabino, Kalypso
378 ff. erkennt in der Demetersage von Enna einen ursprünglich
sikelischen Kern, welcher der griechischen Sage sehr ähnlich war
und (S. 385) von der Ackergöttin , ihrer Tochter und deren Ent-
führung durch den Unterweltsgott erzählte. Irgendeinen Anhalt
für die Wahl Ennas als Kultstätte Demeters werden die Griechen
in einem einheimischen Gottesdienst schon gehabt haben; aber
der spätere Legendenschatz des Ortes und die dazu gehörigen
Riten sind wahrscheinlich nach dem nicht geheimen und des-
halb übertragbaren Teil der eleusinischen Sagen und Kulte
entstanden, und zwar vermutlich unter Gelon, nach dessen Plan
Enna für seine Residenz Syrakus , wie es scheint, eine ähnliche
Bedeutung haben sollte wie Eleusis für Athen. — Die Berichte
über die Ausgrabungen Orsis in Geld 1900 — 1905 füllen den Band
XVII der Monumenti antichi RAL, 1906; vgl. Pareti, Studi sie.
ed ital. (Contrib. alla scienza delF ant. I, 1914) S. 199 ff., wo 211
über den Athenakult gesprochen wird. Über die Städte des Namens
Hifhla vgl. Ciaceri, Studi storici per Tantichitä class. II, 1909,
163 ff. ; vgl. Culti e miti S. 15 ff. (beide Ai'beiten sind von Ziegler
Real-Enzykl. IX. 25 ff. nicht benutzt). Ciaceri stellt mit Schubring
bei Steph. Byz." Yßlai 644 25 MeyaQeXg hinter '^YßlaloL und gewinnt
so drei Städte 1) Megara Hyblaia, 2) Hybla am Aetna, 3) Hybla
Heraia. Zuerst soll das Städtchen am Aetna diesen Namen geführt
haben , und zwar nach einer Göttin , die , wie aus einer in der
Gegend gefundenen Weihinschrift an Venus Victrix Hyblensis ge-
folgert wird, Fruchtbarkeit verleihen soUte; von den yaQa, d. h. den
avÖQEia '/.dl yvvaiy.ela /.lögLa soll die Stadt auch den Namen
Gereatis (Paus. V 23, 6) geführt haben, der später, als Gelon hier
Megarer ansiedelte, zunächst in Geleatis (Thuk. VI 62, 5) und dann,
als die Hyblaier von Gelon in das von ihm zerstörte Megara ver-
pflanzt wurden, und die hyblaüschen Megarer sich den megarischen
Galeotai gleichsetzten, Galeotis umgenannt wurde. Diese Galeotai
soUen mit den „Schwertfischen" (yalecoTaL) von Zankle-Messana
verwechselt und deshalb selbst für Zanklaier gehalten worden sein.
Gegen den megarischen Ursprung der Megarer, dem Ciaceri selbst
die Grundlage durch die Umstellung von MeyaQSig bei Steph. Bjz.
entzogen hat, vgl. Pareti a. a. 0. 333 f., 337 ff.; s. auch Berl.
412 Sizilien und ünteritalien,
PhU. Wschr. XXXII, 1912. 884 ff. — Über Selinus vgl. Jean
Hulot, La ville, TAcropole et les Temples releves et restaures,
texte par G. Fougeres, Paris 1910; L. Pareti, Studi sie. ed ital.,
Contrib. alla scienza dell' ant. I, 1914, 227 ff. spricht ttber die
Herkunft der selinuntiscben Kulte, die er, nicht immer mit über-
zeugenden Gründen , oft auch dann aus Megara ableitet , wenn es
sich um weit verbreitete Vorstellungen handelt , die nicht aus der
Mutterstadt mitgebracht zu sein brauchen.
Unteritalien.
Für Untersuchungen über die Altertümer, auch über die antike
Rehgionsgeschichte Unteritaliens, ist eine neue wichtige Sammel-
stelle in der Zeitschrift Neapolis, Rivista di archeologia e scienze
affini per l'Italia meridionale e la Sicilia geschaffen worden, die
seit 1913 erscheint. — Byvanck, De Magnae Graeciae historia
antiquissima , Leiden 1912 behandelt namentlich die Gründungs-
sagen von Tarent (63 ff.), Siris (73 ff.), Sybaris (76 f.), Kreton (77),
Lokroi (78), Kyme (81), Rhegion (82) ; im aUgemeinen neigt auch
er dazu, die Kulte und Mythen der griechischen Kolonien als auf
einheimische aufgepfropft zu betrachten. — Über die Mythen und
Kulte Apuli ens spricht M. Mayer, Apulien vor und während
der Hellenisierung mit besonderer Berücksichtigung der Keramik,
Leipzig-Berlin 1914. Mayer trennt die lapyger oder lUyrier von
den Messapiern , die besonders in der Peloponnes gesessen haben
und (377 ff.) später über Ki'eta, Rhodos und Kos nach Unteritalien
ausgewandert sein sollen. So werden die mythischen Verbindungen
zwischen Apulien einerseits, Kreta (Sallentiner, Rhadamanthys) und
Rhodos anderseits erklärt. Es fehlt dem Vf. auch auf dem Gebiet der
Religionsgeschichte nicht an Gelehrsamkeit undKombinationsgabe, aber
er sucht in den Mythen unmittelbare Geschichtserinnerungen, die sie
nicht enthalten können. Die von ihm verwerteten Sagen knüpfen wahr-
scheinlich großenteils an Ereignisse einer weit späteren Zeit an, z. B.
die Überlieferung von der Auswanderung der von Theseus nach
Brentesion geführten Kreter nach Bottiaia (Sltr. VI 3 — 6, S. 282),
die Mayer 385 als Beweis für eine thrakisch-makedonische Wande-
rung nach Unteritalien anführt, an die athenisch-makedonischen und
athenisch-messapischen (Thuk. VII 33, 4) Beziehungen im 5. Jh. —
Daß in minoischer Zeit Kreter nach Italien gekommen seien, wird
übrigens auf Grund der mit der ägäischen Kultur übereinstimmen-
den italischen Funde , die doch in Wahrheit nur einen Kultur-
austausch zwischen der Balkan- und Apenninhalbinsel beweisen,
Unteritalien. 413
auch von anderen Forschern angenommen und zur Erklärung von
Mythen und Kulten verwendet. So glaubt A. Rein ach, Neapolis
1914, S. 244, daß durch vorgriechische Kreter die ursprünglich
kuhgestaltige Göttin nach Italien kam , die am Lakinion und , wie
aus der tarentinischen Europa des Pj'thagoras (Overbeck, Ant.
Schriftquellen no. 502 ff.) gefolgert wird, in Tarent verehrt wurde,
und daß der tarentinische Phalanthos dem kretischen ApoUon Del-
phinios entspreche. — Hennings' Aufsatz „DieHeimat derPhaiaken",
Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1910, 197 ff., der Scheria nach Ainaria
setzt, hat bereits Mülder (ö. Bd. CLXI, 191S, 111) besprochen. —
Aus geometrischen Vasen, die in Kymc gefunden sind, schließt
Maragliano, Atti RAN ant. XXV, 1908 ^ 1 ff., daß Griechen schon
gegen Ende des 9. Jhs. in der Stadt wohnten. — Daß in Kj-me Artemis
neben Apollon stand, folgert Boll, Arch. f. Religionswissensch. XIII,
1910, 567 ff. aus einem Schol. zu Aug. c. d. II 23, nach dem das
Bild von dort gestohlen und in Minturnae als Marica verehrt wurde.
Nach Boll 572 stammt die kjonaiische Göttin aus Euboia; sie wurde
nach dem Scholion auch der Fascelina (0ay.i?ATig) gleichgesetzt.
Nach Röscher, Philol. LXI, 1912, 307 f. ist diese Artemis, die
mit Phoebus verbundene Trivia, der die Sibylle nach Verg. Aen.
VI 35 dient. — Einen Dionysosverein , der einen gemeinsamen
Begräbnisplatz hatte, erschließt fiausso ullier, Rev. phil. n. s.
XXX, 1906, 141 f. aus der zuerst von Sogliano jetzt am besten von
Comparetti, Laminette orfiche S. 47 herausgegebenen Inschrift
ov ^6/U'S iiTaid^a y.elad^ai el (.itj (überlief, i^ie) xov ßeßay.yevfAtvov.
Haussoullier vergleicht die Inschrift der tanagraiischen Dionj^siasten
IG VII 686. — Heraorakel würden sich für Kyme ergeben, wenn
A. Maiuri, Auson. VI Iff. auf dem dort gefundenen Diskos richtig
liest und deutet *^'lfo?^ ow fäi 'i]oi {.lavtevead^ai, „Hera erlaubt nicht,
Orakel am Vormittag einzuholen". Nach Maiuri wurde Hera als
Mondgöttin am kymaiischen Nekromanteion angerufen. V. Mac-
chioro, Neap. I, 1913, 90 billigt diese Vermutungen, aber Haus-
soullier, Rev. de phil. XXXIV, 1910, 137 war zu einer anderen
Lesung und Auslegung der Inschrift gelangt {s. o. 244}. — Die
kymaiische Heraklessage ist nach Friedländer, Herakl. 142 ff.
durch Rhodier übertragen; s. dagegen Berl. Phil. Wochenschr.
XXXI, 1911, 1002, wo die Sage zwar mittelbar ebenfalls auf rho-
dische Ansiedler zurückgeführt , aber wegen der Einflechtung der
Thespiadensage unmittelbare Nachahmung einer ki-otoniatischen Über-
lieferung erschlossen wird. — Nach P. Corßen, Sokr. II, 1913,
1 ff. ist zu scheiden zwischen der kimmerischen Sibvlle am Averner-
414 Unteritalien.
see , die bei Naevius dem Aeneas die Totenbeschwörung vollzieht,
und der in der Grotte am Burghügel von Kyme am südösthchen
Burgfuß. Vergil folgt nach Corßen dem Naevius insoweit, als
er die Burg-Sibylle den Aeneas durch die Grotte am Avernersee
in die Unterwelt führen läßt. Die Avemer Sibylle scheint, wie
Corßen meint , auch Albunea geheißen zu haben , da die Orakel-
stätten der Albunea ähnlich wie die jener beschrieben werden. —
Über die Ausgrabungen am Heratempel des Lakinions vgl. Orsi,
Not. degli scavi VIII, Suppl. 1911, 77 ff. Eine einheimische, in
Kuhgestalt am Lakinion verehrte Göttin , der eine vorgriechisch-
kretische gleichgesetzt wurde , nimmt A. J. Reinach, Neapolis
1914, 242 ff. an. — Die Ausgrabungen in dem epizephyrischen
Lokroi, die nach einer Anregung v. Duhns von der italienischen
Regierung unter Orsis Leitung vorgenommen wurden (Orsi, Not.
degli sc. 1909, 321), haben zwar zahlreiche Weihgeschenke (Pagen-
stecher, Sitzungsber. der Heidelb. Akademie 1911, IX, 10 ff.),
die vom 8. (?) bis 5. Jh. reichen sollen , darunter schöne Ttivav.eg
ans Licht gebracht, die teils (Quagliati, Auson. III, 1909, 136 ff. ;
vgl. Oldfather, Phü. LXIX, 1910, 114) nach Tarent, teils (Orsi,
Boll. d'Art. del minist, della pubbl. instruz. III, 1909, 406 ff., 463 ff.;
Not. degli sc. 1910, 319, 326; vgl. den Aufsatz Appunto di pro-
tistoria e storia Locrese in den Saggi di storia antica e di archeol.
offerti a G. Beloch 1910, S. 155) nach SjTakas gekommen siud;
dagegen ist die alte Streitfrage nach der Lage des berühmten
Persephoneheiligtums , soweit sich von Deutschland aus nach dem
Aufhören direkter Mitteilungen urteilen läßt, noch immer nicht zu
endgültiger Entscheidung gekommen. Wenigstens bezweifelt Old-
father a. a. 0. 122 und ebd. LXXI, 1912, 321 ff-, daß der von
Orsi in der Unterstadt ausgegrabene Tempel , in dem nun endlich
das Hauptheiligtum der Stadt gefunden zu sein schien , dieses ge-
wesen sei. Im Giebel waren zweifellos die Dioskuren dargestellt,
und es fehlt am Gebäude selbst ein Hinweis auf Persephone. Der
berühmte Haupttempel der Göttin lag nach ausdrücklichem Zeugnis
außerhalb der Stadt, eine städtische Filiale nimmt zwar auch Old-
father an , aber er setzt sie auf die Akropolis , von wo die von
Quagliati, Auson. III 1909, 136 herausgegebenen Kunstwerke
heruntergeworfen seien. Ebenso wie die Lage des Heiligturas ist
auch die Herkunft des Kultus umstritten. Orsi denkt an syrakusa-
nischen Ursprung, scheint aber auch, worin ihm Lens ch au, Berl.
Phil. Wochenschr. XXXII, 1912, 1350 folgt, einen vorgriechischen
(sikelischen) Kult anzunehmen; da aber ein vieUeicht in Lokroi
ünteritalien. 415
gefundener Helm in Neapel die Aufschrift TlriQKpova (IG XIV 631)
trägt, also eine Namensform der Göttin anwendet, die an die sparta-
nische Ilr^Qicporeia erinnert, so meint Oldfather, Philol. LXVIIi
1908, 435, daß der Kult zu den Lokrern von Sparta aus gelangt
sei, von wo aus nach Paus. III 3, 1 Lokroi gegründet sein soll
und dessen Kolonie Tarent den Lokrern ebenfalls den Kult über-
liefern konnte. Nach Ostlokris, wo auf Münzen der Kaiserzeit der
Hadeskopf erscheint, gelangte der Kult, wie Oldfather meint, erst
von Italien aus. — Über Dionysoskult in Lokroi s. Oldfather, Phil.
LXIX, 1910, 115. — Bart. Capas so hinterließ auf dem Toten-
bett seinen Freunden ein fast vollendetes Werk über das antike
Neapel mit der Erlaubnis zu Änderungen; dieses hat G. de Petra
im Auftrag der Societä Napolitana di storia patria- (Jahrg. XXX)
u. d. T. fNapoli Greco-ßomana esposita nella topografia e nella
vita 1905 herausgegeben. Über Kulte handeln u. a. S. 58 ff.
(Apollon), Gl (Zeus), 77 (Demeter), 79 ff. (Dioskuren), 92 Parthe-
nope), 93 f. (Artemis), 97 (Herakles?), 98 (Orion). — Gegen
Mommsen CIL X 170, der eine alte Stadt Parthenope (Strab. XIV
2, 10, S. 654; Plin. n. h. III 62; Sil. Ital. XII 33; PhüargjT.
Georg. IV a. E.) an der Stelle Neapels bestritten hatte, will f Petra,
Le Origini di Napoli, Atti EAN XXIII, 1905 (arch., lett. e. b. a.),
S. 37 ff. nachweisen, daß Parthenope im 6. Jh. von den Kymaiern
gegründet, dann aus Eifersucht von denselben zerstört, aber im
5. Jh. als Neapolis wieder aufgebaut wurde. Doch soll die neue
Stadt östlich von der alten, die den modernen Ansprüchen nicht
entsprach, angelegt worden sein und die alte unter dem Namen
Palaiopolis bis zum Bündnis mit Rom bestanden haben. Später
hat Petra in dem Aufsatz Le Sirene del mar Tirreno (ebd. XXV,
1908, 16) und Miscell. ded. ad Salin. 81 ff. seine Ansicht ge-
ändert. Er gibt die vorher von ihm bestrittene rhodische Nieder-
lassung wegen der neolithischen Funde bei Sa. Lucia zu und
nimmt an, daß die Kymaier erst nach den Rhodiern Neapolis
am Molo Piccolo bis S. Giovanni Maggiore gründeten. Diese
kymaiische Stadt soll den Namen Palaiopolis erhalten haben , als
nach der Besetzung von Ischia durch Hieron die Kymaier und
Chalkidier eine dritte Stadt, das neue Neapolis, gründeten, in das
Athener Pithekusier und, weil man Parthenope als selbständige
Gemeinde nicht neben sich haben mochte , auch die Einwohner
dieser Stadt aufgenommen wurden. Doch fand eine völlige Ver-
schmelzung der drei Städte, von denen jede das Grab der Parthenope
besitzen wollte, nach Petra nicht statt. Der Kult der Sirenen wird
416
Unteritalien.
Teleboern oder Tapliiern zugeschi'ieben, die sich auf Capri nieder-
gelassen (Verg. Aen. VII 733 f.; Tac. ann. IV 67; Stat. silv. III
5, 100; Sil. Ital. VII 418) und dorthin den Kult der Acheloos-
töchter verpflanzt haben sollen. Sowohl die früheren wie die
späteren Konstruktionen des Vfs. sind ziemlich verwickelt; ein-
facher wird die mythische Besiedelung der Stadt, wenn Parthenope
nicht eine eigene Stadt, sondern eine aus dem Hauptkult geschöpfte
dichterische Bezeichnung der Stadt war. — Eine Priesterin der
Athena ^ly.shj nennt eine neapolitanische Inschrift. Nach Pais,
Ric. stör, e topograf. 275 ff. lag der Tempel bei Punta di Campa-
nella gegenüber Capri. Der Tempel wurde nach Pais wahrschein-
lich von Lipara oder Syrakus aus als Ersatz für das alte Sirenen-
heiligtum gegründet ; die Göttin sollte die dort operierenden Kriegs-
schiffe beschützen. — Über das Dioskurenheiligtum in Neapel
handelt v. Duhn, Sitzungsber. Heidelb. AW h.-phil. Kl. 1910, I
im Anschluß an Correra, II tempio dei Dioscuri a Napoli, Atti
EAN XXIII, 1905, 212 ff. Der Bau, durch einen libertus Augusti
geweiht, lag am Mercato Vecchio. — Über die Beziehungen, die
im 5. Jh. zwischen Athen und Neapel bestanden, s. Pais, Rendi-
conti RAL Vxvi 1906, 184 f. — Die Ansiedlung der lonier in Siris
verteidigt Pais, Ric. stör, topograf. 91 f.; er setzt die Kolonie
der Kolophonier (S. 101) in die erste Hälfte des 7. Jh. — Über
Sybaris vgl. E. Galli, Per la Sibaritide, Studio topograf. e storico,
Acireale 1907. — Adele Cortese, Le origini di Taranto, Atti
acc. Torino IL 1913/14, 1037 ff. bestreitet Studniczkas An-
Annahme griechischer vordorischer Ansiedelungen in Tarent; die
von den Doriem vorgefundenen lapyger, mit griechischer Be-
zeichnung Messapioi genannt, sollen lUyrier gewesen sein; den
mythischen Erzählungen wird mit Recht Geschichtswert abgesprochen.
Die Spartaner ließen sich nach A. Cortese gegen Ende des 8. Jhs.
in Taras nieder, eine Änsetzung, die m. E. noch um ein Jahrhundert
heruntergerückt werden muß. — Maaß, Der Kampf um Temesa
Arch. Jahrb. XXII, 1907, 18 ff. sieht in dem bösen Heros Alibas
(Suid. s. Euüviiog, wo ^yiXvßaq überliefert ist) eine Personifikation
der barbarischen Alibanten , die ihr Gebiet von Metapont bis nach
Westcalabrien ausgedehnt hatten, die Überlandtransporte von ßruttien
und Calabrien nach dem tvrrhenischen Meer hinderten, die griechi-
schen Niederlassungen brandschatzten und ihnen die Entrichtung
eines Menschentributes abzwangen, von dem sie Euthymos befreite.
Das Gemälde, dessen Kopie Paus. VI 6, 11 beschreibt, soll die
Bezwingung dieses Volkes durch den neuen lokrischen Heros in
ünteritalien : Temesa. 417
Gegenwart der umwohnenden Griechenwelt dargestellt haben, —
Ähnlich urteilt Pais, Ric. stör, e topogr. 43 ff., Klio IX, 1909,
385, der aber erstens glaubt, daß der Tribut von den Temesaiern
nicht den Alibanten, sondern den Krotoniaten geliefert werden mußte,
und zweitens in den Einzelheiten der Euthymossage nicht symboli-
sierte Geschichte, sondern einen Mythos erkennt, der auf Euthymos
übertragen sei und den er bis in die mittelgriechische Heimat von
Lokroi verfolgen zu können glaubt. Der Name des geretteten
Mädchens, Sybaris, soll (Ric. 53) an die mit Lokroi 47G verbündete,
sich z. T. ebenfalls auf lokrischen Ursprung zurückführende (ebd. 51)
gleichnamige Stadt, zugleich aber an das phokische Ungeheuer er-
innern, das nach einer der temesaiischen Geschichte ähnlichen Sage
(Nikandr. bei Anton. Lib. 8) Eurybatos erlegte. Die Bedingungen
für die Übertragung dieser phokischen Sage nach Unteritalien waren
gegeben, als das epizephyrische Lokroi sich 476 oder 472 mit
den Deinomeniden verbündete und das den Krotoniaten zinspflichtige
Temesa eroberte und „befreite". Eben auf dies Bündnis wird das
von Pausanias beschriebene Bild bezogen. Gegen die geschicht-
lichen Folgerungen, die Maaß aus dem Namen der Alibanten ge-
zogen hatte , wendet Pais ein, daß der Name Alibas , Alybas auch
in anderen Teilen Unteritaliens vorkomme, und daß auch Kalabros,
der nach Pausanias' Beschreibung auf dem Gemälde dargestellt war,
nicht notwendig auf die östliche Halbinsel Süditaliens hinweise. —
Dagegen will Patroni, Atti accad. Tor. XLV, 1909/10, 494 ff.
erweisen, daß Apheidas' Stadt Alybas (Od. co 304) wii-klich an der
Südküste Italiens lag, und daß Metapont gemeint sein könne, dem
es im Altertum gleichgesetzt wurde. — Sowohl gegen Maaß wie
gegen Pais wendet sich De Sanctis ebd. 164 ff. Er sondert die
Berichte und sucht ihre Unterschiede zu erklären. Der älteste ist
der, dem das von Pausanias beschriebene Bild folgte : hier galt als
Bezwinger des Ungeheuers, als Retter des Mädchens Sybaris (S. 179),
dessen Name nicht mit dem des phokischen Ungeheuers verglichen
werden dürfe , weil dieses , eigentlich Lamia genannt , jene zweite
Bezeichnung nur zur Erklärung der in ganz Griechenland häufigen
Qu^llbezeichnung erhalten habe. Erst nach der Zerstörung von
Sybaris soll in der unteritalischen Sage der Stadteponjon durch
Euthymos ersetzt sein ; Kallimachos (Seh. Paus. III 221 Spiro,
Plin. n. h. VII 152: vgl. Schneider, Call. II 579 fr. 399 und Seh.
X 56 TB) bot die Fassung von der geopferten Jungfrau , die
Euthymos befreite und heiratete. Die Version, nach der Euthymos
Temesa bloß von einer Geldlieferung befreite und einen größeren
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Supplemeuthand). 27
418 Temesa. — Latium.
Betrag zurückforderte, gebt nach de Sanctis auf eine Phlyakenposse
zurück. Str. VI 6, 1, S. 255 und Ael. v. h. VIII 18 sollen eine
rationalistische (?) Umwandelung geben. Ein sjonbolischer Gehalt
der Sage wird abgelehnt; der Vf. glaubt, daß die Temesaier wirk-
lich einst einem Dämon Mädchen opferten , der seinen Namen
Alybas lediglich nach Odyss. (o 304 empfing und von l4X{ßag „Ge-
spenst" ganz zu trennen ist. Ein Volk (Bekker, Anecd. 1317 s. v.)
Alybantes hat es nach de Sanctis nicht gegeben , sondern nur
jenen Ort, dessen Eponym aus unbekannten Gründen dem Gespenst
von Temesa gleichgesetzt worden sei. — Gegen die Beziehung der
etruskischen Reliefs mit dem aus dem Brunnen steigenden Wolf
auf den Kampf des Ungeheuers gegen Euthymos , an die wegen
des Namens Lykas auf dem mehrerwähnten Gemälde gedacht
worden ist, erklärt sich Anziani, Mel. d'arch. et d'hist. XXX,
1910, 268 ff.
Latium.
Die Diana von Ar i ein war nach F. Marx, Sitzungsber. SGW
1906, 112 von Ephesos fihiert, das ein Asyl für entlaufene Sklaven
war und solche z. T. als Hierodulen verwendete. Gleichartig war
die römische Diana auf dem Aventin ; Fest. 343 *, 8 bezieht sich
auf Sklaven , die sich an ihren Altar gerettet hatten — die zwei-
bärtigen mit Eichenlaub als Attribut und Fischfiossen versehenen
Köpfe, die 1885 in Nemi ausgegraben wurden, hält Fr. Granger,
Cl. Rev. XXI, 1907, 194 für Darstellungen des alten und des ihn
angreifenden neuen Rex sacrorum.
Die Gründungs sagen von Lavinium, Alba und Rom kritisiert
E. Pais, Storia critica di Roma I 197 — 377. — Über die systema-
tischen Ausgrabungen, die seit 1907 von dem itahenischen Unter-
richtsministerium in Ostia angestellt wurden, gibt außer den regel-
mäßigen Fundberichten in den Notizie degli scavi und anderen
italienischen Veröffentlichungen eine zusammenfassende Darstellung
Th. Ashby, Journ. Rom. Stud. II, 1912, 153 ff., der S. 180 über
den Cerestempel, 181 über ein Mithraeum, 184 über den Vulcan-
dienst, 190 über das Metroon handelt. Speziell die religionsgeschicht-
liche Ausbeute dieser Ausgrabungen würdigt Lily Roß Taylor,
The Cults of Ostia (Bryn Mawr Coli. Monogr. XI), Bryn Mawr
1912. Hauptgott der Stadt war Vulcanus , dessen Kult (S. 19)
älter ist als die Hafenanlage und deshalb nicht, wie Wissowa noch
in der zweiten Auflage des Handbuchs, Rel. u. Kult, der Römer
S. 230 angibt, hier aus dem Grunde eingerichtet sein kann, weil er
Latium. 4^9
die Docks und Magazine vor Feuersgefahr schützen sollte, sondern
vielleicht aus dem von Ancus Martius vor der Gründung von Ostia
zerstörten Ficana stammt. — Über das Heiligtum des luppiter
Optimus Maximus und das des Numen Caeleste (AnAhita?) be-
richtet Vaglieri, Comptes rend, AIBL 1909, 184 fF. —
In Pr aenestr ist eine alte Weihung an Inno Palosticaria
gefunden, deren Beinamen Marucchi, Bull. comm. arch. comm.
XLI, 1913, 22 ff. zweifelnd von ncclog und ozixog ableitet und
auf die Ordnung der Sortes beim Orakel der Fortuna bezieht.
Da über die römisch c Religionsgeschichte in einem besonderen
Abschnitt berichtet ist und auch die vor 1912 erschienenen Arbeiten
über Gottesdienste von wesentlich lokaler Bedeutung meist schon
in der zweiten Auflage von Wissowas Religion und Kultus der
Römer verzeichnet sind , habe ich hier nur weniges dieser Art zu
erwähnen. Über die Triumphalstraße auf dem Marsfeld und die
Zeit, in der die an ihr befindlichen Tempel gestiftet wurden, spricht
v. Domaszewski, Arch. f. Religionswiss. XII, 1909, 67 ff. Der
Fries im Louvre , der schon von Furtwängler zum Neptunusfries
im Palazzo Sa. Croce gestellt ist, soll eine Lustratio exercitus,
jedoch nicht bei der Missio , wie Furtwängler wollte , sondern bei
dem Census darstellen. — Daß die Bronzemünze des Caligula, die
nach allgemeiner Annahme den Tempel divi Augusti darstellen soll,
vielmehr den des Apollo Palatinus wiedergibt, will Richmond,
Essays and Stud. present. to Ridgeway 1913, 198 ff. erweisen.
Vorher hatten die Opfer an Augustus vor dem von diesem erbauten
Tempel des Mars Ultor stattgefunden-, Tiberius baute das novum
templum divi Augusti. Vgl. o. (^S. 94 f.). — Über den römischen
Castortempel vgl. A. W. v. Buren, Class. Rev. XX, 1906, 77 ff. ;
s. auch 184. — Mit den mythischen arkadischen Zuwanderem in
Rom bringt S. Rein ach, Cultes , mythes, relig. III 210 ff. zu-
sammen , daß Diana , wie er aus einer Nachbildung auf dem Altar
von Mavilly folgert, im Typus von Lykosura dargestellt war. Daß
tegeatische Handelsherren im 6. Jh. eine Niederlassung in der
Tiberstadt hatten, ist m. E. nicht ganz unwahrscheinlich, aber
schwerlich wurde ein damals übertragener Tj'pus so lange er-
kennbar konserviert. — Am Südende des laniculum, wo schon 1803
C. D. F. J. Fea Ausgrabungen veranstaltet und eine Inschrift an
den I. 0. M. H(eliopolitanus) , den Conservator imperii (CIL VI
422) gefunden (Mel. d'arch. et d'hist. XXIX, 1909, 263) und später
Lanciani 1888 geforscht hatte, wurden beim Bau eines Gärtner-
häuschens im Sommer 1906 5 m unter der von der Höhe herab-
27*
420 Rom.
geschwemmteu Erde iu der \'illa Wm-ts (früher Sciarra) viele Mai-mor-
inscliriften mit Weihuugeu an die Nymphae Furriuae und an ver-
scliiedeue orientalische Gottheiten, ferner iSkulpturen, bleierne Wasser-
leituugsröhren und ein Kanal aus Ziegelsteinen entdeckt. Alles
stammte aus der Zeit der Antonine und Severe. Durch diese
Funde angeregt, welche die Notiz, degli sc. 1906, S. 248, 433;
1907, S. 88ff.; Gatti-Vaglieri, Bull. comm. arch. comm. XXXIV,
1906, 332; P. Gauckler, Compt. rend. AIBL 1907, 135 ff. und
ausführlicher, gegen Hülsen, Rom. Mitt. XXII, 1907, 225 ff. sich
verteidigend, Bull. comm. arch. comm. XXXV, 1907, 45 ff., ferner
Clermont Ganneau, Compt. rend. AIBL 1908, 250 ff. , ßec.
d'arch. orient. VIII, 1907, 51 ff. beschrieben und zu erklären ver-
suchten, wurden in den Jahren 1908 und 1909 systematische Aus-
grabungen auf Kosten des Genfers H. Darier vorgenommen , über
die P. Gauckler, Les fouilles du Lucus Furrinae au Janicule,
Compt. rend. AIBL 1908, 510 ff. , La source du Lucus Furrinae,
Mel. d'arch. et d'hist. XXVIII, 1908, 283 ff.; G. Nicole und
G. Darier, Le sanctuaire des dieux orientaux au Janicule, ebd.
XXIX, 1909, Iff. ; P. Gauckler, Le couple Heliopolitain et la
triade Solaire dans le sanctuaire Syrien du Lucus Furrinae , ebd.
239 ff., Comptes rendus AIBL 1909, 225 ff., 617 ff., 1910, 378 ff.;
Salv. Aurigemma, II bosco sacro delle ninfe Furrine e il san-
tuario degli dei Siri sul Gianiculo, Auson. IV, 1909, 18ff. ; Pasqui,
Not. degli sc. VI, 1909, 389 f.; A. J. Reinach, Rev. et. gr.
XXIII, 1910, 344 Mitteilungen machen. Die Literaturangaben sind
hier zwar, entsprechend dem Ziele dieses Jahresberichtes, nicht
vollständig, aber doch etwas reichlicher als sonst gegeben, weil die
an sich sehr dankenswerte schnelle Veröffentlichung, welche die
Veranstalter der Ausgrabungen von deren Ergebnissen gemacht
haben, doch insofern einen unvermeidlichen Übelstand mit sich
bringt, als nun die sich an die Entdeckungen anschließenden Fest-
stellungen und Vermutungen, die sich erst im Laufe der Zeit über-
sehen ließen, sehr zerstreut sind. Zu unterst liegen die Reste von
Stütz- und Umfassungsmauern des aus der Geschichte vom Untergang
des C. Gracchus bekannten Heiligtums der Furrina (nach Gauckler
= Feronia). Die Kultstätte diente anscheinend auch als Heilbad; bei
der Geringfügigkeit der erhaltenen Teile dieses ältesten Baues ist
begreiflich, daß über seine Einrichtung zwischen Hülsen und
Gauckler Meinungsverschiedenheit herrschte und dieser z. B.
für eine Brunnenöffnung hält, was nach jenem der Deckel eines
Opferstockes ist. Als sich in Trastevere ein neuer Stadtteil ge-
Eom. Etnirien. Nordländer. 421
bildet hatte , der besonders von Orientalen bewohnt war , traten
neben Furrina oder die Fnrrinae, die jetzt hier verehrt wurden,
die syrischen Götter, und zwar nach Gauckler, Compt. rend. 1909,
645 wahrscheinlich schon unter Nero , der nach Suet. v. Ner. 56
eine Vorliebe für Atergatis hatte (daß auch sie hier einen Kult
hatte, vermutet Doelger, ^lyß^tg I 444); doch blieb das Heilig-
tum unbedeutend , bis bei der Erhebung des Commodus zum Mit-
regenten 176 V. Chr. der Cistiber (d. h. Mitglied des Kollegs der
quinque viri eis Tiberim) Augustorum M. Antonius Gaionas ein
prächtigeres Heiligtum, nach Wissowa, Berl. Phil. Wochenschr.
XXIX, 1909, 1538 f. den Tempel des luppiter Heliopolitanus bauen
ließ. Unter den Severen blühte das Heiligtum , zu dem nach
Gauckler a. a. 0. 225 ff. die schönen Statuen, Inschriften und
Exvotos der Villa Wurts gehörten, mächtig auf, verfiel dann aber
und wurde durch die Aureliansmauer von Trastevere abgeschnitten.
Am Ende der Kaiserzeit wurde schräg zur Längsachse dieses
Tempels eine Art Basilica mit Apsis , Seitenschiffen und Vorraum
eingerichtet ; welchem Gott dies zu oberst liegende und seiner
ganzen Länge nach freigelegte Gebäude geweiht war, ist oder war
wenigstens zu der Zeit, aus der die letzten mir zugänglichen Nach-
richten stammen, nicht sicher zu bestimmen; daß es ebenfalls Kult-
zwecken diente , ist aber trotz seines seltsamen Grundrisses an-
zunehmen, und wahrscheinlich mit Recht setzt Gauckler es in die
Zeit JuKans , unter dem das Heiligtum eine kurze Nachblüte er-
lebt habe. —
Über die Tempel in Ve litrac handelt A. Pelzer-Wagen er,
Amer. Journ. Arch. XVII, 1913, 403 f. Es gab in der Stadt
Heihgtümer des Apollo und Saneus , des Hercules , Mars , des Sei
und der Luna, der Fortuna.
Etrurieu.
Über einen Tempel, wahrscheinlich des Dionj'sos (? Inschrift
BaoilLTiov xov JlovvoLov), der unter der Basilica di S. Alessandro
in Faesulae lag, berichtet Galli, Mon. ant. RAL XX, 1910, 921 ff.
Nordländer.
Clifford H. Moore, Transact. Am. Philol. Assoc. XXVIII,
1907, 109 ff. gibt die Vorstudien zu einer gi'ößeren Arbeit über
die orientalischen Kulte im römischen Reich, die vielleicht inzwischen
vollständig erschienen, mir aber nicht zugänglich ist. In dem mir
vorliegenden Stück sind Gallien und Germanien behandelt. — Die
422 Gallien und Germanien.
Mythen und Kulte der Griechenstädte S ü dg alli ens behandelt
E. Maaß, Österr. Jahresh. IX, 1906, 139 ff., X, 1907, 85 ff. Vor
der phokaiischen Niederlassung in Massalia setzt er dort in ßienna
eine kretische (vgl. den Fluß Massalias und die Stadt Bienna auf
Kreta) und in Arelate (*^Elivrj) eine rhodische Ansiedelung an. —
Über die Gründuugssage von Massalia (Aristot. fr. 508), nach
welcher Nanos' Tochter dem zufällig bei ihrer Gattenwahl an-
wesenden Euxenos zu trinken reicht, ihn dadurch zu ihrem Gemahl
bestimmt und ihm den Alinherrn der Protiaden gebiert, s. L. Rader-
m acher, Rh. Mus. LXXI, 1916, Iff. , der ähnliche Sagen ver-
gleicht {n. S. 425). Die im Jahr 1905 ausgegrabene Stele, welche
Athena opfei'nd vor Zeus, Herakles und Tyche darstellt, soll
von Bürgern der Stadt Arelate (colonia lulia Sextanorum) , die
im Emporium von Mainz wohnten, gesetzt sein; in der „dori-
schen" Trias Athena, Zeus, Herakles und in dem dorischen Künstler-
namen Samus wird eine Bestätigung dafür gesehen, daß Arelate
eine alte dorische Pflanzstadt gewesen sei. — Einen Würfelsteiu
aus Mainz , dessen vier Seiten je ein göttliches Paar darstellen,
veröffentlicht von neuem v. Domaszewski, Arch. f. Religions-
wissensch. IX, 1906, 149 (= Abh. zur römischen Relig. 129 ff.).
Die Götterpaare sind: 1) Nantosvelta (als Diana, nicht wie auf
dem Saarburger Relief als luno gebildet) und Sucellus (Silvanus),
der Himmelsgott mit dem „Himmelsszepter" ; 2) Genius und Fortuna ;
3) Grannus (Apollo) und Sirona (Salus , nicht , wie in Wiesbaden
Diana); 4) Mercur, von Victoria gekrönt. Die Zusammenstellung
gerade dieser Gottheiten sucht v. Domaszewski aus den örtlichen
Bedingungen des damaligen Mainz zu erklären. — Auf dem Mont
Auxois bei Alise (Alesia) ist der achteckige Tempel einer Quell-
göttin, nach der, wie C. Jullian vermutet, Alesia hieß (Esperandieu,
Compt. rend. AIBL 1909, 498 ff.) , und das Heiligtum einer mit
einem Ährenkranz dargestellten Heilgöttin (Ceres? Hygieia? ebd.
522) entdeckt worden.
VII. Mythologie.
1) Verwandte Züge in verschiedenen Mythen.
Im Anschluß an Rohde , Kl. Sehr. U 173 schält P. Wend-
land. De fabellis antiquis earumque ad Christianos propagatione
1 ff. aus der Geschichte der „Braut von Korinth" (Phleg. u. (>avfi.
1 •, Prokl. Tiol. W.ai. bei Schoell-Studem. Anecd. var. 11 64 =
Verwandte Motive in verschiedenen Mythen. 423
II 116 Kr.) ein Märchen heraus, indem er alles abstreift, was bei
Phlegon nur zur äußeren Beglaubigung der Geschichte erfunden
ist. Daß zu den echten Bestandteilen auch die Lokalisierung in
Makedonien gehört, wird S. 10 aus der spezifisch makedonischen
Begräbnissitte, der AufsteDung derydivt] im Kammergrab, gefolgert. —
Hartland, Primitive Paternity. The Myth of Supernatural Birth
in Relation to the History of the Family. London I 1909, II 1910
bietet zwar Parallelen zu griechischen Gebräuchen , z. B. zu dem
Fruchtbarkeitszauber auf dem Felsen (1 125 ff.), zu der Austreibung der
Unfruchtbarkeitsgeister durch Schläge (I 102 ff. {vgl. o. S.186; 231)),
zum Essen der Quitten bei der Hochzeit (I 41), zu der Befruchtung der
Weiber durch Quellen und Flüsse (1 83), aber nichts unmittelbar für die
griechischen Kulte oder Mythen, die er auch nur durch abgeleitete
Quellen kennt, Verwertbares. — Verschiedene Mythen über die
wunderbare Geburt, Aussetzung und Eettuug sowie über das schnelle
Wachstum von Helden stellt C. Fries, Stud. zur Od. I 71 ff. zu-
sammen. — Über die Sagen von der Ernährung eines aus-
gesetzten Götter- oder Heldenhindes durch ein Tier
handelt ausführlich W. Aly, Der kretische Apollonkult, Leipzio-
1908, S. 44 ff. Das Motiv findet sich in mannigfacher Ausprägung,
auf verschiedene Götter und Menschen bezogen, in ganz Kreta, ist
aber auf dem griechischen Festland, wo es von Telephos, Asklepios,
Boiotos und Aiolos erzählt wird , ziemlich selten ; doch läßt sich
vorgriechischer Ursprung dieses auch in der römischen, oskischen,
persischen und germanischen Sage überlieferten Zuges nicht nach-
weisen , zumal sich griechische Beispiele gerade in Arkadien und
Boiotien, den Fundstätten allerältesten (griechischen) Gutes an-
treffen. — Mit demselben Zug beschäftigt sich ein Teil des Char-
lottenburger Programms von Leß mann. Die Kyrossage in Europa
1906, über das o. {S. 40) gesprochen ist. — Saintyves, Vierges
meres 160 ff. erklärt die Häufigkeit des Zuges aus einer alten Sitte.
die Spurii durch die Aussetzung einem Gottesurteil zu unterwerfen. —
Von den klassischen Sagen dieses Typus gilt die von der Aus-
setzung des Romulus und Remus, deren griechische Parallelen z. B.
Pais, Storia crit. di Roma I 289 ff. sammelt, jetzt meist als Er-
findung des Naevius , der in seiner Alimonia Remi et Romuli die
Sophokleische Tyro nachgeahmt habe; s. z. B. Soltau, Anf. der
röm. Geschichtschreibung 1909, 21 ff. 5 Rasch, Sophocles quid
debeat Herodoto, Comm. phil. Jenens. X 1, 1913, 55 ff. Die Wölfin
mit den ZwiUingen am Lupereal bezog sich nach Petersen,
Klio VIII, 1908, 444 ursprünglich nicht auf die Aussetzungssage,
424 Knabenliebe.
sondern sollte die konsularische Doppelherrschaft ausdrücken.
Erst im Anschluß an die Gruppe soll die Aussetzungssage auf-
gekommen sein. — Aus dem Namen Ilia folgert Rasch (56, 3),
daß ein Grieche zuerst den dem Epos fehlenden und, wie er meint»
von Sophokles der Herodoteischen Kyrossage (Herod. I 110) nach-
gebildeten Zug (S. 30) von der Aussetzung der Zwillinge auf
Romulus und Remus übertrug ; doch muß , wie ihm die Kenntnis
Roms wahrscheinlich macht, ein Römer die Sage der römischen
Örtlichkeit angepaßt haben. — Über die von Göttern geliebten
Knaben in Ovids Metamorphosen handelt Castiglioni, Studi
intorno alle Fonti e alla compos. delle Metam. 164 ff. — Die von
E. Bethe angeregte Leipziger Dissertation von P. Beyer, Fabulae
Graecae quatenus quave aetate puerorum amore commutatae sint
(1910) geht von der bekannten Tatsache aus, daß die Päderastie
dem ältesten Griechentum und den ältesten griechischen Mythen
fehlt, in diesen sogar z. T. wie in den Sagen von Chrysippos und
Arg}'nnos als etwas Frevelhaftes behandelt wird, bestreitet aber
die Einführung der häßichen Sitte aus Kleinasien , sucht vielmehr
nachzuweisen , daß sie bei den Doriern aufgekommen und zwar
früh von den loniern und Aiolern aufgenommen , aber doch auch
später vorwiegend in den dorischen Gebieten , in Boiotien , Sparta
und auf Kreta üblich gewesen sei und deshalb besonders dem
dorischen Apollon und dem Herakles zugeschrieben werde. Nach
B. (41) sind Hyakinthos, Branchos, Melampus u. a. frühe 6(jcöfiEV0L
Apollons geworden •, Admetos , Kyparissos , Hymenaios usw. haben
freihch erst Alexandriner, die überhaupt das Motiv der Knaben-
liebe gern verwendeten, zu seinen Lieblingsknaben gemacht. Die
meisten dieser Ergebnisse sind nicht neu, aber unanfechtbar ; zweifel-
haft erscheint mir, ob das Alter der Institution — nur um eine
solche handelt es sich, als Perversität hat die Homosexualität zu
allen Zeiten bestanden — so hoch hinaufreicht, daß man von der
Eigentümlichkeit eines einzelnen Stammes sprechen kann. Nach-
dem die Heere des 7. Jhs. einen so großen Weibertroß mitgeführt
hatten, wie wir es z. B. in der Ilias sehen, könnte man sich im
6. Jh., um die Strategie beweglicher zu machen, entschlossen haben,
die Befriedigung des Geschlechtstriebes innerhalb des gleichen
Geschlechtes gutzuheißen; es ist möghch, daß der Anschauung
Bethes und Beyers insofern etwas Richtiges zugrunde liegt, als
der dorische Spartanerstaat, der wenigstens einen stehenden Offiziers-
stand besaß, durch sein Beispiel viel zur Ausbreitung der unnatür-
lichen Sitte beitrug. Ist dies richtig, so haben wir in dem Motiv
Motiv der Gattenwahl und des Betrugs des Nektanebos. 425
der Knabenliebe ein nicht unwichtiges Kennzeichen für das Alter
mancher Sagen. Vgl. u. (437).
Der Selbstmord aus Vaterlandsliebe oder aus unglücklicher
Liebe ist nach Hirzel, Arch. f. Rlw. XI, 1908, 75 ff. erst im
5. Jh ein beliebtes Motiv des griechischen Mj'thos geworden. —
Das Motiv der G aitenwahl und ihrer Entscheidung durch ein
Geschenk (z. B. einen Strauß, Apfel usw.) oder durch einen Trank,
den das Mädchen dem erkorenen Freier darbietet, handelt L. llad er-
mach er, Rh. Mus. LXXI, 1916, 1 ff. Er versucht die orienta-
lischen Formen der Geschichte , in denen öfters am Anfang ein
drittes Motiv, der Doppeltraum der beiden für einander Bestimmten
steht, zu trennen. Die Überreichung eines Bechers in der aristo-
telischen Sage aus Massalia Athen. XIII 36, 576 '^ soll ungriechisch
und aus Aristoteles von Chares (ebd. 35, 575^) in die Sage von
Zariadres eingeführt sein.
Über die Darstellungen der verschiedenen Sagen von der
Äuss et s ung einer F r au in einem Kasten handelt
R. Engelmann, Österr. Jahresh. 12, 1909, 165 ff. — Für den
Märchenzug, daß eine Frau verleumdet und vom Gatten zum Tode
verurteilt, aber von ihren unerkannten Söhnen gerettet wird (vgl.
die Antiope-, Melanippe-, Tyrosage) bringt G. Huet, Rev. d'ethnogr.
et de soc. I, 1910, 210 ff., II, 1911, 189 ff. aus alter und neuer
Zeit zahlreiche Beispiele aus den drei "alten Erdteüen und Poly-
nesien bei. Die meisten dieser Geschichten — aber gerade nicht
die griechischen — stimmen mit dem Anfang eines ägyptischen
Romans überein , der in einem Papyrus aus der Zeit des Kaisers
Claudius erhalten ist: H. hält daher für die Heimat dös Märchens
Ägj'pten oder ein Nachbarland. Den Zug, daß Mädchen oder Frauen
durch die Vorspiegelung der Vereinigung mit einem übernatürlichen
Wesen gewonnen werden, verfolgt durch die Weltliteratur Otto
W e i n r e i c h , Der Trug des Nektanebos. Wandlungen eines
Novellenstoffs. Leipzig - Berlin 1911. Die griechischen Ge-
schichten dieser Art — es werden außer der Geschichte von
Nektanebos und Olympias die von Muudus und Paulina, Tyrannus,
Kimon und Kalirroe besprochen — sind teils novellistische Er-
findungen, teils können sie auf wirkliche Vorkommnisse zurück-
gehen. Zugrunde liegen schließlich Vorstellungen heUenistisch-
ägA'ptischer Mysterienkulte (schon Ausfeld hatte ägj^jtischen Ur-
sprung des Motivs angenommen), doch sind allmählich immer mehr
griechische Elemente eingedrungen , verhältnismäßig am wenigsten
in die Fassung B (des lulius Valerius) und in die sj-rische Über-
426 Verwandte Motive : Ti*ug des Nektanebo8,Frauenraub, Verwandlung.
Setzung. Von Griechenland ist das Motiv nach Indien gelangt,
oder es ist hier selbständig gefunden (155 ff.). Die mittelalterlichen
Novellen lehnen sich nach Weinreich der Mehrzahl nach an antike
Quellen , einzelne vielleicht an die arabischen Bearbeitungen der
indischen Sagen an. — Der Wert der Arbeit, die das Fortleben
des Zuges bis in die neuere Zeit verfolgt (vgl. auch Philol. LXXII,
1913, 517 ff.), liegt vornehmlich in den literarhistorischen Unter-
suchungen , die von sehr anerkennenswerter Kenntnis des z. T.
abgelegenen Schrifttums zeugen. — Beispiele aus den Zauber-
papyri für die Überlistung eines Weibes durch einen sich als
Gott gebenden Mann sammelt Preisendanz, Hess. Blatt, f.
Volksk. XI, 1912, 213 ff. — Einen von Weinreich übersehenen
Erfurter Text des Nektanebosabenteuers veröffentlicht H i 1 k a ,
Festschr. der Schles. Ges. f. Volksk. 1911 (= Mitteil. XIII/XIV)
S. 188 ff. Vgl. auch Mitt. XVI, 1914, 80 ff. —Über die zahl-
reichen Sagen und Novellen , in denen eine Frau einen sie ver-
schmähenden Mann bei ihrem Gatten des Versuches , sie zu ver-
führen bezichtigt, s. Wendland, De fabellis antiquis earumque
ad Christianos propagatione, Götting. Universitätsschr. 1911 S. 15 ff.
— Auf die Verlemdung des Phrixos durch seine Stiefmutter spielt
nach Pearson, Class. Rev. XXIII, 1909, 255 vielleicht schon
Find. Pyth. IV 162 an.
Über das Motiv der Entführung einer Frau und des
darauffolgenden Zwcihampfes handelt Mülder, Die Ihas
u. ihre Quellen 25 ff. M. R. nimmt er an , daß es als Ursache
des troischen Krieges nicht aufgekommen sein könne, als dieser
bereits als Weltkrieg der Griechen gegen die Barbaren galt; er
schheßt daraus, daß es entweder aus einer Zeit stamme, in welcher
der troische Krieg noch nicht so großartig gedacht war, oder nach-
träglich aus einer anderen Sage herübergenommen sei. Was Helenas
Entführung anbetrifft, so ist m. E. beides zusammengekommen ; sie
ist einerseits einer Legende nachgebildet, in welcher die Dioskuren
die Schwester zurückführten, andrerseits aber früh als Anlaß für
den troischen Krieg verwendet werden , als die Dichtung diesen
noch nicht zu einem Nationalkampf erweitert hatte. Dagegen ist
der Zweikampf zwischen Menelaos und Paris nicht notwendig mit
der Entführung verbunden; er kann auch eine freie Erfindung des
Dichters unserer Ilias sein.
Über die griechischen Ve rwandlungsmythen will
W. Bubbe in einem Buche handeln, von dem ein Teil u. d. T.
De metamorphosibus Graecorum capita selecta als Hallenser Disser-
Verwandte Motive: Verwandlungen. Unverwundbarkeit. 427
tation 1913 (Diss. Hai. 24. 1) erschienen ist. Es wex'den zuerst
die Tierverwandlungen (Aktaios lo , Kallisto , Lykaon , Odysseus,
Taygete, Hekabe), dann die Versteinerungen, und zwar zunächst die
auf" einen Kult zurückgehenden, dann die von Dichtern erfundenen,
ferner die Ornithogonien , und zwar zunächst die allbekannten,
darauf die nur bei jüngeren Dichtern erzählten, endlich die Pflanzen-
verwandlungen besprochen. Die Versteinerungssagen werden (23 ff.)
großenteils aus der Form der Steine erklärt. Mit der Annahme
von Hypostasen geht B. ziemlich freigebig um, so sollen z. B.
Taygete Artemis (20), Odysseus Poseidon (18), lo die argivische
Hera (6 ff.), Kallisto die später der Artemis gleichgesetzte Bären-
göttin (12 ff.) sein. — Die Sagen von der Verwandlung eines Gottes
bei einem Liebesabenteuer erklären sich nach Frazer, The dying God
82 f. meist daraus, daß das Geschlecht, das sich von solchem Bunde her-
leitete, ursprünglich das Tier, in dessen Gestalt der Gott der Ahnfrau
genaht sein sollte, für sein Totem hielt. Aus der Pytho- Kadmos- Kych-
reus- und Erichthoniossage folgert Frazer ebd. 105, daß in Delphoi,
Theben , Salamis und Athen einst Könige herrschten , die eine
Schlange im Wappen führten. Mit der totemistischen Erklärung hält
Frazer 111 ff. jedoch eine kosmologische für vereinbar 5 er glaubt,
daß der Schlangenkampfmythos in einem religiösen Drama aufgeführt
wurde, das die Besiegung des in Schlangengestalt vorausgesetzten
Winter- und Sturmdämons darstellen und beschleunigen soUte, und
daß der abtretende und zum Tode bestimmte König die Rolle des
unterliegenden Dämons spielen mußte. Ähnlich sollen in Kreta
(112) das Rind und in Ägypten der Habicht zugleich Wappen oder
Bezeichnung des Königs und Sinnbild der Sonne gewesen sein. —
Über die Blendung als Strafe der vßgig handelt J. Vürt-
heim, Versl. en Meded. Vn, 1916, 409, ebd. 407 über die
Blendung eines ungetreuen Liebhabers durch eine Biene (s. 0. 131.).
Dies Motiv soll zuerst von Stesichoros benutzt worden sein , und
zwar in bezug auf Daphnis, der schon vorher von Bienen genährt
sein sollte (Seh. Theokr. VII 83) und auf den wegen seiner vßQig
der Zag gut paßte. Spätere haben den Zug auf Anchises und
Rhoikos übertragen. —
Berthold, Die ünv erivundbarJceit in Sage und Aber-
glauben der Griechen mit einem Anhang über den TJnverwundbarkeits-
glauben bei andern Völkern, bes. den Germanen (RVuV XL 1,
Gießen 1911) will aus literarischen Zeugnissen und aus Kunst-
darstellungen nachweisen , daß Achilleus , Aias, die Aloaden , die
Harpyien , Kaineus , Kyknos, Messapos und der nemeische Löwe
^28 Vorwandte Motive.
erst seit dem Ende des 6. Jhs. als unverwundbar galten, und daß
dieser Zug bei Aias, Kaineus und vielleicht auch bei Kyknos auf-
kam, weil sie ursprünglich Erdgeister waren, die lebendig, also
unverwundet in die Erde gestoßen sein und deshalb in dieser fort-
leben sollten. Die Erklärung ist scharfsinnig und bei Kaineus und
Aias vielleicht richtig; aber im allgemeinen ist es bedenklich, nach
der ersten, leicht zufälligen Erwähnung oder bildhchen Darstellung
das Alter eines Sagenzuges zu bestimmen , namentlich eines so
märchenhaften, wie ihn die männliche Heldensage, auch wo sie ihn
vorfand, zu verschmähen pflegte. Es ist daher wenig Gewicht
darauf zu legen, daß z. B. die Unverwundbarkeit des Achilleus
erst in hellenistischer Zeit begegnet. Die auffallende Spärlichkeit
der Hieb- und Stichfestigkeit in der späteren Magie ist der An-
nahme , daß dieser Sagenzug erst in junger Zeit aufgekommen sei,
nicht günstig.
Zahlreiche, darunter auch mythologische Parallelen zu der Sage
vom Ring des Polykrates sammelt Saintyves, Rev. bist,
rel. 66, 1912-, 49. — G. Paris wollte in einem 1874 in der
AIBL gehaltenen, aber erst jetzt in der ßev. hist. rel. LV, 1907 ',
151 ff. u. d. T. Le conte du tresor du roi Rhampsinit veröffent-
lichten Vortrag zeigen, daß von den 18 in 13 Sprachen erhaltenen
Fassungen der Sage vom Meist er (lieh, die im griechischen
Mythos von Trophonios und Agamedes eine bekannte Entsprechung
hat, die Herodoteische nicht die älteste ist. Indien, an das man
mit Benfe}' denken müßte, kommt als Heimat der Novelle ebenso
wenig in Betracht als Äg^^pten. Eher ist mögHch, daß die Sage
oder Novelle in Assyrien entstand. — Die Erzählungen vom ver-
borgenen Schatz zählt auf Lock wo od, Transact. Amer. Phil.
Assoc. XLIV, 1913, 215 ff. —
Über das Märchen vom lahmen oder dreih einigen Hoß
vgl. Leßmann und Hü sing. Die iranische Überlieferung (Myth.
Bibl. II 2, 1909) 73 ff. — Ebd. S. 43 ff. behandelt Hüsing das
Motiv der liätselwette. — Klinger, „Zur Märchenkunde",
Philol. LXVI, 1907, 336 bringt neugriechische Parallelen zur
Glaukossage (337), zur Vorstellung, daQ die Styx nur in einem
Huf aufgefangen werden können (339) und zur ^S^r^^ew Vorstellung
(342 ff.). — Neben die Geschichte von der Verzauberung des
Geschwisterpaares Mantinias und Derkyllis, die am Tage tot
sind, steUt Anderson, PhUol. hlLYl, 1907, 606 ff. einige
Märchen; ob genetische oder bloß Gedankenverwandtschaft vorliege,
läßt der Vf. unentschieden. — Das Motiv von Mi das' Ohren
Verwandte Motive. — Kosmogonien. 429
vei-folgt in der Märchen- ixnd Sagenwelt C r o o k e , Folklore XXII,
1911, 183 fiP.
Die Mythen und Sagen vom WiedrrerfjrHncn eincft
trocknen Holzes, das in die Erde gesteckt wird, teilt Saint-
yves, Rev. hist. litt. rel. n. s. III, 1912, 330 ff., 421 ff. in zwei
Ellassen: 1) Sagen, in denen ein Orakel, z. B. über die Unschuld
eines schwer belasteten Angeklagten gegeben, 2) Sagen, in denen
die Besitzergreifung eines Landes bezeugt wird. Zur zweiten Art
werden 429 ff. z. B. die Mythen vom Ergrünen von Herakles'
Keule und Athenas Lanze gestellt. S. 443 werden Parallelen zu
dem Gebrauch gesammelt, an der sommerlichen oder winterlichen
Sonnenwende Weinreben mit reifen Trauben zu zeigen,
womit Saintyves Begehungen der Oschophoria und Skirophoria ver-
gleicht.
Wegen ihi-er Beziehungen zu mehreren griechischen Mythen
gehört schlieljlich in diesen Kreis auch die Geschichte von Charit e
(Apul. m. 8. 1 ff.), die sich grausam an dem Verräter ihres auf der
Eberjagd verunglückten Gatten rächt. Zahlreiche Parallelsagen
sammelt W.Anderson, Philol. 68, 1909, 537 ff.; die meisten
Übereinstimmungen berechtigen jedoch nicht zur Annahme eines
mythologischen oder literarischen Zusammenhangs. — Zu der Sage,
daß Rhampsinit in der Unterwelt mit Demeter würfelte (Herod.
II 122), sammelt Radermacher, Zeitschr. f. österr. Gymnasien
LXIII, 1912, 196 Analogien; meistens wird das Leben als Preis
eingesetzt, dementsprechend ist es nicht selten der Todesgott, mit
dem der Held würfelt.
2) Sagenkreise.
Zur Welt- und Menschensc1iö])fung. Das wissen-
schaftliche Ansehen, dessen sich der frühere Präsident der Univer-
sität Boston W. Fairfield Warren noch jetzt in Amerika zu
erfreuen scheint, erfordert eine kurze Erwähnung seines neuesten
Werkes The Earliest Cosmologies. New- York o. J. (1909), das
Ergebnis 40 jähriger Arbeit (S. 14) , mit dessen Veröffentlichung
er bereits 1881 in The Trae key to Ancient Cosmolog}^ and
Mythical Geography begonnen hatte. Der Vf. denkt eine Einleitung
in das Studium der vergleichenden Kosmologie und damit aller
Religion zu geben ; denn Weltanschauung, world view, steht seiner
Ansicht nach im Hintergrund aller Religion und aller Philosophie,
und zwar eine wesentlich übereinstimmende Vorstellung, die von
Babylon zu Juden, Ägj'-ptern, Griechen, Eraniern und Indem ge-
430 Sagen von der Weltschöpfung und von den Menschenaltern.
bracht sein soll. Nach diesem Weltbild besteht die Erde aus zwei
mit den Basen zusammengeschweißten Pyramiden, deren untere
die Unterwelt bilden soll und die beide durch den Weltenstrom
in Verbindung stehen sollen. Für die Einzelheiten dieser sich zu-
letzt ins Bodenlose verlierenden Hypothese, die aber, wie der Vf.
selbst sagt , die Zustimmung der größten Kenner gefunden hat,
sei auf die eingehende Besprechung bei Gobi et d'AlvieUa,
CroA'ances, rites, institut. I 336 ff. verwiesen. — Eine reichhaltige
Zusammenstellung kosmogonischer und anthropogonischer Vor-
stellungen, namentlich solcher, die von den biblischen abhängen oder
sich mit ihnen wenigstens vergleichen lassen, bietet Dähnhardt,
Natursagen I 1 ff.— K. Ziegler, Neue Jabrbb. XXXI, 1913, 529 ff.
will nachweisen , daß der Aristophanische Mythos im Sj'mposion
durch eine Mittelquelle auf einen orphischen Mj^thos zurückgeht,
von dem auch Empedokles abhänge und dessen letzte Quelle derselbe
babylonische Mythos sei, von dem auch Genes. II 18 ff. abhänge.
^Der Grundstock der Anthropogonie , die Piaton parodiert, war
orphisch und im Stil mj'thisch, aber im Anschluß an Empedokles
überarbeitet und einigermaßen rationalisiert . . . Den Namen des
Orphikers zu ermitteln, der orphische Mystik mit Empedokleischer
Spekulation vereinigt hat und so zu der Ehre gekommen ist , von
Piaton parodiert zu werden, dazu fehlt uns jeder Anhalt" (570). —
Viele kosmogonische Vorstellungen bespricht C. Fries, Die griech.
Götter und Heroen S. 93 ff. Den Mittelpunkt , von dem sie aus-
gestrahlt sind, vermutet er in Babylon.
Die Hesiodeische Sage von den Menschenaltern wiU
Ed. Meyer (Hesiods Erga und das Gedicht von den 5 Menschen-
geschlechtern, Genethliacon für K. Robert, Berlin 1910, 159 ff.)
gegen die Mißverständnisse der Neueren verteidigen, welche den
großartigen Grundgedanken der Dichtung nicht erkannten und des-
halb töricht ändern. Der Dichter will nach Meyer 180 nicht
Sagengeschichte geben, sondern Betrachtungen über die Bedingungen
und Aufgaben des menschlichen Lebens. Das heroische Geschlecht
unterbricht zwar den logischen Fortschritt, ist auch insofern über-
flüssig , als die Helden bereits in dem vorhergehenden , ehernen
einbegriffen sind, ist aber vom Dichter hinzugefügt, weil er durch
eine ältere Überlieferung gebunden war (183) und überdies das
Erzalter nur von der rohen Seite geschildert hatte. Die übrigen
4 Geschlechter zerfallen in 2 Gruppen (1) das goldene und silberne,
(2) das eherne und eiserne, die den Regierungen des Kronos und
Zeus entsprechen. Zeus führt gleichzeitig den Untergang des
Sagen von den Weltaltern und der Sintflut. 431
silbernen Geschlechtes und der Titanen herbei. Der Sinn des
Mythos vom silbernen Zeitalter ist nach M., daß, wenn es ein
goldenes Geschlecht gegeben hat, das nächste ganz anders aussehen
muß, weil Wohlstand und Üppigkeit notwendig zur VerweichlichuDg,
zum Nachlassen der körperlichen und geistigen Kraft führen (179) ;
das goldene Zeitalter soll also als Utopie hingestellt werden (186). —
Nach V. Wilamowitz, Aisch. 139 ist die Geschichtsphilosophie,
die aus der Sage von den Weltaltern zu uns spricht, aus dem
ntergang der hohen kretisch-mykenischen Kultur abstrahiert. —
Eine Reihe von Artikeln in Hastings Encyclop. of Relig. I 183 ff.
behandelt die Sage von den Weltaltern in den Literaturen ver-
schiedener Völker ; die babylonischen Sagenformen stellt A. J e r e -
mias dar, die ägyptische Griffith, die griechisch-römische
K. F. Smith. — Assyrischen Ursprung der indischen
Sage von den vier Weltaltern folgert aus den dabei genannten
Zahlen F. Rock, Zs. f. Assyr. XXIV, 1910, 818 f.
Sintflutsage. Dem assyrischen Sintfluthelden Utnapistim
werden Weisheitssprüche in den Mund gelegt (Ebeling, KT AR
no. 27); vgl. Zimmern, Zs. f. Assyr. XXX, 1915/0, 185. —
Einen von ihm 1909 gefundenen babylonischen Sintflutbericht gibt
H. V. Hilprecht, The Earliest Version of the Babylonian Deluge
Story, Philadelphia 1909 heraus; vgl. L. Delaporte, Rev. hist.
rel. LXI, 1910 ^ 343 ff. Die Erzählung berührt sich z. T. mit
der des Priesterkodex, deshalb setzt Hilprecht sie auf Grund einer
irrigen Vorstellung von dessen Alter ungefähr in das Jahr 2000 ;
s. dagegen Loisy, Rev. hist. litt. rel. n. s. I, 1910, 306; in einer
zweiten Veröffentlichung „Der neue Fund zur Sintflutgeschichte
aus der Tempelbibliothek von Nippur" Leipz. 1910 verzichtet Hil-
precht auf seine Zeitbestimmung. Eine phrygische Sintflutlegende
versucht A. Rein ach, Noe Sangarion. Etüde sur le deluge en
Phrygie et le syncretisme judeo - phrygien , Paris 1913 wieder-
herzustellen auf Grund einer auf Thasos gefundenen Grabinschrift
Nöri ^ayyaQiov yvvri und der bekannten phrygischen Münzen oder
Medaillons aus der Zeit des Septimius Severus, Macrinus und
Philippus; er meint nämlich, daß die auch von ihm angenommene
\md in den Schluß des 3. Jhs. v. Chr. gesetzte Übertragung der
jüdischen Noahgeschichte nach Phrj^gien dadurch erleichtert wurde,
daß die Phrj^ger bereits vorher infolge uralter Verbindungen mit
Armenien Überlieferungen über eine große Flut hatten, die an den
später mit Henoch ausgeglichenen Annakos oder Nannakos und
dessen Tochter, die Wassergottheit Na, Nae, Nana oder Noe, eine
432 Sintflutsage.
Hypostase der großen Göttermutter, anknüpfte. Vgl. dagegen
Wide, Berl. Phil. Wscbr. XXXV, 1915, 499. — Ohne von den
neuen assyrischen Texten Kenntnis zu haben , mustert Georg
Gerland, Der M3-thos von der Sintflut, Bonn 1912, von den
\vestasiatisch-semitischen Erzählungen ausgehend, die Verbreitung
der Sage in dieser Reihenfolge : Afrika , Australien , Melanesien,
Miki'onesien, Pol3'nesien, Malaisien, Zentraleuropa, Ostasien, Eskimo-
länder, Nord- und Südamerika, Indien. Griechenland wird mit
einem Hinweis auf Useners Buch kurz abgetan. Daß den Sagen
die Erinnerung an ein Ereignis der Urzeit oder an örtliche Über-
schwemmungen zugrunde liege, bezweifelt Gerland wie Usener, aber
mit der eigenartigen Begrtlndung, daß ihre verhältnismäßige Gleich-
förmigkeit als gemeinsame Grundlage eine Naturerscheinung erfordere,
die dem Menschen in allen Teilen der Erde wesentlich gleichartig
entgegentrete. Als solche kann er sich nur das Himmelsgewölbe
denken: Dieses wird „in seiner Einheit, in seiner leuchtenden Ver-
schiedenheit gegenüber der sonstigen Welt von der gesamten Ur-
menschheit, die nur anthropomorphisch auffassen kann, einheitlich
zusammengefaßt in den ursprünglich anthropomorphisch empfundenen
und gedachten Gottesbegriff, der hier seinen Ursprung hat für
alle Völker, die ihn über die ganze Erde hin alle gleichmäßig be-
sitzen und gleichmäßig projizieren". Während Usener die Sintflut-
mythen hauptsächlich auf die Sonne deutete, erklärt Gerland sie
aus einem mit dem primitiven Gottes- und Tabubegriff eng zu-
sammenhängenden Mondmythos. S. dagegen Wünsch, Berl.
Phil. Wschr. XXXIII, 1913, 617. Über Andr6e hinaus
ist ein Fortschritt durch die Vermehrung der Sagen bei
heutigen Wilden erzielt worden; leider läßt die Genauigkeit
in der Wiedergabe der Berichte zu wünschen übrig, vgl.
H. Greßmann ZDMG LXVI 503 ff. — Die Sintflut-
sagen heutiger wilder Völker , die Dähnhardt, Natur-
sagen I 257 ff. sammelt, gehen großenteils auf den biblischen
Bericht zurück, der freilich oft willkürlich erweitert oder verkürzt
und auch verändert wird. — Die griechischen Sintflutberichte leitet
C. Fries, Die griechischen Götter und Heroen 60 ff. von den
babylonischen her, glaubt aber, daß sie insofern altertümlicher als
dessen uns vorhegende Fassungen und auch als die biblische seien,
als sie den aus rationalistischen Bedenken hinzugefügten Zug von
der Einsperrung der Tiere in der Arche nicht kennen. Deukalion
und die wenigen , die sich auf die Berge retten , sind nach Fries
alte Götter , Deukalion eins mit Prometheus ; es soll sich ur-
Sintflut- und Argonautensage. 433
sprünglich nicht um eine Vernichtung der Menschen , sondern
um eine Zerstörung der Welt gehandelt haben. — Nach Baeh-
rens , Stud. Serv. I 24 hat vielleicht Akusilaos zuerst die
Deukalionische Flut von der Ogygischen unterschieden und jene
mit Lykaons Frevel begründet. Ov. Metam. I 2G0 führt Baehrens
auf ein mythologisches Handbuch (vgl. Apollod. bibl. 3. 99) zurück,
vielleicht dasselbe , aus dem auch Interpol. Serv. Aen. 6 , 41
schöpfe; Vollgraff, Nikand. und Ov. I 99 hatte für v. 313—415
an Nikandros gedacht. Die Landung auf dem Athos beim Interpol.
Serv. a. a. 0. stammt nach Baehrens ebd. 26 f. aus Varros
Schrift de gente popuh Romani und mittelbar aus Hegesippos, der
(27) vor Nikandros, aber nach Ephoros lebte, und die Überlieferung
dieses von den Giganten, den ruchlosen Bewohnern Pallenes, durch
die Sage entkräften woUte , daß von der Chalkidike vielmehr das
Geschlecht der frommen neuen Menschheit ausgegangen sei.
Die Untersuchungen über die Argonautensage wurden zu-
meist im II. Hauptteil dieses Berichtes besprochen, der aus Raum-
mangel weggelassen werden muß ; hier seien nur einige Arbeiten er-
wähnt. Das goldene Vließ war nach Svoronos, Journ. intern, d'arch.
num. XVI, 1914, 148f. Abzeichen (az^ooro/ltov) und Totem des Schiffes,
auf dem Phrixos nach Kolchis fuhr; als Totem mußte es von den
Thessalern zurückerobert werden. Argo „die Weiße" soll zum Tauben-
heros Pelias {neXeia „wilde Taube") gehören, aber auch der Tauben-
totem von Dodona sein und daher eine Taube der Argo voraus durch die
Symplegaden vorausfliegen. — Zur Erklärung des Ausdrucks ^^gyct)
■näoi (uaXovaa (.t 70 erinnert P. Maas bei Kranz, Herm. L, 1915,
102, 5 an Pind. JTt;^. 4, 327 xov de 7tai.i7tEi&^ yXvy.vv 7jfiid^E0iGiv
Ttod-ov evdaiev "Hga vadg lAqyovg. Die Landung der Argonauten
auf Lemnos mizß nach Robert, Herm. XLIV, 1909, 380 f. bei
Eurip. ^YxpiTT. vor dem Männermord erfolgt sein. Thoas ist noch
König; seine Tochter verbindet sich mit lason in legitimer Ehe,
und dieser nimmt nach zwei Jahren die ihm von Hypsipyle ge-
borenen Kinder Thoas und Euneos von der Mutter Brust nach
Kolchis (nicht nach lolkos , wie Mahaffy einsetzen wollte) mit.
Erst nachher soU Hypsipyle ihren Vater töten , rettet ihn und
flüchtet an die Küste , wo sie von Piraten aufgegriffen und nach
Nauplia als Sklavin verkauft wird. Um Hypsipyle nach Nemea zu
führen und sie der in den früheren Darstellungen nach Robert
wahrscheinlich unbenannten Amme des Opheltes gleichzusetzen,
mußte Euripides den Männermord nach dem Argonautenabenteuer
ansetzen ; in der alten Sage hatte sie zwar auch ihren Vater ver-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 186 (Snpplementband). 28
434 Argonautensage. Thebanischer Kreis.
schont, war aber nibig in Lemnos Königin geblieben, weil niemand
•wußte, daß Thoas durch Dionysos (nach dem Taurerland?) gerettet
war. Indem die Mythographen (Apollod, I 114; Hyg. f. 15) ver-
suchten , die Euripideische Reihenfolge mit der älteren zu ver-
einigen, ergaben sich nach ßobert S. 397 Ungereimtheiten. Auch
im folgenden hat EuripiJes nach Robert eine eigentümliche Fassung
der Sage geboten. lason bezwingt den Drachen nicht, sondern
wird von diesem, der erst nachher dem Herakles erliegt, ver-
schlungen. Nach dem Tode des Vaters bringt Orpheus beide
Kinder, die dann die Mutter retten, nach Thrakien. Daß Hypsipyle
Kebsweib des Lykurgos war, ist nach Robert 386 unwahrschein-
lich. — Eine argivische Form der Argonautensage erschließt Voll -
graff , Neue Jahrbb. XXV, 1910, 315 aus den argivischen Heroen auf
der Argo. Nach Friedländer, Rh. Mus. LXIX, 1914, 299 flF.
ist die Sage erst in Milet, aber mit Benutzung mutterländischer
Sagen geformt worden: Phrixos soll aus Thessalien, Medeia aus
der östlichen Peloponnes , die Sage von den Kämpfen in Kolchis
aus der mUesischen Kadmossage stammen. Kolchis wurde an
die Stelle des mythischen Aia, nach dem Aietes heißt, gesetzt,
als die Milesier an die Ostküste des Schwarzen Meeres ge-
langten. Die fertige Argonautensage wurde (312 ff.) aus dem
milesischen Epos nach Korinth übernommen, wo man schon vorher
von Medeia, der göttlichen Gattin eines SterbHchen, vielleicht auch
schon von lason erzählte.
Thebanischer Sag enhr eis. fLeon Legras, Les legendes
thebaines dans l'epopee et la tragedie grecques, Paris 1905. Der
Vf. versucht unter Benutzung auch der Lyriker (114 ff.), der Logo -
graphen (121 ff.) und der bildlichen Überlieferung den Inhalt der
einzelnen Epen festzustellen. Die Sage selbst ist seiner Ansicht
nach in den Haupttatsachen geschichtlich, boiotische Anführer sind
z. B. wirklich wie Polyneikes in die Peloponnes gekommen, da-
gegen sind die Namen aus Legenden und andern örthchen Über-
lieferungen genommen; Oidipus z. B. wird als Schlangenfuß, also
als chthonischer Dämon erklärt. — Daß ursprünglich nur ein Zug
gegen Theben überliefert war, folgert Valeton, Mnemos. XLI,
1913, 35 aus £412 ff-, wo statt Tydeus (5*120) Diomedcs Schwieger-
sohn des Adrastos heißt. Es gab ursprüngHch zwei Sagenfassungen,
nach der einen hatte Diomedes , nach der andern Tydeus an der
Eroberung Thebens teilgenommen. Erst durch die Vereinigung
beider Sagen ist nach Valeton auch Tydeus Schwiegersohn des
Adrastos geworden. — Daß der Zug der Sieben gegen Theben in
Thebanisclie Sage. 435
der Kaikosebene gedichtet sei, folgert Friedländer, Rh. Mus.
1914, 327 ff. daraus, daß 1) Theben nie siebentorig war (doch hat
V. Wilamowitz, der dies behauptete, jetzt seine Aufstellungen
eingeschränkt , s. 0. {343}) ; 2) Thersandros , Polyneikes' S. , in
Elaia begraben sein sollte ; 3) die Bestechung Astyoches in der
kleinen Ilias der Eriphyles nachgebildet ist; 4) Aristagoras von
Tenedos sein Geschlecht auf Melanippos zurückführte (Pind. Nem.
11, 37); 5) nach der Homervita des Ps.-Herod. die 'yifAcpioQÜov
i^eXaaig in Neonteichos entstanden ist. — Über die Listen der
Teilnehmer am Zuge der Sieben und am Epigonenzug, welche die
Thebais und die Alkmaionis boten, kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie
E. Bethe Pomtow, Klio VIII, 1908, 321 f. Auf die Thebais sollen
zurückgehen, wenigstens deren Katalog voraussetzen, die den Tra-
gikern vorliegenden Verzeichnisse, die Liste bei Seh. z/ 404, endhclj
auch die argivische Reihe von Statuen der Epigonen in Argos (Paus.
II 20, 5) und auch die Reihe von Teilnehmern am ersten Zug,
welche die Argiver nach der Schlacht bei Oinoe in Delphoi ge-
widmet hatten (Paus. X 10, 3); nur soll hier Parthenopaios als
Nichtargiver ausgelassen und dafür zwar nicht HaKtherses, der nur
zu Amphiaraos' Wagen , nicht unter die Zahl der sieben Fürsten
gehöre, eingetreten , wohl aber die überlieferte Siebenzahl dadurch
bewahrt sein , daß Adrastos , der in der Thebais außerhalb und
über der Reihe der sieben Fürsten stand, mitgezählt wurde. Da-
gegen folgten die Argeier, als sie im 4. Jh. in Delphoi die Statuen
der Epigonen weihten, nach Pomtow der damals berühmter ge-
wordenen Alkmaionis (Paus. X 10, 4) ; so soll es sich erklären, daß
in den beiden argivischen Reihen in Delphoi, die Paus, überliefert,
nicht jeder Epigone einen der Sieben zum Vater und umgekehrt
nicht jeder Teilnehmer am ersten Zug einen Epigonen zum Sohn
hat. Die Liste der Alkmaionis bietet nach Pomtow auch Apollod.
TTT 81 ff. — Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Cat. Corbellini,
Studi ital. fil. class. XIX, 1912, 337 ff. Die 'ETtiyovot ließen, wie
Corbellini nachweisen will, die Söhne der in der Orjßaig getöteten
Argiver gegen Theben ziehen. Diese Liste lag dem Dichter der Ilias
und auch Aisch. vor; sie erscheint ferner Seh. ^ 404. Eine andere
Liste bot die lAhz-i-iaitovlg , aus welcher der Schiffskatalog, ferner
Paus. X 10, 4 und ApoUod. ßißX, 3, 82 schöpfen. Die Argeier haben
in ihrer Stadt Statuen nach der Liste der 'Eniyovot (Paus. II
20, 5), andere in Delphoi (ebd. X 10, 4) nach der der L^Xyifuaicovlg
gestiftet, die zu Diomedes und Sthenelos auch Euryalos als argivischen
Fürsten stellt. — Im Gegensatz dazu führt Robert, Oid. 1 244 die del-
28*
436 Thebanischer Sagenkreis.
pilische Epigoneugrujjpe der Ai'geier auf die Thebais, die Gruppen
in Argos aber auf Eurip. (Doivioaai zurück. — Wenn trotz dieser
Abweichungen im einzelnen über das Quellenverhältnis in den Haupt- .
punkten eine gewisse Übereinstimmung heiTscht, wenn insbesondere
ziemlich allgemein angenommen wird, daß, wie auch Robert Oid.
I 240 glaubt, die Liste der Sieben bei den Tragikern auf die
Thebais zurückgeht , so ist das scheinbar eine Gewähr dafür , daß
dieses Ergebnis jetzt gesichert sei; aber dabei ist vorausgesetzt,
daß es nur wenige in den großen Epen überlieferte Sagenformen
gab. Allein jede Dichtung, die den Sagenkreis ausführlich be-
handelte oder auch nur berühi'te , konnte , selbst wenn sie bald in
Vergessenheit geriet, unter der Gunst unberechenbarer Umstände
in Gestaltung des Stofifes Nachfolger finden ; deshalb ist die Zahl
der Möglichkeiten größer als die durch die Überlieferung gebotene.
Wie Sophokles und Euripides wahrscheinlich durch Aischylos' ^ErtTa
bestimmt wurden, so kann diese Dichtung, die überdies auch selbst
den Stoff im einzelnen verändert haben wird, von einer uns un-
bekannten Vorlage abhängen. Versteckte Beziehungen scheinen
darauf zu weisen, daß das Verhältnis der Sagenfassungen nicht so
einfach ist, als gewöhnlich angenommen wird. Halitherses hat viel-
leicht ursprünglich zu Parthenopaios und Atalante gehört, die in
der alten, von einem samischen Dichter geplünderten Sage vom
Kalydonischen Eber neben einem Ankaios stand; es ist doch wohl
kein Zufall, daß nach Asios bei Paus. VII 4, 1 der samische
Ankaios einen Sohn Halitherses hat. Aus den beiden wahrschein-,
lieh unabhängigen, jedenfalls früh getrennten Nachbildungen, der
samischen und der argivisch-arkadischen, die beiden zugrunde liegende
Urform zu erschließen oder gar anzunehmen, daß der argivische
Halitherses Atalantes Sohn und Bruder des Parthenopaios war, ist
natürlich nicht gestattet, aber die Übereinstimmung in dem seltenen
Namen zeigt recht anschaulich, was freilich ohnehin angenommen
werden muß, daß neben den bekannten Faktoren bei der Entstehung
des Sagenstoffes auch unbekannte mitgewirkt haben können. — Da-
durch wird zugleich einer anderen Vermutung der Boden entzogen.
Nach V. Wilamowitz Aischyl. 100 wurde Parthenopaios durch fort-
wuchernde Erfindung zum Jungfernsohn, zu Atalantes Sohn, zum
Arkader gemacht, also nicht mehr als Argeier gezählt und deshalb im
5. Jh. durch den früher nicht hervortretenden Eteoklos ersetzt (zuerst
bei Aisch. tnt. 457). Von vielen anderen Vermutungen von v. Wilamo-
witz sei hier nur noch erwähnt, daß die „Labdakidensage", d. h., wenn
ich ihn recht verstehe , die Sage von dem Fluche , der auf Laios
Thebanischer und troischer Sagenkreis. 437
und Oidipus lastet, nicht älter sei als das 7. Jh., und zwar auch
darum, weil sie moralische Probleme behandelt, wenn auch der
delphische Gott nicht von Anfang an die Geschicke lenkte. Diese
Zeitbestimmung erscheint mir richtig, sie führt aber zu der von
dem Verfasser wohl nicht gezogenen Folgerung, daß die Knaben-
liebe als gesetzhche oder wenigstens nach dem allgemeinen Urteil
zugestandene Einrichtung noch jüngeren Ursprungs ist, da eine
Fassung der Sage den auf Laios ruhenden Fluch mit dem Raub
des Chrysippos begründet. — Über v. Wilamowitz' weitere Ver-
mutungen s. o. {436).
Innerhalb des troischen Sagenkreises unterscheidet
Valeton, Mnemos. XL, 1912, 1 ff., 285 ff., XLI, 1913, 26 ff.,
243 ff. acht Bestandteile : Der älteste troische Kyklos , etwa im
12. Jh. entstanden (XL 314), ließ hauptsächhch Boioter und Lokrer
unter Führung des Aias, dessen Vater bald Oileus, bald Telamon
genannt wird , von Aulis nach Troia fahren , wo Patroklos von
Euphorbos , Hektor von Aias getötet wird. Reste oder Nach-
wirkungen dieses Bestandteils sollen sich Jf 271 und H411 finden
(ebd. 15). Der Phoker Epeios kam schon in dieser Sagenform vor,
ebenso Hektors Flucht um die Stadtmauer, weil sie (ebd. 19) im
Gegensatz zu den späteren Sagen, die den Krieg zehn Jahre dauern
und die Hilfsvölker während der ganzen Zeit in Troia wohnen
ließen, den kleineren Umfang der Stadt voraussetzt. Außer Aias
sollen dieser ältesten Sage , wie aus dem Schiffskampf in N ge-
folgert wird, fast alle großen Helden, insbesondere Achilleus (statt
dessen Medon und Podarkes in Phthia geboten , N 699) , Aga-
memnon, Dioraedes, Elephenor, Eurypylos, Idomeneus, Leonteus,
Machaon, Menelaos, Meriones, Nestor und seine Söhne, Odysseus,
Philoktetes, Podaleirios, Polypoites und Tlepolemos gefehlt haben.
Die geschichtliche Grundlage dieses ältesten Sagenbestandes ist die
Besiedelung der troischen Landschaft durch Mittelgriechen, die
bald mit den Urbewohnem, den Dardanern und den griechenfreuud-
lichen, ihren Eponymos zu Aias' Bruder machenden Teukrern ver-
schmolzen (XL 26). Daß auch attische Ansiedler sich in der
Pflanzstadt niederließen, wird (ebd. 23 f.) aus der Gestalt des
Erichthonios (dessen Name aber in Wahrheit attisch wahrschein-
lich Arichthonios gelautet hätte) und aus dem Namen Troia ge-
folgert, den die Stadt nun erhielt und der aus dem Tqwiov 6rjf.iogf
d. h. Xypete (Str. XIII 1, 48, S. 604) stammen sollte; sonder-
barerweise erinnert sich Valeton nicht des Begleiters des Hesiodos
Troilos und der gleichnamigen lokrischen Klippe (Plut. conv. VII
438 Troischer Sagenkreis.
sap. 19; cert. Hesiodi 3, 236 Ez.); der andere Name J=ihov
■^nirde der Ansiedluiig nach dem lokrischen Apollon .FiXsvg ge-
geben. Beide Benennungen wurden aber von den neuen Bewohnern
auch auf die frühere Stadt übertragen, auf deren Trümmern ihre
Häuser lagen, und Apollon, unter dessen Schutz sie ausgefahren
waren, wurde, weil sein Name von dem der Stadt unzertrennlich
war, sogar Schirmer der früheren Bewohner. Dagegen stand Ares
in dem lokrisch-boiotischen Kyklos , wie Valeton ebd. 35 aus der
Überwindung seines Sohnes durch Deiphobos {N 518) folgert, auf
Seite der Griechen. Daß der Telamonier Aias Boioter war, ergibt
sich nach Valeton ebd. 8 aus Tychios von Hyle, dem Verfertiger
seines Schildes (H 220 f.), und aus seinem Hervortreten beim
Scliiflfskampf, bei dem hauptsächlich boiotische Helden beteiligt
sind. Ein ziveiter Bestandteil der troischen Sage spielt ursprüng-
lich in Thessalien ; er erzählte von der Zerstörung des phthiotischen
Thebens und dem Tode des Achilleus durch Alexandros, der selbst
dem Philoktet erliegt. Dieser Sagenkreis wurde etwa im 11. Jh.
geschaflfen, er muß nach Valeton ebd. 314 jünger sein als der erste,
boiotisch-lokrische, denn er setzt Achilleus, der eigentlich wie sein
Vater Peleus, seine Mutter Thetis und sein Erzieher Chiron an
das Peliongebirge gehört, bereits in Phthia voraus, während der
boiotische Sagenkreis zwar andere Phthioten, aber noch nicht
Achilleus gegen Troia ziehen läßt. Zu diesem Kyklos gehört
(ebd. 307) auch Machaons [A 505) und Eurypylos' {A 581)
Verwundung durch Alexandros , der ursprünglich Thessaler war.
Ein dritter Kyklos berichtete nach Valeton von Achilleus' Zügen
nach Lesbos und den Kämpfen gegen den Dardanerkönig Aineias,
den Lelegerkönig Altes , von der Eroberung von Pedasos und
Lymessos. Den Kämpfen um Pedasos am Satnio[ei]s ist (ebd. 290)
die i^ccxr; TiaQanOTai^ia nachgebildet; eigenthch soll Achilleus
Sieger über den Satnios (H 442) gewesen und Lykaon ursprüng-
lich am Satnio[ei]3 vor der Stadt seines Großvaters Altes gefallen
sein. Eine Nachwirkung des Flußkampfes bei Pedasos soll auch
Z 21 vorliegen, wo aber für Achilleus Euryalos und für den
Satnio[ei]s der Aisepos eingetreten ist. Diese Kämpfe des Achilleus
in der Umgegend von Troia führten leicht dazu, ihn in die troische
Sage zu verflechten; er zog dahin seinen Überwinder Alexandros,
der mit Paris ausgeglichen wurde, und dieser wiederum den Philoktet,
dem er in der thessalischen Sage erlegen war (ebd. 308), nach sich.
Aineias wurde Troer, und der Plußkampf sollte nun am Skamandros
erfolgt sein. Das ist nach Valeton die vierte Sagenschicht. Eine
Troischer Sagenkreis. 439
fünfte-, in der Peloponnes entstanden, berichtete von dem Raube
Helenas durch Paris, der aber noch nicht Troer war, und ihrer
Rückführung durch Agamemnon und Menelaos. Ein sechster Kyklos
umfaßte Diomedes' Kämpfe mit ApoUon, Pandaros , Aphrodite,
Aineias, ein siebenter, in der Doris entstanden, Tlepolemos' Kampf
gegen die Lykier, ein achter, kretischer, Idomeneus' und Meriones'
Kämpfe in Kreta. lonier haben Helenas Räuber nach Troia ge-
setzt und Sarpedous Sieg über Tlepolemos hinzugefügt. Auch die
peloponnesischen Helden sind nach Valeton (XLI 41 ff.) erst in
lonien , wohin viele Peloponnesier ausgewandert waren , in die
troische Sage gekommen, und zwar von ihren Erlebnissen zuerst
der Zweikampf des Paris und Menelaos , dann Menelaos' und
Odysseus' Gesandtschaft in Troia, darauf die ctQioteia Agamemnons
und Agamemnons Verzweiflung (/ 17 ff.), der dann ein jüngerer
Dichter die didnBiQa B 110 ff. nachgebildet habe. Das Verhält-
nis der Ilias zu ihren Vorlagen denkt sich Valeton (XLI 287 f.)
so, daß die Dichter namentlich von ihren älteren Quellen nur den
Stoff und auch diesen oft stark verändert beibehielten , dagegen
von den jüngeren ganze Verse, ja längere Episoden, z. B. Menelaos'
fiovo/^iaxicc , Agamemnons Entschluß , nach Haus zu fahren , und
seine aQLOzeia.
W. R. Paton, Class. Rev. XXVII, 1913, 45 ff. erschließt
eine alte Form der troischen Sage, nach der Achilleus 12 Inseln
und 11 Städte auf dem Festland eroberte und nach der er, weil er
fallen mußte, wenn er auch die zwölfte, Troia, selbst einnahm, dem
Lokrer Petroklos , der nicht sein Freund ist , seine Waffen lieh.
Dieser aber unterliegt, und die Leiche wird nicht geborgen. Da
zieht Achilleus aus , um die Waffen wiederzugewinnen ; Hektor
wird getötet und seine Leiche dreimal um die Stadt geschleift wie
bei Ymt.IAvÖq. 107; Verg. Aen. 1, 483. Erst Homer soll die
Freundschaft des Achilleus mit Patroklos sowie die /uijvig und
Hektors Schleifung um Patroklos' Grabhügel eingeführt haben. —
Die älteste Überheferung vom troischen Krieg, die seiner An-
sicht nach einen geschichtlichen Kern enthält, erblickt Schuchardt,
Zeitschr. f. Ethnol. 1908, S. 949 in den Versen K 428 ff. , die,
wie er meint, den Voraussetzungen der Doloneia widersprechen
und daher älter als diese sein müssen. Die am Meere lagernden
Karer, Paioner, Leleger, Kaukonen und Pelasger sollen die klein-
asiatischen Seevölker, dagegen die in Thymbra lagernden Libyer,
Myser, Phryger und Maioner die Bewohner des Tantalidenreiches
zwischen Hermos und Propontis sein; und zwar werden die ältesten
440 Troischer Sagenkreis.
Wohnsitze der ersten drei Völker an den benachbarten Flüssen
Lykos, Plirygios und Mysios, der der Maioner am Hermos gesucht.
Jünger soll die Aufzählung B 816 ff. sein, wo Paphlagonier und
Halizonen, die in Wahrheit nicht mitgefochten haben können, hinzu-
gekommen sein sollen, während die Einteilung in See- und Land-
völker beibehalten ist. — —
Leeuwen, über dessen später unter dem Titel Commen-
tationes Homericae, Leiden 1911, gesammelte hierhergehörige Ab-
handlungen D. Mülder o. {CLVII, 1912, 236) berichtet hat,
will Mnem. XXXIV, 1906, 193 ff. zeigen, daß die Ilias am
Anfang, nicht am Ende des troischen Ki-ieges spielt, den sich
der Dichter nur als einen einzigen Sommerfeldzug denke , und
daß die Stellen , die eine vorhergegangene längere Dauer des
Krieges bezeugen {B 325; 327; 328 xooavx bis 329 lut dexdup (Je;
Z 419 f.; M 15), nachträglich eingeschoben sind. S. dagegen
Mülder <o. CLVII, 1912, 236 f.), Gau er, Berl. phil. Wochenschr.
XXXn, 1912, 611 ff. und John A. Scott, Class. Phüol. VIII,
1913, 445 ff., der hervorhebt, daß der Stil der lUas und Odyssee
im Verlauf der epischen Handlung keine Altersunterschiede an-
erkenne. — Für Leeuwens Ansicht glaubt dagegen B. 0. Fester,
Am. Joum. Phil. XXXV, 1914, 294 ff. eine neue Stütze gefunden
zu haben, indem er im Anschluß an Leaf, Troy, an Essay in
Hom. Geogr., London 1912, die in der Ilias erwähnten, vor dem
Beginn der Handlung liegenden Züge der Griechen vor Troia zu
einem großen Raubzug zusammenfaßt. In der Mnemos. XXXVIII,
1910, 338 meint Leeuwen, daß Hektors Abschied von Andromache
als letzte Begegnung der beiden Gatten gedacht sei, und daß daher
entweder 0 58 f. eingeschoben und die Worte xara rttdXiv H 478,
0 55 für -/.Uta. argatov eingesetzt oder die 6/uiXia nachträglich an
dieser Stelle hinzugefügt sei. Valeton ebd. XL, 1912, 317 ff.
vermutet , daß Homer ein ganzes früheres Gedicht wegen seiner
Schönheit übernommen habe.
Naiiieiiverzeicliiiis.
Abt 100. 110. 125. 132. 145. 167. 170.
184 f. 214 f. 288.
Adam 32. 283. 314.
Adamantios 171.
Adamow 191.
Aigremont 121. 224.
Allen 45. 285. 303.
Alline 289 f.
Altmann 107.
Aly 49. 132. 141. 156. 279. 291. 376.
423.
Amelung 178.
Anderson 393. 428 f.
Andree 168.
Ankermann 14.
Anziani 53. 154. 256. 418.
Appel 292.
Arabantinos 146. 328. 866.
Arvanitopulos 354 f.
Aahby 418.
Asmus 325.
Aßmann 43, 143. 375. 379. 383.
Audollent 294.
Aurigemma 420.
Ausfeld 313. 425.
Bäckström 221.
Baege 264.
Baehrens 299 f. 322. 432 f.
Baüey 29. 249.
Bannier 336.
Bartels, v. 222.
Bartbolomae 273.
Barwick 300.
Basset 197.
Bassi 218.
Baudisein, v. 153. 409.
Bechtel 235.
Becker 223.
Beloch 26 f. 134. 201. 205. 252. 377.
Berger 115.
Bergmann 166.
Beriedale (Keith) 40.
Berkusky 170.
Bersakis 328.
Bertemann 324.
Berthold 232. 427 f.
Beseler 268.
Betbe 52 f. 130. 252. 304. 376. 410.
Beyer 424.
Bezoid 220. 263.
Bianchi 122. 144. 166. 170.
Bieber 347.
Bissing, v. 354.
Blaufuli 270.
Bleck, van 250.
Blinkenberg 119. 156. 163. 171. 375.
379 f.
Bloomfield 37.
Bludau 96.
Blümner 160. 209. 225. 229 f. 232.
Blum 95. 130.
Blumenthal 91.
Bock 50.
Böhlig 395.
Boehm 147. 321.
Böklen 19. 21. 282.
Bötzke 160.
Boisacq 46. 107. 127.
Boll 100. 128 f. 133. 214 f. 216. 218 f.
222. 224. 271. 277. 280 ff.
Bonner 115 f. 227.
Bosanquet 291.
Boudreaux 218.
Bousset 260. 322 ff.
Brandenburg 53. 110. 116. 148. 392.
Braun 292.
Breasted 251.
Breccia 224.
Brückner 225. 241. 247. 308.
Brugmann 44.
Brugnola 43.
Brunnhöfer 38. 125 f. 282. 314.
Bubbe 426.
Buckler 287. 392 f.
Budde 113.
Buecheler 285.
Bugge 53.
Bulard 112.
Bulle 353.
Buslapp 343.
Busse 390.
Butler 310. 392.
Byvanck 52.
Byzantinos 160.
Caland 200. 253.
Calder 132. 393.
Calderini 253.
Calderon 48. 337 f.
Calonghi 306.
Campanet 43.
Campbell Bonner 115 f.
Capasso 415.
227.
442
Namenverzeichnis .
Capelle 259.
Carolidis 127.
Carter 67. 76.
Carton 405.
Case 48.
Casson 58.
Castiglioni 424.
Cauer 440.
Cavaignac 333.
Chadwick 57 f.
Changarnier 144.
Chapot 116. 397.
Chase 132.
Chatzis 302.
Chudzinski 235.
Ciaceri 145. 409 ff.
Cirilli 197.
Cledat 398.
Clemen 199. 208 f. 231.
Clermont Ganneau 141 f. 420.
Colangelo 18. 409.
Coler 393.
Comparetti 126. 129. 289. 413.
Convbeare 114. 119.
Conze 389.
Cook, A. B. 53. 99. 136. 156. 180.
197. 209. 215. 328.
Cooke (nicht Cook) 195. 215.
Corbellini 435.
Cornford 122. 126. 248. 316. 338. -359 f.
Correra 416.
Corssen 112. 346. 354. 413 f.
Cortese 416.
Costanzi 15. 355. 401. 405.
Courby 370.
Crook 130.
Crooke 145. 152. 163. 428.
Cnisius 122. 131. 201. 208. 256.
Cumont, Fr. 84 f. 93. 96. 128. 138 ff.
163. 170. 215 ff. 259. 277. 391.
Cumont, Eug. 391.
Dähnhardt 22. 430. 432.
Dalmann .398.
Danielsson 293.
Darier 420.
Dawkins 180. 208. 364, 378. 381.
Dechelette 18. 47. 118. 134.
Delaporte 431.
Delatte 147. 2-59. 290. 317.
Delehaye 105.
Delines 53.
Densusian 47.
Deonna 16. 174. 260. 382.
Deubner 71. 93. 95. 125. 1.39. 147.
177. 179. 181. 183. 186. 212. 232.
241. 257. 266. 279.
Dibelius 116, 306.
Dickins 364. 367.
Diels 286. 288. 318. 351.
Dies 283. 314 f.
Diest, V. 393.
Dieterich, A. 29. 154. 178. 201. 333.
Dieterich, K. 98.
Dieudonnö 157.
Dittenberger 191.
Döhring 18.
Dölger 91. 421.
Dörfler 283.
Dörpfeld 238. 358. 389.
Domaszewski, v. 68. 74. 85. 94. 188.
269. 279 f. 394. 396. 419. 422.
Mc Dougall 221.
Douglas 135. 139 f.
Drews 122. 167.
Ducati 53. 154. 256. 334.
Dümmler 209.
Dufourcq 34.
V. Duhn 244. 252. 414. 416.
Durkheim 10. 16.
Durrbach (Dürrbach) 90.
Dussaud 15. 45. 116. 140. 177. 185.
213. 396.
Dyer 356.
Ebeling 431.
Edhem Bey 383.
Eerdmana 113.
Eggleston Robbins 222.
Ehrenreich 19 ff. 23.
Ehrlich 36. 146. 235.
Ehrmann 295. 333.
Eisele 96. 180. 392.
Eisler 43. 99. 113 ff. 132. 150. 158.
192. 197. 199. 216. 263. 284. 288.
343. 394.
Eitrem 102. 123. 147. 152. 160. 169.
172. 183 f. 243. 255. 264. 354.
Elter 336.
Engelmann 334. 425.
Esdaile 177. 191.
Esperandieu 422.
Evans 47. 136. 146. 378.
Fairbanka 33.
Farnell 16. 29 f. 33. 35 f. 40 f. 74. 112.
150. 1.52. 156. 187. 203. 332. 337.
350. 371.
Fedde 121.
Fehrle 124. 126. 131. 140. 160. 180 f.
196. 208. 209. 247. 263. 351. 385.
Ferguson 329. 371.
Ferrabino 401. 410.
Fick 50. 52. 57. 144. 234. 365. 381. 387.
Fimmen 261.
Fischer 46 f.
Fitzhugh 197; vgl. Hugh.
Fletcher 12.
Flickinger 205. 208.
Förster 125.
Foster 440.
Foucart 7.' 43. 336. 338. 365.
Namenverzeichnis.
443
Fourriere 42.
Fowler 6. 69 ff, 74 ff. 79. 103 ff. 122.
181. 188. 188. 211. 221. 248 f. 263.
270. 281.
Fox 167. 171.
Fränkel 206.
Frank 172.
Frazer 6 ff. 14. 18. 76. 121 ff. 126.
128. 134. 136 f. 141. 143. 14.5 f. 149 f.
152. 154 ff. 163. 168. 170. 176. 18-5.
187. 193. 199. 210. 263. 272. 280.
336. 359. 394. 427.
Fredrich 53. 379.
Frickenhaus 133. 198. 205. 327. 329.
352.
Friedländer 313 f. 366. 381. 413. 434.
Fries 24. 38. 116. 150. 196. 198. 204.
279 ff. 282. 423. 430. 432.
Frisch 320.
Fritze, v. 389.
Fröhner 230. 234.
Frost 58.
Frothingham 107. 268.
Furtwängler 51 f. 370.
Galli 416. 421.
Gardiner 138.
Gardner 116.
Garstang 148.
Gauckler 115. 218. 420 f.
Geffcken 82.
Gehrich 84.
Gennep, v. 14. 16. 18. 186. 188. 193.
209. 253. 333.
Gercke 399.
Gerhard 204. 232.
Gerland 431 f.
GianneÜi 192.
Gilbert 315.
Güdersleeve 134 f. 148. 204.
Girard 47. 190.
Glotz 61.
Glover 29. 82.
Goblet d'Alviella 5. 159. 480.
Goedel 297.
Goldenweiser 14.
Goldziher 113. 184. 245.
Gomme 14.
Gothein 158. 281.
Goudy 281.
Gräbner 4 f. 9. 14.
Gräfinghoff 393.
Graindor 228. 281 f.
Granger 63. 122. 222. 418.
Greßmann 113. 259.
Grienberger 293.
Griffith 431.
Grimme 273. 277.
Gruppe 113. 232. 330. 340 ff.
Gsell 405 f.
Gubernatis 78.
Güntert 169.
Gundel 216. 219. 259. ä
Gunuing 1-54. 374.
Habert 34.
Hackl 151.
Hadzsits 89.
Hahn 148.
Halliday 46. 209.
Hardie 393
Harrisou 12. 15. 24 f. 49. 60. 111.
123. 136. 139 f. 142 f. 248. 266. 284.
291. 354.
Hartland 14. 102. 179. 423.
Hartmann 2-30 f. 298. 303. 320.
Hasluck 263. 390 f. 393.
Hatch 165.
Hauck 287.
Haury 42. .339.
Hauser 122. 135. 178. 241. 347. 354.
Haussoullier 244. 259. 384. 413.
Hautecoeur 126. 139.
Havers 166. 185.
Hay 81.
Head 131.
Heberdey 158. 384.
Hebert 16.
Heckenbach 177 ff .
Heckenrath 356.
Heden 137. 214.
Heeg 218.
Heinen 94.
Heinevetter 223.
Heinze 318.
Helm 99. 305. 311.
Hempel 39.
Hennings 43. 413.
Henry 125.
Hepding 99. 389.
Herbig 243.
Hersman 318.
Hertling, v. 105.
Hertz 231.
Herzfeld 294.
Herzog 135. 146. 253. 375.
Hewitt 61. 110. 188. 213. 267.
Hev 37.
Hilka 426.
Hill 51. 143. 148. 396.
Hillebrand 197.
Hiller von Gärtringen 362. 366. 384.
388. 398.
Hilprecht 431.
Hincks 207.
Hirzel 187. 424 f.
Hock 183.
Höfler 176.
Hönn 260.
Hoffmann, 0. 107. 368.
Hoffmann-Kutschke 39 f.
Hogarth 131. 384.
444
Namenverzeichnis.
Hohmann 406.
Holleaux 870 f. 380.
Homolle 370.
Hoops 6. 100. 181.
Hooton 191. 248.
Hose 'J'21.
Hovorka v. 128. 176. 184. 230.
Howerth 69.
Hubert 15.
Hülsen 420.
Hüsing 19. 21 ff. 37. 39 f. 428.
Huet 425.
Fitz Hugh (Fitzhugh) 291.
Huhn 304.
Hulot 411.
Hunger 135. 141 f. 146. 148. 150. 152.
219 f.
Husband 79.
Hutchinson 291 f.
Ihm 304.
Uberg 102.
Immisch 129.
Jacobsohn 234.
Jacobsthal 119 384 f.
Jacoby 128. 300 ff.
Jalabert 85. 190. 395 ff.
Jamar 96.
.Janiewitsch 245.
Jastrow jr., Morris 54. 216. 220. 222.
Jeanmaire 197.
Jeremias 431.
Jerome 335.
Jevons 6 f. 100. 166.
Jockl 374.
.Johnson 150.
de Jong 141. 194. .306. 324.
.Jubainville, Arbois de 39.
JuUian 121. 174.
Jurenka 369. 390.
Kaerst 6-5. 89. 301.
Kagarow 2. 118. 120.
Kahle 188.
Kannengießer 52. .54.
Kappus 118. 221.
Karo 343. 364. 372. 378. 392.
Karsten 9. 61. 117. 120.
Katz 304 f.
Kawerau 387.
Kawczynski 308.
Kazarow 208. 213. 263.
Keü 291 f. 386. 388.
Keith 40.
Keller 144.
KeramopuUl)08 343. 351. .3-53.
Kern 101. 201. 264. 287. 291. 3:34.
3.54 f. .386. 389.
Keseling 299.
Kiepert 390.
Kircher 128. 163. 172. 183. 245.
Klapper 101. 154.
Klein 179. 240.
Klinger 100. 129. 428.
Klotzsch 408 f.
Kmoskü 219.
Knackfuß 387.
Kobbert 104.
Koechling 179.
König 282.
Körte, A. 197. 340.
— , G. 78. 222. 326.
Koettgen 361 f.
Kohler 122. 163. 230. 239.
Kolbe 362. 364.
Konopka 304.
Kontoleon 352,
Kornemann 93.
Kranz 259. 433.
Kraus 43.
Krauß 99.
Kretschmer 56. 107. 213.
Kroll, Jos. 323.
Kroll, W. 103. 167 f. 191. 218. 313.
322 f.
Kronfeld 128. 176. 184. 230.
Kropatschek 120. 174.
Kühnau 137. 151.
Küster 133. 393.
Kugener 82.
Kugler 217. 280.
Kuhn, A. 17. 41. 150. 16-3.
— E. 17. 41.
Kuiper 149. 209. 225. 227. 230. 363.
Kuruniotis 109. 366. 372.
Küster 294.
Kutsch 326.
Lagrange 16. 43. 48 51. 112. 1'56.
Laing 73.
Lajay 260.
Lang 6. 10. 14. 212. 303.
Lanzani 35.
Laqueur 267.
Latte 195. 291 f.
Lattermann 362. 366.
Lawson 97 f. 185. 192. 237. 242. 245.
249. 277. 335.
Leaf 349. 440.
Ledl 235.
Leeuwen 106. 440.
Lefebure 131. 186.
Legras 434.
Lehmann-Haupt 273. 294. 347.
Lenschau 408. 414.
Leo 227.
Leonhard (nicht Leonhardt) 49. 148.
158.
Leroux 110.
Leßmann 20 ff. 40. 423. 428.
Levi 205.
Namenverzeichnis.
445
Leyen, v. d. 313.
V. Lichtenberg 47. 116.
Lidzbarski 115. 138 f. 149. 259 f. 275.
Lieblein 62.
Lietzmann 90 f.
Link 105.
Linke 161.
Littmann 395.
Lockwood 428.
Loi.sy 13. 34. 194. 244. 337. 346. 431.
Ludwich 280.
Luschan, v, 47 f. 54.
Maas 292. 4:33.
Maaß 111. 204. 266. 344. 353. 417. 422.
Macc.hioro -53. 240. 250. 258. 347. 413.
MackaU 256.
Macridy 382. 387.
Maourdy 160.
Mahaffy 433.
Majuri (Maiuri) 149. 370. 413.
Malten 46. 56. 119. 124. 137. 146.
1.50 f. 257 f. 285. 334. 365.374. 399.
401.
Mancuso 298.
Manley 143.
Maragliano 413.
Marett 6 f. 10.
Mariani 170.
Marmorstein 221. 232.
Marshall 68. 140. 155.
Martini 218.
Marucchi 223. 419.
Marx 115. 418.
Mau 325.
Maurice 81, 85.
Mauß 15.
Mayer, A. 409.
— M. .53. 237. 401. 412.
Mayeur 126.
Meinet 39.
Meiser 319.
Meißner 219.
Meister 55.
Menardos 127. 129. 395.
Mende 255.
Menrad 19.
Meringer 39. 107. 117. 224.
Merlin 115. 148. 171. 211. 404.
Meyer, Ed. 25. 48 ff. 54. 251. 376.
396. 430.
— . P. M. 399.
— , Rieh. M. 7. 171.
Michael 321.
Michel 100. 114. 118. 120. 167.
Michon 243.
Milchhöfer 61 f.
Milne 167.
Modestov 53.
Mommsen 370.
Monceaux 293.
Moncrieff 320.
Montelius, v. 157.
Moore 84. 421.
Morgenstern 135.
Morpurgo 268.
Moschides 379.
Mot, de 236.
Motzo 95.
Mowat 82.
Mras 296.
Mülder 235. 237. 355. 413. 426. 440.
Müller, A. 208. 279.
— , Br. 362.
— , F. 53.
— , W. A. 177. 239.
— , V. K. 159.
Münscher 304. 313.
Münzer 78. 116.
Murray 6. 35. 173. 204. 263. 291.
Nazari 191.
Nestle 284. 318.
Neustadt 131. 152. 155. 208. 375. 378.
Nicole 327. 420.
Nielsen 275.
Niese 357.
Niggetiet 321.
Nilsson 36. 67. 109. 1.34 f. 137. 14.5.
147. 180. 185. 187. 198. 201 ff. 208.
216. 223. 239. 247. 264 f. 268. 270 f.
277. 279. 281. 381. 385. 408.
Nissen 1071 156. 387.
Noack 331. 342.
Nöldeke 114.
Norden 294.
Obst 390.
Ogle 125. 188. 224. 237.
Oikonomos 336. 369.
Oldfather 141. 258. 344. 414 f.
Oliphant 100. 140.
Olivetti 89.
Olivieri 218. 291.
Oppenheim 100. 166. 177.
Oppenheim, v. 160.
Orsi .52. 414.
Ostheide 265.
Otto, W. (oder W. F.) 75. 87. 90. 94.
104. 147. 154. 156. 177. 186. 188.
191. 212. 398.
Paffrath 161.
Pagenstecher 148. 170. 241. 414,
Pais 52. 77 f. 409. 416 ff. 423.
Pancrizius 144. 154.
Papabasileios 372.
Pareti 52. 356. 411.
Paribeni 47. 60. 86. 183. 244 f. 252.
378.
Paris 428.
Parmentier 101. 236. 320. 380.
446
Namenverzeichnis.
Pascal 9J. 94. 237. 240. 245. 249 f.
252. 259. 318. 328. 336.
Pasquali 60. 362.
Paton 121. 123. 175. 185. 190. 439.
Patroni 339 f. 417.
Pease 187.
Pedersen 33.
Peet 48.
Pelzer-Wagener 421.
Penka 48.
Penquitt 170. 178. 224.
Perdrizet 15. 96. 140. 163. 172 f. 188.
194. 283. 351 f. 369. 398.
Pernice 224.
Pernier 54. 379.
Pestalozza 47.
Peter 81.
Petersen 120. 123 f. 144. 252. 326. 328.
Petra, de 415.
Pettazzoni 45. 171. 219. 409.
Pfeiffer 216. 259.
Pfister 62. 232. 234. 245 f. 356. 366.
Pfuhl 186. 236.
Philios 331 f.
Philippson 318.
Picard 135. 158. 166. 382. 384. 387.
Pichon 289.
Pinza 120.
Plassart 370.
Plavimann 90. 92. 398.
Pley 1.52. 183. 240.
Poerner 291. 366. 385.
Pohorilles 19.
Poland 33.
Politis 98.
Pomtow 292. 350 ff. 435.
Postgate 282.
Pottier 140.
Poulsen 43. 49. 53. 117 f. 160. 162.
2.38. 266. 350. 354.
Poussin 34.
Pradel 175. 283.
Prausnitz 163.
Preisendanz 101. 166. 224. 283. 426.
Premerstein, v. 367. 388. 391.
Prentice 395.
Preuß 200.
Prichard 12.
Pringsheim 330 f. 393.
Prinz 49. 134. 143. 148. 239.
Prott, V. 60.
Puech 227.
Purser .308.
Putorti 230.
QuagUati 141. 242. 414.
Quandt 287. 383. 385.
Rahehl 293.
Ptadennacher 114. 134. 145. 149. 159.
209. 224 f. 2.53. 257. 289. 422. 42-5. 429.
Radet 384. 392.
Ramsay 140. 193. 195. 243. 382. 387.
392 f.
Randolph 125.
Rasch 146. 423.
Reeb 409.
Regling 387. 398.
Rehm 387.
Reiclielt 39.
Reid 76. 125. 172. 212.
Reinach, A. (A. I.) 15. 43 f. 48. 53.
60. 112. 115. 119. 126 f. 128. 132.
134. 139. 141 f. 146 ff. 149 f. 155 f.
161 f. 166. 172. 196. 263 f. 267. 269.
376. 391. 403. 409. 412. 414. 420.
431.
— , S. 7. 15. 29. 47, 102. 114. 123.
132. 135. 138 f. 146 f. 154 f. 163.
169. 171. 190. 212. 221. 231 f. 239.
266. 282. 333. 419.
— , Th. 383.
Reinhardt 319.
Reisch 33.
Reitz 406.
Reitzenstein 62 f. 64 f. 66. 190. 259 f.
306. 309 ff. 322. 324.
Remy 394.
Rescher 283.
Reuterskiöld 7. 14. 210.
Rhomaios 243. 367.
Richmond 94 f. 419.
Richter, Fr. 83. 405.
— , Joh. 298.
Ricklin 135.
Ridgeway 55. 78. 202. 237.
Riewaldt 92.
Riffer 123.
Rivers 14.
Rizzo 124. 410.
Robert 121. 159 f. 254. 297 f. ,328»
.330. 351. 361. 433 f. 435.
Roberts 278.
Robbins 222.
Robinson 86 f. -328. 351. 391 ff.
Rodenwaldt .329.
Rock 431.
Röder 15.
Rohein 134.
Ronzevalle 116. 139. 395. 397.
Rosanquet 364.
Röscher 111. 216. 271. 275 f. 281 ff.
413.
Rose 60 f. 75. 120. 161. 166. 266.
Rosenberg 73.
Roßbach 25. 266. 370. 410.
Rouge 237.
Roussel 243. 371.
Rowoldt 295.
Rubensohn 91. 2.38.
Ruelle 218.
Rusch 190. 332. .371.
Namenverzeichnis.
447
Saintyves 122. 124 f. 174. 230 f. 423.
428.
Salis, V. 386.
Samter 209. 212 f. 225 f. 229. 231 f. 270,
Sanetis, de 124. 250. 417.
Saussure, de 330.
Savignoni 370.
Schäfer 376.
Schatzmann 389.
Scheftelowitz 101. 132. 141. 164. 175.
184. 252.
Scheidweiler 345.
Scheuer 325.
Schmidt, Bernh. 98. 171. 180. 184.
— , Er. 319.
-, C. 322.
— , E. 294.
— , H. 214. 314.
— , K. 32. 48.
— , P. W. 10 f.
— K. Fr. W. 45.
— , W. 92. 155. 232. 278. 280.
Schnabel 186. 197. 206. 209.
Schöne 233. 235.
Scholz 304.
Schrader 39 f. 45. 141. 236. 238. 256.
Schremmer 157.
Schredelseker 168.
Schröder, v. 37 ff. 133. 150. 153. 179.
196. 199 f.
Schubart 322.
Schuchhardt 389. 439.
Schultz, W. 19. 21. 37. 122. 126.
Schulz, R. 299.
Schulze, W. 75.
Schurtz 193.
Schwartz 82.
Schwenn 161. 163. 167. 169. 171.
185 f. 198. 213. 264.
Schwering 94.
Sciava 16.
Scott 440.
Sechan 169. 225.
Seeck 87.
Segerstedt 261.
Seifert 134.
Seligmann 170 f.
Seilin 113. 119.
Sergi 275.
Seta, della 16. 54. 381.
Sethe 128. 191.
Siecke 19 f. 23. 76. 118. 188. 157 ff. 164.
Sihler 82. 296. 300.
Silberer 214.
Sittig 40. 233.
Sitzler 374.
Skutsch 170. 174.
Smith 431.
Sola 132.
Solmsen 36. 56.
Soltau 77. 154. 428.
Sommer 168.
Sonny 240.
Sourdille 43.
Spani 268.
Sperber 7. 210.
Spiegelberg 128. 160. 190.
Spör 99.
Stähelin 52. 96.
Stählin 390.
Steindorff 251.
Steinhauser 219.
Steinleitner 93. 189. 381. 383.
Stengel 150. 172. 182. 236. 247. 264.
Stewart 155.
Stolz 74.
Storck 373 f.
Stow asser 174.
Stuart 229.
Studniczka 114.
Sturtevant 295.
Sudhaus 214.
Süß 197.
Svoronos 15. 112. 126. 140. 151. 161.
175. 223 f. 232. 243. 329. 334. 340.
370. 433.
Swanton 14.
Szymanski 264.
Taccone 298.
Tamborino 101. 119. 144.
Tarbell 126.
Taylor 93. 418.
Terzaghi 43. 104. 119. 186.
Thiersch 162. 164.
Thompson, Campbell 184.
— , M. S. 48. 103. 365.
Thomsen 186. 210. 244.
Thulin 217. 220 f. 248. 295.
Thumb 56.
Thurnwald 14.
Tillyard 157.
Tittel 37.
Tolmann 53. 250.
Tonks 137.
Toutain 6. 16. 29. 80. 89. 91 f. 95.
109. 215. 377. 405.
Tresp 295.
Troje 120. 126. 324.
Tsuntas 330.
Tümpel 100.
TJssani 304.
"Vaglieri 419.
Valeton 346. 355. 484. 437. 440.
Verrall 130.
Versakis 364.
Ville de Mirmont, de la 218.
Volkmann 320.
Vollgraff 124. 184. 189. 328. 362.
366. 370. 376. 407. 432. 484.
448
Namen verz e ichnis .
Vtlrtheim 131. 141. 145. 186. 207.
232. 265. 345. 348. 427.
Wace 48. ^
"Wackernagel 40.
Wächter 120. 131. 153. 155. 178. 182.
231. 2:«.
Pelzer-Wag:ener 421,
Wainwright 52.
Walter 214.
Ward 397.
Warren 429.
Waser 129. 134. 136 f. 168 f. 252.
Weber, L. 135. 393.
— , W. 66. 81. 88. 95.
— 120.
AVeege 195.
AVeicker 252.
Weinreich 82. 93. 115. 135. 164 f.
173 f. 175. 178. 214. 280. 282. 288.
314. 425.
Weller 328.
Wellmann 326.
AVelter 155.
Wendland 5. 62 ff . 100. 309. 321 f.
422. 426.
Weniger 98. 131. 164. 175. 219. 222 f.
271. 350. 3.54. 357 ff. 376.
AVestermarck 6. 166 f. 213.
AVetter 66. 158.
AVide 102. 123. 134. 136. 143. 157.
431.
AViedemann 15. 51. 174. 200. 255.
Wiegand 381.
Wieten 129. 290.
AA'ilamowitz, v. 45. 205 f. 254. 259.
267. 292. 344. 348. 372. 879 f. 381.
384 ff. 390. 431. 434. 436 f.
Wilcken 81. 91. 95 f. 172. 190 f.
AVilhelm 328. 346. 349.
Willemsen 296.
AVilson 128.
Winnefeld 396.
Winternitz 200.
Wipprecht 318.
AVissowa 72. 76. 83. 107. 128. 142.
182. 184. 197. 213. 421.
Wölcke 266.
AVolf 68.
Woodward 364.
AVright 325.
AVünsch 29. 100. 103 f. 167. 170. 174 f.
187. 224. 288. 294. 432.
Wundt, M. 322.
— , W. 14 f. 180.
Wyß 149. 164. 245. 290.
Xanthudidis 375. 379.
Zacher 206.
Zehetmaier 236.
Ziebarth 371.
Ziegler 318. 411. 430.
Ziehen 31. 281. 3:35. 371.
Zielinski 44. 143. 322 f. 399.
Zimmermann 149.
Zimmern 279. 431.
Zolotas 383.
PA Jahresbericht über die Fort-
3 schritte der klassischen
J3 Altertumsvdssenschaf t
Bd. 136
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